Urteilskopf
124 II 252
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. März 1998 i.S. Einwohnergemeinde Mühleberg gegen Deponie Teuftal AG, Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Art. 24 RPG
, Standortgebundenheit; Nutzungsplanung oder Ausnahmebewilligung bei Nebenanlagen einer Deponie.
Erfordernis der bau- und planungsrechtlichen Beurteilung von Deponieanlagen im Wald (E. 2a).
Planungspflicht bei UVP-pflichtigem Vorhaben (E. 3).
"Abgeleitete" Standortgebundenheit einer grösseren Nebenanlage (hier: Reststoffverfestigungsanlage) zu einem Hauptbetrieb (hier: Deponie), welcher der Planungspflicht untersteht, verneint (E. 4).
Die Deponie Teuftal AG (DETAG) betreibt im Teuftal bei Heggidorn, Einwohnergemeinde Mühleberg, eine 1971 bewilligte Deponie (Reaktordeponie nach heutiger Terminologie). Auf dem Deponieareal betreibt zudem seit 1991/92 die Reststoffdeponie Teuftal AG (RSDT AG) - eine Gründung der DETAG und der Basler Chemie - eine Reststoffdeponie. Ein Verfahren betreffend deren Bewilligung ist bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern hängig und bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens sistiert.
Am 18. Oktober 1995 lehnte der Regierungsstatthalter von Laupen ein Gesuch der DETAG ab, ihr gestützt auf
Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700)
auf dem Deponieareal die Errichtung einer Reststoffverfestigungsanlage zu bewilligen. In der Anlage sollen geeignete Abfälle wie Filterrückstände mittels Zuschlagstoffen (vor allem Zement oder Kalk) so verfestigt werden, dass sie in der Reststoffdeponie abge-lagert werden können. Der Regierungsstatthalter bezeichnete die Anlage als nicht standortgebunden.
Auf Beschwerde der DETAG hin bestätigte die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion am 7. August 1996 den Bauabschlag. Sie erwog zusammengefasst, die Reststoffverfestigungsanlage könne nicht gestützt auf
Art. 24 RPG
bewilligt werden, weil die Reststoffdeponie selbst noch nicht ordnungsgemäss bewilligt worden sei. Für die Deponie sei eine Nutzungsplanung notwendig. Zweckmässigerweise sei die Reststoffverfestigungsanlage ebenfalls im Planverfahren zu bewilligen.
Die DETAG zog die Bewilligungsverweigerung an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern weiter. Dieses hob den angefochtenen Entscheid mit Urteil vom 24. Februar 1997 auf und wies die Akten an die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion zur Weiterführung des Verfahrens im Sinne der Erwägungen zurück.
Die Einwohnergemeinde Mühleberg hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung des Baugesuchs für die Reststoffverfestigungsanlage. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
1.
Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid verneint, dass für die Bewilligung der Reststoffverfestigungsanlage ein Planungsverfahren notwendig sei, und erwogen, es sei grundsätzlich zulässig, die Anlage am Standort der Deponie Teuftal gestützt auf
Art. 24 Abs. 1 RPG
zu bewilligen. Es hat die Angelegenheit jedoch zur Abklärung weiterer Bewilligungsvoraussetzungen an die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion zurückgewiesen. Damit liegt ein letztinstanzlicher (Teil-)Entscheid über eine Bewilligung gemäss
Art. 24 RPG
vor, der kraft
Art. 34 Abs. 1 RPG
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 97 ff. OG
angefochten werden kann.
Die Beschwerdeführerin ist Standortgemeinde der Deponie Teuftal. Sie macht geltend, das Verwaltungsgericht habe die Anwendbarkeit von
Art. 24 RPG
zu Unrecht bejaht, da die Anlage nur nach Durchführung einer Nutzungsplanung bewilligt werden könne. Die Beschwerdeführerin ist aufgrund von
Art. 34 Abs. 2 RPG
zur Beschwerdeführung legitimiert. Auf die Beschwerde, deren formelle Voraussetzungen erfüllt sind, wird eingetreten.
