BGE 97 I 890 vom 2. November 1971

Datum: 2. November 1971

Artikelreferenzen:  Art. 4 BV , Art. 87 OG

BGE referenzen:  97 I 333, 96 I 2, 96 I 36

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

97 I 890


128. Urteil vom 2. November 1971 i.S. X. gegen Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich.

Regeste

Art. 4 BV ; zürcherische Fähigkeitsprüfung für Rechtsanwälte, Anforderungen an die praktische Tätigkeit als Zulassungsbedingung.

Erwägungen ab Seite 890

BGE 97 I 890 S. 890

1. Die zürcherische Verordnung über die Fähigkeitsprüfung für den Rechtsanwaltsberuf vom 8. Juli 1938 (Prüfungsverordnung) bestimmt in § 4, dass die Bewerber um die Zulassung zur Prüfung sich unter anderem über folgende Zulassungsbedingungen auszuweisen haben:
"....

7. ausreichende Rechtsstudien, in der Hauptsache an schweizerischen Universitäten;

8. praktische Tätigkeit während mindestens eines Jahres bei einem zürcherischen Bezirksgericht oder beim Obergericht als Richter, Gerichtsschreiber, Substitut, vollbeschäftigter Auditor oder als vollbeschäftigter Substitut bei einem zürcherischen Rechtsanwalt oder sonst in einer vom Obergericht als gleichwertig anerkannten Stellung."

2. X., geboren 1942, promovierte am 2. Mai 1970 zum Lizentiaten der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Während des Studiums hatte er in den Sommerferien 1967 ein dreimonatiges Praktikum auf einem zürcherischen Anwaltsbüro absolviert. Vom 5. März bis 10. Mai und vom 21. Juni bis 2. August 1968 war er Auditor am Bezirksgericht Dielsdorf. Nach dem Erwerb des Lizentiats machte er vom 12. Oktober 1970 an ein sechsmonatiges Auditoriat am Bezirksgericht Winterthur.
Am 21. April 1971 ersuchte X. das Obergericht des Kantons Zürich um Zulassung zur Anwaltsprüfung. Mit Schreiben vom 19. Mai 1971 eröffnete ihm die Verwaltungskommission des Obergerichts, dass er zur Prüfung vorderhand nicht zugelassen werden könne, weil es an der vorgeschriebenen praktischen Tätigkeit von mindestens einem Jahr im Sinne von § 4 Ziff. 8 der Prüfungsverordnung fehle. Seine Tätigkeit auf dem zürcherischen
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Anwaltsbüro sowie am Bezirksgericht Dielsdorf in den Jahren 1967 und 1968 könne ihm nämlich nicht angerechnet werden, denn sie falle noch in die Zeit während des Studiums, da ihm nicht die verantwortungsvollen Arbeiten hätten anvertraut werden können, die üblicherweise einem voll ausgebildeten Juristen übertragen würden. Die genannte Bestimmung der Prüfungsverordnung meine offensichtlich eine praktische Tätigkeit als voll ausgebildeter Jurist.

3. X. führt gegen diesen Entscheid der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich, der die Voraussetzungen des Art. 87 OG erfüllt, staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV . Er beantragt, die Beschwerde gutzuheissen und das Obergericht des Kantons Zürich anzuweisen, ihn zum Examen zuzulassen. Auf dieses Beschwerdebegehren ist jedoch nicht einzutreten, soweit damit eine Sachentscheidung verlangt wird, denn die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich rein kassatorischer Natur und führt im Falle der Gutheissung nur zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides ( BGE 97 I 333 E. 2, BGE 96 I 2 ).

4. Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht eine willkürliche Auslegung und Anwendung des § 4 Ziff. 8 der Prüfungsverordnung vor, weil es in der Annahme, die in dieser Bestimmung vorgeschriebene praktische Tätigkeit sei auf einen voll ausgebildeten Juristen zugeschnitten, seine in die Zeit des Studiums fallende Tätigkeit auf einem Anwaltsbüro sowie als Auditor nicht anrechnete. Was er gegen die Bestimmung selbst vorbringt, deckt sich mit dieser Rüge.
a) § 4 Ziff. 8 der Prüfungsverordnung hält zwar nicht ausdrücklich fest, dass das vorgeschriebene Praktikum nur anzuerkennen ist, soweit der Kandidat dabei bereits über eine volle juristische Ausbildung verfügte. Schon der Wortlaut der Vorschrift lässt jedoch erkennen, dass ein solches Praktikum eine vollständige juristische Ausbildung erfordert, ist dieses doch als Richter, Gerichtsschreiber, Substitut eines Anwalts oder Gerichts, Auditor oder in gleichwertiger Stellung zu absolvieren. Dieser Sinn ergibt sich auch aus der Systematik der Prüfungsverordnung, wonach an erster Stelle von ausreichenden Rechtsstudien und erst darnach von der praktischen Tätigkeit gesprochen wird. Im übrigen liegt es auf der Hand, dass die Tätigkeit in einer solchen Stellung selbst schon umfangreiche und vertiefte juristische Kenntnisse voraussetzt, wie sie
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normalerweise erst in den obern Semestern erworben werden (vgl. GOTTFRIED WEISS, Die Gestaltung des Rechtsstudiums, in ZSR N.F. 68/1949 S. 232 a; GUHL, Die neuen Reglemente über die Fürsprecher und Notariatsprüfungen, in ZBJV 72/1936 S. 375 f.). In diesem Sinne hat auch das Bundesgericht ausgeführt, das Praktikum bei einem Anwalt sei eine Übergangszeit zwischen dem Universitätsstudium und der freien Berufsausübung als Anwalt ( BGE 50 I 29 ). Die beanstandete Auslegung von § 4 Ziff. 8 der Prüfungsverordnung lässt sich mit sachlichen Überlegungen vertreten und widerspricht auch dem Sinn der zürcherischen Vorschriften über die Zulassung zur Anwaltsprüfung nicht. Sie ist daher nicht willkürlich ( BGE 96 I 36 ). Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist unbehelflich.
b) Ob es unter dem Gesichtswinkel der Willkür mit § 4 Ziff. 8 der Prüfungsverordnung vereinbar wäre, wenn das Obergericht ganz allgemein und ohne Rücksicht auf die Verhältnisse der einzelnen Kandidaten nur ein nach Abschluss des juristischen Studiums absolviertes Praktikum anerkennen und mithin nur Kandidaten mit Studienabschluss zulassen würde, was aus dem angefochtenen Entscheid geschlossen werden könnte, braucht hier nicht geprüft zu werden. Denn im Falle des Beschwerdeführers ist es jedenfalls nicht unhaltbar, dessen in die Jahre 1967 und 1968 fallende Tätigkeit auf einem Anwaltsbüro sowie als Auditor am Bezirksgericht Dielsdorf von je nur drei Monaten bzw. etwas darüber als vollwertiges Praktikum im oben umschriebenen Sinne anzuerkennen. In den betreffenden Berichten über die Leistungen des Beschwerdeführers wird darauf hingewiesen, dass man ihn entsprechend dem damaligen Stand seiner fachlichen Kenntnisse einsetzte.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

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