Urteilskopf
128 V 176
30. Urteil i.S. Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland gegen L. und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft C 343/01 vom 30. April 2002
Regeste
Art. 11 Abs. 3 AVIG
;
Art. 3 Abs. 2 UVG
;
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV
: Anrechenbarer Arbeitsausfall.
- Leistungen einer Kollektiv-Krankentaggeldversicherung nach VVG stellen nicht Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
dar, weshalb sie der Anrechenbarkeit eines Arbeitsausfalles nicht entgegenstehen.
-
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV
ändert daran nichts, da bei der Beurteilung der Anspruchsberechtigung im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
rechtsprechungsgemäss auf die AHV-Gesetzgebung abzustellen ist und auf Grund von
Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV
Leistungen für krankheits- oder unfallbedingten Lohnausfall, welche betriebsfremde Versicherungen erbringen, nicht zum beitragspflichtigen Erwerbseinkommen gehören.
A.-
Die 1955 geborene L. war vom 1. März 1999 bis 30. November 2000 als Officeaushilfe in einem 60%-Pensum bei der M. AG tätig, welche das Arbeitsverhältnis am 19. Oktober 2000 wegen einer seit 25. Februar 2000 andauernden Krankheit auf Ende November 2000 kündigte. Aufgrund einer von der Arbeitgeberin bei der Visana abgeschlossenen Kollektiv-Krankentaggeldversicherung nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) bezog sie wegen einer Arbeitsunfähigkeit von 100% bis Ende Dezember 2000 Taggeldleistungen. Am 15. Dezember 2000 meldete sie sich bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an.
Mit Verfügung vom 8. Februar 2001 verneinte die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland die Anspruchsberechtigung, solange die Versicherte Taggelder von der Visana beziehe.
B.-
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hiess die von L. gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde gut und wies die Sache zur Neubeurteilung und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Arbeitslosenkasse zurück (Entscheid vom 19. September 2001). Leistungen der Krankentaggeldversicherung stellten weder Lohn- noch Entschädigungsansprüche im Sinne des AVIG dar, weshalb die Versicherte einen anrechenbaren Lohnausfall erlitten habe.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland die Aufhebung des kantonalen Entscheids. L. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung setzt unter anderem auch einen anrechenbaren Arbeitsausfall voraus (
Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG
). Nicht anrechenbar ist ein Arbeitsausfall, für den dem Arbeitslosen Lohnansprüche oder wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses Entschädigungsansprüche zustehen (
Art. 11 Abs. 3 AVIG
).
2.
a) Die Vorinstanz vertritt gestützt auf den klaren Wortlaut von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
und auf die in der Literatur geäusserten Meinungen die Auffassung, dass die Leistungen der Krankentaggeldversicherung weder Lohn- noch Entschädigungsansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
darstellten.
b) Die Arbeitslosenkasse weist demgegenüber im Wesentlichen auf
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV
hin, wonach als Lohn im Sinne von
Art. 3 Abs. 2 UVG
(Ende der Versicherung bei Wegfall des Lohnes) auch Taggelder der obligatorischen Unfallversicherung, der Militärversicherung, der Invalidenversicherung und der Erwerbsersatzordnung sowie jene der Krankenkassen und privaten Kranken- und Unfallversicherer gelten, die die Lohnfortzahlung ersetzen. Somit träten Taggeldleistungen privater Krankenversicherer an die Stelle des primären Lohnanspruchs, was gemäss
Art. 11 Abs. 3 AVIG
zu einem nicht anrechenbaren Arbeitsausfall führe. Bei der von der M. AG bei der Visana für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschlossenen Kollektiv-Krankentaggeldversicherung handle es sich um einen Vertrag, welcher unter
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV
falle. Und nach der Rechtsprechung beende die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Anspruch eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers auf Taggeld aus einer kollektiven Taggeldversicherung nach VVG nicht (
BGE 127 III 109
Erw. 3b).
