Urteilskopf
140 III 491
73. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.B. und C.B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_240/2014 vom 28. August 2014
Regeste
Art. 266n OR
;
Art. 2 Abs. 2 ZGB
; Wohnung der Familie; gemeinschaftliche Miete; Kündigung durch den Vermieter; Rechtsmissbrauch.
Anfechtung der Kündigung des Vermieters mit der Begründung, die Ansetzung der Zahlungsfrist mit Kündigungsandrohung und die Kündigung seien der Ehefrau und Mitmieterin des Klägers nicht separat zugestellt worden. Anwendbarkeit von
Art. 266n OR
vorliegend verneint (E. 4.1). Der Mieter, der sich auf die unterbliebene Zustellung an seine Mitmieterin beruft, handelt rechtsmissbräuchlich, wenn die Mitmieterin das Mietobjekt bereits vor der Mahnung und der Kündigung definitiv verlassen und keinerlei Interesse an der Nichtauflösung des Mietvertrages hat (E. 4.2).
Aus den Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer beanstandet die Kündigung vom 3. Dezember 2011 sodann in formeller Hinsicht.
4.1
Er berief sich vor der Vorinstanz einerseits darauf, dass es sich beim Mietobjekt um die Familienwohnung gehandelt habe, weshalb die Mahnung und die Kündigung auch separat seiner Ehefrau (und Tochter der Beschwerdegegner) hätten zugestellt werden müssen.
Bei einer Familienwohnung sind die Kündigung durch den Vermieter sowie die Ansetzung einer Zahlungsfrist mit Kündigungsandrohung (Art. 257d) dem Mieter und seinem Ehegatten separat zuzustellen (
Art. 266n OR
).
Die Vorinstanz stellte fest, es habe sich beim Mietobjekt im Zeitpunkt von Mahnung und Kündigung nicht mehr um eine Familienwohnung gehandelt, nachdem die Ehefrau die Wohnung (gegen) Ende Februar 2012 endgültig verlassen habe.
Der Beschwerdeführer beanstandet diese Feststellung der Vorinstanz als offensichtlich falsch und willkürlich. Zu Unrecht: Die Vorinstanz stützte ihre Feststellung, dass die Ehefrau die Familienwohnung
BGE 140 III 491 S. 493
endgültig verlassen habe, unter anderem auf die eigenen Angaben des Beschwerdeführers. Sie hielt sodann fest, dass die Ehefrau, zu deren Gunsten sich hier
Art. 266n OR
auswirken würde, mit ihrem definitiven Auszug, bestätigt mit ihrer Nichtbeteiligung an den beiden Anfechtungsverfahren, zum Ausdruck gebracht habe, dass sie das Haus definitiv nicht mehr als Zentrum des Familienlebens betrachte. Der Beschwerdeführer vermag diese tatsächliche Würdigung nicht als willkürlich auszuweisen. Die daraus gezogene Folgerung der Vorinstanz, dass die Mietliegenschaft im Zeitpunkt von Mahnung und Kündigung nicht mehr als Familienwohnung im Sinne von
Art. 266m und 266n OR
zu qualifizieren gewesen sei, stimmt mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung überein (
BGE 139 III 7
E. 2.3.1 S. 11;
BGE 136 III 257
E. 2.1) und ist nicht zu beanstanden.
Mangels Vorliegens einer Familienwohnung ging die Berufung des Beschwerdeführers auf
Art. 266n OR
demnach von vornherein fehl.
4.2
Andererseits berief sich der Beschwerdeführer auf ein gemeinschaftliches Mietverhältnis, mit der Schlussfolgerung, er und seine Ehefrau als Mitmieterin hätten je Adressat von Mahnung und Kündigung sein müssen.
4.2.1
Der gemeinsame Mietvertrag stellt ein einheitliches Rechtsverhältnis dar (
BGE 136 III 431
E. 3.1 S. 434). Das Kündigungsrecht als unteilbares Gestaltungsrecht steht daher nur allen Mietern oder Vermietern gemeinsam zu und muss gegenüber allen Vermietern bzw. Mietern ausgeübt werden; ansonsten ist die Kündigung nichtig (Urteile 4A_189/2009 vom 13. Juli 2009 E. 2.1; 4C.331/1993 vom 20. Juni 1994 E. 5b; siehe auch HIGI, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 1995, N. 84 Vorbemerkungen zu
Art. 266-266o OR
; LACHAT UND ANDERE, Das Mietrecht für die Praxis, 8. Aufl. 2009, N. 25/5.6 S. 518; Das schweizerische Mietrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2008, N. 15 Vorbemerkungen zu Art. 266-266o und N. 28a zu Art. 266l-266o; WEBER, Der gemeinsame Mietvertrag, 1993, S. 170 und 175;
derselbe
, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 1 zu
Art. 266a OR
und N. 4 zu 266o OR).
4.2.2
Die Vorinstanz erkannte, dass im Zeitpunkt von Mahnung und Kündigung der Beschwerdeführer und seine von ihm getrennt lebende Ehefrau als gemeinsame Mieter der Liegenschaft zu betrachten seien. Mangels Einverständnisses des Beschwerdeführers sei nämlich die Ehefrau durch die einseitige Erklärung der Vermieter vom 30. Juni 2012 nicht rechtswirksam aus dem Mietverhältnis entlassen worden.
