Federal court decision 131 III 106 from Oct. 27, 2004

Date: Oct. 27, 2004

Related articles:  Art. 7 ZGB, Art. 462 ZGB, Art. 469 ZGB, Art. 492 ZGB, Art. 18 OR , Art. 18 Abs. 1 OR, Art. 462 Ziff. 2 ZGB, Art. 471 Ziff. 2 ZGB, Art. 492 Abs. 2 ZGB

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Source: bger.ch

Urteilskopf

131 III 106


14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. G.F. gegen Erben des H.B. (Berufung)
5C.49/2004 vom 27. Oktober 2004

Regeste

Auslegung eines Testaments.
Grundsätze für die Auslegung eines Testaments (E. 1).
Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts (E. 2).
Auslegung eines Testaments, in dem die Erblasserin ihren zum Universalerben eingesetzten Ehemann als "Vorerbe" bezeichnet hat, eine Bestimmung über Nacherben jedoch fehlt (E. 3 und 4).

Sachverhalt ab Seite 106

BGE 131 III 106 S. 106
Die am 11. Mai 1979 im Alter von knapp 59 Jahren verstorbene A.B. (nachstehend auch: Erblasserin) hatte am 1. März 1979 eine eigenhändige letztwillige Verfügung mit dem folgenden Wortlaut verfasst:
"Ich, die Unterzeichnete, A.B., geboren am 20. Juni 1920, von Z., bestimme hiermit bezüglich meines Nachlasses, was folgt:
1. Ich setze meinen Ehegatten, H.B. ... als meinen Universalerben ein.
2. Mein Ehegatte ist als Vorerbe von jeglicher Sicherstellungspflicht befreit.
BGE 131 III 106 S. 107
3. Als meinen Testamentsvollstrecker ernenne ich lic. jur. K.L. ...
4. Wer dieses Testament und Entscheidungen des Testamentsvollstreckers anficht, wird auf den Pflichtteil gesetzt, soweit ein solcher besteht, sonst ganz von der Erbschaft ausgeschlossen.
Zürich, den 1. März 1979 A.B."
In dem vom Notariat X. errichteten Nacherbschaftsinventar vom 8. Oktober 1979 wurde als Hauptaktivum der (Erb-)Anteil von 13/32 an der aus dem väterlichen Nachlass stammenden Liegenschaft an der Strasse Z. in Y. aufgeführt.
Am 3. Februar 1982 starb die Mutter der Erblasserin. Deren einzige Erbin war ihre ältere Tochter, E.F. In der Folge wurden im Grundbuch bezüglich der Liegenschaft an der Strasse Z. in Y. E.F. und H.B. als "Gesamteigentümer infolge Erbengemeinschaft" eingetragen.
Am 14. Oktober 1997 starb E.F., die als einzigen Erben ihren Sohn G.F. hinterliess. Einen Tag danach, am 15. Oktober 1997, starb auch H.B. Er hinterliess zahlreiche gesetzliche Erben. Eine letztwillige Verfügung von ihm ist nicht vorhanden.
Im Zeitpunkt des Ablebens von H.B. war aus dem Nachlass seiner vorverstorbenen Ehefrau, A.B. (Erblasserin), einzig noch deren Anteil an der Liegenschaft an der Strasse Z. vorhanden.
Mit Eingabe vom 22. Februar 1999 erhob G.F. beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen die Erben von H.B. Er verlangte, es sei festzustellen, dass er Nacherbe und damit Alleinerbe im Nachlass von A.B. sei, und das Grundbuchamt X. sei anzuweisen, ihn als Eigentümer der Liegenschaft Z. in Y. einzutragen.
Die Beklagten schlossen auf Abweisung der Klage.
Nachdem das Bezirksgericht die Klage in einem ersten Urteil abgewiesen hatte und die Sache vom Obergericht des Kantons Zürich zurückgewiesen worden war, erkannte es in seinem neuen Urteil vom 1. November 2002, dass das Grundbuchamt X. in Gutheissung der Klage angewiesen werde, H.B. als Gesamteigentümer der Parzelle an der Strasse Z. in Y. zu löschen und den Kläger an dessen Stelle als Gesamteigentümer einzutragen.
Das Obergericht hiess am 18. November 2003 eine Berufung der Beklagten gut und wies die Klage ab.
Das Bundesgericht weist die vom Kläger erhobene Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist.
BGE 131 III 106 S. 108

