BGE 124 II 180 vom 4. März 1998

Datum: 4. März 1998

Artikelreferenzen:  Art. 1 IRSG , Art. 16 Abs. 1 BG-RVUS, Art. 1 Abs. 1 IRSG, Art. 17 Abs. 1 BG-RVUS, Art. 103 lit. a OG

BGE referenzen:  117 IB 64, 118 IB 442, 118 IB 547, 121 II 459, 122 II 130, 123 II 153, 125 II 65, 137 IV 134 , 118 IB 442, 122 II 130, 121 II 459, 123 II 153, 118 IB 547, 117 IB 64, 118 IB 547, 117 IB 64

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

124 II 180


22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. März 1998 i.S. E. SA, F. SA, G. Ltd., H. Inc. und I. Inc. gegen Bundesamt für Polizeiwesen, Zentralstelle USA (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Bundesgesetz zum Rechtshilfevertrag mit den USA (BG-RVUS): Legitimation des Kontoinhabers.
Ist das Bundesamt für Polizeiwesen in einer Rechtshilfesache auf die bei ihm eingereichte Einsprache nicht eingetreten, ist der Einsprecher legitimiert, gegen den Nichteintretensentscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen (E. 1).
In Rechtshilfesachen ist der Inhaber des von der Rechtshilfe betroffenen Bankkontos legitimiert, gegen die Übermittlung der Protokolle von Zeugeneinvernahmen Rechtsmittel zu erheben, sofern die Protokolle Informationen enthalten, die einer Übermittlung von Kontounterlagen gleichkommen, und der Kontoinhaber berechtigt wäre, gegen eine allfällige Übermittlung der Kontounterlagen Rechtsmittel zu erheben (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 181

BGE 124 II 180 S. 181
In einem Rechtshilfeersuchen verlangen die amerikanischen Behörden die vollständigen Unterlagen zu einigen mit ihren Nummern bezeichneten Bankkonten sowie zu allen Bankkonten bei schweizerischen Banken, welche mit dem Gegenstand des Rechtshilfeersuchens in Zusammenhang stehen könnten. Ausserdem ersuchen sie um die Einvernahme leitender Mitarbeiter der betroffenen Banken als Zeugen, welche über die im Ersuchen genannten Konten Auskunft geben sollten.
Nachdem das Bundesamt für Polizeiwesen die Rechtshilfe für zulässig erklärt hatte, erhoben der E. SA, die F. SA, die G. Ltd., die H. Inc. und die I. Inc. Einsprache, welche das Bundesamt für Polizeiwesen mit Verfügung vom 2. Mai 1997 abwies, soweit es darauf eintrat.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 4. Juni 1997 stellen die Beschwerdeführerinnen hauptsächlich den Antrag, die Verfügung des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 2. Mai 1997 sei aufzuheben. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde ein aus folgenden

Erwägungen

Erwägungen:

1. a) Die Beurteilung von Rechtshilfebegehren der Vereinigten Staaten von Amerika richtet sich nach dem zwischen den USA und der Schweiz am 25. März 1973 abgeschlossenen Staatsvertrag über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (RVUS, SR 0.351.933.6) und nach dem vom 3. Oktober 1975 datierten Bundesgesetz zu diesem Staatsvertrag (BG-RVUS, SR 351.93). Soweit sich dem Staatsvertrag und dem zugehörigen Spezialgesetz keine Regeln für die Beantwortung einer bestimmten Rechtsfrage entnehmen lassen, sind das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG, SR 351.1) und die zu diesem Gesetz gehörende Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV, SR 351.11) anzuwenden (vgl. Art. 1 Abs. 1 IRSG ).
BGE 124 II 180 S. 182
b) Die Beschwerdeführerinnen sind als Kontoinhaber durch die streitigen Rechtshilfemassnahmen unmittelbar in ihren eigenen Interessen betroffen und zunächst soweit zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert, als sie sich gegen die Übermittlung der beschlagnahmten Kontounterlagen in die USA zur Wehr setzen ( Art. 17 Abs. 1 BG-RVUS in Verbindung mit Art. 103 lit. a OG ; BGE 118 Ib 442 ff. mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerinnen sind darüber hinaus aber auch insofern persönlich und unmittelbar betroffen, als ihnen das Bundesamt für Polizeiwesen die Legitimation absprach, gegen die Übermittlung der bei den Zeugeneinvernahmen erstellten Protokolle Einsprache zu erheben. Die gegen den entsprechenden Nichteintretensentscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ebenfalls zulässig, weil insoweit die Legitimation der Beschwerdeführerinnen zur Einsprache nach Art. 16 Abs. 1 BG-RVUS Gegenstand der Beschwerde bildet. Da auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind, ist soweit auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.

