Federal court decision 150 II 300 from April 5, 2024

Case number: 2C_257/2023

Date: April 5, 2024

Related articles:  Art. 12 BGFA, Art. 13 BGFA, Art. 47 BankG, Art. 398 OR, Art. 14 StGB, Art. 321 StGB , Art. 13 Abs. 1 BGFA, Art. 321 Ziff. 2 StGB, Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BGFA, Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BGFA, Art. 12 lit. a BGFA, Art. 398 Abs. 2 OR, Art. 47 BankG

Related court decisions:  97 I 831, 100 IV 155, 109 IV 102, 121 IV 249, 123 I 193, 124 IV 258, 131 IV 1, 133 III 121, 134 IV 26, 135 III 597, 142 II 307, 145 IV 154 , 123 I 193, 135 III 597, 97 I 831, 131 IV 1, 100 IV 155, 121 IV 249, 109 IV 102, 134 IV 26

Source: bger.ch

Urteilskopf

150 II 300


25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Anwaltskammer des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_257/2023 vom 5. April 2024

Regeste

Art. 13 Abs. 1 BGFA ; Art. 321 Ziff. 2 StGB ; Unzulässigkeit der Voraus-Entbindung vom anwaltlichen Berufsgeheimnis im Hinblick auf mögliche spätere Honorarstreitigkeiten.
Die klageweise Durchsetzung einer Honorarforderung setzt eine Entbindung vom Anwaltsgeheimnis voraus (E. 5.2). Da sich die Entbindung heute ausschliesslich nach Bundesrecht beurteilt (E. 5.1), ist die ältere kantonale Rechtsprechung, die Honorarklagen zum Teil ohne Entbindung zuliess, nicht massgebend (E. 5.4). Lehre und neuere kantonale Rechtsprechung lehnen eine im Voraus erteilte (unwiderrufliche) Entbindung grundsätzlich ab (E. 5.3 und 5.4). Zentrale Bedeutung, individuelle und kollektive Schutzkomponente des Berufsgeheimnisses (E. 5.5). Eine Entbindung vom Berufsgeheimnis ( Art. 13 Abs. 1 BGFA ) muss mindestens die für eine Rechtfertigung nach Art. 321 Ziff. 2 StGB erforderlichen Kriterien erfüllen (E. 5.6). Anforderungen an eine strafausschliessende Einwilligung; Bezugnahme auf verschiedene Fallgruppen (E. 5.7). Eine Voraus-Entbindung vom Berufsgeheimnis im Hinblick auf eine nicht eingetretene, bloss mögliche spätere Honorarstreitigkeit ist generell unzulässig (E. 5.8).

Sachverhalt ab Seite 301

BGE 150 II 300 S. 301

A. Im September 2021 leitete A. ein Schlichtungsverfahren beim Vermittlungsamt See (Kanton St. Gallen) ein. (...) Das Schlichtungsgesuch richtete sich gegen seinen Klienten C. und bezog sich auf eine Honorarforderung aus anwaltlicher Tätigkeit.
Am 19. April 2022 erstattete die Aufsichtskommission über Anwältinnen und Anwälte des Kantons Zürich bei der Anwaltskammer des
BGE 150 II 300 S. 302
Kantons St. Gallen eine Anzeige gegen A. Sie hatte aus einem Strafverfahren Kenntnis vom Schlichtungsverfahren aus dem Jahr 2021 erhalten und ersuchte die Anwaltskammer des Kantons St. Gallen um Eröffnung eines Disziplinarverfahrens, da A. möglicherweise das Anwaltsgeheimnis im Verhältnis zu seinem Klienten C. verletzt habe.

B. Die Anwaltskammer des Kantons St. Gallen entschied am 29. April 2022, ein Disziplinarverfahren gegen A. zu eröffnen. Mit Entscheid vom 4. Juli 2022 stellte sie eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61) fest und büsste A. mit Fr. 1'000.-.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 16. März 2023 ab.

