Urteilskopf
142 V 94
11. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Gemeinde Nottwil (Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
9C_235/2015 vom 17. Dezember 2015
Regeste
Art. 25a Abs. 5 KVG
; Restfinanzierung der Pflegekosten.
Eine freiberufliche Pflegefachperson erbrachte nach einer Reduktion des von der öffentlichen Hand zu tragenden Restfinanzierungsbeitrages weiterhin Leistungen. Sie war aus diesem Grund im kantonalen Verfahren beschwerdelegitimiert. Da es sich um eine konkrete, nicht um eine abstrakte (Leistungs-)Streitigkeit handelt, ist die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts für die Behandlung der letztinstanzlichen Beschwerde zuständig (E. 1).
Eine kantonale Regelung, wonach die Gemeinden höchstens den für Vertragsleistungserbringer geltenden Restfinanzierungsbeitrag zu übernehmen haben, wenn und soweit diese geeignete Pflegeleistungen anbieten, hält sich innerhalb der den Kantonen in
Art. 25a Abs. 5 KVG
übertragenen Regelungskompetenz (E. 5.3).
A.
A. stellte ihre als freiberufliche Pflegefachfrau unter anderem in der Gemeinde Nottwil erbrachten ambulanten Pflegeleistungen der Gemeinde jeweils gemäss den Stundenansätzen des Verbandes der Luzerner Gemeinden (VLG) in Rechnung. Die Gemeinde Nottwil hatte mit dem Verein Spitex Buttisholz/Nottwil, nicht aber mit A. eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Am 8. April 2013 teilte der Gemeinderat Nottwil A. im Wesentlichen mit, für Pflegeleistungen während der Zeiten, welche auch durch die Spitex Buttisholz/Nottwil abgedeckt werden, stehe ihr (grundsätzlich) nicht mehr der vom VLG vorgeschlagene Tarif zu (Abklärung und Beratung: Fr. 120.- pro Stunde; Behandlungspflege: Fr. 100.- pro Stunde; Grundpflege: Fr. 90.- pro Stunde), sondern nurmehr der tiefere Betrag, welcher der Spitex ausbezahlt werde (Abklärung und Beratung: Fr. 115.- pro Stunde; Behandlungspflege: Fr. 93.- pro Stunde; Grundpflege: Fr. 82.- pro Stunde). Eine dagegen erhobene Einsprache von A. wies die Gemeinde Nottwil am 1. Juli 2013 ab.
B.
Das Kantonsgericht des Kantons Luzern wies die Beschwerde von A. nach Durchführung eines doppelten Schriftenwechsels mit Entscheid vom 4. März 2015 ab.
C.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und unter Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragen, die Gemeinde Nottwil sei zu verpflichten, "die Restfinanzierung für die von ihr in der Gemeinde Nottwil geleisteten Stunden gemäss den Empfehlungen des VLG zu entschädigen".
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung und beantragt unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde Nottwil reicht keine Stellungnahme ein.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
1.1
Die Restfinanzierung im Bereich der Pflegekosten betrifft eine Leistung, die nicht von der obligatorischen Krankenversicherung getragen wird. Es fragt sich daher, ob die Zuständigkeit zur Behandlung der Beschwerde bei der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts liegt (Art. 35 lit. d des Reglements vom 20. November 2006 für das Bundesgericht [BGerR; SR 173.110.131]) oder bei der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung (Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 14 BGerR).
