Urteilskopf
125 II 50
5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Dezember 1998 i.S. WWF Schweiz, Schweizer Vogelschutz und Pro Natura gegen Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Art. 55 USG
,
Art. 12 NHG
und
Art. 12a NHG
; Beschwerdelegitimation der gesamtschweizerischen Organisationen.
Die Beschwerdelegitimation der gesamtschweizerischen Organisationen gemäss
Art. 55 USG
und
Art. 12 und 12a NHG
besteht nur, wenn sich die schweizerischen Organisationen am vorangegangenen Einspracheverfahren vor Bundesbehörden selbst beteiligt haben.
Das Panzerübungsgelände auf dem Waffenplatz Kloten-Bülach soll in mehreren Etappen ausgebaut und saniert werden. Für die Etappe 1A ordnete das Eidgenössische Militärdepartement am 17. Oktober 1996 die Durchführung eines ordentlichen Baubewilligungsverfahrens mit Umweltverträglichkeitsprüfung gemäss den Artikeln 8 bis 19 der Militärischen Baubewilligungsverordnung an. Das Baugesuch mit den dazugehörigen Unterlagen wurde der Bewilligungsbehörde vom Bundesamt für Betriebe des Heeres am
BGE 125 II 50 S. 51
13. Januar 1997 unterbreitet und vom 12. März bis 12. April 1997 öffentlich aufgelegt.
Gegen das Ausbauprojekt erhoben unter anderem der World Wide Fund for Nature WWF Zürich, der Zürcher Vogelschutz und der Zürcher Naturschutzbund Einsprache. An diesen Einsprachen wurde an der Einigungsverhandlung vom 23. Oktober 1997 festgehalten.
Mit Verfügung vom 17. Juni 1998 gab das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport dem Baugesuch für die Etappe 1A mit gewissen Ausnahmen statt und bewilligte zugleich die ausbaubedingte Rodung von 5300 m2 Wald. Die Baubewilligung wurde mit den Auflagen verbunden, die von den Umweltschutzfachstellen beantragt worden waren. Die Einsprachen der Organisationen wies das Departement, wie sich aus der Begründung der Verfügung ergibt, im Sinne der Erwägungen ab.
Gegen die Baubewilligung haben der World Wide Fund for Nature WWF Schweiz, der Schweizer Vogelschutz SVS und die Pro Natura, vertreten je durch ihre zürcherische Sektion, mit einer gemeinsamen Eingabe Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein
aus folgenden Erwägungen:
1.
Mit der angefochtenen Verfügung hat das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) in Anwendung von Art. 126 ff. des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung vom 3. Februar 1995 (Militärgesetz, MG; SR 510.10) und der Verordnung über das Bewilligungsverfahren für militärische Bauten und Anlagen vom 25. September 1995 (Militärische Baubewilligungsverordnung, MBV; SR 510.51) eine Baubewilligung erteilt. Solche Bewilligungen unterliegen nach
Art. 130 Abs. 1 MG
sowie
Art. 99 Abs. 2 lit. b und
Art. 100 Abs. 2 lit. c OG
grundsätzlich der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Das eingereichte Rechtsmittel ist daher zulässig.
2.
Der WWF Schweiz, der Schweizer Vogelschutz und die Pro Natura zählen zu den gesamtschweizerischen Organisationen, die sowohl nach Art. 55 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (Umweltschutzgesetz, USG; SR 814.01) als auch nach
Art. 12 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG; SR 451)
zur Erhebung von Beschwerden an den Bundesrat oder von Verwaltungsgerichtsbeschwerden an das Bundesgericht berechtigt sind (vgl. Anhang der
BGE 125 II 50 S. 52
Verordnung über die Bezeichnung der beschwerdeberechtigten Umweltschutzorganisationen vom 27. Juni 1990, in der Fassung vom 15. Juni 1998, AS 1998 II 1572). Die Beschwerdelegitimation besteht indessen nur, wenn sich die beschwerdeführenden Organisationen am vorangegangenen Einspracheverfahren beteiligt haben. Diese Voraussetzung ist bei der Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes im Jahre 1995 ausdrücklich in die Bundesgesetzgebung aufgenommen worden (vgl.