C. A. führt mit Eingabe vom 8. Mai 2023 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (...). Er beantragt dem Bundesgericht die Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts St. Gallen vom 16. März 2023 (...).
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

5. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, inwieweit sich eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt zu Beginn bzw. in einem frühen Stadium eines Mandatsverhältnisses schriftlich und im Hinblick auf eine spätere Honorarstreitigkeit vom Berufsgeheimnis im Voraus - gleichsam auf "Vorrat" - entbinden lassen kann.

5.1 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unterstehen in zeitlicher Hinsicht unbegrenzt und gegenüber jedermann dem Berufsgeheimnis über alles, was ihnen infolge ihres Berufes von ihrer Klientschaft anvertraut worden ist ( Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BGFA ). Diese Berufspflicht wurde anlässlich der Einführung des BGFA vereinheitlicht (Urteil 2C_586/2015 vom 9. Mai 2016 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 142 II 307 ; zur Qualifikation als Berufspflicht vgl. BGE 123 I 193 E. 4a S. 195; NATER/ZINDEL, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, Fellmann/Zindel [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 14 zu Art. 13 BGFA ). Der Umfang der aus Art. 13 Abs. 1 BGFA fliessenden Geheimhaltungspflicht ergibt sich ausschliesslich aus dem Bundesrecht. Ebenso beurteilt
BGE 150 II 300 S. 303
sich die Entbindung vom Anwaltsgeheimnis ( Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BGFA ) nach Bundesrecht ( BGE 142 II 307 E. 4.3.1).

5.2 Zu den Tatsachen, die unter den Schutz des Berufsgeheimnisses fallen, gehört bereits der Bestand eines Mandatsverhältnisses. Deshalb setzt die klageweise Durchsetzung einer Honorarforderung praxisgemäss eine vorgängige Entbindung vom Berufsgeheimnis voraus (Urteile 2C_8/2019 vom 1. Februar 2019 E. 2.1; 2C_1127/2013 vom 7. April 2014 E. 3.1). Das Bundesgericht hat sich in diesem Zusammenhang bis jetzt noch nicht mit der Frage befasst, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Voraus-Entbindung zu Beginn oder zumindest in einem frühen Stadium des Mandatsverhältnisses rechtswirksam ist (vgl. allgemein zu den Voraussetzungen einer Entbindung zwecks Durchsetzung einer Honorarforderung BGE 142 II 307 E. 4.3.3; Urteil 2C_439/2017 vom 16. Mai 2018 E. 3.4 f.).

5.3 Die Lehre äussert sich grundsätzlich ablehnend gegenüber einer im Voraus erteilten Entbindung vom Berufsgeheimnis zur Geltendmachung von Honorarforderungen und betont, ein genereller Verzicht in Unkenntnis des konkreten Sachverhalts, auf den sich der Verzicht beziehe, sei unzulässig (WALTER FELLMANN, Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2017, Rz. 573; CHAPPUIS/GURTNER, La profession d'avocat, 2021, Rz. 917 [bezogen auf die Nutzung von Internetplattformen]; vgl. auch GIOVANNI ANDREA TESTA, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, 2001, S. 160; CHAPPUIS/MAURER, in: Commentaire romand, Loi sur les avocats, 2. Aufl. 2022, N. 294 zu Art. 13 BGFA ).

