Urteilskopf
141 I 241
23. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. Versicherungen AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_334/2015 vom 22. September 2015
Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
;
Art. 29a BV
;
Art. 8 Abs. 2 BV
;
Art. 120 ZPO
;
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
; unentgeltliche Rechtspflege; vorsorgliche Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen.
Für ein Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen besteht kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege; wurde diese dennoch gewährt, kann sie gestützt auf
Art. 120 ZPO
entzogen werden (E. 3).
Weder aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
noch aus
Art. 29a und 8 Abs. 2 BV
lässt sich ein kostenloser Zugang zum Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
ableiten (E. 4).
A.
In den Morgenstunden des 28. März 2005 fuhr ein bei der B. Versicherungen AG (Gesuchs- und Beschwerdegegnerin) versicherter Personenwagen bei einem kleinen Durchgangsweg zwischen den Liegenschaften U. und V. in W. rückwärts, nach rechts abdrehend aus einem Parkfeld. Dabei wurde der sich hinter dem Personenwagen befindliche A. (Gesuchsteller und Beschwerdeführer) übersehen. Dieser wurde vom rückwärtsfahrenden Personenwagen touchiert und kam dadurch zu Fall. Nach eigener Darstellung zog sich der Verunfallte durch diesen Sturz unter anderem ein Schädelhirntrauma zu, an dessen Folgen er seit dem Unfalltag leide.
B.a
Am 23. Mai 2011 gelangte A. an das Einzelgericht Audienz des Bezirksgerichts Zürich und stellte ein Begehren um vorsorgliche Beweisabnahme in der Form eines gerichtlichen Gutachtens zu den medizinischen Dauerfolgen des am 28. März 2005 erlittenen Unfalls. In prozessualer Hinsicht beantragte er zudem die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 wies das Einzelgericht Audienz den Antrag von A. auf unentgeltliche Prozessführung und Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters im Umfang von Fr. 11'000.- ab, bewilligte es indessen im Mehrumfang und bestellte A. in der Person von Rechtsanwalt Stolkin einen unentgeltlichen Rechtsbeistand.
B.b
Mit Urteil 4A_589/2013 vom 16. Januar 2014 erkannte das Bundesgericht in einem Verfahren zwischen anderen Parteien, dass für eine vorsorgliche Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. Dieser Grundsatz wurde als Leitentscheid publiziert (
BGE 140 III 12
).
BGE 141 I 241 S. 243
B.c
Mit Verfügung vom 30. März 2015 entschied das Einzelgericht Audienz, dass es A. die mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 im Fr. 11'000.- übersteigenden Umfang bewilligte unentgeltliche Rechtspflege mit Wirkung ab Datum der Verfügung entziehe, wobei ein Erledigungsentscheid infolge Abstandnahme oder Nichtleistung des Kostenvorschusses noch von der bisherigen Bewilligung erfasst sei.
Mit Urteil vom 20. Mai 2015 wies das Obergericht des Kantons Zürich die dagegen eingelegte Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt A. dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und das Bezirksgericht sei anzuweisen, ihm die unentgeltliche Rechtspflege im bisherigen Umfang weiterhin zu gewähren.
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer macht in sich mehrfach wiederholender Weise geltend, es sei unzulässig, eine rechtskräftig gewordene Verfügung, mit der die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt wurde, nachträglich zu widerrufen. Ein solches Vorgehen verstosse gegen den "Grundsatz der Rechtssicherheit", gegen das "Rückwirkungsverbot", das "Vertrauensprinzip" und das "Prinzip der Verfahrensfairness". Zudem habe am 3. Oktober 2011, als dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege vom Einzelgericht Audienz des Bezirksgerichts Zürich erteilt worden sei, noch ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege für sämtliche Verfahrensarten bestanden. Die Verfügung vom 3. Oktober 2011 sei also nicht offensichtlich unrichtig gewesen.
3.1
Das Verfahren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gehört zur freiwilligen Gerichtsbarkeit i.S.v.
