BGE 121 IV 29 vom 25. Januar 1995

Datum: 25. Januar 1995

Artikelreferenzen:  Art. 173 StGB, Art. 186 StGB, Art. 292 StGB, Art. 224 ZPO, Art. 231 ZPO, Art. 232 ZPO , Art. 28c ff. ZGB, Art. 173 ff. StGB, Art. 224 und 231 ZPO, Art. 186 StGB, Art. 232 Abs. 2 ZPO, Art. 14 UWG

BGE referenzen:  98 IV 106, 124 IV 64, 124 IV 297, 129 IV 246, 147 IV 145 , 90 IV 206, 98 IV 106, 106 IV 279

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

121 IV 29


7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Januar 1995 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen); Subsidiarität gegenüber anderen Ungehorsamstatbeständen.
Kann der Strafrichter im Verfahren wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen eine vom Zivilrichter erlassene vorsorgliche Verfügung auf ihre Rechtmässigkeit prüfen? (E. 2a).
Der Ungehorsam erfüllt auch dann den Tatbestand von Art. 292 StGB , wenn das durch die Verfügung untersagte Verhalten ohnehin schon, etwa als Ehrverletzung oder als unlauterer Wettbewerb, strafbar ist; anders, wenn die Missachtung der Verfügung als solche einen besonderen Straftatbestand des eidgenössischen oder kantonalen Rechts erfüllt (Subsidiarität von Art. 292 StGB gegenüber anderen Ungehorsamstatbeständen) (E. 2b).

Sachverhalt ab Seite 30

BGE 121 IV 29 S. 30

A.- Mit Amtsbefehl vom 8. September 1992 erliess der Präsident des Kantonsgerichts von Appenzell A.Rh. gestützt auf Art. 224 und 231 ZPO /AR und Art. 28c ff. ZGB im Rahmen eines Zivilprozesses zwischen einer Bank und X. wegen Persönlichkeitsverletzung für die Dauer des hängigen Feststellungs- und Unterlassungsverfahrens eine vorsorgliche Verfügung. Darin wurde X. unter Androhung von Haft oder Busse nach Art. 292 StGB verboten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens die in einer 54 Punkte umfassenden Liste aufgeführten Äusserungen über die Bank sowie die Angestellten und die Beauftragten der Bank in irgendeiner Form gegenüber Dritten zu machen.
X. focht den Amtsbefehl innert der fünftägigen Rechtsmittelfrist nicht an.
In einem Schreiben, das er an sämtliche Mitglieder des Kantonsrates von Appenzell Ausserrhoden versandte, bezeichnete X. insbesondere die Angehörigen des Kaders der Bank als Bank-Gangster, Ganoven, Gauner und kaufmännische Nullen. In einem zweiten Schreiben an A. und B. betitelte er
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diese beiden Kaderleute der Bank u.a. als ausgemachte Ganoven; von diesem Schreiben liess er dem Verhöramt von Appenzell A.Rh. eine Orientierungskopie zukommen.

B.- Das Kantonsgericht von Appenzell A.Rh. sprach X. am 28. Oktober 1993 des mehrfachen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung ( Art. 292 StGB ) schuldig. Es bestrafte ihn deswegen (und wegen einer hier nicht interessierenden Beschimpfung) mit 10 Tagen Haft, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, und mit 1'500 Franken Busse.
Das Obergericht von Appenzell A.Rh. bestätigte auf Appellation des Verurteilten hin die erstinstanzlichen Schuldsprüche und bestrafte X. deswegen mit einer Busse von 1'500 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.

