Urteilskopf
137 III 424
63. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Masse en faillite ancillaire de Sabena SA gegen Bezirksrichter Felix Ziltener (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_320/2011 vom 8. August 2011
Regeste a
Art. 75 Abs. 2 BGG
; kantonale Vorinstanzen des Bundesgerichts bei der Anfechtung von Zwischenentscheiden.
Die Beschwerde in Zivilsachen ist seit dem 1. Januar 2011 nur noch zulässig gegen Urteile letzter kantonaler Instanzen, die zugleich obere Gerichte sind und - unter Vorbehalt der Ausnahmen gemäss
Art. 75 Abs. 2 lit. a-c BGG
- auf Rechtsmittel hin entschieden haben. Dies gilt auch für die Anfechtung von Zwischenentscheiden, ausser das obere Gericht fälle im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens einen Zwischenentscheid (E. 2.1 und 2.2).
Regeste b
Art. 404 Abs. 1 und
Art. 405 Abs. 1 ZPO
; übergangsrechtliche Behandlung von Zwischenentscheiden.
Rechtsmittel gegen Zwischenentscheide richten sich nach
Art. 405 Abs. 1 ZPO
(E. 2.3).
A.
Bezirksrichter Felix Ziltener (Beschwerdegegner) ist seit Ende Oktober 2006 als Einzelrichter mit einem Verfahren befasst, das die Kollokation einer Forderung der Masse en faillite ancillaire de Sabena SA (Beschwerdeführerin) in der Nachlassliquidation der SAir Group zum Gegenstand hat.
B.
Am 20. Januar 2011 lehnte die Beschwerdeführerin den Beschwerdegegner mit Eingabe an das Bezirksgericht ab. Sie führte dazu insbesondere aus, wenn der Beschwerdegegner die Ausstandsgründe bestreiten und für das vorliegende Ausstandsverfahren neues Recht für anwendbar halten sollte, so müsse er die Akten dem Gesamtgericht überweisen und das Bezirksgericht Zürich habe erstinstanzlich über das Ablehnungsbegehren zu befinden.
In der Folge überwies der Beschwerdegegner die Eingabe der Beschwerdeführerin dem Obergericht des Kantons Zürich. Mit Beschluss vom 17. März 2011 wies dieses das Ablehnungsbegehren ab.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 5. Mai 2011 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht die Aufhebung des
BGE 137 III 424 S. 426
obergerichtlichen Beschlusses und die Gutheissung des Ablehnungsbegehrens. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zur Gutheissung des Ablehnungsbegehrens zurückzuweisen.
In der Sache sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. Nach Meinungsaustausch mit der I. zivilrechtlichen Abteilung tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht ein.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
2.1
Gemäss
Art. 75 Abs. 1 BGG
ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen. Bei der letzten kantonalen Instanz muss es sich um ein oberes Gericht handeln (
Art. 75 Abs. 2 Satz 1 BGG
). Zudem muss dieses obere Gericht als Rechtsmittelinstanz entscheiden (
Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BGG
), es sei denn, es liege einer der Ausnahmefälle von
Art. 75 Abs. 2 lit. a-c BGG
vor. Die den Kantonen zur Anpassung ihrer Bestimmungen an
Art. 75 Abs. 2 BGG
gewährte Übergangsfrist (
Art. 130 Abs. 2 BGG
) ist mit Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung am 1. Januar 2011 abgelaufen. Seit dem 1. Januar 2011 ist somit die Beschwerde in Zivilsachen, wie im Übrigen auch die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (
Art. 114 BGG
), nur noch zulässig gegen Urteile letzter kantonaler Instanzen, die zugleich obere Gerichte sind und - unter Vorbehalt der Ausnahmen - auf Rechtsmittel hin entschieden haben (Urteil 5A_162/2011 vom 19. April 2011 E. 2.2).
2.2
Das Obergericht hat nicht als Rechtsmittelinstanz über die Ablehnung des Beschwerdegegners entschieden, sondern als erste und einzige kantonale Instanz. Dies ist nur zulässig, sofern eine Ausnahme gemäss
Art. 75 Abs. 2 lit. a-c BGG
vorliegt. Die Varianten von lit. b und c fallen vorliegend von vornherein ausser Betracht. Eine allgemeine Ausnahme für Zwischenentscheide besteht ebenfalls nicht. Vorbehalten ist allerdings folgender Fall: Ist ein oberes Gericht mit einem Rechtsmittelverfahren befasst und fällt es in diesem Rahmen einen Zwischenentscheid (z.B. über den Ausstand eines Mitglieds des oberen Gerichts), so ist die Beschwerde an das Bundesgericht bei im Übrigen gegebenen Voraussetzungen zulässig (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7377 Ziff. 5.23.2; HOHL, Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, Rz. 2490; DIGGELMANN, Vom GVG zum GOG, SJZ 106/2010 S. 89).
BGE 137 III 424 S. 427
Einziger vorliegend in Betracht fallender Ausnahmetatbestand ist
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG
. Es müsste demnach ein Bundesgesetz eine einzige Instanz vorsehen, damit der Rechtsweg an das Bundesgericht eröffnet ist (unten E. 2.3.2).