Art. 1 lit. b ZPO
(statt aller ALFRED BÜHLER, in: Berner Kommentar, Bd. I, 2012, N. 6 zu
Art. 119 ZPO
; vgl. auch
BGE 139 III 334
E. 4.2 S. 342 ff. [zur Stellung der Gegenpartei]). Als solches wird es nicht im ordentlichen, sondern im summarischen Verfahren durchgeführt (
Art. 119 Abs. 3 Satz 1 ZPO
und
Art. 248 lit. e ZPO
). Summarentscheide sind ordentlichen Entscheiden hinsichtlich der Rechtskraft grundsätzlich
BGE 141 I 241 S. 244
gleichgestellt, d.h. sie werden mit Ablauf der Berufungsfrist formell rechtskräftig und damit - unter Vorbehalt einer Revision nach
Art. 328 ff. ZPO
- unwiderrufbar (
BGE 141 III 43
E. 2.5.2 S. 46). Für Summarentscheide betreffend Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sieht
Art. 256 Abs. 2 ZPO
hingegen eine Ausnahme vor: Danach kann ein solcher Entscheid
von Amtes wegen oder auf Antrag aufgehoben oder abgeändert
werden, wenn er sich im Nachhinein als unrichtig erweist, ausser das Gesetz oder die Rechtssicherheit ständen entgegen. Für Entscheide betreffend die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wiederholt
Art. 120 ZPO
diese Regel und bestimmt, dass das Gericht die unentgeltliche Rechtspflege
entzieht
, wenn der Anspruch darauf nicht mehr besteht oder nie bestanden hat. Dieser Entzug erfolgt grundsätzlich nur für die Zukunft (Urteil 5A_305/2013 vom 19. August 2013 E. 3.3 m.H. auf die Botschaft zur ZPO).
3.2
Die Vorinstanz hat sich bei ihrer Beurteilung auf
Art. 120 ZPO
gestützt und in Anlehnung an BÜHLER (a.a.O., N. 9 zu
Art. 120 ZPO
) erwogen, dass sich der Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege nach derselben Interessenabwägung richte wie der Widerruf von verwaltungsrechtlichen Verfügungen über Dauerleistungen. Somit sei das Interesse an der richtigen Anwendung des objektiven Rechts dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz gegenüber zu stellen und je nachdem, welches Interesse überwiegt, die Rechtmässigkeit eines Widerrufs zu bejahen oder nicht. Der Vertrauensschutz verlange, dass ein Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege grundsätzlich nur mit Wirkung
ex nunc et pro futuro
erfolgen könne. Beim Honoraranspruch des unentgeltlichen Rechtsvertreters sei zu beachten, dass dieser sich für die in der Vergangenheit liegenden Aufwendungen auf das gerichtlich erteilte Mandat verlassen könne. Jedoch habe er keinen Anspruch auf Weiterführung des Mandats auf Kosten der Gerichtskasse, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind.
Die Vorinstanz nahm sodann Bezug auf
BGE 140 III 12
, in dem das Bundesgericht erkannte, dass in einem Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. Sie kam zum Schluss, dass aufgrund dieses Leitentscheids feststehe, dass der Beschwerdeführer gar nie über einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verfügt habe und sich deren Bewilligung
BGE 141 I 241 S. 245
für ein Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
daher als offensichtlich unrichtig erweise. Es liege damit ein Anwendungsfall von
Art. 120 ZPO
vor. Dem Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege stünden keine Vertrauensinteressen entgegen, da die bisherigen Aufwendungen des unentgeltlichen Rechtsvertreters durch einen Entzug
ex
nunc
nicht tangiert würden. Dem Beschwerdeführer entstünden auch keine Nachteile, da die Gerichtskosten des bisherigen Verfahrens ausser Ansatz fielen.