Art. 12a Abs. 2 NHG
,
Art. 55 Abs. 5 USG
und
Art. 14 Abs. 4 des Bundesgesetzes über Fuss- und Wanderwege vom 4. Oktober 1985 [FWG, SR 704]
in der Fassung vom 24. März 1995, in Kraft seit 1. Februar 1996). Nun haben hier am Baubewilligungs- bzw. Einspracheverfahren vor dem VBS einzig die kantonalen Sektionen teilgenommen und es fragt sich deshalb, ob es den Verwaltungsgerichtsbeschwerde führenden gesamtschweizerischen Organisationen nicht an der formellen Beschwer fehle. Wie sich im Folgenden zeigt, besteht in der Tat kein Grund, die gesamtschweizerischen Vereinigungen von der Pflicht auszunehmen, die Verfahren vor Bundesbehörden selbst zu durchlaufen.
a) Das Bundesgericht hat erstmals in einem nicht publizierten Entscheid vom 1. Juni 1983 i.S. Ligue suisse pour la protection de la nature in Anwendung von
Art. 12 Abs. 1 NHG
in Verbindung mit
Art. 103 lit. c und
Art. 98 lit. g OG
festgestellt, dass der kantonale Instanzenzug auch dann als erschöpft gelten dürfe, wenn die im bundesgerichtlichen Verfahren auftretende gesamtschweizerische Organisation nicht selbst, sondern nur durch ihre kantonale Sektion am kantonalen Verfahren beteiligt war. Allerdings wurde auch nach diesem Urteil noch vereinzelt gestützt auf die ursprüngliche Fassung von
Art. 12 NHG
vollständig auf das Erfordernis der Beteiligung am vorinstanzlichen Verfahren verzichtet (
BGE 109 Ib 214
E. 2; nicht publ. Entscheid vom 30. Juni 1988 i.S. Schweizer Heimatschutz c. Dipartimento federale dell'interno, E. 1). Erst im Grundsatzentscheid vom 25. April 1990 (
BGE 116 Ib 418
= ZBl 92/1991 S. 374 ff.) ist die mittlerweile vom Gesetzgeber ins Umweltschutzgesetz (Art. 55 Abs. 3) aufgenommene Pflicht der Umweltschutzverbände, mindestens am letztinstanzlichen kantonalen Verfahren teilzunehmen, verallgemeinert und auf die gemäss
Art. 12 NHG
Beschwerdeführenden ausgedehnt worden. Dabei war sich das Bundesgericht bewusst, dass den Verbänden angesichts der unterschiedlichen kantonalen Verfahrensvorschriften erhöhte Sorgfalt bei der Beschwerdeführung abverlangt werde; doch hielt es dies für zumutbar, weil sich die Organisationen häufig durch lokale oder
BGE 125 II 50 S. 53
regionale Sektionen vertreten lassen könnten (vgl.
BGE 116 Ib 418
E. 3d). Dementsprechend sind in der Folge die gesamtschweizerischen Vereinigungen verschiedentlich für befugt erklärt worden, vor der letzten kantonalen Instanz über ihre Sektionen Beschwerde zu führen, wobei eine solche "Vertretung" auch stillschweigend - aufgrund der statutarisch festgelegten Aufgabenteilung - erfolgen könne (
BGE 118 Ib 296
E. 2;
BGE 123 II 289
E. 1e/aa S. 293; s.a.
BGE 117 Ib 97
nicht publ. E. 2c; 135 E. 1c;
BGE 119 Ib 222
E. 1b;
BGE 121 II 224
). Dagegen ist - soweit ersichtlich - in Verfahren vor Bundesbehörden nie zugelassen worden, dass die kantonalen Sektionen anstelle der gesamtschweizerischen Organisation auftreten, ohne von dieser ausdrücklich bevollmächtigt zu sein (so auch PETER M. KELLER, Kommentar NHG, N. 12 zu Art. 12 S. 262, ROBERT ZIMMERMANN, Droit de recours - quo vadis? URP 10/1996 S. 788 ff., S. 797).