2.3.1
Das vorliegende Verfahren weist einen übergangsrechtlichen Aspekt auf. Das Hauptverfahren wurde noch vor Inkrafttreten der eidgenössischen ZPO anhängig gemacht, weshalb darauf grundsätzlich das bisherige Verfahrensrecht anzuwenden ist (
Art. 404 Abs. 1 ZPO
). Davon ist auch das Obergericht ausgegangen und es hat insbesondere erwogen, ein Ausstandsbegehren sei kein Rechtsmittel nach
Art. 405 Abs. 1 ZPO
. Anwendbar seien deshalb die Zivilprozessordnung des Kantons Zürich und das Gerichtsverfassungsgesetz. Nach § 101 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 (GVG; OS 46. 209) in Verbindung mit § 18 lit. k Ziff. 1 der Verordnung vom 3. November 2010 über die Organisation des Obergerichts (LS 212.51) habe somit die Verwaltungskommission des Obergerichts über das Ausstandsbegehren gegen ein Mitglied eines Bezirksgerichts zu entscheiden. Indes sei das kantonale Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde gegen den obergerichtlichen Beschluss aufgrund von
Art. 405 ZPO
nicht mehr gegeben.
2.3.2
Ein Ausnahmetatbestand gemäss
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG
und damit die Zulässigkeit einer Beschwerde an das Bundesgericht unter Verzicht auf die Einhaltung des Prinzips der vorgängigen double instance könnte sich aus dem Übergangsrecht der schweizerischen ZPO ergeben. Dies wäre dann der Fall, wenn für Rechtsmittel gegen Zwischenentscheide im Sinne von
Art. 92 und 93 BGG
nicht
Art. 405 Abs. 1 ZPO
massgebend wäre, sondern
Art. 404 Abs. 1 ZPO
und zudem nach kantonalem Verfahrensrecht gegen den Zwischenentscheid kein Rechtsmittel zur Verfügung stehen würde. Diesfalls könnte davon gesprochen werden, das Übergangsrecht der ZPO und damit Bundesrecht gestatte vorläufig noch die innerkantonale Unanfechtbarkeit des Zwischenentscheids, so dass eine Ausnahme gemäss
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG
vorläge.
Welche Rechtsmittel gegen Zwischenentscheide zulässig sind, richtet sich allerdings nicht nach
Art. 404 Abs. 1 ZPO
, sondern nach
Art. 405 Abs. 1 ZPO
. Zwar gehen die Meinungen in der Lehre darüber auseinander (für die Unterstellung unter
Art. 405 Abs. 1 ZPO
DOMEJ, in: ZPO, Kurzkommentar, Oberhammer [Hrsg.] 2010, N. 3 zu
BGE 137 III 424 S. 428
Art. 405 ZPO
; dagegen FREI/WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 7 f. zu
Art. 405 ZPO
; TAPPY, Le droit transitoire applicable lors de l'introduction de la nouvelle procédure civile unifiée, JdT 2010 III S. 36 ff.; differenzierend TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC], 2011, S. 1565 f., der für die hier interessierenden Ausstandsentscheide die Rechtsmittel der ZPO für anwendbar hält, prozessleitende Verfügungen aufgrund ihrer Nähe zum altrechtlichen Hauptverfahren aber von
Art. 405 Abs. 1 ZPO
ausnehmen will). Der Wortlaut von
Art. 405 Abs. 1 ZPO
differenziert aber nicht nach der Art des Entscheides und beschränkt den Anwendungsbereich dieser Norm insbesondere nicht auf Endentscheide. Stattdessen spricht er allgemein von "Entscheid" (décision, decisione). Der Wortlaut ist insoweit eindeutig und unmissverständlich, so dass davon nur abgewichen werden kann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass er nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt (
BGE 137 V 13
E. 5.1 S. 17 mit Hinweisen). Solche Gründe bestehen nicht. Die Gesetzgebungsgeschichte gebietet keine Abweichung vom Wortlaut (vgl. TREZZINI, a.a.O., S. 1565, der eine Meinungsäusserung der Bundesverwaltung anlässlich einer parlamentarischen Kommissionssitzung zitiert, wonach die Unterscheidung von Rechtsmitteln, die
Art. 405 ZPO
unterstehen, und solchen, die dies nicht tun, zu unerwünschten Schwierigkeiten führen würde). Schliesslich sind auch keine unüberwindbaren Schwierigkeiten zu erwarten, wenn alle Entscheide den Rechtsmitteln gemäss
Art. 405 Abs. 1 ZPO
unterstellt werden und nicht nur Endentscheide, auch wenn das Verfahren gegebenenfalls gemäss
Art. 404 Abs. 1 ZPO
nach altem Recht seinen Fortgang nimmt.
2.4
Das Bundesrecht sieht somit im vorliegenden Fall keine Ausnahme vom Grundsatz vor, dass die Vorinstanz des Bundesgerichts als Rechtsmittelinstanz geurteilt haben muss. Die Beschwerdeführerin vertritt vor Bundesgericht den im kantonalen Verfahren noch eingenommenen Standpunkt nicht mehr, dass das Bezirksgericht das Ablehnungsgesuch erstinstanzlich hätte behandeln müssen. Sie hat durch ihre frühere Auffassung aber zu erkennen gegeben, dass ihr die Bundesrechtswidrigkeit des Vorgehens der kantonalen Behörden bewusst war. Auf ihr allfälliges Vertrauen in die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Obergerichts, welches in allgemeiner Weise auf
Art. 72 ff. und 113 ff. BGG
verwiesen hat, kann sie sich deshalb
BGE 137 III 424 S. 429
nicht berufen. Auf die Beschwerde kann folglich weder eingetreten werden, noch besteht Anlass, die Sache von Amtes wegen an die kantonalen Behörden zu überweisen.