BGE 97 I 555 vom 15. Oktober 1971

Datum: 15. Oktober 1971

Artikelreferenzen:  Art. 603 ZGB, Art. 62 OR , Art. 19 EGG, Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG, Art. 19 lit. c EGG, Art. 18 ff. EGG, Art. 1 EGG

BGE referenzen:  97 I 552, 94 I 176

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

97 I 555


76. Auszug aus dem Urteil vom 15. Oktober 1971 i.S. Witwe X. gegen Y. und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.

Regeste

Einspruch gegen Liegenschaftsverkauf ( Art. 19 EGG ).
Der Einspruch ist unbegründet, wenn die Privatinteressen am Zustandekommen des Kaufgeschäftes das öffentliche Interesse an der Erhaltung des in Frage stehenden landwirtschaftlichen Heimwesens überwiegen.

Sachverhalt ab Seite 555

BGE 97 I 555 S. 555
Die Beschwerdeführerin, Witwe X., erwarb von Y. durch öffentlich beurkundeten Vertrag vom 2. September 1970 ein Bauernhaus mit 48 a Umschwung. Am 23. September 1970 erhob die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Basel-Landschaft
BGE 97 I 555 S. 556
gegen die Handänderung Einspruch unter Hinweis auf Art. 19 lit. c EGG und § 8 des kantonalen EG zum EGG. Diesen Einspruch focht die Käuferin durch Beschwerde beim Regierungsrat an, der die Beschwerde am 17. November 1970 abwies.
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 21. Dezember 1970 beantragt Witwe X., der Beschluss des Regierungsrates sei aufzuheben und die Handänderung zu bewilligen. Der Verkäufer Y. hat sich zur Streitsache nicht geäussert; er ist am 3. Juni 1971 gestorben. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft und das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement empfehlen die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Prozessuales).

2. Das EGG bezweckt laut Art. 1, den bäuerlichen Grundbesitz als Träger eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes zu schützen, die Bodennutzung zu fördern, die Bindung zwischen Familie und Heimwesen zu festigen und die Schaffung und Erhaltung landwirtschaftlicher Betriebe zu begünstigen. Zur Verwirklichung dieser Ziele werden die Kantone ermächtigt, gegen Liegenschaftskäufe Einspruch zu erheben ( Art. 18 ff. EGG ). Von dieser Ermächtigung hat der Kanton Basel-Landschaft Gebrauch gemacht und das Einspruchsverfahren im EG zum EGG geregelt.
a) Ein Einspruch ist nach Art. 19 EGG nur zulässig gegen Kaufverträge "über landwirtschaftliche Heimwesen oder zu einem solchen gehörende Liegenschaften". Als landwirtschaftliches Heimwesen im Sinne des EGG wird eine aus Land und Gebäulichkeiten bestehende Einheit angesehen, die geeignet ist, einem Bauern (Eigentümer oder Pächter) und seiner Familie als Lebenszentrum und Grundlage für den Betrieb eines landwirtschaftlichen Gewerbes zu dienen ( BGE 94 I 176 mit Hinweisen).
Das dem Verkäufer gehörende Konglomerat von Land und Gebäuden, von dem die Beschwerdeführerin das Haus mit etwas Umschwung erwerben möchte, bildet eine solche Einheit. Es umfasst nach Angaben der Beschwerdeführerin 7,28 ha. Nach Abzug der von ihr gekauften Parzelle verbleiben 6,80 ha. Dieses Ausmass erreicht zwar die durchschnittliche Betriebsfläche der Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz (heute 8,22 ha)
BGE 97 I 555 S. 557
nicht und erst recht nicht die durchschnittliche Betriebsfläche der Landwirtschaftsbetriebe im Kanton Basel-Landschaft, welche 10,52 ha beträgt (vgl. statistische Erhebungen und Schätzungen des Schweizerischen Bauernsekretariates 1970, 11). Die Betriebsfläche ist aber immer noch ausreichend als Lebenszentrum und Betriebsgrundlage einer Bauernfamilie. Auch kleine Heimwesen stehen unter dem Schutz des Art. 19 EGG . Wird nun aber das Wohn- und Ökonomiegebäude von diesem kleinen Hof weg verkauft, so geht damit ein wesentlicher Bestandteil des Betriebes verloren, nämlich die Heimstatt des Bauern und damit das Lebenszentrum seiner Familie.
b) Nach Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG , worauf der angefochtene Entscheid gestützt wird, kann Einspruch erhoben werden, wenn durch den Verkauf ein landwirtschaftliches Gewerbe seine Existenzfähigkeit verliert, es sei denn die Aufhebung des Gewerbes lasse sich durch wichtige Gründe rechtfertigen.
Im vorliegenden Fall verlöre das in Frage stehende landwirtschaftliche Gewerbe mit der Veräusserung des Bauernhauses seine Existenzgrundlage. Es ist daher zu prüfen, ob der umstrittene Verkauf sich durch wichtige Gründe rechtfertigen lasse. Die Beschwerdeführerin macht wichtige Gründe bei beiden Vertragsparteien geltend.
c) Die in Art. 19 Abs. 1 lit. c erwähnten Beispiele von wichtigen Gründen - Verkauf zur Überbauung oder zur gewerblichen oder industriellen Ausnützung - fallen hier ausser Betracht, was unbestritten ist. Es fragt sich aber, ob andere wichtige Gründe die Aufhebung dieses landwirtschaftlichen Gewerbes rechtfertigen könnten. Diese Frage prüft das Bundesgericht - wie es in Anlehnung an seine bisherige Rechtsprechung im Urteil BGE 97 I 552 E. 4 c festgestellt hat - frei. Dabei sind die besonderen Umstände des einzelnen Falles zu würdigen. Nach der neueren Rechtsprechung sind nicht nur solche Umstände zu berücksichtigen, die sich aus den Eigenschaften des in Frage stehenden Grundstückes oder Gewerbes ergeben, sondern insbesondere die persönlichen Verhältnisse der Vertragsparteien. Das öffentliche Interesse an der Erhaltung des landwirtschaftlichen Gewerbes, das nicht per se gegeben ist, sondern sich aus den gesamten Umständen ergeben muss, und die geltend gemachten Privatinteressen am Zustandekommen des Kaufgeschäftes sind gegeneinander abzuwägen ( BGE 97 I 552 E. 4 c mit Hinweisen).
BGE 97 I 555 S. 558