BGE 142 V 94 S. 96
1.2
Für die Zuteilung eines Geschäfts an eine Abteilung des Bundesgerichts ist die Rechtsfrage massgeblich, auf der das Schwergewicht der Entscheidung liegt, wobei von der reglementarischen Geschäftsverteilung im Einzelfall aufgrund der Natur des Geschäfts und seiner Konnexität mit anderen Geschäften abgewichen werden kann. Vorausgesetzt wird eine Einigung der Präsidenten und Präsidentinnen der betroffenen Abteilungen (
Art. 36 Abs. 1 und 2 BGerR
). Eine solche wurde im
BGE 138 II 398
zu Grunde liegenden Verfahren in dem Sinne erzielt, als Streitigkeiten nach Eintritt eines Leistungsfalles in die Zuständigkeit der II. sozialrechtlichen Abteilung fallen, wenn - allenfalls nur im Hintergrund - sozialversicherungsrechtliche Leistungen umstritten sind, wozu auch die kantonale Restfinanzierung der Pflegekosten gehört. Die übrigen - abstrakten - spital- und pflege(finanzierungs)rechtlichen Streitigkeiten sind als Angelegenheiten des öffentlichen Gesundheitsrechts von der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung zu beurteilen (
BGE 138 V 377
E. 2.2 S. 379). Die Beschwerdeführerin hat offensichtlich auch nach der Reduktion des Gemeindebeitrages ab 1. Mai 2013 Pflegeleistungen in der Gemeinde Nottwil erbracht, ansonsten bereits im kantonalen Verfahren keine Beschwerdelegitimation bestanden hätte. Damit handelt es sich nicht um eine abstrakte Streitigkeit, weshalb die II. sozialrechtliche Abteilung zuständig und auf die Beschwerde einzutreten ist.
1.3
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (
Art. 95 lit. a BGG
). Soweit sich der angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht in
Art. 95 lit. c-e BGG
genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch das Bundesgericht inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des kantonalen Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht dabei eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte (
BGE 133 I 201
E. 1 S. 203 mit Hinweisen).
2.
Streitig ist der Restfinanzierungsbeitrag der Beschwerdegegnerin. Das Bundesgericht hat nur zu prüfen, ob die Pflegetarife der Beschwerdegegnerin die bundesrechtlichen Vorgaben gemäss
Art. 25a Abs. 5 KVG
einhalten (vorangehende E. 1.3).
2.1
Die Vorinstanz legte die Rechtsgrundlagen für die Restfinanzierungspflicht (
Art. 25a Abs. 5 KVG
und § 6 ff. des Gesetzes des Kantons Luzern vom 13. September 2010 über die Finanzierung der Pflegeleistungen der Krankenversicherung
BGE 142 V 94 S. 97
[Pflegefinanzierungsgesetz, PFG; SRL 867]) zutreffend dar. Das Gericht erwog zunächst, die gesetzlich verankerte Wahlfreiheit bezüglich Leistungserbringer sei in der Gemeinde Nottwil mit der unterschiedlichen Tariffestsetzung je nach Tages- bzw. Nachtzeit nicht eingeschränkt. Die Wahl einer freiberuflichen Pflegefachperson bewirke für die versicherte Person unter Berücksichtigung der auf 20 % des höchsten vom Bundesrat festgelegten Pflegebeitrags begrenzten Kostenbeteiligung keine Mehrkosten. Weiter greife der unterschiedliche Tarif auch nicht in die Wirtschaftsfreiheit der freiberuflichen Pflegefachpersonen ein. Diese besässen keine Tarifgarantie, "um praktisch konkurrenzlos ihre Leistungen zu erbringen". Dies entspräche gerade nicht dem Sinn des freien Wettbewerbs. Weder Bundes- noch kantonales Recht schlössen die Möglichkeit verschiedener, von der Tages- und Nachtzeit abhängiger Tarife aus. Dass die Beschwerdeführerin nurmehr ausserhalb der "Spitex-Zeiten" zu den höheren Tarifen des VLG abrechnen könne, sei wettbewerbspolitisch nicht zu beanstanden.
Der Gemeinderat habe - im Rahmen seiner Kompetenz - ausdrücklich auch Pflegetarife für die Zeiten ausserhalb der von der Spitex geleisteten Einsatzzeiten festgelegt. Die Rüge, mit der unterschiedlichen Tariffestsetzung sei eine ausreichende Pflege in der Gemeinde nicht mehr gewährleistet, sei somit unbegründet. Schliesslich mache die Beschwerdeführerin zwar geltend, der Restfinanzierungsbeitrag müsse höher sein als der VLG-Tarif. Sie erbringe jedoch keinen Beweis für die ihr entstehenden höheren Kosten. Ohnehin wären höhere Tarife zwischen Leistungserbringern und VLG auszuhandeln und könnten nicht im Einzelverfahren durch Richterspruch festgelegt werden. Ein über dem für Vertragsleistungserbringer gültiger Beitrag könne nur entrichtet werden, wenn die Wohnsitzgemeinde der anspruchsberechtigten Person keine geeigneten Pflegeleistungen bei einem Vertragsleistungserbringer anbieten könne. Dies sei aktenmässig nicht ausgewiesen und werde auch von keiner Partei behauptet.
