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Schweizerische Strafprozessordnung
(Strafprozessordnung, StPO)

vom 5. Oktober 2007 (Stand am 1. Juli 2022)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

gestützt auf Artikel 123 Absatz 1 der Bundesverfassung1,
nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 20052,

beschliesst:

1. Titel: Geltungsbereich und Grundsätze

1. Kapitel: Geltungsbereich und Ausübung der Strafrechtspflege

Art. 1 Geltungsbereich

1 Die­ses Ge­setz re­gelt die Ver­fol­gung und Be­ur­tei­lung der Straf­ta­ten nach Bun­des­recht durch die Straf­be­hör­den des Bun­des und der Kan­to­ne.

2 Die Ver­fah­rens­vor­schrif­ten an­de­rer Bun­des­ge­set­ze blei­ben vor­be­hal­ten.

Art. 2 Ausübung der Strafrechtspflege

1 Die Straf­rechts­pfle­ge steht ein­zig den vom Ge­setz be­stimm­ten Be­hör­den zu.

2 Straf­ver­fah­ren kön­nen nur in den vom Ge­setz vor­ge­se­he­nen For­men durch­ge­führt und ab­ge­schlos­sen wer­den.

2. Kapitel: Grundsätze des Strafverfahrensrechts

Art. 3 Achtung der Menschenwürde und Fairnessgebot

1 Die Straf­be­hör­den ach­ten in al­len Ver­fah­rens­sta­di­en die Wür­de der vom Ver­fah­ren be­trof­fe­nen Men­schen.

2 Sie be­ach­ten na­ment­lich:

a.
den Grund­satz von Treu und Glau­ben;
b.
das Ver­bot des Rechts­miss­brauchs;
c.
das Ge­bot, al­le Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten gleich und ge­recht zu be­han­deln und ih­nen recht­li­ches Ge­hör zu ge­wäh­ren;
d.
das Ver­bot, bei der Be­weis­er­he­bung Me­tho­den an­zu­wen­den, wel­che die Men­schen­wür­de ver­let­zen.

Art. 4 Unabhängigkeit

1 Die Straf­be­hör­den sind in der Rechts­an­wen­dung un­ab­hän­gig und al­lein dem Recht ver­pflich­tet.

2 Ge­setz­li­che Wei­sungs­be­fug­nis­se nach Ar­ti­kel 14 ge­gen­über den Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den blei­ben vor­be­hal­ten.

Art. 5 Beschleunigungsgebot

1 Die Straf­be­hör­den neh­men die Straf­ver­fah­ren un­ver­züg­lich an die Hand und brin­gen sie oh­ne un­be­grün­de­te Ver­zö­ge­rung zum Ab­schluss.

2 Be­fin­det sich ei­ne be­schul­dig­te Per­son in Haft, so wird ihr Ver­fah­ren vor­dring­lich durch­ge­führt.

Art. 6 Untersuchungsgrundsatz

1 Die Straf­be­hör­den klä­ren von Am­tes we­gen al­le für die Be­ur­tei­lung der Tat und der be­schul­dig­ten Per­son be­deut­sa­men Tat­sa­chen ab.

2 Sie un­ter­su­chen die be­las­ten­den und ent­las­ten­den Um­stän­de mit glei­cher Sorg­falt.

Art. 7 Verfolgungszwang

1 Die Straf­be­hör­den sind ver­pflich­tet, im Rah­men ih­rer Zu­stän­dig­keit ein Ver­fah­ren ein­zu­lei­ten und durch­zu­füh­ren, wenn ih­nen Straf­ta­ten oder auf Straf­ta­ten hin­wei­sen­de Ver­dachts­grün­de be­kannt wer­den.

2 Die Kan­to­ne kön­nen vor­se­hen, dass:

a.
die straf­recht­li­che Ver­ant­wort­lich­keit der Mit­glie­der ih­rer ge­setz­ge­ben­den und rich­ter­li­chen Be­hör­den so­wie ih­rer Re­gie­run­gen für Äus­se­run­gen im kan­to­na­len Par­la­ment aus­ge­schlos­sen oder be­schränkt wird;
b.
die Straf­ver­fol­gung der Mit­glie­der ih­rer Voll­zie­hungs- und Ge­richts­be­hör­den we­gen im Amt be­gan­ge­ner Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen von der Er­mäch­ti­gung ei­ner nicht rich­ter­li­chen Be­hör­de ab­hängt.

Art. 8 Verzicht auf Strafverfolgung

1 Staats­an­walt­schaft und Ge­rich­te se­hen von der Straf­ver­fol­gung ab, wenn das Bun­des­recht es vor­sieht, na­ment­lich un­ter den Vor­aus­set­zun­gen der Ar­ti­kel 52, 53 und 54 des Straf­ge­setz­bu­ches3 (StGB).

2 So­fern nicht über­wie­gen­de In­ter­es­sen der Pri­vat­klä­ger­schaft ent­ge­gen­ste­hen, se­hen sie aus­ser­dem von ei­ner Straf­ver­fol­gung ab, wenn:

a.
der Straf­tat ne­ben den an­de­ren der be­schul­dig­ten Per­son zur Last ge­leg­ten Ta­ten für die Fest­set­zung der zu er­war­ten­den Stra­fe oder Mass­nah­me kei­ne we­sent­li­che Be­deu­tung zu­kommt;
b.
ei­ne vor­aus­sicht­lich nicht ins Ge­wicht fal­len­de Zu­satz­stra­fe zu ei­ner rechts­kräf­tig aus­ge­fäll­ten Stra­fe aus­zu­spre­chen wä­re;
c.
ei­ne im Aus­land aus­ge­spro­che­ne Stra­fe an­zu­rech­nen wä­re, wel­che der für die ver­folg­te Straf­tat zu er­war­ten­den Stra­fe ent­spricht.

3 So­fern nicht über­wie­gen­de In­ter­es­sen der Pri­vat­klä­ger­schaft ent­ge­gen­ste­hen, kön­nen Staats­an­walt­schaft und Ge­rich­te von der Straf­ver­fol­gung ab­se­hen, wenn die Straf­tat be­reits von ei­ner aus­län­di­schen Be­hör­de ver­folgt oder die Ver­fol­gung an ei­ne sol­che ab­ge­tre­ten wird.

4 Sie ver­fü­gen in die­sen Fäl­len, dass kein Ver­fah­ren er­öff­net oder das lau­fen­de Ver­fah­ren ein­ge­stellt wird.

Art. 9 Anklagegrundsatz

1 Ei­ne Straf­tat kann nur ge­richt­lich be­ur­teilt wer­den, wenn die Staats­an­walt­schaft ge­gen ei­ne be­stimm­te Per­son we­gen ei­nes ge­nau um­schrie­be­nen Sach­ver­halts beim zu­stän­di­gen Ge­richt An­kla­ge er­ho­ben hat.

2 Das Straf­be­fehls- und das Über­tre­tungs­straf­ver­fah­ren blei­ben vor­be­hal­ten.

Art. 10 Unschuldsvermutung und Beweiswürdigung

1 Je­de Per­son gilt bis zu ih­rer rechts­kräf­ti­gen Ver­ur­tei­lung als un­schul­dig.

2 Das Ge­richt wür­digt die Be­wei­se frei nach sei­ner aus dem ge­sam­ten Ver­fah­ren ge­won­ne­nen Über­zeu­gung.

3 Be­ste­hen un­über­wind­li­che Zwei­fel an der Er­fül­lung der tat­säch­li­chen Vor­aus­set­zun­gen der an­ge­klag­ten Tat, so geht das Ge­richt von der für die be­schul­dig­te Per­son güns­ti­ge­ren Sach­la­ge aus.

Art. 11 Verbot der doppelten Strafverfolgung

1 Wer in der Schweiz rechts­kräf­tig ver­ur­teilt oder frei­ge­spro­chen wor­den ist, darf we­gen der glei­chen Straf­tat nicht er­neut ver­folgt wer­den.

2 Vor­be­hal­ten blei­ben die Wie­der­auf­nah­me ei­nes ein­ge­stell­ten oder nicht an­hand ge­nom­me­nen Ver­fah­rens und die Re­vi­si­on.

2. Titel: Strafbehörden

1. Kapitel: Befugnisse

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 12 Strafverfolgungsbehörden

Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den sind:

a.
die Po­li­zei;
b.
die Staats­an­walt­schaft;
c.
die Über­tre­tungs­straf­be­hör­den.

Art. 13 Gerichte

Ge­richt­li­che Be­fug­nis­se im Straf­ver­fah­ren ha­ben:

a.
das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt;
b.
das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt;
c.
die Be­schwer­de­in­stanz;
d.
das Be­ru­fungs­ge­richt.

Art. 14 Bezeichnung und Organisation der Strafbehörden

1 Bund und Kan­to­ne be­stim­men ih­re Straf­be­hör­den und de­ren Be­zeich­nun­gen.

2 Sie re­geln Wahl, Zu­sam­men­set­zung, Or­ga­ni­sa­ti­on und Be­fug­nis­se der Straf­be­hör­den, so­weit die­ses Ge­setz oder an­de­re Bun­des­ge­set­ze dies nicht ab­sch­lies­send re­geln.

3 Sie kön­nen Ober- oder Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaf­ten vor­se­hen.

4 Sie kön­nen meh­re­re gleich­ar­ti­ge Straf­be­hör­den ein­set­zen und be­stim­men für die­sen Fall den je­wei­li­gen ört­li­chen und sach­li­chen Zu­stän­dig­keits­be­reich; aus­ge­nom­men sind die Be­schwer­de­in­stanz und das Be­ru­fungs­ge­richt.

5 Sie re­geln die Auf­sicht über ih­re Straf­be­hör­den.

2. Abschnitt: Strafverfolgungsbehörden

Art. 15 Polizei

1 Die Tä­tig­keit der Po­li­zei von Bund, Kan­to­nen und Ge­mein­den im Rah­men der Straf­ver­fol­gung rich­tet sich nach die­sem Ge­setz.

2 Die Po­li­zei er­mit­telt Straf­ta­ten aus ei­ge­nem An­trieb, auf An­zei­ge von Pri­va­ten und Be­hör­den so­wie im Auf­trag der Staats­an­walt­schaft; da­bei un­ter­steht sie der Auf­sicht und den Wei­sun­gen der Staats­an­walt­schaft.

3 Ist ein Straf­fall bei ei­nem Ge­richt hän­gig, so kann die­ses der Po­li­zei Wei­sun­gen und Auf­trä­ge er­tei­len.

Art. 16 Staatsanwaltschaft

1 Die Staats­an­walt­schaft ist für die gleich­mäs­si­ge Durch­set­zung des staat­li­chen Straf­an­spruchs ver­ant­wort­lich.

2 Sie lei­tet das Vor­ver­fah­ren, ver­folgt Straf­ta­ten im Rah­men der Un­ter­su­chung, er­hebt ge­ge­be­nen­falls An­kla­ge und ver­tritt die An­kla­ge.

Art. 17 Übertretungsstrafbehörden

1 Bund und Kan­to­ne kön­nen die Ver­fol­gung und Be­ur­tei­lung von Über­tre­tun­gen Ver­wal­tungs­be­hör­den über­tra­gen.

2 Über­tre­tun­gen, die im Zu­sam­men­hang mit ei­nem Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen ver­übt wor­den sind, wer­den zu­sam­men mit die­sem durch die Staats­an­walt­schaft und die Ge­rich­te ver­folgt und be­ur­teilt.

3. Abschnitt: Gerichte

Art. 18 Zwangsmassnahmengericht

1 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ist zu­stän­dig für die An­ord­nung der Un­ter­su­chungs- und der Si­cher­heits­haft und, so­weit in die­sem Ge­setz vor­ge­se­hen, für die An­ord­nung oder Ge­neh­mi­gung wei­te­rer Zwangs­mass­nah­men.

2 Mit­glie­der des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts kön­nen im glei­chen Fall nicht als Sach­rich­te­rin­nen oder Sach­rich­ter tä­tig sein.

Art. 19 Erstinstanzliches Gericht

1 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt be­ur­teilt in ers­ter In­stanz al­le Straf­ta­ten, die nicht in die Zu­stän­dig­keit an­de­rer Be­hör­den fal­len.

2 Bund und Kan­to­ne kön­nen als ers­tin­stanz­li­ches Ge­richt ein Ein­zel­ge­richt vor­se­hen für die Be­ur­tei­lung von:

a.
Über­tre­tun­gen;
b.
Ver­bre­chen und Ver­ge­hen, mit Aus­nah­me de­rer, für wel­che die Staats­an­walt­schaft ei­ne Frei­heits­s­tra­fe von mehr als zwei Jah­ren, ei­ne Ver­wah­rung nach Ar­ti­kel 64 StGB4, ei­ne Be­hand­lung nach Ar­ti­kel 59 Ab­satz 3 StGB oder, bei gleich­zei­tig zu wi­der­ru­fen­den be­ding­ten Sank­tio­nen, einen Frei­heits­ent­zug von mehr als zwei Jah­ren be­an­tragt.

Art. 20 Beschwerdeinstanz

1 Die Be­schwer­de­in­stanz be­ur­teilt Be­schwer­den ge­gen Ver­fah­rens­hand­lun­gen und ge­gen nicht der Be­ru­fung un­ter­lie­gen­de Ent­schei­de:

a.
der ers­tin­stanz­li­chen Ge­rich­te;
b.
der Po­li­zei, der Staats­an­walt­schaft und der Über­tre­tungs­straf­be­hör­den;
c.
des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts in den in die­sem Ge­setz vor­ge­se­he­nen Fäl­len.

2 Bund und Kan­to­ne kön­nen die Be­fug­nis­se der Be­schwer­de­in­stanz dem Be­ru­fungs­ge­richt über­tra­gen.

Art. 21 Berufungsgericht

1 Das Be­ru­fungs­ge­richt ent­schei­det über:

a.
Be­ru­fun­gen ge­gen Ur­tei­le der ers­tin­stanz­li­chen Ge­rich­te;
b.
Re­vi­si­ons­ge­su­che.

2 Wer als Mit­glied der Be­schwer­de­in­stanz tä­tig ge­wor­den ist, kann im glei­chen Fall nicht als Mit­glied des Be­ru­fungs­ge­richts wir­ken.

3 Mit­glie­der des Be­ru­fungs­ge­richts kön­nen im glei­chen Fall nicht als Re­vi­si­ons­rich­te­rin­nen und Re­vi­si­ons­rich­ter tä­tig sein.

2. Kapitel: Sachliche Zuständigkeit

1. Abschnitt: Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Kantonen

Art. 22 Kantonale Gerichtsbarkeit

Die kan­to­na­len Straf­be­hör­den ver­fol­gen und be­ur­tei­len die Straf­ta­ten des Bun­des­rechts; vor­be­hal­ten blei­ben die ge­setz­li­chen Aus­nah­men.

Art. 23 Bundesgerichtsbarkeit im Allgemeinen

1 Der Bun­des­ge­richts­bar­keit un­ter­ste­hen fol­gen­de Straf­ta­ten des StGB5:

a.6
die Straf­ta­ten des ers­ten und vier­ten Ti­tels so­wie der Ar­ti­kel 140, 156, 189 und 190, so­fern sie ge­gen völ­ker­recht­lich ge­schütz­te Per­so­nen, ge­gen Ma­gis­trats­per­so­nen des Bun­des, ge­gen Mit­glie­der der Bun­des­ver­samm­lung, ge­gen die Bun­des­an­wäl­tin, den Bun­des­an­walt oder die Stell­ver­tre­ten­den Bun­des­an­wäl­tin­nen oder Bun­des­an­wäl­te ge­rich­tet sind;
b.
die Straf­ta­ten der Ar­ti­kel 137–141, 144, 160 und 172ter, so­fern sie Räum­lich­kei­ten, Ar­chi­ve oder Schrift­stücke di­plo­ma­ti­scher Missio­nen und kon­su­la­ri­scher Pos­ten be­tref­fen;
c.
die Gei­sel­nah­me nach Ar­ti­kel 185 zur Nö­ti­gung von Be­hör­den des Bun­des oder des Aus­lan­des;
d.
die Ver­bre­chen und Ver­ge­hen der Ar­ti­kel 224–226ter;
e.7
die Ver­bre­chen und Ver­ge­hen des zehn­ten Ti­tels be­tref­fend Me­tall­geld, Pa­pier­geld und Bank­no­ten, amt­li­che Wert­zei­chen und sons­ti­ge Zei­chen des Bun­des, Mass und Ge­wicht; aus­ge­nom­men sind Vi­gnet­ten zur Be­nüt­zung von Na­tio­nal­stras­sen ers­ter und zwei­ter Klas­se;
f.
die Ver­bre­chen und Ver­ge­hen des elf­ten Ti­tels, so­fern es sich um Ur­kun­den des Bun­des han­delt, aus­ge­nom­men Fahr­aus­wei­se und Be­le­ge des Post­zah­lungs­ver­kehrs;
g.8
die Straf­ta­ten des zwölf­ten Ti­telsbis und des zwölf­ten Ti­telster so­wie des Ar­ti­kels 264k;
h.
die Straf­ta­ten des Ar­ti­kels 260bis so­wie des drei­zehn­ten bis fünf­zehn­ten und des sieb­zehn­ten Ti­tels, so­fern sie ge­gen den Bund, die Be­hör­den des Bun­des, ge­gen den Volks­wil­len bei eid­ge­nös­si­schen Wahlen, Ab­stim­mun­gen, Re­fe­ren­dums- oder In­itia­tiv­be­geh­ren, ge­gen die Bun­des­ge­walt oder ge­gen die Bun­des­rechts­pfle­ge ge­rich­tet sind;
i.
die Ver­bre­chen und Ver­ge­hen des sech­zehn­ten Ti­tels;
j.
die Straf­ta­ten des acht­zehn­ten und neun­zehn­ten Ti­tels, so­fern sie von ei­nem Be­hör­den­mit­glied oder An­ge­stell­ten des Bun­des oder ge­gen den Bund ver­übt wur­den;
k.
die Über­tre­tun­gen der Ar­ti­kel 329–331;
l.
die po­li­ti­schen Ver­bre­chen und Ver­ge­hen, die Ur­sa­che oder Fol­ge von Un­ru­hen sind, durch die ei­ne be­waff­ne­te eid­ge­nös­si­sche In­ter­ven­ti­on ver­an­lasst wird.

2 Die in be­son­de­ren Bun­des­ge­set­zen ent­hal­te­nen Vor­schrif­ten über die Zu­stän­dig­keit des Bun­dess­traf­ge­richts blei­ben vor­be­hal­ten.

5 SR 311.0

6 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

7 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des Ord­nungs­bus­sen­ge­set­zes vom 18. März 2016, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 6559; BBl 2015 959).

8 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 18. Ju­ni 2010 über die Än­de­rung von Bun­des­ge­set­zen zur Um­set­zung des Rö­mer Sta­tuts des In­ter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 4963; BBl 2008 3863).

Art. 24 Bundesgerichtsbarkeit bei organisiertem Verbrechen, terroristischen Straftaten und Wirtschaftskriminalität 9

1 Der Bun­des­ge­richts­bar­keit un­ter­ste­hen zu­dem die Straf­ta­ten nach den Ar­ti­keln 260ter, 260quin­quies, 260se­xies, 305bis, 305ter und 322ter–322sep­ties StGB10 so­wie die Ver­bre­chen, die von ei­ner kri­mi­nel­len oder ter­ro­ris­ti­schen Or­ga­ni­sa­ti­on im Sin­ne von Ar­ti­kel 260ter StGB aus­ge­hen, wenn die Straf­ta­ten:11

a.
zu ei­nem we­sent­li­chen Teil im Aus­land be­gan­gen wor­den sind;
b.
in meh­re­ren Kan­to­nen be­gan­gen wor­den sind und da­bei kein ein­deu­ti­ger Schwer­punkt in ei­nem Kan­ton be­steht.

2 Bei Ver­bre­chen des zwei­ten und des elf­ten Ti­tels des StGB kann die Staats­an­walt­schaft des Bun­des ei­ne Un­ter­su­chung er­öff­nen, wenn:

a.
die Vor­aus­set­zun­gen von Ab­satz 1 er­füllt sind; und
b.
kei­ne kan­to­na­le Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de mit der Sa­che be­fasst ist oder die zu­stän­di­ge kan­to­na­le Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de die Staats­an­walt­schaft des Bun­des um Über­nah­me des Ver­fah­rens er­sucht.

3 Die Er­öff­nung ei­ner Un­ter­su­chung nach Ab­satz 2 be­grün­det Bun­des­ge­richts­bar­keit.

9 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 3 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

10 SR 311.0

11 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 3 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

Art. 25 Delegation an die Kantone

1 Die Staats­an­walt­schaft des Bun­des kann ei­ne Strafsa­che, für wel­che Bun­des­ge­richts­bar­keit nach Ar­ti­kel 23 ge­ge­ben ist, den kan­to­na­len Be­hör­den zur Un­ter­su­chung und Be­ur­tei­lung, aus­nahms­wei­se nur zur Be­ur­tei­lung über­tra­gen. Aus­ge­nom­men sind Strafsa­chen nach Ar­ti­kel 23 Ab­satz 1 Buch­sta­be g.

2 In ein­fa­chen Fäl­len kann sie auch ei­ne Strafsa­che, für wel­che Bun­des­ge­richts­bar­keit nach Ar­ti­kel 24 ge­ge­ben ist, den kan­to­na­len Be­hör­den zur Un­ter­su­chung und Be­ur­tei­lung über­tra­gen.

Art. 26 Mehrfache Zuständigkeit

1 Wur­de die Straf­tat in meh­re­ren Kan­to­nen oder im Aus­land be­gan­gen oder ha­ben Tä­te­rin­nen, Tä­ter, Mit­tä­te­rin­nen, Mit­tä­ter, Teil­neh­me­rin­nen oder Teil­neh­mer ih­ren Wohn­sitz oder ih­ren ge­wöhn­li­chen Auf­ent­halts­ort in ver­schie­de­nen Kan­to­nen, so ent­schei­det die Staats­an­walt­schaft des Bun­des, wel­cher Kan­ton die Strafsa­che un­ter­sucht und be­ur­teilt.

2 Ist in ei­ner Strafsa­che so­wohl Bun­des­ge­richts­bar­keit als auch kan­to­na­le Ge­richts­bar­keit ge­ge­ben, so kann die Staats­an­walt­schaft des Bun­des die Ver­ei­ni­gung der Ver­fah­ren in der Hand der Bun­des­be­hör­den oder der kan­to­na­len Be­hör­den an­ord­nen.

3 Ei­ne nach Ab­satz 2 be­grün­de­te Ge­richts­bar­keit bleibt be­ste­hen, auch wenn der die Zu­stän­dig­keit be­grün­den­de Teil des Ver­fah­rens ein­ge­stellt wird.

4 Kommt ei­ne De­le­ga­ti­on im Sin­ne die­ses Ka­pi­tels in Fra­ge, so stel­len die Staats­an­walt­schaf­ten des Bun­des und der Kan­to­ne sich die Ak­ten ge­gen­sei­tig zur Ein­sicht­nah­me zu. Nach dem Ent­scheid ge­hen die Ak­ten an die Be­hör­de, wel­che die Sa­che zu un­ter­su­chen und zu be­ur­tei­len hat.

Art. 27 Zuständigkeit für erste Ermittlungen

1 Ist in ei­nem Fall Bun­des­ge­richts­bar­keit ge­ge­ben, ist die Sa­che dring­lich und sind die Straf­be­hör­den des Bun­des noch nicht tä­tig ge­wor­den, so kön­nen die po­li­zei­li­chen Er­mitt­lun­gen und die Un­ter­su­chung auch von den kan­to­na­len Be­hör­den durch­ge­führt wer­den, die nach den Ge­richts­stands­re­geln ört­lich zu­stän­dig wä­ren. Die Staats­an­walt­schaft des Bun­des ist un­ver­züg­lich zu ori­en­tie­ren; der Fall ist ihr so bald als mög­lich zu über­ge­ben be­zie­hungs­wei­se zum Ent­scheid nach Ar­ti­kel 25 oder 26 zu un­ter­brei­ten.

2 Bei Straf­ta­ten, die ganz oder teil­wei­se in meh­re­ren Kan­to­nen oder im Aus­land be­gan­gen wor­den sind und bei de­nen die Zu­stän­dig­keit des Bun­des oder ei­nes Kan­tons noch nicht fest­steht, kön­nen die Straf­be­hör­den des Bun­des ers­te Er­mitt­lun­gen durch­füh­ren.

Art. 28 Konflikte

Kon­flik­te zwi­schen der Staats­an­walt­schaft des Bun­des und kan­to­na­len Straf­be­hör­den ent­schei­det das Bun­dess­traf­ge­richt.

2. Abschnitt: Zuständigkeit beim Zusammentreffen mehrerer Straftaten

Art. 29 Grundsatz der Verfahrenseinheit

1 Straf­ta­ten wer­den ge­mein­sam ver­folgt und be­ur­teilt, wenn:

a.
ei­ne be­schul­dig­te Per­son meh­re­re Straf­ta­ten ver­übt hat; oder
b.
Mit­tä­ter­schaft oder Teil­nah­me vor­liegt.

2 Han­delt es sich um Straf­ta­ten, die teil­wei­se in die Zu­stän­dig­keit des Bun­des fal­len oder die in ver­schie­de­nen Kan­to­nen und von meh­re­ren Per­so­nen be­gan­gen wor­den sind, so ge­hen die Ar­ti­kel 25 und 33–38 vor.

Art. 30 Ausnahmen

Die Staats­an­walt­schaft und die Ge­rich­te kön­nen aus sach­li­chen Grün­den Straf­ver­fah­ren tren­nen oder ver­ei­nen.

3. Kapitel: Gerichtsstand

1. Abschnitt: Grundsätze

Art. 31 Gerichtsstand des Tatortes

1 Für die Ver­fol­gung und Be­ur­tei­lung ei­ner Straf­tat sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem die Tat ver­übt wor­den ist. Liegt nur der Ort, an dem der Er­folg der Straf­tat ein­ge­tre­ten ist, in der Schweiz, so sind die Be­hör­den die­ses Or­tes zu­stän­dig.

2 Ist die Straf­tat an meh­re­ren Or­ten ver­übt wor­den oder ist der Er­folg an meh­re­ren Or­ten ein­ge­tre­ten, so sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem zu­erst Ver­fol­gungs­hand­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den sind.

3 Hat ei­ne be­schul­dig­te Per­son am sel­ben Ort meh­re­re Ver­bre­chen, Ver­ge­hen oder Über­tre­tun­gen ver­übt, so wer­den die Ver­fah­ren ver­eint.

Art. 32 Gerichtsstand bei Straftaten im Ausland oder ungewissem Tatort

1 Ist ei­ne Straf­tat im Aus­land ver­übt wor­den oder kann der Tat­ort nicht er­mit­telt wer­den, so sind für die Ver­fol­gung und Be­ur­tei­lung die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem die be­schul­dig­te Per­son ih­ren Wohn­sitz oder ih­ren ge­wöhn­li­chen Auf­ent­halt hat.

2 Hat die be­schul­dig­te Per­son we­der Wohn­sitz noch ge­wöhn­li­chen Auf­ent­halt in der Schweiz, so sind die Be­hör­den des Hei­mator­tes zu­stän­dig; fehlt auch ein Hei­mat­ort, so sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem die be­schul­dig­te Per­son an­ge­trof­fen wor­den ist.

3 Fehlt ein Ge­richts­stand nach den Ab­sät­zen 1 und 2, so sind die Be­hör­den des Kan­tons zu­stän­dig, der die Aus­lie­fe­rung ver­langt hat.

2. Abschnitt: Besondere Gerichtsstände

Art. 33 Gerichtsstand im Falle mehrerer Beteiligter

1 Die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer ei­ner Straf­tat wer­den von den glei­chen Be­hör­den ver­folgt und be­ur­teilt wie die Tä­te­rin oder der Tä­ter.

2 Ist ei­ne Straf­tat von meh­re­ren Mit­tä­te­rin­nen oder Mit­tä­tern ver­übt wor­den, so sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem zu­erst Ver­fol­gungs­hand­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den sind.

Art. 34 Gerichtsstand bei mehreren an verschiedenen Orten verübten Straftaten


1 Hat ei­ne be­schul­dig­te Per­son meh­re­re Straf­ta­ten an ver­schie­de­nen Or­ten ver­übt, so sind für die Ver­fol­gung und Be­ur­tei­lung sämt­li­cher Ta­ten die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem die mit der schwers­ten Stra­fe be­droh­te Tat be­gan­gen wor­den ist. Bei glei­cher Straf­dro­hung sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem zu­erst Ver­fol­gungs­hand­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den sind.

2 Ist in ei­nem be­tei­lig­ten Kan­ton im Zeit­punkt des Ge­richts­stands­ver­fah­rens nach den Ar­ti­keln 39–42 we­gen ei­ner der Straf­ta­ten schon An­kla­ge er­ho­ben wor­den, so wer­den die Ver­fah­ren ge­trennt ge­führt.

3 Ist ei­ne Per­son von ver­schie­de­nen Ge­rich­ten zu meh­re­ren gleich­ar­ti­gen Stra­fen ver­ur­teilt wor­den, so setzt das Ge­richt, das die schwers­te Stra­fe aus­ge­spro­chen hat, auf Ge­such der ver­ur­teil­ten Per­son ei­ne Ge­samt­stra­fe fest.

Art. 35 Gerichtsstand bei Straftaten durch Medien

1 Bei ei­ner in der Schweiz be­gan­ge­nen Straf­tat nach Ar­ti­kel 28 StGB12 sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem das Me­dien­un­ter­neh­men sei­nen Sitz hat.

2 Ist die Au­to­rin oder der Au­tor be­kannt und hat sie oder er den Wohn­sitz oder ge­wöhn­li­chen Auf­ent­halt in der Schweiz, so sind auch die Be­hör­den des Wohn­sit­zes oder des ge­wöhn­li­chen Auf­ent­halts­or­tes zu­stän­dig. In die­sem Fal­le wird das Ver­fah­ren dort durch­ge­führt, wo zu­erst Ver­fol­gungs­hand­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den sind. Bei An­trags­de­lik­ten kann die an­trag­stel­len­de Per­son zwi­schen den bei­den Ge­richts­stän­den wäh­len.

3 Be­steht kein Ge­richts­stand nach den Ab­sät­zen 1 und 2, so sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem das Me­diener­zeug­nis ver­brei­tet wor­den ist. Er­folgt die Ver­brei­tung an meh­re­ren Or­ten, so sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem zu­erst Ver­fol­gungs­hand­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den sind.

Art. 36 Gerichtsstand bei Betreibungs- und Konkursdelikten und bei Strafverfahren gegen Unternehmen


1 Bei Straf­ta­ten nach den Ar­ti­keln 163–171bis StGB13 sind die Be­hör­den am Wohn­sitz, am ge­wöhn­li­chen Auf­ent­halts­ort oder am Sitz der Schuld­ne­rin oder des Schuld­ners zu­stän­dig.

2 Für Straf­ver­fah­ren ge­gen das Un­ter­neh­men nach Ar­ti­kel 102 StGB sind die Be­hör­den am Sitz des Un­ter­neh­mens zu­stän­dig. Dies gilt eben­so, wenn sich das Ver­fah­ren we­gen des glei­chen Sach­ver­halts auch ge­gen ei­ne für das Un­ter­neh­men han­deln­de Per­son rich­tet.

3 Fehlt ein Ge­richts­stand nach den Ab­sät­zen 1 und 2, so be­stimmt er sich nach den Ar­ti­keln 31–35.

Art. 37 Gerichtsstand bei selbstständigen Einziehungen

1 Selbst­stän­di­ge Ein­zie­hun­gen (Art. 376–378) sind an dem Ort durch­zu­füh­ren, an dem sich die ein­zu­zie­hen­den Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te be­fin­den.

2 Be­fin­den sich die ein­zu­zie­hen­den Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te in meh­re­ren Kan­to­nen und ste­hen sie auf­grund der glei­chen Straf­tat oder der glei­chen Tä­ter­schaft in Zu­sam­men­hang, so sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem das Ein­zie­hungs­ver­fah­ren zu­erst er­öff­net wor­den ist.

Art. 38 Bestimmung eines abweichenden Gerichtsstands

1 Die Staats­an­walt­schaf­ten kön­nen un­ter­ein­an­der einen an­de­ren als den in den Ar­ti­keln 31–37 vor­ge­se­he­nen Ge­richts­stand ver­ein­ba­ren, wenn der Schwer­punkt der de­lik­ti­schen Tä­tig­keit oder die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se der be­schul­dig­ten Per­son es er­for­dern oder an­de­re trif­ti­ge Grün­de vor­lie­gen.

2 Zur Wah­rung der Ver­fah­rens­rech­te ei­ner Par­tei kann die Be­schwer­de­in­stanz des Kan­tons auf An­trag die­ser Par­tei oder von Am­tes we­gen nach Er­he­bung der An­kla­ge die Be­ur­tei­lung in Ab­wei­chung der Ge­richts­stands­vor­schrif­ten die­ses Ka­pi­tels ei­nem an­dern sach­lich zu­stän­di­gen ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt des Kan­tons zur Be­ur­tei­lung über­wei­sen.

3. Abschnitt: Gerichtsstandsverfahren

Art. 39 Prüfung der Zuständigkeit und Einigung

1 Die Straf­be­hör­den prü­fen ih­re Zu­stän­dig­keit von Am­tes we­gen und lei­ten einen Fall wenn nö­tig der zu­stän­di­gen Stel­le wei­ter.

2 Er­schei­nen meh­re­re Straf­be­hör­den als ört­lich zu­stän­dig, so in­for­mie­ren sich die be­tei­lig­ten Staats­an­walt­schaf­ten un­ver­züg­lich über die we­sent­li­chen Ele­men­te des Fal­les und be­mü­hen sich um ei­ne mög­lichst ra­sche Ei­ni­gung.

Art. 40 Gerichtsstandskonflikte

1 Ist der Ge­richts­stand un­ter Straf­be­hör­den des glei­chen Kan­tons strei­tig, so ent­schei­det die Ober- oder Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft oder, wenn kei­ne sol­che vor­ge­se­hen ist, die Be­schwer­de­in­stanz die­ses Kan­tons end­gül­tig.

2 Kön­nen sich die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den ver­schie­de­ner Kan­to­ne über den Ge­richts­stand nicht ei­ni­gen, so un­ter­brei­tet die Staats­an­walt­schaft des Kan­tons, der zu­erst mit der Sa­che be­fasst war, die Fra­ge un­ver­züg­lich, in je­dem Fall vor der An­kla­ge­er­he­bung, dem Bun­dess­traf­ge­richt zum Ent­scheid.

3 Die zum Ent­scheid über den Ge­richts­stand zu­stän­di­ge Be­hör­de kann einen an­dern als den in den Ar­ti­keln 31–37 vor­ge­se­he­nen Ge­richts­stand fest­le­gen, wenn der Schwer­punkt der de­lik­ti­schen Tä­tig­keit oder die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se der be­schul­dig­ten Per­son es er­for­dern oder an­de­re trif­ti­ge Grün­de vor­lie­gen.

Art. 41 Anfechtung des Gerichtsstands durch die Parteien

1 Will ei­ne Par­tei die Zu­stän­dig­keit der mit dem Straf­ver­fah­ren be­fass­ten Be­hör­de an­fech­ten, so hat sie die­ser un­ver­züg­lich die Über­wei­sung des Fal­les an die zu­stän­di­ge Straf­be­hör­de zu be­an­tra­gen.

2 Ge­gen die von den be­tei­lig­ten Staats­an­walt­schaf­ten ge­trof­fe­ne Ent­schei­dung über den Ge­richts­stand (Art. 39 Abs. 2) kön­nen sich die Par­tei­en in­nert 10 Ta­gen bei der nach Ar­ti­kel 40 zum Ent­scheid über den Ge­richts­stand zu­stän­di­gen Be­hör­de be­schwe­ren. Ha­ben die Staats­an­walt­schaf­ten einen ab­wei­chen­den Ge­richts­stand ver­ein­bart (Art. 38 Abs. 1), so steht die­se Be­schwer­demög­lich­keit nur je­ner Par­tei of­fen, de­ren An­trag nach Ab­satz 1 ab­ge­wie­sen wor­den ist.

Art. 42 Gemeinsame Bestimmungen

1 Bis zur ver­bind­li­chen Be­stim­mung des Ge­richts­stands trifft die zu­erst mit der Sa­che be­fass­te Be­hör­de die un­auf­schieb­ba­ren Mass­nah­men. Wenn nö­tig be­zeich­net die zum Ent­scheid über den Ge­richts­stand zu­stän­di­ge Be­hör­de je­ne Be­hör­de, die sich vor­läu­fig mit der Sa­che be­fas­sen muss.

2 Ver­haf­te­te Per­so­nen wer­den den Be­hör­den an­de­rer Kan­to­ne erst zu­ge­führt, wenn die Zu­stän­dig­keit ver­bind­lich be­stimmt wor­den ist.

3 Ein nach den Ar­ti­keln 38–41 fest­ge­leg­ter Ge­richts­stand kann nur aus neu­en wich­ti­gen Grün­den und nur vor der An­kla­ge­er­he­bung ge­än­dert wer­den.

4. Kapitel: Nationale Rechtshilfe

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 43 Geltungsbereich und Begriff

1 Die Be­stim­mun­gen die­ses Ka­pi­tels re­geln die Rechts­hil­fe in Strafsa­chen von Be­hör­den des Bun­des und der Kan­to­ne zu­guns­ten der Staats­an­walt­schaf­ten, Über­tre­tungs­straf­be­hör­den und Ge­rich­te des Bun­des und der Kan­to­ne.

2 Für die Po­li­zei gel­ten sie in­so­weit, als die­se nach Wei­sun­gen der Staats­an­walt­schaf­ten, Über­tre­tungs­straf­be­hör­den und Ge­rich­te tä­tig ist.

3 Die di­rek­te Rechts­hil­fe zwi­schen den Po­li­zei­be­hör­den von Bund und Kan­to­nen so­wie von Kan­to­nen un­ter sich ist zu­läs­sig, falls sie nicht Zwangs­mass­nah­men zum Ge­gen­stand hat, über wel­che ein­zig die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt ent­schei­den kann.

4 Als Rechts­hil­fe gilt je­de Mass­nah­me, um die ei­ne Be­hör­de im Rah­men ih­rer Zu­stän­dig­keit in ei­nem hän­gi­gen Straf­ver­fah­ren er­sucht.

Art. 44 Verpflichtung zur Rechtshilfe 14

Die Be­hör­den des Bun­des und der Kan­to­ne sind zur Rechts­hil­fe ver­pflich­tet, wenn Straf­ta­ten nach Bun­des­recht in An­wen­dung die­ses Ge­set­zes ver­folgt und be­ur­teilt wer­den.

14 Die Be­rich­ti­gung der RedK der BVers vom 10. Nov. 2014, ver­öf­fent­licht am 25. Nov. 2014 be­trifft nur den fran­zö­si­schen Text (AS 2014 4071).

Art. 45 Unterstützung

1 Die Kan­to­ne stel­len den Straf­be­hör­den des Bun­des und der an­de­ren Kan­to­ne so­weit er­for­der­lich und mög­lich Räu­me für de­ren Amt­stä­tig­keit und für die Un­ter­brin­gung von Un­ter­su­chungs­ge­fan­ge­nen zur Ver­fü­gung.

2 Die Kan­to­ne tref­fen auf Ge­such der Straf­be­hör­den des Bun­des die er­for­der­li­chen Mass­nah­men, um die Si­cher­heit der Amt­stä­tig­keit die­ser Be­hör­den zu ge­währ­leis­ten.

Art. 46 Direkter Geschäftsverkehr

1 Die Be­hör­den ver­keh­ren di­rekt mit­ein­an­der15.

2 Ge­su­che um Rechts­hil­fe kön­nen in der Spra­che der er­su­chen­den oder der er­such­ten Be­hör­de ge­stellt wer­den.

3 Be­steht Un­klar­heit dar­über, wel­che Be­hör­de zu­stän­dig ist, so rich­tet die er­su­chen­de Be­hör­de das Rechts­hil­fe­ge­such an die obers­te Staats­an­walt­schaft des er­such­ten Kan­tons oder des Bun­des. Die­se lei­tet es an die zu­stän­di­ge Stel­le wei­ter.

15 Die ört­lich zu­stän­di­ge schwei­ze­ri­sche Jus­tiz­be­hör­de für Rechts­hil­feer­su­chen kann über fol­gen­de In­ter­netsei­te er­mit­telt wer­den: www.elor­ge.ad­min.ch

Art. 47 Kosten

1 Die Rechts­hil­fe wird un­ent­gelt­lich ge­leis­tet.

2 Der Bund ver­gü­tet den Kan­to­nen die von ihm ver­ur­sach­ten Kos­ten für Un­ter­stüt­zung im Sin­ne von Ar­ti­kel 45.

3 Ent­stan­de­ne Kos­ten wer­den dem er­su­chen­den Kan­ton be­zie­hungs­wei­se Bund ge­mel­det, da­mit sie den kos­ten­pflich­ti­gen Par­tei­en auf­er­legt wer­den kön­nen.

4 Ent­schä­di­gungs­pflich­ten aus Rechts­hil­fe­mass­nah­men trägt der er­su­chen­de Kan­ton oder Bund.

Art. 48 Konflikte

1 Über Kon­flik­te über die Rechts­hil­fe zwi­schen Be­hör­den des glei­chen Kan­tons ent­schei­det die Be­schwer­de­in­stanz die­ses Kan­tons end­gül­tig.

2 Über Kon­flik­te zwi­schen Be­hör­den des Bun­des und der Kan­to­ne so­wie zwi­schen Be­hör­den ver­schie­de­ner Kan­to­ne ent­schei­det das Bun­dess­traf­ge­richt.

2. Abschnitt: Verfahrenshandlungen auf Verlangen des Bundes oder eines anderen Kantons

Art. 49 Grundsätze

1 Die Staats­an­walt­schaf­ten und die Ge­rich­te des Bun­des und der Kan­to­ne kön­nen von den Straf­be­hör­den an­de­rer Kan­to­ne oder des Bun­des die Durch­füh­rung von Ver­fah­rens­hand­lun­gen ver­lan­gen. Die er­such­te Be­hör­de prüft die Zu­läs­sig­keit und die An­ge­mes­sen­heit der ver­lang­ten Ver­fah­rens­hand­lun­gen nicht.

2 Für die Be­hand­lung von Be­schwer­den ge­gen Rechts­hil­fe­mass­nah­men sind die Be­hör­den des er­su­chen­den Kan­tons oder Bun­des zu­stän­dig. Bei den Be­hör­den des er­such­ten Kan­tons oder Bun­des kann nur die Aus­füh­rung der Rechts­hil­fe­mass­nah­me an­ge­foch­ten wer­den.

Art. 50 Gesuch um Zwangsmassnahmen

1 Die er­su­chen­de Be­hör­de ver­langt Fest­nah­men mit ei­nem schrift­li­chen Vor­füh­rungs­be­fehl (Art. 208).

2 Die er­such­te Be­hör­de führt fest­ge­nom­me­ne Per­so­nen wenn mög­lich in­nert 24 Stun­den zu.

3 Ge­su­che um an­de­re Zwangs­mass­nah­men wer­den kurz be­grün­det. In drin­gen­den Fäl­len kann die Be­grün­dung nach­ge­reicht wer­den.

Art. 51 Teilnahmerecht

1 Die Par­tei­en, ih­re Rechts­bei­stän­de und die er­su­chen­de Be­hör­de kön­nen an den ver­lang­ten Ver­fah­rens­hand­lun­gen teil­neh­men, so­weit die­ses Ge­setz es vor­sieht.

2 Ist ei­ne Teil­nah­me mög­lich, so gibt die er­such­te Be­hör­de der er­su­chen­den Be­hör­de, den Par­tei­en und ih­ren Rechts­bei­stän­den Ort und Zeit der Ver­fah­rens­hand­lung be­kannt.

3. Abschnitt: Verfahrenshandlungen in einem anderen Kanton

Art. 52 Grundsätze

1 Die Staats­an­walt­schaf­ten, Über­tre­tungs­straf­be­hör­den und Ge­rich­te der Kan­to­ne und des Bun­des sind be­rech­tigt, al­le Ver­fah­rens­hand­lun­gen im Sin­ne die­ses Ge­set­zes di­rekt in ei­nem an­de­ren Kan­ton an­zu­ord­nen und durch­zu­füh­ren.

2 Die Staats­an­walt­schaft des Kan­tons, in dem die Ver­fah­rens­hand­lung durch­ge­führt wer­den soll, wird vor­gän­gig be­nach­rich­tigt. In drin­gen­den Fäl­len ist ei­ne nach­träg­li­che Be­nach­rich­ti­gung mög­lich. Für die Ein­ho­lung von Aus­künf­ten und für Ge­su­che um Her­aus­ga­be von Ak­ten ist kei­ne Be­nach­rich­ti­gung nö­tig.

3 Die Kos­ten der Ver­fah­rens­hand­lun­gen und dar­aus fol­gen­de Ent­schä­di­gungs­pflich­ten trägt der durch­füh­ren­de Bund oder Kan­ton; er kann sie nach Mass­ga­be der Ar­ti­kel 426 und 427 den Par­tei­en be­las­ten.

Art. 53 Inanspruchnahme der Polizei

Be­nö­tigt die er­su­chen­de Be­hör­de für die Durch­füh­rung ei­ner Ver­fah­rens­hand­lung die Un­ter­stüt­zung der Po­li­zei, so rich­tet sie ein ent­spre­chen­des Ge­such an die Staats­an­walt­schaft des er­such­ten Kan­tons; die­se er­teilt der ört­li­chen Po­li­zei die nö­ti­gen Auf­trä­ge.

5. Kapitel: Internationale Rechtshilfe

Art. 54 Anwendbarkeit dieses Gesetzes

Die Ge­wäh­rung der in­ter­na­tio­na­len Rechts­hil­fe und das Rechts­hil­fe­ver­fah­ren rich­ten sich nur so weit nach die­sem Ge­setz, als an­de­re Ge­set­ze des Bun­des und völ­ker­recht­li­che Ver­trä­ge da­für kei­ne Be­stim­mun­gen ent­hal­ten.

Art. 55 Zuständigkeit

1 Ist ein Kan­ton mit ei­nem Fall von in­ter­na­tio­na­ler Rechts­hil­fe be­fasst, so ist die Staats­an­walt­schaft zu­stän­dig.

2 Die Ge­rich­te kön­nen wäh­rend des Haupt­ver­fah­rens selbst Rechts­hil­fe­ge­su­che stel­len.

3 Die Be­fug­nis­se der Straf­voll­zugs­be­hör­den blei­ben vor­be­hal­ten.

4 Weist das Bun­des­recht Auf­ga­ben der Rechts­hil­fe ei­ner rich­ter­li­chen Be­hör­de zu, so ist die Be­schwer­de­in­stanz zu­stän­dig.

5 Führt der Kan­ton, der mit ei­nem aus­län­di­schen Rechts­hil­feer­su­chen be­fasst ist, Ver­fah­rens­hand­lun­gen in an­de­ren Kan­to­nen durch, so sind da­für die Be­stim­mun­gen über die na­tio­na­le Rechts­hil­fe an­wend­bar.

