Urteilskopf
123 V 70
12. Urteil vom 28. Februar 1997 i.S. G. gegen Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft
Regeste
Art. 23 Abs. 1 AVIG
.
Die Verwaltungspraxis, wonach die Entschädigung für nicht bezogene Ferien bei der Bemessung des versicherten Verdienstes ausser acht zu lassen ist, hält vor Bundesrecht stand (Präzisierung der Rechtsprechung).
A.-
Die 1967 geborene G. arbeitete vom 1. Januar 1993 bis 11. August 1995 für die Firma C., wofür sie im Stundenlohn bezahlt wurde, der in den letzten sechs Monaten, einschliesslich Ferienentschädigung und Anteil des 13. Monatslohnes, Fr. 30.-- betrug. Nach ihrer Entlassung beantragte sie am 25. Oktober 1995 die Zusprechung von Arbeitslosenentschädigung ab dem 23. desselben Monats. Mit Verfügung vom 12. April 1996 legte die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland den versicherten Verdienst auf Fr. 3'768.-- fest, dies ausgehend vom Lohn für die sechs letzten Monate des Arbeitsverhältnisses, vermindert um die Ferienentschädigung von 8,33%.
B.-
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft wies die dagegen erhobene Beschwerde, mit der G. im wesentlichen die Bemessung ihres
BGE 123 V 70 S. 71
versicherten Verdienstes unter Mitberücksichtigung der Ferienentschädigung und nach Massgabe ihrer "100%igen Vermittlungsfähigkeit" beantragte, mit Einzelrichterentscheid vom 12. September 1996 ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert G. ihr im kantonalen Verfahren gestelltes Begehren.
Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist, ob bei der Bemessung des versicherten Verdienstes der Beschwerdeführerin die in ihrem Stundenlohn von Fr. 30.-- enthaltene Ferienabgeltung im Umfang von 8,33% in Abzug zu bringen ist, wie dies Verwaltung und Vorinstanz erkannt haben, und ob in diesem Zusammenhang auch der Vermittlungsfähigkeit Rechnung getragen werden muss. (...).
2.
In zeitlicher Hinsicht sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgeblich, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (
BGE 122 V 36
Erw. 1 mit Hinweis). Die Bemessung des versicherten Verdienstes richtet sich demnach im vorliegenden Fall nach
Art. 23 Abs. 1 AVIG
in der bis Ende 1995 in Kraft gewesenen Fassung vom 25. Juni 1982. Danach gilt als versicherter Verdienst der für die Beitragsbemessung massgebende Lohn (
Art. 3 AVIG
), der während eines Bemessungszeitraumes normalerweise erzielt wurde, einschliesslich der vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen sind (Satz 1). Der Verdienst gilt nicht als versichert, wenn er eine gewisse Mindestgrenze nicht erreicht (Satz 2). Der Bundesrat bestimmt den Bemessungszeitraum und die Mindestgrenze (Satz 3).
In Ausübung dieser Verordnungsbefugnis hat der Bundesrat
Art. 37 AVIV
erlassen, wonach als Bemessungszeitraum für den versicherten Verdienst in der Regel der letzte Beitragsmonat vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug gilt (Abs. 1). Weicht der Lohn im letzten Beitragsmonat um mindestens 10% vom Durchschnittslohn der letzten sechs Monate ab, so wird der versicherte Verdienst aufgrund dieses Durchschnittslohnes berechnet (Abs. 2). Wirkt sich die Bemessung aufgrund der Absätze 1 und 2 für den Versicherten unbillig aus, so kann die Kasse auf einen längeren Bemessungszeitraum, höchstens aber auf die letzten zwölf Beitragsmonate abstellen (Abs. 3).
3.
Aufgrund der dargelegten Bestimmungen kann nicht zweifelhaft sein, dass bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes allein von den tatsächlichen Lohnbezügen auszugehen ist (vgl. ARV 1995 Nr. 15 S. 81 Erw. 2c) und für deren Erhöhung nach Massgabe der Vermittlungsfähigkeit - namentlich bei vorgängiger Teilerwerbstätigkeit - kein Raum besteht. Insofern haben Verwaltung und Vorinstanz zu Recht den Durchschnittslohn der letzten sechs Monate als massgebend erachtet (
Art. 37 Abs. 2 AVIV
). Dass stattdessen auf einen längeren Bemessungszeitraum abzustellen gewesen wäre (vgl.