b) Wie bereits erwähnt, ist bei der Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes und der damit verbundenen Änderung des Umweltschutzgesetzes vom 24. März 1995 die in der Rechtsprechung begründete Pflicht zur Verfahrensbeteiligung der gesamtschweizerischen ideellen Vereinigungen erweitert worden. Diese sind nunmehr gehalten, an kantonalen und eidgenössischen Einsprache- und Beschwerdeverfahren von Anfang an teilzunehmen (Art. 12a Abs. 2 und 3 sowie
Art. 12 Abs. 4 und 5 NHG
,
Art. 55 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 USG
). Als Korrelat hiezu wird den Behörden vorgeschrieben, für die Eröffnung der anfechtbaren Verfügung oder des Gesuches, gegen das Einsprache erhoben werden kann, durch schriftliche Mitteilung oder Veröffentlichung im Bundesblatt oder im kantonalen Publikationsorgan zu sorgen (
Art. 12a Abs. 1 NHG
,
Art. 55 Abs. 4 Satz 1 USG
). Ob und inwieweit sich die gesamtschweizerischen Organisationen in diesen unterinstanzlichen Verfahren durch ihre Sektionen vertreten lassen könnten, wird in der Gesetzesnovelle nicht geregelt. Diese Frage bildete auch nicht Gegenstand der parlamentarischen Beratung. Die eidgenössischen Räte einigten sich nach langen Verhandlungen lediglich darauf, dass die Verbände - gleich wie die anderen Privaten - aus Gründen der Prozessökonomie und der Rechtssicherheit von Anfang an in das Verfahren eintreten müssten (vgl.
BGE 121 II 224
E. 2c mit Hinweisen auf die parlamentarischen Beratungen). Ob angesichts dieser Gleichstellung noch uneingeschränkt an der Rechtsprechung über die stillschweigende Vertretung der Verbände in kantonalen Verfahren festgehalten werden könne, braucht hier nicht beantwortet zu werden. Jedenfalls kann aus der Tatsache, dass sich die schweizerischen
BGE 125 II 50 S. 54
Organisationen nun sowohl an den im kantonalen Recht wie auch im Bundesrecht vorgesehenen Einspracheverfahren zu beteiligen haben, nicht geschlossen werden, dass das ihnen bisher für das kantonale Verfahren gewährte Privileg auch im eidgenössischen Verfahren gelten müsse. Wie bereits angedeutet, entsprang die prozessuale Sonderbehandlung der gesamtschweizerischen Verbände der Befürchtung, diese könnten die ihnen vom Bundesgesetzgeber übertragenen Aufgaben gar nicht wahrnehmen, wenn sie selbst in den Kantonen prozessieren und den diversen Verfahrensvorschriften nachkommen müssten. Insbesondere wurde bezweifelt, dass die Dachverbände in der Lage wären, sich über die zahlreichen Fälle in den Kantonen (vor allem auf dem Gebiet von Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung) rechtzeitig zu informieren und fristgerecht zu handeln (vgl. die zitierten Entscheide sowie ATTILIO R. GADOLA, Beteiligung ideeller Verbände am Verfahren vor den unteren kantonalen Instanzen - Pflicht oder blosse Obliegenheit, in ZBl 93/1992 S. 97 ff., S. 113; LORENZ MEYER, Das Beschwerderecht von Vereinigungen; Auswirkungen auf das kantonale Verfahren, in: Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, Zürich 1992, S. 167 ff., 170; THIERRY TANQUEREL, Les voies de droit des organisations écologistes en Suisse et aux Etats-Unis, Basel und Frankfurt a.M. 1996, S. 72; STEPHAN WULLSCHLEGER, Das Beschwerderecht der ideellen Verbände und das Erfordernis der formellen Beschwer, in ZBl 94/1993 S. 359 ff., 375, je mit weiteren Hinweisen). Solche Befürchtungen bestehen aber für die bundesrechtlichen Verfahren vor den eidgenössischen Behörden nicht. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb den gesamtschweizerischen Organisationen die Teilnahme an diesen Verfahren zu erlassen wäre. Die mit der Neuregelung verbundene Mehrbelastung der Verbände ist auf der eidgenössischen Ebene gering. Schon bisher galt in den zahlreichen Verfahren, die sich - allein oder im Zusammenhang mit einer spezialgesetzlichen Ordnung - nach dem eidgenössischen Enteignungsgesetz richten, auch für die Dachverbände die Pflicht, bereits am Einspracheverfahren teilzunehmen (vgl.