6 Die Kan­to­ne re­geln das wei­te­re Ver­fah­ren.

6. Kapitel: Ausstand

Art. 56 Ausstandsgründe

Ei­ne in ei­ner Straf­be­hör­de tä­ti­ge Per­son tritt in den Aus­stand, wenn sie:

a.
in der Sa­che ein per­sön­li­ches In­ter­es­se hat;
b.
in ei­ner an­de­ren Stel­lung, ins­be­son­de­re als Mit­glied ei­ner Be­hör­de, als Rechts­bei­stand ei­ner Par­tei, als Sach­ver­stän­di­ge oder Sach­ver­stän­di­ger, als Zeu­gin oder Zeu­ge, in der glei­chen Sa­che tä­tig war;
c.
mit ei­ner Par­tei, ih­rem Rechts­bei­stand oder ei­ner Per­son, die in der glei­chen Sa­che als Mit­glied der Vor­in­stanz tä­tig war, ver­hei­ra­tet ist, in ein­ge­tra­ge­ner Part­ner­schaft lebt oder ei­ne fak­ti­sche Le­bens­ge­mein­schaft führt;
d.
mit ei­ner Par­tei in ge­ra­der Li­nie oder in der Sei­ten­li­nie bis und mit dem drit­ten Grad ver­wandt oder ver­schwä­gert ist;
e.
mit dem Rechts­bei­stand ei­ner Par­tei oder ei­ner Per­son, die in der glei­chen Sa­che als Mit­glied der Vor­in­stanz tä­tig war, in ge­ra­der Li­nie oder in der Sei­ten­li­nie bis und mit dem zwei­ten Grad ver­wandt oder ver­schwä­gert ist;
f.
aus an­de­ren Grün­den, ins­be­son­de­re we­gen Freund­schaft oder Feind­schaft mit ei­ner Par­tei oder de­ren Rechts­bei­stand, be­fan­gen sein könn­te.

Art. 57 Mitteilungspflicht

Liegt bei ei­ner in ei­ner Straf­be­hör­de tä­ti­gen Per­son ein Aus­stands­grund vor, so teilt die Per­son dies recht­zei­tig der Ver­fah­rens­lei­tung mit.

Art. 58 Ausstandsgesuch einer Partei

1 Will ei­ne Par­tei den Aus­stand ei­ner in ei­ner Straf­be­hör­de tä­ti­gen Per­son ver­lan­gen, so hat sie der Ver­fah­rens­lei­tung oh­ne Ver­zug ein ent­spre­chen­des Ge­such zu stel­len, so­bald sie vom Aus­stands­grund Kennt­nis hat; die den Aus­stand be­grün­den­den Tat­sa­chen sind glaub­haft zu ma­chen.

2 Die be­trof­fe­ne Per­son nimmt zum Ge­such Stel­lung.

Art. 59 Entscheid

1 Wird ein Aus­stands­grund nach Ar­ti­kel 56 Buch­sta­be a oder f gel­tend ge­macht oder wi­der­setzt sich ei­ne in ei­ner Straf­be­hör­de tä­ti­ge Per­son ei­nem Aus­stands­ge­such ei­ner Par­tei, das sich auf Ar­ti­kel 56 Buch­sta­ben b–e ab­stützt, so ent­schei­det oh­ne wei­te­res Be­weis­ver­fah­ren und end­gül­tig:

a.
die Staats­an­walt­schaft, wenn die Po­li­zei be­trof­fen ist;
b.
die Be­schwer­de­in­stanz, wenn die Staats­an­walt­schaft, die Über­tre­tungs­straf­be­hör­den oder die ers­tin­stanz­li­chen Ge­rich­te be­trof­fen sind;
c.
das Be­ru­fungs­ge­richt, wenn die Be­schwer­de­in­stanz oder ein­zel­ne Mit­glie­der des Be­ru­fungs­ge­richts be­trof­fen sind;
d.16
das Bun­dess­traf­ge­richt, wenn das ge­sam­te Be­ru­fungs­ge­richt ei­nes Kan­tons be­trof­fen ist.

2 Der Ent­scheid er­geht schrift­lich und ist zu be­grün­den.

3 Bis zum Ent­scheid übt die be­trof­fe­ne Per­son ihr Amt wei­ter aus.

4 Wird das Ge­such gut­ge­heis­sen, so ge­hen die Ver­fah­rens­kos­ten zu Las­ten des Bun­des be­zie­hungs­wei­se des Kan­tons. Wird es ab­ge­wie­sen oder war es of­fen­sicht­lich ver­spä­tet oder mut­wil­lig, so ge­hen die Kos­ten zu Las­ten der ge­such­stel­len­den Per­son.

16 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. II 3 des BG vom 17. März 2017 (Schaf­fung ei­ner Be­ru­fungs­kam­mer am Bun­dess­traf­ge­richt), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2017 5769; BBl 2013 7109, 2016 6199).

Art. 60 Folgen der Verletzung von Ausstandsvorschriften

1 Amts­hand­lun­gen, an de­nen ei­ne zum Aus­stand ver­pflich­te­te Per­son mit­ge­wirkt hat, sind auf­zu­he­ben und zu wie­der­ho­len, so­fern dies ei­ne Par­tei in­nert 5 Ta­gen ver­langt, nach­dem sie vom Ent­scheid über den Aus­stand Kennt­nis er­hal­ten hat.

2 Be­wei­se, die nicht wie­der er­ho­ben wer­den kön­nen, darf die Straf­be­hör­de be­rück­sich­ti­gen.

3 Wird der Aus­stands­grund erst nach Ab­schluss des Ver­fah­rens ent­deckt, so gel­ten die Be­stim­mun­gen über die Re­vi­si­on.

7. Kapitel: Verfahrensleitung 17

17 Berichtigt von der Redaktionskommission der BVers (Art. 58 Abs. 1 ParlG; SR 171.10).

Art. 61 Zuständigkeit

Das Ver­fah­ren lei­tet:

a.
bis zur Ein­stel­lung oder An­kla­ge­er­he­bung: die Staats­an­walt­schaft;
b.
im Über­tre­tungs­straf­ver­fah­ren: die Über­tre­tungs­straf­be­hör­de;
c.
im Ge­richts­ver­fah­ren bei Kol­le­gi­al­ge­rich­ten: die Prä­si­den­tin oder der Prä­si­dent des be­tref­fen­den Ge­richts;
d.
im Ge­richts­ver­fah­ren bei Ein­zel­ge­rich­ten: die Rich­te­rin oder der Rich­ter.

Art. 62 Allgemeine Aufgaben

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung trifft die An­ord­nun­gen, die ei­ne ge­setz­mäs­si­ge und ge­ord­ne­te Durch­füh­rung des Ver­fah­rens ge­währ­leis­ten.

2 Im Ver­fah­ren vor ei­nem Kol­le­gi­al­ge­richt kom­men ihr al­le Be­fug­nis­se zu, die nicht dem Ge­richt vor­be­hal­ten sind.

Art. 63 Sitzungspolizeiliche Massnahmen

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung sorgt für Si­cher­heit, Ru­he und Ord­nung wäh­rend der Ver­hand­lun­gen.

2 Sie kann Per­so­nen, die den Ge­schäfts­gang stö­ren oder An­stands­re­geln ver­let­zen, ver­war­nen. Im Wie­der­ho­lungs­fal­le kann sie ih­nen das Wort ent­zie­hen, sie aus dem Ver­hand­lungs­raum wei­sen und nö­ti­gen­falls bis zum Schluss der Ver­hand­lung in po­li­zei­li­chen Ge­wahr­sam set­zen las­sen. Sie kann den Ver­hand­lungs­raum räu­men las­sen.

3 Sie kann die Un­ter­stüt­zung der am Or­te der Ver­fah­rens­hand­lung zu­stän­di­gen Po­li­zei ver­lan­gen.

4 Wird ei­ne Par­tei aus­ge­schlos­sen, so wird die Ver­fah­rens­hand­lung gleich­wohl fort­ge­setzt.

Art. 64 Disziplinarmassnahmen

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann Per­so­nen, die den Ge­schäfts­gang stö­ren, den An­stand ver­let­zen oder ver­fah­rens­lei­ten­de An­ord­nun­gen miss­ach­ten, mit Ord­nungs­bus­se bis zu 1000 Fran­ken be­stra­fen.

2 Ord­nungs­bus­sen der Staats­an­walt­schaft und der ers­tin­stanz­li­chen Ge­rich­te kön­nen in­nert 10 Ta­gen bei der Be­schwer­de­in­stanz an­ge­foch­ten wer­den. Die­se ent­schei­det end­gül­tig.

Art. 65 Anfechtbarkeit verfahrensleitender Anordnungen der Gerichte

1 Ver­fah­rens­lei­ten­de An­ord­nun­gen der Ge­rich­te kön­nen nur mit dem En­dent­scheid an­ge­foch­ten wer­den.

2 Hat die Ver­fah­rens­lei­tung ei­nes Kol­le­gi­al­ge­richts vor der Haupt­ver­hand­lung ver­fah­rens­lei­ten­de An­ord­nun­gen ge­trof­fen, so kann sie das Ge­richt von Am­tes we­gen oder auf An­trag än­dern oder auf­he­ben.

8. Kapitel: Allgemeine Verfahrensregeln

1. Abschnitt: Mündlichkeit; Sprache

Art. 66 Mündlichkeit

Die Ver­fah­ren vor den Straf­be­hör­den sind münd­lich, so­weit die­ses Ge­setz nicht Schrift­lich­keit vor­sieht.

Art. 67 Verfahrenssprache

1 Bund und Kan­to­ne be­stim­men die Ver­fah­rens­spra­chen ih­rer Straf­be­hör­den.

2 Die Straf­be­hör­den der Kan­to­ne füh­ren al­le Ver­fah­rens­hand­lun­gen in ih­ren Ver­fah­rens­spra­chen durch; die Ver­fah­rens­lei­tung kann Aus­nah­men ge­stat­ten.

Art. 68 Übersetzungen

1 Ver­steht ei­ne am Ver­fah­ren be­tei­lig­te Per­son die Ver­fah­rens­spra­che nicht oder kann sie sich dar­in nicht ge­nü­gend aus­drücken, so zieht die Ver­fah­rens­lei­tung ei­ne Über­set­ze­rin oder einen Über­set­zer bei. Sie kann in ein­fa­chen oder drin­gen­den Fäl­len mit dem Ein­ver­ständ­nis der be­trof­fe­nen Per­son da­von ab­se­hen, wenn sie und die pro­to­koll­füh­ren­de Per­son die frem­de Spra­che ge­nü­gend be­herr­schen.

2 Der be­schul­dig­ten Per­son wird, auch wenn sie ver­tei­digt wird, in ei­ner ihr ver­ständ­li­chen Spra­che min­des­tens der we­sent­li­che In­halt der wich­tigs­ten Ver­fah­rens­hand­lun­gen münd­lich oder schrift­lich zur Kennt­nis ge­bracht. Ein An­spruch auf voll­stän­di­ge Über­set­zung al­ler Ver­fah­rens­hand­lun­gen so­wie der Ak­ten be­steht nicht.

3 Ak­ten, die nicht Ein­ga­ben von Par­tei­en sind, wer­den so­weit er­for­der­lich schrift­lich oder zu­han­den des Pro­to­kolls münd­lich über­setzt.

4 Für die Über­set­zung der Be­fra­gung des Op­fers ei­ner Straf­tat ge­gen die se­xu­el­le In­te­gri­tät ist ei­ne Per­son glei­chen Ge­schlechts bei­zu­zie­hen, wenn das Op­fer dies ver­langt und wenn dies oh­ne un­ge­bühr­li­che Ver­zö­ge­rung des Ver­fah­rens mög­lich ist.

5 Für Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer gel­ten die Be­stim­mun­gen über Sach­ver­stän­di­ge (Art. 73, 105, 182–191) sinn­ge­mä­ss.

2. Abschnitt: Öffentlichkeit

Art. 69 Grundsätze

1 Die Ver­hand­lun­gen vor dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt und dem Be­ru­fungs­ge­richt so­wie die münd­li­che Er­öff­nung von Ur­tei­len und Be­schlüs­sen die­ser Ge­rich­te sind mit Aus­nah­me der Be­ra­tung öf­fent­lich.

2 Ha­ben die Par­tei­en in die­sen Fäl­len auf ei­ne öf­fent­li­che Ur­teils­ver­kün­dung ver­zich­tet oder ist ein Straf­be­fehl er­gan­gen, so kön­nen in­ter­es­sier­te Per­so­nen in die Ur­tei­le und Straf­be­feh­le Ein­sicht neh­men.

3 Nicht öf­fent­lich sind:

a.
das Vor­ver­fah­ren; vor­be­hal­ten blei­ben Mit­tei­lun­gen der Straf­be­hör­den an die Öf­fent­lich­keit;
b.
das Ver­fah­ren des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts;
c.
das Ver­fah­ren der Be­schwer­de­in­stanz und, so­weit es schrift­lich durch­ge­führt wird, des Be­ru­fungs­ge­richts;
d.
das Straf­be­fehls­ver­fah­ren.

4 Öf­fent­li­che Ver­hand­lun­gen sind all­ge­mein zu­gäng­lich, für Per­so­nen un­ter 16 Jah­ren je­doch nur mit Be­wil­li­gung der Ver­fah­rens­lei­tung.

Art. 70 Einschränkungen und Ausschluss der Öffentlichkeit

1 Das Ge­richt kann die Öf­fent­lich­keit von Ge­richts­ver­hand­lun­gen ganz oder teil­wei­se aus­sch­lies­sen, wenn:

a.
die öf­fent­li­che Si­cher­heit oder Ord­nung oder schutz­wür­di­ge In­ter­es­sen ei­ner be­tei­lig­ten Per­son, ins­be­son­de­re des Op­fers, dies er­for­dern;
b.
gros­ser An­drang herrscht.

2 Ist die Öf­fent­lich­keit aus­ge­schlos­sen, so kön­nen sich die be­schul­dig­te Per­son, das Op­fer und die Pri­vat­klä­ger­schaft von höchs­tens drei Ver­trau­ens­per­so­nen be­glei­ten las­sen.

3 Das Ge­richt kann Ge­richts­be­richt­er­stat­te­rin­nen und Ge­richts­be­richt­er­stat­tern und wei­te­ren Per­so­nen, die ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se ha­ben, un­ter be­stimm­ten Auf­la­gen den Zu­tritt zu Ver­hand­lun­gen ge­stat­ten, die nach Ab­satz 1 nicht öf­fent­lich sind.

4 Wur­de die Öf­fent­lich­keit aus­ge­schlos­sen, so er­öff­net das Ge­richt das Ur­teil in ei­ner öf­fent­li­chen Ver­hand­lung oder ori­en­tiert die Öf­fent­lich­keit bei Be­darf in an­de­rer ge­eig­ne­ter Wei­se über den Aus­gang des Ver­fah­rens.

Art. 71 Bild- und Tonaufnahmen

1 Bild- und Ton­auf­nah­men in­ner­halb des Ge­richts­ge­bäu­des so­wie Auf­nah­men von Ver­fah­rens­hand­lun­gen aus­ser­halb des Ge­richts­ge­bäu­des sind nicht ge­stat­tet.

2 Wi­der­hand­lun­gen kön­nen nach Ar­ti­kel 64 Ab­satz 1 mit Ord­nungs­bus­se be­straft wer­den. Un­er­laub­te Auf­nah­men kön­nen be­schlag­nahmt wer­den.

Art. 72 Gerichtsberichterstattung

Bund und Kan­to­ne kön­nen die Zu­las­sung so­wie die Rech­te und Pflich­ten der Ge­richts­be­richt­er­stat­te­rin­nen und Ge­richts­be­richt­er­stat­ter re­geln.

3. Abschnitt: Geheimhaltung, Orientierung der Öffentlichkeit, Mitteilung an Behörden

Art. 73 Geheimhaltungspflicht

1 Die Mit­glie­der von Straf­be­hör­den, ih­re Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter so­wie die von Straf­be­hör­den er­nann­ten Sach­ver­stän­di­gen be­wah­ren Still­schwei­gen hin­sicht­lich Tat­sa­chen, die ih­nen in Aus­übung ih­rer amt­li­chen Tä­tig­keit zur Kennt­nis ge­langt sind.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann die Pri­vat­klä­ger­schaft und an­de­re Ver­fah­rens­be­tei­lig­te und de­ren Rechts­bei­stän­de un­ter Hin­weis auf Ar­ti­kel 292 StGB18 ver­pflich­ten, über das Ver­fah­ren und die da­von be­trof­fe­nen Per­so­nen Still­schwei­gen zu be­wah­ren, wenn der Zweck des Ver­fah­rens oder ein pri­va­tes In­ter­es­se es er­for­dert. Die Ver­pflich­tung ist zu be­fris­ten.

Art. 74 Orientierung der Öffentlichkeit

1 Die Staats­an­walt­schaft und die Ge­rich­te so­wie mit de­ren Ein­ver­ständ­nis die Po­li­zei kön­nen die Öf­fent­lich­keit über hän­gi­ge Ver­fah­ren ori­en­tie­ren, wenn dies er­for­der­lich ist:

a.
da­mit die Be­völ­ke­rung bei der Auf­klä­rung von Straf­ta­ten oder bei der Fahn­dung nach Ver­däch­ti­gen mit­wirkt;
b.
zur War­nung oder Be­ru­hi­gung der Be­völ­ke­rung;
c.
zur Rich­tig­stel­lung un­zu­tref­fen­der Mel­dun­gen oder Ge­rüch­te;
d.
we­gen der be­son­de­ren Be­deu­tung ei­nes Straf­fal­les.

2 Die Po­li­zei kann aus­ser­dem von sich aus die Öf­fent­lich­keit über Un­fäl­le und Straf­ta­ten oh­ne Nen­nung von Na­men ori­en­tie­ren.

3 Bei der Ori­en­tie­rung der Öf­fent­lich­keit sind der Grund­satz der Un­schulds­ver­mu­tung und die Per­sön­lich­keits­rech­te der Be­trof­fe­nen zu be­ach­ten.

4 In Fäl­len, in de­nen ein Op­fer be­tei­ligt ist, dür­fen Be­hör­den und Pri­va­te aus­ser­halb ei­nes öf­fent­li­chen Ge­richts­ver­fah­rens sei­ne Iden­ti­tät und In­for­ma­tio­nen, die sei­ne Iden­ti­fi­zie­rung er­lau­ben, nur ver­öf­fent­li­chen, wenn:

a.
ei­ne Mit­wir­kung der Be­völ­ke­rung bei der Auf­klä­rung von Ver­bre­chen oder bei der Fahn­dung nach Ver­däch­ti­gen not­wen­dig ist; oder
b.
das Op­fer be­zie­hungs­wei­se sei­ne hin­ter­blie­be­nen An­ge­hö­ri­gen der Ver­öf­fent­li­chung zu­stim­men.

Art. 75 Mitteilung an andere Behörden

1 Be­fin­det sich ei­ne be­schul­dig­te Per­son im Straf- oder Mass­nah­men­voll­zug, so in­for­mie­ren die Straf­be­hör­den die zu­stän­di­gen Voll­zugs­be­hör­den über neue Straf­ver­fah­ren und die er­gan­ge­nen Ent­schei­de.

2 Die Straf­be­hör­den in­for­mie­ren die So­zi­al­be­hör­den so­wie die Kin­des- und Er­wach­se­nen­schutz­be­hör­den über ein­ge­lei­te­te Straf­ver­fah­ren so­wie über Straf­ent­schei­de, wenn dies zum Schutz ei­ner be­schul­dig­ten oder ge­schä­dig­ten Per­son oder ih­rer An­ge­hö­ri­gen er­for­der­lich ist.19

3 Stel­len sie bei der Ver­fol­gung von Straf­ta­ten, an de­nen Min­der­jäh­ri­ge be­tei­ligt sind, fest, dass wei­te­re Mass­nah­men er­for­der­lich sind, so in­for­mie­ren sie un­ver­züg­lich die Kin­des­schutz­be­hör­den.20

3bis Die Ver­fah­rens­lei­tung in­for­miert die Grup­pe Ver­tei­di­gung über hän­gi­ge Straf­ver­fah­ren ge­gen An­ge­hö­ri­ge der Ar­mee oder Stel­lungs­pflich­ti­ge, wenn ernst­zu­neh­men­de An­zei­chen oder Hin­wei­se be­ste­hen, dass die­se sich selbst oder Drit­te mit ei­ner Feu­er­waf­fe ge­fähr­den könn­ten.21

4 Bund und Kan­to­ne kön­nen die Straf­be­hör­den zu wei­te­ren Mit­tei­lun­gen an Be­hör­den ver­pflich­ten oder be­rech­ti­gen.

19Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 2 des BG vom 15. Dez. 2017 (Kin­des­schutz), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 2947; BBl 2015 3431).

20Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 2 des BG vom 15. Dez. 2017 (Kin­des­schutz), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 2947; BBl 2015 3431).

21 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 2 des BG vom 25. Sept. 2015 über Ver­bes­se­run­gen beim In­for­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen Be­hör­den im Um­gang mit Waf­fen (AS 2016 1831; BBl 2014 303). Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 3 des BG vom 18. März 2016, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2016 4277, 2017 2297; BBl 2014 6955).

4. Abschnitt: Protokolle

Art. 76 Allgemeine Bestimmungen

1 Die Aus­sa­gen der Par­tei­en, die münd­li­chen Ent­schei­de der Be­hör­den so­wie al­le an­de­ren Ver­fah­rens­hand­lun­gen, die nicht schrift­lich durch­ge­führt wer­den, wer­den pro­to­kol­liert.

2 Die pro­to­koll­füh­ren­de Per­son, die Ver­fah­rens­lei­tung und die al­len­falls zur Über­set­zung bei­ge­zo­ge­ne Per­son be­stä­ti­gen die Rich­tig­keit des Pro­to­kolls.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung ist da­für ver­ant­wort­lich, dass die Ver­fah­rens­hand­lun­gen voll­stän­dig und rich­tig pro­to­kol­liert wer­den.

4 Sie kann an­ord­nen, dass Ver­fah­rens­hand­lun­gen zu­sätz­lich zur schrift­li­chen Pro­to­kol­lie­rung ganz oder teil­wei­se in Ton oder Bild fest­ge­hal­ten wer­den. Sie gibt dies den an­we­sen­den Per­so­nen vor­gän­gig be­kannt.

Art. 77 Verfahrensprotokolle

Die Ver­fah­renspro­to­kol­le hal­ten al­le we­sent­li­chen Ver­fah­rens­hand­lun­gen fest und ge­ben na­ment­lich Aus­kunft über:

a.
Art, Ort, Da­tum und Zeit der Ver­fah­rens­hand­lun­gen;
b.
die Na­men der mit­wir­ken­den Be­hör­den­mit­glie­der, der Par­tei­en, ih­rer Rechts­bei­stän­de so­wie der wei­te­ren an­we­sen­den Per­so­nen;
c.
die An­trä­ge der Par­tei­en;
d.
die Be­leh­rung über die Rech­te und Pflich­ten der ein­ver­nom­me­nen Per­so­nen;
e.
die Aus­sa­gen der ein­ver­nom­me­nen Per­so­nen;
f.
den Ab­lauf des Ver­fah­rens, die von der Straf­be­hör­de ge­trof­fe­nen An­ord­nun­gen so­wie die Be­ach­tung der für die ein­zel­nen Ver­fah­rens­hand­lun­gen vor­ge­se­he­nen Form­vor­schrif­ten;
g.
die von den Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten ein­ge­reich­ten oder im Straf­ver­fah­ren sonst wie be­schaff­ten Ak­ten und an­de­ren Be­weis­stücke;
h.
die Ent­schei­de und de­ren Be­grün­dung, so­weit die­se den Ak­ten nicht in se­pa­ra­ter Aus­fer­ti­gung bei­ge­legt wer­den.

Art. 78 Einvernahmeprotokolle

1 Die Aus­sa­gen der Par­tei­en, Zeu­gin­nen, Zeu­gen, Aus­kunfts­per­so­nen und Sach­ver­stän­di­gen wer­den lau­fend pro­to­kol­liert.

2 Die Pro­to­kol­lie­rung er­folgt in der Ver­fah­rens­spra­che, doch sind we­sent­li­che Aus­sa­gen so­weit mög­lich in der Spra­che zu pro­to­kol­lie­ren, in der die ein­ver­nom­me­ne Per­son aus­ge­sagt hat.

3 Ent­schei­den­de Fra­gen und Ant­wor­ten wer­den wört­lich pro­to­kol­liert.

4 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann der ein­ver­nom­me­nen Per­son ge­stat­ten, ih­re Aus­sa­gen selbst zu dik­tie­ren.

5 Nach Ab­schluss der Ein­ver­nah­me wird der ein­ver­nom­me­nen Per­son das Pro­to­koll vor­ge­le­sen oder ihr zum Le­sen vor­ge­legt. Sie hat das Pro­to­koll nach Kennt­nis­nah­me zu un­ter­zeich­nen und je­de Sei­te zu vi­sie­ren. Lehnt sie es ab, das Pro­to­koll durch­zu­le­sen oder zu un­ter­zeich­nen, so wer­den die Wei­ge­rung und die da­für an­ge­ge­be­nen Grün­de im Pro­to­koll ver­merkt.

5bis Wird die Ein­ver­nah­me im Haupt­ver­fah­ren mit tech­ni­schen Hilfs­mit­teln auf­ge­zeich­net, so kann das Ge­richt dar­auf ver­zich­ten, der ein­ver­nom­me­nen Per­son das Pro­to­koll vor­zu­le­sen oder zum Le­sen vor­zu­le­gen und von die­ser un­ter­zeich­nen zu las­sen. Die Auf­zeich­nun­gen wer­den zu den Ak­ten ge­nom­men.22

6 Bei Ein­ver­nah­men mit­tels Vi­deo­kon­fe­renz er­setzt die münd­li­che Er­klä­rung der ein­ver­nom­me­nen Per­son, sie ha­be das Pro­to­koll zur Kennt­nis ge­nom­men, die Un­ter­zeich­nung und Vi­sie­rung. Die Er­klä­rung wird im Pro­to­koll ver­merkt.

7 Sind hand­schrift­lich er­stell­te Pro­to­kol­le nicht gut les­bar oder wur­den die Aus­sa­gen ste­no­gra­fisch auf­ge­zeich­net, so wer­den sie un­ver­züg­lich in Rein­schrift über­tra­gen. Die No­ti­zen wer­den bis zum Ab­schluss des Ver­fah­rens auf­be­wahrt.23

22 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 2 des BG vom 28. Sept. 2012 (Pro­to­kol­lie­rungs­vor­schrif­ten), in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 2013 851; BBl 2012 57075719).

23 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 2 des BG vom 28. Sept. 2012 (Pro­to­kol­lie­rungs­vor­schrif­ten), in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 2013 851; BBl 2012 57075719).

Art. 79 Berichtigung

1 Of­fen­kun­di­ge Ver­se­hen be­rich­tigt die Ver­fah­rens­lei­tung zu­sam­men mit der pro­to­koll­füh­ren­den Per­son; sie in­for­miert dar­über an­sch­lies­send die Par­tei­en.

2 Über Ge­su­che um Pro­to­koll­be­rich­ti­gung ent­schei­det die Ver­fah­rens­lei­tung.

3 Be­rich­ti­gun­gen, Än­de­run­gen, Strei­chun­gen und Ein­fü­gun­gen wer­den von der pro­to­koll­füh­ren­den Per­son und der Ver­fah­rens­lei­tung be­glau­bigt. In­halt­li­che Än­de­run­gen wer­den so aus­ge­führt, dass die ur­sprüng­li­che Pro­to­kol­lie­rung er­kenn­bar bleibt.

5. Abschnitt: Entscheide

Art. 80 Form

1 Ent­schei­de, in de­nen über Straf- und Zi­vil­fra­gen ma­te­ri­ell be­fun­den wird, er­ge­hen in Form ei­nes Ur­teils. Die an­de­ren Ent­schei­de er­ge­hen, wenn sie von ei­ner Kol­lek­tiv­be­hör­de ge­fällt wer­den, in Form ei­nes Be­schlus­ses, wenn sie von ei­ner Ein­zel­per­son ge­fällt wer­den, in Form ei­ner Ver­fü­gung. Die Be­stim­mun­gen des Straf­be­fehls­ver­fah­rens blei­ben vor­be­hal­ten.

2 Ent­schei­de er­ge­hen schrift­lich und wer­den be­grün­det. Sie wer­den von der Ver­fah­rens­lei­tung so­wie der pro­to­koll­füh­ren­den Per­son un­ter­zeich­net und den Par­tei­en zu­ge­stellt.

3 Ein­fa­che ver­fah­rens­lei­ten­de Be­schlüs­se und Ver­fü­gun­gen brau­chen we­der be­son­ders aus­ge­fer­tigt noch be­grün­det zu wer­den; sie wer­den im Pro­to­koll ver­merkt und den Par­tei­en in ge­eig­ne­ter Wei­se er­öff­net.

Art. 81 Inhalt der Endentscheide

1 Ur­tei­le und an­de­re ver­fah­renser­le­di­gen­de Ent­schei­de ent­hal­ten:

a.
ei­ne Ein­lei­tung;
b.
ei­ne Be­grün­dung;
c.
ein Dis­po­si­tiv;
d.
so­fern sie an­fecht­bar sind: ei­ne Rechts­mit­tel­be­leh­rung.

2 Die Ein­lei­tung ent­hält:

a.
die Be­zeich­nung der Straf­be­hör­de und ih­rer am Ent­scheid mit­wir­ken­den Mit­glie­der;
b.
das Da­tum des Ent­scheids;
c.
ei­ne ge­nü­gen­de Be­zeich­nung der Par­tei­en und ih­rer Rechts­bei­stän­de;
d.
bei Ur­tei­len die Schluss­an­trä­ge der Par­tei­en.

3 Die Be­grün­dung ent­hält:

a.
bei Ur­tei­len: die tat­säch­li­che und die recht­li­che Wür­di­gung des der be­schul­dig­ten Per­son zur Last ge­leg­ten Ver­hal­tens, die Be­grün­dung der Sank­tio­nen, der Ne­ben­fol­gen so­wie der Kos­ten- und Ent­schä­di­gungs­fol­gen;
b.
bei an­de­ren ver­fah­renser­le­di­gen­den Ent­schei­den: die Grün­de für die vor­ge­se­he­ne Er­le­di­gung des Ver­fah­rens.

4 Das Dis­po­si­tiv ent­hält:

a.
die Be­zeich­nung der an­ge­wen­de­ten Ge­set­zes­be­stim­mun­gen;
b.
bei Ur­tei­len: den Ent­scheid über Schuld und Sank­ti­on, Kos­ten- und Ent­schä­di­gungs­fol­gen und all­fäl­li­ge Zi­vil­kla­gen;
c.
bei an­de­ren ver­fah­renser­le­di­gen­den Ent­schei­den: die An­ord­nung über die Er­le­di­gung des Ver­fah­rens;
d.
die nach­träg­li­chen rich­ter­li­chen Ent­schei­dun­gen;
e.
den Ent­scheid über die Ne­ben­fol­gen;
f.
die Be­zeich­nung der Per­so­nen und Be­hör­den, die ei­ne Ko­pie des Ent­schei­des oder des Dis­po­si­tivs er­hal­ten.

Art. 82 Einschränkungen der Begründungspflicht

1 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt ver­zich­tet auf ei­ne schrift­li­che Be­grün­dung, wenn es:

a.
das Ur­teil münd­lich be­grün­det; und
b.
nicht ei­ne Frei­heits­s­tra­fe von mehr als zwei Jah­ren, ei­ne Ver­wah­rung nach Ar­ti­kel 64 StGB24, ei­ne Be­hand­lung nach Ar­ti­kel 59 Ab­satz 3 StGB oder, bei gleich­zei­tig zu wi­der­ru­fen­den be­ding­ten Sank­tio­nen, einen Frei­heits­ent­zug von mehr als zwei Jah­ren aus­spricht.

2 Das Ge­richt stellt den Par­tei­en nach­träg­lich ein be­grün­de­tes Ur­teil zu, wenn:

a.
ei­ne Par­tei dies in­nert 10 Ta­gen nach Zu­stel­lung des Dis­po­si­tivs ver­langt;
b.
ei­ne Par­tei ein Rechts­mit­tel er­greift.

3 Ver­langt nur die Pri­vat­klä­ger­schaft ein be­grün­de­tes Ur­teil oder er­greift sie al­lein ein Rechts­mit­tel, so be­grün­det das Ge­richt das Ur­teil nur in dem Mas­se, als die­ses sich auf das straf­ba­re Ver­hal­ten zum Nach­teil der Pri­vat­klä­ger­schaft und auf de­ren Zi­vil­an­sprü­che be­zieht.

4 Im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren kann das Ge­richt für die tat­säch­li­che und die recht­li­che Wür­di­gung des an­ge­klag­ten Sach­ver­halts auf die Be­grün­dung der Vor­in­stanz ver­wei­sen.

Art. 83 Erläuterung und Berichtigung von Entscheiden

1 Ist das Dis­po­si­tiv ei­nes Ent­schei­des un­klar, wi­der­sprüch­lich oder un­voll­stän­dig oder steht es mit der Be­grün­dung im Wi­der­spruch, so nimmt die Straf­be­hör­de, die den Ent­scheid ge­fällt hat, auf Ge­such ei­ner Par­tei oder von Am­tes we­gen ei­ne Er­läu­te­rung oder Be­rich­ti­gung des Ent­scheids vor.

2 Das Ge­such ist schrift­lich ein­zu­rei­chen; die be­an­stan­de­ten Stel­len be­zie­hungs­wei­se die ge­wünsch­ten Än­de­run­gen sind an­zu­ge­ben.

3 Die Straf­be­hör­de gibt den an­de­ren Par­tei­en Ge­le­gen­heit, sich zum Ge­such zu äus­sern.

4 Der er­läu­ter­te oder be­rich­tig­te Ent­scheid wird den Par­tei­en er­öff­net.

6. Abschnitt: Eröffnung der Entscheide und Zustellung

Art. 84 Eröffnung der Entscheide

1 Ist das Ver­fah­ren öf­fent­lich, so er­öff­net das Ge­richt das Ur­teil im An­schluss an die Ur­teils­be­ra­tung münd­lich und be­grün­det es kurz.

2 Das Ge­richt hän­digt den Par­tei­en am En­de der Haupt­ver­hand­lung das Ur­teils­dis­po­si­tiv aus oder stellt es ih­nen in­nert 5 Ta­gen zu.

3 Kann das Ge­richt das Ur­teil nicht so­fort fäl­len, so holt es dies so bald als mög­lich nach und er­öff­net das Ur­teil in ei­ner neu an­ge­setz­ten Haupt­ver­hand­lung. Ver­zich­ten die Par­tei­en in die­sem Fal­le auf ei­ne öf­fent­li­che Ur­teils­ver­kün­dung, so stellt ih­nen das Ge­richt das Dis­po­si­tiv so­fort nach der Ur­teils­fäl­lung zu.

4 Muss das Ge­richt das Ur­teil be­grün­den, so stellt es in­nert 60 Ta­gen, aus­nahms­wei­se 90 Ta­gen, der be­schul­dig­ten Per­son und der Staats­an­walt­schaft das voll­stän­di­ge be­grün­de­te Ur­teil zu, den üb­ri­gen Par­tei­en nur je­ne Tei­le des Ur­teils, in de­nen ih­re An­trä­ge be­han­delt wer­den.

5 Die Straf­be­hör­de er­öff­net ein­fa­che ver­fah­rens­lei­ten­de Be­schlüs­se oder Ver­fü­gun­gen den Par­tei­en schrift­lich oder münd­lich.

6 Ent­schei­de sind nach den Be­stim­mun­gen des eid­ge­nös­si­schen und kan­to­na­len Rechts an­de­ren Be­hör­den, Rechts­mit­tel­ent­schei­de auch der Vor­in­stanz, rechts­kräf­ti­ge Ent­schei­de so­weit nö­tig den Voll­zugs- und den Straf­re­gis­ter­be­hör­den mit­zu­tei­len.

Art. 85 Form der Mitteilungen und der Zustellung

1 Die Straf­be­hör­den be­die­nen sich für ih­re Mit­tei­lun­gen der Schrift­form, so­weit die­ses Ge­setz nichts Ab­wei­chen­des be­stimmt.

2 Die Zu­stel­lung er­folgt durch ein­ge­schrie­be­ne Post­sen­dung oder auf an­de­re Wei­se ge­gen Emp­fangs­be­stä­ti­gung, ins­be­son­de­re durch die Po­li­zei.

3 Sie ist er­folgt, wenn die Sen­dung von der Adres­sa­tin oder dem Adres­sa­ten oder von ei­ner an­ge­stell­ten oder im glei­chen Haus­halt le­ben­den, min­des­tens 16 Jah­re al­ten Per­son ent­ge­gen­ge­nom­men wur­de. Vor­be­hal­ten blei­ben An­wei­sun­gen der Straf­be­hör­den, ei­ne Mit­tei­lung der Adres­sa­tin oder dem Adres­sa­ten per­sön­lich zu­zu­stel­len.

4 Sie gilt zu­dem als er­folgt:

a.
bei ei­ner ein­ge­schrie­be­nen Post­sen­dung, die nicht ab­ge­holt wor­den ist: am sieb­ten Tag nach dem er­folg­lo­sen Zu­stel­lungs­ver­such, so­fern die Per­son mit ei­ner Zu­stel­lung rech­nen muss­te;
b.
bei per­sön­li­cher Zu­stel­lung, wenn die Adres­sa­tin oder der Adres­sat die An­nah­me ver­wei­gert und dies von der Über­brin­ge­rin oder dem Über­brin­ger fest­ge­hal­ten wird: am Tag der Wei­ge­rung.

Art. 86 Elektronische Zustellung 25

1 Mit dem Ein­ver­ständ­nis der be­trof­fe­nen Per­son kön­nen Mit­tei­lun­gen elek­tro­nisch zu­ge­stellt wer­den. Sie sind mit ei­ner elek­tro­ni­schen Si­gna­tur ge­mä­ss Bun­des­ge­setz vom 18. März 201626 über die elek­tro­ni­sche Si­gna­tur zu ver­se­hen.

2 Der Bun­des­rat re­gelt:

a.
die zu ver­wen­den­de Si­gna­tur;
b.
das For­mat der Mit­tei­lun­gen und ih­rer Bei­la­gen;
c.
die Art und Wei­se der Über­mitt­lung;
d.
den Zeit­punkt, zu dem die Mit­tei­lung als zu­ge­stellt gilt.

25 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des BG vom 18. März 2016 über die elek­tro­ni­sche Si­gna­tur, in Kraft seit 1. Jan. 2017 (AS 2016 4651; BBl 2014 1001).

26 SR 943.03

Art. 87 Zustellungsdomizil

1 Mit­tei­lun­gen sind den Adres­sa­tin­nen und Adres­sa­ten an ih­ren Wohn­sitz, ih­ren ge­wöhn­li­chen Auf­ent­halts­ort oder an ih­ren Sitz zu­zu­stel­len.

2 Par­tei­en und Rechts­bei­stän­de mit Wohn­sitz, ge­wöhn­li­chem Auf­ent­halts­ort oder Sitz im Aus­land ha­ben in der Schweiz ein Zu­stel­lungs­do­mi­zil zu be­zeich­nen; vor­be­hal­ten blei­ben staats­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen, wo­nach Mit­tei­lun­gen di­rekt zu­ge­stellt wer­den kön­nen.

3 Mit­tei­lun­gen an Par­tei­en, die einen Rechts­bei­stand be­stellt ha­ben, wer­den rechts­gül­tig an die­sen zu­ge­stellt.

4 Hat ei­ne Par­tei per­sön­lich zu ei­ner Ver­hand­lung zu er­schei­nen oder Ver­fah­rens­hand­lun­gen selbst vor­zu­neh­men, so wird ihr die Mit­tei­lung di­rekt zu­ge­stellt. Dem Rechts­bei­stand wird ei­ne Ko­pie zu­ge­stellt.

Art. 88 Öffentliche Bekanntmachung

1 Die Zu­stel­lung er­folgt durch Ver­öf­fent­li­chung in dem durch den Bund oder den Kan­ton be­zeich­ne­ten Amts­blatt, wenn:

a.
der Auf­ent­halts­ort der Adres­sa­tin oder des Adres­sa­ten un­be­kannt ist und trotz zu­mut­ba­rer Nach­for­schun­gen nicht er­mit­telt wer­den kann;
b.
ei­ne Zu­stel­lung un­mög­lich ist oder mit aus­ser­or­dent­li­chen Um­trie­ben ver­bun­den wä­re;
c.
ei­ne Par­tei oder ihr Rechts­bei­stand mit Wohn­sitz, ge­wöhn­li­chem Auf­ent­halts­ort oder Sitz im Aus­land kein Zu­stel­lungs­do­mi­zil in der Schweiz be­zeich­net hat.

2 Die Zu­stel­lung gilt am Tag der Ver­öf­fent­li­chung als er­folgt.

3 Von En­dent­schei­den wird nur das Dis­po­si­tiv ver­öf­fent­licht.

4 Ein­stel­lungs­ver­fü­gun­gen und Straf­be­feh­le gel­ten auch oh­ne Ver­öf­fent­li­chung als zu­ge­stellt.

7. Abschnitt: Fristen und Termine

Art. 89 Allgemeine Bestimmungen

1 Ge­setz­li­che Fris­ten kön­nen nicht er­streckt wer­den.

2 Im Straf­ver­fah­ren gibt es kei­ne Ge­richts­fe­ri­en.

Art. 90 Beginn und Berechnung der Fristen

1 Fris­ten, die durch ei­ne Mit­tei­lung oder den Ein­tritt ei­nes Er­eig­nis­ses aus­ge­löst wer­den, be­gin­nen am fol­gen­den Tag zu lau­fen.

2 Fällt der letz­te Tag der Frist auf einen Sams­tag, einen Sonn­tag oder einen vom Bun­des­recht oder vom kan­to­na­len Recht an­er­kann­ten Fei­er­tag, so en­det sie am nächst­fol­gen­den Werk­tag. Mass­ge­bend ist das Recht des Kan­tons, in dem die Par­tei oder ihr Rechts­bei­stand den Wohn­sitz oder den Sitz hat.27

27 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

Art. 91 Einhaltung von Fristen

1 Die Frist ist ein­ge­hal­ten, wenn die Ver­fah­rens­hand­lung spä­tes­tens am letz­ten Tag bei der zu­stän­di­gen Be­hör­de vor­ge­nom­men wird.

2 Ein­ga­ben müs­sen spä­tes­tens am letz­ten Tag der Frist bei der Straf­be­hör­de ab­ge­ge­ben oder zu de­ren Han­den der Schwei­ze­ri­schen Post, ei­ner schwei­ze­ri­schen di­plo­ma­ti­schen oder kon­su­la­ri­schen Ver­tre­tung oder, im Fal­le von in­haf­tier­ten Per­so­nen, der An­stalts­lei­tung über­ge­ben wer­den.

3 Bei elek­tro­ni­scher Ein­rei­chung ist für die Wah­rung ei­ner Frist der Zeit­punkt mass­ge­bend, in dem die Quit­tung aus­ge­stellt wird, die be­stä­tigt, dass al­le Schrit­te ab­ge­schlos­sen sind, die auf der Sei­te der Par­tei für die Über­mitt­lung not­wen­dig sind.28

4 Die Frist gilt auch dann als ge­wahrt, wenn die Ein­ga­be spä­tes­tens am letz­ten Tag der Frist bei ei­ner nicht zu­stän­di­gen schwei­ze­ri­schen Be­hör­de ein­geht. Die­se lei­tet die Ein­ga­be un­ver­züg­lich an die zu­stän­di­ge Straf­be­hör­de wei­ter.

5 Die Frist für ei­ne Zah­lung an ei­ne Straf­be­hör­de ist ge­wahrt, wenn der Be­trag spä­tes­tens am letz­ten Tag der Frist zu­guns­ten der Straf­be­hör­de der Schwei­ze­ri­schen Post über­ge­ben oder ei­nem Post- oder Bank­kon­to in der Schweiz be­las­tet wor­den ist.

28 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des BG vom 18. März 2016 über die elek­tro­ni­sche Si­gna­tur, in Kraft seit 1. Jan. 2017 (AS 2016 4651; BBl 2014 1001).

Art. 92 Erstreckung von Fristen und Verschiebung von Terminen

Die Be­hör­den kön­nen von Am­tes we­gen oder auf Ge­such hin die von ih­nen an­ge­setz­ten Fris­ten er­stre­cken und Ver­hand­lungs­ter­mi­ne ver­schie­ben. Das Ge­such muss vor Ab­lauf der Frist ge­stellt wer­den und hin­rei­chend be­grün­det sein.

Art. 93 Säumnis

Ei­ne Par­tei ist säu­mig, wenn sie ei­ne Ver­fah­rens­hand­lung nicht frist­ge­recht vor­nimmt oder zu ei­nem Ter­min nicht er­scheint.

Art. 94 Wiederherstellung

1 Hat ei­ne Par­tei ei­ne Frist ver­säumt und wür­de ihr dar­aus ein er­heb­li­cher und un­er­setz­li­cher Rechts­ver­lust er­wach­sen, so kann sie die Wie­der­her­stel­lung der Frist ver­lan­gen; da­bei hat sie glaub­haft zu ma­chen, dass sie an der Säum­nis kein Ver­schul­den trifft.

2 Das Ge­such ist in­nert 30 Ta­gen nach Weg­fall des Säum­nis­grun­des schrift­lich und be­grün­det bei der Be­hör­de zu stel­len, bei wel­cher die ver­säum­te Ver­fah­rens­hand­lung hät­te vor­ge­nom­men wer­den sol­len. In­nert der glei­chen Frist muss die ver­säum­te Ver­fah­rens­hand­lung nach­ge­holt wer­den.

3 Das Ge­such hat nur auf­schie­ben­de Wir­kung, wenn die zu­stän­di­ge Be­hör­de sie er­teilt.

4 Über das Ge­such ent­schei­det die Straf­be­hör­de in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren.

5 Die Ab­sät­ze 1–4 gel­ten sinn­ge­mä­ss bei ver­säum­ten Ter­mi­nen. Wird die Wie­der­her­stel­lung be­wil­ligt, so setzt die Ver­fah­rens­lei­tung einen neu­en Ter­min fest. Die Be­stim­mun­gen über das Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren blei­ben vor­be­hal­ten.

8. Abschnitt: Datenbearbeitung

Art. 95 Beschaffung von Personendaten

1 Per­so­nen­da­ten sind bei der be­trof­fe­nen Per­son oder für die­se er­kenn­bar zu be­schaf­fen, wenn da­durch das Ver­fah­ren nicht ge­fähr­det oder un­ver­hält­nis­mäs­sig auf­wen­dig wird.

2 War die Be­schaf­fung von Per­so­nen­da­ten für die be­trof­fe­ne Per­son nicht er­kenn­bar, so ist die­se um­ge­hend dar­über zu in­for­mie­ren. Die In­for­ma­ti­on kann zum Schut­ze über­wie­gen­der öf­fent­li­cher oder pri­va­ter In­ter­es­sen un­ter­las­sen oder auf­ge­scho­ben wer­den.

Art. 95a Bearbeitung von Personendaten 29

Bei der Be­ar­bei­tung von Per­so­nen­da­ten sor­gen die zu­stän­di­gen Straf­be­hör­den da­für, dass sie so weit wie mög­lich un­ter­schei­den:

a.
zwi­schen den ver­schie­de­nen Ka­te­go­ri­en be­trof­fe­ner Per­so­nen;
b.
zwi­schen auf Tat­sa­chen und auf per­sön­li­chen Ein­schät­zun­gen be­ru­hen­den Per­so­nen­da­ten.

29 Ein­ge­fügt durch Ziff. II 3 des BG vom 28. Sept. 2018 über die Um­set­zung der Richt­li­nie (EU) 2016/680 zum Schutz na­tür­li­cher Per­so­nen bei der Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten zum Zwe­cke der Ver­hü­tung, Er­mitt­lung, Auf­de­ckung oder Ver­fol­gung von Straf­ta­ten oder der Straf­voll­stre­ckung, in Kraft seit 1. März 2019 (AS 2019 625; BBl 2017 6941).

Art. 96 Bekanntgabe und Verwendung bei hängigem Strafverfahren

1 Die Straf­be­hör­de darf aus ei­nem hän­gi­gen Ver­fah­ren Per­so­nen­da­ten zwecks Ver­wen­dung in ei­nem an­de­ren hän­gi­gen Ver­fah­ren be­kannt ge­ben, wenn an­zu­neh­men ist, dass die Da­ten we­sent­li­che Auf­schlüs­se ge­ben kön­nen.