2.2
Die Beschwerdeführerin rügt, wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren, eine Verletzung ihres Anspruches auf Ersatz der Vollkosten (gemäss
Art. 25a Abs. 5 Satz 2 KVG
). Überdies verletze die vorinstanzlich geschützte Regelung der Beschwerdegegnerin auch die bundesrechtliche Vorgabe, wonach Kantone und Gemeinden eine umfassende Gewährung der Pflegeleistungen zu Hause sicherstellen müssen. Die Beschwerdegegnerin habe einzig mit der Spitex Buttisholz/Nottwil eine Vereinbarung abgeschlossen. Weil diese
BGE 142 V 94 S. 98
lediglich eingeschränkte Betriebszeiten habe, könne von einer Sicherstellung der umfassenden Grundversorgung keine Rede sein. Die äusserst günstigen Tarife der Spitex Buttisholz/Nottwil seien nur möglich, weil sie während der höher zu entschädigenden Rand- und Nachtstunden keine Leistungen erbringe. Die Vollkosten der freiberuflich Pflegenden seien durch die tiefen Tarife bei weitem nicht gedeckt.
Im Sinne eines Eventualantrages müssten zumindest die ausserhalb der Spitex-Öffnungszeiten erbrachten Leistungen höher entschädigt werden als zum VLG-Tarif. Die Vollkostenrechnung nach dem Finanzmanual des Spitex-Verbandes Schweiz als Grundlage der Empfehlungen des VLG basiere auf einer Durchschnittsberechnung zwischen "normalen" Öffnungszeiten und höher zu entschädigenden Randzeiten. Die Restkosten seien daher gestützt auf eine Vollkostenrechnung bezogen auf die Zeiten ausserhalb des Spitex-Betriebes zu erstatten. Soweit die Vorinstanz eine eingehende Prüfung der Vollkostenrechnung im Einzelfall von vornherein als zwecklos erachtet und darauf verzichtet habe, habe sie in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht verletzt. Ohne vorgängige Ermittlung der spezifischen Kosten ausserhalb der Spitex-Betriebszeiten könnten die Empfehlungen des VLG nicht als ein in der kantonalen Legiferierungskompetenz liegender Pauschalentschädigungsansatz gesehen werden. Die für freiberufliche Pflegefachleute nicht kostendeckenden Tarife der Spitex Buttisholz/Nottwil führten dazu, dass freiberufliche Pflegefachpersonen während der Spitex-Zeiten keine Leistungen mehr anbieten und Anfragen von Klienten für diese Zeit abweisen würden, was die Wahlfreiheit faktisch aufhebe. Patienten in Nottwil, die ausserhalb der Spitex-Zeiten Pflege benötigten, müssten sowohl mit der Spitex als auch mit privaten Pflegefachpersonen zusammenarbeiten, was unnötigen administrativen Aufwand und unzumutbare Wechsel der Pflegenden bedinge. Für solche Patienten könne die Beschwerdegegnerin keine "geeigneten Pflegeleistungen" anbieten, weshalb nach
§ 8 Abs. 2 PFG
die gesamten Leistungen nach den Empfehlungen des VLG zu entschädigen seien.
3.1
Seit Inkrafttreten der Neuordnung der Pflegefinanzierung am 1. Januar 2011 leistet einerseits die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) einen Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant oder im Pflegeheim erbracht werden (
Art. 25a
BGE 142 V 94 S. 99
Abs. 1 KVG
). Anderseits haben sich sowohl die Versicherten als auch die öffentliche Hand an den Pflegekosten zu beteiligen. Die Modalitäten der Restfinanzierung der Pflegekosten regeln die Kantone (
Art. 25a Abs. 5 Satz 2 KVG
;
BGE 138 V 377
E. 5.1 S. 381), wobei diese kantonale Zuständigkeit nichts daran ändert, dass der grundsätzliche Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Pflegekosten durch die öffentliche Hand (Kanton oder Gemeinden) bundesrechtlicher Natur ist (
BGE 140 V 58
E. 4.1 S. 62). Leistungserbringer sind - je nach kantonaler Regelung - Kantone oder Gemeinden, also Personen öffentlichen Rechts, die grundsätzlich nicht dem KVG unterstellt sind, da sie ihre Leistungen nicht zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen (
