BGE 99 II 401 vom 11. Dezember 1973

Datum: 11. Dezember 1973

Artikelreferenzen:  Art. 292 StGB, Art. 3 MSchG, Art. 14 MSchG , Art. 3 Abs. 2 MSchG, Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG

BGE referenzen:  82 II 340, 96 I 752, 104 IB 138, 130 III 328 , 91 I 357, 96 I 250, 96 II 249, 95 I 478, 94 I 76, 93 II 263, 96 II 250, 88 II 380, 98 II 144, 96 I 755, 96 II 261, 84 II 225, 96 I 752, 96 II 251, 93 II 264, 82 II 340, 94 I 76, 93 II 263, 96 II 250, 88 II 380, 98 II 144, 96 I 755, 96 II 261, 84 II 225, 96 I 752, 96 II 251, 93 II 264, 82 II 340

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

99 II 401


57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1973 i.S. SADEC, Aktiengesellschaft für chemische Unternehmungen gegen Dr. Schieffer, Arzneimittelgesellschaft mbH

Regeste

Markenrecht.
Schutzfähigkeit der Marke "Biovital". Die ungewöhnliche Verbindung zweier an sich gemeinfreier Zeichen kann eine schutzfähige Marke bilden. Keine Sachbezeichnung liegt vor, wenn eine Wort bloss mit Hilfe der Phantasie auf die Beschaffenheit, Herkunft oder Zweckbestimmung einer Ware schliessen lässt (Erw. 1).

Sachverhalt ab Seite 401

BGE 99 II 401 S. 401

A.- Die Dr. Schieffer-Arzneimittel-Gesellschaft mbH & Co. ist Inhaberin der am 7. Juli 1955, mit deutscher Priorität, eingetragenen internationalen Wortmarke Nr. 186 057 "Biovital" für "Médicaments, produits chimiques pour la médecine et l'hygiène, drogues pharmaceutiques, emplâtres, étoffes pour pansements, produits pour la destruction d'animaux et de végétaux, désinfectants, produits pour conserver les aliments".
Die SADEC Aktiengesellschaft für chemische Unternehmungen hinterlegte am 15. April 1971 die unter Nr. 252 885 registrierte schweizerische Wortmarke "FERO-VITAL" für "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse
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für Kinder und Kranke; Pflaster, Verbandsmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von Unkraut und schädlichen Tieren".
In der Folge forderte die Firma Dr. Schieffer durch ihren schweizerischen Anwalt die SADEC Aktiengesellschaft auf, die Marke "FERO-VITAL" wegen Verwechslungsgefahr zu löschen. SADEC lehnte dieses Ansinnen ab.

B.- Daraufhin klagte die Firma Dr. Schieffer im Juni 1972 gegen die SADEC Aktiengesellschaft mit den Begehren:
"1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Schweizer Marke Nr. 242 885 FERO-VITAL der Beklagten nichtig ist.
2. Es sei der Beklagten unter Androhung von Haft oder Busse gemäss Art. 292 StGB im Widerhandlungsfall an ihre Organe zu verbieten, die Bezeichnung FERO-VITAL im Zusammenhang mit dem Anbieten, Verkaufen oder Inverkehrbringen von pharmazeutischen Erzeugnissen zu gebrauchen."
Das Kantonsgericht Nidwalden hiess die Klage am 10. Mai 1973 gut.