2 Vor­be­hal­ten blei­ben:

a.
die Ar­ti­kel 11, 13, 14 und 20 des Bun­des­ge­set­zes vom 21. März 199730 über Mass­nah­men zur Wah­rung der in­ne­ren Si­cher­heit;
b.
die Vor­schrif­ten des Bun­des­ge­set­zes vom 13. Ju­ni 200831 über die po­li­zei­li­chen In­for­ma­ti­ons­sys­te­me des Bun­des;
c.
die Vor­schrif­ten des Bun­des­ge­set­zes vom 7. Ok­to­ber 199432 über kri­mi­nal­po­li­zei­li­che Zen­tral­stel­len des Bun­des.33

30 SR 120

31 SR 361

32 SR 360

33 Fas­sung ge­mä­ss An­hang 2 Ziff. I 1 Bst. a des BG vom 13. Ju­ni 2008 über die po­li­zei­li­chen In­for­ma­ti­ons­sys­te­me, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2008 4989; BBl 2006 5061).

Art. 97 Auskunftsrechte bei hängigem Verfahren

So­lan­ge ein Ver­fah­ren hän­gig ist, ha­ben die Par­tei­en und die an­de­ren Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten nach Mass­ga­be des ih­nen zu­ste­hen­den Ak­ten­ein­sichts­rechts das Recht auf Aus­kunft über die sie be­tref­fen­den be­ar­bei­te­ten Per­so­nen­da­ten.

Art. 98 Berichtigung von Daten

1 Er­wei­sen sich Per­so­nen­da­ten als un­rich­tig, so be­rich­ti­gen die zu­stän­di­gen Straf­be­hör­den sie un­ver­züg­lich.

2 Sie be­nach­rich­ti­gen die Be­hör­de, die ih­nen die­se Da­ten über­mit­telt oder zur Ver­fü­gung ge­stellt hat oder der sie die­se be­kannt ge­ge­ben ha­ben, un­ver­züg­lich über die Be­rich­ti­gung.34

34 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. II 3 des BG vom 28. Sept. 2018 über die Um­set­zung der Richt­li­nie (EU) 2016/680 zum Schutz na­tür­li­cher Per­so­nen bei der Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten zum Zwe­cke der Ver­hü­tung, Er­mitt­lung, Auf­de­ckung oder Ver­fol­gung von Straf­ta­ten oder der Straf­voll­stre­ckung, in Kraft seit 1. März 2019 (AS 2019 625; BBl 2017 6941).

Art. 99 Bearbeitung und Aufbewahrung von Personendaten nach Abschluss des Verfahrens

1 Nach Ab­schluss des Ver­fah­rens rich­ten sich das Be­ar­bei­ten von Per­so­nen­da­ten, das Ver­fah­ren und der Rechts­schutz nach den Be­stim­mun­gen des Da­ten­schutz­rechts von Bund und Kan­to­nen.

2 Die Dau­er der Auf­be­wah­rung von Per­so­nen­da­ten nach Ab­schluss ei­nes Ver­fah­rens be­stimmt sich nach Ar­ti­kel 103.

3 Vor­be­hal­ten blei­ben die Vor­schrif­ten des Bun­des­ge­set­zes vom 7. Ok­to­ber 199435 über kri­mi­nal­po­li­zei­li­che Zen­tral­stel­len des Bun­des, des Bun­des­ge­set­zes vom 13. Ju­ni 200836 über die po­li­zei­li­chen In­for­ma­ti­ons­sys­te­me des Bun­des so­wie die Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes über er­ken­nungs­dienst­li­che Un­ter­la­gen und DNA-Pro­fi­le.37

35 SR 360

36 SR 361

37 Fas­sung ge­mä­ss An­hang 2 Ziff. I 1 Bst. a des BG vom 13. Ju­ni 2008 über die po­li­zei­li­chen In­for­ma­ti­ons­sys­te­me, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2008 4989; BBl 2006 5061).

9. Abschnitt: Aktenführung, Akteneinsicht und Aktenaufbewahrung

Art. 100 Aktenführung

1 Für je­de Strafsa­che wird ein Ak­ten­dos­sier an­ge­legt. Die­ses ent­hält:

a.
die Ver­fah­rens- und die Ein­ver­nah­me­pro­to­kol­le;
b.
die von der Straf­be­hör­de zu­sam­men­ge­tra­ge­nen Ak­ten;
c.
die von den Par­tei­en ein­ge­reich­ten Ak­ten.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung sorgt für die sys­te­ma­ti­sche Ab­la­ge der Ak­ten und für de­ren fort­lau­fen­de Er­fas­sung in ei­nem Ver­zeich­nis; in ein­fa­chen Fäl­len kann sie von ei­nem Ver­zeich­nis ab­se­hen.

Art. 101 Akteneinsicht bei hängigem Verfahren

1 Die Par­tei­en kön­nen spä­tes­tens nach der ers­ten Ein­ver­nah­me der be­schul­dig­ten Per­son und der Er­he­bung der üb­ri­gen wich­tigs­ten Be­wei­se durch die Staats­an­walt­schaft die Ak­ten des Straf­ver­fah­rens ein­se­hen; Ar­ti­kel 108 bleibt vor­be­hal­ten.

2 An­de­re Be­hör­den kön­nen die Ak­ten ein­se­hen, wenn sie die­se für die Be­ar­bei­tung hän­gi­ger Zi­vil-, Straf- oder Ver­wal­tungs­ver­fah­ren be­nö­ti­gen und der Ein­sicht­nah­me kei­ne über­wie­gen­den öf­fent­li­chen oder pri­va­ten In­ter­es­sen ent­ge­gen­ste­hen.

3 Drit­te kön­nen die Ak­ten ein­se­hen, wenn sie da­für ein wis­sen­schaft­li­ches oder ein an­de­res schüt­zens­wer­tes In­ter­es­se gel­tend ma­chen und der Ein­sicht­nah­me kei­ne über­wie­gen­den öf­fent­li­chen oder pri­va­ten In­ter­es­sen ent­ge­gen­ste­hen.

Art. 102 Vorgehen bei Begehren um Akteneinsicht

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung ent­schei­det über die Ak­ten­ein­sicht. Sie trifft die er­for­der­li­chen Mass­nah­men, um Miss­bräu­che und Ver­zö­ge­run­gen zu ver­hin­dern und be­rech­tig­te Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­sen zu schüt­zen.

2 Die Ak­ten sind am Sitz der be­tref­fen­den Straf­be­hör­de oder rechts­hil­fe­wei­se bei ei­ner an­dern Straf­be­hör­de ein­zu­se­hen. An­de­ren Be­hör­den so­wie den Rechts­bei­stän­den der Par­tei­en wer­den sie in der Re­gel zu­ge­stellt.

3 Wer zur Ein­sicht be­rech­tigt ist, kann ge­gen Ent­rich­tung ei­ner Ge­bühr die An­fer­ti­gung von Ko­pi­en der Ak­ten ver­lan­gen.

Art. 103 Aktenaufbewahrung

1 Die Ak­ten sind min­des­tens bis zum Ab­lauf der Ver­fol­gungs- und Voll­stre­ckungs­ver­jäh­rung auf­zu­be­wah­ren.

2 Aus­ge­nom­men sind Ori­gi­nal­do­ku­men­te, die zu den Ak­ten ge­nom­men wur­den; sie sind den be­rech­tig­ten Per­so­nen ge­gen Emp­fangs­schein zu­rück­zu­ge­ben, so­bald die Strafsa­che rechts­kräf­tig ent­schie­den ist.

3. Titel: Parteien und andere Verfahrensbeteiligte

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

1. Abschnitt: Begriff und Stellung

Art. 104 Parteien

1 Par­tei­en sind:

a.
die be­schul­dig­te Per­son;
b.
die Pri­vat­klä­ger­schaft;
c.
im Haupt- und im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren: die Staats­an­walt­schaft.

2 Bund und Kan­to­ne kön­nen wei­te­ren Be­hör­den, die öf­fent­li­che In­ter­es­sen zu wah­ren ha­ben, vol­le oder be­schränk­te Par­tei­rech­te ein­räu­men.

Art. 105 Andere Verfahrensbeteiligte

1 An­de­re Ver­fah­rens­be­tei­lig­te sind:

a.
die ge­schä­dig­te Per­son;
b.
die Per­son, die An­zei­ge er­stat­tet;
c.
die Zeu­gin oder der Zeu­ge;
d.
die Aus­kunfts­per­son;
e.
die oder der Sach­ver­stän­di­ge;
f.
die oder der durch Ver­fah­rens­hand­lun­gen be­schwer­te Drit­te.

2 Wer­den in Ab­satz 1 ge­nann­te Ver­fah­rens­be­tei­lig­te in ih­ren Rech­ten un­mit­tel­bar be­trof­fen, so ste­hen ih­nen die zur Wah­rung ih­rer In­ter­es­sen er­for­der­li­chen Ver­fah­rens­rech­te ei­ner Par­tei zu.

Art. 106 Prozessfähigkeit

1 Die Par­tei kann Ver­fah­rens­hand­lun­gen nur gül­tig vor­neh­men, wenn sie hand­lungs­fä­hig ist.

2 Ei­ne hand­lungs­un­fä­hi­ge Per­son wird durch ih­re ge­setz­li­che Ver­tre­tung ver­tre­ten.

3 Ei­ne ur­teils­fä­hi­ge hand­lungs­un­fä­hi­ge Per­son kann ne­ben ih­rer ge­setz­li­chen Ver­tre­tung je­ne Ver­fah­rens­rech­te aus­üben, die höchst­per­sön­li­cher Na­tur sind.

Art. 107 Anspruch auf rechtliches Gehör

1 Die Par­tei­en ha­ben An­spruch auf recht­li­ches Ge­hör; sie ha­ben na­ment­lich das Recht:

a.
Ak­ten ein­zu­se­hen;
b.
an Ver­fah­rens­hand­lun­gen teil­zu­neh­men;
c.
einen Rechts­bei­stand bei­zu­zie­hen;
d.
sich zur Sa­che und zum Ver­fah­ren zu äus­sern;
e.
Be­weis­an­trä­ge zu stel­len.

2 Die Straf­be­hör­den ma­chen rechts­un­kun­di­ge Par­tei­en auf ih­re Rech­te auf­merk­sam.

Art. 108 Einschränkungen des rechtlichen Gehörs

1 Die Straf­be­hör­den kön­nen das recht­li­che Ge­hör ein­schrän­ken, wenn:

a.
der be­grün­de­te Ver­dacht be­steht, dass ei­ne Par­tei ih­re Rech­te miss­braucht;
b.
dies für die Si­cher­heit von Per­so­nen oder zur Wah­rung öf­fent­li­cher oder pri­va­ter Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­sen er­for­der­lich ist.

2 Ein­schrän­kun­gen ge­gen­über Rechts­bei­stän­den sind nur zu­läs­sig, wenn der Rechts­bei­stand selbst An­lass für die Be­schrän­kung gibt.

3 Die Ein­schrän­kun­gen sind zu be­fris­ten oder auf ein­zel­ne Ver­fah­rens­hand­lun­gen zu be­gren­zen.

4 Be­steht der Grund für die Ein­schrän­kung fort, so dür­fen die Straf­be­hör­den Ent­schei­de nur so weit auf Ak­ten, die ei­ner Par­tei nicht er­öff­net wor­den sind, stüt­zen, als ihr von de­ren we­sent­li­chem In­halt Kennt­nis ge­ge­ben wur­de.

5 Ist der Grund für die Ein­schrän­kung weg­ge­fal­len, so ist das recht­li­che Ge­hör in ge­eig­ne­ter Form nach­träg­lich zu ge­wäh­ren.

2. Abschnitt: Verfahrenshandlungen der Parteien

Art. 109 Eingaben

1 Die Par­tei­en kön­nen der Ver­fah­rens­lei­tung je­der­zeit Ein­ga­ben ma­chen; vor­be­hal­ten blei­ben be­son­de­re Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung prüft die Ein­ga­ben und gibt den an­de­ren Par­tei­en Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me.

Art. 110 Form

1 Ein­ga­ben kön­nen schrift­lich ein­ge­reicht oder münd­lich zu Pro­to­koll ge­ge­ben wer­den. Schrift­li­che Ein­ga­ben sind zu da­tie­ren und zu un­ter­zeich­nen.

2 Bei elek­tro­ni­scher Ein­rei­chung muss die Ein­ga­be mit ei­ner qua­li­fi­zier­ten elek­tro­ni­schen Si­gna­tur ge­mä­ss Bun­des­ge­setz vom 18. März 201638 über die elek­tro­ni­sche Si­gna­tur ver­se­hen wer­den. Der Bun­des­rat re­gelt:

a.
das For­mat der Ein­ga­be und ih­rer Bei­la­gen;
b.
die Art und Wei­se der Über­mitt­lung;
c.
die Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen bei tech­ni­schen Pro­ble­men die Nach­rei­chung von Do­ku­men­ten auf Pa­pier ver­langt wer­den kann.39

3 Im Üb­ri­gen sind Ver­fah­rens­hand­lun­gen an kei­ne Form­vor­schrif­ten ge­bun­den, so­weit die­ses Ge­setz nichts Ab­wei­chen­des be­stimmt.

4 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann un­le­ser­li­che, un­ver­ständ­li­che, un­ge­bühr­li­che oder weit­schwei­fi­ge Ein­ga­ben zu­rück­wei­sen; sie setzt ei­ne Frist zur Über­ar­bei­tung und weist dar­auf hin, dass die Ein­ga­be, falls sie nicht über­ar­bei­tet wird, un­be­ach­tet bleibt.

38 SR 943.03

39 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des BG vom 18. März 2016 über die elek­tro­ni­sche Si­gna­tur, in Kraft seit 1. Jan. 2017 (AS 2016 4651; BBl 2014 1001).

2. Kapitel: Beschuldigte Person

Art. 111 Begriff

1 Als be­schul­dig­te Per­son gilt die Per­son, die in ei­ner Straf­an­zei­ge, ei­nem Straf­an­trag oder von ei­ner Straf­be­hör­de in ei­ner Ver­fah­rens­hand­lung ei­ner Straf­tat ver­däch­tigt, be­schul­digt oder an­ge­klagt wird.

2 Die Rech­te und die Pflich­ten ei­ner be­schul­dig­ten Per­son gel­ten auch für Per­so­nen, de­ren Ver­fah­ren nach ei­ner Ein­stel­lung oder ei­nem Ur­teil im Sin­ne des Ar­ti­kels 323 oder der Ar­ti­kel 410–415 wie­der­auf­ge­nom­men wer­den soll.

Art. 112 Strafverfahren gegen Unternehmen

1 In ei­nem Straf­ver­fah­ren ge­gen ein Un­ter­neh­men wird die­ses von ei­ner ein­zi­gen Per­son ver­tre­ten, die un­ein­ge­schränkt zur Ver­tre­tung des Un­ter­neh­mens in zi­vil­recht­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten be­fugt ist.

2 Be­stellt das Un­ter­neh­men nicht in­nert an­ge­mes­se­ner Frist ei­ne sol­che Ver­tre­tung, so be­stimmt die Ver­fah­rens­lei­tung, wer von den zur zi­vil­recht­li­chen Ver­tre­tung be­fug­ten Per­so­nen das Un­ter­neh­men im Straf­ver­fah­ren ver­tritt.

3 Wird ge­gen die Per­son, die das Un­ter­neh­men im Straf­ver­fah­ren ver­tritt, we­gen des glei­chen oder ei­nes da­mit zu­sam­men­hän­gen­den Sach­ver­halts ei­ne Stra­fun­ter­su­chung er­öff­net, so hat das Un­ter­neh­men ei­ne an­de­re Ver­tre­te­rin oder einen an­de­ren Ver­tre­ter zu be­zeich­nen. Nö­ti­gen­falls be­stimmt die Ver­fah­rens­lei­tung zur Ver­tre­tung ei­ne an­de­re Per­son nach Ab­satz 2 oder, so­fern ei­ne sol­che nicht zur Ver­fü­gung steht, ei­ne ge­eig­ne­te Dritt­per­son.

4 Wird we­gen des glei­chen oder ei­nes da­mit zu­sam­men­hän­gen­den Sach­ver­halts so­wohl ein Ver­fah­ren ge­gen ei­ne na­tür­li­che Per­son wie auch ein Ver­fah­ren ge­gen ein Un­ter­neh­men ge­führt, so kön­nen die Ver­fah­ren ver­ei­nigt wer­den.

Art. 113 Stellung

1 Die be­schul­dig­te Per­son muss sich nicht selbst be­las­ten. Sie hat na­ment­lich das Recht, die Aus­sa­ge und ih­re Mit­wir­kung im Straf­ver­fah­ren zu ver­wei­gern. Sie muss sich aber den ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Zwangs­mass­nah­men un­ter­zie­hen.

2 Ver­wei­gert die be­schul­dig­te Per­son ih­re Mit­wir­kung, so wird das Ver­fah­ren gleich­wohl fort­ge­führt.

Art. 114 Verhandlungsfähigkeit

1 Ver­hand­lungs­fä­hig ist ei­ne be­schul­dig­te Per­son, die kör­per­lich und geis­tig in der La­ge ist, der Ver­hand­lung zu fol­gen.

2 Bei vor­über­ge­hen­der Ver­hand­lungs­un­fä­hig­keit wer­den die un­auf­schieb­ba­ren Ver­fah­rens­hand­lun­gen in An­we­sen­heit der Ver­tei­di­gung durch­ge­führt.

3 Dau­ert die Ver­hand­lungs­un­fä­hig­keit fort, so wird das Straf­ver­fah­ren sis­tiert oder ein­ge­stellt. Die be­son­de­ren Be­stim­mun­gen für Ver­fah­ren ge­gen ei­ne schul­d­un­fä­hi­ge be­schul­dig­te Per­son blei­ben vor­be­hal­ten.

3. Kapitel: Geschädigte Person, Opfer und Privatklägerschaft

1. Abschnitt: Geschädigte Person

Art. 115

1 Als ge­schä­dig­te Per­son gilt die Per­son, die durch die Straf­tat in ih­ren Rech­ten un­mit­tel­bar ver­letzt wor­den ist.

2 Die zur Stel­lung ei­nes Straf­an­trags be­rech­tig­te Per­son gilt in je­dem Fall als ge­schä­dig­te Per­son.

2. Abschnitt: Opfer

Art. 116 Begriffe

1 Als Op­fer gilt die ge­schä­dig­te Per­son, die durch die Straf­tat in ih­rer kör­per­li­chen, se­xu­el­len oder psy­chi­schen In­te­gri­tät un­mit­tel­bar be­ein­träch­tigt wor­den ist.

2 Als An­ge­hö­ri­ge des Op­fers gel­ten sei­ne Ehe­gat­tin oder sein Ehe­gat­te, sei­ne Kin­der und El­tern so­wie die Per­so­nen, die ihm in ähn­li­cher Wei­se na­he ste­hen.

Art. 117 Stellung

1 Dem Op­fer ste­hen be­son­de­re Rech­te zu, na­ment­lich:

a.
das Recht auf Per­sön­lich­keits­schutz (Art. 70 Abs. 1 Bst. a, 74 Abs. 4, 152 Abs. 1);
b.
das Recht auf Be­glei­tung durch ei­ne Ver­trau­ens­per­son (Art. 70 Abs. 2, 152 Abs. 2);
c.
das Recht auf Schutz­mass­nah­men (Art. 152–154);
d.
das Recht auf Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rung (Art. 169 Abs. 4);
e.
das Recht auf In­for­ma­ti­on (Art. 305 und 330 Abs. 3);
f.
das Recht auf ei­ne be­son­de­re Zu­sam­men­set­zung des Ge­richts (Art. 335 Abs. 4).

2 Bei Op­fern un­ter 18 Jah­ren kom­men dar­über hin­aus die be­son­de­ren Be­stim­mun­gen zum Schutz ih­rer Per­sön­lich­keit zur An­wen­dung, na­ment­lich be­tref­fend:

a.
Ein­schrän­kun­gen bei der Ge­gen­über­stel­lung mit der be­schul­dig­ten Per­son (Art. 154 Abs. 4);
b.
be­son­de­re Schutz­mass­nah­men bei Ein­ver­nah­men (Art. 154 Abs. 2–4);
c.
Ein­stel­lung des Ver­fah­rens (Art. 319 Abs. 2).

3 Ma­chen die An­ge­hö­ri­gen des Op­fers Zi­vil­an­sprü­che gel­tend, so ste­hen ih­nen die glei­chen Rech­te zu wie dem Op­fer.

3. Abschnitt: Privatklägerschaft

Art. 118 Begriff und Voraussetzungen

1 Als Pri­vat­klä­ger­schaft gilt die ge­schä­dig­te Per­son, die aus­drück­lich er­klärt, sich am Straf­ver­fah­ren als Straf- oder Zi­vil­klä­ge­rin oder -klä­ger zu be­tei­li­gen.

2 Der Straf­an­trag ist die­ser Er­klä­rung gleich­ge­stellt.

3 Die Er­klä­rung ist ge­gen­über ei­ner Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de spä­tes­tens bis zum Ab­schluss des Vor­ver­fah­rens ab­zu­ge­ben.

4 Hat die ge­schä­dig­te Per­son von sich aus kei­ne Er­klä­rung ab­ge­ge­ben, so weist sie die Staats­an­walt­schaft nach Er­öff­nung des Vor­ver­fah­rens auf die­se Mög­lich­keit hin.

Art. 119 Form und Inhalt der Erklärung

1 Die ge­schä­dig­te Per­son kann die Er­klä­rung schrift­lich oder münd­lich zu Pro­to­koll ab­ge­ben.

2 In der Er­klä­rung kann die ge­schä­dig­te Per­son ku­mu­la­tiv oder al­ter­na­tiv:

a.
die Ver­fol­gung und Be­stra­fung der für die Straf­tat ver­ant­wort­li­chen Per­son ver­lan­gen (Straf­kla­ge);
b.
ad­hä­si­ons­wei­se pri­vat­recht­li­che An­sprü­che gel­tend ma­chen, die aus der Straf­tat ab­ge­lei­tet wer­den (Zi­vil­kla­ge).

Art. 120 Verzicht und Rückzug

1 Die ge­schä­dig­te Per­son kann je­der­zeit schrift­lich oder münd­lich zu Pro­to­koll er­klä­ren, sie ver­zich­te auf die ihr zu­ste­hen­den Rech­te. Der Ver­zicht ist end­gül­tig.

2 Wird der Ver­zicht nicht aus­drück­lich ein­ge­schränkt, so um­fasst er die Straf- und die Zi­vil­kla­ge.

Art. 121 Rechtsnachfolge

1 Stirbt die ge­schä­dig­te Per­son, oh­ne auf ih­re Ver­fah­rens­rech­te als Pri­vat­klä­ger­schaft ver­zich­tet zu ha­ben, so ge­hen ih­re Rech­te auf die An­ge­hö­ri­gen im Sin­ne von Ar­ti­kel 110 Ab­satz 1 StGB40 in der Rei­hen­fol­ge der Erb­be­rech­ti­gung über.

2 Wer von Ge­set­zes we­gen in die An­sprü­che der ge­schä­dig­ten Per­son ein­ge­tre­ten ist, ist nur zur Zi­vil­kla­ge be­rech­tigt und hat nur je­ne Ver­fah­rens­rech­te, die sich un­mit­tel­bar auf die Durch­set­zung der Zi­vil­kla­ge be­zie­hen.

4. Abschnitt: Zivilklage

Art. 122 Allgemeine Bestimmungen

1 Die ge­schä­dig­te Per­son kann zi­vil­recht­li­che An­sprü­che aus der Straf­tat als Pri­vat­klä­ger­schaft ad­hä­si­ons­wei­se im Straf­ver­fah­ren gel­tend ma­chen.

2 Das glei­che Recht steht auch den An­ge­hö­ri­gen des Op­fers zu, so­weit sie ge­gen­über der be­schul­dig­ten Per­son ei­ge­ne Zi­vil­an­sprü­che gel­tend ma­chen.

3 Die Zi­vil­kla­ge wird mit der Er­klä­rung nach Ar­ti­kel 119 Ab­satz 2 Buch­sta­be b rechts­hän­gig.

4 Zieht die Pri­vat­klä­ger­schaft ih­re Zi­vil­kla­ge vor Ab­schluss der ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­hand­lung zu­rück, so kann sie sie auf dem Zi­vil­weg er­neut gel­tend ma­chen.

Art. 123 Bezifferung und Begründung

1 Die in der Zi­vil­kla­ge gel­tend ge­mach­te For­de­rung ist nach Mög­lich­keit in der Er­klä­rung nach Ar­ti­kel 119 zu be­zif­fern und, un­ter An­ga­be der an­ge­ru­fe­nen Be­weis­mit­tel, kurz schrift­lich zu be­grün­den.

2 Be­zif­fe­rung und Be­grün­dung ha­ben spä­tes­tens im Par­tei­vor­trag zu er­fol­gen.

Art. 124 Zuständigkeit und Verfahren

1 Das mit der Strafsa­che be­fass­te Ge­richt be­ur­teilt den Zi­vil­an­spruch un­ge­ach­tet des Streit­wer­tes.

2 Der be­schul­dig­ten Per­son wird spä­tes­tens im ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­fah­ren Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, sich zur Zi­vil­kla­ge zu äus­sern.

3 An­er­kennt sie die Zi­vil­kla­ge, so wird dies im Pro­to­koll und im ver­fah­renser­le­di­gen­den Ent­scheid fest­ge­hal­ten.

Art. 125 Sicherheit für die Ansprüche gegenüber der Privatklägerschaft

1 Die Pri­vat­klä­ger­schaft, mit Aus­nah­me des Op­fers, hat auf An­trag der be­schul­dig­ten Per­son für de­ren mut­mass­li­che, durch die An­trä­ge zum Zi­vil­punkt ver­ur­sach­ten Auf­wen­dun­gen Si­cher­heit zu leis­ten, wenn:

a.
sie kei­nen Wohn­sitz oder Sitz in der Schweiz hat;
b.
sie zah­lungs­un­fä­hig er­scheint, na­ment­lich wenn ge­gen sie der Kon­kurs er­öff­net oder ein Nach­lass­ver­fah­ren im Gang ist oder Ver­lust­schei­ne be­ste­hen;
c.
aus an­de­ren Grün­den ei­ne er­heb­li­che Ge­fähr­dung oder Ver­ei­te­lung des An­spruchs der be­schul­dig­ten Per­son zu be­fürch­ten ist.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung des Ge­richts ent­schei­det über den An­trag end­gül­tig. Sie be­stimmt die Hö­he der Si­cher­heit und setzt ei­ne Frist zur Leis­tung.

3 Die Si­cher­heit kann in bar oder durch Ga­ran­tie ei­ner in der Schweiz nie­der­ge­las­se­nen Bank oder Ver­si­che­rung ge­leis­tet wer­den.

4 Sie kann nach­träg­lich er­höht, her­ab­ge­setzt oder auf­ge­ho­ben wer­den.

Art. 126 Entscheid

1 Das Ge­richt ent­schei­det über die an­hän­gig ge­mach­te Zi­vil­kla­ge, wenn es die be­schul­dig­te Per­son:

a.
schul­dig spricht;
b.
frei­spricht und der Sach­ver­halt spruch­reif ist.

2 Die Zi­vil­kla­ge wird auf den Zi­vil­weg ver­wie­sen, wenn:

a.
das Straf­ver­fah­ren ein­ge­stellt oder im Straf­be­fehls­ver­fah­ren er­le­digt wird;
b.
die Pri­vat­klä­ger­schaft ih­re Kla­ge nicht hin­rei­chend be­grün­det oder be­zif­fert hat;
c.
die Pri­vat­klä­ger­schaft die Si­cher­heit für die An­sprü­che der be­schul­dig­ten Per­son nicht leis­tet;
d.
die be­schul­dig­te Per­son frei­ge­spro­chen wird, der Sach­ver­halt aber nicht spruch­reif ist.

3 Wä­re die voll­stän­di­ge Be­ur­tei­lung des Zi­vil­an­spruchs un­ver­hält­nis­mäs­sig auf­wen­dig, so kann das Ge­richt die Zi­vil­kla­ge nur dem Grund­satz nach ent­schei­den und sie im Üb­ri­gen auf den Zi­vil­weg ver­wei­sen. An­sprü­che von ge­rin­ger Hö­he be­ur­teilt das Ge­richt nach Mög­lich­keit selbst.

4 In Fäl­len, in de­nen Op­fer be­tei­ligt sind, kann das Ge­richt vor­erst nur den Schuld- und Straf­punkt be­ur­tei­len; an­sch­lies­send be­ur­teilt die Ver­fah­rens­lei­tung als Ein­zel­ge­richt nach ei­ner wei­te­ren Par­teiver­hand­lung die Zi­vil­kla­ge, un­ge­ach­tet des Streit­werts.

4. Kapitel: Rechtsbeistand

1. Abschnitt: Grundsätze

Art. 127

1 Die be­schul­dig­te Per­son, die Pri­vat­klä­ger­schaft und die an­de­ren Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten kön­nen zur Wah­rung ih­rer In­ter­es­sen einen Rechts­bei­stand be­stel­len.

2 Die Par­tei­en kön­nen zwei oder meh­re­re Per­so­nen als Rechts­bei­stand bei­zie­hen, so­weit da­durch das Ver­fah­ren nicht un­ge­bühr­lich ver­zö­gert wird. In die­sem Fall ha­ben sie ei­ne von ih­nen als Haupt­ver­tre­te­rin oder Haupt­ver­tre­ter zu be­zeich­nen, die oder der zu den Ver­tre­tungs­hand­lun­gen vor den Straf­be­hör­den be­fugt ist und de­ren oder des­sen Do­mi­zil als ein­zi­ge Zu­stel­l­adres­se gilt.

3 Der Rechts­bei­stand kann in den Schran­ken von Ge­setz und Stan­des­re­geln im glei­chen Ver­fah­ren die In­ter­es­sen meh­re­rer Ver­fah­rens­be­tei­lig­ter wah­ren.

4 Die Par­tei­en kön­nen je­de hand­lungs­fä­hi­ge, gut be­leu­mun­de­te und ver­trau­ens­wür­di­ge Per­son als Rechts­bei­stand be­stel­len; vor­be­hal­ten blei­ben die Be­schrän­kun­gen des An­walts­rechts.

5 Die Ver­tei­di­gung der be­schul­dig­ten Per­son ist An­wäl­tin­nen und An­wäl­ten vor­be­hal­ten, die nach dem An­walts­ge­setz vom 23. Ju­ni 200041 be­rech­tigt sind, Par­tei­en vor Ge­richts­be­hör­den zu ver­tre­ten; vor­be­hal­ten blei­ben ab­wei­chen­de Be­stim­mun­gen der Kan­to­ne für die Ver­tei­di­gung im Über­tre­tungs­straf­ver­fah­ren.

2. Abschnitt: Verteidigung

Art. 128 Stellung

Die Ver­tei­di­gung ist in den Schran­ken von Ge­setz und Stan­des­re­geln al­lein den In­ter­es­sen der be­schul­dig­ten Per­son ver­pflich­tet.

Art. 129 Wahlverteidigung

1 Die be­schul­dig­te Per­son ist be­rech­tigt, in je­dem Straf­ver­fah­ren und auf je­der Ver­fah­rens­stu­fe einen Rechts­bei­stand im Sin­ne von Ar­ti­kel 127 Ab­satz 5 mit ih­rer Ver­tei­di­gung zu be­trau­en (Wahl­ver­tei­di­gung) oder, un­ter Vor­be­halt von Ar­ti­kel 130, sich sel­ber zu ver­tei­di­gen.

2 Die Aus­übung der Wahl­ver­tei­di­gung setzt ei­ne schrift­li­che Voll­macht oder ei­ne pro­to­kol­lier­te Er­klä­rung der be­schul­dig­ten Per­son vor­aus.

Art. 130 Notwendige Verteidigung

Die be­schul­dig­te Per­son muss ver­tei­digt wer­den, wenn:

a.
die Un­ter­su­chungs­haft ein­sch­liess­lich ei­ner vor­läu­fi­gen Fest­nah­me mehr als 10 Ta­ge ge­dau­ert hat;
b.42
ihr ei­ne Frei­heits­s­tra­fe von mehr als ei­nem Jahr, ei­ne frei­heits­ent­zie­hen­de Mass­nah­me oder ei­ne Lan­des­ver­wei­sung droht;
c.
sie we­gen ih­res kör­per­li­chen oder geis­ti­gen Zu­stan­des oder aus an­de­ren Grün­den ih­re Ver­fah­rens­in­ter­es­sen nicht aus­rei­chend wah­ren kann und die ge­setz­li­che Ver­tre­tung da­zu nicht in der La­ge ist;
d.
die Staats­an­walt­schaft vor dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt oder dem Be­ru­fungs­ge­richt per­sön­lich auf­tritt;
e.
ein ab­ge­kürz­tes Ver­fah­ren (Art. 358–362) durch­ge­führt wird.

42 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 5 des BG vom 20. März 2015 (Um­set­zung von Art. 121 Abs. 3–6 BV über die Aus­schaf­fung kri­mi­nel­ler Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der), in Kraft seit 1. Okt. 2016 (AS 2016 2329; BBl 2013 5975).

Art. 131 Sicherstellung der notwendigen Verteidigung

1 Liegt ein Fall not­wen­di­ger Ver­tei­di­gung vor, so ach­tet die Ver­fah­rens­lei­tung dar­auf, dass un­ver­züg­lich ei­ne Ver­tei­di­gung be­stellt wird.

2 Sind die Vor­aus­set­zun­gen not­wen­di­ger Ver­tei­di­gung bei Ein­lei­tung des Vor­ver­fah­rens er­füllt, so ist die Ver­tei­di­gung nach der ers­ten Ein­ver­nah­me durch die Staats­an­walt­schaft, je­den­falls aber vor Er­öff­nung der Un­ter­su­chung, si­cher­zu­stel­len.

3 Wur­den in Fäl­len, in de­nen die Ver­tei­di­gung er­kenn­bar not­wen­dig ge­we­sen wä­re, Be­wei­se er­ho­ben, be­vor ei­ne Ver­tei­di­ge­rin oder ein Ver­tei­di­ger be­stellt wor­den ist, so ist die Be­weis­er­he­bung nur gül­tig, wenn die be­schul­dig­te Per­son auf ih­re Wie­der­ho­lung ver­zich­tet.

Art. 132 Amtliche Verteidigung

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung ord­net ei­ne amt­li­che Ver­tei­di­gung an, wenn:

a.
bei not­wen­di­ger Ver­tei­di­gung:
1.
die be­schul­dig­te Per­son trotz Auf­for­de­rung der Ver­fah­rens­lei­tung kei­ne Wahl­ver­tei­di­gung be­stimmt,
2.
der Wahl­ver­tei­di­gung das Man­dat ent­zo­gen wur­de oder sie es nie­der­ge­legt hat und die be­schul­dig­te Per­son nicht in­nert Frist ei­ne neue Wahl­ver­tei­di­gung be­stimmt;
b.
die be­schul­dig­te Per­son nicht über die er­for­der­li­chen Mit­tel ver­fügt und die Ver­tei­di­gung zur Wah­rung ih­rer In­ter­es­sen ge­bo­ten ist.

2 Zur Wah­rung der In­ter­es­sen der be­schul­dig­ten Per­son ist die Ver­tei­di­gung na­ment­lich ge­bo­ten, wenn es sich nicht um einen Ba­ga­tell­fall han­delt und der Straf­fall in tat­säch­li­cher oder recht­li­cher Hin­sicht Schwie­rig­kei­ten bie­tet, de­nen die be­schul­dig­te Per­son al­lein nicht ge­wach­sen wä­re.

3 Ein Ba­ga­tell­fall liegt je­den­falls dann nicht mehr vor, wenn ei­ne Frei­heits­s­tra­fe von mehr als 4 Mo­na­ten oder ei­ne Geld­stra­fe von mehr als 120 Ta­ges­sät­zen zu er­war­ten ist.43

43 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 3 des BG vom 19. Ju­ni 2015 (Än­de­run­gen des Sank­tio­nen­rechts), in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2016 1249; BBl 2012 4721).

Art. 133 Bestellung der amtlichen Verteidigung

1 Die amt­li­che Ver­tei­di­gung wird von der im je­wei­li­gen Ver­fah­rens­sta­di­um zu­stän­di­gen Ver­fah­rens­lei­tung be­stellt.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung be­rück­sich­tigt bei der Be­stel­lung der amt­li­chen Ver­tei­di­gung nach Mög­lich­keit die Wün­sche der be­schul­dig­ten Per­son.

Art. 134 Widerruf und Wechsel der amtlichen Verteidigung

1 Fällt der Grund für die amt­li­che Ver­tei­di­gung da­hin, so wi­der­ruft die Ver­fah­rens­lei­tung das Man­dat.

2 Ist das Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen der be­schul­dig­ten Per­son und ih­rer amt­li­chen Ver­tei­di­gung er­heb­lich ge­stört oder ei­ne wirk­sa­me Ver­tei­di­gung aus an­dern Grün­den nicht mehr ge­währ­leis­tet, so über­trägt die Ver­fah­rens­lei­tung die amt­li­che Ver­tei­di­gung ei­ner an­de­ren Per­son.

Art. 135 Entschädigung der amtlichen Verteidigung

1 Die amt­li­che Ver­tei­di­gung wird nach dem An­walt­s­ta­rif des Bun­des oder des­je­ni­gen Kan­tons ent­schä­digt, in dem das Straf­ver­fah­ren ge­führt wur­de.

2 Die Staats­an­walt­schaft oder das ur­tei­len­de Ge­richt le­gen die Ent­schä­di­gung am En­de des Ver­fah­rens fest.

3 Ge­gen den Ent­schä­di­gungs­ent­scheid kann die amt­li­che Ver­tei­di­gung Be­schwer­de füh­ren:

a.
wenn der Ent­scheid von der Staats­an­walt­schaft oder dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt ge­fällt wur­de: bei der Be­schwer­de­in­stanz;
b.
wenn der Ent­scheid von der Be­schwer­de­in­stanz oder dem Be­ru­fungs­ge­richt des Kan­tons ge­fällt wur­de: beim Bun­dess­traf­ge­richt.

4 Wird die be­schul­dig­te Per­son zu den Ver­fah­rens­kos­ten ver­ur­teilt, so ist sie, so­bald es ih­re wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se er­lau­ben, ver­pflich­tet:

a.
dem Bund oder dem Kan­ton die Ent­schä­di­gung zu­rück­zu­zah­len;
b.
der Ver­tei­di­gung die Dif­fe­renz zwi­schen der amt­li­chen Ent­schä­di­gung und dem vol­len Ho­no­rar zu er­stat­ten.

5 Der An­spruch des Bun­des oder des Kan­tons ver­jährt in 10 Jah­ren nach Rechts­kraft des Ent­schei­des.

3. Abschnitt: Unentgeltliche Rechtspflege für die Privatklägerschaft

Art. 136 Voraussetzungen

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung ge­währt der Pri­vat­klä­ger­schaft für die Durch­set­zung ih­rer Zi­vil­an­sprü­che ganz oder teil­wei­se die un­ent­gelt­li­che Rechts­pfle­ge, wenn:

a.
die Pri­vat­klä­ger­schaft nicht über die er­for­der­li­chen Mit­tel ver­fügt; und
b.
die Zi­vil­kla­ge nicht aus­sichts­los er­scheint.

2 Die un­ent­gelt­li­che Rechts­pfle­ge um­fasst:

a.
die Be­frei­ung von Vor­schuss- und Si­cher­heits­leis­tun­gen;
b.
die Be­frei­ung von den Ver­fah­rens­kos­ten;
c.
die Be­stel­lung ei­nes Rechts­bei­stands, wenn dies zur Wah­rung der Rech­te der Pri­vat­klä­ger­schaft not­wen­dig ist.

Art. 137 Bestellung, Widerruf und Wechsel

Be­stel­lung, Wi­der­ruf und Wech­sel der Ver­bei­stän­dung rich­ten sich sinn­ge­mä­ss nach den Ar­ti­keln 133 und 134.

Art. 138 Entschädigung und Kostentragung

1 Die Ent­schä­di­gung des Rechts­bei­stands rich­tet sich sinn­ge­mä­ss nach Ar­ti­kel 135; der de­fi­ni­ti­ve Ent­scheid über die Tra­gung der Kos­ten des Rechts­bei­stands und je­ner Ver­fah­rens­hand­lun­gen, für die der Kos­ten­vor­schuss er­las­sen wur­de, bleibt vor­be­hal­ten.

2 Wird der Pri­vat­klä­ger­schaft ei­ne Pro­zess­ent­schä­di­gung zu­las­ten der be­schul­dig­ten Per­son zu­ge­spro­chen, so fällt die­se Ent­schä­di­gung im Um­fang der Auf­wen­dun­gen für die un­ent­gelt­li­che Rechts­pfle­ge an den Bund be­zie­hungs­wei­se an den Kan­ton.

4. Titel: Beweismittel

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

1. Abschnitt: Beweiserhebung und Beweisverwertbarkeit

Art. 139 Grundsätze

1 Die Straf­be­hör­den set­zen zur Wahr­heits­fin­dung al­le nach dem Stand von Wis­sen­schaft und Er­fah­rung ge­eig­ne­ten Be­weis­mit­tel ein, die recht­lich zu­läs­sig sind.

2 Über Tat­sa­chen, die un­er­heb­lich, of­fen­kun­dig, der Straf­be­hör­de be­kannt oder be­reits rechts­ge­nü­gend er­wie­sen sind, wird nicht Be­weis ge­führt.

Art. 140 Verbotene Beweiserhebungsmethoden

1 Zwangs­mit­tel, Ge­walt­an­wen­dung, Dro­hun­gen, Ver­spre­chun­gen, Täu­schun­gen und Mit­tel, wel­che die Denk­fä­hig­keit oder die Wil­lens­frei­heit ei­ner Per­son be­ein­träch­ti­gen kön­nen, sind bei der Be­weis­er­he­bung un­ter­sagt.

2 Sol­che Me­tho­den sind auch dann un­zu­läs­sig, wenn die be­trof­fe­ne Per­son ih­rer An­wen­dung zu­stimmt.

Art. 141 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise

1 Be­wei­se, die in Ver­let­zung von Ar­ti­kel 140 er­ho­ben wur­den, sind in kei­nem Fal­le ver­wert­bar. Das­sel­be gilt, wenn die­ses Ge­setz einen Be­weis als un­ver­wert­bar be­zeich­net.

2 Be­wei­se, die Straf­be­hör­den in straf­ba­rer Wei­se oder un­ter Ver­let­zung von Gül­tig­keits­vor­schrif­ten er­ho­ben ha­ben, dür­fen nicht ver­wer­tet wer­den, es sei denn, ih­re Ver­wer­tung sei zur Auf­klä­rung schwe­rer Straf­ta­ten un­er­läss­lich.

3 Be­wei­se, bei de­ren Er­he­bung Ord­nungs­vor­schrif­ten ver­letzt wor­den sind, sind ver­wert­bar.

4 Er­mög­lich­te ein Be­weis, der nach Ab­satz 2 nicht ver­wer­tet wer­den darf, die Er­he­bung ei­nes wei­te­ren Be­wei­ses, so ist die­ser nicht ver­wert­bar, wenn er oh­ne die vor­her­ge­hen­de Be­weis­er­he­bung nicht mög­lich ge­we­sen wä­re.

5 Die Auf­zeich­nun­gen über un­ver­wert­ba­re Be­wei­se wer­den aus den Strafak­ten ent­fernt, bis zum rechts­kräf­ti­gen Ab­schluss des Ver­fah­rens un­ter se­pa­ra­tem Ver­schluss ge­hal­ten und da­nach ver­nich­tet.

2. Abschnitt: Einvernahmen

Art. 142 Einvernehmende Strafbehörde

1 Ein­ver­nah­men wer­den von der Staats­an­walt­schaft, den Über­tre­tungs­straf­be­hör­den und den Ge­rich­ten durch­ge­führt. Bund und Kan­to­ne be­stim­men, in wel­chem Mas­se Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter die­ser Be­hör­den Ein­ver­nah­men durch­füh­ren kön­nen.

2 Die Po­li­zei kann be­schul­dig­te Per­so­nen und Aus­kunfts­per­so­nen ein­ver­neh­men. Bund und Kan­to­ne kön­nen An­ge­hö­ri­ge der Po­li­zei be­stim­men, die im Auf­trag der Staats­an­walt­schaft Zeu­gin­nen und Zeu­gen ein­ver­neh­men kön­nen.

Art. 143 Durchführung der Einvernahme

1 Zu Be­ginn der Ein­ver­nah­me wird die ein­zu­ver­neh­men­de Per­son in ei­ner ihr ver­ständ­li­chen Spra­che:

a.
über ih­re Per­so­na­li­en be­fragt;
b.
über den Ge­gen­stand des Straf­ver­fah­rens und die Ei­gen­schaft, in der sie ein­ver­nom­men wird, in­for­miert;
c.
um­fas­send über ih­re Rech­te und Pflich­ten be­lehrt.

2 Im Pro­to­koll ist zu ver­mer­ken, dass die Be­stim­mun­gen nach Ab­satz 1 ein­ge­hal­ten wor­den sind.

3 Die Straf­be­hör­de kann wei­te­re Er­he­bun­gen über die Iden­ti­tät der ein­zu­ver­neh­men­den Per­son durch­füh­ren.

4 Sie for­dert die ein­zu­ver­neh­men­de Per­son auf, sich zum Ge­gen­stand der Ein­ver­nah­me zu äus­sern.

5 Sie strebt durch klar for­mu­lier­te Fra­gen und Vor­hal­te die Voll­stän­dig­keit der Aus­sa­gen und die Klä­rung von Wi­der­sprü­chen an.

6 Die ein­zu­ver­neh­men­de Per­son macht ih­re Aus­sa­gen auf­grund ih­rer Er­in­ne­rung. Sie kann mit Zu­stim­mung der Ver­fah­rens­lei­tung schrift­li­che Un­ter­la­gen ver­wen­den; die­se wer­den nach Ab­schluss der Ein­ver­nah­me zu den Ak­ten ge­nom­men.

7 Sprech- und hör­be­hin­der­te Per­so­nen wer­den schrift­lich oder un­ter Bei­zug ei­ner ge­eig­ne­ten Per­son ein­ver­nom­men.

Art. 144 Einvernahme mittels Videokonferenz

1 Staats­an­walt­schaft und Ge­rich­te kön­nen ei­ne Ein­ver­nah­me mit­tels Vi­deo­kon­fe­renz durch­füh­ren, wenn das per­sön­li­che Er­schei­nen der ein­zu­ver­neh­men­den Per­son nicht oder nur mit gros­sem Auf­wand mög­lich ist.

2 Die Ein­ver­nah­me wird in Ton und Bild fest­ge­hal­ten.

Art. 145 Schriftliche Berichte

Die Straf­be­hör­de kann ei­ne ein­zu­ver­neh­men­de Per­son ein­la­den, an Stel­le ei­ner Ein­ver­nah­me oder zu ih­rer Er­gän­zung einen schrift­li­chen Be­richt ab­zu­ge­ben.

Art. 146 Einvernahme mehrerer Personen und Gegenüberstellungen

1 Die ein­zu­ver­neh­men­den Per­so­nen wer­den ge­trennt ein­ver­nom­men.

2 Die Straf­be­hör­den kön­nen Per­so­nen, ein­sch­liess­lich sol­cher, die ein Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs­recht ha­ben, ein­an­der ge­gen­über­stel­len. Die be­son­de­ren Rech­te des Op­fers blei­ben vor­be­hal­ten.

3 Sie kön­nen ein­ver­nom­me­ne Per­so­nen, die nach Ab­schluss der Ein­ver­nah­me vor­aus­sicht­lich wei­te­ren Per­so­nen ge­gen­über­ge­stellt wer­den müs­sen, ver­pflich­ten, bis zur Ge­gen­über­stel­lung am Ort der Ver­fah­rens­hand­lung zu blei­ben.

4 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann ei­ne Per­son vor­über­ge­hend von der Ver­hand­lung aus­sch­lies­sen, wenn:

a.
ei­ne In­ter­es­sen­kol­li­si­on be­steht; oder
b.
die­se Per­son im Ver­fah­ren noch als Zeu­gin, Zeu­ge, Aus­kunfts­per­son oder sach­ver­stän­di­ge Per­son ein­zu­ver­neh­men ist.