BGE 140 V 563
E. 2.2 S. 566).
3.2
Bislang fehlt eine genauere bundesrechtliche Regelung der Restfinanzierung ungedeckter Pflegekosten. Auch den Materialien lässt sich nichts Erhellendes entnehmen. Der Verweis auf die kantonale Zuständigkeit kam erst durch den Ständerat in das Gesetz über die Pflegefinanzierung (Votum Forster-Vannini, AB 2007 S 777; vgl. auch AB 2007 N 1785 f.). Das Bundesgericht hat in mehreren Urteilen präzisiert, den Kantonen stehe in der konkreten Ausgestaltung der Restfinanzierung ein weiter Ermessensspielraum zu. So könnten sie beispielsweise die Gemeinden damit beauftragen, den Leistungserbringern Auflagen zu erteilen oder Pauschaltarife festzulegen (
BGE 138 I 410
E. 4.3 mit Hinweisen; Urteil 2C_728/2011 vom 23. Dezember 2011 E. 3.6). Die Kantone haben in Ausübung der ihnen übertragenen Kompetenzen die Restfinanzierung der ungedeckten Pflegekosten denn auch unterschiedlich umgesetzt. Nicht nur bezüglich der Zuständigkeit (welche meist beim Kanton liegt, teilweise - insbesondere im Kanton Luzern - aber auch an die Gemeinden delegiert wurde) und der Finanzierungslösungen (z.B. Defizitgarantie, Bestimmung eines Kostenmaximums, Globalbudget, leistungsbezogene Abgeltung pro Pflegestunde; vgl. Zusammenstellung des Spitex-Verbandes Schweiz vom Mai 2011, abrufbar unter
www.spitex.ch
), sondern insbesondere bei der Festlegung der Höchstgrenze der Beiträge der öffentlichen Hand an die Kosten für ambulante Pflege (sogenannte Normkosten; vgl. erläuternder Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates [SGK-SR] vom 1. September 2015 zur Parlamentarischen Initiative Nachbesserung der Pflegefinanzierung, Datenbank Curia Vista Nr. 14.417, Ziff. 2.4.3 S. 15; ROSENKRANZ/MEIERHANS,
BGE 142 V 94 S. 100
Defizite bei der Umsetzung der Pflegekostengrenze, Pflegerecht 2/2013 S. 76 ff., 77) bestehen beträchtliche Differenzen (vgl. Spitex-Verband Schweiz, Pflegefinanzierung in den Kantonen - Ambulante Pflege, S. 3, abrufbar unter
www.spitex.ch
).
3.3
Ein im Auftrag der beiden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit von National- und Ständerat verfasster erläuternder Bericht des Bundesamtes für Gesundheit vom 3. Oktober 2013 ortete nach Umfragen bei Kantonen und involvierten Organisationen Umsetzungsschwierigkeiten und gesetzgeberischen Klärungsbedarf vor allem bei der Finanzierung der ausserkantonalen Pflege und bei der von den Kantonen unterschiedlich geregelten Restfinanzierung und zeigte ebenfalls, dass namentlich die ambulanten Leistungserbringer eine einheitliche bundesrechtliche Regelung der Restfinanzierung wünschen (Bericht, S. 17 f. ). Die Restfinanzierung sei kantonsspezifisch umgesetzt worden und interkantonal kaum koordiniert. Der im Rahmen dieser Untersuchung befragte Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) bemängelte vorrangig die unklare Definition der Restfinanzierung im Bundesgesetz und wies auf "unerträgliche Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten" für freiberufliche Pflegefachpersonen hin. Teilweise könnten die kantonalen Restfinanzierungen nur auf dem Rechtsweg durchgesetzt werden (Anhang D 1 S. 2). Auf die Frage, welche hauptsächlichen Auswirkungen die kantonalen Ausführungsbestimmungen auf die Leistungserbringer hätten (Anhang D 2 S. 3), hielt der SBK in erster Linie fest, es bestünden zwischen öffentlicher Spitex und freiberuflichen Pflegefachpersonen in Kantonen und Gemeinden mit wenigen Ausnahmen grosse Ungerechtigkeiten. Trotz ausgewiesener Vollkostenrechnung beruhe die Restfinanzierung bei freiberuflichen Pflegefachpersonen auf dem "Goodwill" der Kantone und Gemeinden, was den Vollkosten nicht gerecht werde. Zwischen den Kantonen existierten eklatante Unterschiede.