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Die Parteien streiten um den Anspruch auf den im Zeitpunkt des Ablebens von H.B. aus dem Nachlass seiner Ehefrau, A.B., einzig noch vorhandenen Anteil an der Liegenschaft an der Strasse Z. Wem dieser zusteht, beurteilt sich nach dem letzten Willen von A.B., den diese in ihrem Testament vom 1. März 1979 niedergelegt hat.

1.1 Das Testament stellt eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung dar. Bei seiner Auslegung ist der wirkliche Wille des Erblassers zu ermitteln. Auszugehen ist vom Wortlaut. Ergibt dieser für sich selbst betrachtet eine klare Aussage, entfallen weitere Abklärungen. Sind dagegen die testamentarischen Anordnungen so formuliert, dass sie ebenso gut im einen wie im andern Sinn verstanden werden können, oder lassen sich mit guten Gründen mehrere Auslegungen vertreten, dürfen ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Beweismittel zur Auslegung herangezogen werden. Stets hat es jedoch bei der willensorientierten Auslegung zu bleiben; eine Auslegung nach dem am Erklärungsempfänger orientierten Vertrauensprinzip fällt ausser Betracht. Die Erben oder andere Bedachte haben keinen Anspruch auf Schutz ihres Verständnisses der letztwilligen Verfügung; es kommt mit andern Worten nicht darauf an, wie sie die Erklärung des Erblassers verstehen durften und mussten, sondern einzig darauf, was der Erblasser mit seiner Äusserung sagen wollte (zum Ganzen BGE 124 III 414 E. 3 S. 416 f.; BGE 117 II 142 E. 2a S. 144; BGE 115 II 323 E. 1a S. 325, mit Hinweisen).

1.2 Auf Grund der Vorstellung, dass der Erklärende das geschriebene Wort dem allgemeinen Sprachgebrauch (Verkehrssprache, Rechtssprache) entsprechend versteht, gilt die Vermutung, dass Gewolltes und Erklärtes übereinstimmen (NICCOLÒ RASELLI, Erklärter oder wirklicher Wille des Erblassers?, in: AJP 1999 S. 1263 Ziff. II/3). Indessen kann die vom Erklärenden verwendete Bezeichnung oder Ausdrucksweise sich als missverständlich oder als unrichtig erweisen, sei es wegen eines blossen Verschriebs, sei es deshalb, weil Ausdrücke in einer von der Verkehrs- oder Rechtssprache abweichenden Bedeutung verwendet wurden. Nach der ausdrücklichen Vorschrift von Art. 18 Abs. 1 OR , die bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen sinngemäss heranzuziehen ist
BGE 131 III 106 S. 109
( Art. 7 ZGB ), ist der wirkliche Wille beachtlich, nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise. Wer sich auf einen vom objektiv verstandenen Sinn und Wortlaut abweichenden Willen des Erblassers beruft, ist beweispflichtig und hat entsprechende Anhaltspunkte konkret nachzuweisen (dazu RASELLI, a.a.O., S. 1267 Ziff. VII mit Hinweisen; PETER BREITSCHMID, Basler Kommentar, 2. Aufl., N. 22 zu Art. 469 ZGB ).

2. Nach ständiger Rechtsprechung prüft das Bundesgericht die Auslegung einer letztwilligen Verfügung durch die kantonale Instanz frei. Gebunden ist es indessen an die tatsächlichen Feststellungen, aus denen sich der innere Wille des Erblassers ergibt ( BGE 125 III 35 E. 3a S. 39; BGE 120 II 182 E. 2a S. 184, mit Hinweisen). Soweit der Kläger die vom Obergericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen als unzutreffend rügt oder die vorinstanzliche Würdigung der Zeugenaussagen beanstandet, ist auf die Berufung daher nicht einzutreten.