3. Abschnitt: Teilnahmerechte bei Beweiserhebungen

Art. 147 Im Allgemeinen

1 Die Par­tei­en ha­ben das Recht, bei Be­weis­er­he­bun­gen durch die Staats­an­walt­schaft und die Ge­rich­te an­we­send zu sein und ein­ver­nom­me­nen Per­so­nen Fra­gen zu stel­len. Die An­we­sen­heit der Ver­tei­di­gung bei po­li­zei­li­chen Ein­ver­nah­men rich­tet sich nach Ar­ti­kel 159.

2 Wer sein Teil­nah­me­recht gel­tend macht, kann dar­aus kei­nen An­spruch auf Ver­schie­bung der Be­weis­er­he­bung ab­lei­ten.

3 Die Par­tei oder ihr Rechts­bei­stand kön­nen die Wie­der­ho­lung der Be­weis­er­he­bung ver­lan­gen, wenn der Rechts­bei­stand oder die Par­tei oh­ne Rechts­bei­stand aus zwin­gen­den Grün­den an der Teil­nah­me ver­hin­dert wa­ren. Auf ei­ne Wie­der­ho­lung kann ver­zich­tet wer­den, wenn sie mit un­ver­hält­nis­mäs­si­gem Auf­wand ver­bun­den wä­re und dem An­spruch der Par­tei auf recht­li­ches Ge­hör, ins­be­son­de­re dem Recht, Fra­gen zu stel­len, auf an­de­re Wei­se Rech­nung ge­tra­gen wer­den kann.

4 Be­wei­se, die in Ver­let­zung der Be­stim­mun­gen die­ses Ar­ti­kels er­ho­ben wor­den sind, dür­fen nicht zu­las­ten der Par­tei ver­wer­tet wer­den, die nicht an­we­send war.

Art. 148 Im Rechtshilfeverfahren

1 Wer­den Be­wei­se im Rah­men ei­nes Rechts­hil­fe­ge­suchs im Aus­land er­ho­ben, so ist dem Teil­nah­me­recht der Par­tei­en Ge­nü­ge ge­tan, wenn die­se:

a.
zu­han­den der er­such­ten aus­län­di­schen Be­hör­de Fra­gen for­mu­lie­ren kön­nen;
b.
nach Ein­gang des er­le­dig­ten Rechts­hil­fe­ge­suchs Ein­sicht in das Pro­to­koll er­hal­ten; und
c.
schrift­li­che Er­gän­zungs­fra­gen stel­len kön­nen.

2 Ar­ti­kel 147 Ab­satz 4 ist an­wend­bar.

4. Abschnitt: Schutzmassnahmen

Art. 149 Im Allgemeinen

1 Be­steht Grund zur An­nah­me, ei­ne Zeu­gin oder ein Zeu­ge, ei­ne Aus­kunfts­per­son, ei­ne be­schul­dig­te Per­son, ei­ne sach­ver­stän­di­ge Per­son oder ei­ne Über­set­ze­rin oder ein Über­set­zer könn­te durch die Mit­wir­kung im Ver­fah­ren sich oder ei­ne Per­son, die mit ihr oder ihm in ei­nem Ver­hält­nis nach Ar­ti­kel 168 Ab­sät­ze 1–3 steht, ei­ner er­heb­li­chen Ge­fahr für Leib und Le­ben oder ei­nem an­dern schwe­ren Nach­teil aus­set­zen, so trifft die Ver­fah­rens­lei­tung auf Ge­such hin oder von Am­tes we­gen die ge­eig­ne­ten Schutz­mass­nah­men.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann da­zu die Ver­fah­rens­rech­te der Par­tei­en an­ge­mes­sen be­schrän­ken, na­ment­lich in­dem sie:

a.
die An­ony­mi­tät zu­si­chert;
b.
Ein­ver­nah­men un­ter Aus­schluss der Par­tei­en oder der Öf­fent­lich­keit durch­führt;
c.
die Per­so­na­li­en un­ter Aus­schluss der Par­tei­en oder der Öf­fent­lich­keit fest­stellt;
d.
Aus­se­hen oder Stim­me der zu schüt­zen­den Per­son ver­än­dert oder die­se ab­schirmt;
e.
die Ak­ten­ein­sicht ein­schränkt.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann der zu schüt­zen­den Per­son ge­stat­ten, sich von ei­nem Rechts­bei­stand oder von ei­ner Ver­trau­ens­per­son be­glei­ten zu las­sen.

4 Wird ei­ne Per­son un­ter 18 Jah­ren als Zeu­gin, Zeu­ge oder Aus­kunfts­per­son ein­ver­nom­men, so kann die Ver­fah­rens­lei­tung zu­dem Schutz­mass­nah­men nach Ar­ti­kel 154 Ab­sät­ze 2 und 4 an­ord­nen.

5 Die Ver­fah­rens­lei­tung sorgt bei al­len Schutz­mass­nah­men für die Wah­rung des recht­li­chen Ge­hörs der Par­tei­en, ins­be­son­de­re der Ver­tei­di­gungs­rech­te der be­schul­dig­ten Per­son.

6 Wur­de der zu schüt­zen­den Per­son die Wah­rung ih­rer An­ony­mi­tät zu­ge­si­chert, so trifft die Ver­fah­rens­lei­tung die ge­eig­ne­ten Mass­nah­men, um Ver­wechs­lun­gen oder Ver­tau­schun­gen zu ver­hin­dern.

Art. 150 Zusicherung der Anonymität

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann der zu schüt­zen­den Per­son die Wah­rung ih­rer An­ony­mi­tät zu­si­chern.

2 Die Staats­an­walt­schaft un­ter­brei­tet die von ihr ge­mach­te Zu­si­che­rung in­nert 30 Ta­gen dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt zur Ge­neh­mi­gung; da­bei hat sie sämt­li­che zur Be­ur­tei­lung der Recht­mäs­sig­keit er­for­der­li­chen Ein­zel­hei­ten ge­nau an­zu­ge­ben. Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ent­schei­det end­gül­tig.

3 Ver­wei­gert das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt die Ge­neh­mi­gung, so dür­fen die un­ter Zu­si­che­rung der An­ony­mi­tät be­reits er­ho­be­nen Be­wei­se nicht ver­wer­tet wer­den.

4 Ei­ne ge­neh­mig­te oder er­teil­te Zu­si­che­rung der An­ony­mi­tät bin­det sämt­li­che mit dem Fall be­trau­ten Straf­be­hör­den.

5 Die zu schüt­zen­de Per­son kann je­der­zeit auf die Wah­rung der An­ony­mi­tät ver­zich­ten.

6 Die Staats­an­walt­schaft und die Ver­fah­rens­lei­tung des Ge­richts wi­der­ru­fen die Zu­si­che­rung, wenn das Schutz­be­dürf­nis of­fen­sicht­lich da­hin­ge­fal­len ist.

Art. 151 Massnahmen zum Schutz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler

1 Ver­deck­te Er­mitt­le­rin­nen und Er­mitt­ler, de­nen die Wah­rung der An­ony­mi­tät zu­ge­si­chert wor­den ist, ha­ben An­spruch dar­auf, dass:

a.
ih­re wah­re Iden­ti­tät wäh­rend des gan­zen Ver­fah­rens und nach des­sen Ab­schluss ge­gen­über je­der­mann ge­heim ge­hal­ten wird, aus­ser ge­gen­über den Mit­glie­dern der mit dem Fall be­fass­ten Ge­rich­te;
b.
kei­ne An­ga­ben über ih­re wah­re Iden­ti­tät in die Ver­fah­rens­ak­ten auf­ge­nom­men wer­den.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung trifft die not­wen­di­gen Schutz­mass­nah­men.

Art. 152 Allgemeine Massnahmen zum Schutz von Opfern

1 Die Straf­be­hör­den wah­ren die Per­sön­lich­keits­rech­te des Op­fers auf al­len Stu­fen des Ver­fah­rens.

2 Das Op­fer kann sich bei al­len Ver­fah­rens­hand­lun­gen aus­ser von sei­nem Rechts­bei­stand von ei­ner Ver­trau­ens­per­son be­glei­ten las­sen.

3 Die Straf­be­hör­den ver­mei­den ei­ne Be­geg­nung des Op­fers mit der be­schul­dig­ten Per­son, wenn das Op­fer dies ver­langt. Sie tra­gen in die­sem Fall dem An­spruch der be­schul­dig­ten Per­son auf recht­li­ches Ge­hör auf an­de­re Wei­se Rech­nung. Ins­be­son­de­re kön­nen sie das Op­fer in An­wen­dung von Schutz­mass­nah­men nach Ar­ti­kel 149 Ab­satz 2 Buch­sta­ben b und d ein­ver­neh­men.

4 Ei­ne Ge­gen­über­stel­lung kann an­ge­ord­net wer­den, wenn:

a.
der An­spruch der be­schul­dig­ten Per­son auf recht­li­ches Ge­hör nicht auf an­de­re Wei­se ge­währ­leis­tet wer­den kann; oder
b.
ein über­wie­gen­des In­ter­es­se der Straf­ver­fol­gung sie zwin­gend er­for­dert.

Art. 153 Besondere Massnahmen zum Schutz von Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Integrität

1 Op­fer von Straf­ta­ten ge­gen die se­xu­el­le In­te­gri­tät kön­nen ver­lan­gen, von ei­ner Per­son glei­chen Ge­schlechts ein­ver­nom­men zu wer­den.

2 Ei­ne Ge­gen­über­stel­lung mit der be­schul­dig­ten Per­son darf ge­gen den Wil­len des Op­fers nur an­ge­ord­net wer­den, wenn der An­spruch der be­schul­dig­ten Per­son auf recht­li­ches Ge­hör nicht auf an­de­re Wei­se ge­währ­leis­tet wer­den kann.

Art. 154 Besondere Massnahmen zum Schutz von Kindern als Opfer

1 Als Kind im Sin­ne die­ses Ar­ti­kels gilt das Op­fer, das im Zeit­punkt der Ein­ver­nah­me oder Ge­gen­über­stel­lung we­ni­ger als 18 Jah­re alt ist.

2 Die ers­te Ein­ver­nah­me des Kin­des hat so rasch als mög­lich statt­zu­fin­den.

3 Die Be­hör­de kann die Ver­trau­ens­per­son vom Ver­fah­ren aus­sch­lies­sen, wenn die­se einen be­stim­men­den Ein­fluss auf das Kind aus­üben könn­te.

4 Ist er­kenn­bar, dass die Ein­ver­nah­me oder die Ge­gen­über­stel­lung für das Kind zu ei­ner schwe­ren psy­chi­schen Be­las­tung füh­ren könn­te, so gel­ten die fol­gen­den Re­geln:

a.
Ei­ne Ge­gen­über­stel­lung mit der be­schul­dig­ten Per­son darf nur an­ge­ord­net wer­den, wenn das Kind die Ge­gen­über­stel­lung aus­drück­lich ver­langt oder der An­spruch der be­schul­dig­ten Per­son auf recht­li­ches Ge­hör auf an­de­re Wei­se nicht ge­währ­leis­tet wer­den kann.
b.
Das Kind darf wäh­rend des gan­zen Ver­fah­rens in der Re­gel nicht mehr als zwei­mal ein­ver­nom­men wer­den.
c.
Ei­ne zwei­te Ein­ver­nah­me fin­det nur statt, wenn die Par­tei­en bei der ers­ten Ein­ver­nah­me ih­re Rech­te nicht aus­üben konn­ten oder dies im In­ter­es­se der Er­mitt­lun­gen oder des Kin­des un­um­gäng­lich ist. So­weit mög­lich er­folgt die Be­fra­gung durch die glei­che Per­son, wel­che die ers­te Ein­ver­nah­me durch­ge­führt hat.
d.
Ein­ver­nah­men wer­den im Bei­sein ei­ner Spe­zia­lis­tin oder ei­nes Spe­zia­lis­ten von ei­ner zu die­sem Zweck aus­ge­bil­de­ten Er­mitt­lungs­be­am­tin oder ei­nem ent­spre­chen­den Er­mitt­lungs­be­am­ten durch­ge­führt. Fin­det kei­ne Ge­gen­über­stel­lung statt, so wer­den die Ein­ver­nah­men mit Bild und Ton auf­ge­zeich­net.
e.
Die Par­tei­en üben ih­re Rech­te durch die be­fra­gen­de Per­son aus.
f.
Die be­fra­gen­de Per­son und die Spe­zia­lis­tin oder der Spe­zia­list hal­ten ih­re be­son­de­ren Be­ob­ach­tun­gen in ei­nem Be­richt fest.

Art. 155 Massnahmen zum Schutz von Personen mit einer psychischen Störung


1 Ein­ver­nah­men von Per­so­nen mit ei­ner psy­chi­schen Stö­rung wer­den auf das Not­wen­di­ge be­schränkt; mehr­fa­che Be­fra­gun­gen wer­den ver­mie­den.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann spe­zia­li­sier­te Straf- oder So­zi­al­be­hör­den mit der Ein­ver­nah­me be­auf­tra­gen oder zur Ein­ver­nah­me Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge, an­de­re Ver­trau­ens­per­so­nen oder Sach­ver­stän­di­ge bei­zie­hen.

Art. 156 Massnahmen zum Schutz von Personen ausserhalb eines Verfahrens

Bund und Kan­to­ne kön­nen Mass­nah­men zum Schutz von Per­so­nen aus­ser­halb ei­nes Ver­fah­rens vor­se­hen.

2. Kapitel: Einvernahme der beschuldigten Person

Art. 157 Grundsatz

1 Die Straf­be­hör­den kön­nen die be­schul­dig­te Per­son auf al­len Stu­fen des Straf­ver­fah­rens zu den ihr vor­ge­wor­fe­nen Straf­ta­ten ein­ver­neh­men.

2 Sie ge­ben ihr da­bei Ge­le­gen­heit, sich zu die­sen Straf­ta­ten um­fas­send zu äus­sern.

Art. 158 Hinweise bei der ersten Einvernahme

1 Po­li­zei oder Staats­an­walt­schaft wei­sen die be­schul­dig­te Per­son zu Be­ginn der ers­ten Ein­ver­nah­me in ei­ner ihr ver­ständ­li­chen Spra­che dar­auf hin, dass:

a.
ge­gen sie ein Vor­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wor­den ist und wel­che Straf­ta­ten Ge­gen­stand des Ver­fah­rens bil­den;
b.
sie die Aus­sa­ge und die Mit­wir­kung ver­wei­gern kann;
c.
sie be­rech­tigt ist, ei­ne Ver­tei­di­gung zu be­stel­len oder ge­ge­be­nen­falls ei­ne amt­li­che Ver­tei­di­gung zu be­an­tra­gen;
d.
sie ei­ne Über­set­ze­rin oder einen Über­set­zer ver­lan­gen kann.

2 Ein­ver­nah­men oh­ne die­se Hin­wei­se sind nicht ver­wert­bar.

Art. 159 Polizeiliche Einvernahmen im Ermittlungsverfahren

1 Bei po­li­zei­li­chen Ein­ver­nah­men hat die be­schul­dig­te Per­son das Recht, dass ih­re Ver­tei­di­gung an­we­send sein und Fra­gen stel­len kann.

2 Bei po­li­zei­li­chen Ein­ver­nah­men ei­ner vor­läu­fig fest­ge­nom­me­nen Per­son hat die­se zu­dem das Recht, mit ih­rer Ver­tei­di­gung frei zu ver­keh­ren.

3 Die Gel­tend­ma­chung die­ser Rech­te gibt kei­nen An­spruch auf Ver­schie­bung der Ein­ver­nah­me.

Art. 160 Einvernahme einer geständigen beschuldigten Person

Ist die be­schul­dig­te Per­son ge­stän­dig, so prü­fen Staats­an­walt­schaft und Ge­richt die Glaub­wür­dig­keit ih­res Ge­ständ­nis­ses und for­dern sie auf, die nä­he­ren Um­stän­de der Tat ge­nau zu be­zeich­nen.

Art. 161 Abklärung der persönlichen Verhältnisse im Vorverfahren

Die Staats­an­walt­schaft be­fragt die be­schul­dig­te Per­son über ih­re per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se nur dann, wenn mit ei­ner An­kla­ge oder ei­nem Straf­be­fehl zu rech­nen oder es aus an­de­ren Grün­den not­wen­dig ist.

3. Kapitel: Zeuginnen und Zeugen

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 162 Begriff

Zeu­gin oder Zeu­ge ist ei­ne an der Be­ge­hung ei­ner Straf­tat nicht be­tei­lig­te Per­son, die der Auf­klä­rung die­nen­de Aus­sa­gen ma­chen kann und nicht Aus­kunfts­per­son ist.

Art. 163 Zeugnisfähigkeit und Zeugnispflicht

1 Zeug­nis­fä­hig ist ei­ne Per­son, die äl­ter als 15 Jah­re und hin­sicht­lich des Ge­gen­stands der Ein­ver­nah­me ur­teils­fä­hig ist.

2 Je­de zeug­nis­fä­hi­ge Per­son ist zum wahr­heits­ge­mäs­sen Zeug­nis ver­pflich­tet; vor­be­hal­ten blei­ben die Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rech­te.

Art. 164 Abklärungen über die Zeugin oder den Zeugen

1 Das Vor­le­ben und die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se ei­ner Zeu­gin oder ei­nes Zeu­gen wer­den nur ab­ge­klärt, so­weit dies zur Prü­fung ih­rer Glaub­wür­dig­keit er­for­der­lich ist.

2 Be­ste­hen Zwei­fel an der Ur­teils­fä­hig­keit oder lie­gen An­halts­punk­te für psy­chi­sche Stö­run­gen vor, so kann die Ver­fah­rens­lei­tung ei­ne am­bu­lan­te Be­gut­ach­tung der Zeu­gin oder des Zeu­gen an­ord­nen, wenn die Be­deu­tung des Straf­ver­fah­rens und des Zeug­nis­ses dies recht­fer­tigt.

Art. 165 Schweigegebot für die Zeugin oder den Zeugen

1 Die ein­ver­neh­men­de Be­hör­de kann ei­ne Zeu­gin oder einen Zeu­gen un­ter Hin­weis auf die Straf­dro­hung von Ar­ti­kel 292 StGB44 ver­pflich­ten, über die be­ab­sich­tig­te oder die er­folg­te Ein­ver­nah­me und de­ren Ge­gen­stand Still­schwei­gen zu be­wah­ren.

2 Die Ver­pflich­tung wird be­fris­tet.

3 Die An­ord­nung kann mit der Vor­la­dung der Zeu­gin oder des Zeu­gen ver­bun­den wer­den.

Art. 166 Einvernahme der geschädigten Person

1 Die ge­schä­dig­te Per­son wird als Zeu­gin oder Zeu­ge ein­ver­nom­men.

2 Vor­be­hal­ten bleibt die Ein­ver­nah­me als Aus­kunfts­per­son nach Ar­ti­kel 178.

Art. 167 Entschädigung

Die Zeu­gin oder der Zeu­ge hat An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung für Er­werbs­aus­fall und Spe­sen.

2. Abschnitt: Zeugnisverweigerungsrechte

Art. 168 Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund persönlicher Beziehungen

1 Das Zeug­nis kön­nen ver­wei­gern:

a.
die Ehe­gat­tin oder der Ehe­gat­te der be­schul­dig­ten Per­son oder wer mit die­ser ei­ne fak­ti­sche Le­bens­ge­mein­schaft führt;
b.
wer mit der be­schul­dig­ten Per­son ge­mein­sa­me Kin­der hat;
c.
die in ge­ra­der Li­nie Ver­wand­ten oder Ver­schwä­ger­ten der be­schul­dig­ten Per­son;
d.
die Ge­schwis­ter und Stief­ge­schwis­ter der be­schul­dig­ten Per­son so­wie die Ehe­gat­tin oder der Ehe­gat­te ei­nes Ge­schwis­ters oder Stief­ge­schwis­ters;
e.
die Ge­schwis­ter und Stief­ge­schwis­ter der durch Ehe mit der be­schul­dig­ten Per­son ver­bun­de­nen Per­son, so­wie die Ehe­gat­tin oder der Ehe­gat­te ei­nes Ge­schwis­ters oder Stief­ge­schwis­ters;
f.
die Pfle­ge­el­tern, die Pfle­ge­kin­der und die Pfle­ge­ge­schwis­ter der be­schul­dig­ten Per­son;
g.45
die für die be­schul­dig­te Per­son zur Vor­mund­schaft oder zur Bei­stand­schaft ein­ge­setz­te Per­son.

2 Das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht nach Ab­satz 1 Buch­sta­ben a und f be­steht fort, wenn die Ehe auf­ge­löst wird oder wenn bei ei­ner Fa­mi­li­en­pfle­ge46 das Pfle­ge­ver­hält­nis nicht mehr be­steht.

3 Die ein­ge­tra­ge­ne Part­ner­schaft ist der Ehe gleich­ge­stellt.

4 Das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht ent­fällt, wenn:

a.47
sich das Straf­ver­fah­ren auf ei­ne Straf­tat nach den Ar­ti­keln 111–113, 122, 124, 140, 184, 185, 187, 189, 190 oder 191 StGB48 be­zieht; und
b.
sich die Tat ge­gen ei­ne Per­son rich­te­te, zu der die Zeu­gin oder der Zeu­ge nach den Ab­sät­zen 1–3 in Be­zie­hung steht.

45Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 2 des BG vom 15. Dez. 2017 (Kin­des­schutz), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 2947; BBl 2015 3431).

46 Art. 4–11 der V vom 19. Okt. 1977 über die Auf­nah­me von Kin­dern zur Pfle­ge und zur Ad­op­ti­on (SR 211.222.338).

47 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. III des BG vom 30. Sept. 2011, in Kraft seit 1. Ju­li 2012 (AS 2012 2575; BBl 2010 56515677).

48 SR 311.0

Art. 169 Zeugnisverweigerungsrecht zum eigenen Schutz oder zum Schutz nahe stehender Personen

1 Ei­ne Per­son kann das Zeug­nis ver­wei­gern, wenn sie sich mit ih­rer Aus­sa­ge selbst der­art be­las­ten wür­de, dass sie:

a.
straf­recht­lich ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den könn­te;
b.
zi­vil­recht­lich ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den könn­te, und wenn das Schut­z­in­ter­es­se das Straf­ver­fol­gungs­in­ter­es­se über­wiegt.

2 Das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht be­steht auch dann, wenn die Per­son mit ih­rer Aus­sa­ge ei­ne ihr im Sin­ne von Ar­ti­kel 168 Ab­sät­ze 1–3 na­he ste­hen­de Per­son be­las­ten wür­de; vor­be­hal­ten bleibt Ar­ti­kel 168 Ab­satz 4.

3 Ei­ne Per­son kann das Zeug­nis ver­wei­gern, wenn ihr oder ei­ner ihr im Sin­ne von Ar­ti­kel 168 Ab­sät­ze 1–3 na­he ste­hen­den Per­son durch ih­re Aus­sa­ge ei­ne er­heb­li­che Ge­fahr für Leib und Le­ben oder ein an­de­rer schwe­rer Nach­teil droht, wel­cher mit Schutz­mass­nah­men nicht ab­ge­wen­det wer­den kann.

4 Ein Op­fer ei­ner Straf­tat ge­gen die se­xu­el­le In­te­gri­tät kann in je­dem Fall die Aus­sa­ge zu Fra­gen ver­wei­gern, die sei­ne In­tim­sphä­re be­tref­fen.

Art. 170 Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund eines Amtsgeheimnisses

1 Be­am­tin­nen und Be­am­te im Sin­ne von Ar­ti­kel 110 Ab­satz 3 StGB49 so­wie Mit­glie­der von Be­hör­den kön­nen das Zeug­nis über Ge­heim­nis­se ver­wei­gern, die ih­nen in ih­rer amt­li­chen Ei­gen­schaft an­ver­traut wor­den sind oder die sie bei der Aus­übung ih­res Am­tes wahr­ge­nom­men ha­ben.

2 Sie ha­ben aus­zu­sa­gen, wenn sie von ih­rer vor­ge­setz­ten Be­hör­de zur Aus­sa­ge schrift­lich er­mäch­tigt wor­den sind.

3 Die vor­ge­setz­te Be­hör­de er­teilt die Er­mäch­ti­gung zur Aus­sa­ge, wenn das In­ter­es­se an der Wahr­heits­fin­dung das Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­se über­wiegt.

Art. 171 Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund eines Berufsgeheimnisses

1 Geist­li­che, Rechts­an­wäl­tin­nen und Rechts­an­wäl­te, Ver­tei­di­ge­rin­nen und Ver­tei­di­ger, No­ta­rin­nen und No­ta­re, Pa­ten­t­an­wäl­tin­nen und Pa­ten­t­an­wäl­te, Ärz­tin­nen und Ärz­te, Zahn­ärz­tin­nen und Zahn­ärz­te, Chi­ro­prak­to­rin­nen und Chi­ro­prak­to­ren, Apo­the­ke­rin­nen und Apo­the­ker, Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen so­wie ih­re Hilfs­per­so­nen kön­nen das Zeug­nis über Ge­heim­nis­se ver­wei­gern, die ih­nen auf­grund ih­res Be­ru­fes an­ver­traut wor­den sind oder die sie in des­sen Aus­übung wahr­ge­nom­men ha­ben.50

2 Sie ha­ben aus­zu­sa­gen, wenn sie:

a.
ei­ner An­zei­ge­pflicht un­ter­lie­gen; oder
b.
nach Ar­ti­kel 321 Zif­fer 2 StGB51 von der Ge­heim­nis­her­rin, dem Ge­heim­nis­herrn oder schrift­lich von der zu­stän­di­gen Stel­le von der Ge­heim­nis­pflicht ent­bun­den wor­den sind.

3 Die Straf­be­hör­de be­ach­tet das Be­rufs­ge­heim­nis auch bei Ent­bin­dung von der Ge­heim­nis­pflicht, wenn die Ge­heim­nis­trä­ge­rin oder der Ge­heim­nis­trä­ger glaub­haft macht, dass das Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­se der Ge­heim­nis­her­rin oder des Ge­heim­nis­herrn das In­ter­es­se an der Wahr­heits­fin­dung über­wiegt.

4 Das An­walts­ge­setz vom 23. Ju­ni 200052 bleibt vor­be­hal­ten.

50 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 2 des Ge­sund­heits­be­ru­fe­ge­set­zes vom 30. Sept. 2016, in Kraft seit 1. Fe­br. 2020 (AS 2020 57; BBl 2015 8715).

51 SR 311.0

52 SR 935.61

Art. 172 Quellenschutz der Medienschaffenden

1 Per­so­nen, die sich be­ruf­lich mit der Ver­öf­fent­li­chung von In­for­ma­tio­nen im re­dak­tio­nel­len Teil ei­nes pe­ri­odisch er­schei­nen­den Me­di­ums be­fas­sen, so­wie ih­re Hilfs­per­so­nen kön­nen das Zeug­nis über die Iden­ti­tät der Au­to­rin oder des Au­tors oder über In­halt und Quel­len ih­rer In­for­ma­tio­nen ver­wei­gern.

2 Sie ha­ben aus­zu­sa­gen, wenn:

a.
das Zeug­nis er­for­der­lich ist, um ei­ne Per­son aus ei­ner un­mit­tel­ba­ren Ge­fahr für Leib und Le­ben zu ret­ten;
b.
oh­ne das Zeug­nis ei­ne der fol­gen­den Straf­ta­ten nicht auf­ge­klärt wer­den oder die ei­ner sol­chen Tat be­schul­dig­te Per­son nicht er­grif­fen wer­den kann:
1.
Tö­tungs­de­lik­te im Sin­ne der Ar­ti­kel 111–113 StGB53,
2.
Ver­bre­chen, die mit ei­ner Frei­heits­s­tra­fe von min­des­tens 3 Jah­ren be­droht sind,
3.54
Straf­ta­ten nach den Ar­ti­keln 187, 189, 190, 191, 197 Ab­satz 4, 260ter, 260quin­quies, 260se­xies, 305bis, 305ter und 322ter–322sep­tiesStGB,
4.55
Straf­ta­ten nach Ar­ti­kel 19 Ab­satz 2 des Be­täu­bungs­mit­tel­ge­set­zes vom 3. Ok­to­ber 195156.

53 SR 311.0

54 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 3 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

55 Be­rich­ti­gung der RedK der BVers vom 19. Sept. 2011, ver­öf­fent­licht am 4. Okt. 2011 (AS 2011 4487).

56 SR 812.121

Art. 173 Zeugnisverweigerungsrecht bei weiteren Geheimhaltungspflichten

1 Wer nach ei­ner der fol­gen­den Be­stim­mun­gen Be­rufs­ge­heim­nis­se wah­ren muss, hat nur aus­zu­sa­gen, wenn das In­ter­es­se an der Wahr­heits­fin­dung das Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­se über­wiegt:

a.
Ar­ti­kel 321bis StGB57;
b.
Ar­ti­kel 139 Ab­satz 3 des Zi­vil­ge­setz­buchs58;
c.
Ar­ti­kel 2 des Bun­des­ge­set­zes vom 9. Ok­to­ber 198159 über die Schwan­ger­schafts­be­ra­tungs­stel­len;
d.60
Ar­ti­kel 11 des Op­fer­hil­fe­ge­set­zes vom 23. März 200761;
e.62
Ar­ti­kel 3c Ab­satz 4 des Be­täu­bungs­mit­tel­ge­set­zes vom 3. Ok­to­ber 195163;
f.64
Ar­ti­kel 16 Buch­sta­be f des Ge­sund­heits­be­ru­fe­ge­set­zes vom 30. Sep­tem­ber 201665.

2 Trä­ge­rin­nen und Trä­ger an­de­rer ge­setz­lich ge­schütz­ter Ge­heim­nis­se sind zur Aus­sa­ge ver­pflich­tet. Die Ver­fah­rens­lei­tung kann sie von der Zeug­nis­pflicht be­frei­en, wenn sie glaub­haft ma­chen kön­nen, dass das Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­se das In­ter­es­se an der Wahr­heits­fin­dung über­wiegt.

57 SR 311.0

58 SR 210. Die­ser Art. ist heu­te auf­ge­ho­ben.

59 SR 857.5

60 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

61 SR 312.5

62 Be­rich­ti­gung der RedK der BVers vom 19. Sept. 2011, ver­öf­fent­licht am 4. Okt. 2011 (AS 2011 4487).

63 SR 812.121

64 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. 2 des Ge­sund­heits­be­ru­fe­ge­set­zes vom 30. Sept. 2016, in Kraft seit 1. Fe­br. 2020 (AS 2020 57; BBl 2015 8715).

65 SR 811.21

Art. 174 Entscheid über die Zulässigkeit der Zeugnisverweigerung

1 Über die Zu­läs­sig­keit der Zeug­nis­ver­wei­ge­rung ent­schei­det:

a.
im Vor­ver­fah­ren: die ein­ver­neh­men­de Be­hör­de;
b.
nach An­kla­ge­er­he­bung: das Ge­richt.

2 Die Zeu­gin oder der Zeu­ge kann so­fort nach der Er­öff­nung des Ent­schei­des die Be­ur­tei­lung durch die Be­schwer­de­in­stanz ver­lan­gen.

3 Bis zum Ent­scheid der Be­schwer­de­in­stanz hat die Zeu­gin oder der Zeu­ge ein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht.

Art. 175 Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts

1 Die Zeu­gin oder der Zeu­ge kann sich je­der­zeit auf sein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht be­ru­fen oder den Ver­zicht dar­auf wi­der­ru­fen.

2 Aus­sa­gen, die ei­ne Zeu­gin oder ein Zeu­ge nach Be­leh­rung über das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht ge­macht hat, kön­nen auch dann als Be­weis ver­wer­tet wer­den, wenn sich die Zeu­gin oder der Zeu­ge zu ei­nem spä­te­ren Zeit­punkt auf das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht be­ruft oder den Ver­zicht auf das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht wi­der­ruft.

Art. 176 Unberechtigte Zeugnisverweigerung

1 Wer das Zeug­nis ver­wei­gert, oh­ne da­zu be­rech­tigt zu sein, kann mit Ord­nungs­bus­se be­straft und zur Tra­gung der Kos­ten und Ent­schä­di­gun­gen ver­pflich­tet wer­den, die durch die Ver­wei­ge­rung ver­ur­sacht wor­den sind.

2 Be­harrt die zum Zeug­nis ver­pflich­te­te Per­son auf ih­rer Wei­ge­rung, so wird sie un­ter Hin­weis auf Ar­ti­kel 292 StGB66 noch­mals zur Aus­sa­ge auf­ge­for­dert. Bei er­neu­ter Ver­wei­ge­rung wird ein Straf­ver­fah­ren er­öff­net.

3. Abschnitt: Zeugeneinvernahme

Art. 177

1 Die ein­ver­neh­men­de Be­hör­de macht die Zeu­gin oder den Zeu­gen zu Be­ginn je­der Ein­ver­nah­me auf die Zeug­nis- und die Wahr­heits­pflich­ten und auf die Straf­bar­keit ei­nes falschen Zeug­nis­ses nach Ar­ti­kel 307 StGB67 auf­merk­sam. Un­ter­bleibt die Be­leh­rung, so ist die Ein­ver­nah­me un­gül­tig.

2 Die ein­ver­neh­men­de Be­hör­de be­fragt die Zeu­gin oder den Zeu­gen zu Be­ginn der ers­ten Ein­ver­nah­me über ih­re Be­zie­hun­gen zu den Par­tei­en so­wie zu wei­te­ren Um­stän­den, die für ih­re Glaub­wür­dig­keit von Be­deu­tung sein kön­nen.

3 Sie macht sie auf ih­re Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rech­te auf­merk­sam, so­bald sie auf­grund der Be­fra­gung und der Ak­ten sol­che Rech­te er­kennt. Un­ter­bleibt der Hin­weis und be­ruft sich die Zeu­gin oder der Zeu­ge nach­träg­lich auf das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht, so ist die Ein­ver­nah­me nicht ver­wert­bar.

4. Kapitel: Auskunftspersonen

Art. 178 Begriff

Als Aus­kunfts­per­son wird ein­ver­nom­men, wer:

a.
sich als Pri­vat­klä­ger­schaft kon­sti­tu­iert hat;
b.
zur Zeit der Ein­ver­nah­me das 15. Al­ters­jahr noch nicht zu­rück­ge­legt hat;
c.
we­gen ein­ge­schränk­ter Ur­teils­fä­hig­keit nicht in der La­ge ist, den Ge­gen­stand der Ein­ver­nah­me zu er­fas­sen;
d.
oh­ne sel­ber be­schul­digt zu sein, als Tä­te­rin, Tä­ter, Teil­neh­me­rin oder Teil­neh­mer der ab­zu­klä­ren­den Straf­tat oder ei­ner an­de­ren da­mit zu­sam­men­hän­gen­den Straf­tat nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann;
e.
als mit­be­schul­dig­te Per­son zu ei­ner ihr nicht sel­ber zur Last ge­leg­ten Straf­tat zu be­fra­gen ist;
f.
in ei­nem an­dern Ver­fah­ren we­gen ei­ner Tat, die mit der ab­zu­klä­ren­den Straf­tat in Zu­sam­men­hang steht, be­schul­digt ist;
g.
in ei­nem ge­gen ein Un­ter­neh­men ge­rich­te­ten Straf­ver­fah­ren als Ver­tre­te­rin oder Ver­tre­ter des Un­ter­neh­mens be­zeich­net wor­den ist oder be­zeich­net wer­den könn­te, so­wie ih­re oder sei­ne Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter.

Art. 179 Auskunftspersonen bei polizeilichen Einvernahmen

1 Die Po­li­zei be­fragt ei­ne Per­son, die nicht als be­schul­dig­te Per­son in Be­tracht kommt, als Aus­kunfts­per­son.

2 Vor­be­hal­ten bleibt die Ein­ver­nah­me als Zeu­gin oder Zeu­ge ge­mä­ss Ar­ti­kel 142 Ab­satz 2.

Art. 180 Stellung

1 Die Aus­kunfts­per­so­nen nach Ar­ti­kel 178 Buch­sta­ben b–g sind nicht zur Aus­sa­ge ver­pflich­tet; für sie gel­ten sinn­ge­mä­ss die Be­stim­mun­gen über die Ein­ver­nah­me der be­schul­dig­ten Per­son.

2 Die Pri­vat­klä­ger­schaft (Art. 178 Bst. a) ist vor der Staats­an­walt­schaft, vor den Ge­rich­ten so­wie vor der Po­li­zei, die sie im Auf­trag der Staats­an­walt­schaft ein­ver­nimmt, zur Aus­sa­ge ver­pflich­tet. Im Üb­ri­gen sind die Be­stim­mun­gen über die Zeu­gin­nen und Zeu­gen sinn­ge­mä­ss an­wend­bar, mit Aus­nah­me von Ar­ti­kel 176.

Art. 181 Einvernahme

1 Die Straf­be­hör­den ma­chen die Aus­kunfts­per­so­nen zu Be­ginn der Ein­ver­nah­me auf ih­re Aus­sa­ge­pflicht oder ih­re Aus­sa­ge- oder Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rech­te auf­merk­sam.

2 Sie wei­sen Aus­kunfts­per­so­nen, die zur Aus­sa­ge ver­pflich­tet sind oder sich be­reit er­klä­ren aus­zu­sa­gen, auf die mög­li­chen Straf­fol­gen ei­ner falschen An­schul­di­gung, ei­ner Ir­re­füh­rung der Rechts­pfle­ge und ei­ner Be­güns­ti­gung hin.

5. Kapitel: Sachverständige

Art. 182 Voraussetzungen für den Beizug einer sachverständigen Person

Staats­an­walt­schaft und Ge­rich­te zie­hen ei­ne oder meh­re­re sach­ver­stän­di­ge Per­so­nen bei, wenn sie nicht über die be­son­de­ren Kennt­nis­se und Fä­hig­kei­ten ver­fü­gen, die zur Fest­stel­lung oder Be­ur­tei­lung ei­nes Sach­ver­halts er­for­der­lich sind.

Art. 183 Anforderungen an die sachverständige Person

1 Als Sach­ver­stän­di­ge kön­nen na­tür­li­che Per­so­nen er­nannt wer­den, die auf dem be­tref­fen­den Fach­ge­biet die er­for­der­li­chen be­son­de­ren Kennt­nis­se und Fä­hig­kei­ten be­sit­zen.

2 Bund und Kan­to­ne kön­nen für be­stimm­te Ge­bie­te dau­ernd be­stell­te oder amt­li­che Sach­ver­stän­di­ge vor­se­hen.

3 Für Sach­ver­stän­di­ge gel­ten die Aus­stands­grün­de nach Ar­ti­kel 56.

Art. 184 Ernennung und Auftrag

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung er­nennt die sach­ver­stän­di­ge Per­son.

2 Sie er­teilt ihr einen schrift­li­chen Auf­trag; die­ser ent­hält:

a.
die Be­zeich­nung der sach­ver­stän­di­gen Per­son;
b.
al­len­falls den Ver­merk, dass die sach­ver­stän­di­ge Per­son für die Aus­ar­bei­tung des Gut­ach­tens wei­te­re Per­so­nen un­ter ih­rer Ver­ant­wor­tung ein­set­zen kann;
c.
die prä­zis for­mu­lier­ten Fra­gen;
d.
die Frist zur Er­stat­tung des Gut­ach­tens;
e.
den Hin­weis auf die Ge­heim­hal­tungs­pflicht der sach­ver­stän­di­gen Per­son und ih­rer all­fäl­li­gen Hilfs­per­so­nen;
f.
den Hin­weis auf die Straf­fol­gen ei­nes falschen Gut­ach­tens nach Ar­ti­kel 307 StGB68.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung gibt den Par­tei­en vor­gän­gig Ge­le­gen­heit, sich zur sach­ver­stän­di­gen Per­son und zu den Fra­gen zu äus­sern und da­zu ei­ge­ne An­trä­ge zu stel­len. Sie kann bei La­bor­un­ter­su­chun­gen da­von ab­se­hen, na­ment­lich wenn es um die Be­stim­mung der Blut­al­ko­hol­kon­zen­tra­ti­on oder des Rein­heits­gra­des von Stof­fen, den Nach­weis von Be­täu­bungs­mit­teln im Blut oder die Er­stel­lung ei­nes DNA-Pro­fils geht.

4 Sie über­gibt der sach­ver­stän­di­gen Per­son zu­sam­men mit dem Auf­trag die zur Er­stel­lung des Gut­ach­tens not­wen­di­gen Ak­ten und Ge­gen­stän­de.

5 Sie kann einen Auf­trag je­der­zeit wi­der­ru­fen und neue Sach­ver­stän­di­ge er­nen­nen, wenn es im In­ter­es­se der Strafsa­che liegt.

6 Sie kann vor der Er­tei­lung des Auf­trags einen Kos­ten­vor­an­schlag ver­lan­gen.

7 Be­an­tragt die Pri­vat­klä­ger­schaft ein Gut­ach­ten, so kann die Ver­fah­rens­lei­tung die Er­tei­lung des Auf­tra­ges von der Leis­tung ei­nes Kos­ten­vor­schus­ses durch die Pri­vat­klä­ger­schaft ab­hän­gig ma­chen.

Art. 185 Ausarbeitung des Gutachtens

1 Die sach­ver­stän­di­ge Per­son ist für das Gut­ach­ten per­sön­lich ver­ant­wort­lich.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann die sach­ver­stän­di­ge Per­son zu Ver­fah­rens­hand­lun­gen bei­zie­hen und sie er­mäch­ti­gen, den ein­zu­ver­neh­men­den Per­so­nen Fra­gen zu stel­len.

3 Hält die sach­ver­stän­di­ge Per­son Er­gän­zun­gen der Ak­ten für not­wen­dig, so stellt sie der Ver­fah­rens­lei­tung einen ent­spre­chen­den An­trag.

4 Die sach­ver­stän­di­ge Per­son kann ein­fa­che Er­he­bun­gen, die mit dem Auf­trag in en­gem Zu­sam­men­hang ste­hen, sel­ber vor­neh­men und zu die­sem Zweck Per­so­nen auf­bie­ten. Die­se ha­ben dem Auf­ge­bot Fol­ge zu leis­ten. Wei­gern sie sich, so kön­nen sie po­li­zei­lich vor­ge­führt wer­den.

5 Bei Er­he­bun­gen durch die sach­ver­stän­di­ge Per­son kön­nen die be­schul­dig­te Per­son und, im Um­fang ih­res Ver­wei­ge­rungs­rechts, Per­so­nen, die zur Aus­sa­ge- oder Zeug­nis­ver­wei­ge­rung be­rech­tigt sind, die Mit­wir­kung oder Aus­sa­ge ver­wei­gern. Die sach­ver­stän­di­ge Per­son weist die be­trof­fe­nen Per­so­nen zu Be­ginn der Er­he­bun­gen auf die­ses Recht hin.

Art. 186 Stationäre Begutachtung

1 Staats­an­walt­schaft und Ge­rich­te kön­nen ei­ne be­schul­dig­te Per­son in ein Spi­tal ein­wei­sen, wenn dies für die Aus­ar­bei­tung ei­nes ärzt­li­chen Gut­ach­tens er­for­der­lich ist.

2 Die Staats­an­walt­schaft be­an­tragt dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt die Spi­tal­ein­wei­sung, wenn sich die be­tref­fen­de be­schul­dig­te Per­son nicht be­reits in Un­ter­su­chungs­haft be­fin­det. Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ent­schei­det dar­über in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren end­gül­tig.

3 Er­weist sich ei­ne sta­tio­näre Be­gut­ach­tung wäh­rend des ge­richt­li­chen Ver­fah­rens als not­wen­dig, so ent­schei­det dar­über das be­tref­fen­de Ge­richt in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren end­gül­tig.

4 Der Spi­tal­auf­ent­halt ist auf die Stra­fe an­zu­rech­nen.

5 Im Üb­ri­gen rich­tet sich die sta­tio­näre Be­gut­ach­tung sinn­ge­mä­ss nach den Vor­schrif­ten über die Un­ter­su­chungs- und die Si­cher­heits­haft.

Art. 187 Form des Gutachtens

1 Die sach­ver­stän­di­ge Per­son er­stat­tet das Gut­ach­ten schrift­lich. Wa­ren an der Aus­ar­bei­tung wei­te­re Per­so­nen be­tei­ligt, so sind ih­re Na­men und die Funk­ti­on, die sie bei der Er­stel­lung des Gut­ach­tens hat­ten, zu nen­nen.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann an­ord­nen, dass das Gut­ach­ten münd­lich er­stat­tet oder dass ein schrift­lich er­stat­te­tes Gut­ach­ten münd­lich er­läu­tert oder er­gänzt wird; in die­sem Fal­le sind die Vor­schrif­ten über die Zeu­gen­ein­ver­nah­me an­wend­bar.

Art. 188 Stellungnahme der Parteien

Die Ver­fah­rens­lei­tung bringt den Par­tei­en das schrift­lich er­stat­te­te Gut­ach­ten zur Kennt­nis und setzt ih­nen ei­ne Frist zur Stel­lung­nah­me.

Art. 189 Ergänzung und Verbesserung des Gutachtens

Die Ver­fah­rens­lei­tung lässt das Gut­ach­ten von Am­tes we­gen oder auf An­trag ei­ner Par­tei durch die glei­che sach­ver­stän­di­ge Per­son er­gän­zen oder ver­bes­sern oder be­stimmt wei­te­re Sach­ver­stän­di­ge, wenn:

a.
das Gut­ach­ten un­voll­stän­dig oder un­klar ist;
b.
meh­re­re Sach­ver­stän­di­ge in ih­ren Er­geb­nis­sen er­heb­lich von­ein­an­der ab­wei­chen; oder
c.
Zwei­fel an der Rich­tig­keit des Gut­ach­tens be­ste­hen.

Art. 190 Entschädigung

Die sach­ver­stän­di­ge Per­son hat An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung.

Art. 191 Pflichtversäumnis

Kommt ei­ne sach­ver­stän­di­ge Per­son ih­ren Pflich­ten nicht oder nicht recht­zei­tig nach, so kann die Ver­fah­rens­lei­tung:

a.
sie mit ei­ner Ord­nungs­bus­se be­stra­fen;
b.
den Auf­trag oh­ne Ent­schä­di­gung für die bis­he­ri­gen Be­mü­hun­gen wi­der­ru­fen.

6. Kapitel: Sachliche Beweismittel

Art. 192 Beweisgegenstände

1 Die Straf­be­hör­den neh­men die Be­weis­ge­gen­stän­de voll­stän­dig und im Ori­gi­nal zu den Ak­ten.

2 Von Ur­kun­den und wei­te­ren Auf­zeich­nun­gen wer­den Ko­pi­en er­stellt, wenn dies für die Zwe­cke des Ver­fah­rens ge­nügt. Die Ko­pi­en sind nö­ti­gen­falls zu be­glau­bi­gen.

3 Die Par­tei­en kön­nen im Rah­men der Vor­schrif­ten über die Ak­ten­ein­sicht die Be­weis­ge­gen­stän­de ein­se­hen.

Art. 193 Augenschein

1 Die Staats­an­walt­schaft, die Ge­rich­te und, in ein­fa­chen Fäl­len, die Po­li­zei be­sich­ti­gen Ge­gen­stän­de, Ört­lich­kei­ten und Vor­gän­ge, die für die Be­ur­tei­lung ei­nes Sach­ver­halts be­deut­sam sind, aber nicht un­mit­tel­bar als Be­weis­ge­gen­stän­de vor­lie­gen, in ei­nem Au­gen­schein an Ort und Stel­le.

2 Je­de Per­son hat den Au­gen­schein zu dul­den und den Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mern den er­for­der­li­chen Zu­tritt zu ge­wäh­ren.

3 Müs­sen Häu­ser, Woh­nun­gen oder an­de­re nicht all­ge­mein zu­gäng­li­che Räu­me be­tre­ten wer­den, so be­ach­ten die Be­hör­den die für die Haus­durch­su­chung gel­ten­den Vor­schrif­ten.

4 Au­gen­schei­ne wer­den mit­tels Bild- oder Ton­auf­nah­men, Plä­nen, Zeich­nun­gen oder Be­schrei­bun­gen oder in an­de­rer Wei­se ak­ten­kun­dig ge­macht.

