BGE 125 II 225 vom 19. März 1999

Datum: 19. März 1999

BGE referenzen:  125 II 473, 142 II 313

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

125 II 225


21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. März 1999 i.S. Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten gegen W.-M. und. G. sowie Eidg. Datenschutzkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Einsicht in Akten mit Personendaten, Art. 8 ff. Datenschutzgesetz.
Ein Akteneinsichtsgesuch darf abgewiesen werden, auch wenn in einem vorgängigen Verfahren bereits Akteneinsicht gewährt worden ist (E. 3).
Beurteilungsspielraum der Verwaltung bei der Abwägung der entgegenstehenden Interessen. Rücksichtnahme auf den Handlungsspielraum des EDA bei diplomatischem Schutz von Personen im Ausland und Bemühungen um Freilassung von verschleppten Personen. Überwiegende öffentliche Interessen rechtfertigen Einschränkungen der Akteneinsicht (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 226

BGE 125 II 225 S. 226
Im Rahmen eines Projektes Kulturbrücke Schweiz-Sarajevo weilten W.-M. und G. im Jahre 1995 in Sarajevo. Dort wurden die beiden im April 1995 verschleppt. Auf Grund von Bemühungen des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und weiterer Stellen erfolgte im Mai 1995 die Freilassung der Verschleppten.
Im Februar 1996 erliess die Sektion für konsularischen Schutz des EDA gegenüber W.-M. und G. eine Gebührenverfügung für die er- statteten Bemühungen. Auf Verwaltungsbeschwerde hin konnten W.-M. und G. im Rahmen des Beschwerdeverfahrens im Juli 1996 bei der Direktion für Völkerrecht Einsicht in das vorhandene Dossier nehmen. Später wurde das Verfahren sistiert.
Unabhängig von diesem Verwaltungsverfahren ersuchten W.-M. und G. gestützt auf das Bundesgesetz über den Datenschutz bei verschiedenen Direktionen des EDA um Auskunft und um Einsicht in ihre beim EDA befindlichen Akten. Dem Ersuchen wurde teils stattgegeben, teils wurde es mit förmlicher Verfügung abgewiesen.
W.-M. und G. gelangten darauf an die Eidgenössische Datenschutzkommission, welche die Beschwerde teilweise guthiess und das EDA anwies, die Einsicht in eine Reihe namentlich genannter Dokumente zu gewähren, u.a. in das Aktenstück c) [Telegramm der
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Politischen Abteilung I an die Vertretung in X.] und das Aktenstück d) [Telefax CH-Vertretung in X. an Politische Abteilung I].
Gegen diesen Entscheid hat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Departement macht eine Verletzung des Datenschutzgesetzes und im Besonderen eine unrichtige Interessenabwägung geltend.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es auf sie eintritt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer zieht die Anwendung des Datenschutzgesetzes auf die streitigen Akten nicht in Zweifel. Diese umfassen Angaben über die privaten Beschwerdegegner, ihre Verschleppung und die Bemühungen des EDA um deren Freilassung. Sie enthalten damit von Bundesorganen bearbeitete Personendaten über die Beschwerdegegner im Sinne von Art. 3 lit. a des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG; SR 235.1). Als Betroffene im Sinne von Art. 3 lit. b DSG haben die privaten Beschwerdegegner nach Art. 8 DSG grundsätzlich Anspruch auf Auskunft über die Datenbearbeitungen. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, bei den streitigen Akten handle es sich um interne Notizen zum persönlichen Gebrauch, auf die das Datenschutzgesetz nicht anwendbar ist ( Art. 2 Abs. 2 lit. a DSG ).
Der grundsätzliche Anspruch der Betroffenen auf Auskunft kann nach Art. 9 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 lit. a DSG wegen überwiegender Interessen von Dritten oder wegen überwiegender öffentlicher Interessen, insbesondere der innern oder äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft, verweigert oder eingeschränkt werden. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz in erster Linie vor, solche überwiegende öffentliche Interessen an der Geheimhaltung im Sinne von Art. 9 DSG verkannt zu haben. (...)

3. Die Vorinstanz hat darauf hingewiesen, dass die privaten Beschwerdegegner bereits im Juli 1996 Gelegenheit hatten, Einsicht in das bei der Direktion für Völkerrecht vorhandene Dossier zu nehmen; zu diesem Dossier gehörten auch die beiden, im vorliegenden Verfahren umstrittenen Aktenstücke. In der Folge ist die Einsicht in diese Akten verweigert worden. Die Vorinstanz hat dazu festgehalten, dass der Beschwerdeführer diesen Sinneswandel nicht begründet habe. Die Einsicht in Akten, die früher bereits offengelegt worden waren, erscheine unbedenklich.
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Für die Beurteilung der Einsicht in die beiden streitigen Aktenstücke kann nicht allein darauf abgestellt werden, dass die Be- schwerdegegner bereits Gelegenheit zur Einsicht hatten. Die ur- sprüngliche Akteneinsicht erfolgte im Rahmen des gegen die Gebührenverfügung geführten Verwaltungsverfahrens gestützt auf Art. 26 VwVG , während im vorliegenden Verfahren die Einsicht im Sinne von Art. 8 DSG in Frage steht. Die Einsicht in ein sehr beschränktes Dossier kann in einem andern Licht erscheinen als ein umfassender Einblick, der Folgerungen in weiterem Zusammenhang ermöglicht. Schliesslich ist die erste Akteneinsicht abgeschlossen, und es kann der Behörde grundsätzlich nicht versagt sein, die Einsicht auf ein weiteres Gesuch hin aus haltbaren Gründen und neuer Beurteilung zu verweigern. Das behördliche Verhalten ist insoweit nicht an den formellen Widerrufsgründen zu messen. Bei der Interessenabwägung darf aber die frühere Einsichtsgewährung berücksichtigt werden.

