Urteilskopf
130 V 388
57. Auszug aus dem Urteil i.S. F. gegen Arbeitslosenkasse SYNA und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
C 266/03 vom 12. März 2004
Regeste a
Art. 49 Abs. 1 und
Art. 55 ATSG
;
Art. 5 Abs. 1 VwVG
: Verfügung als Sachurteilsvoraussetzung.
Auch unter Herrschaft des ATSG bildet im System der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege der Erlass einer Verfügung unabdingbare Sachurteilsvoraussetzung im nachfolgenden Verwaltungs- oder Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren. Der Begriff der Verfügung entspricht dabei mangels näherer Konkretisierung in
Art. 49 Abs. 1 ATSG
demjenigen von
Art. 5 Abs. 1 VwVG
(Erw. 2.3).
Regeste b
Art. 49 Abs. 1 und
Art. 59 ATSG
;
Art. 103 lit. a OG
: Schutzwürdiges Interesse.
Der Begriff des schutzwürdigen Interesses nach
Art. 59 ATSG
ist für das kantonale Beschwerdeverfahren materiellrechtlich gleich auszulegen wie derjenige nach
Art. 103 lit. a OG
für das bundesrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren (Erw. 2.2).
Regeste c
Art. 49 Abs. 2 und
Art. 55 ATSG
; Art. 5 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit
Art. 25 VwVG
: Feststellungsverfügung.
Voraussetzung einer Feststellungsverfügung: Die zum Begriff des schutzwürdigen Interesses gemäss
Art. 25 Abs. 2 VwVG
ergangene Rechtsprechung ist für die Auslegung des in
Art. 49 Abs. 2 ATSG
verwendeten Begriffs des "schützenswerten Interesses" massgebend (Erw. 2.4).
Der Gegenstand von Feststellungsverfügungen gemäss
Art. 49 Abs. 2 ATSG
bestimmt sich nach
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
und betrifft stets individuell-konkrete Rechte und Pflichten (Rechtsfolgen), nicht aber Tatsachenfeststellungen (Erw. 2.5).
Aus den Erwägungen:
2.1
Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz sind die am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen, auch für das Arbeitslosenversicherungsrecht geltenden verfahrensrechtlichen Neuerungen des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 vorbehältlich abweichender Bestimmungen des AVIG (
Art. 2 ATSG
in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 AVIG
) auf den hier zu beurteilenden Fall anwendbar (vgl.
BGE 129 V 115
Erw. 2.2,
BGE 117 V 93
Erw. 6b,
BGE 112 V 360
Erw. 4a; RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3b).
2.2
Nach
Art. 49 Abs. 1 ATSG
hat der Versicherungsträger über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, schriftlich Verfügungen zu erlassen. Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter
Art. 49 Abs. 1 ATSG
fallen, können nach
Art. 51 Abs. 1 ATSG
in einem formlosen Verfahren behandelt werden; diesfalls räumt Abs. 2 dieser Bestimmung der betroffenen Person die Möglichkeit ein, den Erlass einer Verfügung zu verlangen. Nach
Art. 52 Abs. 1 ATSG
kann gegen Verfügungen bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden, und gegen Einspracheentscheide steht gestützt auf Art. 56 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 57 ATSG
der Beschwerdeweg an das kantonale Versicherungsgericht offen; vorausgesetzt ist, dass die Beschwerde führende Person durch die angefochtene Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung hat (
Art. 59 ATSG
), wobei der Begriff des schutzwürdigen Interesses für das kantonale Beschwerdeverfahren
BGE 130 V 388 S. 391
materiellrechtlich gleich auszulegen ist wie derjenige nach
Art. 103 lit. a OG
für das bundesrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren (Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999, BBl 1999 4622 f.; UELI KIESER, ATSG-Kommentar: Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000, Zürich 2003, N 2 zu Art. 59; MEYER-BLASER, Die Rechtspflegebestimmungen des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], in: Haftung und Versicherung [HAVE] 2002 S. 329; siehe auch
BGE 122 V 373
Erw. 2a; RKUV 2002 Nr. KV 211 S. 176 f. Erw. 1c mit Hinweisen; Urteil M. vom 18. Dezember 2003 [C 221/03] Erw. 2).