Damit wird deutlich, dass die derzeitige Rechtslage in Bezug auf die kantonale Restkostenfinanzierung namentlich von den freiberuflichen Pflegefachpersonen als unbefriedigend und kompliziert, teilweise gar als unbillig empfunden wird. Es wird denn auch gefordert,
Art. 25a Abs. 5 KVG
sei in dem Sinn zu präzisieren, dass zum einen die Kantone zu verpflichten seien, sämtliche auf ihrem Gebiet anfallenden ausgewiesenen Restkosten für Pflegeleistungen vollumfänglich zu übernehmen, und zum andern der Bundesrat einheitliche Kriterien zur Festsetzung der Vollkosten wie auch zur Finanzierung
BGE 142 V 94 S. 101
der Versorgungspflicht in der ambulanten Pflege zu erlassen habe (vgl. Positionspapier Pflegefinanzierung der IG Pflegefinanzierung vom 25. März 2015, S. 3, abrufbar unter
www.curaviva.ch
).
Es erstaunt wenig, dass im Zuge der Umsetzung der Pflegefinanzierung in den Kantonen auf eidgenössischer Ebene schon verschiedene, teilweise noch pendente Vorstösse zur Nachbesserung der bundesrechtlichen Regelung lanciert wurden (z.B. Standesinitiative "Ergänzung von
Art. 25a KVG
betreffend die Pflegefinanzierung", eingereicht vom Kanton Thurgau am 4. November 2013 [Dokumentation Curia Vista Nr. 14.317]; parlamentarische Initiative "Nachbesserung der Pflegefinanzierung", eingereicht von Ständerätin Egerszegi-Obrist am 21. März 2014 [Dokumentation Curia Vista Nr. 14. 417]). Im bereits zitierten erläuternden Bericht vom 1. September 2015 (E. 3.2 hiervor) kam auch die SGK-SR zum Schluss, "die Voraussetzungen für die Festlegung von angemessenen Normkosten [seien] zu verbessern", namentlich durch einheitliche Standards bei der Kostenrechnung, Durchsetzung eines transparenten Kostenausweises etc. Allerdings sah die Kommission diesbezüglichen Handlungsbedarf nicht beim Gesetzgeber auf Bundesebene, sondern bei den Leistungerbringern und den Kantonen (Bericht, Ziff. 2.4.3 S. 15).
Das Bundesgericht hat ohnehin allein zu prüfen, ob das kantonale Gericht die Umsetzung der bundesrechtlichen Vorgaben durch die Beschwerdegegnerin zu Recht geschützt hat (E. 2 hiervor).
4.1
Im Kanton Luzern ist die Finanzierung der Pflegeleistungen gemäss Art. 25a Abs. 5 des KVG im PFG geregelt (vgl. E. 2.1 hiervor).
§ 3 PFG
sieht vor, dass sich die Leistungserbringer an die vereinbarten oder festgelegten Beiträge und Tarife zu halten haben und für Pflegeleistungen keine weitergehenden Vergütungen berechnen dürfen. Gemäss
§ 7 PFG
vereinbaren die Gemeinden mit einem oder mehreren Leistungserbringer(n) als Vertragsleistungserbringer die Höhe der von ihnen für ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu übernehmenden Restfinanzierungsbeiträge (Abs. 1). Der Regierungsrat wird ermächtigt, die Grundsätze der Bestimmung des Restfinanzierungsbeitrages durch Verordnung festzulegen (Abs. 2). Bezieht eine anspruchsberechtigte Person Pflegeleistungen bei einem Leistungserbringer, mit welchem ihre Wohnsitzgemeinde keine Vereinbarung über den Restfinanzierungsbeitrag abgeschlossen hat, übernimmt die Gemeinde die ausgewiesenen Pflegekosten dieses
BGE 142 V 94 S. 102
Leistungserbringers, höchstens jedoch den Restfinanzierungsbeitrag, der für ihre Vertragsleistungserbringer gilt (
§ 8 Abs. 1 PFG
). Nach Abs. 2 von
§ 8 PFG
übernimmt die Wohnsitzgemeinde die ausgewiesenen Kosten des Leistungserbringers, wenn dessen Wahl dadurch begründet ist, dass die Wohnsitzgemeinde der anspruchsberechtigten Person keine geeigneten Pflegeleistungen bei einem Vertragsleistungserbringer anbieten kann.