C.- Der Gebüsste führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Gemäss Art. 292 StGB wird wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen mit Haft oder mit Busse bestraft, wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet.
a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann der Strafrichter in einem Verfahren wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen gemäss Art. 292 StGB die Rechtmässigkeit der Verwaltungsverfügung frei prüfen, wenn dagegen keine Beschwerde an das Verwaltungsgericht möglich war. Die Kognition des Strafrichters ist auf offensichtliche Rechtsverletzung und Ermessensmissbrauch beschränkt, wenn eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht zwar möglich war, von dieser Möglichkeit aber nicht Gebrauch gemacht wurde oder der Entscheid des Verwaltungsgerichts noch aussteht. Ist die Rechtmässigkeit der Verfügung von einem Verwaltungsgericht bejaht worden, so kann der Strafrichter sie nicht mehr überprüfen (zum Ganzen BGE 98 IV 106 ; TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 292 StGB N. 7 mit Hinweisen). Verfügungen mit der Androhung von Strafen gemäss Art. 292 StGB im Falle des Ungehorsams können nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch in andern Verfahren getroffen werden,
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etwa im Rahmen eines Zivilprozesses. Das Bundesgericht hat in BGE 98 IV 106 E. 3e (S. 111) offengelassen, ob der Strafrichter in einem Verfahren wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen im Sinne von Art. 292 StGB eine Verfügung des Zivilrichters auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen könne, aber immerhin darauf hingewiesen, dass die Berechtigung und Notwendigkeit der Überprüfung von solchen richterlichen Anordnungen weniger offenkundig sei als bei Verwaltungsverfügungen (siehe dazu auch MAX KUMMER, Die Vollstreckung des Unterlassungsurteils durch Strafzwang, ZStrR 94/1977 [Festgabe Schultz] S. 377 ff., 389). In BGE 90 IV 206 ff. hat es geprüft, ob der Zivilrichter im Rahmen eines Eheschutzverfahrens den Ehemann durch eine Verfügung unter Androhung von Strafe gemäss Art. 292 StGB zum Verlassen der ehelichen Wohnung verpflichten dürfe; das Bundesgericht hat dies bejaht und dabei u.a. erkannt, dass Art. 186 StGB (Hausfriedensbruch) den Erlass einer solchen Verfügung nicht hindere.
Es kann hier offenbleiben, ob der Strafrichter in einem Verfahren wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen gemäss Art. 292 StGB die Verfügung eines Zivilrichters auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen kann und welche Kognition ihm dabei gegebenenfalls zusteht, wenn die Verfügung des Zivilrichters mit einem Rechtsmittel hätte angefochten werden können, dies aber, wie im vorliegenden Fall, unterblieben ist. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwieweit der Amtsbefehl selber unrechtmässig sein soll, und dies ist auch nicht ersichtlich.
b) aa) Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre gilt Art. 292 StGB als Auffangtatbestand, der nur subsidiär eingreift, wenn der Ungehorsam als solcher keinen speziellen Straftatbestand des eidgenössischen oder kantonalen Rechts erfüllt ( BGE 106 IV 279 E. 2, BGE 90 IV 206 E. 3, je mit Hinweisen; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil II, § 51 N. 12; PETER STADLER, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen [ Art. 292 StGB ], Diss. ZH 1990, S. 25 ff., mit Hinweisen). Art. 292 StGB ist allerdings nicht nur im Sinne der Konkurrenzlehre subsidiär zu den besonderen Ungehorsamstatbeständen. Vielmehr ist die in einer Verfügung enthaltene behördliche Androhung der Ungehorsamsstrafe gemäss Art. 292 StGB gar nicht wirksam und daher unbeachtlich, wenn der Ungehorsam gegen diese Verfügung bereits in einer besonderen Bestimmung des eidgenössischen oder kantonalen Rechts mit Strafe bedroht wird, und es fällt dann schon aus diesem Grunde eine Verurteilung gemäss Art. 292 StGB ausser Betracht.
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Der Ungehorsam gegen richterliche Amtsbefehle im Sinne der Zivilprozessordnung des Kantons Appenzell A.Rh. wird weder durch eine besondere Bestimmung des Bundesrechts noch durch eine spezielle Vorschrift des kantonalen Rechts mit Strafe bedroht; im Gegenteil bestimmt Art. 232 Abs. 2 ZPO /AR, dass in den Amtsbefehlen unter anderem "die Bestrafung wegen Ungehorsams gemäss Art. 292 StGB anzudrohen" ist. Art. 173 ff. StGB betreffend Ehrverletzungen sind keine Bestimmungen, die den Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung als solchen mit Strafe bedrohen.
Was der Beschwerdeführer dazu im einzelnen vorbringt, ist unbegründet.
bb) Der durch eine bestimmte Handlung Verletzte kann frei wählen, ob er gegen den Täter zivilrechtlich oder strafrechtlich vorgehe oder ob er beide Wege beschreite. Wählt er den Zivilweg, so kann er, soweit dies im einschlägigen Gesetz vorgesehen ist, beim Richter beantragen, dass dieser dem Beklagten durch vorsorgliche Massnahmen eine drohende weitere Verletzung verbiete (siehe z.B. Art. 28c ZGB , Art. 14 UWG [SR 241]). Der Zivilrichter wird eine entsprechende Verfügung erlassen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür erfüllt sind. Fehlt es an einer speziellen Bestimmung, welche die Missachtung dieser Verfügung mit Strafe bedroht, so kann der Richter unter Hinweis auf Art. 292 StGB für den Ungehorsam gegen die von ihm erlassene Verfügung die in Art. 292 StGB vorgesehenen Strafen androhen.
Art. 292 StGB ist mithin in dem Sinne "subsidiär", als er nur dann zur Anwendung gelangen kann, wenn keine andere Strafbestimmung den Ungehorsam an sich bestraft ( BGE 90 IV 206 ). Die behördliche Androhung von Strafe gemäss Art. 292 StGB bei Ungehorsam gegen die von der Behörde erlassene Verfügung und eine Verurteilung nach Art. 292 StGB sind mit anderen Worten nur dann unwirksam resp. bundesrechtswidrig, wenn die Tathandlung der Missachtung der Verfügung schon den Tatbestand einer andern Strafbestimmung des eidgenössischen oder kantonalen Rechts erfüllt.
Die Subsidiarität von Art. 292 StGB bedeutet demnach nicht, dass die behördliche Androhung von Strafe gemäss Art. 292 StGB bei Ungehorsam gegen die von der Behörde erlassene Verfügung und eine Verurteilung nach Art. 292 StGB auch dann unwirksam resp. bundesrechtswidrig seien, wenn das durch die Verfügung untersagte Verhalten ohnehin schon, etwa als Ehrverletzung oder als Widerhandlung gegen das UWG, strafbar ist. Das ergibt sich schon daraus, dass etwa der Zivilrichter in einem Zivilprozess weder prüfen muss
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noch prüfen kann, ob das Verhalten, welches er durch eine Verfügung verbietet, strafbar sei. Der Richter hat vor dem Erlass der Verfügung unter Androhung der Ungehorsamsstrafe nach Art. 292 StGB lediglich zu prüfen, ob die im einschlägigen Gesetz genannten Voraussetzungen für das fragliche Verbot oder Gebot erfüllt seien und ob der Ungehorsam gegen diese Verfügung nicht schon durch eine besondere Bestimmung des eidgenössischen oder kantonalen Rechts (etwa des Prozessstrafrechts) mit Strafe bedroht wird.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit unbegründet, soweit der Beschwerdeführer darin seine Verurteilung gemäss Art. 292 StGB mit dem Argument anficht, dass der richterliche Amtsbefehl vom 8. September 1992 jedenfalls insoweit unrechtmässig sei, als ihm darin unter Androhung der Ungehorsamsstrafe ehrverletzende Äusserungen im Sinne von Art. 173 ff. StGB bis zum rechtskräftigen Abschluss des Zivilprozesses verboten wurden.

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