Art. 37 Abs. 3 oder 3bis AVIV
), ist weder geltend gemacht, noch bestehen aufgrund der Akten irgendwelche Anhaltspunkte dafür. Zu prüfen bleibt somit nur mehr, wie es sich mit der Frage der Ferienentschädigung verhält.
4.
a) Verwaltung und kantonales Gericht stützten ihren Entscheid auf das Kreisschreiben des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) über die Arbeitslosenentschädigung (KS-ALE, in Kraft seit 1. Januar 1992). Dieses hält in Randziffer 144 fest, Feiertags- und Ferienentschädigungen der im Stundenlohn beschäftigten Arbeitnehmer dürften nicht zum versicherten Verdienst gezählt werden, da diese Personen sonst ungerechtfertigterweise besser gestellt wären als die im Monatslohn angestellten Arbeitnehmer (vgl. GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. 1, N. 8 zu Art. 23).
Verwaltungsweisungen in der Art dieses Kreisschreibens sind für den Sozialversicherungsrichter nicht verbindlich. Er soll sie bei seiner Entscheidung mitberücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Er weicht anderseits insoweit von den Weisungen ab, als sie mit den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen nicht vereinbar sind (
BGE 120 V 163
Erw. 4b,
BGE 119 V 259
Erw. 3a,
BGE 118 V 131
Erw. 3a, 210 Erw. 4c,
BGE 117 V 284
Erw. 4c,
BGE 116 V 19
Erw. 3c, je mit Hinweisen; vgl. ferner
BGE 121 V 386
oben).
b) Das Eidg. Versicherungsgericht erkannte in
BGE 111 V 249
Erw. 3b, dass die Ferienentschädigung bei der Berechnung des versicherten Verdienstes nicht vom Bruttolohn abzuziehen ist, sondern zum massgebenden Verdienst gehört. In der Folge bestätigte es diese Rechtsprechung mit der Ergänzung, dass im Anwendungsfall zu ermitteln ist, auf welchen Betrag sich die Ferienentschädigung in Franken beziffert und wie viele Ferientage oder -wochen damit abgegolten werden. Denn durch diese erhöht sich einerseits die
BGE 123 V 70 S. 73
anzurechnende Beitragszeit (
Art. 13 Abs. 1 AVIG
), was sich nicht nur auf den Anspruchsbeginn (
Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG
), sondern auch auf die Höchstzahl der Taggelder (
Art. 27 Abs. 1 AVIG
) auswirken kann. Anderseits ist nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses der Arbeitsausfall - unter Vorbehalt von
Art. 9 AVIV
- für jene Tage nicht anrechenbar, die bereits durch die Ferienentschädigung abgegolten sind (
BGE 112 V 226
Erw. 2d).
5.
a) Die dargelegte Rechtsprechung entspricht insofern Gesetz und Verordnung, als Ferien- und Feiertagsentschädigungen massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung darstellen (
Art. 7 lit. o AHVV
), womit sie der Beitragspflicht an die Arbeitslosenversicherung unterliegen (vgl.
Art. 3 AVIG
) und infolgedessen gemäss
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 AVIG
auch bei der Bestimmung des versicherten Verdienstes zu berücksichtigen sind (vgl. Erw. 2 hievor). Das Eidg. Versicherungsgericht liess es denn auch in
BGE 111 V 249
Erw. 3b bei dieser Begründung bewenden, dies ergänzt um den Hinweis, dass der vom BIGA vorgeschlagene Abzug der Ferienentschädigung weder in Gesetz noch Verordnung eine Grundlage finde.
Demgegenüber liegt der hier zu überprüfenden Verwaltungsweisung die Absicht zugrunde, bei der Bemessung des versicherten Verdienstes eine Besserstellung jener Versicherten zu vermeiden, die ihre Ferien nicht real beziehen, sondern sich diese - entgegen der absolut zwingenden Schutzbestimmung des
Art. 329d Abs. 2 OR
- abgelten lassen. Der Wortlaut des Kreisschreibens bringt diesen Willen zwar nur unvollkommen zum Ausdruck, indem darin nicht zwischen Realbezug und Abgeltung, sondern zwischen Stunden- und Monatslohn differenziert wird (vgl. Erw. 4a hievor). Die gewählte Formulierung mag indes darin gründen, dass die Abgeltung des Ferienanspruchs, mithin der Verzicht auf den Realbezug, meistens bei solchen Versicherten anzutreffen ist, die im Stundenlohn bezahlt sind.