BGE 140 III 491 S. 494
Sodann führte die Vorinstanz aus, dass bei mehreren Mietern - soweit wie vorliegend keine Familienwohnung betroffen sei - nach einhelliger Lehre die Zustellung eines einzigen Kündigungsformulars an alle Mieter genüge, was auch bezüglich der Mahnung gelten müsse. Immerhin habe aber der Vermieter, der sich im Falle einer Mitmieterschaft auf
eine
Mahnung respektive
ein
Kündigungsformular beschränke, in der Anschrift sämtliche Mieter des betroffenen Mietobjekts aufzuführen. Dies sei vorliegend unterblieben.
Ob die Mahnung und die Kündigung der Ehefrau und Mitmieterin zugestellt worden waren, wie die Beschwerdegegner mit von der Ehefrau ausgestellten Empfangsbestätigungen zu belegen versuchten, der Beschwerdeführer aber bestritt, liess die Vorinstanz schliesslich offen.
Die diese Frage betreffenden Rügen einer Rechtsverweigerung sowie einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, von
Art. 8 ZGB
und von
Art. 9 BV
gehen - wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt - am streitentscheidenden Punkt vorbei.
4.2.3
Die Vorinstanz befand, die Berufung des Beschwerdeführers auf (allfällige) Formmängel sei rechtsmissbräuchlich.
Sie stützte sich dabei auf
BGE 139 III 7
. Gemäss diesem Urteil verhält sich die Mieterin rechtsmissbräuchlich, die sich auf
Art. 266n OR
beruft und geltend macht, die Kündigung sei nichtig, da diese ihrem Ehemann nicht zugestellt worden sei, wenn der Ehemann die Familienwohnung verlassen hat und sich für die Kündigung überhaupt nicht interessiert (E. 2.3.2). Die Vorinstanz erwog, die Konsequenz, wenn eine Kündigung nicht allen Mitmietern gegenüber ausgesprochen werde, unterscheide sich nicht von der in
Art. 266o OR
vorgesehenen Rechtsfolge; die Kündigung sei in beiden Fällen wirkungslos. Ebenso wenig bestehe ein Unterschied "unter dem Aspekt der Rechtsstellung", wolle doch
Art. 266n OR
dem Ehegatten ungeachtet dessen, ob er obligationenrechtlich auch Mieter der Familienwohnung sei oder nicht, bei einer Kündigung durch den Vermieter die Rechtsstellung eines Mieters verschaffen und ihm erlauben, gegebenenfalls die Mieterrechte geltend zu machen. Deshalb müsse sich der Mitmieter auch die gleichen Einreden, namentlich diejenige der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf das Erfordernis der Mitteilung an den anderen Mitmieter, entgegenhaltenlassen. Wie bei der Familienwohnung der eine Ehegatte, mache bei der gemeinschaftlichen Miete der Mitmieter nicht sein eigenes, sondern das
BGE 140 III 491 S. 495
Interesse des anderen geltend, was dann, wenn der andere Mitmieter - wie hier - seinerseits gar kein entsprechendes Interesse habe, keinen Rechtsschutz verdiene.
4.2.4
Dieser Beurteilung ist beizupflichten:
Gemäss
Art. 2 Abs. 2 ZGB
findet der offene Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz. Wann ein solcher Missbrauch vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu bestimmen, wobei die von der Lehre und Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs zu beachten sind (
BGE 135 III 162
E. 3.3.1 S. 169;
BGE 129 III 493
E. 5.1 S. 497). Zu diesen zählt namentlich die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts (
BGE 135 III 162
E. 3.3.1 S. 169).
Das Erfordernis der doppelten Zustellung bei der Familienwohnung nach
Art. 266n OR
soll dem Ehegatten des Mieters ermöglichen, die Kündigung der Wohnung anzufechten oder die Erstreckung des Mietverhältnisses zu erwirken, wie es der Mieter könnte. Das Bundesgericht schloss in
BGE 139 III 7
, den Mieterinnen sei die Kündigung je auf dem offiziellen Formular zugestellt worden, das sie über ihre Rechte unterrichtet habe. Mit ihrer Argumentation würden die Beschwerdeführerinnen in Realität die Interessen eines Dritten geltend machen. Nachdem sich letzter überhaupt nicht für die Frage interessiere, sei dies rechtsmissbräuchlich (E. 2.3.2).
Die vorliegende Konstellation ist wertungsmässig gleich zu beurteilen: Gemäss der für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellung der Vorinstanz hat die Ehefrau des Beschwerdeführers (und Tochter der Beschwerdegegner) die Wohnung bereits vor der Mahnung und der Kündigung definitiv verlassen und hat bzw. hatte keinerlei Interesse an der Nichtauflösung des Mietvertrags infolge der am 18. August 2012 ausgesprochenen Kündigung. Auch hier beruft sich somit ein Mieter auf die Interessen einer Drittperson, die diese gar nicht hat respektive gerade nicht wahrnehmen will. Er bemüht eine Bestimmung (betreffend Zustellung der Kündigung an den Mitmieter) für einen ihr fremden Zweck, was rechtsmissbräuchlich ist und keinen Rechtsschutz verdient. Dies hat die Vorinstanz zutreffend erkannt.