3.

3.1 Die Anordnungen von A.B. in der letztwilligen Verfügung sind in einfacher und leicht verständlicher Sprache abgefasst. In Ziffer 1 bestimmte die Erblasserin, dass der mit ihr in ehelicher Gemeinschaft lebende Ehemann ihr "Universalerbe" sein solle. Damit gab sie klar zum Ausdruck, dass nach ihrem Tod sämtliche Vermögenswerte ihrem Ehemann zufallen sollten. Die Erblasserin erliess diese Verfügung in einem Zeitpunkt, da sie wegen einer schweren Erkrankung den Tod vor Augen hatte und damit rechnen musste, dass sie ihre 29 Jahre ältere Mutter und erst recht ihre Schwester E.F. nicht werde überleben können. Ohne Testament hätten sowohl der Mutter als auch der Schwester Erbansprüche zugestanden (vgl. [a] Art. 462 Ziff. 2 ZGB ). Ein Teil davon wäre gemäss (a) Art. 471 Ziff. 2 ZGB sogar pflichtteilsgeschützt gewesen. Entgegen der Meinung des Klägers war mithin die strittige letztwillige Verfügung nicht darauf ausgerichtet, die Herkunftsfamilie der Erblasserin möglichst zu begünstigen. Ziffer 1 des Testaments hat vielmehr die gegenteilige Zielrichtung.

3.2 In Ziffer 2 ihrer letztwilligen Verfügung legte die Erblasserin fest, dass ihr Ehemann als Vorerbe von jeglicher Sicherstellungspflicht befreit sei. Der Text ist in diesem Punkt insofern lückenhaft, als der Ehemann nicht zunächst förmlich in den Status eines Vorerben eingesetzt wurde und keine Nacherben bezeichnet
BGE 131 III 106 S. 110
wurden. Es ist indessen Sache des Erblassers, und nicht des Vorerben, die Nacherben zu bestimmen, sind doch diese die Rechtsnachfolger des Erblassers, und nicht des Vorerben (dazu EUGEN SPIRIG, Nacherbeneinsetzung und Nachvermächtnis, in: ZBGR 58/1977 S. 202). Angesichts der dargelegten Lückenhaftigkeit dürfen ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Beweismittel zur Auslegung herangezogen werden.