5.4 Die ältere kantonale Rechtsprechung liess teilweise zu, dass eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt den Honoraranspruch ohne Entbindung durchsetzen konnte. Dahinter stand die Überlegung, das Interesse der mandatierten Person an der Honorierung überwiege im Prinzip die Geheimhaltungsinteressen der mandatierenden Person, weshalb das Entbindungserfordernis eine inhaltslose Formalität darstelle (Entscheid der Anwaltskommission des Kantons Obwalden vom 23. Juni 2004 E. 6c, in: Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsentscheide des Kantons Obwalden [VVGE] 2003/2004 Nr. 5; vgl. in Bezug auf Notare Entscheid der Aufsichtsbehörde über die Urkundspersonen des Kantons Luzern vom 11. Juli 2002, in: Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide [LGVE] 2002 I Nr. 30). Wie das Bundesgericht in BGE 142 II 307 E. 4.3.1 präzisierte, entspringen Umfang und Entbindungsmodalitäten des Berufsgeheimnisses
BGE 150 II 300 S. 304
dem Bundesrecht (vorne E. 5.1). Diese ältere kantonale Rechtsprechung kann deshalb nicht für die Auslegung von Art. 13 Abs. 1 BGFA herangezogen werden.
Soweit die kantonale Praxis auch für die Durchsetzung von Honorarforderungen eine Entbindung voraussetzt, sprechen sich die Aufsichtsbehörden grundsätzlich gegen die Möglichkeit eines generellen Voraus-Verzichts auf das Berufsgeheimnis aus (vgl. Entscheid der Anwaltskommission des Kantons Aargau vom 30. November 2020 E. 4.3.1 f., in: Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide [AGVE] 2020 Nr. 68; Beschluss der Aufsichtskommission über die Anwälte des Kantons Zürich vom 3. Juli 1997 E. 2.1, in: ZR 97/1998 S. 157). Die Aufsichtskommission über Anwältinnen und Anwälte des Kantons Zürich erwog in einem Entscheid aus dem Jahr 2011, eine entsprechende Bestimmung in einer Anwaltsvollmacht sei unter der Bedingung rechtswirksam, dass aus ihr klar ersichtlich sei, gegenüber wem und in welchem Verfahren ein Rechtsanwalt allfällige Berufsgeheimnisse offenlegen könne. Wegen der zentralen Bedeutung des Berufsgeheimnisses für das Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Klienten müsse dieser allerdings die Möglichkeit haben, die Voraus-Entbindung nachträglich und jederzeit zu widerrufen. Die Verwendung einer Entbindungsklausel, die keinen entsprechenden Zusatz enthalte, verstosse gegen Art. 12 lit. a BGFA (Beschluss der Aufsichtskommission über die Anwälte des Kantons Zürich vom 1. September 2011 E. 8. f., in: ZR 110/2011 S. 267).

5.5 Die Wahrung des Berufsgeheimnisses zählt zu den zentralen Berufspflichten von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Erst der Schutz durch das Berufsgeheimnis ermöglicht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Klientschaft. Der durch diese Vertraulichkeit geschaffene Kommunikationsraum dient sowohl dem subjektiven Interesse des Klienten als auch der Rechtsordnung insgesamt. Der Klient hat einerseits ein Recht auf Vertraulichkeit der von ihm preisgegebenen Informationen gegenüber der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt (zu dieser individualrechtlichen Komponente ausführlich Urteil 2C_586/2015 vom 9. Mai 2016 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 142 II 307 ). Andererseits bildet das Berufsgeheimnis ein wichtiges Element zum Schutz der Rechtsordnung und des Zugangs zum Recht ( BGE 135 III 597 E. 3.4), denn die Vertrauenswürdigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ist eine Bedingung dafür, dass sie ihre Aufgaben im Rechtssystem wahrnehmen können (FELLMANN, a.a.O., Rz. 323; vgl. auch CHAPPUIS/MAURER, a.a.O., N. 72 zu Art. 13 BGFA ; NATER/ZINDEL, a.a.O., N. 2 zu Art. 13 BGFA ).
BGE 150 II 300 S. 305

5.6 Das Berufsgeheimnis von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten wird durch verschiedene bundesrechtliche Bestimmungen geschützt und präzisiert. Beruht das Mandatsverhältnis auf einem privatrechtlichen Auftrag, findet die Geheimhaltungspflicht eine Grundlage in Art. 398 Abs. 2 OR . Sie ist vertraglicher Natur (FELLMANN, a.a.O., Rz. 529). Art. 13 Abs. 1 BGFA umschreibt demgegenüber den Umfang und die Tragweite des Berufsgeheimnisses als Berufsregel. Art. 321 StGB stellt darüber hinaus die Verletzung des Berufsgeheimnisses unter Strafe. Die Ziele und Schutzbereiche der verschiedenen Regelungen decken sich nicht vollständig, ebenso wenig die Art ihrer Durchsetzung (FELLMANN, a.a.O., Rz. 534; vgl. BGE 142 II 307 E. 4.3.2; BGE 97 I 831 E. 2b). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts normiert das Strafrecht jedoch gleichsam die Minimalvorgaben für das Berufsrecht. Die Entbindung vom Berufsgeheimnis muss deshalb mindestens die Kriterien erfüllen, die für das Vorliegen eines strafrechtlichen Rechtfertigungsgrunds nach Art. 321 Ziff. 2 StGB vorliegen müssen ( BGE 142 II 307 E. 4.3.2).