3.3
Der Beschwerdeführer vermag diese zutreffenden Erwägungen nicht als verfassungswidrig auszuweisen:
3.3.1
In
BGE 140 III 12
hat das Bundesgericht erkannt, dass Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der unentgeltlichen Rechtspflege fallen. Dabei handelt es sich - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht um eine Praxisänderung, sondern um eine erstmalige Beurteilung der Frage, ob Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
überhaupt in den erwähnten Geltungsbereich fallen. Das Bundesgericht erwog dabei namentlich, dass sich die Aufgabe des Staates darauf beschränkt, den Einzelnen dann (finanziell) zu unterstützen, wenn er ohne diese Unterstützung eines Rechts verlustig ginge oder sich gegen einen als unzulässig erachteten Eingriff nicht wehren könnte. Da es in einem vorsorglichen Beweisverfahren indessen gerade nicht um die Beurteilung materiellrechtlicher Rechte und Pflichten geht und dem Gesuchsteller damit kein Rechtsverlust droht, fällt die Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege für ein vorsorgliches Beweisführungsverfahren ausser Betracht (
BGE 140 III 12
E. 3.3.1 und 3.3.4).
Die Rechtsprechung, wonach unentgeltliche Rechtspflege nur in Verfahren gewährt wird, in denen ein Rechtsverlust droht, galt bereits im Zeitpunkt der Verfügung des Einzelgerichts Audienz vom 3. Oktober 2011 (vgl.
BGE 121 I 314
E. 3b S. 317;
BGE 135 I 102
E. 3.2.3 S. 105). Da also im Zeitraum vor dem Ergehen von
BGE 140 III 12
weder eine andere Praxis geschweige denn eine andere Rechtslage galt, erweist sich nun im Nachhinein, dass auch dem Beschwerdeführer kein unentgeltlicher Rechtsvertreter hätte beigeordnet werden dürfen. Ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat bereits im Zeitpunkt der Verfügung des Einzelgerichts Audienz vom 3. Oktober 2011 gar nicht bestanden. Es liegt damit ein Anwendungsfall von
Art. 256 Abs. 2 ZPO
bzw.
Art. 120 ZPO
vor.
BGE 141 I 241 S. 246
3.3.2
Mit seinen Rügen zielt der Beschwerdeführer an der Sache vorbei. Ein Verstoss gegen das Rückwirkungsverbot, den Vertrauensgrundsatz, das Prinzip der Verfahrensfairness oder den "Grundsatz der Rechtssicherheit" liegt nicht vor, haben doch die Zürcher Instanzen den Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege nicht
ex tunc
, sondern
ex nunc
, d.h.
pro futuro
angeordnet. Dass das Bundesgericht dem Beschwerdeführer im Urteil 4A_322/2012 vom 21. Februar 2013 ein schutzwürdiges Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung zugebilligt hat, steht einem Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege ebenfalls nicht entgegen. Im genannten Urteil wurde zwar entschieden, dass die Voraussetzungen einer vorsorglichen Beweisführung gegeben sind; hingegen wurde dem Beschwerdeführer in keiner Weise zugesichert, dass er diese auch kostenlos, d.h. auf Kosten der Allgemeinheit erhält. Mit der Verfügung 4A_359/2014 vom 16. September 2014 hat das Bundesgericht dem Beschwerdeführer sodann in einem weiteren Beschwerdeverfahren zur vorliegenden Streitsache ausdrücklich beschieden, dass er für eine vorsorgliche Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
keinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege habe.
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, ein Entzug sei nur bei "offensichtlicher Unrichtigkeit" der Verfügung vom 3. Oktober 2011 möglich, so ist ihm entgegenzuhalten, dass deren Unrichtigkeit nach dem Leitentscheid
BGE 140 III 12
klarer gar nicht ins Auge springen könnte. Mit seiner Kritik am Widerruf der unentgeltlichen Rechtspflege scheint der Beschwerdeführer generell übersehen zu wollen, dass der Gesetzgeber mit
Art. 120 ZPO
bzw.
Art. 256 Abs. 2 ZPO
nun einmal die Möglichkeit vorgesehen hat, die unentgeltliche Rechtspflege nachträglich zu entziehen, und deren Bewilligung somit nie die Bestandessicherheit formeller Rechtskraft zukommt.
4.