C.- Die Beklagte legte Berufung an das Bundesgericht ein. Sie beantragt Abweisung der Klage. Die Klägerin schliesst auf Bestätigung des kantonalen Entscheides.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Die Beklagte hält an der Einrede fest, die Wortverbindung "Biovital" sei nicht schutzfähig, weil sie keine unterscheidende Kraft habe; sie setze sich aus zwei Wörtern des allgemeinen Sprachgebrauchs zusammen und sei daher Gemeingut.
a) Zeichen, die als Gemeingut anzusehen sind, geniessen den Markenschutz nicht (Art. 3 Abs. 2, 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG). Das gilt für Wörter, die in einem so engen Zusammenhang zur Ware stehen, dass sie unmittelbar auf deren Herkunft, Zweckbestimmung oder Eigenschaften hinweisen, also Sachbezeichnungen sind und als solche die erforderliche Kennzeichnungs-und Unterscheidungskraft nicht besitzen ( BGE 96 I 250 , 755, BGE 96 II 249 , BGE 95 I 478 f., BGE 94 I 76 , BGE 93 II 263 f., BGE 91 I 357 ; DAVID, Kommentar 2. Aufl. zu Art. 3 MSchG N. 18 ff.; TROLLER, Immaterialgüterrecht II. Aufl. I S. 347 ff.). Eine Marke ist jedoch nicht schon dann Gemeingut, wenn sie ein gemeinfreies Element enthält,
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sondern nur dann, wenn sie als Ganzes auf die Beschaffenheit oder Herkunft der Ware hinweist ( BGE 96 II 250 , BGE 88 II 380 ). Fehlt ein solcher Hinweis, so kann auch die ungewöhnliche Verbindung zweier an sich gemeinfreier Zeicher eine schutzfähige Marke bilden (DAVID, a.a.O. N. 19, 20 und 22).
b) Der Ausdruck "Bio..." stammt aus dem Griechischen. Er wird verwendet als Bestimmungswort von Zusammensetzungen mit der Bedeutung "Lebens..." oder "lebens..." und erscheint in zahlreichen Verbindungen, von Bioastronautik über u.a. Biochemie, Biodynamik, Biographie, Bioklima, Biologie, Biometrik, Biopsychismus, Biorhythmen, Biosoziologie, Biosphäre, Biotechnik bis biozentrisch. "Vital" anderseits ist lateinischen Ursprungs und bedeutet lebensvoll, lebenswichtig, lebenskräftig, für das Leben kennzeichnend, das Leben betreffend, unternehmungslustig (vgl. unter den entsprechenden Stichwörtern im Brockhaus Enzyklopädie, Der grosse Herder, Meyers Enzyklopädisches Lexikon bzw. Vorauslexikon dazu). Beide Wörter sind in die schweizerischen Landessprachen eingegangen und je für sich und in Zusammensetzungen der erwähnten Art gebräuchlich und verständlich.
c) Massgebend ist nach dem Gesagten nicht, ob die Markenbestandteile "Bio" und "vital" je einzeln gemeinfrei seien. Zu beurteilen ist die Wortverbindung insgesamt. Sie ergibt einen originellen Pleonasmus, indem kein Wort das andere präzisiert, und der keinen klaren Sinn ergibt, gerade deshalb besticht und dadurch kennzeichnend wirken kann. Abgesehen davon, dass sie ungebräuchlich ist, enthält sie keine unmittelbare Angabe über Zweckbestimmung, Beschaffenheit oder Eigenschaften der Waren, die sie kennzeichnet. Das Warenverzeichnis der Klägerin umfasst medizinische, pharmazeutische, hygienische Produkte sowie Schädlingsvertilgungs-, Desinfektions- und Konservierungsmittel. Es könnte ebenso gut noch weitere ähnliche oder andere Erzeugnisse einschliessen, etwa Nahrungsmittel, wie sie in sogenannten Reformhäusern angeboten werden, Mittel zur Erhaltung oder Hebung körperlicher Leistungsfähigkeit usw. Die genannten Waren mögen einen engeren oder weiteren Zusammenhang mit "Leben" oder "Beleben" haben, der jedoch durch die Wortverbindung "Biovital" nicht konkret, sondern bloss andeutungsweise aufgezeigt wird. Anspielungen, die bloss entfernt, mit Hilfe besonderer Phantasie auf die Beschaffenheit, Herkunft oder Zweckbestimmung einer Ware schliessen lassen,
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sind indessen nicht Gemeingut nach Art. 3 Abs. 2 MSchG ( BGE 98 II 144 und dort erwähnte Entscheide).