5.7 Im Strafrecht schliesst die Einwilligung in eine Rechtsgutsverletzung das Unrecht der Straftat aus, wenn die einwilligende Person über das verletzte Rechtsgut verfügen darf (NIGGLI/GÖHLICH, in: Basler Kommentar, Strafrecht [nachfolgend: Basler Kommentar Strafrecht], Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 8 zu Vor Art. 14 StGB ; MONNIER, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2. Aufl. 2021, N. 69 zu Art. 14 StGB ). Ein entsprechendes Verfügungsrecht steht dem Geheimnisherrn eines Berufsgeheimnisses von Gesetzes wegen zu ( Art. 321 Ziff. 2 StGB ; OBERHOLZER, Basler Kommentar Strafrecht, a.a.O., N. 22 zu Art. 321 StGB ). Während die dogmatische Einordnung der strafausschliessenden Einwilligung umstritten ist (NIGGLI/GÖHLICH, a.a.O., N. 9 zu Vor Art. 14 StGB ; offengelassen in Urteil 6P.106/2006 vom 18. August 2006 E. 6.3.2), besteht weitgehend Einigkeit über ihre Modalitäten und den erforderlichen Konkretisierungsgrad.

5.7.1 Die Einwilligung muss vor der fraglichen Straftat erteilt und in Kenntnis aller wesentlichen Umstände abgegeben werden ( BGE 124 IV 258 E. 3; Urteil 6B_445/2009 vom 6. Oktober 2009 E. 1.3; NIGGLI/GÖHLICH, a.a.O., N. 40 zu Vor Art. 14 StGB ; MONNIER, a.a.O., N. 71 zu Art. 14 StGB ). Sie hat sich nicht nur auf die Tathandlung, sondern auch auf den Verletzungserfolg zu beziehen ( BGE 131 IV 1 E. 3.1). Unter anderem müssen Dauer und Intensität der Rechtsgutsverletzung konkret ersichtlich sein (vgl. Urteil 6P.106/2006 vom
BGE 150 II 300 S. 306
18. August 2006 E. 6.3.3). Der Umfang der Einwilligung bemisst sich ausschliesslich nach dem Willen des Verletzten ( BGE 100 IV 155 E. 4 S. 160; Urteil 6B_430/2007 vom 17. März 2008 E. 5.3).

5.7.2 Die im Voraus erteilte, strafausschliessende Einwilligung ist in verschiedenen Fallgruppen von besonderer Bedeutung. Bei Sportverletzungen stellt sich regelmässig die Frage, ob die Teilnahme an einer Sportart die konkludente Einwilligung in bestimmte Rechtsgutsverletzungen beinhaltet. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung willigt eine Person lediglich im Rahmen der Spielregeln in allfällige körperliche Läsionen ein ( BGE 145 IV 154 E. 2.2; BGE 121 IV 249 E. 4; BGE 109 IV 102 E. 2). Mit anderen Worten dienen die einschlägigen Spielregeln als Konkretisierungshilfe für die Abgrenzung von Verletzungen, die von einer Einwilligung gedeckt sind, und strafbaren Verhaltensweisen (vgl. BGE 145 IV 154 E. 2.2 f.; BGE 134 IV 26 E. 3.2.5 S. 32).