2.
a) Das Areal der Deponie Teuftal und damit der für die Reststoffverfestigungsanlage vorgesehene Standort liegt im Wald. Für die Deponie wurde 1971 eine Rodungsbewilligung mit Wiederaufforstungspflicht erteilt. Aufgrund von Art. 2 Abs. 2 lit. c des Waldgesetzes des Bundes vom 4. Oktober 1991 (WaG; SR 921.0) gilt das betreffende Areal daher weiterhin als Wald. Bei dieser Ausgangslage kommt eine Bewilligung der streitigen Anlage nur gestützt auf eine Nutzungsplanung oder auf
Art. 24 RPG
in Frage (
Art. 11 und 12 WaG
).
b) Das Verwaltungsgericht erwog, es sei grundsätzlich zulässig, die Reststoffverfestigungsanlage gestützt auf
Art. 24 RPG
zu bewilligen. Hinsichtlich der Bewilligung gemäss
Art. 24 RPG
verneinte die Vorinstanz, dass die Reststoffverfestigungsanlage als solche auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen sei. Hingegen könne die Standortgebundenheit allenfalls wegen der engen Verknüpfung mit dem Deponiebetrieb bejaht und eine "abgeleitete Bewilligung" erteilt werden. Dafür sei vorauszusetzen, dass sich die schon bestehende, zonenfremde Baute oder Anlage - vorliegend die Deponie - auf eine gültige Bewilligung stützen könne, was das Verwaltungsgericht bejahte.
3.
Bau- und auch Ausnahmebewilligungen haben den planerischen Stufenbau zu beachten. Für Bauten und Anlagen, die ihrer
BGE 124 II 252 S. 255
Natur nach nur in einem Planungsverfahren angemessen erfasst werden können, dürfen keine Ausnahmebewilligungen erteilt werden. Zieht ein nicht zonenkonformes Vorhaben durch seine Ausmasse oder seine Natur bedeutende Auswirkungen auf die bestehende Nutzungsordnung nach sich, so darf es erst nach einer entsprechenden Änderung des Zonenplans bewilligt werden. Wann ein nicht zonenkonformes Vorhaben so gewichtig ist, dass es der Planungspflicht nach
Art. 2 RPG
untersteht, ergibt sich aus den Planungsgrundsätzen und -zielen (
Art. 1 und 3 RPG
), dem kantonalen Richtplan und der Bedeutung des Projekts im Lichte der im Raumplanungsgesetz und im kantonalen Recht festgelegten Verfahrensordnung (Art. 4 und 33 f. RPG; vgl.
BGE 120 Ib 207
E. 5 mit zahlreichen Hinweisen).
Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Umstand, dass für eine bestimmte Anlage eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorgeschrieben ist, ein gewichtiges Indiz dafür, dass das Vorhaben nur aufgrund einer Nutzungsplanung bewilligt werden kann (
BGE 120 Ib 436
E. 2d S. 449 ff.;
119 Ib 439
E. 4b). Das Verwaltungsgericht hat unter Würdigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausgeführt, die Reststoffverfestigungsanlage sei zwar UVP-pflichtig; die mit der Anlage verbundenen Auswirkungen seien indessen nicht derart erheblich, dass sie zwingend nach einer Nutzungsplanung verlangten. Ob diese Auffassung zutrifft, kann vorliegend offen bleiben, da das angefochtene Urteil bereits aus einem anderen Grund aufzuheben ist.
4.
Eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 Abs. 1 RPG
kann erteilt werden, wenn der Zweck der Baute einen Standort ausserhalb der Bauzonen erfordert (lit. a) und wenn dem Vorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen (lit. b). Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (
BGE 118 Ib 17
E. 2a). Vorliegend ist nur zu beurteilen, ob die Standortgebundenheit der Reststoffverfestigungsanlage allenfalls bejaht werden kann, während gemäss dem angefochtenen Urteil die Interessenabwägung auf jeden Fall noch durch die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion zu ergänzen ist.