5 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann an­ord­nen, dass:

a.
an­de­re Ver­fah­rens­hand­lun­gen an den Ort des Au­gen­scheins ver­legt wer­den;
b.
der Au­gen­schein mit ei­ner Re­kon­struk­ti­on der Tat oder ei­ner Kon­fron­ta­ti­on ver­bun­den wird; in die­sem Fall sind die be­schul­dig­te Per­son, die Zeu­gin­nen, Zeu­gen und die Aus­kunfts­per­so­nen ver­pflich­tet, dar­an teil­zu­neh­men; ih­re Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs­rech­te blei­ben vor­be­hal­ten.

Art. 194 Beizug von Akten

1 Die Staats­an­walt­schaft und die Ge­rich­te zie­hen Ak­ten an­de­rer Ver­fah­ren bei, wenn dies für den Nach­weis des Sach­ver­halts oder die Be­ur­tei­lung der be­schul­dig­ten Per­son er­for­der­lich ist.

2 Ver­wal­tungs- und Ge­richts­be­hör­den stel­len ih­re Ak­ten zur Ein­sicht­nah­me zur Ver­fü­gung, wenn der Her­aus­ga­be kei­ne über­wie­gen­den öf­fent­li­chen oder pri­va­ten Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­sen ent­ge­gen­ste­hen.

3 Kon­flik­te zwi­schen Be­hör­den des glei­chen Kan­tons ent­schei­det die Be­schwer­de­in­stanz des je­wei­li­gen Kan­tons, sol­che zwi­schen Be­hör­den ver­schie­de­ner Kan­to­ne oder zwi­schen kan­to­na­len und eid­ge­nös­si­schen Be­hör­den das Bun­dess­traf­ge­richt.

Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften

1 Die Straf­be­hör­den ho­len amt­li­che Be­rich­te und Arzt­zeug­nis­se über Vor­gän­ge ein, die im Straf­ver­fah­ren be­deut­sam sein kön­nen.

2 Zur Ab­klä­rung der per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se der be­schul­dig­ten Per­son ho­len Staats­an­walt­schaft und Ge­rich­te Aus­künf­te über Vor­stra­fen und den Leu­mund so­wie wei­te­re sach­dien­li­che Be­rich­te von Amts­stel­len und Pri­va­ten ein.

5. Titel: Zwangsmassnahmen

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

Art. 196 Begriff

Zwangs­mass­nah­men sind Ver­fah­rens­hand­lun­gen der Straf­be­hör­den, die in Grund­rech­te der Be­trof­fe­nen ein­grei­fen und die da­zu die­nen:

a.
Be­wei­se zu si­chern;
b.
die An­we­sen­heit von Per­so­nen im Ver­fah­ren si­cher­zu­stel­len;
c.
die Voll­stre­ckung des En­dent­schei­des zu ge­währ­leis­ten.

Art. 197 Grundsätze

1 Zwangs­mass­nah­men kön­nen nur er­grif­fen wer­den, wenn:

a.
sie ge­setz­lich vor­ge­se­hen sind;
b.
ein hin­rei­chen­der Tat­ver­dacht vor­liegt;
c.
die da­mit an­ge­streb­ten Zie­le nicht durch mil­de­re Mass­nah­men er­reicht wer­den kön­nen;
d.
die Be­deu­tung der Straf­tat die Zwangs­mass­nah­me recht­fer­tigt.

2 Zwangs­mass­nah­men, die in die Grund­rech­te nicht be­schul­dig­ter Per­so­nen ein­grei­fen, sind be­son­ders zu­rück­hal­tend ein­zu­set­zen.

Art. 198 Zuständigkeit

1 Zwangs­mass­nah­men kön­nen an­ord­nen:

a.
die Staats­an­walt­schaft;
b.
die Ge­rich­te, in drin­gen­den Fäl­len ih­re Ver­fah­rens­lei­tung;
c.
die Po­li­zei in den ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Fäl­len.

2 Bund und Kan­to­ne kön­nen die Be­fug­nis der Po­li­zei, Zwangs­mass­nah­men an­zu­ord­nen und durch­zu­füh­ren, Po­li­zei­an­ge­hö­ri­gen mit ei­nem be­stimm­ten Grad oder ei­ner be­stimm­ten Funk­ti­on vor­be­hal­ten.

Art. 199 Eröffnung der Anordnung

Ist ei­ne Zwangs­mass­nah­me schrift­lich an­zu­ord­nen und ist sie nicht ge­heim zu hal­ten, so wird den di­rekt be­trof­fe­nen Per­so­nen ge­gen Emp­fangs­be­stä­ti­gung ei­ne Ko­pie des Be­fehls und ei­nes all­fäl­li­gen Voll­zugs­pro­to­kolls über­ge­ben.

Art. 200 Gewaltanwendung

Zur Durch­set­zung von Zwangs­mass­nah­men darf als äus­sers­tes Mit­tel Ge­walt an­ge­wen­det wer­den; die­se muss ver­hält­nis­mäs­sig sein.

2. Kapitel: Vorladung, Vorführung und Fahndung

1. Abschnitt: Vorladung

Art. 201 Form und Inhalt

1 Die Vor­la­dun­gen von Staats­an­walt­schaft, Über­tre­tungs­straf­be­hör­den und Ge­rich­ten er­ge­hen schrift­lich.

2 Sie ent­hal­ten:

a.
die Be­zeich­nung der vor­la­den­den Straf­be­hör­de und der Per­so­nen, wel­che die Ver­fah­rens­hand­lung vor­neh­men wer­den;
b.
die Be­zeich­nung der vor­ge­la­de­nen Per­son und der Ei­gen­schaft, in der sie an der Ver­fah­rens­hand­lung teil­neh­men soll;
c.
den Grund der Vor­la­dung, so­fern der Un­ter­su­chungs­zweck die­sen Hin­weis nicht ver­bie­tet;
d.
Ort, Da­tum und Zeit des Er­schei­nens;
e.
die Auf­for­de­rung, per­sön­lich zu er­schei­nen;
f.
den Hin­weis auf die Rechts­fol­gen des un­ent­schul­dig­ten Fern­blei­bens;
g.
das Da­tum der Aus­stel­lung der Vor­la­dung;
h.
die Un­ter­schrift der vor­la­den­den Per­son.

Art. 202 Frist

1 Vor­la­dun­gen wer­den zu­ge­stellt:

a.
im Vor­ver­fah­ren: min­des­tens 3 Ta­ge vor der Ver­fah­rens­hand­lung;
b.
im Ver­fah­ren vor Ge­richt: min­des­tens 10 Ta­ge vor der Ver­fah­rens­hand­lung.

2 Öf­fent­li­che Vor­la­dun­gen wer­den min­des­tens einen Mo­nat vor der Ver­fah­rens­hand­lung pu­bli­ziert.

3 Bei der Fest­le­gung des Zeit­punkts wird auf die Ab­kömm­lich­keit der vor­zu­la­den­den Per­so­nen an­ge­mes­sen Rück­sicht ge­nom­men.

Art. 203 Ausnahmen

1 Ei­ne Vor­la­dung kann in an­de­rer als der vor­ge­schrie­be­nen Form und mit ab­ge­kürz­ten Fris­ten er­ge­hen:

a.
in drin­gen­den Fäl­len; oder
b.
mit dem Ein­ver­ständ­nis der vor­zu­la­den­den Per­son.

2 Wer sich am Or­te der Ver­fah­rens­hand­lung oder in Haft be­fin­det, kann so­fort und oh­ne Vor­la­dung ein­ver­nom­men wer­den.

Art. 204 Freies Geleit

1 Sind Per­so­nen vor­zu­la­den, die sich im Aus­land be­fin­den, so kann ih­nen die Staats­an­walt­schaft oder die Ver­fah­rens­lei­tung des Ge­richts frei­es Ge­leit zu­si­chern.

2 Per­so­nen, de­nen frei­es Ge­leit zu­ge­si­chert wur­de, kön­nen in der Schweiz we­gen Hand­lun­gen oder Ver­ur­tei­lun­gen aus der Zeit vor ih­rer Ab­rei­se nicht ver­haf­tet oder an­de­ren frei­heits­be­schrän­ken­den Mass­nah­men un­ter­wor­fen wer­den.

3 Das freie Ge­leit kann an Be­din­gun­gen ge­knüpft wer­den. In die­sem Fall sind die be­trof­fe­nen Per­so­nen dar­auf auf­merk­sam zu ma­chen, dass das freie Ge­leit er­lischt, wenn sie die dar­an ge­knüpf­ten Be­din­gun­gen miss­ach­ten.

Art. 205 Erscheinungspflicht, Verhinderung und Säumnis

1 Wer von ei­ner Straf­be­hör­de vor­ge­la­den wird, hat der Vor­la­dung Fol­ge zu leis­ten.

2 Wer ver­hin­dert ist, ei­ner Vor­la­dung Fol­ge zu leis­ten, hat dies der vor­la­den­den Be­hör­de un­ver­züg­lich mit­zu­tei­len; er oder sie hat die Ver­hin­de­rung zu be­grün­den und so­weit mög­lich zu be­le­gen.

3 Ei­ne Vor­la­dung kann aus wich­ti­gen Grün­den wi­der­ru­fen wer­den. Der Wi­der­ruf wird erst dann wirk­sam, wenn er der vor­ge­la­de­nen Per­son mit­ge­teilt wor­den ist.

4 Wer ei­ner Vor­la­dung von Staats­an­walt­schaft, Über­tre­tungs­straf­be­hör­de oder Ge­richt un­ent­schul­digt nicht oder zu spät Fol­ge leis­tet, kann mit Ord­nungs­bus­se be­straft und über­dies po­li­zei­lich vor­ge­führt wer­den.

5 Vor­be­hal­ten blei­ben die Be­stim­mun­gen über das Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren.

Art. 206 Polizeiliche Vorladungen

1 Im po­li­zei­li­chen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren kann die Po­li­zei Per­so­nen zum Zwe­cke der Be­fra­gung, der Iden­ti­täts­fest­stel­lung oder der er­ken­nungs­dienst­li­chen Be­hand­lung oh­ne Be­ach­tung be­son­de­rer For­men und Fris­ten vor­la­den.

2 Wer ei­ner po­li­zei­li­chen Vor­la­dung kei­ne Fol­ge leis­tet, kann mit Be­fehl der Staats­an­walt­schaft vor­ge­führt wer­den, wenn die­se Mass­nah­me der vor­ge­la­de­nen Per­son schrift­lich an­ge­droht wor­den ist.

2. Abschnitt: Polizeiliche Vorführung

Art. 207 Voraussetzungen und Zuständigkeit

1 Ei­ne Per­son kann po­li­zei­lich vor­ge­führt wer­den, wenn:

a.
sie ei­ner Vor­la­dung nicht Fol­ge ge­leis­tet hat;
b.
auf­grund kon­kre­ter An­halts­punk­te an­zu­neh­men ist, sie wer­de ei­ner Vor­la­dung nicht Fol­ge leis­ten;
c.
bei Ver­fah­ren we­gen Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen ihr so­for­ti­ges Er­schei­nen im In­ter­es­se des Ver­fah­rens un­er­läss­lich ist;
d.
sie ei­nes Ver­bre­chens oder Ver­ge­hens drin­gend ver­däch­tigt wird und Haft­grün­de zu ver­mu­ten sind.

2 Die Vor­füh­rung wird von der Ver­fah­rens­lei­tung an­ge­ord­net.

Art. 208 Form der Anordnung

1 Die Vor­füh­rung wird in ei­nem schrift­li­chen Be­fehl an­ge­ord­net. In drin­gen­den Fäl­len kann sie münd­lich an­ge­ord­net wer­den; sie ist aber nach­träg­lich schrift­lich zu be­stä­ti­gen.

2 Der Be­fehl ent­hält die glei­chen An­ga­ben wie ei­ne Vor­la­dung und zu­dem die aus­drück­li­che Er­mäch­ti­gung der Po­li­zei, zum Voll­zug wenn nö­tig Ge­walt an­zu­wen­den so­wie Häu­ser, Woh­nun­gen und an­de­re nicht all­ge­mein zu­gäng­li­che Räu­me zu be­tre­ten.

Art. 209 Vorgehen

1 Die Po­li­zei führt den Vor­füh­rungs­be­fehl un­ter grösst­mög­li­cher Scho­nung der be­trof­fe­nen Per­so­nen aus.

2 Sie weist der vor­zu­füh­ren­den Per­son den Vor­füh­rungs­be­fehl vor und führt sie un­ver­züg­lich oder zu der im Vor­füh­rungs­be­fehl ge­nann­ten Zeit der Be­hör­de zu.

3 Die Be­hör­de in­for­miert die vor­ge­führ­te Per­son un­ver­züg­lich und in ei­ner ihr ver­ständ­li­chen Spra­che über den Grund der Vor­füh­rung, nimmt die Ver­fah­rens­hand­lung vor und ent­lässt sie da­nach un­ver­züg­lich, es sei denn, sie be­an­tra­ge die An­ord­nung der Un­ter­su­chungs- oder der Si­cher­heits­haft.

3. Abschnitt: Fahndung

Art. 210 Grundsätze

1 Staats­an­walt­schaft, Über­tre­tungs­straf­be­hör­den und Ge­rich­te kön­nen Per­so­nen, de­ren Auf­ent­halt un­be­kannt und de­ren An­we­sen­heit im Ver­fah­ren er­for­der­lich ist, zur Er­mitt­lung des Auf­ent­halts­or­tes aus­schrei­ben. In drin­gen­den Fäl­len kann die Po­li­zei ei­ne Aus­schrei­bung von sich aus ver­an­las­sen.

2 Ei­ne be­schul­dig­te Per­son kann zur Ver­haf­tung und Zu­füh­rung aus­ge­schrie­ben wer­den, wenn sie ei­nes Ver­bre­chens oder Ver­ge­hens drin­gend ver­däch­tigt wird und Haft­grün­de zu ver­mu­ten sind.

3 Ord­net die Staats­an­walt­schaft, die Über­tre­tungs­straf­be­hör­de oder das Ge­richt nichts an­de­res an, so ist für die Durch­füh­rung der Aus­schrei­bung die Po­li­zei zu­stän­dig.

4 Die Ab­sät­ze 1 und 3 gel­ten sinn­ge­mä­ss für die Fahn­dung nach Ge­gen­stän­den und Ver­mö­gens­wer­ten.

Art. 211 Mithilfe der Öffentlichkeit

1 Die Öf­fent­lich­keit kann zur Mit­hil­fe bei der Fahn­dung auf­ge­for­dert wer­den.

2 Bund und Kan­to­ne kön­nen Be­stim­mun­gen er­las­sen, wo­nach Pri­va­ten für die er­folg­rei­che Mit­wir­kung bei der Fahn­dung Be­loh­nun­gen aus­ge­rich­tet wer­den kön­nen.

3. Kapitel: Freiheitsentzug, Untersuchungs- und Sicherheitshaft

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 212 Grundsätze

1 Die be­schul­dig­te Per­son bleibt in Frei­heit. Sie darf nur im Rah­men der Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes frei­heits­ent­zie­hen­den Zwangs­mass­nah­men un­ter­wor­fen wer­den.

2 Frei­heits­ent­zie­hen­de Zwangs­mass­nah­men sind auf­zu­he­ben, so­bald:

a.
ih­re Vor­aus­set­zun­gen nicht mehr er­füllt sind;
b.
die von die­sem Ge­setz vor­ge­se­he­ne oder von ei­nem Ge­richt be­wil­lig­te Dau­er ab­ge­lau­fen ist; oder
c.
Er­satz­mass­nah­men zum glei­chen Ziel füh­ren.

3 Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft dür­fen nicht län­ger dau­ern als die zu er­war­ten­de Frei­heits­s­tra­fe.

Art. 213 Betreten von Räumlichkeiten

1 Müs­sen zur An­hal­tung oder Fest­nah­me ei­ner Per­son Häu­ser, Woh­nun­gen oder an­de­re nicht all­ge­mein zu­gäng­li­che Räu­me be­tre­ten wer­den, so sind die Be­stim­mun­gen über die Haus­durch­su­chung zu be­ach­ten.

2 Ist Ge­fahr im Ver­zug, so kann die Po­li­zei Räum­lich­kei­ten auch oh­ne Haus­durch­su­chungs­be­fehl be­tre­ten.

Art. 214 Benachrichtigung

1 Wird ei­ne Per­son vor­läu­fig fest­ge­nom­men oder in Un­ter­su­chungs- oder Si­cher­heits­haft ge­setzt, so be­nach­rich­tigt die zu­stän­di­ge Straf­be­hör­de um­ge­hend:

a.
ih­re An­ge­hö­ri­gen;
b.
auf ih­ren Wunsch ih­ren Ar­beit­ge­ber oder die für sie zu­stän­di­ge aus­län­di­sche Ver­tre­tung.

2 Von ei­ner Be­nach­rich­ti­gung wird ab­ge­se­hen, wenn der Un­ter­su­chungs­zweck sie ver­bie­tet oder die be­trof­fe­ne Per­son sie aus­drück­lich ab­lehnt.

3 Ge­rät ei­ne Per­son, die von der fest­ge­nom­me­nen Per­son ab­hän­gig ist, we­gen der frei­heits­ent­zie­hen­den Zwangs­mass­nah­me in Schwie­rig­kei­ten, so be­nach­rich­tigt die Straf­be­hör­de die zu­stän­di­gen So­zi­al­be­hör­den.

4 Das Op­fer wird über die An­ord­nung und die Auf­he­bung der Un­ter­su­chungs- oder Si­cher­heits­haft und ei­ner Er­satz­mass­nah­me nach Ar­ti­kel 237 Ab­satz 2 Buch­sta­be c oder g so­wie über ei­ne Flucht der be­schul­dig­ten Per­son ori­en­tiert, es sei denn, es ha­be aus­drück­lich dar­auf ver­zich­tet.69 Die Ori­en­tie­rung über die Auf­he­bung der Haft kann un­ter­blei­ben, wenn die be­schul­dig­te Per­son da­durch ei­ner ernst­haf­ten Ge­fahr aus­ge­setzt wür­de.

69 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 1 des BG vom 13. Dez. 2013 über das Tä­tig­keits­ver­bot und das Kon­takt- und Ray­on­ver­bot, in Kraft seit 1. Jan. 2015 (AS 2014 2055; BBl 20128819).

2. Abschnitt: Polizeiliche Anhaltung und Nacheile

Art. 215 Polizeiliche Anhaltung

1 Die Po­li­zei kann im In­ter­es­se der Auf­klä­rung ei­ner Straf­tat ei­ne Per­son an­hal­ten und wenn nö­tig auf den Po­li­zei­pos­ten brin­gen, um:

a.
ih­re Iden­ti­tät fest­zu­stel­len;
b.
sie kurz zu be­fra­gen;
c.
ab­zu­klä­ren, ob sie ei­ne Straf­tat be­gan­gen hat;
d.
ab­zu­klä­ren, ob nach ihr oder nach Ge­gen­stän­den, die sich in ih­rem Ge­wahr­sam be­fin­den, ge­fahn­det wird.

2 Sie kann die an­ge­hal­te­ne Per­son ver­pflich­ten:

a.
ih­re Per­so­na­li­en an­zu­ge­ben;
b.
Aus­weis­pa­pie­re vor­zu­le­gen;
c.
mit­ge­führ­te Sa­chen vor­zu­zei­gen;
d.
Be­hält­nis­se oder Fahr­zeu­ge zu öff­nen.

3 Sie kann Pri­vat­per­so­nen auf­for­dern, sie bei der An­hal­tung zu un­ter­stüt­zen.

4 Ist auf­grund kon­kre­ter An­halts­punk­te an­zu­neh­men, dass an ei­nem be­stimm­ten Ort Straf­ta­ten im Gan­ge sind oder sich dort be­schul­dig­te Per­so­nen auf­hal­ten, so kann die Po­li­zei die­sen Ort ab­sper­ren und die sich dort auf­hal­ten­den Per­so­nen an­hal­ten.

Art. 216 Nacheile

1 Die Po­li­zei ist be­rech­tigt, in drin­gen­den Fäl­len ei­ne be­schul­dig­te Per­son auf das Ge­biet ei­ner an­de­ren Ge­mein­de, ei­nes an­de­ren Kan­tons und, im Rah­men völ­ker­recht­li­cher Ver­trä­ge, ins Aus­land zu ver­fol­gen und dort an­zu­hal­ten.

2 Soll die an­ge­hal­te­ne Per­son an­sch­lies­send fest­ge­nom­men wer­den, so wird sie un­ver­züg­lich der am Ort der An­hal­tung zu­stän­di­gen Be­hör­de über­ge­ben.

3. Abschnitt: Vorläufige Festnahme

Art. 217 Durch die Polizei

1 Die Po­li­zei ist ver­pflich­tet, ei­ne Per­son vor­läu­fig fest­zu­neh­men und auf den Po­li­zei­pos­ten zu brin­gen, die:

a.
sie bei ei­nem Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen auf fri­scher Tat er­tappt oder un­mit­tel­bar nach der Be­ge­hung ei­ner sol­chen Tat an­ge­trof­fen hat;
b.
zur Ver­haf­tung aus­ge­schrie­ben ist.

2 Sie kann ei­ne Per­son vor­läu­fig fest­neh­men und auf den Po­li­zei­pos­ten brin­gen, die ge­stützt auf Er­mitt­lun­gen oder an­de­re zu­ver­läs­si­ge In­for­ma­tio­nen ei­nes Ver­bre­chens oder Ver­ge­hens ver­däch­tig ist.

3 Sie kann ei­ne Per­son, die sie bei der Be­ge­hung ei­ner Über­tre­tung auf fri­scher Tat er­tappt oder un­mit­tel­bar nach Be­ge­hung ei­ner sol­chen Tat an­ge­trof­fen hat, vor­läu­fig fest­neh­men und auf den Po­li­zei­pos­ten brin­gen, wenn:

a.
die Per­son ih­re Per­so­na­li­en nicht be­kannt gibt;
b.
die Per­son nicht in der Schweiz wohnt und nicht un­ver­züg­lich ei­ne Si­cher­heit für die zu er­war­ten­de Bus­se leis­tet;
c.
die Fest­nah­me nö­tig ist, um die Per­son von wei­te­ren Über­tre­tun­gen ab­zu­hal­ten.

Art. 218 Durch Privatpersonen

1 Kann po­li­zei­li­che Hil­fe nicht recht­zei­tig er­langt wer­den, so sind Pri­va­te be­rech­tigt, ei­ne Per­son vor­läu­fig fest­zu­neh­men, wenn:

a.
sie die­se bei ei­nem Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen auf fri­scher Tat er­tappt oder un­mit­tel­bar nach der Be­ge­hung ei­ner sol­chen Tat an­ge­trof­fen ha­ben; oder
b.
die Öf­fent­lich­keit zur Mit­hil­fe bei de­ren Fahn­dung auf­ge­for­dert wor­den ist.

2 Bei der Fest­nah­me dür­fen Pri­vat­per­so­nen nur nach Mass­ga­be von Ar­ti­kel 200 Ge­walt an­wen­den.

3 Fest­ge­nom­me­ne Per­so­nen sind so rasch als mög­lich der Po­li­zei zu über­ge­ben.

Art. 219 Vorgehen der Polizei

1 Die Po­li­zei stellt nach der Fest­nah­me un­ver­züg­lich die Iden­ti­tät der fest­ge­nom­me­nen Per­son fest, in­for­miert die­se in ei­ner ihr ver­ständ­li­chen Spra­che über die Grün­de der Fest­nah­me und klärt sie im Sin­ne von Ar­ti­kel 158 über ih­re Rech­te auf. Da­nach in­for­miert sie un­ver­züg­lich die Staats­an­walt­schaft über die Fest­nah­me.

2 An­sch­lies­send be­fragt sie die fest­ge­nom­me­ne Per­son in An­wen­dung von Ar­ti­kel 159 zu dem ge­gen sie be­ste­hen­den Ver­dacht und trifft un­ver­züg­lich die ge­eig­ne­ten Ab­klä­run­gen, um den Tat­ver­dacht und die wei­te­ren Haft­grün­de zu er­här­ten oder zu ent­kräf­ten.

3 Er­ge­ben die Ab­klä­run­gen, dass Haft­grün­de nicht oder nicht mehr be­ste­hen, so lässt sie die fest­ge­nom­me­ne Per­son so­fort frei. Be­stä­ti­gen die Ab­klä­run­gen den Tat­ver­dacht und einen Haft­grund, so führt sie die Per­son un­ver­züg­lich der Staats­an­walt­schaft zu.

4 Ent­las­sung oder Zu­füh­rung er­fol­gen in je­dem Fal­le spä­tes­tens nach 24 Stun­den; ging der Fest­nah­me ei­ne An­hal­tung vor­aus, so ist de­ren Dau­er an die Frist an­zu­rech­nen.

5 Hat die Po­li­zei ei­ne Per­son im Sin­ne von Ar­ti­kel 217 Ab­satz 3 vor­läu­fig fest­ge­nom­men und soll die Per­son län­ger als 3 Stun­den fest­ge­hal­ten wer­den, so muss dies von Po­li­zei­an­ge­hö­ri­gen an­ge­ord­net wer­den, die da­zu vom Bund oder vom Kan­ton er­mäch­tigt sind.

4. Abschnitt: Untersuchungs- und Sicherheitshaft: Allgemeine Bestimmungen

Art. 220 Begriffe

1 Die Un­ter­su­chungs­haft be­ginnt mit ih­rer An­ord­nung durch das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt und en­det mit dem Ein­gang der An­kla­ge beim ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt, dem vor­zei­ti­gen An­tritt ei­ner frei­heits­ent­zie­hen­den Sank­ti­on oder mit der Ent­las­sung der be­schul­dig­ten Per­son wäh­rend der Un­ter­su­chung.

2 Als Si­cher­heits­haft gilt die Haft wäh­rend der Zeit zwi­schen dem Ein­gang der An­kla­ge­schrift beim ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt und der Rechts­kraft des Ur­teils, dem An­tritt ei­ner frei­heits­ent­zie­hen­den Sank­ti­on, dem Voll­zug der Lan­des­ver­wei­sung oder der Ent­las­sung.70

70 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 5 des BG vom 20. März 2015 (Um­set­zung von Art. 121 Abs. 3–6 BV über die Aus­schaf­fung kri­mi­nel­ler Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der), in Kraft seit 1. Okt. 2016 (AS 2016 2329; BBl 2013 5975).

Art. 221 Voraussetzungen

1 Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft sind nur zu­läs­sig, wenn die be­schul­dig­te Per­son ei­nes Ver­bre­chens oder Ver­ge­hens drin­gend ver­däch­tig ist und ernst­haft zu be­fürch­ten ist, dass sie:

a.
sich durch Flucht dem Straf­ver­fah­ren oder der zu er­war­ten­den Sank­ti­on ent­zieht;
b.
Per­so­nen be­ein­flusst oder auf Be­weis­mit­tel ein­wirkt, um so die Wahr­heits­fin­dung zu be­ein­träch­ti­gen; oder
c.
durch schwe­re Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen die Si­cher­heit an­de­rer er­heb­lich ge­fähr­det, nach­dem sie be­reits frü­her gleich­ar­ti­ge Straf­ta­ten ver­übt hat.

2 Haft ist auch zu­läs­sig, wenn ernst­haft zu be­fürch­ten ist, ei­ne Per­son wer­de ih­re Dro­hung, ein schwe­res Ver­bre­chen aus­zu­füh­ren, wahr­ma­chen.

Art. 222 Rechtsmittel 71

Die ver­haf­te­te Per­son kann Ent­schei­de über die An­ord­nung, die Ver­län­ge­rung und die Auf­he­bung der Un­ter­su­chungs- oder Si­cher­heits­haft bei der Be­schwer­de­in­stanz an­fech­ten. Vor­be­hal­ten bleibt Ar­ti­kel 233.

71 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

Art. 223 Verkehr mit der Verteidigung im Haftverfahren

1 Die Ver­tei­di­gung kann im Haft­ver­fah­ren den Ein­ver­nah­men der be­schul­dig­ten Per­son und wei­te­ren Be­weis­er­he­bun­gen bei­woh­nen.

2 Die be­schul­dig­te Per­son kann im Ver­fah­ren vor der Staats­an­walt­schaft und den Ge­rich­ten um An­ord­nung von Haft je­der­zeit oh­ne Auf­sicht mit der Ver­tei­di­gung schrift­lich oder münd­lich ver­keh­ren.

5. Abschnitt: Untersuchungshaft

Art. 224 Haftverfahren vor der Staatsanwaltschaft

1 Die Staats­an­walt­schaft be­fragt die be­schul­dig­te Per­son un­ver­züg­lich und gibt ihr Ge­le­gen­heit, sich zum Tat­ver­dacht und zu den Haft­grün­den zu äus­sern. Sie er­hebt un­ver­züg­lich je­ne Be­wei­se, die zur Er­här­tung oder Ent­kräf­tung des Tat­ver­dachts und der Haft­grün­de ge­eig­net und oh­ne Wei­te­res ver­füg­bar sind.

2 Be­stä­ti­gen sich der Tat­ver­dacht und die Haft­grün­de, so be­an­tragt die Staats­an­walt­schaft dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt un­ver­züg­lich, spä­tes­tens aber in­nert 48 Stun­den seit der Fest­nah­me, die An­ord­nung der Un­ter­su­chungs­haft oder ei­ner Er­satz­mass­nah­me. Sie reicht ih­ren An­trag schrift­lich ein, be­grün­det ihn kurz und legt die we­sent­li­chen Ak­ten bei.

3 Ver­zich­tet sie auf einen Haft­an­trag, so ver­fügt sie die un­ver­züg­li­che Frei­las­sung. Be­an­tragt sie ei­ne Er­satz­mass­nah­me, so trifft sie die er­for­der­li­chen si­chern­den Mass­nah­men.

Art. 225 Haftverfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht

1 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt setzt nach Ein­gang des An­trags der Staats­an­walt­schaft un­ver­züg­lich ei­ne nicht öf­fent­li­che Ver­hand­lung mit der Staats­an­walt­schaft, der be­schul­dig­ten Per­son und de­ren Ver­tei­di­gung an; es kann die Staats­an­walt­schaft ver­pflich­ten, dar­an teil­zu­neh­men.

2 Es ge­währt der be­schul­dig­ten Per­son und der Ver­tei­di­gung auf Ver­lan­gen vor­gän­gig Ein­sicht in die ihm vor­lie­gen­den Ak­ten.

3 Wer der Ver­hand­lung be­rech­tig­ter­wei­se fern bleibt, kann An­trä­ge schrift­lich ein­rei­chen oder auf frü­he­re Ein­ga­ben ver­wei­sen.

4 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt er­hebt die so­fort ver­füg­ba­ren Be­wei­se, die ge­eig­net sind, den Tat­ver­dacht oder die Haft­grün­de zu er­här­ten oder zu ent­kräf­ten.

5 Ver­zich­tet die be­schul­dig­te Per­son aus­drück­lich auf ei­ne Ver­hand­lung, so ent­schei­det das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren auf­grund des An­trags der Staats­an­walt­schaft und der Ein­ga­ben der be­schul­dig­ten Per­son.

Art. 226 Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts

1 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ent­schei­det un­ver­züg­lich, spä­tes­tens aber in­nert 48 Stun­den nach Ein­gang des An­trags.

2 Es er­öff­net sei­nen Ent­scheid der Staats­an­walt­schaft, der be­schul­dig­ten Per­son und ih­rer Ver­tei­di­gung un­ver­züg­lich münd­lich oder, falls sie ab­we­send sind, schrift­lich. An­sch­lies­send stellt es ih­nen ei­ne kur­ze schrift­li­che Be­grün­dung zu.

3 Ord­net es die Un­ter­su­chungs­haft an, so weist es die be­schul­dig­te Per­son dar­auf hin, dass sie je­der­zeit ein Haft­ent­las­sungs­ge­such stel­len kann.

4 Es kann in sei­nem Ent­scheid:

a.
ei­ne Höchst­dau­er der Un­ter­su­chungs­haft fest­le­gen;
b.
die Staats­an­walt­schaft an­wei­sen, be­stimm­te Un­ter­su­chungs­hand­lun­gen vor­zu­neh­men;
c.
an Stel­le der Un­ter­su­chungs­haft Er­satz­mass­nah­men an­ord­nen.

5 Ord­net es die Un­ter­su­chungs­haft nicht an, so wird die be­schul­dig­te Per­son un­ver­züg­lich frei­ge­las­sen.

Art. 227 Haftverlängerungsgesuch

1 Läuft die vom Zwangs­mass­nah­men­ge­richt fest­ge­setz­te Dau­er der Un­ter­su­chungs­haft ab, so kann die Staats­an­walt­schaft ein Haft­ver­län­ge­rungs­ge­such stel­len. Hat das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt die Haft­dau­er nicht be­schränkt, so ist das Ge­such vor Ab­lauf von 3 Mo­na­ten Haft zu stel­len.

2 Die Staats­an­walt­schaft reicht dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt das schrift­li­che und be­grün­de­te Ge­such spä­tes­tens 4 Ta­ge vor Ab­lauf der Haft­dau­er ein und legt ihm die we­sent­li­chen Ak­ten bei.

3 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt gibt der be­schul­dig­ten Per­son und ih­rer Ver­tei­di­gung Ge­le­gen­heit, die ihm vor­lie­gen­den Ak­ten ein­zu­se­hen und in­nert 3 Ta­gen schrift­lich zum Ge­such Stel­lung zu neh­men.

4 Es kann die pro­vi­so­ri­sche Fort­dau­er der Un­ter­su­chungs­haft bis zu sei­nem Ent­scheid an­ord­nen.

5 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ent­schei­det spä­tes­tens in­nert 5 Ta­gen nach Ein­gang der Stel­lung­nah­me be­zie­hungs­wei­se Ab­lauf der in Ab­satz 3 ge­nann­ten Frist. Es kann die Staats­an­walt­schaft an­wei­sen, be­stimm­te Un­ter­su­chungs­hand­lun­gen vor­zu­neh­men, oder ei­ne Er­satz­mass­nah­me an­ord­nen.

6 Das Ver­fah­ren ist in der Re­gel schrift­lich, doch kann das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ei­ne Ver­hand­lung an­ord­nen; die­se ist nicht öf­fent­lich.

7 Die Ver­län­ge­rung der Un­ter­su­chungs­haft wird je­weils für längs­tens 3 Mo­na­te, in Aus­nah­me­fäl­len für längs­tens 6 Mo­na­te be­wil­ligt.

Art. 228 Haftentlassungsgesuch

1 Die be­schul­dig­te Per­son kann bei der Staats­an­walt­schaft je­der­zeit schrift­lich oder münd­lich zu Pro­to­koll ein Ge­such um Haft­ent­las­sung stel­len; vor­be­hal­ten bleibt Ab­satz 5. Das Ge­such ist kurz zu be­grün­den.

2 Ent­spricht die Staats­an­walt­schaft dem Ge­such, so ent­lässt sie die be­schul­dig­te Per­son un­ver­züg­lich aus der Haft. Will sie dem Ge­such nicht ent­spre­chen, so lei­tet sie es zu­sam­men mit den Ak­ten spä­tes­tens 3 Ta­ge nach des­sen Ein­gang mit ei­ner be­grün­de­ten Stel­lung­nah­me an das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt wei­ter.

3 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt stellt die Stel­lung­nah­me der be­schul­dig­ten Per­son und ih­rer Ver­tei­di­gung zu und setzt ih­nen ei­ne Frist von 3 Ta­gen zur Re­plik.

4 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ent­schei­det spä­tes­tens in­nert 5 Ta­gen nach Ein­gang der Re­plik be­zie­hungs­wei­se Ab­lauf der in Ab­satz 3 ge­nann­ten Frist in ei­ner nicht öf­fent­li­chen Ver­hand­lung. Ver­zich­tet die be­schul­dig­te Per­son aus­drück­lich auf ei­ne Ver­hand­lung, so kann der Ent­scheid im schrift­li­chen Ver­fah­ren er­ge­hen. Im Üb­ri­gen ist Ar­ti­kel 226 Ab­sät­ze 2–5 sinn­ge­mä­ss an­wend­bar.

5 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt kann in sei­nem Ent­scheid ei­ne Frist von längs­tens ei­nem Mo­nat set­zen, in­ner­halb de­rer die be­schul­dig­te Per­son kein Ent­las­sungs­ge­such stel­len kann.

6. Abschnitt: Sicherheitshaft

Art. 229 Entscheid über die Anordnung der Sicherheitshaft

1 Über die An­ord­nung der Si­cher­heits­haft bei vor­be­ste­hen­der Un­ter­su­chungs­haft ent­schei­det das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt auf schrift­li­ches Ge­such der Staats­an­walt­schaft.

2 Er­ge­ben sich erst nach der An­kla­ge­er­he­bung Haft­grün­de, so führt die Ver­fah­rens­lei­tung des ers­tin­stanz­li­chen Ge­richts in sinn­ge­mäs­ser An­wen­dung von Ar­ti­kel 224 ein Haft­ver­fah­ren durch und be­an­tragt dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt die An­ord­nung der Si­cher­heits­haft.

3 Das Ver­fah­ren vor dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt rich­tet sich:

a.
oh­ne vor­be­ste­hen­de Un­ter­su­chungs­haft: sinn­ge­mä­ss nach den Ar­ti­keln 225 und 226;
b.
bei vor­be­ste­hen­der Un­ter­su­chungs­haft: sinn­ge­mä­ss nach Ar­ti­kel 227.

Art. 230 Entlassung aus der Sicherheitshaft während des erstinstanzlichen Verfahrens

1 Die be­schul­dig­te Per­son und die Staats­an­walt­schaft kön­nen wäh­rend des ers­tin­stanz­li­chen Ver­fah­rens ein Haft­ent­las­sungs­ge­such stel­len.

2 Das Ge­such ist an die Ver­fah­rens­lei­tung des ers­tin­stanz­li­chen Ge­richts zu rich­ten.

3 Ent­spricht die Ver­fah­rens­lei­tung dem Ge­such, so ent­lässt sie die be­schul­dig­te Per­son un­ver­züg­lich aus der Haft. Will sie dem Ge­such nicht ent­spre­chen, so lei­tet sie es an das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt zum Ent­scheid wei­ter.

4 Die Ver­fah­rens­lei­tung des ers­tin­stanz­li­chen Ge­richts kann mit Zu­stim­mung der Staats­an­walt­schaft die Haft­ent­las­sung auch selbst an­ord­nen. Stimmt die Staats­an­walt­schaft nicht zu, so ent­schei­det das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt.

5 Im Üb­ri­gen gel­ten die Be­stim­mun­gen von Ar­ti­kel 228 sinn­ge­mä­ss.

Art. 231 Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil

1 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt ent­schei­det mit dem Ur­teil, ob ei­ne ver­ur­teil­te Per­son in Si­cher­heits­haft zu set­zen oder zu be­hal­ten ist:

a.
zur Si­che­rung des Straf- oder Mass­nah­men­voll­zu­ges;
b.
im Hin­blick auf das Be­ru­fungs­ver­fah­ren.

2 Wird die in­haf­tier­te be­schul­dig­te Per­son frei­ge­spro­chen und ver­fügt das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt de­ren Frei­las­sung, so kann die Staats­an­walt­schaft beim ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt zu Han­den der Ver­fah­rens­lei­tung des Be­ru­fungs­ge­richts die Fort­set­zung der Si­cher­heits­haft be­an­tra­gen. In die­sem Fall bleibt die be­tref­fen­de Per­son bis zum Ent­scheid der Ver­fah­rens­lei­tung des Be­ru­fungs­ge­richts in Haft. Die Ver­fah­rens­lei­tung des Be­ru­fungs­ge­richts ent­schei­det über den An­trag der Staats­an­walt­schaft in­nert 5 Ta­gen seit An­trag­stel­lung.

3 Wird ei­ne Be­ru­fung zu­rück­ge­zo­gen, so ent­schei­det das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt über die An­rech­nung der Haft­dau­er nach dem Ur­teil.

Art. 232 Sicherheitshaft während eines Verfahrens vor dem Berufungsgericht

1 Er­ge­ben sich Haft­grün­de erst wäh­rend ei­nes Ver­fah­rens vor dem Be­ru­fungs­ge­richt, so lässt die Ver­fah­rens­lei­tung des Be­ru­fungs­ge­richts die in Haft zu set­zen­de Per­son un­ver­züg­lich vor­füh­ren und hört sie an.

2 Sie ent­schei­det in­nert 48 Stun­den seit der Zu­füh­rung; die­ser Ent­scheid ist nicht an­fecht­bar.

Art. 233 Haftentlassungsgesuch während eines Verfahrens vor dem Berufungsgericht


Die Ver­fah­rens­lei­tung des Be­ru­fungs­ge­richts ent­schei­det über Haft­ent­las­sungs­ge­su­che in­nert 5 Ta­gen; die­ser Ent­scheid ist nicht an­fecht­bar.

7. Abschnitt: Vollzug der Untersuchungs- und der Sicherheitshaft

Art. 234 Haftanstalt

1 Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft wer­den in der Re­gel in Haft­an­stal­ten voll­zo­gen, die die­sem Zwe­cke vor­be­hal­ten sind und die da­ne­ben nur dem Voll­zug kur­z­er Frei­heits­s­tra­fen die­nen.

2 Ist es aus me­di­zi­ni­schen Grün­den an­ge­zeigt, so kann die zu­stän­di­ge kan­to­na­le Be­hör­de die in­haf­tier­te Per­son in ein Spi­tal oder ei­ne psych­ia­tri­sche Kli­nik ein­wei­sen.

Art. 235 Vollzug der Haft

1 Die in­haf­tier­te Per­son darf in ih­rer per­sön­li­chen Frei­heit nicht stär­ker ein­ge­schränkt wer­den, als es der Haft­zweck so­wie die Ord­nung und Si­cher­heit in der Haft­an­stalt er­for­dern.

2 Die Kon­tak­te zwi­schen der in­haf­tier­ten Per­son und an­de­ren Per­so­nen be­dür­fen der Be­wil­li­gung der Ver­fah­rens­lei­tung. Be­su­che fin­den wenn nö­tig un­ter Auf­sicht statt.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung kon­trol­liert die ein- und aus­ge­hen­de Post, mit Aus­nah­me der Kor­re­spon­denz mit Auf­sichts- und Straf­be­hör­den. Wäh­rend der Si­cher­heits­haft kann sie die­se Auf­ga­be der Staats­an­walt­schaft über­tra­gen.

4 Die in­haf­tier­te Per­son kann mit der Ver­tei­di­gung frei und oh­ne in­halt­li­che Kon­trol­le ver­keh­ren. Be­steht be­grün­de­ter Ver­dacht auf Miss­brauch, so kann die Ver­fah­rens­lei­tung mit Ge­neh­mi­gung des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts den frei­en Ver­kehr be­fris­tet ein­schrän­ken; sie er­öff­net die Be­schrän­kun­gen der in­haf­tier­ten Per­son und der Ver­tei­di­gung vor­gän­gig.

5 Die Kan­to­ne re­geln die Rech­te und Pflich­ten der in­haf­tier­ten Per­so­nen, ih­re Be­schwer­de­mög­lich­kei­ten, die Dis­zi­plin­ar­mass­nah­men so­wie die Auf­sicht über die Haft­an­stal­ten.

Art. 236 Vorzeitiger Straf- und Massnahmenvollzug

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann der be­schul­dig­ten Per­son be­wil­li­gen, Frei­heits­s­tra­fen oder frei­heits­ent­zie­hen­de Mass­nah­men vor­zei­tig an­zu­tre­ten, so­fern der Stand des Ver­fah­rens es er­laubt.

2 Ist be­reits An­kla­ge er­ho­ben wor­den, so gibt die Ver­fah­rens­lei­tung der Staats­an­walt­schaft Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me.

3 Bund und Kan­to­ne kön­nen vor­se­hen, dass der vor­zei­ti­ge Mass­nah­men­voll­zug der Zu­stim­mung der Voll­zugs­be­hör­den be­darf.

4 Mit dem Ein­tritt in die Voll­zugs­an­stalt tritt die be­schul­dig­te Per­son ih­re Stra­fe oder Mass­nah­me an; sie un­ter­steht von die­sem Zeit­punkt an dem Voll­zugs­re­gime, wenn der Zweck der Un­ter­su­chungs- oder der Si­cher­heits­haft dem nicht ent­ge­gen­steht.

8. Abschnitt: Ersatzmassnahmen

Art. 237 Allgemeine Bestimmungen

1 Das zu­stän­di­ge Ge­richt ord­net an Stel­le der Un­ter­su­chungs- oder der Si­cher­heits­haft ei­ne oder meh­re­re mil­de­re Mass­nah­men an, wenn sie den glei­chen Zweck wie die Haft er­fül­len.

2 Er­satz­mass­nah­men sind na­ment­lich:

a.
die Si­cher­heits­leis­tung;
b.
die Aus­weis- und Schrif­ten­sper­re;
c.
die Auf­la­ge, sich nur oder sich nicht an ei­nem be­stimm­ten Ort oder in ei­nem be­stimm­ten Haus auf­zu­hal­ten;
d.
die Auf­la­ge, sich re­gel­mäs­sig bei ei­ner Amts­stel­le zu mel­den;
e.
die Auf­la­ge, ei­ner ge­re­gel­ten Ar­beit nach­zu­ge­hen;
f.
die Auf­la­ge, sich ei­ner ärzt­li­chen Be­hand­lung oder ei­ner Kon­trol­le zu un­ter­zie­hen;
g.
das Ver­bot, mit be­stimm­ten Per­so­nen Kon­tak­te zu pfle­gen.

3 Das Ge­richt kann zur Über­wa­chung sol­cher Er­satz­mass­nah­men den Ein­satz tech­ni­scher Ge­rä­te und de­ren fes­te Ver­bin­dung mit der zu über­wa­chen­den Per­son an­ord­nen.

4 An­ord­nung und An­fech­tung von Er­satz­mass­nah­men rich­ten sich sinn­ge­mä­ss nach den Vor­schrif­ten über die Un­ter­su­chungs- und die Si­cher­heits­haft.

5 Das Ge­richt kann die Er­satz­mass­nah­men je­der­zeit wi­der­ru­fen, an­de­re Er­satz­mass­nah­men oder die Un­ter­su­chungs- oder die Si­cher­heits­haft an­ord­nen, wenn neue Um­stän­de dies er­for­dern oder die be­schul­dig­te Per­son die ihr ge­mach­ten Auf­la­gen nicht er­füllt.

Art. 238 Sicherheitsleistung

1 Bei Flucht­ge­fahr kann das zu­stän­di­ge Ge­richt die Leis­tung ei­nes Geld­be­tra­ges vor­se­hen, der si­cher­stel­len soll, dass die be­schul­dig­te Per­son sich je­der­zeit zu Ver­fah­rens­hand­lun­gen oder zum An­tritt ei­ner frei­heits­ent­zie­hen­den Sank­ti­on ein­stellt.

2 Die Hö­he der Si­cher­heits­leis­tung be­misst sich nach der Schwe­re der Ta­ten, die der be­schul­dig­ten Per­son vor­ge­wor­fen wer­den, und nach ih­ren per­sön­li­chen Ver­hält­nis­sen.

3 Die Si­cher­heits­leis­tung kann in bar oder durch Ga­ran­tie ei­ner in der Schweiz nie­der­ge­las­se­nen Bank oder Ver­si­che­rung er­bracht wer­den.

Art. 239 Freigabe der Sicherheitsleistung

1 Die Si­cher­heits­leis­tung wird frei­ge­ge­ben, wenn:

a.
der Haft­grund weg­ge­fal­len ist;
b.
das Straf­ver­fah­ren durch Ein­stel­lung oder Frei­spruch rechts­kräf­tig ab­ge­schlos­sen wur­de;
c.
die be­schul­dig­te Per­son die frei­heits­ent­zie­hen­de Sank­ti­on an­ge­tre­ten hat.

2 Wird die von der be­schul­dig­ten Per­son ge­leis­te­te Si­cher­heits­leis­tung frei­ge­ge­ben, so kann sie zur De­ckung der Geld­stra­fen, Bus­sen, Kos­ten und Ent­schä­di­gun­gen ver­wen­det wer­den, die der be­schul­dig­ten Per­son auf­er­legt wor­den sind.