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Verfügung vom 3. Oktober 2011 entspreche den "Vorgaben der Verfassung" und bleibe "somit rechtmässig"; ihr Widerruf sei unzulässig. Damit sowie mit seinen weiteren, sich mehrfach wiederholenden Rügen, die er auf den S. 9-44 seiner Beschwerdeschrift vorträgt, übt der Beschwerdeführer in der Sache weniger Kritik am angefochtenen Entscheid, als vielmehr an der mit
BGE 140 III 12
eingeschlagenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, auf die sich die Zürcher Instanzen bei ihren Entscheiden gestützt haben:
4.1
Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Rechtsweggarantie nach
Art. 29a BV
rügt, ist seine Rüge von vornherein
BGE 141 I 241 S. 247
erfolglos. Gemäss dem ersten Satz dieser Norm hat zwar jede Person bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde. Das Bundesgericht hat jedoch klargestellt, dass sich daraus gerade kein Recht auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt (
BGE 128 I 237
E. 3 S. 239; Urteil 2C_959/2012 vom 4. Oktober 2012 E. 2). Der Beschwerdeführer geht also fehl, wenn er aus
Art. 29a BV
einen kostenlosen Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren ableiten will, wobei offenbleiben kann, ob dieses Verfahren überhaupt in den sachlichen Anwendungsbereich von
Art. 29a BV
fällt.
4.2
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Rechtsprechung von
BGE 140 III 12
und ihre Anwendung im vorliegenden Fall bedeute eine Verletzung seines Rechts auf Zugang zum Gericht, auf unentgeltliche Rechtspflege und Waffengleichheit gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
.
4.2.1
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gibt jedermann ein Recht darauf, in Bezug auf zivilrechtliche Streitigkeiten von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört zu werden.
Gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt sich aus dem Recht auf ein Gericht ("right to a court") namentlich ein Recht auf
Zugang zu einem Gericht
("right of access"; Urteil des EGMR
Golder gegen das Vereinigte Königreich
vom 21. Februar 1975 [Nr. 4451/70] § 36).Dieses Recht ist indessen nicht absolut, sondern kann Einschränkungen unterworfen sein, sofern es nicht geradezu in seinem Wesensgehalt ("dans sa substance même") betroffen wird (Urteil des EGMR
Moor gegen die Schweiz
vom 11. März 2014[Nr. 52067/10 und 41072/11] § 71 m.w.H; vgl. auch Urteil des EGMR
Philis gegen Griechenland
vom 27. August 1991 [Nr. 12750/87, 13780/88 und 14003/88] § 59 ["very essence ofthe right"]).
Aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
lässt sich namentlich kein Recht auf ein Verfahren betreffend die
Anordnung vorsorglicher Massnahmen
ableiten. Nach der Rechtsprechung des EGMR findet
Art. 6 EMRK
nämlich grundsätzlich keine Anwendung auf vorsorgliche Massnahmeverfahren, bei denen kein Urteil in der Sache ergeht ("no decision on the merits of the case"; Urteile des EGMR
Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich
vom 16. Januar 2003 [Nr.62763/00] § 2;
Libert gegen Belgien
vom 8. Juli 2004 [Nr. 44734/98] § 1b["(...)cette disposition ne s'applique pas à une procédure dans laquelle ne peuvent être prises que des mesures préliminaires ou provisoires qui
BGE 141 I 241 S. 248
n'affectent pas le fond de l'affaire ou dans laquelle il n'est pas tranché une contestation"]).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
findet nur Anwendung auf Verfahren, in denen über zivilrechtliche Ansprüche und Pflichten in verbindlicher Weise abgesprochen wird ("proceedings determining civil rights and obligations"; "procédures portant sur des droits ou obligations de caractère civil"); ausnahmsweise ist
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
daher immerhin auch in jenen Massnahmeverfahren zu beachten, in denen - für eine beschränkte Zeit - über genau jenes Recht in verbindlicher Weise geurteilt wird, über das anschliessend auch im Hauptverfahren zu urteilen ist ("mesure déterminante pour le droit ou l'obligation de caractère civil en jeu, quelle que soit la durée pendant laquelle elle a été en vigueur"; Urteil des EGMR
Micallef gegen Malta
vom 15. Oktober 2009 [Nr. 17056/06] § 83 ff.).