4. a) Bei der richterlichen Prüfung der für und gegen die Einsicht sprechenden Gründe ist den verantwortlichen Behörden ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzugestehen, in den weder die Eidgenössische Datenschutzkommission noch das Bundesgericht einzugreifen hat. Es geht darum, die Begriffe der überwiegenden öffentlichen Interessen und der innern oder äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft im entsprechenden Sachzusammenhang zu konkretisieren und auf besondere Interessen auszurichten. Das gilt insbesondere für spezifische Bereiche wie die Diplomatie mit ihren Gepflogenheiten und Rücksichtnahmen. Gerade der diplomatische Schutz von Personen im Ausland und die Hilfeleistung zu Gunsten künftiger Opfer erfordern für die Behörden einen weiten Handlungsspielraum (vgl. zum diplomatischen Schutz im Allgemeinen und zur schweizerischen Praxis die Stellungnahme des EDA zu einem Fragebogen des «Procedural Aspects of International Law Institute» [Washington D.C.], in: SZIER 1998 S. 654 ff.). Es gehört zu den überwiegenden öffentlichen Interessen und zum Schutz der innern und äussern Sicherheit der Schweiz im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a DSG , das Funktionieren diplomatischer Kontakte (formeller und informeller Natur) sicherzustellen und den diplomatischen Handlungsspielraum in Krisensituationen aufrecht zu erhalten (vgl. zur Einschränkung der persönlichen Freiheit auch die Formulierung in Art. 8 Ziff. 2 in fine EMRK). Die Einsichtsverweigerung in die streitigen Aktenstücke ist nachfolgend auf diesem Hintergrund zu prüfen.
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b) Das Dokument c) enthält eine Reihe von Hinweisen auf die Handlungsweise und -methode der Behörden in der durch die Verschleppung der Beschwerdegegner geschaffenen Krisensituation, an deren Geheimhaltung ein überwiegendes öffentliches Interesse be- steht. Das Papier nennt Kontakte zu andern diplomatischen Vertretungen. Die Informationsgestaltung gegenüber Medien und Angehörigen in verschiedenen Zeitpunkten wird im Einzelnen beschrieben. Es werden auch die Verhandlungsführung, Kontakte und Diskussionen mit verschiedenen Personen unterschiedlicher Verbindungen und Kreise sowie die Koordination mit andern Bemühungen aufgedeckt. Ebenso ist von der Logistik für die Befreiungsanstrengungen die Rede. Damit geht unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Beurteilung der Situation in und um Sarajevo einher, die klarerweise nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.
Auch das Dokument d) umfasst Hinweise auf die Methoden der vom EDA gesteuerten Bemühungen und auf die kontaktierten Personen und deren Verbindungen zu offiziellen und inoffiziellen Machtzentren. Es wird ein allfälliger Beitrag von Drittpersonen und Organisationen zu den Bemühungen um die Befreiung der Be- schwerdegegner diskutiert wie auch die Bedingungen und die Umstände einer Freilassung erörtert werden.
All diese Informationen geben Hinweise auf das Funktionieren der diplomatischen Bemühungen im Falle der Entführung der Be- schwerdegegner. Sie verdienen, über den konkreten Anlass hinaus geheim gehalten zu werden. Denn sie geben einerseits Einblick in die Handlungsweise des EDA, was sich in künftigen Krisensituationen für die Eidgenossenschaft nachteilig auswirken kann. Sie betreffen aber auch Einzelpersonen, Gruppierungen, Organisationen und Stellen unterschiedlicher Kräfte, deren Bekanntwerden gravierende diplomatische Empfindlichkeiten auslösen und zu unvorhersehbaren Reaktionen in naher oder ferner Zukunft führen könnte. All das sind Gründe, die bei dem den Behörden einzuräumenden Beurteilungsspielraum eine Verweigerung der Akteneinsicht im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a DSG zu rechtfertigen vermögen. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass die Beschwerdegegner als Direktbetroffene über gewisse Einzelheiten der Bemühungen bestens informiert sind. Desgleichen ist angesichts des Gewichts der öffentlichen Interessen an der Geheimhaltung nicht entscheidend, dass die Beschwerdegegner die beiden streitigen Aktenstücke bereits haben einsehen können. Schliesslich kann es nicht Aufgabe des Bundesgerichts sein, einzelne Passagen aus den streitigen Aktenstücken,
BGE 125 II 225 S. 230
in die für sich genommen ohne Bedenken Einsicht gewährt werden könnte, herauszuschälen und isoliert freizugeben.
Auf Grund dieser Erwägungen erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hinsichtlich der Aktenstücke c) und d) als begründet.

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