a) Die Standortgebundenheit darf nur bejaht werden, wenn eine Baute aus technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen oder wegen der Bodenbeschaffenheit auf einen Standort ausserhalb der Bauzonen angewiesen ist. Dabei beurteilen sich die Voraussetzungen nach objektiven Massstäben, und es kann weder auf die subjektiven Vorstellungen und Wünsche des Einzelnen noch auf die persönliche
BGE 124 II 252 S. 256
Zweckmässigkeit oder Bequemlichkeit ankommen (
BGE 117 Ib 266
E. 2a mit Hinweis). Generell ist bei der Beurteilung der Voraussetzungen ein strenger Massstab anzulegen (
BGE 117 Ib 379
E. 3a).
b) Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat und vorliegend nicht umstritten ist, ist die Reststoffverfestigungsanlage als solche nicht auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen. Die DETAG und die RSDT AG haben in ihrem Gesuch für die Erteilung einer Errichtungsbewilligung für die Reststoffdeponie vom 17. Oktober 1991 selbst darauf hingewiesen, dass auch die Anlieferung bereits verfestigter Reststoffe denkbar bzw. zu erwarten sei. Technisch ist die Aufbereitung bzw. Verfestigung der zu deponierenden Reststoffe bei den Deponiegutlieferanten oder in einer Anlage in der Industriezone offensichtlich möglich.
c) Das Bundesgericht hat in einigen Entscheiden Bauten, die einem zonenfremden, aber standortgebundenen Betrieb dienen und aus technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen notwendig sind, ausserhalb der Bauzonen grundsätzlich als standortgebunden anerkannt. Das Verwaltungsgericht hat dies als "abgeleitete Standortgebundenheit" bezeichnet. Ausschlaggebend und unumgänglich für die Bejahung der abgeleiteten Standortgebundenheit ist ein besonderes, aus dem Hauptbetrieb hergeleitetes betriebswirtschaftliches oder technisches Bedürfnis, diese Bauten am vorgesehenen Ort zu erstellen, und zwar in der geplanten Dimension (
BGE 117 Ib 266
E. 2a;
BGE 115 Ib 295
E. 3c S. 299;
108 Ib 359
E. 4b).
In vergleichbarer Weise bezeichnet das Bundesgericht unter gewissen Bedingungen sogenannte innere Aufstockungen von Landwirtschaftsbetrieben als zwar in der Landwirtschaftszone nicht zonenkonform, indessen als standortgebunden im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 RPG
(
BGE 117 Ib 270
, 379 und 502). Schliesslich besteht eine offenkundige Parallele zur Bewilligung von Wohnraum in der Landwirtschaftszone, welcher dort als zonenkonform im Sinne von
Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG
anerkannt wird, soweit er im Hinblick auf die bodenabhängige Nutzung des Landes als unentbehrlich erscheint (
BGE 121 II 67
E. 3a, 307 E. 3b).
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, vorliegend könnte die abgeleitete Standortgebundenheit der Reststoffverfestigungsanlage allenfalls zu bejahen sein, und hat die Angelegenheit zur Prüfung der entsprechenden Voraussetzungen an die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin erachtet diese Betrachtungsweise grundsätzlich als verfehlt.
BGE 124 II 252 S. 257
d) Das Bundesgericht hatte noch nie zu beurteilen, ob die Standortgebundenheit zusätzlicher Bauten aus dem Bestand von ausserhalb der Bauzone liegenden Hauptanlagen abgeleitet werden kann, welche zwar altrechtlich ordnungsgemäss bewilligt wurden, die aber nach heutigem Verständnis nur aufgrund einer (Spezial-)Nutzungsplanung bewilligt werden dürften.
aa) Weil und soweit die Deponie Teuftal über eine altrechtlich erteilte Bewilligung verfügt, geniesst sie planungs- und baurechtlichen Bestandesschutz. Die Betriebsinhaber können, wenn das kantonale Recht dies vorsieht, von den durch
Art. 24 Abs. 2 RPG
eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch machen.
Andererseits wird von keiner Seite bestritten und ist denn auch offensichtlich, dass die Deponie mit ihren verschiedenen Teilen (heute vor allem Reaktor- und Reststoffdeponie), wäre sie neu zu beurteilen, der Planungspflicht gemäss
Art. 2 RPG
unterstehen würde. Das ergibt sich zwingend aus ihrer räumlichen Ausdehnung, ihrer Dauerhaftigkeit, ihren Konsequenzen für die Infrastruktur, ihren Auswirkungen auf die Umwelt und schliesslich aus der Pflicht zur Wahrung der im Raumplanungsgesetz vorgesehenen Mitwirkungsrechte der Bevölkerung (vgl. vorne E. 3).