c) Der Auffassung der Arbeitslosenkasse kann aus folgenden Gründen nicht beigepflichtet werden. Nach dem klaren Wortlaut von
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV
geht es um Taggelder, die die Lohnfortzahlung ersetzen (vgl. dazu auch RKUV 1999 Nr. U 347 S. 472 Erw. 2b, 1997 Nr. U 282 S. 285 Erw. 4). Dies ist bei den im Dezember 2000 durch die Visana ausgerichteten Taggeldern gerade nicht der Fall, denn das Arbeitsverhältnis zwischen der Beschwerdegegnerin und der M. AG war Ende November 2000 beendet. Im Übrigen besitzen die Versicherten, zu deren Gunsten vom Arbeitgeber eine Kollektiv-Krankentaggeldversicherung abgeschlossen worden ist, einen direkten Forderungsanspruch gegenüber dem Versicherer (
BGE 122 V 81
,
BGE 120 V 42
Erw. 3c/bb mit Hinweisen). Aus diesen Gründen ist auch der Frage nicht weiter nachzugehen, inwieweit das von der Beschwerdeführerin zitierte Urteil R. vom 27. August 2001, U 285/99, hier massgebend sein sollte. Denn in diesem Urteil wird nicht gesagt, unter welchen Voraussetzungen eine durch den Arbeitgeber abgeschlossene kollektive Krankentaggeldversicherung nach VVG nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt Lohnersatz darstellt.
d) Die mit Art. 11 der Verordnung vom 24. Januar 1996 über die Unfallversicherung von arbeitslosen Personen in lit. b von
Art. 7 Abs. 1 UVV
eingefügte neue Ordnung, welche den Begriff des Lohnes gemäss
Art. 3 Abs. 2 UVG
(Ende der Versicherung mit dem 30. Tag nach dem Tage, an dem der Anspruch auf mindestens den halben Lohn aufhört) definiert, findet indessen unabhängig vom Sachverhalt des vorliegenden Falles auf
Art. 11 Abs. 3 AVIG
keine Anwendung. Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen, welche neben die von der Vorinstanz aufgrund der Literatur deutlich gemachten Gründe treten, wonach Entgelte des Arbeitgebers bei vollständiger oder teilweiser Beendigung des Arbeitsverhältnisses als massgebender Lohn zu qualifizieren sind, wenn sie wenigstens mittelbar einen Lohn- oder lohnähnlichen Charakter aufweisen und damit der Abgeltung entsprechender (Ersatz-)Forderungen dienen. Ansprüche, die sich auf solche Entgelte beziehen, stellen Lohnansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
dar. Unter den Begriff der Entschädigungsansprüche bei vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäss
Art. 11 Abs. 3 AVIG
fallen Ansprüche aus gerechtfertigter und ungerechtfertigter Entlassung (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 132; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, N 76 und 85 zu Art. 11).
3.
a) Nach der Rechtsprechung ist bei der Beurteilung der Anspruchsberechtigung im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
auf die AHV-Gesetzgebung (
Art. 5 Abs. 4 AHVG
in Verbindung mit
Art. 6 Abs. 2 und
Art. 7 AHVV
) abzustellen (
BGE 126 V 391
Erw. 5a). Dem blossen Lohnanspruch gleichgestellt ist Lohn, der dem Versicherten beim Verlassen seiner Arbeitsstelle für die Zeit des nachfolgenden Arbeitsausfalles effektiv ausbezahlt worden ist (GERHARDS, a.a.O., N 67 f. und N 79 zu
Art. 11 AVIG
; NUSSBAUMER, a.a.O, Rz 133).
b) Der Begriff des Lohnes ist in der Arbeitslosenversicherung nicht nur im Rahmen der Beurteilung der Anspruchsberechtigung, sondern auch für die Beitragsbemessung wesentlich. Die beiden Begriffe sind einheitlich auszulegen. Wie im Rahmen der Beitragsbemessung (
Art. 3 AVIG
) und der Festlegung des versicherten Verdienstes (
Art. 23 Abs. 1 AVIG
) ist daher auch bei der Beurteilung der Anspruchsberechtigung auf den massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung abzustellen. Daraus ergibt sich für die Beitragsbemessung, dass auf dem massgebenden Lohn Beiträge zu
BGE 128 V 176 S. 180
entrichten sind und im Gegenzug die diesem Lohnwert entsprechende Ausfallzeit (GERHARDS, a.a.O., N 79 zu Art. 11) nicht zu entschädigen ist (
BGE 126 V 391
Erw. 5a mit Hinweis auf das nicht veröffentlichte Urteil B. vom 5. September 1996, C 267/95).
c) Nach
Art. 5 Abs. 2 Satz 1 AHVG
gilt als massgebender Lohn jedes Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Die zum massgebenden Lohn gehörenden Bestandteile werden in
Art. 7 AHVV
beispielhaft näher aufgeführt, während
Art. 8 AHVV
die Ausnahmen davon umschreibt. Demgegenüber bestimmt
Art. 6 Abs. 2 AHVV
als Ausführungsnorm zu
Art. 4 Abs. 1 AHVG
, was nicht zum Erwerbseinkommen (aus unselbstständiger oder selbstständiger Tätigkeit) zählt.