3 Über die Frei­ga­be ent­schei­det die Be­hör­de, bei der die Sa­che hän­gig ist oder zu­letzt hän­gig war.

Art. 240 Verfall der Sicherheitsleistung

1 Ent­zieht sich die be­schul­dig­te Per­son dem Ver­fah­ren oder dem Voll­zug ei­ner frei­heits­ent­zie­hen­den Sank­ti­on, so ver­fällt die Si­cher­heits­leis­tung dem Bund oder dem Kan­ton, des­sen Ge­richt sie an­ge­ord­net hat.

2 Hat ei­ne Dritt­per­son die Si­cher­heit ge­leis­tet, so kann auf den Ver­fall ver­zich­tet wer­den, wenn die Dritt­per­son den Be­hör­den recht­zei­tig die In­for­ma­tio­nen ge­lie­fert hat, die ei­ne Er­grei­fung der be­schul­dig­ten Per­son er­mög­licht hät­ten.

3 Über den Ver­fall der Si­cher­heits­leis­tung ent­schei­det die Be­hör­de, bei der die Sa­che hän­gig ist oder zu­letzt hän­gig war.

4 Ei­ne ver­fal­le­ne Si­cher­heits­leis­tung wird in sinn­ge­mäs­ser An­wen­dung von Ar­ti­kel 73 StGB72 zur De­ckung der An­sprü­che der Ge­schä­dig­ten und, wenn ein Über­schuss bleibt, zur De­ckung der Geld­stra­fen, Bus­sen und der Ver­fah­rens­kos­ten ver­wen­det. Ein all­fäl­lig noch ver­blei­ben­der Über­schuss fällt dem Bund oder dem Kan­ton zu.

4. Kapitel: Durchsuchungen und Untersuchungen

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 241 Anordnung

1 Durch­su­chun­gen und Un­ter­su­chun­gen wer­den in ei­nem schrift­li­chen Be­fehl an­ge­ord­net. In drin­gen­den Fäl­len kön­nen sie münd­lich an­ge­ord­net wer­den, sind aber nach­träg­lich schrift­lich zu be­stä­ti­gen.

2 Der Be­fehl be­zeich­net:

a.
die zu durch­su­chen­den oder zu un­ter­su­chen­den Per­so­nen, Räum­lich­kei­ten, Ge­gen­stän­de oder Auf­zeich­nun­gen;
b.
den Zweck der Mass­nah­me;
c.
die mit der Durch­füh­rung be­auf­trag­ten Be­hör­den oder Per­so­nen.

3 Ist Ge­fahr im Ver­zug, so kann die Po­li­zei die Un­ter­su­chung der nicht ein­seh­ba­ren Kör­per­öff­nun­gen und Kör­per­höh­len an­ord­nen und oh­ne Be­fehl Durch­su­chun­gen vor­neh­men; sie in­for­miert dar­über un­ver­züg­lich die zu­stän­di­ge Straf­be­hör­de.

4 Die Po­li­zei kann ei­ne an­ge­hal­te­ne oder fest­ge­nom­me­ne Per­son durch­su­chen, na­ment­lich um die Si­cher­heit von Per­so­nen zu ge­währ­leis­ten.

Art. 242 Durchführung

1 Die durch­füh­ren­den Be­hör­den oder Per­so­nen tref­fen ge­eig­ne­te Si­cher­heits­vor­keh­ren, um das Ziel der Mass­nah­me zu er­rei­chen.

2 Sie kön­nen Per­so­nen un­ter­sa­gen, sich wäh­rend der Durch­su­chung oder Un­ter­su­chung zu ent­fer­nen.

Art. 243 Zufallsfunde

1 Zu­fäl­lig ent­deck­te Spu­ren oder Ge­gen­stän­de, die mit der ab­zu­klä­ren­den Straf­tat nicht in Zu­sam­men­hang ste­hen, aber auf ei­ne an­de­re Straf­tat hin­wei­sen, wer­den si­cher­ge­stellt.

2 Die Ge­gen­stän­de wer­den mit ei­nem Be­richt der Ver­fah­rens­lei­tung über­mit­telt; die­se ent­schei­det über das wei­te­re Vor­ge­hen.

2. Abschnitt: Hausdurchsuchung

Art. 244 Grundsatz

1 Häu­ser, Woh­nun­gen und an­de­re nicht all­ge­mein zu­gäng­li­che Räu­me dür­fen nur mit Ein­wil­li­gung der be­rech­tig­ten Per­son durch­sucht wer­den.

2 Die Ein­wil­li­gung der be­rech­tig­ten Per­son ist nicht nö­tig, wenn zu ver­mu­ten ist, dass in die­sen Räu­men:

a.
ge­such­te Per­so­nen an­we­send sind;
b.
Tat­spu­ren oder zu be­schlag­nah­men­de Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te vor­han­den sind;
c.
Straf­ta­ten be­gan­gen wer­den.

Art. 245 Durchführung

1 Die mit der Durch­füh­rung be­auf­trag­ten Per­so­nen wei­sen zu Be­ginn der Mass­nah­me den Haus­durch­su­chungs­be­fehl vor.

2 An­we­sen­de In­ha­be­rin­nen und In­ha­ber der zu durch­su­chen­den Räu­me ha­ben der Haus­durch­su­chung bei­zu­woh­nen. Sind sie ab­we­send, so ist nach Mög­lich­keit ein voll­jäh­ri­ges Fa­mi­li­en­mit­glied oder ei­ne an­de­re ge­eig­ne­te Per­son bei­zu­zie­hen.

3. Abschnitt: Durchsuchung von Aufzeichnungen

Art. 246 Grundsatz

Schrift­stücke, Ton-, Bild- und an­de­re Auf­zeich­nun­gen, Da­ten­trä­ger so­wie An­la­gen zur Ver­ar­bei­tung und Spei­che­rung von In­for­ma­tio­nen dür­fen durch­sucht wer­den, wenn zu ver­mu­ten ist, dass sich dar­in In­for­ma­tio­nen be­fin­den, die der Be­schlag­nah­me un­ter­lie­gen.

Art. 247 Durchführung

1 Die In­ha­be­rin oder der In­ha­ber kann sich vor­gän­gig zum In­halt der Auf­zeich­nun­gen äus­sern.

2 Zur Prü­fung des In­halts der Auf­zeich­nun­gen, ins­be­son­de­re zur Aus­son­de­rung von Auf­zeich­nun­gen mit ge­schütz­tem In­halt, kön­nen sach­ver­stän­di­ge Per­so­nen bei­ge­zo­gen wer­den.

3 Die In­ha­be­rin oder der In­ha­ber kann der Straf­be­hör­de Ko­pi­en von Auf­zeich­nun­gen und Aus­dru­cke von ge­spei­cher­ten In­for­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung stel­len, wenn dies für das Ver­fah­ren aus­reicht.

Art. 248 Siegelung

1 Auf­zeich­nun­gen und Ge­gen­stän­de, die nach An­ga­ben der In­ha­be­rin oder des In­ha­bers we­gen ei­nes Aus­sa­ge- oder Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rechts oder aus an­de­ren Grün­den nicht durch­sucht oder be­schlag­nahmt wer­den dür­fen, sind zu ver­sie­geln und dür­fen von den Straf­be­hör­den we­der ein­ge­se­hen noch ver­wen­det wer­den.

2 Stellt die Straf­be­hör­de nicht in­nert 20 Ta­gen ein Ent­sie­ge­lungs­ge­such, so wer­den die ver­sie­gel­ten Auf­zeich­nun­gen und Ge­gen­stän­de der be­rech­tig­ten Per­son zu­rück­ge­ge­ben.

3 Stellt sie ein Ent­sie­ge­lungs­ge­such, so ent­schei­det dar­über in­ner­halb ei­nes Mo­nats end­gül­tig:

a.
im Vor­ver­fah­ren: das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt;
b.
in den an­de­ren Fäl­len: das Ge­richt, bei dem der Fall hän­gig ist.

4 Das Ge­richt kann zur Prü­fung des In­halts der Auf­zeich­nun­gen und Ge­gen­stän­de ei­ne sach­ver­stän­di­ge Per­son bei­zie­hen.

4. Abschnitt: Durchsuchung von Personen und von Gegenständen

Art. 249 Grundsatz

Per­so­nen und Ge­gen­stän­de dür­fen oh­ne Ein­wil­li­gung nur durch­sucht wer­den, wenn zu ver­mu­ten ist, dass Tat­spu­ren oder zu be­schlag­nah­men­de Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te ge­fun­den wer­den kön­nen.

Art. 250 Durchführung

1 Die Durch­su­chung von Per­so­nen um­fasst die Kon­trol­le der Klei­der, der mit­ge­führ­ten Ge­gen­stän­de, Be­hält­nis­se und Fahr­zeu­ge, der Kör­pero­ber­flä­che und der ein­seh­ba­ren Kör­per­öff­nun­gen und Kör­per­höh­len.

2 Durch­su­chun­gen, die in den In­tim­be­reich der Be­trof­fe­nen ein­grei­fen, wer­den von Per­so­nen des glei­chen Ge­schlechts oder von ei­ner Ärz­tin oder ei­nem Arzt durch­ge­führt, es sei denn, die Mass­nah­me dul­de kei­nen Auf­schub.

5. Abschnitt: Untersuchungen von Personen

Art. 251 Grundsatz

1 Die Un­ter­su­chung ei­ner Per­son um­fasst die Un­ter­su­chung ih­res kör­per­li­chen oder geis­ti­gen Zu­stands.

2 Die be­schul­dig­te Per­son kann un­ter­sucht wer­den, um:

a.
den Sach­ver­halt fest­zu­stel­len;
b.
ab­zu­klä­ren, ob sie schuld-, ver­hand­lungs- und haf­ter­ste­hungs­fä­hig ist.

3 Ein­grif­fe in die kör­per­li­che In­te­gri­tät der be­schul­dig­ten Per­son kön­nen an­ge­ord­net wer­den, wenn sie we­der be­son­de­re Schmer­zen be­rei­ten noch die Ge­sund­heit ge­fähr­den.

4 Ge­gen­über ei­ner nicht be­schul­dig­ten Per­son sind Un­ter­su­chun­gen und Ein­grif­fe in die kör­per­li­che In­te­gri­tät ge­gen ih­ren Wil­len zu­dem nur zu­läs­sig, wenn sie un­er­läss­lich sind, um ei­ne Straf­tat nach den Ar­ti­keln 111–113, 122, 124, 140, 184, 185, 187, 189, 190 oder 191 StGB73 auf­zu­klä­ren.74

73 SR 311.0

74 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. III des BG vom 30. Sept. 2011, in Kraft seit 1. Ju­li 2012 (AS 2012 2575; BBl 2010 56515677).

Art. 252 Durchführung am Körper

Un­ter­su­chun­gen von Per­so­nen und Ein­grif­fe in die kör­per­li­che In­te­gri­tät wer­den von ei­ner Ärz­tin oder ei­nem Arzt oder von ei­ner an­de­ren me­di­zi­ni­schen Fach­per­son vor­ge­nom­men.

6. Abschnitt: Untersuchungen an Leichen

Art. 253 Aussergewöhnliche Todesfälle

1 Be­ste­hen bei ei­nem To­des­fall An­zei­chen für einen un­na­tür­li­chen Tod, ins­be­son­de­re für ei­ne Straf­tat, oder ist die Iden­ti­tät des Leich­nams un­be­kannt, so ord­net die Staats­an­walt­schaft zur Klä­rung der To­des­art oder zur Iden­ti­fi­zie­rung des Leich­nams ei­ne Le­ga­l­in­spek­ti­on durch ei­ne sach­ver­stän­di­ge Ärz­tin oder einen sach­ver­stän­di­gen Arzt an.

2 Be­ste­hen nach der Le­ga­l­in­spek­ti­on kei­ne Hin­wei­se auf ei­ne Straf­tat und steht die Iden­ti­tät fest, so gibt die Staats­an­walt­schaft die Lei­che zur Be­stat­tung frei.

3 An­dern­falls ord­net die Staats­an­walt­schaft die Si­cher­stel­lung der Lei­che und wei­te­re Un­ter­su­chun­gen durch ei­ne rechts­me­di­zi­ni­sche In­sti­tu­ti­on, nö­ti­gen­falls die Ob­duk­ti­on an. Sie kann die Lei­che oder Tei­le da­von zu­rück­be­hal­ten, so­lan­ge der Zweck der Un­ter­su­chung es er­for­dert.

4 Die Kan­to­ne be­stim­men, wel­che Me­di­zi­nal­per­so­nen ver­pflich­tet sind, aus­ser­ge­wöhn­li­che To­des­fäl­le den Straf­be­hör­den zu mel­den.

Art. 254 Exhumierung

Wenn es zur Auf­klä­rung ei­ner Straf­tat nö­tig er­scheint, kann die Aus­gra­bung ei­ner be­stat­te­ten Lei­che oder die Öff­nung ei­ner Aschenur­ne an­ge­ord­net wer­den.

5. Kapitel: DNA-Analysen

Art. 255 Voraussetzungen im Allgemeinen

1 Zur Auf­klä­rung ei­nes Ver­bre­chens oder ei­nes Ver­ge­hens kann ei­ne Pro­be ge­nom­men und ein DNA-Pro­fil er­stellt wer­den von:

a.
der be­schul­dig­ten Per­son;
b.
an­de­ren Per­so­nen, ins­be­son­de­re Op­fern oder Ta­tort­be­rech­tig­ten, so­weit es not­wen­dig ist, um von ih­nen stam­men­des bio­lo­gi­sches Ma­te­ri­al von je­nem der be­schul­dig­ten Per­son zu un­ter­schei­den;
c.
to­ten Per­so­nen;
d.
ta­tre­le­van­tem bio­lo­gi­schem Ma­te­ri­al.

2 Die Po­li­zei kann an­ord­nen:

a.
die nicht in­va­si­ve Pro­be­nah­me bei Per­so­nen;
b.
die Er­stel­lung ei­nes DNA-Pro­fils von ta­tre­le­van­tem bio­lo­gi­schem Ma­te­ri­al.

Art. 256 Massenuntersuchungen

Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt kann auf An­trag der Staats­an­walt­schaft zur Auf­klä­rung ei­nes Ver­bre­chens die Ent­nah­me von Pro­ben und die Er­stel­lung von DNA‑Pro­fi­len ge­gen­über Per­so­nen an­ord­nen, die be­stimm­te, in Be­zug auf die Tat­be­ge­hung fest­ge­stell­te Merk­ma­le auf­wei­sen.

Art. 257 Bei verurteilten Personen

Das Ge­richt kann in sei­nem Ur­teil an­ord­nen, dass ei­ne Pro­be ge­nom­men und ein DNA-Pro­fil er­stellt wird von Per­so­nen:

a.
die we­gen ei­nes vor­sätz­lich be­gan­ge­nen Ver­bre­chens zu ei­ner Frei­heits­s­tra­fe von mehr als ei­nem Jahr ver­ur­teilt wor­den sind;
b.
die we­gen ei­nes vor­sätz­lich be­gan­ge­nen Ver­bre­chens oder Ver­ge­hens ge­gen Leib und Le­ben oder ge­gen die se­xu­el­le In­te­gri­tät ver­ur­teilt wor­den sind;
c.
ge­gen­über de­nen ei­ne the­ra­peu­ti­sche Mass­nah­me oder die Ver­wah­rung an­ge­ord­net wor­den ist.

Art. 258 Durchführung der Probenahme

In­va­si­ve Pro­be­nah­men wer­den von ei­ner Ärz­tin oder ei­nem Arzt oder von ei­ner an­de­ren me­di­zi­ni­schen Fach­per­son vor­ge­nom­men.

Art. 259 Anwendbarkeit des DNA-Profil-Gesetzes

Im Üb­ri­gen fin­det das DNA-Pro­fil-Ge­setz vom 20. Ju­ni 200375 An­wen­dung.

6. Kapitel: Erkennungsdienstliche Erfassung, Schrift- und Sprachproben

Art. 260 Erkennungsdienstliche Erfassung

1 Bei der er­ken­nungs­dienst­li­chen Er­fas­sung wer­den die Kör­per­merk­ma­le ei­ner Per­son fest­ge­stellt und Ab­drücke von Kör­per­tei­len ge­nom­men.

2 Die Po­li­zei, die Staats­an­walt­schaft und die Ge­rich­te, in drin­gen­den Fäl­len ih­re Ver­fah­rens­lei­tung, kön­nen die er­ken­nungs­dienst­li­che Er­fas­sung an­ord­nen.

3 Die er­ken­nungs­dienst­li­che Er­fas­sung wird in ei­nem schrift­li­chen, kurz be­grün­de­ten Be­fehl an­ge­ord­net. In drin­gen­den Fäl­len kann sie münd­lich an­ge­ord­net wer­den, ist aber nach­träg­lich schrift­lich zu be­stä­ti­gen und zu be­grün­den.

4 Wei­gert sich die be­trof­fe­ne Per­son, sich der An­ord­nung der Po­li­zei zu un­ter­zie­hen, so ent­schei­det die Staats­an­walt­schaft.

Art. 261 Aufbewahrung und Verwendung erkennungsdienstlicher Unterlagen

1 Er­ken­nungs­dienst­li­che Un­ter­la­gen über die be­schul­dig­te Per­son dür­fen aus­ser­halb des Ak­ten­dos­siers wäh­rend fol­gen­der Dau­er auf­be­wahrt und, so­fern ein hin­rei­chen­der Tat­ver­dacht auf ein neu­es De­likt be­steht, auch ver­wen­det wer­den:

a.
im Fal­le ei­ner Ver­ur­tei­lung oder ei­nes Frei­spruchs we­gen Schul­d­un­fä­hig­keit: bis zum Ab­lauf der Fris­ten für die Ent­fer­nung der Ein­trä­ge im Straf­re­gis­ter;
b.
im Fal­le ei­nes Frei­spruchs aus an­dern Grün­den, der Ein­stel­lung oder der Nicht­an­hand­nah­me ei­nes Ver­fah­rens: bis zur Rechts­kraft des Ent­scheids.

2 Ist in ei­nem Fall von Ab­satz 1 Buch­sta­be b auf­grund be­stimm­ter Tat­sa­chen zu er­war­ten, dass die er­ken­nungs­dienst­li­chen Un­ter­la­gen über die be­schul­dig­te Per­son der Auf­klä­rung künf­ti­ger Straf­ta­ten die­nen könn­ten, so dür­fen sie mit Zu­stim­mung der Ver­fah­rens­lei­tung wäh­rend höchs­tens 10 Jah­ren seit Rechts­kraft des Ent­schei­des auf­be­wahrt und ver­wen­det wer­den.

3 Er­ken­nungs­dienst­li­che Un­ter­la­gen über nicht be­schul­dig­te Per­so­nen sind zu ver­nich­ten, so­bald das Ver­fah­ren ge­gen die be­schul­dig­te Per­son ab­ge­schlos­sen oder ein­ge­stellt wur­de oder ent­schie­den wur­de, es nicht an die Hand zu neh­men.

4 Ist das In­ter­es­se an der Auf­be­wah­rung und Ver­wen­dung vor Ab­lauf der Fris­ten nach den Ab­sät­zen 1–3 of­fen­sicht­lich da­hin­ge­fal­len, so sind die er­ken­nungs­dienst­li­chen Un­ter­la­gen zu ver­nich­ten.

Art. 262 Schrift- und Sprachproben

1 Be­schul­dig­te Per­so­nen, Zeu­gin­nen und Zeu­gen so­wie Aus­kunfts­per­so­nen kön­nen da­zu an­ge­hal­ten wer­den, für einen Schrift- oder Sprach­ver­gleich Schrift- oder Sprach­pro­ben ab­zu­ge­ben.

2 Per­so­nen, die sich der Ab­ga­be sol­cher Pro­ben wi­der­set­zen, kön­nen mit Ord­nungs­bus­se be­straft wer­den. Aus­ge­nom­men sind die be­schul­dig­te Per­son und, im Um­fang ih­res Ver­wei­ge­rungs­rechts, Per­so­nen, die zur Aus­sa­ge- oder Zeug­nis­ver­wei­ge­rung be­rech­tigt sind.

7. Kapitel: Beschlagnahme

Art. 263 Grundsatz

1 Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te ei­ner be­schul­dig­ten Per­son oder ei­ner Dritt­per­son kön­nen be­schlag­nahmt wer­den, wenn die Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te vor­aus­sicht­lich:

a.
als Be­weis­mit­tel ge­braucht wer­den;
b.
zur Si­cher­stel­lung von Ver­fah­rens­kos­ten, Geld­stra­fen, Bus­sen und Ent­schä­di­gun­gen ge­braucht wer­den;
c.
den Ge­schä­dig­ten zu­rück­zu­ge­ben sind;
d.
ein­zu­zie­hen sind.

2 Die Be­schlag­nah­me ist mit ei­nem schrift­li­chen, kurz be­grün­de­ten Be­fehl an­zu­ord­nen. In drin­gen­den Fäl­len kann sie münd­lich an­ge­ord­net wer­den, ist aber nach­träg­lich schrift­lich zu be­stä­ti­gen.

3 Ist Ge­fahr im Ver­zug, so kön­nen die Po­li­zei oder Pri­va­te Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te zu­han­den der Staats­an­walt­schaft oder der Ge­rich­te vor­läu­fig si­cher­stel­len.

Art. 264 Einschränkungen

1 Nicht be­schlag­nahmt wer­den dür­fen, un­ge­ach­tet des Or­tes, wo sie sich be­fin­den, und des Zeit­punk­tes, in wel­chem sie ge­schaf­fen wor­den sind:

a.
Un­ter­la­gen aus dem Ver­kehr der be­schul­dig­ten Per­son mit ih­rer Ver­tei­di­gung;
b.
per­sön­li­che Auf­zeich­nun­gen und Kor­re­spon­denz der be­schul­dig­ten Per­son, wenn ihr In­ter­es­se am Schutz der Per­sön­lich­keit das Straf­ver­fol­gungs­in­ter­es­se über­wiegt;
c.76
Ge­gen­stän­de und Un­ter­la­gen aus dem Ver­kehr der be­schul­dig­ten Per­son mit Per­so­nen, die nach den Ar­ti­keln 170–173 das Zeug­nis ver­wei­gern kön­nen und im glei­chen Sach­zu­sam­men­hang nicht sel­ber be­schul­digt sind;
d.77
Ge­gen­stän­de und Un­ter­la­gen aus dem Ver­kehr ei­ner an­de­ren Per­son mit ih­rer An­wäl­tin oder ih­rem An­walt, so­fern die An­wäl­tin oder der An­walt nach dem An­walts­ge­setz vom 23. Ju­ni 200078 zur Ver­tre­tung vor schwei­ze­ri­schen Ge­rich­ten be­rech­tigt ist und im glei­chen Sach­zu­sam­men­hang nicht sel­ber be­schul­digt ist.

2 Die Ein­schrän­kun­gen nach Ab­satz 1 gel­ten nicht für Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te, die zur Rück­ga­be an die ge­schä­dig­te Per­son oder zur Ein­zie­hung be­schlag­nahmt wer­den müs­sen.

3 Macht ei­ne be­rech­tig­te Per­son gel­tend, ei­ne Be­schlag­nah­me von Ge­gen­stän­den und Ver­mö­gens­wer­ten sei we­gen ei­nes Aus­sa­ge- oder Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rechts oder aus an­de­ren Grün­den nicht zu­läs­sig, so ge­hen die Straf­be­hör­den nach den Vor­schrif­ten über die Sie­ge­lung vor.

76 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 6 des BG vom 28. Sept. 2012 über die An­pas­sung von ver­fah­rens­recht­li­chen Be­stim­mun­gen zum an­walt­li­chen Be­rufs­ge­heim­nis, in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 2013 847; BBl 2011 8181).

77 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 6 des BG vom 28. Sept. 2012 über die An­pas­sung von ver­fah­rens­recht­li­chen Be­stim­mun­gen zum an­walt­li­chen Be­rufs­ge­heim­nis, in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 2013 847; BBl 2011 8181).

78 SR 935.61

Art. 265 Herausgabepflicht

1 Die In­ha­be­rin oder der In­ha­ber ist ver­pflich­tet, Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te, die be­schlag­nahmt wer­den sol­len, her­aus­zu­ge­ben.

2 Kei­ne Her­aus­ga­be­pflicht ha­ben:

a.
die be­schul­dig­te Per­son;
b.
Per­so­nen, die zur Aus­sa­ge- oder Zeug­nis­ver­wei­ge­rung be­rech­tigt sind, im Um­fang ih­res Ver­wei­ge­rungs­rechts;
c.
Un­ter­neh­men, wenn sie sich durch die Her­aus­ga­be selbst der­art be­las­ten wür­den, dass sie:
1.
straf­recht­lich ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den könn­ten, oder
2.
zi­vil­recht­lich ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den könn­ten, und wenn das Schut­z­in­ter­es­se das Straf­ver­fol­gungs­in­ter­es­se über­wiegt.

3 Die Straf­be­hör­de kann die zur Her­aus­ga­be ver­pflich­te­te Per­son zur Her­aus­ga­be auf­for­dern, ihr ei­ne Frist set­zen und sie für den Fall der Nicht­be­ach­tung auf die Straf­dro­hung von Ar­ti­kel 292 StGB79 oder die Mög­lich­keit ei­ner Ord­nungs­bus­se hin­wei­sen.

4 Zwangs­mass­nah­men sind nur zu­läs­sig, wenn die Her­aus­ga­be ver­wei­gert wur­de oder an­zu­neh­men ist, dass die Auf­for­de­rung zur Her­aus­ga­be den Zweck der Mass­nah­me ver­ei­teln wür­de.

Art. 266 Durchführung

1 Die an­ord­nen­de Straf­be­hör­de be­stä­tigt im Be­schlag­nah­me­be­fehl oder in ei­ner se­pa­ra­ten Quit­tung den Emp­fang der be­schlag­nahm­ten oder her­aus­ge­ge­be­nen Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te.

2 Sie er­stellt ein Ver­zeich­nis und be­wahrt die Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te sach­ge­mä­ss auf.

3 Wer­den Lie­gen­schaf­ten be­schlag­nahmt, so wird ei­ne Grund­buch­sper­re an­ge­ord­net; die­se wird im Grund­buch an­ge­merkt.

4 Die Be­schlag­nah­me ei­ner For­de­rung wird der Schuld­ne­rin oder dem Schuld­ner an­ge­zeigt, mit dem Hin­weis, dass ei­ne Zah­lung an die Gläu­bi­ge­rin oder den Gläu­bi­ger die Schuld­ver­pflich­tung nicht tilgt.

5 Ge­gen­stän­de, die ei­ner schnel­len Wert­ver­min­de­rung un­ter­lie­gen oder einen kost­spie­li­gen Un­ter­halt er­for­dern, so­wie Wert­pa­pie­re oder an­de­re Wer­te mit ei­nem Bör­sen- oder Markt­preis kön­nen nach den Be­stim­mun­gen des Bun­des­ge­set­zes vom 11. April 188980 über Schuld­be­trei­bung und Kon­kurs (SchKG) so­fort ver­wer­tet wer­den. Der Er­lös wird mit Be­schlag be­legt.

6 Der Bun­des­rat re­gelt die An­la­ge be­schlag­nahm­ter Ver­mö­gens­wer­te.

Art. 267 Entscheid über die beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte


1 Ist der Grund für die Be­schlag­nah­me weg­ge­fal­len, so hebt die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt die Be­schlag­nah­me auf und hän­digt die Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te der be­rech­tig­ten Per­son aus.

2 Ist un­be­strit­ten, dass ein Ge­gen­stand oder Ver­mö­gens­wert ei­ner be­stimm­ten Per­son durch die Straf­tat un­mit­tel­bar ent­zo­gen wor­den ist, so gibt die Straf­be­hör­de ihn der be­rech­tig­ten Per­son vor Ab­schluss des Ver­fah­rens zu­rück.

3 Ist die Be­schlag­nah­me ei­nes Ge­gen­stan­des oder Ver­mö­gens­wer­tes nicht vor­her auf­ge­ho­ben wor­den, so ist über sei­ne Rück­ga­be an die be­rech­tig­te Per­son, sei­ne Ver­wen­dung zur Kos­ten­de­ckung oder über sei­ne Ein­zie­hung im En­dent­scheid zu be­fin­den.

4 Er­he­ben meh­re­re Per­so­nen An­spruch auf Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te, de­ren Be­schlag­nah­me auf­zu­he­ben ist, so kann das Ge­richt dar­über ent­schei­den.

5 Die Straf­be­hör­de kann die Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te ei­ner Per­son zu­spre­chen und den üb­ri­gen An­spre­che­rin­nen oder An­spre­chern Frist zur An­he­bung von Zi­vil­kla­gen set­zen.

6 Sind im Zeit­punkt der Auf­he­bung der Be­schlag­nah­me die Be­rech­tig­ten nicht be­kannt, so schreibt die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt die Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te zur An­mel­dung von An­sprü­chen öf­fent­lich aus. Er­hebt in­nert fünf Jah­ren seit der Aus­schrei­bung nie­mand An­spruch, so fal­len die be­schlag­nahm­ten Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te an den Kan­ton oder den Bund.

Art. 268 Beschlagnahme zur Kostendeckung

1 Vom Ver­mö­gen der be­schul­dig­ten Per­son kann so viel be­schlag­nahmt wer­den, als vor­aus­sicht­lich nö­tig ist zur De­ckung:

a.
der Ver­fah­rens­kos­ten und Ent­schä­di­gun­gen;
b.
der Geld­stra­fen und Bus­sen.

2 Die Straf­be­hör­de nimmt bei der Be­schlag­nah­me auf die Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se der be­schul­dig­ten Per­son und ih­rer Fa­mi­lie Rück­sicht.

3 Von der Be­schlag­nah­me aus­ge­nom­men sind Ver­mö­gens­wer­te, die nach den Ar­ti­keln 92–94 SchKG81 nicht pfänd­bar sind.

8. Kapitel: Geheime Überwachungsmassnahmen

1. Abschnitt: Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs

Art. 269 Voraussetzungen

1 Die Staats­an­walt­schaft kann den Post- und den Fern­mel­de­ver­kehr über­wa­chen las­sen, wenn:

a.
der drin­gen­de Ver­dacht be­steht, ei­ne in Ab­satz 2 ge­nann­te Straf­tat sei be­gan­gen wor­den;
b.
die Schwe­re der Straf­tat die Über­wa­chung recht­fer­tigt; und
c.
die bis­he­ri­gen Un­ter­su­chungs­hand­lun­gen er­folg­los ge­blie­ben sind oder die Er­mitt­lun­gen sonst aus­sichts­los wä­ren oder un­ver­hält­nis­mäs­sig er­schwert wür­den.

2 Ei­ne Über­wa­chung kann zur Ver­fol­gung der in den fol­gen­den Ar­ti­keln auf­ge­führ­ten Straf­ta­ten an­ge­ord­net wer­den:

a.82
StGB: Ar­ti­kel 111–113, 115, 118 Ab­satz 2, 122, 124, 127, 129, 135, 138–140, 143, 144 Ab­satz 3, 144bis Zif­fer 1 Ab­satz 2 und Zif­fer 2 Ab­satz 2, 146–148, 156, 157 Zif­fer 2, 158 Zif­fer 1 Ab­satz 3 und Zif­fer 2, 160, 163 Zif­fer 1, 180–185bis, 187, 188 Zif­fer 1, 189–191, 192 Ab­satz 1, 195–197, 220, 221 Ab­sät­ze 1 und 2, 223 Zif­fer 1, 224 Ab­satz 1, 226, 227 Zif­fer 1 Ab­satz 1, 228 Zif­fer 1 Ab­satz 1, 230bis, 231, 232 Zif­fer 1, 233 Zif­fer 1, 234 Ab­satz 1, 237 Zif­fer 1, 238 Ab­satz 1, 240 Ab­satz 1, 242, 244, 251 Zif­fer 1, 258, 259 Ab­satz 1, 260bis–260se­xies, 261bis, 264–267, 271, 272 Zif­fer 2, 273, 274 Zif­fer 1 Ab­satz 2, 285, 301, 303 Zif­fer 1, 305, 305bis Zif­fer 2, 310, 312, 314, 317 Zif­fer 1, 319, 322ter, 322qua­ter und 322sep­ties;
b.83
Aus­län­der- und In­te­gra­ti­ons­ge­setz84 vom 16. De­zem­ber 200585: Ar­ti­kel 116 Ab­satz 3 und 118 Ab­satz 3;
c.
Bun­des­ge­setz vom 22. Ju­ni 200186 zum Haa­ger Ad­op­ti­ons­über­ein­kom­men und über Mass­nah­men zum Schutz des Kin­des bei in­ter­na­tio­na­len Ad­op­tio­nen: Ar­ti­kel 24;
d.87
Kriegs­ma­te­ri­al­ge­setz vom 13. De­zem­ber 199688: Ar­ti­kel 33 Ab­satz 2 und
34–35b;
e.
Kern­ener­gie­ge­setz vom 21. März 200389: Ar­ti­kel 88 Ab­sät­ze 1 und 2, 89 Ab­sät­ze 1 und 2 und 90 Ab­satz 1;
f.90
Be­täu­bungs­mit­tel­ge­setz vom 3. Ok­to­ber 195191: Ar­ti­kel 19 Ab­satz 2 so­wie 20 Ab­satz 2;
g.
Um­welt­schutz­ge­setz vom 7. Ok­to­ber 198392: Ar­ti­kel 60 Ab­satz 1 Buch­sta­ben g–i so­wie m und o;
h.
Gü­ter­kon­troll­ge­setz vom 13. De­zem­ber 199693: Ar­ti­kel 14 Ab­satz 2;
i.94
Sport­för­de­rungs­ge­setz vom 17. Ju­ni 201195: Ar­ti­kel 22 Ab­satz 2 und 25a Ab­satz 3;
j.96
Fi­nanz­marktin­fra­struk­tur­ge­setz vom 19. Ju­ni 201597: Ar­ti­kel 154 und 155;
k.98
Waf­fen­ge­setz vom 20. Ju­ni 199799: Ar­ti­kel 33 Ab­satz 3;
l.100
Heil­mit­tel­ge­setz vom 15. De­zem­ber 2000101: Ar­ti­kel 86 Ab­sät­ze 2 und 3;
m.102
Geld­spiel­ge­setz vom 29. Sep­tem­ber 2017103: Ar­ti­kel 130 Ab­satz 2 für die Straf­ta­ten nach Ar­ti­kel 130 Ab­satz 1 Buch­sta­be a;
n.104
Nach­rich­ten­dienst­ge­setz vom 25. Sep­tem­ber 2015105: Ar­ti­kel 74 Ab­satz 4.

3 Wird die Be­ur­tei­lung ei­ner der mi­li­tä­ri­schen Ge­richts­bar­keit un­ter­ste­hen­den Straf­tat der zi­vi­len Ge­richts­bar­keit über­tra­gen, so kann die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs auch an­ge­ord­net wer­den zur Ver­fol­gung der in Ar­ti­kel 70 Ab­satz 2 des Mi­li­tär­straf­pro­zes­ses vom 23. März 1979106 auf­ge­führ­ten Straf­ta­ten.

82 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 3 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

83 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

84 Der Ti­tel wur­de in An­wen­dung von Art. 12 Abs. 2 des Pu­bli­ka­ti­ons­ge­set­zes vom 18. Ju­ni 2004 (SR 170.512) auf den 1. Jan. 2019 an­ge­passt. Die­se An­pas­sung wur­de im gan­zen Text vor­ge­nom­men.

85 SR 142.20

86 SR 211.221.31

87 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. II des BG vom 16. März 2012, in Kraft seit 1. Fe­br. 2013 (AS 2013 295; BBl 20115905).

88 SR 514.51

89 SR 732.1

90 Be­rich­ti­gung der RedK der BVers vom 19. Sept. 2011, ver­öf­fent­licht am 4. Okt. 2011 (AS 2011 4487).

91 SR 812.121

92 SR 814.01

93 SR 946.202

94 Ein­ge­fügt durch Art. 34 Ziff. 2 des Sport­för­de­rungs­ge­set­zes vom 17. Ju­ni 2011 (AS 2012 3953; BBl 2009 8189). Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 2 des Geld­spiel­ge­set­zes vom 29. Sept. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 5103; BBl 2015 8387).

95 SR 415.0

96 Ein­ge­fügt durch Ziff. II 4 des BG vom 28. Sept. 2012 (AS 2013 1103; BBl 2011 6873). Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 4 des Fi­nanz­marktin­fra­struk­tur­ge­set­zes vom 19. Ju­ni 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 5339; BBl 2014 7483).

97 SR 958.1

98 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

99 SR 514.54

100 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. 1 des BB vom 29. Sept. 2017 (Me­di­cri­me-Kon­ven­ti­on), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 4771; BBl 2017 3135).

101 SR 812.21

102 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 2 des Geld­spiel­ge­set­zes vom 29. Sept. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 5103; BBl 2015 8387).

103 SR 935.51

104 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 3 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

105 SR 121

106 SR 322.1

Art. 269bis Einsatz von besonderen technischen Geräten zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs 107

1 Die Staats­an­walt­schaft kann den Ein­satz be­son­de­rer tech­ni­scher Ge­rä­te zur Über­wa­chung des Fern­mel­de­ver­kehrs an­ord­nen, um Ge­sprä­che mit­zu­hö­ren oder auf­zu­neh­men oder ei­ne Per­son oder Sa­che zu iden­ti­fi­zie­ren oder de­ren Stand­ort zu er­mit­teln, wenn:

a.
die Vor­aus­set­zun­gen von Ar­ti­kel 269 er­füllt sind;
b.
die bis­he­ri­gen Mass­nah­men zur Über­wa­chung des Fern­mel­de­ver­kehrs nach Ar­ti­kel 269 er­folg­los ge­blie­ben sind oder die Über­wa­chung mit die­sen Mass­nah­men aus­sichts­los wä­re oder un­ver­hält­nis­mäs­sig er­schwert wür­de;
c.
die für den Ein­satz die­ser Ge­rä­te auf­grund des Fern­mel­de­rechts nö­ti­gen Be­wil­li­gun­gen zum Zeit­punkt des Ein­sat­zes vor­lie­gen.

2 Die Staats­an­walt­schaft führt ei­ne Sta­tis­tik über die­se Über­wa­chun­gen. Der Bun­des­rat re­gelt die Ein­zel­hei­ten.

107 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

Art. 269ter Einsatz von besonderen Informatikprogrammen zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs 108

1 Die Staats­an­walt­schaft kann das Ein­schleu­sen von be­son­de­ren In­for­ma­tik­pro­gram­men in ein Da­ten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem an­ord­nen, um den In­halt der Kom­mu­ni­ka­ti­on und die Rand­da­ten des Fern­mel­de­ver­kehrs in un­ver­schlüs­sel­ter Form ab­zu­fan­gen und aus­zu­lei­ten, wenn:

a.
die Be­din­gun­gen von Ar­ti­kel 269 Ab­sät­ze 1 und 3 er­füllt sind;
b.
es sich um die Ver­fol­gung ei­ner in Ar­ti­kel 286 Ab­satz 2 ge­nann­ten Straf­tat han­delt;
c.
die bis­he­ri­gen Mass­nah­men zur Über­wa­chung des Fern­mel­de­ver­kehrs nach Ar­ti­kel 269 er­folg­los ge­blie­ben sind oder die Über­wa­chung mit die­sen Mass­­nah­men aus­sichts­los wä­re oder un­ver­hält­nis­mäs­sig er­schwert wür­de.

2 Die Staats­an­walt­schaft be­zeich­net in der Über­wa­chungs­an­ord­nung:

a.
die ge­wünsch­ten Da­ten­ty­pen; und
b.
die nicht öf­fent­li­chen Räum­lich­kei­ten, in die al­len­falls ein­ge­drun­gen wer­den muss, um be­son­de­re In­for­ma­tik­pro­gram­me in das be­tref­fen­de Da­ten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem ein­zu­schleu­sen.

3 Durch Ab­satz 1 nicht ge­deck­te Da­ten, die beim Ein­satz sol­cher In­for­ma­tik­pro­gram­me ge­sam­melt wer­den, sind so­fort zu ver­nich­ten. Durch sol­che Da­ten er­lang­te Er­kennt­nis­se dür­fen nicht ver­wer­tet wer­den.

4 Die Staats­an­walt­schaft führt ei­ne Sta­tis­tik über die­se Über­wa­chun­gen. Der Bun­des­rat re­gelt die Ein­zel­hei­ten.

108 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

Art. 269quater Anforderungen an die besonderen Informatikprogramme zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs 109

1 Es dür­fen nur be­son­de­re In­for­ma­tik­pro­gram­me ein­ge­setzt wer­den, wel­che die Über­wa­chung lücken­los und un­ver­än­der­bar pro­to­kol­lie­ren. Das Pro­to­koll ge­hört zu den Ver­fah­rens­ak­ten.

2 Die Aus­lei­tung aus dem über­wach­ten Da­ten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem bis zur zu­stän­di­gen Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de er­folgt ge­si­chert.

3 Die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de stellt si­cher, dass der Quell­co­de über­prüft wer­den kann zwecks Prü­fung, dass das Pro­gramm nur über ge­setz­lich zu­läs­si­ge Funk­tio­nen ver­fügt.

109 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

Art. 270 Gegenstand der Überwachung

Es dür­fen Post- und Fern­mel­de­ver­kehr fol­gen­der Per­so­nen über­wacht wer­den:110

a.
der be­schul­dig­ten Per­son;
b.
von Dritt­per­so­nen, wenn auf­grund be­stimm­ter Tat­sa­chen an­ge­nom­men wer­den muss, dass:
1.111
die be­schul­dig­te Per­son die Po­st­adres­se oder den Fern­mel­de­dienst der Dritt­per­son be­nutzt, oder
2.
die Dritt­per­son für die be­schul­dig­te Per­son be­stimm­te Mit­tei­lun­gen ent­ge­gen­nimmt oder von die­ser stam­men­de Mit­tei­lun­gen an ei­ne wei­te­re Per­son wei­ter­lei­tet.

110 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

111 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

Art. 271 Schutz von Berufsgeheimnissen 112

1 Bei der Über­wa­chung ei­ner Per­son, die ei­ner in den Ar­ti­keln 170–173 ge­nann­ten Be­rufs­grup­pe an­ge­hört, sind In­for­ma­tio­nen, die mit dem Ge­gen­stand der Er­mitt­lun­gen und dem Grund, aus dem die­se Per­son über­wacht wird, nicht in Zu­sam­men­hang ste­hen, un­ter der Lei­tung ei­nes Ge­rich­tes aus­zu­son­dern. Da­bei dür­fen der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de kei­ne Be­rufs­ge­heim­nis­se zur Kennt­nis ge­lan­gen. Die aus­ge­son­der­ten Da­ten sind so­fort zu ver­nich­ten; sie dür­fen nicht aus­ge­wer­tet wer­den.

2 In­for­ma­tio­nen nach Ab­satz 1 müs­sen nicht vor­gän­gig aus­ge­son­dert wer­den, wenn:

a.
der drin­gen­de Tat­ver­dacht ge­gen die Trä­ge­rin oder den Trä­ger des Be­rufs­ge­heim­nis­ses sel­ber be­steht; und
b.
be­son­de­re Grün­de es er­for­dern.

3 Bei der Über­wa­chung an­de­rer Per­so­nen sind, so­bald fest­steht, dass die­se mit ei­ner in den Ar­ti­keln 170–173 ge­nann­ten Per­son Ver­bin­dung ha­ben, In­for­ma­tio­nen zur Kom­mu­ni­ka­ti­on mit die­ser Per­son ge­mä­ss Ab­satz 1 aus­zu­son­dern. In­for­ma­tio­nen, über wel­che ei­ne in den Ar­ti­keln 170–173 ge­nann­te Per­son das Zeug­nis ver­wei­gern kann, sind aus den Ver­fah­rens­ak­ten aus­zu­son­dern und so­fort zu ver­nich­ten; sie dür­fen nicht aus­ge­wer­tet wer­den.

112 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

Art. 272 Genehmigungspflicht und Rahmenbewilligung

1 Die Über­wa­chung des Post- und des Fern­mel­de­ver­kehrs be­darf der Ge­neh­mi­gung durch das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt.

2 Er­ge­ben die Er­mitt­lun­gen, dass die zu über­wa­chen­de Per­son in ra­scher Fol­ge den Fern­mel­de­dienst wech­selt, so kann das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt aus­nahms­wei­se die Über­wa­chung al­ler iden­ti­fi­zier­ten Diens­te be­wil­li­gen, über wel­che die zu über­wa­chen­de Per­son ih­ren Fern­mel­de­ver­kehr ab­wi­ckelt, oh­ne dass je­des Mal ei­ne Ge­neh­mi­gung im Ein­zel­fall nö­tig ist (Rah­men­be­wil­li­gung).113 Die Staats­an­walt­schaft un­ter­brei­tet dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt mo­nat­lich und nach Ab­schluss der Über­wa­chung einen Be­richt zur Ge­neh­mi­gung.

3 Er­for­dert die Über­wa­chung ei­nes Diens­tes im Rah­men ei­ner Rah­men­be­wil­li­gung Vor­keh­ren zum Schutz von Be­rufs­ge­heim­nis­sen und sind die Vor­keh­ren in der Rah­men­be­wil­li­gung nicht ent­hal­ten, so ist die­se ein­zel­ne Über­wa­chung dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt zur Ge­neh­mi­gung zu un­ter­brei­ten.114

113 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

114 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

Art. 273 Teilnehmeridentifikation, Standortermittlung und technische Merkmale des Verkehrs 115

1 Be­steht der drin­gen­de Ver­dacht, ein Ver­bre­chen, ein Ver­ge­hen oder ei­ne Über­tre­tung nach Ar­ti­kel 179sep­ties StGB116 sei be­gan­gen wor­den, und sind die Vor­aus­set­zun­gen nach Ar­ti­kel 269 Ab­satz 1 Buch­sta­ben b und c die­ses Ge­set­zes er­füllt, so kann die Staats­an­walt­schaft die Rand­da­ten des Fern­mel­de­ver­kehrs ge­mä­ss Ar­ti­kel 8 Buch­sta­be b des Bun­des­ge­set­zes vom 18. März 2016117 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs (BÜPF) und die Rand­da­ten des Post­ver­kehrs ge­mä­ss Ar­ti­kel 19 Ab­satz 1 Buch­sta­be b BÜPF der über­wach­ten Per­son ver­lan­gen.

2 Die An­ord­nung be­darf der Ge­neh­mi­gung durch das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt.

3 Aus­künf­te nach Ab­satz 1 kön­nen un­ab­hän­gig von der Dau­er der Über­wa­chung und bis 6 Mo­na­te rück­wir­kend ver­langt wer­den.

115 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

116 SR 311.0

117 SR 780.1

Art. 274 Genehmigungsverfahren

1 Die Staats­an­walt­schaft reicht dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt in­nert 24 Stun­den seit der An­ord­nung der Über­wa­chung oder der Aus­kunft­s­er­tei­lung fol­gen­de Un­ter­la­gen ein:

a.
die An­ord­nung;
b.
die Be­grün­dung und die für die Ge­neh­mi­gung we­sent­li­chen Ver­fah­rens­ak­ten.

2 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ent­schei­det mit kur­z­er Be­grün­dung in­nert 5 Ta­gen seit der An­ord­nung der Über­wa­chung oder der Aus­kunft­s­er­tei­lung. Es kann die Ge­neh­mi­gung vor­läu­fig oder mit Auf­la­gen er­tei­len oder ei­ne Er­gän­zung der Ak­ten oder wei­te­re Ab­klä­run­gen ver­lan­gen.