BGE 116 Ib 141
E. 1). Somit besteht kein Anlass, in Abweichung von der bisherigen Praxis die Vorzugsbehandlung der gesamtschweizerischen Organisationen hinsichtlich der Erschöpfung des Instanzenzuges auf die Verfahren vor Bundesbehörden auszudehnen.
Der Klarheit halber ist beizufügen, dass es den gesamtschweizerischen Organisationen aufgrund von
Art. 11 VwVG
selbstverständlich anheimgestellt bleibt, sich in eidgenössischen Einspracheverfahren
BGE 125 II 50 S. 55
- unter Erteilung einer einzelfallweise auszustellenden Vollmacht - vertreten zu lassen.
c) Durch die Artikel 126 ff. des am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Militärgesetzes sind die Erstellung und Änderung von militärischen Bauten und Anlagen grundsätzlich für bewilligungspflichtig erklärt und gewisse Verfahrensleitsätze festgelegt worden.
Art. 129 Abs. 1 MG
beauftragt den Bundesrat, die für den Bewilligungsentscheid zuständige Bundesbehörde zu bezeichnen und das Verfahren im Einzelnen zu regeln. Die gestützt hierauf erlassene Militärische Baubewilligungsverordnung bezeichnet das Eidgenössische Militärdepartement (heute: Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport) als Baubewilligungsbehörde (
Art. 3 MBV
). Sie sieht weiter für die Fälle, die keine Enteignung erfordern, ein sog. ordentliches Baubewilligungsverfahren vor, in dem die Privaten ihre Anliegen während der öffentlichen Auflage des Gesuchs mit Einsprache wahren können. Die erhobenen Einsprachen sind vom VBS in einem dem Entscheid vorangehenden Instruktions- und Einigungsverfahren zu prüfen (vgl. Art. 8 ff., insbesondere
Art. 15-18 MBV
). Die militärische Baubewilligung wird demnach in einem bundesrechtlich geregelten, sich ausschliesslich vor Bundesbehörden abspielenden Verfahren erteilt. Kantonale Bewilligungen sind nicht erforderlich (vgl.
Art. 126 Abs. 3 MG
).
Das Baugesuch für das hier umstrittene Ausbauvorhaben ist den Vorschriften entsprechend im Bundesblatt publiziert (BBl 1997 I S. 1472) und vom 12. März bis 12. April 1997 öffentlich aufgelegt worden. Während dieser Frist haben - wie dargelegt - der WWF Zürich, der Zürcher Vogelschutz sowie die Pro Natura Zürich in eigenem Namen Einsprache erhoben. Diese Einsprachen sind vom VBS entgegengenommen und materiell behandelt worden - ob zu Recht, bleibe dahingestellt. Dagegen haben die gesamtschweizerischen Organisationen weder selbst, noch vertreten durch ihre Sektionen am Einspracheverfahren vor dem Departement teilgenommen. Auf ihre beim Bundesgericht erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann daher nach dem Gesagten mangels Erschöpfung des Instanzenzuges nicht eingetreten werden.