5.7.3 Der ärztliche Heileingriff begründet nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Prinzip einen widerrechtlichen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten, es sei denn, dieser willige nach genügender Aufklärung vorgängig ein oder hätte bei entsprechender Aufklärung hypothetisch eingewilligt ( BGE 133 III 121 E. 4.1.1 und 4.1.3; BGE 124 IV 258 E. 2 f.). Die vorgängige Aufklärung ist Bedingung für die Wirksamkeit einer vorgängigen Einwilligung. Sie hat in klarer und verständlicher Sprache zu erfolgen und muss grundsätzlich so umfassend wie möglich sein. Sie soll die Diagnose, die Therapie, die Prognose, die Alternativen zur vorgeschlagenen Behandlung, die Risiken einer Operation, die Heilungschancen, den möglichen Krankheitsverlauf und die finanziellen Fragen umfassen ( BGE 133 III 121 E. 4.1.2; vgl. Urteil 6B_788/2015 vom 13. Mai 2016 E. 4.2.2).

5.7.4 In der Lehre wird weiter diskutiert, ob ein Verzicht auf das strafrechtlich geschützte Bankgeheimnis nach Art. 47 des Bundesgesetzes vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG; SR 952.0) durch eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig ist. Ein Teil der Lehre spricht sich konsequent dagegen aus (NIGGLI/GÖHLICH, a.a.O., N. 40 zu Vor Art. 14 StGB ), ein anderer ordnet die ganzheitliche Aufhebung des Bankgeheimnisses zumindest als problematisch ein (vgl. mit unterschiedlichen Begründungen STRATENWERTH, in: Basler Kommentar, Bankengesetz, 2. Aufl. 2013, N. 26 zu Art. 47 BankG ; TAMARA HITZ, Banken im Spannungsfeld zwischen Informationen sammeln,
BGE 150 II 300 S. 307
vermitteln und weitergeben, 2018, S. 177 f.; SEBASTIAN MÜLLER, Wahrung berechtigter Interessen in Banken-AGB, AJP 2015 S. 1538 ff., S. 1544; je mit Hinweisen).

5.8 Vor diesem Hintergrund ist die Voraus-Entbindung vom Berufsgeheimnis im Hinblick auf eine spätere Honorarstreitigkeit zu beurteilen. Aus den als Minimalvorgaben an die Voraussetzungen einer wirksamen Entbindung vom Berufsgeheimnis zu verstehenden (vgl. vorne E. 5.6) strafrechtlichen Grundsätzen ist das Erfordernis einer hinreichend konkreten Entbindung abzuleiten. Für den Klienten muss im Zeitpunkt der Unterzeichnung die Tragweite der Entbindung erkennbar sein, und zwar sowohl sachlich ("wann"?) als auch quantitativ ("wieviel"?). Zum einen sind der Anlass der Entbindung und der Umfang des Mandatsverhältnisses entsprechend konkret zu umschreiben. Zum anderen setzt die wirksame Entbindung eine Vorstellung des Klienten über deren Auswirkungen auf seine eigene Rechtssphäre voraus. Die Anforderungen an den sachlichen und quantitativen Konkretisierungsgrad einer Entbindungsklausel sind umso strenger anzusetzen, je grösser der Interessengegensatz zwischen Anwalt und Klient ist. Bei Honorarstreitigkeiten ist dieser Interessengegensatz besonders ausgeprägt. Für den Klienten ist im Zeitpunkt der Unterzeichnung einer Voraus-Entbindungsklausel nie klar voraussehbar, welche ihn betreffenden Informationen der Anwalt in einem allfälligen Honorarstreit verwenden würde. Diese Problematik besteht selbst dann, wenn das Honorar pauschal festgesetzt wurde, sodass der Klient immerhin die Höhe der ihm später entgegengehaltenen Forderung voraussehen kann. Denn auch dann besteht die Möglichkeit, dass der Klient dem Anwalt eine Nicht- oder Schlechterfüllung der vereinbarten Leistung entgegenhalten will. Welche Informationen der Anwalt zur Verteidigung seiner Forderung über den Klienten preisgeben müsste, ist auch in einem solchen Fall nie genügend voraussehbar, solange ein konkreter Streit nicht tatsächlich eingetreten ist. Eine Voraus-Entbindung vom Berufsgeheimnis im Hinblick auf eine noch nicht eingetretene, sondern bloss mögliche spätere Honorarstreitigkeit erweist sich deshalb als generell unzulässig.

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