2. a) Gemäss den vom Bundesamt für Polizeiwesen zitierten nicht veröffentlichten Entscheiden des Bundesgerichts vom 30. Januar 1997 und vom 3. März 1997, beide i.S. M., sind die Beschwerdeführerinnen grundsätzlich nicht berechtigt, gegen die Übermittlung der Protokolle aus den Zeugeneinvernahmen Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen, denn das entscheidende Element sei nicht der Inhalt der Protokolle, sondern die Art und Weise, in welcher die Protokolle erhoben wurden.
b) Nach der Rechtsprechung ist ein Zeuge nur unter bestimmten Voraussetzungen legitimiert, Beschwerde gegen die Übermittlung des Protokolls an den ersuchenden Staat zu führen ( BGE 122 II 130 E. 2b S. 133; BGE 121 II 459 E. 2c S. 461 f.). Demgegenüber kommt einem Dritten, selbst wenn er durch protokollierte Aussagen persönlich berührt wird, keine Beschwerdebefugnis zu ( BGE 123 II 153 E. 2b S. 156). An dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich festzuhalten. Eine rigorose Handhabung dieser Praxis hätte allerdings - wie die Beschwerdeführerinnen zu Recht vorbringen - zur Folge, dass in bezug auf Kontoinformationen der Rechtsschutz unterlaufen werden könnte: Verlangen ausländische Behörden die Übermittlung der Unterlagen zu einem Bankkonto, könnten die schweizerischen Rechtshilfebehörden deren Inhalt durch das zuständige Personal der Bank in einer Zeugeneinvernahme bestätigen lassen, anstelle der Bankunterlagen die Einvernahmeprotokolle in den ersuchenden Staat übermitteln und auf diese Weise jedes Rechtsmittel der Kontoinhaber
BGE 124 II 180 S. 183
zum vornherein ausschliessen. Bei diesem Vorgehen wären auch die Bank selbst oder der einvernommene Mitarbeiter der Bank nicht zur Beschwerde berechtigt, weil die Übermittlung der Protokolle in der Regel nicht ihre eigenen Interessen beeinträchtigt. Damit die im Rechtshilferecht vorgesehenen Rechtsmittel nicht ihren Sinn verlieren, muss den Inhabern von Bankkonten die Legitimation zur Beschwerde gegen die Übermittlung von Einvernahmeprotokollen zugestanden werden, wenn und soweit diese Informationen enthalten, die einer Übermittlung von Kontounterlagen gleichkommen, und der betroffene Kontoinhaber berechtigt wäre, gegen eine allfällige Übermittlung der Unterlagen zu seinem Bankkonto Beschwerde zu führen.
c) Das Bundesamt darf demnach den Inhabern derjenigen Bankkonten, welche Gegenstand von Zeugeneinvernahmen bildeten, die Rechtsmittellegitimation nicht allein mit dem Hinweis auf die erwähnten nicht veröffentlichten Entscheide des Bundesgerichts vom 30. Januar 1997 und vom 3. März 1997 absprechen. Der in diesen beiden Entscheiden angewandte Grundsatz ist vielmehr dahin zu präzisieren, dass die Inhaber der Bankkonten dann zu Rechtsmitteln gegen die Anordnung von Rechtshilfehandlungen legitimiert sind, wenn die angeordneten Zeugeneinvernahmen - wie gesagt - der Erhebung von Kontounterlagen gleichkommen (vgl. das nicht publizierte Urteil des Bundesgerichts vom 16. Januar 1997 i.S. P. u. Mitbet., E. 12b, mit Hinweisen auf BGE 118 Ib 547 E. 1d und BGE 117 Ib 64 E. 2b/bb, mit weiteren Hinweisen). Enthalten die Einvernahmeprotokolle hingegen keine Angaben über die von der Rechtshilfe betroffenen Konten oder enthalten sie bloss Angaben, welche bereits im Rechtshilfeersuchen oder in den Beilagen dazu erwähnt werden, sind die Inhaber der Konten nicht legitimiert, gegen die Übermittlung der Einvernahmeprotokolle Beschwerde zu führen.
d) Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, kann nicht abschliessend gesagt werden, weil sich die umstrittenen Protokolle nicht bei den Akten befinden. Das Bundesamt für Polizeiwesen wird deshalb unter Berücksichtigung der soeben dargelegten Grundsätze erneut prüfen müssen, ob die Beschwerdeführerinnen im Sinne von Art. 16 Abs. 1 BG-RVUS legitimiert sind, gegen die Übermittlung der Einvernahmeprotokolle Einsprache zu erheben. Nach dem Gesagten verletzt der angefochtene Nichteintretensentscheid Bundesrecht. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zu neuem Entscheid an das Bundesamt für Polizeiwesen zurückzuweisen.

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