Zum massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung gehören begrifflich sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers und der Arbeitnehmerin, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen. Als Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder Zuwendung, die sonstwie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht ausgenommen ist (
BGE 126 V 222
Erw. 4a,
BGE 124 V 101
Erw. 2, je mit Hinweisen).
d) Nach
Art. 5 Abs. 4 AHVG
kann der Bundesrat Sozialleistungen sowie anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende Zuwendungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer vom Einbezug in den massgebenden Lohn ausnehmen. Der Bundesrat hat von dieser Befugnis u.a. in
Art. 6 Abs. 2 AHVV
Gebrauch gemacht. Nicht zum Erwerbseinkommen gehören gemäss
Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV
Versicherungsleistungen bei Unfall, Krankheit oder Invalidität, ausgenommen die Taggelder nach
Art. 25ter IVG
. Zum massgebenden Lohn dagegen gehören Leistungen des Arbeitgebers für den Lohnausfall infolge Unfalles oder Krankheit (
Art. 7 lit. m AHVV
).
e)
Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV
enthält keine Einschränkung in dem Sinne, dass Versicherungsleistungen dann, wenn sie in Abgeltung der obligationenrechtlichen Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei unverschuldeter Verhinderung des Arbeitnehmers an der Arbeitsleistung wegen Krankheit oder Unfalls erbracht werden (
Art. 324a und b OR
), zum beitragspflichtigen Erwerbseinkommen
BGE 128 V 176 S. 181
gehören. Die AHVV unterscheidet bei den Leistungen für krankheits- oder unfallbedingten Lohnausfall einzig nach deren Herkunft. Werden sie vom Arbeitgeber selbst erbracht, unterliegen sie aufgrund von
Art. 7 lit. m AHVV
der Beitragspflicht, werden sie hingegen von betriebsfremden Versicherungen erbracht, gehören sie nach dem klaren Wortlaut von
Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV
nicht zum Erwerbseinkommen (ZAK 1983 S. 21, 1969 S. 372 Erw. 3, 1952 S. 185 f.; nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 17. April 1989, I 466/88).
f) Deswegen musste in
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV
im Hinblick auf das Ende der Versicherung als Ausnahme festgeschrieben werden, dass Taggelder, welche die Lohnfortzahlung ersetzen, als Lohn im Sinne von
Art. 3 Abs. 2 UVG
gelten. Denn lit. a von
Art. 7 Abs. 1 UVV
hält als Grundsatz bereits fest, dass als Lohn im Sinne von
Art. 3 Abs. 2 UVG
der nach AHVG massgebende Lohn gilt.
4.
Aus dem Gesagten folgt, dass die von der Visana im Monat Dezember 2000 an die Beschwerdegegnerin ausgerichteten Taggelder keine Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
darstellen. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist unbegründet.
5.
Der Vollständigkeit halber kann die Beschwerdeführerin auf die Koordinationsnorm des
Art. 28 Abs. 2 AVIG
hingewiesen werden, wonach Taggelder der Kranken- oder Unfallversicherung, die Erwerbsersatz darstellen, von den Arbeitslosentaggeldern abgezogen werden. Als Taggelder der Krankenversicherung im Sinne dieser Bestimmung zählen Leistungen aus der freiwilligen Taggeldversicherung (
Art. 67 ff. KVG
) und solche aus den mit anerkannten Krankenkassen gestützt auf
Art. 12 Abs. 2 und 3 KVG
sowie privaten Versicherungseinrichtungen (vgl.
Art. 100 Abs. 2 VVG
) abgeschlossenen Versicherungsverträgen (NUSSBAUMER, a.a.O., Rz 357). Damit statuiert
Art. 28 Abs. 2 AVIG
die Subsidiarität der Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung im Verhältnis zur Krankenversicherung.
6.
(Gerichtskosten und Parteientschädigung)