3.2.1 Für die Klärung von Ziffer 2 der letztwilligen Verfügung sind die Zeugenaussage von K.L. und die von ihm eingereichten Schriftstücke von besonderer Bedeutung. Diese Beweismittel hatten im Zeitpunkt des vom Obergericht am 25. Juni 2001 gefällten Beschlusses, die Sache an das Bezirksgericht zurückzuweisen, noch nicht zur Verfügung gestanden. In jenem Entscheid war die Vorinstanz ohne weiteres von einer Nacherbeneinsetzung ausgegangen, und sie hatte sich nur gefragt, welche Personen nach dem Willen der Erblasserin Nacherben sein sollten. Die Aussagen von K.L. und die von ihm eingereichten Schriftstücke stellen indessen die Nacherbeneinsetzung selbst in Frage. Nach den Feststellungen der Vorinstanz ist K.L. ein als Berater in Erbsachen tätiger Jurist. K.L. habe als Zeuge erklärt, er habe im Mai 1978 H.B. im Zusammenhang mit der Regelung des Nachlasses beraten. Ob bei der Beratung auch die Ehefrau A.B., die Erblasserin, zugegen gewesen sei, vermöge er nicht mehr zu sagen; auszuschliessen sei es nicht. Es sei aber sicher auch darüber gesprochen worden, dass Frau A.B. ein Testament errichten sollte. Bei den ins Auge gefassten testamentarischen Vorkehren sei es um die gegenseitige Sicherstellung der Ehegatten gegangen für den Fall, dass einer ableben sollte. Sicher sei H.B. von ihm, dem Zeugen, darauf hingewiesen worden, dass es zwei Testamente brauche, um die Nachfolge vernünftig zu regeln.
Das Obergericht hält sodann fest, dass K.L. einen für H.B. erstellten Testamentsentwurf eingereicht habe, und zwar sowohl in einer handschriftlichen als auch in einer maschinengeschriebenen Version. Letztere trage das Datum vom 8. Mai 1978 sowie die Initialen des Zeugen. Dieser habe darauf hingewiesen, dass der Entwurf als Vorlage für Testamente beider Ehegatten hätte dienen sollen; deshalb finde sich im Entwurf die Formulierung "ich, der/die Unterzeichnete". K.L. habe weiter ausgesagt, er habe sich nie mit der konkreten Formulierung des Testaments der Erblasserin befasst. Auf Vorhalt der letztwilligen Verfügung der Erblasserin habe er
BGE 131 III 106 S. 111
jedoch erklärt, er nehme an, dass die Formulierung einen Teil seines Entwurfs vom 8. Mai 1978 darstelle. Nach Auffassung des Obergerichts ist dies offensichtlich so: Ziffer 1 des Testaments der Erblasserin (Universalerbeneinsetzung) entspreche exakt dem Entwurf von K.L. Gleiches gelte für die Schlussbestimmung, mit der die Erben hätten davon abgehalten werden sollen, das Testament sowie Handlungen des Willensvollstreckers anzufechten. Auch der im vorliegenden Prozess interessierende Passus betreffend die Befreiung des Vorerben von der Sicherstellungspflicht stamme wörtlich aus dem Entwurf des Zeugen. Ziffer 2 des Entwurfs sei von der Erblasserin allerdings nur als Torso übernommen worden. Der erste Absatz, mit dem die Nacherbeneinsetzung ausdrücklich hätte verfügt werden sollen und der auch die namentliche Bezeichnung der Nacherben vorgesehen habe, sei nämlich von der Erblasserin weggelassen worden.
Die Vorinstanz weist des Weitern auf die Erklärung von K.L. hin, anlässlich der Beratung im Jahre 1978 sei sicher über "Nacherben" gesprochen worden: "Deshalb auch die Ziffer 2". Ob in diesem Zusammenhang der Name des Klägers genannt worden sei, könne er nicht mehr sagen. Er meine, dass der Kläger im Zusammenhang mit Ziffer 3 des Entwurfs, wonach "meinem Göttikind" ein Legat hätte vermacht werden sollen, erwähnt worden sein könnte. Im Übrigen sei ihm, dem Zeugen, gegenüber der Name des Klägers sicher Jahre später, anlässlich einer andern Besprechung, erwähnt worden.

3.2.2 In Würdigung der Aussagen von K.L. und der von diesem vorgelegten Unterlagen stellt das Obergericht alsdann fest, es seien neue wesentliche Aspekte zu Tage gefördert worden. Aufgedeckt worden sei, wie die Erblasserin zu den in ihrer letztwilligen Verfügung gewählten Formulierungen gekommen sei. Es stehe auf Grund der Aussagen von K.L. fest, dass die Erblasserin offensichtlich den Entwurf des Zeugen als Vorlage für die Abfassung ihres Testaments benutzt habe. Der Entwurf habe in Ziffer 2 eine Nacherbeneinsetzung unter Nennung der Nacherben und Angabe ihrer Quoten vorgesehen. Die Erblasserin habe ihre Formulierung sorgfältig an die Vorlage angelehnt. Beim Abschreiben habe sie den ersten Absatz von Ziffer 2 betreffend Nacherbeneinsetzung einfach weggelassen und sich mit dem zweiten Absatz betreffend Befreiung des Vorerben von der Sicherstellungspflicht begnügt. Bei der Übernahme von Ziffer 4 der Vorlage ("Als meinen Testamentsvollstrecker
BGE 131 III 106 S. 112
auch bezüglich einer allfälligen Nacherbschaft ernenne ich Herrn lic. iur. K.L. und bei dessen Verhinderung die S. AG ...") habe sie - nebst der Ersatztestamentsvollstreckerin - die Worte "auch bezüglich einer allfälligen Nacherbschaft" ausgelassen. Sie habe sich darauf beschränkt, ihren als "Universalerben" eingesetzten Ehemann "als Vorerben" von jeglicher Sicherstellungspflicht zu befreien.