3 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt er­öff­net den Ent­scheid un­ver­züg­lich der Staats­an­walt­schaft so­wie dem Dienst für die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs nach Ar­ti­kel 3 BÜPF118.119

4 Die Ge­neh­mi­gung äus­sert sich aus­drück­lich dar­über:

a.
wel­che Vor­keh­ren zum Schutz von Be­rufs­ge­heim­nis­sen ge­trof­fen wer­den müs­sen;
b.
ob in nicht öf­fent­li­che Räum­lich­kei­ten ein­ge­drun­gen wer­den darf, um be­son­de­re In­for­ma­tik­pro­gram­me zur Über­wa­chung des Fern­mel­de­ver­kehrs in das be­tref­fen­de Da­ten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem ein­zu­schleu­sen.120

5 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt er­teilt die Ge­neh­mi­gung für höchs­tens 3 Mo­na­te. Die Ge­neh­mi­gung kann ein- oder mehr­mals um je­weils höchs­tens 3 Mo­na­te ver­län­gert wer­den. Ist ei­ne Ver­län­ge­rung not­wen­dig, so stellt die Staats­an­walt­schaft vor Ab­lauf der be­wil­lig­ten Dau­er einen be­grün­de­ten Ver­län­ge­rungs­an­trag.

118 SR 780.1

119 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

120 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

Art. 275 Beendigung der Überwachung

1 Die Staats­an­walt­schaft be­en­det die Über­wa­chung un­ver­züg­lich, wenn:

a.
die Vor­aus­set­zun­gen nicht mehr er­füllt sind; oder
b.
die Ge­neh­mi­gung oder die Ver­län­ge­rung ver­wei­gert wird.

2 Die Staats­an­walt­schaft teilt dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt im Fall von Ab­satz 1 Buch­sta­be a die Be­en­di­gung der Über­wa­chung mit.

Art. 276 Nicht benötigte Ergebnisse

1 Die aus ge­neh­mig­ten Über­wa­chun­gen stam­men­den Auf­zeich­nun­gen, die für das Straf­ver­fah­ren nicht not­wen­dig sind, wer­den von den Ver­fah­rens­ak­ten ge­son­dert auf­be­wahrt und un­mit­tel­bar nach Ab­schluss des Ver­fah­rens ver­nich­tet.

2 Post­sen­dun­gen kön­nen so lan­ge si­cher­ge­stellt wer­den, als dies für das Straf­ver­fah­ren not­wen­dig ist; sie sind den Adres­sa­tin­nen und Adres­sa­ten her­aus­zu­ge­ben, so­bald es der Stand des Ver­fah­rens er­laubt.

Art. 277 Verwertbarkeit von Ergebnissen aus nicht genehmigten Überwachungen


1 Do­ku­men­te und Da­ten­trä­ger aus nicht ge­neh­mig­ten Über­wa­chun­gen sind so­fort zu ver­nich­ten. Post­sen­dun­gen sind so­fort den Adres­sa­tin­nen und Adres­sa­ten zu­zu­stel­len.

2 Durch die Über­wa­chung ge­won­ne­ne Er­kennt­nis­se dür­fen nicht ver­wer­tet wer­den.

Art. 278 Zufallsfunde

1 Wer­den durch die Über­wa­chung an­de­re Straf­ta­ten als die in der Über­wa­chungs­an­ord­nung auf­ge­führ­ten be­kannt, so kön­nen die Er­kennt­nis­se ge­gen die be­schul­dig­te Per­son ver­wen­det wer­den, wenn zur Ver­fol­gung die­ser Straf­ta­ten ei­ne Über­wa­chung hät­te an­ge­ord­net wer­den dür­fen.

1bis Wer­den bei ei­ner Über­wa­chung nach den Ar­ti­keln 35 und 36 BÜPF121 straf­ba­re Hand­lun­gen be­kannt, so dür­fen die Er­kennt­nis­se un­ter den Vor­aus­set­zun­gen der Ab­sät­ze 2 und 3 ver­wen­det wer­den. 122

2 Er­kennt­nis­se über Straf­ta­ten ei­ner Per­son, die in der An­ord­nung kei­ner straf­ba­ren Hand­lung be­schul­digt wird, kön­nen ver­wen­det wer­den, wenn die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Über­wa­chung die­ser Per­son er­füllt sind.

3 In Fäl­len nach den Ab­sät­zen 1, 1bis und 2 ord­net die Staats­an­walt­schaft un­ver­züg­lich die Über­wa­chung an und lei­tet das Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren ein.123

4 Auf­zeich­nun­gen, die nicht als Zu­falls­fun­de ver­wen­det wer­den dür­fen, sind von den Ver­fah­rens­ak­ten ge­son­dert auf­zu­be­wah­ren und nach Ab­schluss des Ver­fah­rens zu ver­nich­ten.

5 Für die Fahn­dung nach ge­such­ten Per­so­nen dür­fen sämt­li­che Er­kennt­nis­se ei­ner Über­wa­chung ver­wen­det wer­den.

121 SR 780.1

122 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125). Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

123 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

Art. 279 Mitteilung

1 Die Staats­an­walt­schaft teilt der über­wach­ten be­schul­dig­ten Per­son und den nach Ar­ti­kel 270 Buch­sta­be b über­wach­ten Dritt­per­so­nen spä­tes­tens mit Ab­schluss des Vor­ver­fah­rens Grund, Art und Dau­er der Über­wa­chung mit.

2 Die Mit­tei­lung kann mit Zu­stim­mung des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts auf­ge­scho­ben oder un­ter­las­sen wer­den, wenn:

a.
die Er­kennt­nis­se nicht zu Be­weis­zwe­cken ver­wen­det wer­den; und
b.
der Auf­schub oder das Un­ter­las­sen zum Schut­ze über­wie­gen­der öf­fent­li­cher oder pri­va­ter In­ter­es­sen not­wen­dig ist.

3 Per­so­nen, de­ren Post- oder Fern­mel­de­ver­kehr über­wacht wur­de oder die die über­wach­te Po­st­adres­se oder den über­wach­ten Fern­mel­de­dienst mit­be­nutzt ha­ben, kön­nen Be­schwer­de nach den Ar­ti­kel 393–397 füh­ren.124 Die Be­schwer­de­frist be­ginnt mit Er­halt der Mit­tei­lung zu lau­fen.

124 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

2. Abschnitt: Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten

Art. 280 Zweck des Einsatzes

Die Staats­an­walt­schaft kann tech­ni­sche Über­wa­chungs­ge­rä­te ein­set­zen, um:

a.
das nicht öf­fent­lich ge­spro­che­ne Wort ab­zu­hö­ren oder auf­zu­zeich­nen;
b.
Vor­gän­ge an nicht öf­fent­li­chen oder nicht all­ge­mein zu­gäng­li­chen Or­ten zu be­ob­ach­ten oder auf­zu­zeich­nen;
c.
den Stand­ort von Per­so­nen oder Sa­chen fest­zu­stel­len.

Art. 281 Voraussetzung und Durchführung

1 Der Ein­satz darf nur ge­gen­über der be­schul­dig­ten Per­son an­ge­ord­net wer­den.

2 Räum­lich­kei­ten oder Fahr­zeu­ge von Dritt­per­so­nen dür­fen nur über­wacht wer­den, wenn auf­grund be­stimm­ter Tat­sa­chen an­ge­nom­men wer­den muss, dass die be­schul­dig­te Per­son sich in die­sen Räum­lich­kei­ten auf­hält oder die­ses Fahr­zeug be­nutzt.

3 Der Ein­satz darf nicht an­ge­ord­net wer­den, um:

a.
zu Be­weis­zwe­cken Vor­gän­ge zu er­fas­sen, an de­nen ei­ne be­schul­dig­te Per­son be­tei­ligt ist, die sich im Frei­heits­ent­zug be­fin­det;
b.
Räum­lich­kei­ten oder Fahr­zeu­ge ei­ner Dritt­per­son zu über­wa­chen, die ei­ner der in den Ar­ti­keln 170–173 ge­nann­ten Be­rufs­grup­pen an­ge­hört.

4 Im Üb­ri­gen rich­tet sich der Ein­satz tech­ni­scher Über­wa­chungs­ge­rä­te nach den Ar­ti­keln 269–279.

3. Abschnitt: Observation

Art. 282 Voraussetzungen

1 Die Staats­an­walt­schaft und, im Er­mitt­lungs­ver­fah­ren, die Po­li­zei kön­nen Per­so­nen und Sa­chen an all­ge­mein zu­gäng­li­chen Or­ten ver­deckt be­ob­ach­ten und da­bei Bild- oder Tonauf­zeich­nun­gen ma­chen, wenn:

a.
auf­grund kon­kre­ter An­halts­punk­te an­zu­neh­men ist, dass Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen be­gan­gen wor­den sind; und
b.
die Er­mitt­lun­gen sonst aus­sichts­los wä­ren oder un­ver­hält­nis­mäs­sig er­schwert wür­den.

2 Hat ei­ne von der Po­li­zei an­ge­ord­ne­te Ob­ser­va­ti­on einen Mo­nat ge­dau­ert, so be­darf ih­re Fort­set­zung der Ge­neh­mi­gung durch die Staats­an­walt­schaft.

Art. 283 Mitteilung

1 Die Staats­an­walt­schaft teilt den von ei­ner Ob­ser­va­ti­on di­rekt be­trof­fe­nen Per­so­nen spä­tes­tens mit Ab­schluss des Vor­ver­fah­rens Grund, Art und Dau­er der Ob­ser­va­ti­on mit.

2 Die Mit­tei­lung wird auf­ge­scho­ben oder un­ter­las­sen, wenn:

a.
die Er­kennt­nis­se nicht zu Be­weis­zwe­cken ver­wen­det wer­den; und
b.
der Auf­schub oder die Un­ter­las­sung zum Schut­ze über­wie­gen­der öf­fent­li­cher oder pri­va­ter In­ter­es­sen not­wen­dig ist.

4. Abschnitt: Überwachung von Bankbeziehungen

Art. 284 Grundsatz

Zur Auf­klä­rung von Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen kann das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt auf An­trag der Staats­an­walt­schaft die Über­wa­chung der Be­zie­hun­gen zwi­schen ei­ner be­schul­dig­ten Per­son und ei­ner Bank oder ei­nem ban­k­ähn­li­chen In­sti­tut an­ord­nen.

Art. 285 Durchführung

1 Stimmt das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt dem An­trag zu, so er­teilt es der Bank oder dem ban­k­ähn­li­chen In­sti­tut schrift­li­che Wei­sun­gen dar­über:

a.
wel­che In­for­ma­tio­nen und Do­ku­men­te zu lie­fern sind;
b.
wel­che Ge­heim­hal­tungs­mass­nah­men zu tref­fen sind.

2 Die Bank oder das ban­k­ähn­li­che In­sti­tut ha­ben kei­ne In­for­ma­tio­nen oder Do­ku­men­te zu lie­fern, wenn sie sich durch die Her­aus­ga­be selbst der­art be­las­ten wür­den, dass sie:

a.
straf­recht­lich ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den könn­ten; oder
b.
zi­vil­recht­lich ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den könn­ten, und wenn das Schutz­in­ter­es­se das Straf­ver­fol­gungs­in­ter­es­se über­wiegt.

3 Die Kon­to­be­rech­tig­ten wer­den nach Mass­ga­be von Ar­ti­kel 279 Ab­sät­ze 1 und 2 nach­träg­lich über die Mass­nah­me in­for­miert.

4 Per­so­nen, de­ren Bank­ver­kehr über­wacht wur­de, kön­nen Be­schwer­de nach den Ar­ti­keln 393–397 füh­ren. Die Be­schwer­de­frist be­ginnt mit Er­halt der Mit­tei­lung zu lau­fen.

5. Abschnitt: Verdeckte Ermittlung125

125 Ursprünglich vor Art. 286.

Art. 285a Begriff 126

Ver­deck­te Er­mitt­lung liegt vor, wenn An­ge­hö­ri­ge der Po­li­zei oder Per­so­nen, die vor­über­ge­hend für po­li­zei­li­che Auf­ga­ben an­ge­stellt sind, un­ter Ver­wen­dung ei­ner durch Ur­kun­den ab­ge­si­cher­ten falschen Iden­ti­tät (Le­gen­de) durch täu­schen­des Ver­hal­ten zu Per­so­nen Kon­tak­te knüp­fen mit dem Ziel, ein Ver­trau­ens­ver­hält­nis auf­zu­bau­en und in ein kri­mi­nel­les Um­feld ein­zu­drin­gen, um be­son­ders schwe­re Straf­ta­ten auf­zu­klä­ren.

126 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 14. Dez. 2012 über die ver­deck­te Er­mitt­lung und Fahn­dung, in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 20131051; BBl 201255915609).

Art. 286 Voraussetzungen

1 Die Staats­an­walt­schaft kann ei­ne ver­deck­te Er­mitt­lung an­ord­nen, wenn:

a.
der Ver­dacht be­steht, ei­ne in Ab­satz 2 ge­nann­te Straf­tat sei be­gan­gen wor­den;
b.
die Schwe­re der Straf­tat die ver­deck­te Er­mitt­lung recht­fer­tigt; und
c.
die bis­he­ri­gen Un­ter­su­chungs­hand­lun­gen er­folg­los ge­blie­ben sind oder die Er­mitt­lun­gen sonst aus­sichts­los wä­ren oder un­ver­hält­nis­mäs­sig er­schwert wür­den.

2 Die ver­deck­te Er­mitt­lung kann zur Ver­fol­gung der in den fol­gen­den Ar­ti­keln auf­ge­führ­ten Straf­ta­ten ein­ge­setzt wer­den:

a.127
StGB: Ar­ti­kel 111–113, 122, 124, 129, 135, 138–140, 143 Ab­satz 1, 144 Ab­satz 3, 144bis Zif­fer 1 Ab­satz 2 und Zif­fer 2 Ab­satz 2, 146 Ab­sät­ze 1 und 2, 147 Ab­sät­ze 1 und 2, 148, 156, 160, 182–185bis, 187, 188 Zif­fer 1, 189 Ab­sät­ze 1 und 3, 190 Ab­sät­ze 1 und 3, 191, 192 Ab­satz 1, 195, 196, 197 Ab­sät­ze 3–5, 221 Ab­sät­ze 1 und 2, 223 Zif­fer 1, 224 Ab­satz 1, 227 Zif­fer 1 Ab­satz 1, 228 Zif­fer 1 Ab­satz 1, 230bis, 231, 232 Zif­fer 1, 233 Zif­fer 1, 234 Ab­satz 1, 237 Zif­fer 1, 238 Ab­satz 1, 240 Ab­satz 1, 242, 244 Ab­satz 2, 251 Zif­fer 1, 260bis–260se­xies, 264–267, 271, 272 Zif­fer 2, 273, 274 Zif­fer 1 Ab­satz 2, 301, 305bis Zif­fer 2, 310, 322ter, 322qua­ter, 322sep­ties;
b.128
Aus­län­der- und In­te­gra­ti­ons­ge­setz vom 16. De­zem­ber 2005129: Ar­ti­kel 116 Ab­satz 3 und 118 Ab­satz 3;
c.
Bun­des­ge­setz vom 22. Ju­ni 2001130 zum Haa­ger Ad­op­ti­ons­über­ein­kom­men und über Mass­nah­men zum Schutz des Kin­des bei in­ter­na­tio­na­len Ad­op­tio­nen: Ar­ti­kel 24;
d.131
Kriegs­ma­te­ri­al­ge­setz vom 13. De­zem­ber 1996132: Ar­ti­kel 33 Ab­satz 2 und
34–35b;
e.
Kern­ener­gie­ge­setz vom 21. März 2003133: Ar­ti­kel 88 Ab­sät­ze 1 und 2, 89 Ab­sät­ze 1 und 2 und 90 Ab­satz 1;
f.134
Be­täu­bungs­mit­tel­ge­setz vom 3. Ok­to­ber 1951135: Ar­ti­kel 19 Ab­satz 2 so­wie 20 Ab­satz 2;
g.
Gü­ter­kon­troll­ge­setz vom 13. De­zem­ber 1996136: Ar­ti­kel 14 Ab­satz 2;
h.137
Sport­för­de­rungs­ge­setz vom 17. Ju­ni 2011138: Ar­ti­kel 22 Ab­satz 2 und 25a Ab­satz 3;
i.139
Waf­fen­ge­setz vom 20. Ju­ni 1997140: Ar­ti­kel 33 Ab­satz 3;
j.141
Heil­mit­tel­ge­setz vom 15. De­zem­ber 2000142: Ar­ti­kel 86 Ab­sät­ze 2 und 3;
k.143
Geld­spiel­ge­setz vom 29. Sep­tem­ber 2017144: Ar­ti­kel 130 Ab­satz 2 für die Straf­ta­ten nach Ar­ti­kel 130 Ab­satz 1 Buch­sta­be a;
l.145
Nach­rich­ten­dienst­ge­setz vom 25. Sep­tem­ber 2015146: Ar­ti­kel 74 Ab­satz 4.

3 Wird die Be­ur­tei­lung ei­ner der mi­li­tä­ri­schen Ge­richts­bar­keit un­ter­ste­hen­den straf­ba­ren Hand­lung der zi­vi­len Ge­richts­bar­keit über­tra­gen, so kann die ver­deck­te Er­mitt­lung auch zur Ver­fol­gung der in Ar­ti­kel 70 Ab­satz 2 des Mi­li­tär­straf­pro­zes­ses vom 23. März 1979147 auf­ge­führ­ten Straf­ta­ten an­ge­ord­net wer­den.

127 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 3 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

128 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

129 SR 142.20

130 SR 211.221.31

131 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. II des BG vom 16. März 2012, in Kraft seit 1. Fe­br. 2013 (AS 2013 295; BBl 20115905).

132 SR 514.51

133 SR 732.1

134 Be­rich­ti­gung der RedK der BVers vom 19. Sept. 2011, ver­öf­fent­licht am 4. Okt. 2011 (AS 2011 4487).

135 SR 812.121

136 SR 946.202

137 Ein­ge­fügt durch Art. 34 Ziff. 2 des Sport­för­de­rungs­ge­set­zes vom 17. Ju­ni 2011 (AS 2012 3953; BBl 2009 8189). Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 2 des Geld­spiel­ge­set­zes vom 29. Sept. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 5103; BBl 2015 8387).

138 SR 415.0

139 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 1 des BG vom 18. März 2016 be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs, in Kraft seit 1. März 2018 (AS 2018 117; BBl 2013 2683).

140 SR 514.54

141 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. 1 des BB vom 29. Sept. 2017 (Me­di­cri­me-Kon­ven­ti­on), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 4771; BBl 2017 3135).

142 SR 812.21

143 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 2 des Geld­spiel­ge­set­zes vom 29. Sept. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 5103; BBl 2015 8387).

144 SR 935.51

145 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 3 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

146 SR 121

147 SR 322.1

Art. 287 Anforderungen an die eingesetzten Personen

1 Als ver­deck­te Er­mitt­le­rin­nen oder Er­mitt­ler kön­nen ein­ge­setzt wer­den:

a.
An­ge­hö­ri­ge ei­nes schwei­ze­ri­schen oder aus­län­di­schen Po­li­zei­korps;
b.
Per­so­nen, die vor­über­ge­hend für po­li­zei­li­che Auf­ga­ben an­ge­stellt wer­den, auch wenn sie nicht über ei­ne po­li­zei­li­che Aus­bil­dung ver­fü­gen.

2 Als Füh­rungs­per­so­nen dür­fen nur An­ge­hö­ri­ge ei­nes Po­li­zei­korps ein­ge­setzt wer­den.

3 Wer­den An­ge­hö­ri­ge ei­nes Po­li­zei­korps des Aus­lan­des ein­ge­setzt, so wer­den sie in der Re­gel von ih­rer bis­he­ri­gen Füh­rungs­per­son ge­führt.

Art. 288 Legende und Zusicherung der Anonymität

1 Die Po­li­zei stat­tet ver­deck­te Er­mitt­le­rin­nen oder Er­mitt­ler mit ei­ner Le­gen­de aus.148

2 Die Staats­an­walt­schaft kann ver­deck­ten Er­mitt­le­rin­nen oder Er­mitt­lern zu­si­chern, dass ih­re wah­re Iden­ti­tät auch dann nicht preis­ge­ge­ben wird, wenn sie in ei­nem Ge­richts­ver­fah­ren als Aus­kunfts­per­so­nen oder Zeu­gin­nen oder Zeu­gen auf­tre­ten.149

3 Be­ge­hen ver­deck­te Er­mitt­le­rin­nen oder Er­mitt­ler wäh­rend ih­res Ein­sat­zes ei­ne Straf­tat, so ent­schei­det das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt, un­ter wel­cher Iden­ti­tät das Straf­ver­fah­ren ge­führt wird.

148 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 14. Dez. 2012 über die ver­deck­te Er­mitt­lung und Fahn­dung, in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 20131051; BBl 201255915609).

149 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 14. Dez. 2012 über die ver­deck­te Er­mitt­lung und Fahn­dung, in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 20131051; BBl 201255915609).

Art. 289 Genehmigungsverfahren

1 Der Ein­satz ei­ner ver­deck­ten Er­mitt­le­rin oder ei­nes ver­deck­ten Er­mitt­lers be­darf der Ge­neh­mi­gung durch das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt.

2 Die Staats­an­walt­schaft reicht dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt in­nert 24 Stun­den seit der An­ord­nung der ver­deck­ten Er­mitt­lung fol­gen­de Un­ter­la­gen ein:

a.
die An­ord­nung;
b.
die Be­grün­dung und die für die Ge­neh­mi­gung we­sent­li­chen Ver­fah­rens­ak­ten.

3 Das Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ent­schei­det mit kur­z­er Be­grün­dung in­nert 5 Ta­gen seit der An­ord­nung der ver­deck­ten Er­mitt­lung. Es kann die Ge­neh­mi­gung vor­läu­fig oder mit Auf­la­gen er­tei­len oder ei­ne Er­gän­zung der Ak­ten oder wei­te­re Ab­klä­run­gen ver­lan­gen.

4 Die Ge­neh­mi­gung äus­sert sich aus­drück­lich dar­über, ob es er­laubt ist:

a.
Ur­kun­den zum Auf­bau oder zur Auf­recht­er­hal­tung ei­ner Le­gen­de her­zu­stel­len oder zu ver­än­dern;
b.
die An­ony­mi­tät zu­zu­si­chern;
c.
Per­so­nen ein­zu­set­zen, die über kei­ne po­li­zei­li­che Aus­bil­dung ver­fü­gen.

5 Die Ge­neh­mi­gung wird für höchs­tens 12 Mo­na­te er­teilt. Sie kann ein­mal oder mehr­mals um je­weils 6 Mo­na­te ver­län­gert wer­den. Ist ei­ne Ver­län­ge­rung not­wen­dig, so stellt die Staats­an­walt­schaft vor Ab­lauf der be­wil­lig­ten Dau­er einen be­grün­de­ten Ver­län­ge­rungs­an­trag.

6 Wird die Ge­neh­mi­gung nicht er­teilt oder wur­de kei­ne Ge­neh­mi­gung ein­ge­holt, so be­en­det die Staats­an­walt­schaft den Ein­satz un­ver­züg­lich. Sämt­li­che Auf­zeich­nun­gen sind so­fort zu ver­nich­ten. Durch die ver­deck­te Er­mitt­lung ge­won­ne­ne Er­kennt­nis­se dür­fen nicht ver­wer­tet wer­den.

Art. 290 Instruktion vor dem Einsatz

Die Staats­an­walt­schaft in­stru­iert die Füh­rungs­per­son so­wie die ver­deck­te Er­mitt­le­rin oder den ver­deck­ten Er­mitt­ler vor Be­ginn des Ein­sat­zes.

Art. 291 Führungsperson

1 Die ver­deck­te Er­mitt­le­rin oder der ver­deck­te Er­mitt­ler un­ter­ste­hen wäh­rend des Ein­sat­zes der di­rek­ten Wei­sungs­be­fug­nis der Füh­rungs­per­son. Wäh­rend des Ein­sat­zes er­folgt der Kon­takt zwi­schen der Staats­an­walt­schaft und der ver­deck­ten Er­mitt­le­rin oder dem ver­deck­ten Er­mitt­ler aus­sch­liess­lich über die Füh­rungs­per­son.

2 Die Füh­rungs­per­son hat ins­be­son­de­re fol­gen­de Auf­ga­ben:

a.
Sie in­stru­iert die ver­deck­te Er­mitt­le­rin oder den ver­deck­ten Er­mitt­ler de­tail­liert und fort­lau­fend über Auf­trag und Be­fug­nis­se so­wie über den Um­gang mit der Le­gen­de.
b.
Sie lei­tet und be­treut die ver­deck­te Er­mitt­le­rin oder den ver­deck­ten Er­mitt­ler und be­ur­teilt lau­fend die Ri­si­ko­si­tua­ti­on.
c.
Sie hält münd­li­che Be­rich­te der ver­deck­ten Er­mitt­le­rin oder des ver­deck­ten Er­mitt­lers schrift­lich fest und führt ein voll­stän­di­ges Dos­sier über den Ein­satz.
d.
Sie in­for­miert die Staats­an­walt­schaft lau­fend und voll­stän­dig über den Ein­satz.

Art. 292 Pflichten der verdeckten Ermittlerinnen und Ermittler

1 Ver­deck­te Er­mitt­le­rin­nen und Er­mitt­ler füh­ren ih­ren Ein­satz im Rah­men der In­struk­tio­nen pflicht­ge­mä­ss durch.

2 Sie be­rich­ten der Füh­rungs­per­son lau­fend und voll­stän­dig über ih­re Tä­tig­keit und ih­re Fest­stel­lun­gen.

Art. 293 Mass der zulässigen Einwirkung

1 Ver­deck­te Er­mitt­le­rin­nen und Er­mitt­ler dür­fen kei­ne all­ge­mei­ne Tat­be­reit­schaft we­cken und die Tat­be­reit­schaft nicht auf schwe­re­re Straf­ta­ten len­ken. Sie ha­ben sich auf die Kon­kre­ti­sie­rung ei­nes vor­han­de­nen Ta­tent­schlus­ses zu be­schrän­ken.

2 Ih­re Tä­tig­keit darf für den Ent­schluss zu ei­ner kon­kre­ten Straf­tat nur von un­ter­ge­ord­ne­ter Be­deu­tung sein.

3 Wenn er­for­der­lich, dür­fen sie zur An­bah­nung des Haupt­ge­schäf­tes Pro­be­käu­fe tä­ti­gen oder ih­re wirt­schaft­li­che Leis­tungs­fä­hig­keit do­ku­men­tie­ren.

4 Über­schrei­tet ei­ne ver­deck­te Er­mitt­le­rin oder ein ver­deck­ter Er­mitt­ler das Mass der zu­läs­si­gen Ein­wir­kung, so ist dies bei der Zu­mes­sung der Stra­fe für die be­ein­fluss­te Per­son ge­büh­rend zu be­rück­sich­ti­gen, oder es ist von ei­ner Stra­fe ab­zu­se­hen.

Art. 294 Einsatz bei der Verfolgung von Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz


Ver­deck­te Er­mitt­le­rin­nen und Er­mitt­ler sind nicht nach den Ar­ti­keln 19 so­wie 20–22 des Be­täu­bungs­mit­tel­ge­set­zes vom 3. Ok­to­ber 1951150 straf­bar, so­weit sie im Rah­men ei­ner ge­neh­mig­ten ver­deck­ten Er­mitt­lung han­deln.

Art. 295 Vorzeigegeld

1 Auf An­trag der Staats­an­walt­schaft kann der Bund über die Na­tio­nal­bank die für Schein­ge­schäf­te und die Do­ku­men­ta­ti­on der wirt­schaft­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit be­nö­tig­ten Geld­be­trä­ge in der er­for­der­li­chen Men­ge und Art zur Ver­fü­gung stel­len.

2 Der An­trag ist mit ei­ner kur­z­en Sach­ver­halts­dar­stel­lung an das Bun­des­amt für Po­li­zei zu rich­ten.

3 Die Staats­an­walt­schaft trifft die not­wen­di­gen Vor­keh­run­gen zum Schut­ze des zur Ver­fü­gung ge­stell­ten Gel­des. Bei Ver­lust haf­tet der Bund oder der Kan­ton, dem die Staats­an­walt­schaft zu­ge­hört.

Art. 296 Zufallsfunde

1 Er­geb­nis­se aus ei­ner ver­deck­ten Er­mitt­lung, die auf ei­ne an­de­re als die in der An­ord­nung ge­nann­te Straf­tat hin­deu­ten, dür­fen ver­wer­tet wer­den, wenn zur Auf­klä­rung der neu ent­deck­ten Straf­tat ei­ne ver­deck­te Er­mitt­lung hät­te an­ge­ord­net wer­den dür­fen.

2 Die Staats­an­walt­schaft ord­net un­ver­züg­lich die ver­deck­te Er­mitt­lung an und lei­tet das Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren ein.

Art. 297 Beendigung des Einsatzes

1 Die Staats­an­walt­schaft be­en­det den Ein­satz un­ver­züg­lich, wenn:

a.
die Vor­aus­set­zun­gen nicht mehr er­füllt sind;
b.
die Ge­neh­mi­gung oder die Ver­län­ge­rung ver­wei­gert wird; oder
c.
die ver­deck­te Er­mitt­le­rin oder der ver­deck­te Er­mitt­ler oder die Füh­rungs­per­son In­struk­tio­nen nicht be­folgt oder in an­de­rer Wei­se ih­re Pflich­ten nicht er­füllt, na­ment­lich die Staats­an­walt­schaft wis­sent­lich falsch in­for­miert.

2 Sie teilt in den Fäl­len nach Ab­satz 1 Buch­sta­ben a und c dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt die Be­en­di­gung des Ein­sat­zes mit.

3 Bei der Be­en­di­gung ist dar­auf zu ach­ten, dass we­der die ver­deck­te Er­mitt­le­rin oder der ver­deck­te Er­mitt­ler noch in die Er­mitt­lung ein­be­zo­ge­ne Drit­te ei­ner ab­wend­ba­ren Ge­fahr aus­ge­setzt wer­den.

Art. 298 Mitteilung

1 Die Staats­an­walt­schaft teilt der be­schul­dig­ten Per­son spä­tes­tens mit Ab­schluss des Vor­ver­fah­rens mit, dass ge­gen sie ver­deckt er­mit­telt wor­den ist.

2 Die Mit­tei­lung kann mit Zu­stim­mung des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts auf­ge­scho­ben oder un­ter­las­sen wer­den, wenn:

a.
die Er­kennt­nis­se nicht zu Be­weis­zwe­cken ver­wen­det wer­den; und
b.
der Auf­schub oder die Un­ter­las­sung zum Schut­ze über­wie­gen­der öf­fent­li­cher oder pri­va­ter In­ter­es­sen not­wen­dig ist.

3 Per­so­nen, ge­gen die ver­deckt er­mit­telt wur­de, kön­nen Be­schwer­de nach den Ar­ti­keln 393–397 füh­ren. Die Be­schwer­de­frist be­ginnt mit Er­halt der Mit­tei­lung zu lau­fen.

5a. Abschnitt: Verdeckte Fahndung151

151 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 14. Dez. 2012 über die verdeckte Ermittlung und Fahndung, in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 20131051; BBl 201255915609).

Art. 298a Begriff

1 Ver­deck­te Fahn­dung liegt vor, wenn An­ge­hö­ri­ge der Po­li­zei im Rah­men kur­z­er Ein­sät­ze in ei­ner Art und Wei­se, dass ih­re wah­re Iden­ti­tät und Funk­ti­on nicht er­kenn­bar ist, Ver­bre­chen und Ver­ge­hen auf­zu­klä­ren ver­su­chen und da­bei ins­be­son­de­re Schein­ge­schäf­te ab­sch­lies­sen oder den Wil­len zum Ab­schluss vor­täu­schen.

2 Ver­deck­te Fahn­de­rin­nen und Fahn­der wer­den nicht mit ei­ner Le­gen­de im Sin­ne von Ar­ti­kel 285a aus­ge­stat­tet. Ih­re wah­re Iden­ti­tät und Funk­ti­on wird in den Ver­fah­rens­ak­ten und bei Ein­ver­nah­men of­fen­ge­legt.

Art. 298b Voraussetzungen

1 Die Staats­an­walt­schaft und, im Er­mitt­lungs­ver­fah­ren, die Po­li­zei kön­nen ei­ne ver­deck­te Fahn­dung an­ord­nen, wenn:

a.
der Ver­dacht be­steht, ein Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen sei be­gan­gen wor­den; und
b.
die bis­he­ri­gen Er­mitt­lungs- oder Un­ter­su­chungs­hand­lun­gen er­folg­los ge­blie­ben sind oder die Er­mitt­lun­gen sonst aus­sichts­los wä­ren oder un­ver­hält­nis­mäs­sig er­schwert wür­den.

2 Hat ei­ne von der Po­li­zei an­ge­ord­ne­te ver­deck­te Fahn­dung einen Mo­nat ge­dau­ert, so be­darf ih­re Fort­set­zung der Ge­neh­mi­gung durch die Staats­an­walt­schaft.

Art. 298c Anforderungen an die eingesetzten Personen und Durchführung

1 Für die An­for­de­run­gen an die ein­ge­setz­ten Per­so­nen gilt Ar­ti­kel 287 sinn­ge­mä­ss. Der Ein­satz von Per­so­nen nach Ar­ti­kel 287 Ab­satz 1 Buch­sta­be b ist aus­ge­schlos­sen.

2 Für Stel­lung, Auf­ga­ben und Pflich­ten der ver­deck­ten Fahn­de­rin­nen und Fahn­der so­wie der Füh­rungs­per­so­nen gel­ten die Ar­ti­kel 291–294 sinn­ge­mä­ss.

Art. 298d Beendigung und Mitteilung

1 Die an­ord­nen­de Po­li­zei oder Staats­an­walt­schaft be­en­det die ver­deck­te Fahn­dung un­ver­züg­lich, wenn:

a.
die Vor­aus­set­zun­gen nicht mehr er­füllt sind;
b.
im Fal­le ei­ner An­ord­nung durch die Po­li­zei die Ge­neh­mi­gung der Fort­set­zung durch die Staats­an­walt­schaft ver­wei­gert wird; oder
c.
die ver­deck­te Fahn­de­rin oder der ver­deck­te Fahn­der oder die Füh­rungs­per­son In­struk­tio­nen nicht be­folgt oder in an­de­rer Wei­se ih­re Pflich­ten nicht er­füllt, na­ment­lich die Staats­an­walt­schaft wis­sent­lich falsch in­for­miert oder die Ziel­per­son in un­zu­läs­si­ger Wei­se zu be­ein­flus­sen ver­sucht.

2 Die Po­li­zei teilt der Staats­an­walt­schaft die Be­en­di­gung der ver­deck­ten Fahn­dung mit.

3 Bei der Be­en­di­gung ist dar­auf zu ach­ten, dass die ver­deck­te Fahn­de­rin oder der ver­deck­te Fahn­der kei­ner ab­wend­ba­ren Ge­fahr aus­ge­setzt wird.

4 Für die Mit­tei­lung der ver­deck­ten Fahn­dung gilt Ar­ti­kel 298 Ab­sät­ze 1 und 3 sinn­ge­mä­ss.

6. Titel: Vorverfahren

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

Art. 299 Begriff und Zweck

1 Das Vor­ver­fah­ren be­steht aus dem Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Po­li­zei und der Un­ter­su­chung der Staats­an­walt­schaft.

2 Im Vor­ver­fah­ren wer­den, aus­ge­hend vom Ver­dacht, es sei ei­ne Straf­tat be­gan­gen wor­den, Er­he­bun­gen ge­tä­tigt und Be­wei­se ge­sam­melt, um fest­zu­stel­len, ob:

a.
ge­gen ei­ne be­schul­dig­te Per­son ein Straf­be­fehl zu er­las­sen ist;
b.
ge­gen ei­ne be­schul­dig­te Per­son An­kla­ge zu er­he­ben ist;
c.
das Ver­fah­ren ein­zu­stel­len ist.

Art. 300 Einleitung

1 Das Vor­ver­fah­ren wird ein­ge­lei­tet durch:

a.
die Er­mitt­lungs­tä­tig­keit der Po­li­zei;
b.
die Er­öff­nung ei­ner Un­ter­su­chung durch die Staats­an­walt­schaft.

2 Die Ein­lei­tung des Vor­ver­fah­rens ist nicht an­fecht­bar, es sei denn, die be­schul­dig­te Per­son ma­che gel­tend, es lie­ge ei­ne Ver­let­zung des Ver­bots der dop­pel­ten Straf­ver­fol­gung vor.

Art. 301 Anzeigerecht

1 Je­de Per­son ist be­rech­tigt, Straf­ta­ten bei ei­ner Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de schrift­lich oder münd­lich an­zu­zei­gen.

2 Die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de teilt der an­zei­gen­den Per­son auf de­ren An­fra­ge mit, ob ein Straf­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet und wie es er­le­digt wird.

3 Der an­zei­gen­den Per­son, die we­der ge­schä­digt noch Pri­vat­klä­ge­rin oder Pri­vat­klä­ger ist, ste­hen kei­ne wei­ter­ge­hen­den Ver­fah­rens­rech­te zu.

Art. 302 Anzeigepflicht

1 Die Straf­be­hör­den sind ver­pflich­tet, al­le Straf­ta­ten, die sie bei ih­rer amt­li­chen Tä­tig­keit fest­ge­stellt ha­ben oder die ih­nen ge­mel­det wor­den sind, der zu­stän­di­gen Be­hör­de an­zu­zei­gen, so­weit sie für die Ver­fol­gung nicht sel­ber zu­stän­dig sind.

2 Bund und Kan­to­ne re­geln die An­zei­ge­pflicht der Mit­glie­der an­de­rer Be­hör­den.

3 Die An­zei­ge­pflicht ent­fällt für Per­so­nen, die nach den Ar­ti­keln 113 Ab­satz 1, 168, 169 und 180 Ab­satz 1 zur Aus­sa­ge- oder Zeug­nis­ver­wei­ge­rung be­rech­tigt sind.

Art. 303 Antrags- und Ermächtigungsdelikte

1 Bei Straf­ta­ten, die nur auf An­trag oder nach Er­mäch­ti­gung ver­folgt wer­den, wird ein Vor­ver­fah­ren erst ein­ge­lei­tet, wenn der Straf­an­trag ge­stellt oder die Er­mäch­ti­gung er­teilt wur­de.

2 Die zu­stän­di­ge Be­hör­de kann schon vor­her die un­auf­schieb­ba­ren si­chern­den Mass­nah­men tref­fen.

Art. 304 Form des Strafantrags

1 Der Straf­an­trag ist bei der Po­li­zei, der Staats­an­walt­schaft oder der Über­tre­tungs­straf­be­hör­de schrift­lich ein­zu­rei­chen oder münd­lich zu Pro­to­koll zu ge­ben.

2 Ver­zicht und Rück­zug des Straf­an­trags be­dür­fen der glei­chen Form.

Art. 305 Information des Opfers und Meldung 152153

1 Die Po­li­zei und die Staats­an­walt­schaft in­for­mie­ren das Op­fer bei der je­weils ers­ten Ein­ver­nah­me um­fas­send über sei­ne Rech­te und Pflich­ten im Straf­ver­fah­ren.

2 Sie in­for­mie­ren bei glei­cher Ge­le­gen­heit zu­dem über:154

a.
die Adres­sen und die Auf­ga­ben der Op­fer­be­ra­tungs­stel­len;
b.
die Mög­lich­keit, ver­schie­de­ne Op­fer­hil­fe­leis­tun­gen zu be­an­spru­chen;
c.
die Frist für die Ein­rei­chung von Ge­su­chen um Ent­schä­di­gung und Ge­nug­tu­ung;
d.155
das Recht nach Ar­ti­kel 92a StGB, zu ver­lan­gen, über Ent­schei­de und Tat­sa­chen zum Straf- und Mass­nah­men­voll­zug der ver­ur­teil­ten Per­son in­for­miert zu wer­den.

3 Sie mel­den Na­me und Adres­se des Op­fers ei­ner Be­ra­tungs­stel­le, so­fern die­ses da­mit ein­ver­stan­den ist.

4 Die Ab­sät­ze 1–3 fin­den auf An­ge­hö­ri­ge des Op­fers sinn­ge­mä­ss An­wen­dung.

5 Die Ein­hal­tung der Be­stim­mun­gen die­ses Ar­ti­kels ist zu pro­to­kol­lie­ren.

152 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

153 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 26. Sept. 2014 über das In­for­ma­ti­ons­recht des Op­fers, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 1623; BBl 2014 889913).

154 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 26. Sept. 2014 über das In­for­ma­ti­ons­recht des Op­fers, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 1623; BBl 2014 889913).

155 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 3 des BG vom 26. Sept. 2014 über das In­for­ma­ti­ons­recht des Op­fers, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 1623; BBl 2014 889913).

2. Kapitel: Polizeiliches Ermittlungsverfahren

Art. 306 Aufgaben der Polizei

1 Die Po­li­zei stellt im Er­mitt­lungs­ver­fah­ren auf der Grund­la­ge von An­zei­gen, An­wei­sun­gen der Staats­an­walt­schaft oder ei­ge­nen Fest­stel­lun­gen den für ei­ne Straf­tat re­le­van­ten Sach­ver­halt fest.

2 Sie hat na­ment­lich:

a.
Spu­ren und Be­wei­se si­cher­zu­stel­len und aus­zu­wer­ten;
b.
ge­schä­dig­te und tat­ver­däch­ti­ge Per­so­nen zu er­mit­teln und zu be­fra­gen;
c.
tat­ver­däch­ti­ge Per­so­nen nö­ti­gen­falls an­zu­hal­ten und fest­zu­neh­men oder nach ih­nen zu fahn­den.

3 Sie rich­tet sich bei ih­rer Tä­tig­keit nach den Vor­schrif­ten über die Un­ter­su­chung, die Be­weis­mit­tel und die Zwangs­mass­nah­men; vor­be­hal­ten blei­ben be­son­de­re Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes.

Art. 307 Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft

1 Die Po­li­zei in­for­miert die Staats­an­walt­schaft un­ver­züg­lich über schwe­re Straf­ta­ten so­wie über an­de­re schwer wie­gen­de Er­eig­nis­se. Die Staats­an­walt­schaf­ten von Bund und Kan­to­nen kön­nen über die­se In­for­ma­ti­ons­pflicht nä­he­re Wei­sun­gen er­las­sen.

2 Die Staats­an­walt­schaft kann der Po­li­zei je­der­zeit Wei­sun­gen und Auf­trä­ge er­tei­len oder das Ver­fah­ren an sich zie­hen. In den Fäl­len von Ab­satz 1 führt sie die ers­ten we­sent­li­chen Ein­ver­nah­men nach Mög­lich­keit sel­ber durch.

3 Die Po­li­zei hält ih­re Fest­stel­lun­gen und die von ihr ge­trof­fe­nen Mass­nah­men lau­fend in schrift­li­chen Be­rich­ten fest und über­mit­telt die­se nach Ab­schluss ih­rer Er­mitt­lun­gen zu­sam­men mit den An­zei­gen, Pro­to­kol­len, wei­te­ren Ak­ten so­wie si­cher­ge­stell­ten Ge­gen­stän­den und Ver­mö­gens­wer­ten um­ge­hend der Staats­an­walt­schaft.

4 Sie kann von der Be­richt­er­stat­tung ab­se­hen, wenn:

a.
zu wei­te­ren Ver­fah­rens­schrit­ten der Staats­an­walt­schaft of­fen­sicht­lich kein An­lass be­steht; und
b.
kei­ne Zwangs­mass­nah­men oder an­de­re for­ma­li­sier­te Er­mitt­lungs­hand­lun­gen durch­ge­führt wor­den sind.

3. Kapitel: Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft

1. Abschnitt: Aufgaben der Staatsanwaltschaft

Art. 308 Begriff und Zweck der Untersuchung

1 In der Un­ter­su­chung klärt die Staats­an­walt­schaft den Sach­ver­halt tat­säch­lich und recht­lich so weit ab, dass sie das Vor­ver­fah­ren ab­sch­lies­sen kann.

2 Ist ei­ne An­kla­ge oder der Er­lass ei­nes Straf­be­fehls zu er­war­ten, so klärt sie die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se der be­schul­dig­ten Per­son ab.

3 Soll An­kla­ge er­ho­ben wer­den, so hat die Un­ter­su­chung dem Ge­richt die für die Be­ur­tei­lung von Schuld und Stra­fe we­sent­li­chen Grund­la­gen zu lie­fern.

Art. 309 Eröffnung

1 Die Staats­an­walt­schaft er­öff­net ei­ne Un­ter­su­chung, wenn:

a.
sich aus den In­for­ma­tio­nen und Be­rich­ten der Po­li­zei, aus der Straf­an­zei­ge oder aus ih­ren ei­ge­nen Fest­stel­lun­gen ein hin­rei­chen­der Tat­ver­dacht er­gibt;
b.
sie Zwangs­mass­nah­men an­ord­net;
c.
sie im Sin­ne von Ar­ti­kel 307 Ab­satz 1 durch die Po­li­zei in­for­miert wor­den ist.

2 Sie kann po­li­zei­li­che Be­rich­te und Straf­an­zei­gen, aus de­nen der Tat­ver­dacht nicht deut­lich her­vor­geht, der Po­li­zei zur Durch­füh­rung er­gän­zen­der Er­mitt­lun­gen über­wei­sen.

3 Sie er­öff­net die Un­ter­su­chung in ei­ner Ver­fü­gung; dar­in be­zeich­net sie die be­schul­dig­te Per­son und die Straf­tat, die ihr zur Last ge­legt wird. Die Ver­fü­gung braucht nicht be­grün­det und er­öff­net zu wer­den. Sie ist nicht an­fecht­bar.

4 Die Staats­an­walt­schaft ver­zich­tet auf die Er­öff­nung, wenn sie so­fort ei­ne Nicht­an­hand­nah­me­ver­fü­gung oder einen Straf­be­fehl er­lässt.

Art. 310 Nichtanhandnahmeverfügung

1 Die Staats­an­walt­schaft ver­fügt die Nicht­an­hand­nah­me, so­bald auf­grund der Straf­an­zei­ge oder des Po­li­zei­rap­ports fest­steht, dass:

a.
die frag­li­chen Straf­tat­be­stän­de oder die Pro­zess­vor­aus­set­zun­gen ein­deu­tig nicht er­füllt sind;
b.
Ver­fah­rens­hin­der­nis­se be­ste­hen;
c.
aus den in Ar­ti­kel 8 ge­nann­ten Grün­den auf ei­ne Straf­ver­fol­gung zu ver­zich­ten ist.

2 Im Üb­ri­gen rich­tet sich das Ver­fah­ren nach den Be­stim­mun­gen über die Ver­fah­rensein­stel­lung.

2. Abschnitt: Durchführung der Untersuchung

Art. 311 Beweiserhebung und Ausdehnung der Untersuchung

1 Die Staats­an­wäl­tin­nen und Staats­an­wäl­te füh­ren die Be­weis­er­he­bun­gen sel­ber durch. Bund und Kan­to­ne be­stim­men, in wel­chem Um­fang sie ein­zel­ne Un­ter­su­chungs­hand­lun­gen ih­ren Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern über­tra­gen kön­nen.

2 Die Staats­an­walt­schaft kann die Un­ter­su­chung auf wei­te­re Per­so­nen oder wei­te­re Straf­ta­ten aus­deh­nen. Ar­ti­kel 309 Ab­satz 3 ist an­wend­bar.

Art. 312 Aufträge der Staatsanwaltschaft an die Polizei

1 Die Staats­an­walt­schaft kann die Po­li­zei auch nach Er­öff­nung der Un­ter­su­chung mit er­gän­zen­den Er­mitt­lun­gen be­auf­tra­gen. Sie er­teilt ihr da­zu schrift­li­che, in drin­gen­den Fäl­len münd­li­che An­wei­sun­gen, die sich auf kon­kret um­schrie­be­ne Ab­klä­run­gen be­schrän­ken.

2 Bei Ein­ver­nah­men, wel­che die Po­li­zei im Auf­trag der Staats­an­walt­schaft durch­führt, ha­ben die Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten die Ver­fah­rens­rech­te, die ih­nen bei Ein­ver­nah­men durch die Staats­an­walt­schaft zu­kom­men.

Art. 313 Beweiserhebungen im Zusammenhang mit Zivilklagen

1 Die Staats­an­walt­schaft er­hebt die zur Be­ur­tei­lung der Zi­vil­kla­ge er­for­der­li­chen Be­wei­se, so­fern das Ver­fah­ren da­durch nicht we­sent­lich er­wei­tert oder ver­zö­gert wird.

