BGE 126 III 497 vom 19. Oktober 2000

Datum: 19. Oktober 2000

Artikelreferenzen:  Art. 9 BV , Art. 137 ZGB, Art. 144 ZGB, Art. 144 Abs. 2 ZGB, Art. 144 Abs. 1 ZGB

BGE referenzen:  124 III 90, 131 III 553 , 124 III 90, 124 III 93

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

126 III 497


87. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Oktober 2000 i.S. X. gegen Y. & Bezirksgerichtsausschuss Unterlandquart (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Anhörung der Kinder gemäss Art. 144 Abs. 2 ZGB im Verfahren betreffend Erlass vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens ( Art. 137 ZGB ).
Die Kinder sind bereits im Massnahmeverfahren nach Art. 137 ZGB in geeigneter Weise durch den Richter oder durch eine beauftragte Drittperson persönlich anzuhören, soweit nicht ihr Alter oder andere wichtige Gründe dagegen sprechen.

Sachverhalt ab Seite 498

BGE 126 III 497 S. 498

A.- Y. und X. heirateten im Jahre 1985. Aus dieser Ehe gingen die Kinder L. (geb. 15. Februar 1986), G. (geb. 24. Februar 1987), F. (geb. 3. April 1989) und T. (geb. 2. März 1991) hervor.

B.- Nachdem das Scheidungsverfahren am 18. November 1998 eingeleitet worden war, wies der Bezirksgerichtspräsident Unterlandquart am 3. Februar 2000 die Kinder für die Dauer des Verfahrens zur Pflege und Erziehung Y. zu und stellte sie unter deren alleinige Obhut. X. räumte er ein Besuchsrecht ein und verpflichtete ihn zu Unterhaltsbeiträgen für seine Kinder. Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde von X. wies der Bezirksgerichtsausschuss Unterlandquart mit Beiurteil vom 3. Mai 2000 ab.

C.- X. führt staatsrechtliche Beschwerde unter anderem wegen Verletzung von Art. 9 BV mit dem Antrag, das angefochtene Beiurteil aufzuheben.
Y. sowie der Bezirksgerichtsausschuss Unterlandquart schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut und hebt das angefochtene Beiurteil auf.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. a) Nach Art. 144 Abs. 1 ZGB sind die Eltern persönlich anzuhören, wenn Anordnungen über die Kinder zu treffen sind. Abs. 2 der genannten Bestimmung sieht vor, dass die Kinder in geeigneter Weise durch das Gericht oder durch eine beauftragte Drittperson persönlich anzuhören sind, soweit nicht ihr Alter oder andere wichtige Gründe dagegen sprechen.
b) Aus dem Wortlaut von Abs. 1 des Art. 144 ZGB in Verbindung mit Abs. 2 der Bestimmung lässt sich folgern, dass auch eine persönliche Anhörung der Kinder vorgeschrieben ist, wenn sie betreffende Anordnungen getroffen werden; daraus ergibt sich, dass es sich bereits im Massnahmeverfahren nach Art. 137 ZGB von Gesetzes wegen aufdrängt, die Kinder persönlich anzuhören, sofern die im Gesetz umschriebenen Massnahmen verfügt werden. Die hier vertretene Auslegung rechtfertigt sich denn auch im Lichte von Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (SR 0.107); diese Bestimmung gebietet grundsätzlich eine Anhörung der Kinder, wenn ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ihre Angelegenheiten betrifft (vgl. dazu auch: BGE 124 III 90 ). In der Literatur wird eine Anhörung bereits im Massnahmeverfahren nach Art. 137 ZGB unter anderem aus den
BGE 126 III 497 S. 499
vorgenannten Gründen befürwortet (vgl. insbes. SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 6 zu Art. 144 ZGB ; SPÜHLER, Neues Scheidungsverfahren, Zürich 1999, S. 30; RUMO-JUNGO, Die Anhörung des Kindes unter besonderer Berücksichtigung verfahrensrechtlicher Fragen, AJP 1999 S. 1587, VII. 2.; etwas nuancierter: SCHWEIGHAUSER, in Schwenzer [Herausg.], Praxiskommentar zum Scheidungsrecht, Basel 2000, N. 18 zu Art. 144 ZGB , wonach sich die Anhörung lediglich aufdrängt, wenn die Frage der Zuteilung der Obhut oder des Besuchsrechts strittig ist).
c) Im vorliegenden Fall sind keine Gründe ersichtlich, die im Sinne von Art. 144 Abs. 2 ZGB gegen eine solche Anhörung sprechen würden. Dies gilt bezüglich des Alters der Kinder; dabei wird keineswegs übersehen, dass das Jüngste derzeit erst ca. 9 1/2 Jahre alt ist. In dem in BGE 124 III 93 /94 beschriebenen Fall wurde ein 6-jähriges Kind vor allem wegen des bis dahin fehlenden Kontaktes zum Vater, aber auch wegen anderer wichtiger Gründe nicht persönlich angehört (vgl. hiezu auch RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 1581/1582). Ferner besteht auch keine Dringlichkeit, bei der eine Anhörung im Verfahren der vorsorglichen Massnahmen allenfalls unterbleiben könnte (RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 1587 Anm. 129).

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