3.2.3 Auf Grund der festgestellten Gegebenheiten hält es das Obergericht für fraglich, ob die nicht juristisch ausgebildete Erblasserin tatsächlich eine konstruktive Nacherbeneinsetzung habe vornehmen wollen, um so mehr, als sie die letztwillige Verfügung nicht unmittelbar nach der erteilten Rechtsberatung abgefasst habe, sondern gestützt auf Vorlagen, die vom Berater Monate zuvor ihrem Ehemann ausgehändigt worden seien. Die Annahme liege nahe, Ziffer 2 der letztwilligen Verfügung beruhe auf der Überlegung, dass die Befreiung des "Universalerben" von einer Sicherstellungspflicht allenfalls dessen Stellung aufwerte, sie jedoch sicher nicht beeinträchtige. Hätte die Erblasserin den Kläger als Nacherben einsetzen wollen, wäre schwer verständlich, warum sie ihn in ihrer letztwilligen Verfügung nicht namentlich erwähnt habe, wenn sie doch die Vorlage von K.L., welche die namentliche Bezeichnung der Nacherben ausdrücklich vorgesehen habe, vor sich gehabt habe.

3.2.4 Ob entgegen ihrer im Rückweisungsbeschluss vom 25. Juni 2001 geäusserten Auffassung eine Nacherbeneinsetzung allenfalls zu verneinen sei, hat die Vorinstanz letztlich offen gelassen. Sie hatte deshalb zu prüfen, wer im Falle der Annahme einer Nacherbeneinsetzung durch die letztwillige Verfügung hätte begünstigt werden sollen, und kam zum Schluss, dass es die gesetzlichen Erben der Erblasserin im Zeitpunkt ihres Todes gewesen wären. Da diese den Nacherbfall indessen nicht erlebt hätten, sei die Erbschaft im Sinne von Art. 492 Abs. 2 ZGB beim Vorerben, d.h. bei H.B., verblieben, weshalb die Klage abzuweisen sei.

4.