4.2
In § 4 der Verordnung des Kantons Luzern vom 30. November 2010 zum Pflegefinanzierungsgesetz (Pflegefinanzierungsverordnung, PFV; SRL 867a) bestimmte der Regierungsrat, Grundlage für die Bestimmung des Restfinanzierungsbeitrages sei der Ausweis der Kosten der Leistungserbringer mittels Kostenrechnung. Die Anforderungen an die Kostenrechnung richteten sich in der ambulanten Krankenpflege nach dem Finanzmanual des Spitex-Verbandes Schweiz (Abs. 1 lit. a). Gemäss Abs. 2 von
§ 4 PFV
haben die Gemeinden die notwendigen Leistungen der Leistungserbringer und deren Kosten, insbesondere die Kosten der Ausbildung des Pflegepersonals, zu berücksichtigen.
5.1
Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheit geltend macht, kann ihr nicht gefolgt werden. Im Rahmen der OKP besteht nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz kein unbeschränkter Anspruch der Leistungserbringer auf Entschädigung ihrer Vollkosten. Namentlich verschafft die Wirtschaftsfreiheit keinen Anspruch der (freiberuflichen) Leistungserbringer, zu Lasten der sozialen Krankenversicherung in beliebiger Höhe Leistungen zu erbringen (
BGE 130 I 26
E. 4.5 S. 43). Gesetz- und Verordnungsgeber haben im Bereich der OKP im Gegenteil zahlreiche Preis- und Zulassungsbeschränkungen wie Tarife, Höchstpreise und Fallpauschalen statuiert, die nicht überschritten werden dürfen (BGE a.a.O.; vgl. auch
BGE 141 V 206
). Wie dargelegt (vorangehende E. 3.2 hiervor) fehlt bislang eine bundesrechtliche Normierung der Restfinanzierung. In
BGE 141 V 446
E. 7.4 S. 454 hat das Bundesgericht erwogen, eine nicht kostendeckende Entschädigung freischaffender Pflegefachleute (dort im Bereich der Wochenbettpflege) widerspräche klar der Intention des Gesetzgebers, die ambulante gegenüber der stationären Pflege zu favorisieren. Dass eine Unterbezahlung freischaffender Pflegefachleute - nebst einer nicht durch das Gesetz gedeckten Überwälzung nicht gedeckter Pflegekosten auf die Versicherten unter dem Titel "Betreuung" (vgl.
BGE 142 V 94 S. 103
Bericht der SGK-SR vom 1. September 2015, Ziff. 2.4.3 S. 15) - eine schlechtere Versorgungslage im ambulanten Bereich begünstigen kann, welche der gesetzgeberischen Stossrichtung "ambulant vor stationär" widerspricht, liegt auf der Hand.
Abgesehen davon, dass es nach derzeit geltendem Recht nicht nur in der kantonalen Regelungshoheit liegt zu bestimmen, nach welchem Modell die Restfinanzierung erfolgt (E. 3.3 hiervor), sondern auch wie hoch die sog. Normkosten angesetzt werden (vorangehende E. 3.2), fehlt es hier bereits an einer genügend substantiierten Rüge. Die Beschwerdeführerin begründet nicht, inwiefern ihre ausgewiesenen Kosten (gemäss
§ 8 Abs. 3 Satz 2 PFG
) höher sind als die Vollkosten gemäss den Empfehlungen des VLG, welche ihr ausserhalb der "Spitex-Zeiten" - weiterhin - vergütet werden. Diesbezügliche Weiterungen erübrigen sich.