b) Der Einbezug der Ferienentschädigung in den versicherten Verdienst gemäss bisheriger Rechtsprechung führt im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs aufgrund des entsprechenden Lohnzuschlages tatsächlich zu einer Bevorzugung gegenüber jenen Versicherten, die - ob im Monats- oder im Stundenlohn entlöhnt - ihr Ferienguthaben real beziehen. Denn wo jeder Realbezug der Ferien unterblieben ist, scheidet bei der Bemessung des versicherten Verdienstes selbst ein wenigstens teilweise möglicher Ausgleich des prozentualen Lohnzuschlages durch entsprechende Wahl des
BGE 123 V 70 S. 74
Bemessungszeitraumes (vgl.
Art. 37 Abs. 2 AVIV
) von vornherein aus. Auf der anderen Seite können Versicherte, die ihre Ferien normalerweise real beziehen, auch dann keine Erhöhung ihres versicherten Verdienstes erwarten, wenn dieser Realbezug zufolge Auflösung des Arbeitsverhältnisses programmwidrig ausser Betracht fällt und statt dessen eine einmalige Entschädigung ausgerichtet wird (vgl. dazu RKUV 1996 Nr. U 245 S. 157 Erw. 7c mit Hinweisen).
c) Die mit der bisherigen Rechtsprechung einhergehende Privilegierung der Ferienabgeltung hält einer näheren Prüfung nicht stand. Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, dass das Gesetz zur Sicherung des mit den Ferien verfolgten Erholungszwecks ein absolut zwingendes Verbot ihrer Abgeltung enthält (Art. 329d Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 361 OR
), wovon die Praxis nur mit äusserster Zurückhaltung bei unregelmässigem oder sehr kurzem Arbeitseinsatz gewisse Ausnahmen zulässt (
BGE 116 II 517
Erw. 4a mit Hinweisen; vgl. ferner RKUV 1996 Nr. U 245 S. 157 Erw. 7c, 1994 Nr. U 196 S. 217 Erw. 5a; BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2. Aufl., N 4b zu Art. 329d; STREIFF/VON KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 5. Aufl., N. 9 zu Art. 329d). Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des dem AVIG eigenen Grundgedankens, wonach die Arbeitslosenversicherung nur für eine normale übliche Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz bieten soll (
BGE 116 V 283
Erw. 2d), lässt sich der Einbezug der Ferienentschädigung in den versicherten Verdienst gemäss
Art. 23 Abs. 1 AVIG
auch nicht damit rechtfertigen, es handle sich um massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung (vgl. dazu auch
BGE 116 V 282
Erw. 2b). Immerhin gilt es im Falle der Ferienabgeltung mit Blick auf die anzurechnende Beitragszeit (
Art. 13 Abs. 1 AVIG
) - nach wie vor (vgl.
BGE 112 V 226
) - zu ermitteln, wie viele Ferientage oder -wochen damit vergütet werden. Diese Umrechnung erweist sich nicht zuletzt aus Sicht des Abgeltungsverbotes als folgerichtig und dem Schutzbedürfnis des Versicherten vollauf genügend, ohne dass es des direkten Einbezugs der Ferienentschädigung in den versicherten Verdienst bedürfte. Davon abgesehen kann damit die Ferienentschädigung über
Art. 37 AVIV
gerade bei unregelmässig erwerbstätigen Versicherten, bei denen die Ferienabgeltung am häufigsten anzutreffen ist, bei der Festsetzung des versicherten Verdienstes wenigstens mittelbar mitberücksichtigt werden, zumal in solchen Fällen oft ein längerer Bemessungszeitraum (Art. 37 Abs. 2 bis
BGE 123 V 70 S. 75
3bis AVIV) zur Anwendung gelangt.
6.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die in Einklang mit Rz. 144 KS-ALE stehende Entscheidung von Verwaltung und Vorinstanz, die Ferienentschädigung der Beschwerdeführerin bei der Bemessung ihres versicherten Verdienstes ausser acht zu lassen, vor Bundesrecht standhält. Dies gilt insbesondere auch für den vorliegend verwendeten Abzug von 8,33 Lohnprozenten (ARV 1988 S. 1 ff., insbesondere S. 7 ff. = JAR 1989 S. 73 ff.; vgl. ferner RKUV 1994 Nr. U 196 S. 218).