4.2.2
Während
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
für Strafverfahren ein Recht auf unentgeltliche Verbeiständung vorsieht, lässt sich aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
für zivilrechtliche Streitigkeiten kein entsprechendes Recht auf unentgeltliche Rechtspflege ableiten (Urteil des EGMR
Airey gegen Irland
vom 9. Oktober 1979 [Nr. 6289/73] § 26).Nach der Rechtsprechung des EGMR gibt es einen klaren Unterschied zwischen dem
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, welch letzterer gerade keinen Hinweis auf Prozesskostenhilfe enthält (Urteil des EGMR
Essaadi gegen Frankreich
vom 4. September 2002 [Nr. 49384/99] § 30["La Cour souligne d'emblée que la Convention n'oblige pas à accorder l'aide judiciaire dans toutes les contestations en matière civile. En effet, il y a une nette distinction entre les termes de l'article 6 § 3 c), qui garantit le droit à l'aide judiciaire gratuite sous certaines conditions dans les procédures pénales, et ceux de l'article 6 § 1, qui ne renvoie pas du tout à l'aide judiciaire"]).
4.2.3
Mit dem Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
, auf das die Bestimmungen über die vorsorglichen Massnahmen anwendbar sind (
Art. 158 Abs. 2 ZPO
), hat der schweizerische Gesetzgeber den Rechtssuchenden ein Instrument an die Hand gegeben, damit sie ihre Beweischancen in einem allenfalls einzuleitenden Prozess im Voraus abklären können. Im Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
geht es nur um die Gewinnung von Informationen in Form von potentiellen Beweismitteln, die dem Rechtssuchenden bei seiner Entschlussfassung helfen sollen, ob er das Kostenrisiko eines Hauptprozesses eingehen und einen solchen
BGE 141 I 241 S. 249
tatsächlich einleiten will. Es handelt sich mithin um ein Hilfsverfahren im Hinblick auf ein allfälliges Hauptverfahren (
BGE 140 III 12
E. 3.3 S. 12). In diesem Hilfsverfahren stehen noch keine materiellrechtlichen Rechte oder Pflichten zur Beurteilung; das Gericht beurteilt die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klagebegehren nicht und würdigt auch das vorsorglich erhobene Beweismittel nicht. Der gesuchstellenden Partei steht - wenn das Verfahren der vorsorglichen Beweisführung durchgeführt wurde - lediglich ein gerichtlich erhobenes Beweismittel zur Verfügung, das ihr ermöglichen soll, die Nutzlosigkeit einer Klage zu erkennen, oder beiden Parteien eine vergleichsweise Regelung der Streitsache erleichtern soll (
BGE 140 III 12
E. 3.3.3 S. 13 f.).
4.2.4
Aus der Natur des vorsorglichen Beweisverfahrens ergibt sich, dass es sich dabei um ein Massnahmeverfahren handelt, auf das
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gemäss der Strassburger Rechtsprechung keine Anwendung findet. Es handelt sich nicht um "proceedings determining civil rights and obligations" und auch nicht um eine (zeitlich beschränkte) "mesure déterminante pour le droit ou l'obligation de caractère civil en jeu" (oben E. 3.2.1); es geht also nicht um die Beurteilung von zivilrechtlichen Ansprüchen und Pflichten, auch nicht um eine bloss vorübergehende, sondern ausschliesslich um die
Erhebung von Beweismitteln
vor einem allfälligen Hauptverfahren, mit welcher der gesuchstellenden Partei die Entschlussfassung erleichtert werden soll, ob sie das Kostenrisiko des Hauptverfahrens überhaupt eingehen will. Aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ergibt sich mithin kein Recht auf Zugang auf das Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
. Ebenso wenig lässt sich aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ein genereller Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ableiten. Der Beschwerdeführer geht damit fehl, wenn er sich gestützt auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
einen kostenfreien Zugang zum vorsorglichen Beweisverfahren verschaffen will. Auch seine Hinweise auf den aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
abgeleiteten Anspruch auf Waffengleichheit zielen ins Leere, da diese Norm auf das vorsorgliche Beweisführungsverfahren gar keine Anwendung findet.