4.1 Für die Annahme, die von der Erblasserin am 1. März 1979 errichtete letztwillige Verfügung enthalte eine Nacherbeneinsetzung, bleibt angesichts der vom Obergericht festgehaltenen tatsächlichen Gegebenheiten kein Raum. Auf Grund der Aussagen des Zeugen K.L. und der von diesem vorgelegten Schriftstücke kann das Testament in seiner Gesamtheit betrachtet nur so verstanden werden, dass die Erblasserin ihren Ehegatten als Universalerben einsetzen und keine Nacherbeneinsetzung vornehmen wollte. Soweit die
BGE 131 III 106 S. 113
Erblasserin den vom Zeugen verfassten Testamentsentwurf übernommen hat, hat sie ihn Wort für Wort abgeschrieben. Auf den (Haupt-)Teil der Ziffer 2, der von der Nacherbeneinsetzung und von der Bestimmung der Quoten handelte, hat sie indessen verzichtet und damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Nacherbeneinsetzung wollte. Sie hat lediglich den letzten Satz von Ziffer 2 übernommen und damit den Willen geäussert, dass ihr Ehegatte von jeglicher Sicherstellungspflicht befreit sein solle. Freilich hat die Erblasserin ihren Ehegatten - entsprechend der Vorlage mit einem Begriff der Rechtssprache - als Vorerbe bezeichnet. Es kann indessen nicht davon ausgegangen werden, dass sie als juristische Laie genau wusste, was ein Vorerbe sei und dass die Bestimmung eines Vorerben eine Nacherbeneinsetzung voraussetze. Werden Vorlage und Testament miteinander verglichen, drängt sich die Annahme auf, die Erblasserin habe diesen Begriff lediglich deshalb gewählt, weil er in der Vorlage so stand und sie habe vermeiden wollen, dass ihr Ehemann zu irgendwelchen Sicherheitsleistungen herangezogen werden könnte.
Auch daraus, dass die Erblasserin - unter Ziffer 3 der letztwilligen Verfügung - Ziffer 4 der Vorlage nur teilweise übernahm, ergibt sich, dass es der Erblasserin nicht um die Anordnung einer Nacherbschaft gegangen war. Sie setzte zwar den Zeugen K.L. als ihren Testamentsvollstrecker ein, jedoch nicht auch bezüglich einer Nacherbschaft, wie es im Entwurf formuliert worden war. Diese Streichung kann nicht anders verstanden werden, denn als Bestätigung des Verzichts auf die Nacherbeneinsetzung.
Ausserdem hat die Erblasserin auf die Übernahme von Ziffer 3 der Vorlage verzichtet, worin für das Göttikind, das in ihrem Fall der Kläger gewesen wäre, die Festsetzung eines Legats vorgesehen war. Auch daraus ergibt sich, dass der Ehegatte ohne irgendeine Einschränkung als Erbe eingesetzt werden sollte. Die erwähnte Weglassung widerlegt die Vermutung mehrerer Zeugen, dass die Erblasserin den Kläger habe begünstigen wollen. Schliesslich bestätigt auch der Umstand, dass die Erblasserin - unter Ziffer 4 - die rechtstechnisch abgefasste Schlussbestimmung (Ziffer 5) wörtlich wiedergab, ihren Willen, der Vorlage genau zu folgen, soweit sie mit deren Inhalt einverstanden war, und lediglich die Passagen wegzulassen, die sie nicht in ihr Testament aufnehmen wollte.
Unter den dargelegten Umständen kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht gesagt werden, das Testament enthalte wegen der
BGE 131 III 106 S. 114
missglückten und überflüssigen Verwendung des Rechtsbegriffs "Vorerbe" in Ziffer 2 eine Lücke bezüglich der Nacherbeneinsetzung. Die Überlegungen zur Frage, wie eine Lücke in einem Testament zu füllen sei, stossen daher ins Leere.

4.2 Führt die Auslegung des Testaments nach dem Gesagten zum eindeutigen Ergebnis, dass eine Nacherbeneinsetzung zu verneinen ist, ist den klägerischen Ausführungen zu den verschiedenen Zeugenaussagen der Boden entzogen. Das Obergericht hat im Übrigen festgehalten, dass der Kläger selbst wie auch praktisch alle von ihm angerufenen Zeugen ihre Schlussfolgerungen zugunsten des Klägers nicht aus konkreten Hinweisen auf eine von der Erblasserin beabsichtigte letztwillige Verfügung herleiteten, sondern im Wesentlichen nur aus dem engen Zusammenhang der Familiengemeinschaft und der allgemeinen Meinung, die bei allen Beteiligten mehr oder weniger unausgesprochen vorgeherrscht haben soll; die Einschätzungen der verschiedenen Personen hätten auf subjektiven Beurteilungen beruht. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat keiner der Zeugen (mit Ausnahme von M.N.) mit der Erblasserin über ihre konkrete Nachfolgeregelung gesprochen. Die Aussage von M.N. vermöge zwar gewisse Indizien für den vom Kläger eingenommenen Standpunkt abzugeben, doch wirke die Stellungnahme dieser Zeugin nicht sehr überzeugend. Sodann sei die Erblasserin nach der Darstellung einiger Zeugen wohl der Meinung gewesen, dass das Haus dereinst irgendwie auf den Kläger übergehen werde, doch ergäben sich keine konkreten Hinweise dafür, dass die Erblasserin konkret daran gedacht hätte, nach dem Hinschied ihres Ehemannes den Kläger als Erben einzusetzen. Selbst der Kläger und seine Frau hätten nie ausgesagt, die Erblasserin habe ausdrücklich erklärt, dass der Kläger ihren Anteil am Haus erben werde.
Bei dieser für das Bundesgericht verbindlichen Beweiswürdigung sind die Hinweise des Klägers auf seine besondere Beziehung zur Erblasserin, auf die Familienstruktur und die Lebensumstände sowie auf die übrigen Zeugen unbehelflich.

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