BGE 83 II 419 vom 23. September 1957

Datum: 23. September 1957

BGE referenzen:  144 I 208

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

83 II 419


57. Beschluss der II. Zivilabteilung vom 23. September 1957 i.S. Messerschmitt AG gegen Erben Vogelsang.

Regeste

Berufung und kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ( Art. 57 Abs. 1 OG ).
Das Bundesgericht kann über die Zulässigkeit einer gestützt auf Art. 50 OG erklärten Berufung gegen einen auch mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde angefochtenen Entscheid nicht vorweg entscheiden, selbst wenn das kantonale Prozessrecht die Nichtigkeitsbeschwerde nur insoweit zulässt, als der angefochtene Entscheid nicht der Berufung an das Bundesgericht unterliegt.

Sachverhalt ab Seite 420

BGE 83 II 419 S. 420
Am 9. März 1957 reichte Rechtsanwalt Dr. Spörri beim Bezirksgericht Zürich "namens der Erben des August Vogelsang-Altenburger..., A.... Olga Vogelsang geb. Altenburger..., B.... Arthur Gustav Vogelsang..., vertreten durch die Willensvollstreckerin: Zürcher Kantonalbank..." gegen die Messerschmitt A.-G. Klage auf Anerkennung einer Arrestforderung von Fr. 203'100.-- nebst Zins und Kosten ein. Vom Bezirksgericht angefragt, ob die Willensvollstreckerin in diesem Prozess als Partei auftrete, antwortete er, die Zürcher Kantonalbank führe den Prozess für den Nachlass als Willensvollstreckerin; sie sei daher im Rubrum als Partei aufzuführen mit dem Bemerken: "handelnd in ihrer Eigenschaft als Willensvollstreckerin im Nachlass des August Vogelsang-Altenburger." Darauf wies das Bezirksgericht die Klage mangels Aktivlegitimation von der Hand. Das Obergericht des Kantons Zürich, an das die Klägerschaft rekurrierte, hat dagegen mit Beschluss vom 12. Juli 1957 das Bezirksgericht angewiesen, den Prozess an Hand zu behalten.
Diesen Entscheid hat die Beklagte mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde und ausserdem gestützt auf Art. 50 OG mit Berufung an das Bundesgericht angefochten. Eine mit der Berufungsschrift eingegangene Eingabe der Beklagten vom 5. September 1957 enthält das Begehren, das Bundesgericht möge gemäss Art. 50 Abs. 2 OG zunächst prüfen, ob es die Voraussetzungen von Abs. 1 des gleichen Artikels als gegeben erachte. "Je nach dem Entscheid des Bundesgerichtes dürfte sich dann das kantonale Kassationsgericht darüber schlüssig werden, ob es gemäss
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§ 345 zürch. ZPO die Beschwerde zur Behandlung entgegennehmen will." In einem dem Bundesgericht in Kopie vorgelegten Schreiben an den Präsidenten des Kassationsgerichtes vom gleichen Tage führt der Vertreter der Beklagten aus, er sei der Auffassung, dass in diesem Falle Art. 57 OG nicht zur Anwendung komme; das Bundesgericht werde sich gemäss Art. 50 Abs. 2 OG zunächst darüber auszusprechen haben, ob es die Voraussetzungen von Abs. 1 dieses Artikels als gegeben erachte; er stelle deshalb das Gesuch, das Verfahren vor Kassationsgericht wenigstens so lange einzustellen, bis über die Anhandnahme der Berufung durch das Bundesgericht entschieden sei. Daraufhin verfügte der Präsident des Kassationsgerichtes am 9. September 1957, das Beschwerdeverfahren werde bis zum Entscheid des Bundesgerichtes über die Zulässigkeit der von der Beschwerdeführerin erklärten Berufung eingestellt, weil das Bundesgericht nach Art. 50 Abs. 2 OG über das Vorhandensein der Voraussetzungen für die Berufung im Sinne von Art. 50 Abs. 1 OG "nach freiem Ermessen" entscheide, so dass es dem Kassationsgericht nicht wohl möglich sei, den Entscheid über die Zulässigkeit dieser Berufung vorwegzunehmen, wie es § 345 Abs. 1 ZPO erfordern würde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Ist bezüglich eines Entscheides, gegen den beim Bundesgericht Berufung eingelegt ist, bei der zuständigen kantonalen Behörde eine Nichtigkeitsbeschwerde oder ein Gesuch um Erläuterung oder um Wiederherstellung (Revision) anhängig, so wird nach Art. 57 Abs. 1 OG bis zur Erledigung der Sache vor der kantonalen Behörde die bundesgerichtliche Entscheidung ausgesetzt. Diese Vorschrift will nicht nur verhüten, dass das Bundesgericht der Beurteilung eines ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittels durch den Erlass eines Sachentscheides vorgreift, der an die Stelle des angefochtenen Entscheides