Zu diesem Ergebnis gelangt man, ohne sich auf die Meinung der im Kantonsgericht vertretenen Laienrichter zu stützen. Die Kritik der Beklagten, die Vorinstanz sei nicht aus "sachverständigen Laien für Stärkungsmittel zusammengesetzt", stösst daher ins Leere. Abgesehen davon, geht es nicht allein um Stärkungsmittel, die im Warenverzeichnis nicht ausdrücklich aufgeführt sind und auf die die Marke so wenig wie auf andere Erzeugnisse unmittelbar hinweist. Im übrigen ist für die Bewertung einer Marke nicht die Auffassung des durchschnittlichen Verbrauchers massgebend, den das Kantonsgericht in seinen Laienrichtern vertreten sieht. Ein Wort ist schon dann nicht mehr als Marke zu schützen, wenn nur ein bestimmter Kreis, z.B. die Fachleute, es allgemein zur Bezeichnung einer bestimmten Ware verwendet ( BGE 96 I 755 und dort erwähnte Entscheide). Ob das zutrifft, ist Tatfrage ( BGE 96 II 261 ). Die Beklagte behauptet nicht, sie habe im kantonalen Verfahren ein abweichendes Fachverständnis behauptet und dafür Beweis angeboten. Sie kann aus BGE 91 I 357 und Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG nichts für sich ableiten. Um einen im Gemeingut stehenden wesentlichen Markenbestandteil im Sinne des Gesetzes und jenes Entscheides handelt es sich bei "Biovital" nicht. Ebensowenig hilft ihr der Hinweis auf BGE 84 II 225 , mit dem die beiden Weinmarken "trois plants" und "deux plants" ihres bestimmten und unmittelbar erkennbaren Gehaltes wegen als Sachbezeichnung beurteilt wurden. Anders als beispielsweise die für ein ähnliches Warenverzeichnis gewählte und nicht als schutzfähig erklärte Marke "Enterocura" ( BGE 96 I 752 ff) hat "Biovital" keinen spezifischen Sinn. Sie gehört als Ganzes im Unterschied zu ihren Bestandteilen in keiner Landessprache zum allgemeinen Wortschatz.
d) Die Marke "Biovital" der Klägerin ist nicht deshalb Gemeingut, weil Dritte ihre Bestandteile in Marken für gleiche oder ähnliche Waren ebenfalls verwenden. Jene Wirkung tritt erst ein, wenn der Gebrauch eines Zeichens so allgemein geworden ist, dass es über die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Betrieb nichts mehr auszusagen vermag, weil alle am Verkehr der Ware beteiligten Kreise, namentlich auch die Fabrikanten, es für eine Sachbezeichnung halten und die Rückbildung in ein Individualzeichen sich trotz darauf gerichteter Bestrebungen als
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unmöglich erweist ( BGE 96 II 251 , BGE 93 II 264 ). Das Kantonsgericht stellt zwar fest, dass das Vorwort "Bio" über zwanzigmal und das Wort "vital" weit über fünfzigmal als Bestandteil von Wortmarken für pharmazeutische Produkte erscheinen. Es sagt aber nicht, dass deswegen diese Bestandteile und ihre Verbindung zu "Biovital" die genannte Entwicklung durchgemacht hätten und von allen beteiligten Kreisen unwiderruflich als Sachbezeichnungen für pharmazeutische Produkte betrachtet würden. Vielmehr erklärt es, die Marke der Klägerin habe sich im Geschäftsverkehr durchgesetzt. Es stützt sich dabei - beweiswürdigend - auf die laufenden Erhebungen der IHA Institut für Marktanalysen AG Hergiswil, was die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr beanstandet. Sie macht aber insbesondere geltend, der für das vierte Quartal 1972 von der Klägerin auf dem Gebiete der Stärkungsmittel erzielte Marktanteil spreche nicht für die Verkehrsgeltung der Marke "Biovital", da der Käufer das Erzeugnis wegen der Beschreibung "Bio" und "vital" erstehe. Das ist schon deshalb unzutreffend, weil das Produkt tatsächlich unter der Bezeichnung "Biovital" angeboten wird. Der unter Hinweis auf BGE 82 II 340 (Verkehrsgeltung der seit Jahrzehnten verwendeten Firma Eisen & Metall A.-G.) vorgebrachte Einwand der Beklagten, die Klägerin habe sich nirgends darüber geäussert, seit wann sie die im Juli 1955 eingetragene internationale Marke "Biovital" gebrauche, ist unbegründet, hat doch das Kantonsgericht festgestellt, die Klägerin habe die Marke "dauernd zur Kennzeichnung ihres Eisenpräparates in der Schweiz benutzt und vor allem in jüngerer Zeitbeträchtliche Umsätze erzielt". Angesichts dessen unterstellt die Beklagte zu Unrecht, es sei "sehr naheliegend", dass der ermittelte Marktanteil infolge einer kurzen, breit gestreuten Propaganda erzielt worden sei.

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