4.2.5
Mit seiner Rüge, der vorliegend zur Beurteilung stehende Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege durch die Zürcher Instanzen verstosse gegen
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, scheint der Beschwerdeführer sodann ohnehin den Unterschied zwischen dem vorsorglichen Beweisführungsverfahren und dem eigentlichen Hauptverfahren übersehen
BGE 141 I 241 S. 250
zu wollen. Der Zugang zu letzterem, bei dem es um die Beurteilung von materiellrechtlichen Rechten und Pflichten geht und für das er gestützt auf
Art. 116 ff. ZPO
bzw.
Art. 29 Abs. 3 BV
auch die unentgeltliche Rechtspflege beantragen kann, steht dem Beschwerdeführer nämlich ohne Weiteres offen. Die schweizerische Rechtsordnung sieht mithin für die zivilrechtliche Streitigkeit zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin durchaus eine wirksame Möglichkeit vor, Rechtsschutz zu erhalten. Von einem Verstoss gegen Konventionsrecht kann keine Rede sein.
4.3
Der Beschwerdeführer rügt weiter einen Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 8 BV
bzw.
Art. 14 EMRK
. Er macht geltend, mit dem Ausschluss des Verfahrens nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
aus dem Anwendungsbereich der unentgeltlichen Rechtspflege stehe dieses Instrument nur noch Vermögenden zur Verfügung, während Mittellose hierzu keinen Zugang hätten. Darin liege eine unzulässige Ungleichbehandlung bzw. sogar eine Diskriminierung, da die Ungleichbehandlung an das Merkmal der sozialen Stellung anknüpfe und die Gruppe der "Menschen ohne hinreichendes Vermögen" vom vorsorglichen Beweisführungsverfahren ausschliesse.
4.3.1
Dem in
Art. 14 EMRK
verankerten Diskriminierungsverbot kommt kein selbständiger Charakter zu; vielmehr setzt diese Bestimmung die Anwendbarkeit einer anderen Grundrechtsgarantie der EMRK voraus (
BGE 134 I 257
E. 3 S. 260;
BGE 130 II 137
E. 4.2 S. 146; je mit Hinweisen). Da
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
keinen kostenlosen Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren verbürgt und der Beschwerdeführer auch keine andere Norm der EMRK nennt, die durch das angefochtene Urteil verletzt worden sein könnte, stösst die Rüge der Verletzung von
Art. 14 EMRK
von vornherein ins Leere.
4.3.2
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich (
Art. 8 Abs. 1 BV
). Niemand darf diskriminiert werden, namentlich u.a. nicht wegen der sozialen Stellung (
Art. 8 Abs. 2 BV
). Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteiligung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen (
BGE 135 I 49
E. 4.1). Die Verfassungsbestimmung fällt allgemein in Betracht, wenn eine mehr oder
BGE 141 I 241 S. 251
weniger bestimmbare Gruppe von gesellschaftlicher Herabwürdigung und Abwertung oder Ausgrenzung nach stereotypen Vorurteilen bedroht ist (
BGE 135 I 49
E. 4.2).
Das Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
schliesst indes die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal - wie beispielsweise die soziale Stellung - nicht absolut aus. Eine solche begründet zunächst lediglich den blossen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung. Diese kann indes durch eine qualifizierte Rechtfertigung umgestossen werden. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützten Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (
BGE 135 I 49
E. 4.1;
BGE 126 II 377
E. 6 S. 392;
BGE 134 I 49
E. 3 S. 53;
BGE 132 I 49
E. 8.1 S. 65,
BGE 129 I 167
E. 3 S. 169;
BGE 129 I 217
E. 2.1 S. 223,
BGE 129 I 392
E. 3.2.2 S. 397;
BGE 126 V 70
E. 4c/bb S. 73).
4.3.3
Es trifft zu, dass von einem vorsorglichen Beweisführungsverfahren faktisch ausgeschlossen bleibt, wer die dazu notwendigen Beweisführungskosten nicht vorschiessen kann. Ob dieser Umstand damit das Diskriminierungsverbot nach
Art. 8 Abs. 2 BV
tangiert, ist jedoch bereits im Ansatz fraglich. Wäre die Gruppe der "Menschen ohne hinreichendes Vermögen", zu denen sich der Beschwerdeführer zählt, nämlich generell als solche i.S.v.