5.2
Der Einwand, die Vorinstanz habe in Verletzung von
Art. 25a KVG
erwogen, durch den Vertragsabschluss mit einer einzigen, zeitlich lediglich eingeschränkt verfügbaren Leistungserbringerin sei eine umfassende Grundversorgung auf dem Gemeindegebiet der Beschwerdegegnerin sichergestellt, ist ebenfalls unbegründet. Unbestritten beinhaltet die streitige Regelung der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung der Beschwerdeführerin während der Betriebszeiten der Spitex Buttisholz/Nottwil nach dem für diese gültigen Tarif, ausserhalb dieser Zeiten, wie bis anhin, nach den höheren Ansätzen gemäss den Empfehlungen des VLG. Die Festsetzung unterschiedlicher Tarife je nachdem, ob eine Vereinbarung zwischen einem Gemeinwesen und einem Vertragsleistungserbringer besteht oder nicht, hat zwar zur Folge, dass freiberuflichen Pflegefachpersonen, die keinen solchen Vertrag abgeschlossen haben, nur bei Einsatzzeiten die (kantonal definierten) Vollkosten vergütet werden, für welche kein Vertragsleistungserbringer verpflichtet wurde. Konkret werden der Beschwerdeführerin - gemäss
§ 8 Abs. 2 PFG
- nur für Tätigkeiten in den Randzeiten (zwischen 17.30 Uhr abends und 07.00 Uhr morgens) die Vollkosten vergütet. Damit steht ausser Frage, dass die streitige Regelung in
§ 8 PFG
grundsätzlich eine Versorgung im ambulanten Pflegebereich rund um die Uhr gewährleistet und sich einer Finanzierung ambulanter Pflegeleistungen ausserhalb der "Spitex-Zeiten" nicht verschliesst. Somit sind Pflegeleistungen zu allen Tages- und Nachtzeiten abgedeckt und
Art. 25a KVG
ist nicht verletzt. Wie praxistauglich eine kantonale (oder kommunale) Regelung ist, die für die Hauspflege eine unterschiedliche
BGE 142 V 94 S. 104
Tarifierung und Rechnungsstellung vorsieht, je nachdem zu welcher Zeit die Pflegetätigkeit erfolgt, muss hier offenbleiben. Immerhin bleibt festzuhalten, dass die (ambulante) Pflege unabhängig von der Tarifgestaltung - namentlich wegen der grossen Verbreitung von Teilzeitpensen im Pflegebereich - notorisch mit häufigen personellen Wechseln verbunden ist, die für die Patientinnen und Patienten entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerin keineswegs als unzumutbar bezeichnet werden können.
5.3
Die Vollkosten des Spitex-Vereins Nottwil/Buttisholz sind, wie die Beschwerdeführerin zu Recht ausführt, namentlich deshalb tiefer als jene in den Empfehlungen des VLG, weil der Spitex-Verein wegen eingeschränkter Betriebszeiten keine Rand- und Nachtzuschläge einkalkulieren muss. Die kantonale Regelung, wonach die Gemeinden höchstens den für Vertragsleistungserbringer geltenden Restfinanzierungsbeitrag zu übernehmen haben, wenn und soweit diese geeignete Pflegeleistungen anbieten (
§ 8 PFG
), hält sich indes innerhalb des (derzeitigen) Spielraumes der Kantone bei der Umsetzung der Restfinanzierung (vorangehende E. 3.1). Die damit einhergehende aus von der Gemeinde deklarierten finanziellen Gründen gewollte Minderbezahlung freiberuflicher Pflegefachpersonen ist im Lichte der einzig entscheidenden Frage, ob die kantonale Regelung die bundesgesetzliche Vorgabe von
Art. 25a KVG
einhält, hinzunehmen.
6.
Die Vorgaben der Restfinanzierung der öffentlichen Hand gemäss Art. 25a Abs. 5 letzter Satz KVG sind somit nicht verletzt. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, eine administrativ und personell aufwändige, gewisse Leistungserbringer benachteiligende kantonale oder kommunale Regelung abzuändern. Dies obliegt vielmehr dem Gesetzgeber.