3. a) Die Beschwerdeführerin hat im kantonalen Verfahren geltend gemacht, der Verkäufer wolle aus finanziellen Gründen verkaufen. Allein der Regierungsrat hat dieses Vorbringen mit Recht als zum mindesten unbewiesen erachtet. Wäre der Verkäufer wirklich aus finanziellen Gründen zum Verkauf gezwungen gewesen, so hätte er wohl das ganze Heimwesen veräussert und kaum der Beschwerdeführerin 50% des Kaufpreises als Darlehen belassen. Auch hätte er sich doch höchst wahrscheinlich selber dem Einspruch der Landwirtschaftsdirektion widersetzt. Er hat aber, auch im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, auf die Einladung zur Stellungnahme überhaupt nicht reagiert. Seit seinem Tod fallen wichtige Gründe in der Person des Verkäufers ohnehin ausser Betracht.
b) Die Käuferin macht als wichtige Gründe das Interesse ihrer Familie an einem eigenen Heim sowie Schwierigkeiten bei der Rückforderung der angezahlten Fr. 15'000.-- geltend. Wenn sie auch nicht näher dartut, dass der Erwerb des Bauernhauses die einzige Chance darstellt, für sich und ihre Kinder ein geeignetes Heim zu bekommen, so ist sie doch - wie die Vorinstanz zugibt - in hohem Masse an der Realisierung des Kaufgeschäftes interessiert. Als Witwe und Mutter von zwei Kindern im Alter von 12 Jahren und von 3 Monaten will sie ihrer Familie ein Heim schaffen und kann dieses Ziel durch den Kauf dieses Bauernhauses in einer für ihre Familie äusserst günstigen Weise verwirklichen. Diesbezüglich ist ihr Interesse am Zustandekommen des Kaufgeschäftes schützenswert. Dagegen sind angebliche Schwierigkeiten bei der Rückforderung der etwas unvorsichtig geleisteten Kaufpreisanzahlung kein wichtiger Grund im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG . Wird die Handänderung trotz den Bemühungen der Beschwerdeführerin infolge behördlichen Einspruchs unmöglich, so sind die Erben des Verkäufers durch die Kaufpreisanzahlung ungerechtfertigt bereichert ( Art. 62 OR ) und sie haften der Beschwerdeführerin für die Herausgabe solidarisch ( Art. 603 ZGB ).
c) Den Privatinteressen der Beschwerdeführerin am Zustandekommen des Kaufgeschäftes steht das öffentliche Interesse an der Bewahrung der in der Schweiz vorhandenen landwirtschaftlichen Heimwesen im allgemeinen und an der Erhaltung des in Frage stehenden landwirtschaftlichen Gewerbes im besonderen gegenüber.
BGE 97 I 555 S. 559
Bei der Gewichtung des öffentlichen Interesses ist im vorliegenden Fall nicht zu übersehen, dass die Betriebseinheit von Land und Gebäuden, die ein landwirtschaftliches Heimwesen kennzeichnet und im Sinne von Art. 1 EGG erhaltenswert macht, bei dem in Frage stehenden Landwirtschaftsbetrieb in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr bestanden hat. Der Veräusserer hat das Heimwesen, das er im Jahre 1959 durch Erbgang erworben hatte, nie selber bewirtschaftet. Nach der Feststellung der Vorinstanz war der Betrieb "zeitweise" verpachtet. In den letzten Jahren wurde das Land durch verschiedene Pächter genutzt; Scheune und Stall waren an einen Landwirt verpachtet; das Wohnhaus war an Italiener vermietet. Dies schliesst zwar nicht aus, dass die Betriebseinheit wieder hergestellt und der Betrieb nach wie vor durch eine an Ort und Stelle wohnende Bauernfamilie als Einheit landwirtschaftlich genutzt werden könnte, zumal die Gebäulichkeiten unbestrittenermassen gut erhalten sein sollen; indes ist doch zu berücksichtigen, dass in den vergangenen Jahren eine einheitliche Bewirtschaftung dieses landwirtschaftlichen Heimwesens nicht erfolgt und offenbar auch in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten ist. Eine aktuelle Nachfrage für den Erwerb dieses Landwirtschaftsbetriebes zwecks einheitlicher Bewirtschaftung scheint nicht zu bestehen. Unter diesen Umständen ändert die Veräusserung des in Frage stehenden Bauernhauses mit etwas Umschwung am gegenwärtigen Zustand des Betriebes in landwirtschaftlicher Hinsicht nichts.
d) Berücksichtigt man im Lichte dieser gesamten Umstände das Interesse der Beschwerdeführerin am Erwerb des Bauernhauses und stellt man dem das in concreto nur wenig gewichtige öffentliche Interesse an der Erhaltung eines ohnehin nicht mehr als Einheit bewirtschafteten landwirtschaftlichen Heimwesens gegenüber,. muss die Abwägung der Interessen jene der Beschwerdeführerin als schutzwürdiger erscheinen lassen. Ihre Beschwerde ist demnach gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.

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