Art. 8 Abs. 2 BV
zu qualifizieren, hätte dies die fragwürdige Konsequenz, dass nahezu jede entgeltliche staatliche Leistung das Diskriminierungsverbot tangieren könnte. Zu Recht wird in der Lehre denn auch darauf hingewiesen, dass das Diskriminierungsverbot sich nicht auf die Einebnung tatsächlich vorhandener Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet (BERNHARD WALDMANN, Das Diskriminierungsverbot von
Art. 8 Abs. 2 BV
als besonderer Gleichheitssatz, 2003, S. 756).
4.3.4
Die Frage braucht aber nicht vertieft zu werden. Denn der Beschwerdeführer wird als (angeblich) Mittelloser nicht ungleich behandelt und schon gar nicht diskriminiert, nur weil ihm kein kostenloser Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren gewährt wird. Er und andere Personen in vergleichbarer wirtschaftlicher Situation sind dadurch nicht von gesellschaftlicher Herabwürdigung und Abwertung oder Ausgrenzung nach stereotypen Vorurteilen bedroht. Der Beschwerdeführer wird auch nicht besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre.
BGE 141 I 241 S. 252
Denn wie oben ausgeführt, dient das Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
nicht der Beurteilung von materiellrechtlichen Rechten und Pflichten, sondern lediglich der Gewinnung von Informationen in Form von potentiellen Beweismitteln, die dem Rechtssuchenden bei seiner Entschlussfassung helfen können, ob er das Kostenrisiko eines Prozesses eingehen und einen solchen tatsächlich einleiten will. Eine Person, deren Vermögen für einen Prozess grundsätzlich ausreicht, ist auf solche Informationen angewiesen, da sie bei einem Misserfolg des Hauptprozesses vollumfänglich für die Prozesskosten aufzukommen hat (
Art. 106 Abs. 1 ZPO
). Demgegenüber ist eine Person, die nicht über die für eine Prozessführung erforderlichen Mittel verfügt (
Art. 117 lit. a ZPO
), auf diese Informationen gerade viel weniger angewiesen, kann sie doch ohne Risiko, auf den Gerichtskosten sitzen zu bleiben, ein Hauptverfahren einleiten. Wenn ihr Begehren nicht geradezu aussichtslos ist (
Art. 117 lit. b ZPO
), sich also Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese (
BGE 140 V 521
E. 9.1 S. 537), kann eine bedürftige Person ein Klageverfahren einleiten, wobei die Gerichtskosten selbst dann vom Staat getragen werden, wenn die Klage abgewiesen wird. Eine Person, die über die zur Prozessführung erforderlichen Mittel verfügt, ist demgegenüber einem Kostenrisiko ausgesetzt. Mit einem vorsorglichen Beweisführungsverfahren kann ihr deshalb immerhin ermöglicht werden, ihre Prozesschancen besser abzuklären, um ein Verfahren erst dann einzuleiten, wenn sich die Gewinnaussichten und Verlustgefahren nicht nur ungefähr die Waage halten, sondern jene diese klar überwiegen.
Der Beschwerdeführer wird nicht diskriminiert, wenn ihm für das Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
ein Kostenvorschuss auferlegt wird: Ihm steht offen, sogleich ein Hauptverfahren einzuleiten und hierfür die unentgeltliche Rechtspflege zu beantragen. Soweit der Beschwerdeführer aus einer ganzen Kaskade von völkerrechtlichen Verpflichtungen und Rechten der Schweizerischen Bundesverfassung einen Anspruch auf weitgehend risikoloses Prozessieren auf Kosten der Allgemeinheit ableiten will, kann ihm damit kein Erfolg beschieden sein.