2.3
Auch unter der Herrschaft des ATSG bildet im System der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege der Erlass einer Verfügung unabdingbare Sachurteilsvoraussetzung im nachfolgenden Verwaltungs- oder Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren, ohne die auf ein Rechtsmittel nicht eingetreten werden darf (vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 73 Ziff. 2.2. und S. 127; MEYER-BLASER, a.a.O., S. 327). Der Begriff der Verfügung bestimmt sich dabei mangels näherer Konkretisierung in
Art. 49 Abs. 1 ATSG
nach Massgabe von
Art. 5 Abs. 1 VwVG
(vgl.
Art. 55 ATSG
; siehe auch KIESER, a.a.O., N 2 zu Art. 49). Als Verfügungen im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 VwVG
gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (oder richtigerweise hätten stützen sollen;
BGE 116 Ia 266
Erw. 2a) und zum Gegenstand haben: Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten, Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten, Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten, oder Nichteintreten auf solche Begehren (
BGE 124 V 20
Erw. 1,
BGE 123 V 296
Erw. 3a, je mit Hinweisen). Der Verfügung gleichgestellt sind gemäss
Art. 5 Abs. 2 VwVG
(rechtsgestaltende oder feststellende) Einspracheentscheide.
2.4
Der Erlass einer Feststellungsverfügung setzt gemäss
Art. 49 Abs. 2 ATSG
- analog zu Art. 25 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
- ein schützenswertes Interesse voraus, worunter rechtsprechungsgemäss ein rechtliches oder tatsächliches und aktuelles Interesse an der sofortigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses zu verstehen ist,
BGE 130 V 388 S. 392
dem keine erheblichen öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen, und welches nicht durch eine rechtsgestaltende Verfügung gewahrt werden kann (
BGE 126 II 303
Erw. 2c,
BGE 125 V 24
Erw. 1b,
BGE 121 V 317
Erw. 4a mit Hinweisen). Nach der zu
Art. 25 Abs. 2 VwVG
ergangenen, auch auf
Art. 49 Abs. 2 ATSG
anwendbaren Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts gilt das Erfordernis des schützenswerten Interesses auch für den Erlass von Feststellungsverfügungen, welche ein Hoheitsträger nicht auf Ersuchen, sondern von Amtes wegen (vgl.
Art. 25 Abs. 1 VwVG
) erlässt (RKUV 1990 Nr. U 106 S. 275).
2.5
Feststellungsverfügungen im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
und
Art. 49 Abs. 2 ATSG
haben - gleich wie bei Gestaltungs- und Leistungsverfügungen - stets individuelle und konkrete Rechte und Pflichten, d.h. Rechtsfolgen zum Gegenstand. Auch mit Feststellungsverfügungen können mithin nur Rechtsfragen geklärt, nicht aber Tatsachenfeststellungen getroffen werden (GYGI, a.a.O., S. 144 Ziff. 10; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz 209). Nicht feststellungsfähig ist namentlich auch eine abstrakte Rechtslage, wie sie sich aus einem Rechtssatz für eine Vielzahl von Personen und Tatbeständen ergibt (ASA 71 S. 641 Erw. 1; RHINOW/ KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, S. 229 Rz 1189; vgl.
BGE 108 Ib 22
Erw. 1). Ferner werden mit behördlichen Zusicherungen, Auskünften, Empfehlungen oder Belehrungen keine Rechtsfolgen verbindlich festgelegt; solche Mitteilungen stellen demnach keine Verfügungen dar und sind folglich nicht anfechtbar (
BGE 121 II 479
Erw. 2c und 482 Erw. 3a; GYGI, a.a.O., S. 136).