58. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Dezember 1965 i.S. Giuliani gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
Wie der Kassationshof entschieden hat, ist
Art. 237 StGB
sowohl in den von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
als auch in den von Ziff. 1 erfassten Fällen nicht mehr anwendbar (
BGE 90 IV 156
). Offen gelassen wurde dagegen bisher, ob in Fällen vorsätzlicher Verkehrsgefährdung auch die Anwendung von
Art. 237 Ziff. 1 StGB
ausgeschlossen sei (
BGE 90 IV 159
Nr. 34). Diese Frage ist entgegen der in der Gesetzesberatung vertretenen Auffassung, dass sowohl die fahrlässige wie vorsätzliche Gefährdung unter
Art. 90 Ziff. 2 SVG
falle, und obschon Abs. 2 dieser Bestimmung die Anwendung des
Art. 237 StGB
ohne Einschränkung ausschliesst, zu verneinen. Schon die Entstehungsgeschichte zeigt, dass mit
Art. 90 Ziff. 2 SVG
nur die Ausschaltung von
Art. 237 Ziff. 2 StGB
beabsichtigt wurde; bloss die Praxis zu dieser Bestimmung hat zu Kritik Anlass gegeben und in der parlamentarischen Beratung zum Antrag Kistler geführt, aus dem
Art. 90 Ziff. 2 SVG
entstanden ist
BGE 91 IV 216 S. 217
(vgl.
BGE 90 IV 152
f., 157 f.). Die seltener vorkommenden Tatbestände der vorsätzlichen Verkehrsgefährdung nach
Art. 237 Ziff. 1 StGB
wurden dabei nicht erörtert. Dass
Art. 90 SVG
auch
Art. 237 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
ersetzen soll, der die vorsätzliche Verursachung einer konkreten Gemeingefahr ausschliesslich mit Zuchthaus bedroht, kann zum vornherein nicht gewollt sein (ebenso SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG, S. 177; BURCKHARDT, ZStR 1964, 48). Es wäre aber auch sachlich nicht gerechtfertigt, in den gewöhnlichen Fällen vorsätzlicher Verkehrsgefährdung, die durch Verletzung von Verkehrsregeln bewirkt wird,
Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
nicht mehr anzuwenden (DUBS, Festgabe für Gerwig, S. 10 f.). Nach dieser Bestimmung ist der Täter stets mit Gefängnis zu bestrafen, während
Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG
wahlweise Gefängnis oder Busse vorsieht. Es kann nicht der wahre Sinn des SVG sein, den Täter heute wegen vorsätzlicher konkreter Gefährdung unter eine mildere Strafandrohung zu stellen als früher, die zudem nicht strenger ist als jene, die bisher nach
Art. 237 Ziff. 2 StGB
bei fahrlässiger Verkehrsstörung galt. Es könnte auch nicht verstanden werden, wenn der Verkehrsteilnehmer, der durch seine Fahrweise andere Strassenbenützer vorsätzlich in Gefahr bringt, unter Umständen mit einer Busse wegkäme und damit gegenüber dem, der den gleichen Erfolg auf andere Weise als durch Verletzung von Verkehrsregeln, z.B. durch Aufstellen eines Hindernisses, herbeiführt und dafür nach
Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
in jedem Falle mit Gefängnis bestraft werden muss, bevorzugt behandelt würde. Hiezu kommt, dass in den Fällen des
Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG
selbst bei vorsätzlicher grober Verletzung von Verkehrsregeln die damit verbundene konkrete Gefährdung anderer vom Täter in der Regel nicht gewollt, sondern fahrlässig hervorge-, rufen wird (SCHERRER, Die Gefährdungstatbestände des SVG S. 63 ff.).
Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
auf den Verkehrsteilnehmer, der im Strassenverkehr vorsätzlich Leib und Leben von Menschen konkret gefährdet, weiterhin anzuwenden, drängt sich daher auch unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens auf. Eine merkliche Einschränkung des Geltungsbereiches des
Art. 90 SVG
wird dadurch nicht eintreten.