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träte, wodurch das kantonale Rechtsmittelverfahren gegenstandslos und die Partei, die es eingeleitet hat, in der Verfolgung ihrer Rechte beeinträchtigt würde. Sie will vielmehr aus Gründen der Prozessökonomie auch dafür sorgen, dass sich das Bundesgericht mit einer Berufung überhaupt nicht zu befassen hat, solange noch die Möglichkeit besteht, dass der angefochtene Entscheid durch eine kantonale Behörde aufgehoben werden könnte. Dem entspricht es, dass nach ihrem zweiten Satze die Einsendung der Akten des kantonalen Verfahrens an das Bundesgericht unterbleibt, bis die Sache vor der mit dem ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel angegangenen Behörde erledigt ist. Während der Hängigkeit eines solchen Rechtsmittels hat also das Bundesgericht nicht nur keinen Sachentscheid zu fällen, sondern auch von Instruktionsmassnahmen und prozessualen Entscheidungen über die Berufung abzusehen. Vorbehalten bleibt nur das Nichteintreten auf Berufungen, deren Unzulässigkeit oder Unwirksamkeit sich ohne Beizug der kantonalen Akten sofort feststellen lässt.
Daraus folgt, dass das Bundesgericht dem Begehren des Berufungsklägers nicht stattgeben kann. Ob im vorliegenden Falle die Berufung nach Art. 50 OG zuzulassen sei oder nicht, lässt sich nur auf Grund der Prozessakten entscheiden. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Behandlung der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde daraus ergeben können, dass diese nach § 345 der zürcherischen ZPO nur soweit zulässig ist, als der angefochtene Entscheid nicht der Berufung unterliegt, können keinen Grund für die Nichtanwendung von Art. 57 OG bilden. Es kann nicht Sache des Bundesgerichtes sein, solche aus dem kantonalen Recht sich ergebende Schwierigkeiten unter Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften aus dem Wege zu räumen, und hievon abgesehen kann der Berufungsklägerin daraus, dass es dem Kassationsgericht überlassen werden muss, die Frage der Zulässigkeit einer Berufung nach Art. 50 OG als Vorfrage zu prüfen, kaum ein nicht
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wiedergutzumachender prozessualer Nachteil (endgültiger Verschluss eines Forums, das ihr offen stehen sollte) erwachsen, wie immer der Vorfrageentscheid des Kassationsgerichtes auch ausfallen möge. Im übrigen ist denkbar, dass das Kassationsgericht zum Schlusse kommen wird, die Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Zwischenentscheid des Obergerichtes sei nach dem Sinne von § 345 ZPO nicht nur insoweit ausgeschlossen, als er gemäss Art. 50 OG unmittelbar mit der Berufung angefochten werden kann, sondern auch insoweit, als er gemäss Art. 48 Abs. 3 OG zusammen mit dem Endentscheid der Überprüfung im Berufungsverfahren unterliegen wird. In diesem Falle könnte das Kassationsgericht bei der Anwendung von § 345 ZPO dahingestellt bleiben lassen, ob im vorliegenden Falle eine Berufung nach Art. 50 OG zulässig sei, und sich auf die Prüfung der Frage beschränken, ob die mit der Nichtigkeitsbeschwerde erhobenen Rügen so geartet seien, dass sie vom Bundesgericht als Berufungsinstanz geprüft werden können.

Dispositiv

Demnach beschliesst das Bundesgericht:
Das Begehren, die Entscheidung gemäss Art. 50 Abs. 2 OG sei vor Erledigung des kantonalen Nichtigkeitsbeschwerdeverfahrens zu treffen, wird abgelehnt.

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