Art. 17 der Technischen Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990 (TVA; SR 814.015)
sieht denn auch vor, dass die Kantone entsprechend ihrer Abfallplanung die Standorte der Abfallanlagen, insbesondere der Deponien und der wichtigen anderen Abfallanlagen, bestimmen, die vorgesehenen Standorte in ihren Richtplänen ausweisen und für die Ausscheidung der erforderlichen Nutzungszonen sorgen.
bb) Die Bewilligung von Bauten und Anlagen aufgrund einer abgeleiteten Standortgebundenheit ist nicht unproblematisch, gestattet sie doch, aufgrund betrieblicher oder technischer Notwendigkeiten zusätzliche Bauten zu errichten, die für sich allein betrachtet nicht standortgebunden wären und die gestützt auf
Art. 24 Abs. 2 RPG
nicht bewilligt werden könnten, da sie das Mass einer gemäss dieser Bestimmung zulässigen Erweiterung sprengen. Dieser Umstand gebietet Zurückhaltung bei der Bejahung der entsprechenden Voraussetzungen.
Bei Bauten und Anlagen, die der Planungspflicht unterstehen, ist es besonders fragwürdig, Zusatzbauten aufgrund einer abgeleiteten Standortgebundenheit zuzulassen. Diese Lösung unterläuft potentiell die mit der Planungspflicht verfolgten Zielsetzungen und vermag die planerische Erfassung der Hauptanlage ungünstig zu präjudizieren, ohne dass dies über die Interessenabwägung gemäss
Art. 24
BGE 124 II 252 S. 258
Abs. 1 lit. b RPG
ausreichend ausgeglichen werden kann. In diesem Zusammenhang fällt neben den fachlichraumplanerischen Gesichtspunkten ins Gewicht, dass Ausnahmebewilligungen im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 RPG
von den zuständigen Behörden grundsätzlich ohne die Mitwirkung der Bevölkerung erteilt werden. Somit kommen in Fällen, in welchen anstelle der Durchführung einer Nutzungsplanung eine Ausnahmebewilligung erteilt wird, die für die Planung geltenden Grundsätze über die Information und Mitwirkung der Bevölkerung (
Art. 4 und 33 RPG
) sowie die im kantonalen Recht vorgesehenen Entscheidungskompetenzen der Stimmbürger nicht zum Tragen.
cc) Auch das Verwaltungsgericht ist zu Recht zum Schluss gelangt, dass den künftigen Bedürfnissen und Entwicklungen der Deponie wohl nur mit einer Nutzungsplanung sachgerecht Rechnung getragen werden könne. Durch eine solche Planung können nicht nur der Deponieperimeter und die auf der Deponie vorzusehenden Bau- und Ablagerungsbereiche, sondern auch die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Fragen der verkehrsmässigen Erschliessung geregelt werden.
Die einzelfallweise Beurteilung zusätzlicher - nicht völlig untergeordneter - Bauten auf der Deponie Teuftal stünde zu diesem Ziel und der durch
Art. 17 TVA
ausdrücklich normierten Planungspflicht in Widerspruch. Dies muss vorliegend umso eher gelten, als zumindest fraglich ist, ob nicht auch für die Reststoffverfestigungsanlage selbst eine Planungspflicht zu bejahen wäre. Ohne dazu abschliessend Stellung zu nehmen, lässt sich festhalten, dass ein Grenzfall vorliegt. Dies spricht ebenfalls dagegen, die Reststoffverfestigungsanlage unter dem Titel der abgeleiteten Standortgebundenheit im Verfahren nach
Art. 24 RPG
zu beurteilen.
e) Es ergibt sich somit, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht entschieden hat, die Reststoffverfestigungsanlage könne im Verfahren der Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG
behandelt werden. Vielmehr ist es erforderlich, zunächst für die Deponie Teuftal - und für die im Deponiegelände vorgesehenen Einrichtungen und Anlagen - eine nutzungsplanerische Grundlage zu schaffen. Zweckmässigerweise wird die Reststoffverfestigungsanlage ebenfalls in diesem Planungsverfahren beurteilt.