2 Sie kann die Er­he­bung von Be­wei­sen, die in ers­ter Li­nie der Durch­set­zung der Zi­vil­kla­ge die­nen, von der Leis­tung ei­nes Kos­ten­vor­schus­ses der Pri­vat­klä­ger­schaft ab­hän­gig ma­chen.

Art. 314 Sistierung

1 Die Staats­an­walt­schaft kann ei­ne Un­ter­su­chung sis­tie­ren, na­ment­lich wenn:

a.
die Tä­ter­schaft oder ihr Auf­ent­halt un­be­kannt ist oder an­de­re vor­über­ge­hen­de Ver­fah­rens­hin­der­nis­se be­ste­hen;
b.
der Aus­gang des Straf­ver­fah­rens von ei­nem an­de­ren Ver­fah­ren ab­hängt und es an­ge­bracht er­scheint, des­sen Aus­gang ab­zu­war­ten;
c.
ein Ver­gleichs­ver­fah­ren hän­gig ist und es an­ge­bracht er­scheint, des­sen Aus­gang ab­zu­war­ten;
d.
ein Sachent­scheid von der wei­te­ren Ent­wick­lung der Tat­fol­gen ab­hängt.

2 Im Fall von Ab­satz 1 Buch­sta­be c ist die Sis­tie­rung auf 3 Mo­na­te be­fris­tet; sie kann ein­mal um 3 Mo­na­te ver­län­gert wer­den.

3 Vor der Sis­tie­rung er­hebt die Staats­an­walt­schaft die Be­wei­se, de­ren Ver­lust zu be­fürch­ten ist. Ist die Tä­ter­schaft oder ihr Auf­ent­halt un­be­kannt, so lei­tet sie ei­ne Fahn­dung ein.

4 Die Staats­an­walt­schaft teilt die Sis­tie­rung der be­schul­dig­ten Per­son, der Pri­vat­klä­ger­schaft so­wie dem Op­fer mit.

5 Im Üb­ri­gen rich­tet sich das Ver­fah­ren nach den Be­stim­mun­gen über die Ver­fah­rensein­stel­lung.

Art. 315 Wiederanhandnahme

1 Die Staats­an­walt­schaft nimmt von Am­tes we­gen ei­ne sis­tier­te Un­ter­su­chung wie­der an die Hand, wenn der Grund der Sis­tie­rung weg­ge­fal­len ist.

2 Die Wie­der­an­hand­nah­me ist nicht an­fecht­bar.

3. Abschnitt: Vergleich

Art. 316

1 So­weit An­trags­de­lik­te Ge­gen­stand des Ver­fah­rens sind, kann die Staats­an­walt­schaft die an­trag­stel­len­de und die be­schul­dig­te Per­son zu ei­ner Ver­hand­lung vor­la­den mit dem Ziel, einen Ver­gleich zu er­zie­len. Bleibt die an­trag­stel­len­de Per­son aus, so gilt der Straf­an­trag als zu­rück­ge­zo­gen.

2 Kommt ei­ne Straf­be­frei­ung we­gen Wie­der­gut­ma­chung nach Ar­ti­kel 53 StGB156 in Fra­ge, so lädt die Staats­an­walt­schaft die ge­schä­dig­te und die be­schul­dig­te Per­son zu ei­ner Ver­hand­lung ein mit dem Ziel, ei­ne Wie­der­gut­ma­chung zu er­zie­len.

3 Wird ei­ne Ei­ni­gung er­zielt, so ist die­se im Pro­to­koll fest­zu­hal­ten und von den Be­tei­lig­ten zu un­ter­zeich­nen. Die Staats­an­walt­schaft stellt als­dann das Ver­fah­ren ein.

4 Bleibt bei ei­ner Ver­hand­lung nach Ab­satz 1 oder 2 die be­schul­dig­te Per­son aus oder wird kei­ne Ei­ni­gung er­zielt, so nimmt die Staats­an­walt­schaft die Un­ter­su­chung un­ver­züg­lich an die Hand. Sie kann die an­trag­stel­len­de Per­son in be­grün­de­ten Fäl­len ver­pflich­ten, in­ner­halb von zehn Ta­gen ei­ne Si­cher­heit für Kos­ten und Ent­schä­di­gun­gen zu leis­ten.

4. Abschnitt: Abschluss der Untersuchung

Art. 317 Schlusseinvernahme

In um­fang­rei­chen und kom­pli­zier­ten Vor­ver­fah­ren be­fragt die Staats­an­walt­schaft die be­schul­dig­te Per­son vor Ab­schluss der Un­ter­su­chung noch­mals in ei­ner Schluss­ein­ver­nah­me und for­dert sie auf, zu den Er­geb­nis­sen Stel­lung zu neh­men.

Art. 318 Abschluss

1 Er­ach­tet die Staats­an­walt­schaft die Un­ter­su­chung als voll­stän­dig, so er­lässt sie einen Straf­be­fehl oder kün­digt den Par­tei­en mit be­kann­tem Wohn­sitz schrift­lich den be­vor­ste­hen­den Ab­schluss an und teilt ih­nen mit, ob sie An­kla­ge er­he­ben oder das Ver­fah­ren ein­stel­len will. Gleich­zei­tig setzt sie den Par­tei­en ei­ne Frist, Be­weis­an­trä­ge zu stel­len.

2 Sie kann Be­weis­an­trä­ge nur ab­leh­nen, wenn da­mit die Be­weis­er­he­bung über Tat­sa­chen ver­langt wird, die un­er­heb­lich, of­fen­kun­dig, der Straf­be­hör­de be­kannt oder be­reits rechts­ge­nü­gend er­wie­sen sind. Der Ent­scheid er­geht schrift­lich und mit kur­z­er Be­grün­dung. Ab­ge­lehn­te Be­weis­an­trä­ge kön­nen im Haupt­ver­fah­ren er­neut ge­stellt wer­den.

3 Mit­tei­lun­gen nach Ab­satz 1 und Ent­schei­de nach Ab­satz 2 sind nicht an­fecht­bar.

4. Kapitel: Einstellung des Verfahrens und Anklageerhebung

1. Abschnitt: Einstellung des Verfahrens

Art. 319 Gründe

1 Die Staats­an­walt­schaft ver­fügt die voll­stän­di­ge oder teil­wei­se Ein­stel­lung des Ver­fah­rens, wenn:

a.
kein Tat­ver­dacht er­här­tet ist, der ei­ne An­kla­ge recht­fer­tigt;
b.
kein Straf­tat­be­stand er­füllt ist;
c.
Recht­fer­ti­gungs­grün­de einen Straf­tat­be­stand un­an­wend­bar ma­chen;
d.
Pro­zess­vor­aus­set­zun­gen de­fi­ni­tiv nicht er­füllt wer­den kön­nen oder Pro­zess­hin­der­nis­se auf­ge­tre­ten sind;
e.
nach ge­setz­li­cher Vor­schrift auf Straf­ver­fol­gung oder Be­stra­fung ver­zich­tet wer­den kann.

2 Sie kann das Ver­fah­ren aus­nahms­wei­se auch dann ein­stel­len, wenn:

a.
das In­ter­es­se ei­nes Op­fers, das zum Zeit­punkt der Straf­tat we­ni­ger als 18 Jah­re alt war, es zwin­gend ver­langt und die­ses In­ter­es­se das In­ter­es­se des Staa­tes an der Straf­ver­fol­gung of­fen­sicht­lich über­wiegt; und
b.
das Op­fer oder bei Ur­teil­s­un­fä­hig­keit sei­ne ge­setz­li­che Ver­tre­tung der Ein­stel­lung zu­stimmt.

Art. 320 Einstellungsverfügung

1 Form und all­ge­mei­ner In­halt der Ein­stel­lungs­ver­fü­gung rich­ten sich nach den Ar­ti­keln 80 und 81.

2 Die Staats­an­walt­schaft hebt in der Ein­stel­lungs­ver­fü­gung be­ste­hen­de Zwangs­mass­nah­men auf. Sie kann die Ein­zie­hung von Ge­gen­stän­den und Ver­mö­gens­wer­ten an­ord­nen.

3 In der Ein­stel­lungs­ver­fü­gung wer­den kei­ne Zi­vil­kla­gen be­han­delt. Der Pri­vat­klä­ger­schaft steht nach Ein­tritt der Rechts­kraft der Ver­fü­gung der Zi­vil­weg of­fen.

4 Ei­ne rechts­kräf­ti­ge Ein­stel­lungs­ver­fü­gung kommt ei­nem frei­spre­chen­den End­ent­scheid gleich.

Art. 321 Mitteilung

1 Die Staats­an­walt­schaft teilt die Ein­stel­lungs­ver­fü­gung mit:

a.
den Par­tei­en;
b.
dem Op­fer;
c.
den an­de­ren von der Ver­fü­gung be­trof­fe­nen Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten;
d.
all­fäl­li­gen wei­te­ren von den Kan­to­nen be­zeich­ne­ten Be­hör­den, falls die­sen ein Be­schwer­de­recht zu­steht.

2 Vor­be­hal­ten bleibt der aus­drück­li­che Ver­zicht ei­ner oder ei­nes Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten.

3 Im Üb­ri­gen sind die Ar­ti­kel 84–88 sinn­ge­mä­ss an­wend­bar.

Art. 322 Genehmigung und Rechtsmittel

1 Bund und Kan­to­ne kön­nen be­stim­men, dass die Ein­stel­lungs­ver­fü­gung durch die Ober- oder Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft zu ge­neh­mi­gen ist.

2 Die Par­tei­en kön­nen die Ein­stel­lungs­ver­fü­gung in­nert 10 Ta­gen bei der Be­schwer­de­in­stanz an­fech­ten.

Art. 323 Wiederaufnahme

1 Die Staats­an­walt­schaft ver­fügt die Wie­der­auf­nah­me ei­nes durch Ein­stel­lungs­ver­fü­gung rechts­kräf­tig be­en­de­ten Ver­fah­rens, wenn ihr neue Be­weis­mit­tel oder Tat­sa­chen be­kannt wer­den, die:

a.
für ei­ne straf­recht­li­che Ver­ant­wort­lich­keit der be­schul­dig­ten Per­son spre­chen; und
b.
sich nicht aus den frü­he­ren Ak­ten er­ge­ben.

2 Sie teilt die Wie­der­auf­nah­me den­je­ni­gen Per­so­nen und Be­hör­den mit, de­nen zu­vor die Ein­stel­lung mit­ge­teilt wor­den ist.

2. Abschnitt: Anklageerhebung

Art. 324 Grundsätze

1 Die Staats­an­walt­schaft er­hebt beim zu­stän­di­gen Ge­richt An­kla­ge, wenn sie auf­grund der Un­ter­su­chung die Ver­dachts­grün­de als hin­rei­chend er­ach­tet und kei­nen Straf­be­fehl er­las­sen kann.

2 Die An­kla­ge­er­he­bung ist nicht an­fecht­bar.

Art. 325 Inhalt der Anklageschrift

1 Die An­kla­ge­schrift be­zeich­net:

a.
den Ort und das Da­tum;
b.
die an­kla­ge­er­he­ben­de Staats­an­walt­schaft;
c.
das Ge­richt, an wel­ches sich die An­kla­ge rich­tet;
d.
die be­schul­dig­te Per­son und ih­re Ver­tei­di­gung;
e.
die ge­schä­dig­te Per­son;
f.
mög­lichst kurz, aber ge­nau: die der be­schul­dig­ten Per­son vor­ge­wor­fe­nen Ta­ten mit Be­schrei­bung von Ort, Da­tum, Zeit, Art und Fol­gen der Tat­aus­füh­rung;
g.
die nach Auf­fas­sung der Staats­an­walt­schaft er­füll­ten Straf­tat­be­stän­de un­ter An­ga­be der an­wend­ba­ren Ge­set­zes­be­stim­mun­gen.

2 Die Staats­an­walt­schaft kann ei­ne Al­ter­na­ti­van­kla­ge oder für den Fall der Ver­wer­fung ih­rer Haupt­an­kla­ge ei­ne Even­tualan­kla­ge er­he­ben.

Art. 326 Weitere Angaben und Anträge

1 Die Staats­an­walt­schaft macht dem Ge­richt fol­gen­de An­ga­ben und stellt ihm fol­gen­de An­trä­ge, so­weit die­se nicht be­reits aus der An­kla­ge­schrift her­vor­ge­hen:

a.
die Pri­vat­klä­ger­schaft so­wie de­ren all­fäl­li­ge Zi­vil­kla­gen;
b.
die an­ge­ord­ne­ten Zwangs­mass­nah­men;
c.
die be­schlag­nahm­ten Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te;
d.
die ent­stan­de­nen Un­ter­su­chungs­kos­ten;
e.
ih­ren all­fäl­li­gen An­trag auf An­ord­nung der Si­cher­heits­haft;
f.
ih­re An­trä­ge zu den Sank­tio­nen oder die An­kün­di­gung, die­se An­trä­ge wür­den an der Haupt­ver­hand­lung ge­stellt;
g.
ih­re An­trä­ge auf nach­träg­li­che rich­ter­li­che Ent­schei­dun­gen;
h.
ihr Er­su­chen, ei­ne Vor­la­dung zur Haupt­ver­hand­lung zu er­hal­ten.

2 Tritt die Staats­an­walt­schaft nicht per­sön­lich vor Ge­richt auf, so kann sie ih­rer An­kla­ge zur Er­läu­te­rung des Sach­ver­halts einen Schluss­be­richt bei­fü­gen, der auch Aus­füh­run­gen zur Be­weis­wür­di­gung ent­hält.

Art. 327 Zustellung der Anklage

1 Die Staats­an­walt­schaft über­mit­telt die An­kla­ge­schrift so­wie einen all­fäl­li­gen Schluss­be­richt un­ver­züg­lich:

a.
der be­schul­dig­ten Per­son, de­ren Auf­ent­halts­ort be­kannt ist;
b.
der Pri­vat­klä­ger­schaft;
c.
dem Op­fer;
d.
dem zu­stän­di­gen Ge­richt zu­sam­men mit den Ak­ten so­wie den be­schlag­nahm­ten Ge­gen­stän­den und Ver­mö­gens­wer­ten.

2 Be­an­tragt die Staats­an­walt­schaft die An­ord­nung der Si­cher­heits­haft, so über­mit­telt sie mit dem ent­spre­chen­den Ge­such auch dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt ei­ne Aus­fer­ti­gung der An­kla­ge­schrift.

7. Titel: Erstinstanzliches Hauptverfahren

1. Kapitel: Rechtshängigkeit, Vorbereitung der Hauptverhandlung, allgemeine Bestimmungen zur Hauptverhandlung

Art. 328 Rechtshängigkeit

1 Mit dem Ein­gang der An­kla­ge­schrift wird das Ver­fah­ren beim Ge­richt rechts­hän­gig.

2 Mit der Rechts­hän­gig­keit ge­hen die Be­fug­nis­se im Ver­fah­ren auf das Ge­richt über.

Art. 329 Prüfung der Anklage; Sistierung und Einstellung des Verfahrens

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung prüft, ob:

a.
die An­kla­ge­schrift und die Ak­ten ord­nungs­ge­mä­ss er­stellt sind;
b.
die Pro­zess­vor­aus­set­zun­gen er­füllt sind;
c.
Ver­fah­rens­hin­der­nis­se be­ste­hen.

2 Er­gibt sich auf­grund die­ser Prü­fung oder spä­ter im Ver­fah­ren, dass ein Ur­teil zur­zeit nicht er­ge­hen kann, so sis­tiert das Ge­richt das Ver­fah­ren. Falls er­for­der­lich, weist es die An­kla­ge zur Er­gän­zung oder Be­rich­ti­gung an die Staats­an­walt­schaft zu­rück.

3 Das Ge­richt ent­schei­det, ob ein sis­tier­ter Fall bei ihm hän­gig bleibt.

4 Kann ein Ur­teil de­fi­ni­tiv nicht er­ge­hen, so stellt das Ge­richt das Ver­fah­ren ein, nach­dem es den Par­tei­en und wei­te­ren durch die Ein­stel­lung be­schwer­ten Drit­ten das recht­li­che Ge­hör ge­währt hat. Ar­ti­kel 320 ist sinn­ge­mä­ss an­wend­bar.

5 Soll das Ver­fah­ren nur in ein­zel­nen An­kla­ge­punk­ten ein­ge­stellt wer­den, so kann die Ein­stel­lung zu­sam­men mit dem Ur­teil er­ge­hen.

Art. 330 Vorbereitung der Hauptverhandlung

1 Ist auf die An­kla­ge ein­zu­tre­ten, so trifft die Ver­fah­rens­lei­tung un­ver­züg­lich die zur Durch­füh­rung der Haupt­ver­hand­lung not­wen­di­gen An­ord­nun­gen.

2 Bei Kol­le­gi­al­ge­rich­ten setzt die Ver­fah­rens­lei­tung die Ak­ten in Zir­ku­la­ti­on.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung in­for­miert das Op­fer über sei­ne Rech­te, so­fern die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den dies noch nicht ge­tan ha­ben; Ar­ti­kel 305 ist sinn­ge­mä­ss an­wend­bar.

Art. 331 Ansetzen der Hauptverhandlung

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung be­stimmt, wel­che Be­wei­se in der Haupt­ver­hand­lung er­ho­ben wer­den. Sie teilt den Par­tei­en mit, in wel­cher Zu­sam­men­set­zung das Ge­richt ta­gen wird und wel­che Be­wei­se er­ho­ben wer­den sol­len.

2 Sie setzt den Par­tei­en gleich­zei­tig Frist, um Be­weis­an­trä­ge zu stel­len und zu be­grün­den; da­bei macht sie die Par­tei­en auf die mög­li­chen Kos­ten- und Ent­schä­di­gungs­fol­gen ver­spä­te­ter Be­weis­an­trä­ge auf­merk­sam.

3 Lehnt sie Be­weis­an­trä­ge ab, so teilt sie dies den Par­tei­en mit kur­z­er Be­grün­dung mit. Die Ab­leh­nung ist nicht an­fecht­bar, doch kön­nen ab­ge­lehn­te Be­weis­an­trä­ge an der Haupt­ver­hand­lung er­neut ge­stellt wer­den.

4 Die Ver­fah­rens­lei­tung setzt Da­tum, Zeit und Ort der Haupt­ver­hand­lung fest und lädt die Par­tei­en so­wie die Zeu­gin­nen und Zeu­gen, Aus­kunfts­per­so­nen und Sach­ver­stän­di­gen vor, die ein­ver­nom­men wer­den sol­len.

5 Sie ent­schei­det end­gül­tig über Ver­schie­bungs­ge­su­che, die vor Be­ginn der Haupt­ver­hand­lung ein­ge­hen.

Art. 332 Vorverhandlungen

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann die Par­tei­en zur Re­ge­lung or­ga­ni­sa­to­ri­scher Fra­gen zu ei­ner Vor­ver­hand­lung vor­la­den.

2 Sie kann die Par­tei­en nach Mass­ga­be von Ar­ti­kel 316 zu Ver­gleichs­ver­hand­lun­gen vor­la­den.

3 Ist die Er­he­bung ei­nes Be­wei­ses in der Haupt­ver­hand­lung vor­aus­sicht­lich nicht mög­lich, so kann die Ver­fah­rens­lei­tung ei­ne vor­gän­gi­ge Be­weis­er­he­bung durch­füh­ren, da­mit ei­ne De­le­ga­ti­on des Ge­richts, in drin­gen­den Fäl­len auch die Staats­an­walt­schaft be­trau­en oder die Be­weis­er­he­bung rechts­hil­fe­wei­se vor­neh­men las­sen. Den Par­tei­en ist Ge­le­gen­heit zu ge­ben, an sol­chen Be­weis­er­he­bun­gen teil­zu­neh­men.

Art. 333 Änderung und Erweiterung der Anklage

1 Das Ge­richt gibt der Staats­an­walt­schaft Ge­le­gen­heit, die An­kla­ge zu än­dern, wenn nach sei­ner Auf­fas­sung der in der An­kla­ge­schrift um­schrie­be­ne Sach­ver­halt einen an­dern Straf­tat­be­stand er­fül­len könn­te, die An­kla­ge­schrift aber den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen nicht ent­spricht.

2 Wer­den wäh­rend des Haupt­ver­fah­rens neue Straf­ta­ten der be­schul­dig­ten Per­son be­kannt, so kann das Ge­richt der Staats­an­walt­schaft ge­stat­ten, die An­kla­ge zu er­wei­tern.

3 Ei­ne Er­wei­te­rung ist aus­ge­schlos­sen, wenn da­durch das Ver­fah­ren über Ge­bühr er­schwert oder die Zu­stän­dig­keit des Ge­richts än­dern wür­de oder wenn ein Fall von Mit­tä­ter­schaft oder Teil­nah­me vor­liegt. In die­sen Fäl­len lei­tet die Staats­an­walt­schaft ein Vor­ver­fah­ren ein.

4 Das Ge­richt darf ei­ne ge­än­der­te oder er­wei­ter­te An­kla­ge sei­nem Ur­teil nur zu Grun­de le­gen, wenn die Par­tei­rech­te der be­schul­dig­ten Per­son und der Pri­vat­klä­ger­schaft ge­wahrt wor­den sind. Es un­ter­bricht da­für nö­ti­gen­falls die Haupt­ver­hand­lung.

Art. 334 Überweisung

1 Ge­langt das Ge­richt zum Schluss, in ei­nem bei ihm hän­gi­gen Ver­fah­ren kom­me ei­ne Stra­fe oder Mass­nah­me in Fra­ge, die sei­ne Ur­teils­kom­pe­tenz über­schrei­tet, so über­weist es den Fall spä­tes­tens nach Ab­schluss der Par­tei­vor­trä­ge dem zu­stän­di­gen Ge­richt. Die­ses führt ein ei­ge­nes Be­weis­ver­fah­ren durch.

2 Der Über­wei­sungs­ent­scheid ist nicht an­fecht­bar.

2. Kapitel: Durchführung der Hauptverhandlung

1. Abschnitt: Gericht und Verfahrensbeteiligte

Art. 335 Zusammensetzung des Gerichts

1 Das Ge­richt tagt wäh­rend der ge­sam­ten Haupt­ver­hand­lung in sei­ner ge­setz­mäs­si­gen Zu­sam­men­set­zung und im Bei­sein ei­ner Ge­richts­schrei­be­rin oder ei­nes Ge­richts­schrei­bers.

2 Fällt wäh­rend der Haupt­ver­hand­lung ei­ne Rich­te­rin oder ein Rich­ter aus, so wird die ge­sam­te Haupt­ver­hand­lung wie­der­holt, es sei denn, die Par­tei­en ver­zich­te­ten dar­auf.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann an­ord­nen, dass von An­fang an ein Er­satz­mit­glied des Ge­richts an den Ver­hand­lun­gen teil­nimmt, um nö­ti­gen­falls ein Mit­glied des Ge­richts zu er­set­zen.

4 Hat das Ge­richt Straf­ta­ten ge­gen die se­xu­el­le In­te­gri­tät zu be­ur­tei­len, so muss ihm auf An­trag des Op­fers we­nigs­tens ei­ne Per­son des glei­chen Ge­schlechts wie das Op­fer an­ge­hö­ren. Bei Ein­zel­ge­rich­ten kann von die­ser Re­ge­lung ab­ge­wi­chen wer­den, wenn Op­fer bei­der­lei Ge­schlechts be­tei­ligt sind.

Art. 336 Beschuldigte Person, amtliche und notwendige Verteidigung

1 Die be­schul­dig­te Per­son hat an der Haupt­ver­hand­lung per­sön­lich teil­zu­neh­men, wenn:

a.
Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen be­han­delt wer­den; oder
b.
die Ver­fah­rens­lei­tung ih­re per­sön­li­che Teil­nah­me an­ord­net.

2 Die amt­li­che und die not­wen­di­ge Ver­tei­di­gung ha­ben an der Haupt­ver­hand­lung per­sön­lich teil­zu­neh­men.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann die be­schul­dig­te Per­son auf ihr Ge­such hin vom per­sön­li­chen Er­schei­nen dis­pen­sie­ren, wenn die­se wich­ti­ge Grün­de gel­tend macht und wenn ih­re An­we­sen­heit nicht er­for­der­lich ist.

4 Bleibt die be­schul­dig­te Per­son un­ent­schul­digt aus, so sind die Vor­schrif­ten über das Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren an­wend­bar.

5 Bleibt die amt­li­che oder die not­wen­di­ge Ver­tei­di­gung aus, so wird die Ver­hand­lung ver­scho­ben.

Art. 337 Staatsanwaltschaft

1 Die Staats­an­walt­schaft kann dem Ge­richt schrift­li­che An­trä­ge stel­len oder per­sön­lich vor Ge­richt auf­tre­ten.

2 Sie ist we­der an die in der An­kla­ge­schrift vor­ge­nom­me­ne recht­li­che Wür­di­gung noch an die dar­in ge­stell­ten An­trä­ge ge­bun­den.

3 Be­an­tragt sie ei­ne Frei­heits­s­tra­fe von mehr als ei­nem Jahr oder ei­ne frei­heits­ent­zie­hen­de Mass­nah­me, so hat sie die An­kla­ge vor Ge­richt per­sön­lich zu ver­tre­ten.

4 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann die Staats­an­walt­schaft auch in an­de­ren Fäl­len zur per­sön­li­chen Ver­tre­tung der An­kla­ge ver­pflich­ten, wenn sie dies für nö­tig er­ach­tet.

5 Er­scheint die Staats­an­walt­schaft nicht an der Haupt­ver­hand­lung, ob­wohl sie da­zu ver­pflich­tet wä­re, so wird die Ver­hand­lung ver­scho­ben.

Art. 338 Privatklägerschaft und Dritte

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann die Pri­vat­klä­ger­schaft auf ihr Ge­such hin vom per­sön­li­chen Er­schei­nen dis­pen­sie­ren, wenn ih­re An­we­sen­heit nicht er­for­der­lich ist.

2 Dem von ei­ner be­an­trag­ten Ein­zie­hung be­trof­fe­nen Drit­ten ist das per­sön­li­che Er­schei­nen frei­ge­stellt.

3 Er­scheint die Pri­vat­klä­ger­schaft oder der von ei­ner be­an­trag­ten Ein­zie­hung be­trof­fe­ne Drit­te nicht per­sön­lich, so kann sie oder er sich ver­tre­ten las­sen oder schrift­li­che An­trä­ge stel­len.

2. Abschnitt: Beginn der Hauptverhandlung

Art. 339 Eröffnung; Vor- und Zwischenfragen

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung er­öff­net die Haupt­ver­hand­lung, gibt die Zu­sam­men­set­zung des Ge­richts be­kannt und stellt die An­we­sen­heit der vor­ge­la­de­nen Per­so­nen fest.

2 An­sch­lies­send kön­nen das Ge­richt und die Par­tei­en Vor­fra­gen auf­wer­fen, ins­be­son­de­re be­tref­fend:

a.
die Gül­tig­keit der An­kla­ge;
b.
die Pro­zess­vor­aus­set­zun­gen;
c.
Ver­fah­rens­hin­der­nis­se;
d.
die Ak­ten und die er­ho­be­nen Be­wei­se;
e.
die Öf­fent­lich­keit der Ver­hand­lung;
f.
die Zwei­tei­lung der Ver­hand­lung.

3 Das Ge­richt ent­schei­det un­ver­züg­lich über die Vor­fra­gen, nach­dem es den an­we­sen­den Par­tei­en das recht­li­che Ge­hör ge­währt hat.

4 Stel­len die Par­tei­en wäh­rend der Haupt­ver­hand­lung Zwi­schen­fra­gen, so be­han­delt sie das Ge­richt wie Vor­fra­gen.

5 Bei der Be­hand­lung von Vor- oder Zwi­schen­fra­gen kann das Ge­richt die Haupt­ver­hand­lung je­der­zeit ver­ta­gen, um die Ak­ten oder die Be­wei­se zu er­gän­zen oder durch die Staats­an­walt­schaft er­gän­zen zu las­sen.

Art. 340 Fortgang der Verhandlung

1 Sind all­fäl­li­ge Vor­fra­gen be­han­delt, so hat dies zur Fol­ge, dass:

a.
die Haupt­ver­hand­lung oh­ne un­nö­ti­ge Un­ter­bre­chun­gen zu En­de zu füh­ren ist;
b.
die An­kla­ge nicht mehr zu­rück­ge­zo­gen und un­ter Vor­be­halt von Ar­ti­kel 333 nicht mehr ge­än­dert wer­den kann;
c.
zur An­we­sen­heit ver­pflich­te­te Par­tei­en den Ver­hand­lungs­ort nur noch mit Ein­wil­li­gung des Ge­richts ver­las­sen dür­fen; ver­lässt ei­ne Par­tei den Ver­hand­lungs­ort, so wird die Ver­hand­lung gleich­wohl fort­ge­setzt.

2 Nach der Be­hand­lung all­fäl­li­ger Vor­fra­gen gibt die Ver­fah­rens­lei­tung die An­trä­ge der Staats­an­walt­schaft be­kannt, falls die Par­tei­en nicht dar­auf ver­zich­ten.

3. Abschnitt: Beweisverfahren

Art. 341 Einvernahmen

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung oder ein von ihr be­stimm­tes Mit­glied des Ge­richts führt die Ein­ver­nah­men durch.

2 Die an­de­ren Mit­glie­der des Ge­richts und die Par­tei­en kön­nen durch die Ver­fah­rens­lei­tung Er­gän­zungs­fra­gen stel­len las­sen oder sie mit de­ren Er­mäch­ti­gung sel­ber stel­len.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung be­fragt zu Be­ginn des Be­weis­ver­fah­rens die be­schul­dig­te Per­son ein­ge­hend zu ih­rer Per­son, zur An­kla­ge und zu den Er­geb­nis­sen des Vor­ver­fah­rens.

Art. 342 Zweiteilung der Hauptverhandlung

1 Das Ge­richt kann auf An­trag der be­schul­dig­ten Per­son oder der Staats­an­walt­schaft oder von Am­tes we­gen die Haupt­ver­hand­lung zwei­tei­len; da­bei kann es be­stim­men, dass:

a.
in ei­nem ers­ten Ver­fah­rens­teil nur die Tat- und die Schuld­fra­ge, in ei­nem zwei­ten die Fol­gen ei­nes Schuld- oder Frei­spruchs be­han­delt wer­den; oder
b.
in ei­nem ers­ten Ver­fah­rens­teil nur die Tat­fra­ge und in ei­nem zwei­ten die Schuld­fra­ge so­wie die Fol­gen ei­nes Schuld- oder Frei­spruchs be­han­delt wer­den.

2 Die Ent­schei­dung über die Zwei­tei­lung der Haupt­ver­hand­lung ist nicht an­fecht­bar.

3 Bei ei­ner Zwei­tei­lung dür­fen die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se der be­schul­dig­ten Per­son nur im Fal­le ei­nes Schuld­spruchs zum Ge­gen­stand der Haupt­ver­hand­lung ge­macht wer­den, es sei denn, dass sie für die Fra­ge des ob­jek­ti­ven oder sub­jek­ti­ven Tat­be­stan­des von Be­deu­tung sind.

4 Die Ent­schei­de über die Tat- und die Schuld­fra­ge wer­den nach ih­rer Be­ra­tung er­öff­net, sind je­doch erst mit dem ge­sam­ten Ur­teil an­fecht­bar.

Art. 343 Beweisabnahme

1 Das Ge­richt er­hebt neue und er­gänzt un­voll­stän­dig er­ho­be­ne Be­wei­se.

2 Es er­hebt im Vor­ver­fah­ren nicht ord­nungs­ge­mä­ss er­ho­be­ne Be­wei­se noch­mals.

3 Es er­hebt im Vor­ver­fah­ren ord­nungs­ge­mä­ss er­ho­be­ne Be­wei­se noch­mals, so­fern die un­mit­tel­ba­re Kennt­nis des Be­weis­mit­tels für die Ur­teils­fäl­lung not­wen­dig er­scheint.

Art. 344 Abweichende rechtliche Würdigung

Will das Ge­richt den Sach­ver­halt recht­lich an­ders wür­di­gen als die Staats­an­walt­schaft in der An­kla­ge­schrift, so er­öff­net es dies den an­we­sen­den Par­tei­en und gibt ih­nen Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me.

Art. 345 Abschluss des Beweisverfahrens

Vor Ab­schluss des Be­weis­ver­fah­rens gibt das Ge­richt den Par­tei­en Ge­le­gen­heit, wei­te­re Be­weis­an­trä­ge zu stel­len.

4. Abschnitt: Parteivorträge und Abschluss der Parteiverhandlungen

Art. 346 Parteivorträge

1 Nach Ab­schluss des Be­weis­ver­fah­rens stel­len und be­grün­den die Par­tei­en ih­re An­trä­ge. Die Par­tei­vor­trä­ge fin­den in fol­gen­der Rei­hen­fol­ge statt:

a.
Staats­an­walt­schaft;
b.
Pri­vat­klä­ger­schaft;
c.
Drit­te, die von ei­ner be­an­trag­ten Ein­zie­hung (Art. 69–73 StGB157) be­trof­fen sind;
d.
be­schul­dig­te Per­son oder ih­re Ver­tei­di­gung.

2 Die Par­tei­en ha­ben das Recht auf einen zwei­ten Par­tei­vor­trag.

Art. 347 Abschluss der Parteiverhandlungen

1 Die be­schul­dig­te Per­son hat nach Ab­schluss der Par­tei­vor­trä­ge das Recht auf das letz­te Wort.

2 An­sch­lies­send er­klärt die Ver­fah­rens­lei­tung die Par­teiver­hand­lun­gen für ge­schlos­sen.

5. Abschnitt: Urteil

Art. 348 Urteilsberatung

1 Das Ge­richt zieht sich nach dem Ab­schluss der Par­teiver­hand­lun­gen zur ge­hei­men Ur­teils­be­ra­tung zu­rück.

2 Die Ge­richts­schrei­be­rin oder der Ge­richts­schrei­ber nimmt mit be­ra­ten­der Stim­me teil.

Art. 349 Ergänzung von Beweisen

Ist der Fall noch nicht spruch­reif, so ent­schei­det das Ge­richt, die Be­wei­se zu er­gän­zen und die Par­teiver­hand­lun­gen wie­der auf­zu­neh­men.

Art. 350 Bindung an die Anklage; Grundlage des Urteils

1 Das Ge­richt ist an den in der An­kla­ge um­schrie­be­nen Sach­ver­halt, nicht aber an die dar­in vor­ge­nom­me­ne recht­li­che Wür­di­gung ge­bun­den.

2 Es be­rück­sich­tigt die im Vor­ver­fah­ren und im Haupt­ver­fah­ren er­ho­be­nen Be­wei­se.

Art. 351 Urteilsfällung und Urteilseröffnung

1 Kann das Ge­richt ma­te­ri­ell über die An­kla­ge ent­schei­den, so fällt es ein Ur­teil über die Schuld, die Sank­tio­nen und die wei­te­ren Fol­gen.

2 Es fällt sein Ur­teil in al­len Punk­ten mit ein­fa­cher Mehr­heit. Je­des Mit­glied ist zur Stimm­ab­ga­be ver­pflich­tet.

3 Es er­öff­net sein Ur­teil nach den Be­stim­mun­gen von Ar­ti­kel 84.

8. Titel: Besondere Verfahren

1. Kapitel: Strafbefehlsverfahren, Übertretungsstrafverfahren

1. Abschnitt: Strafbefehlsverfahren

Art. 352 Voraussetzungen

1 Hat die be­schul­dig­te Per­son im Vor­ver­fah­ren den Sach­ver­halt ein­ge­stan­den oder ist die­ser an­der­wei­tig aus­rei­chend ge­klärt, so er­lässt die Staats­an­walt­schaft einen Straf­be­fehl, wenn sie, un­ter Ein­rech­nung ei­ner all­fäl­lig zu wi­der­ru­fen­den be­ding­ten Stra­fe oder be­ding­ten Ent­las­sung, ei­ne der fol­gen­den Stra­fen für aus­rei­chend hält:

a.
ei­ne Bus­se;
b.
ei­ne Geld­stra­fe von höchs­tens 180 Ta­ges­sät­zen;
c.158
d.
ei­ne Frei­heits­s­tra­fe von höchs­tens 6 Mo­na­ten.

2 Je­de die­ser Stra­fen kann mit ei­ner Mass­nah­me nach den Ar­ti­keln 66 und 67e–73 StGB159 ver­bun­den wer­den.160

3 Stra­fen nach Ab­satz 1 Buch­sta­ben b–d kön­nen mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den, so­fern die ins­ge­samt aus­ge­spro­che­ne Stra­fe ei­ner Frei­heits­s­tra­fe von höchs­tens 6 Mo­na­ten ent­spricht. Ei­ne Ver­bin­dung mit Bus­se ist im­mer mög­lich.

158 Auf­ge­ho­ben durch An­hang Ziff. 3 des BG vom 19. Ju­ni 2015 (Än­de­run­gen des Sank­tio­nen­rechts), mit Wir­kung seit 1. Jan. 2018 (AS 2016 1249; BBl 2012 4721).

159 SR 311.0

160 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 5 des BG vom 20. März 2015 (Um­set­zung von Art. 121 Abs. 3–6 BV über die Aus­schaf­fung kri­mi­nel­ler Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der), in Kraft seit 1. Okt. 2016 (AS 2016 2329; BBl 2013 5975).

Art. 353 Inhalt und Eröffnung des Strafbefehls

1 Der Straf­be­fehl ent­hält:

a.
die Be­zeich­nung der ver­fü­gen­den Be­hör­de;
b.
die Be­zeich­nung der be­schul­dig­ten Per­son;
c.
den Sach­ver­halt, wel­cher der be­schul­dig­ten Per­son zur Last ge­legt wird;
d.
die da­durch er­füll­ten Straf­tat­be­stän­de;
e.
die Sank­ti­on;
f.
den kurz be­grün­de­ten Wi­der­ruf ei­ner be­dingt aus­ge­spro­che­nen Sank­ti­on oder ei­ner be­ding­ten Ent­las­sung;
g.
die Kos­ten- und Ent­schä­di­gungs­fol­gen;
h.
die Be­zeich­nung be­schlag­nahm­ter Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te, die frei­ge­ge­ben oder ein­ge­zo­gen wer­den;
i.
den Hin­weis auf die Mög­lich­keit der Ein­spra­che und die Fol­gen ei­ner un­ter­blie­be­nen Ein­spra­che;
j.
Ort und Da­tum der Aus­stel­lung;
k.
die Un­ter­schrift der aus­stel­len­den Per­son.

2 So­weit die be­schul­dig­te Per­son Zi­vil­for­de­run­gen der Pri­vat­klä­ger­schaft an­er­kannt hat, wird dies im Straf­be­fehl vor­ge­merkt. Nicht an­er­kann­te For­de­run­gen wer­den auf den Zi­vil­weg ver­wie­sen.

3 Der Straf­be­fehl wird den Per­so­nen und Be­hör­den, die zur Ein­spra­che be­fugt sind, un­ver­züg­lich schrift­lich er­öff­net.

Art. 354 Einsprache

1 Ge­gen den Straf­be­fehl kön­nen bei der Staats­an­walt­schaft in­nert 10 Ta­gen schrift­lich Ein­spra­che er­he­ben:

a.
die be­schul­dig­te Per­son;
b.
wei­te­re Be­trof­fe­ne;
c.
so­weit vor­ge­se­hen die Ober- oder Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft des Bun­des oder des be­tref­fen­den Kan­tons im je­wei­li­gen eid­ge­nös­si­schen oder kan­to­na­len Ver­fah­ren.

2 Die Ein­spra­chen sind zu be­grün­den; aus­ge­nom­men ist die Ein­spra­che der be­schul­dig­ten Per­son.

3 Oh­ne gül­ti­ge Ein­spra­che wird der Straf­be­fehl zum rechts­kräf­ti­gen Ur­teil.

Art. 355 Verfahren bei Einsprache

1 Wird Ein­spra­che er­ho­ben, so nimmt die Staats­an­walt­schaft die wei­te­ren Be­wei­se ab, die zur Be­ur­tei­lung der Ein­spra­che er­for­der­lich sind.

2 Bleibt ei­ne Ein­spra­che er­he­ben­de Per­son trotz Vor­la­dung ei­ner Ein­ver­nah­me un­ent­schul­digt fern, so gilt ih­re Ein­spra­che als zu­rück­ge­zo­gen.

3 Nach Ab­nah­me der Be­wei­se ent­schei­det die Staats­an­walt­schaft, ob sie:

a.
am Straf­be­fehl fest­hält;
b.
das Ver­fah­ren ein­stellt;
c.
einen neu­en Straf­be­fehl er­lässt;
d.
An­kla­ge beim ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt er­hebt.

Art. 356 Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht

1 Ent­sch­liesst sich die Staats­an­walt­schaft, am Straf­be­fehl fest­zu­hal­ten, so über­weist sie die Ak­ten un­ver­züg­lich dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt zur Durch­füh­rung des Haupt­ver­fah­rens. Der Straf­be­fehl gilt als An­kla­ge­schrift.

2 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt ent­schei­det über die Gül­tig­keit des Straf­be­fehls und der Ein­spra­che.

3 Die Ein­spra­che kann bis zum Ab­schluss der Par­tei­vor­trä­ge zu­rück­ge­zo­gen wer­den.

4 Bleibt die Ein­spra­che er­he­ben­de Per­son der Haupt­ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern und lässt sie sich auch nicht ver­tre­ten, so gilt ih­re Ein­spra­che als zu­rück­ge­zo­gen.

5 Ist der Straf­be­fehl un­gül­tig, so hebt das Ge­richt ihn auf und weist den Fall zur Durch­füh­rung ei­nes neu­en Vor­ver­fah­rens an die Staats­an­walt­schaft zu­rück.

6 Be­zieht sich die Ein­spra­che nur auf die Kos­ten und Ent­schä­di­gun­gen oder wei­te­re Ne­ben­fol­gen, so ent­schei­det das Ge­richt in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren, es sei denn, die Ein­spra­che er­he­ben­de Per­son ver­lan­ge aus­drück­lich ei­ne Ver­hand­lung.

7 Sind ge­gen meh­re­re Per­so­nen Straf­be­feh­le er­las­sen wor­den, die sich auf den glei­chen Sach­ver­halt be­zie­hen, so ist Ar­ti­kel 392 sinn­ge­mä­ss an­wend­bar.

2. Abschnitt: Übertretungsstrafverfahren

Art. 357

1 Die zur Ver­fol­gung und Be­ur­tei­lung von Über­tre­tun­gen ein­ge­setz­ten Ver­wal­tungs­be­hör­den ha­ben die Be­fug­nis­se der Staats­an­walt­schaft.

2 Das Ver­fah­ren rich­tet sich sinn­ge­mä­ss nach den Vor­schrif­ten über das Straf­be­fehls­ver­fah­ren.

3 Ist der Über­tre­tungs­tat­be­stand nicht er­füllt, so stellt die Über­tre­tungs­straf­be­hör­de das Ver­fah­ren mit ei­ner kurz be­grün­de­ten Ver­fü­gung ein.

4 Ist der zu be­ur­tei­len­de Sach­ver­halt nach Auf­fas­sung der Über­tre­tungs­straf­be­hör­de als Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen straf­bar, so über­weist sie den Fall der Staats­an­walt­schaft.

2. Kapitel: Abgekürztes Verfahren

Art. 358 Grundsätze

1 Die be­schul­dig­te Per­son kann der Staats­an­walt­schaft bis zur An­kla­ge­er­he­bung die Durch­füh­rung des ab­ge­kürz­ten Ver­fah­rens be­an­tra­gen, wenn sie den Sach­ver­halt, der für die recht­li­che Wür­di­gung we­sent­lich ist, ein­ge­steht und die Zi­vil­an­sprü­che zu­min­dest im Grund­satz an­er­kennt.

2 Das ab­ge­kürz­te Ver­fah­ren ist aus­ge­schlos­sen, wenn die Staats­an­walt­schaft ei­ne Frei­heits­s­tra­fe von mehr als fünf Jah­ren ver­langt.

Art. 359 Einleitung

1 Die Staats­an­walt­schaft ent­schei­det über die Durch­füh­rung des ab­ge­kürz­ten Ver­fah­rens end­gül­tig. Die Ver­fü­gung muss nicht be­grün­det wer­den.

2 Die Staats­an­walt­schaft teilt den Par­tei­en die Durch­füh­rung des ab­ge­kürz­ten Ver­fah­rens mit und setzt der Pri­vat­klä­ger­schaft ei­ne Frist von 10 Ta­gen, um Zi­vil­an­sprü­che und die For­de­rung auf Ent­schä­di­gung für not­wen­di­ge Auf­wen­dun­gen im Ver­fah­ren an­zu­mel­den.

Art. 360 Anklageschrift

1 Die An­kla­ge­schrift ent­hält:

a.
die An­ga­ben nach den Ar­ti­keln 325 und 326;
b.
das Straf­mass;
c.
Mass­nah­men;
d.
Wei­sun­gen bei Ge­wäh­rung des be­ding­ten Straf­voll­zugs;
e.
den Wi­der­ruf von be­dingt aus­ge­spro­che­nen Sank­tio­nen oder Ent­las­sun­gen aus dem Sank­ti­ons­voll­zug;
f.
die Re­ge­lung der zi­vil­recht­li­chen An­sprü­che der Pri­vat­klä­ger­schaft;
g.
die Kos­ten- und Ent­schä­di­gungs­fol­gen;
h.
den Hin­weis an die Par­tei­en, dass die­se mit der Zu­stim­mung zur An­kla­ge­schrift auf ein or­dent­li­ches Ver­fah­ren so­wie auf Rechts­mit­tel ver­zich­ten.

2 Die Staats­an­walt­schaft er­öff­net die An­kla­ge­schrift den Par­tei­en. Die­se ha­ben in­nert zehn Ta­gen zu er­klä­ren, ob sie der An­kla­ge­schrift zu­stim­men oder sie ab­leh­nen. Die Zu­stim­mung ist un­wi­der­ruf­lich.

3 Lehnt die Pri­vat­klä­ger­schaft die An­kla­ge­schrift in­nert Frist nicht schrift­lich ab, so gilt dies als Zu­stim­mung.

4 Stim­men die Par­tei­en zu, so über­mit­telt die Staats­an­walt­schaft die An­kla­ge­schrift mit den Ak­ten dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt.

5 Stimmt ei­ne Par­tei nicht zu, so führt die Staats­an­walt­schaft ein or­dent­li­ches Vor­ver­fah­ren durch.

Art. 361 Hauptverhandlung

1 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt führt ei­ne Haupt­ver­hand­lung durch.

2 An der Haupt­ver­hand­lung be­fragt das Ge­richt die be­schul­dig­te Per­son und stellt fest, ob:

a.
sie den Sach­ver­halt an­er­kennt, wel­cher der An­kla­ge zu Grun­de liegt; und
b.
die­se Er­klä­rung mit der Ak­ten­la­ge über­ein­stimmt.

3 Das Ge­richt be­fragt wenn nö­tig auch die üb­ri­gen an­we­sen­den Par­tei­en.

4 Ein Be­weis­ver­fah­ren fin­det nicht statt.

Art. 362 Urteil oder ablehnender Entscheid

1 Das Ge­richt be­fin­det frei dar­über, ob:

a.
die Durch­füh­rung des ab­ge­kürz­ten Ver­fah­rens recht­mäs­sig und an­ge­bracht ist;
b.
die An­kla­ge mit dem Er­geb­nis der Haupt­ver­hand­lung und mit den Ak­ten über­ein­stimmt; und
c.
die be­an­trag­ten Sank­tio­nen an­ge­mes­sen sind.

2 Sind die Vor­aus­set­zun­gen für ein Ur­teil im ab­ge­kürz­ten Ver­fah­ren er­füllt, so er­hebt das Ge­richt die Straf­tat­be­stän­de, Sank­tio­nen und Zi­vil­an­sprü­che der An­kla­ge­schrift zum Ur­teil. Die Er­fül­lung der Vor­aus­set­zun­gen für das ab­ge­kürz­te Ver­fah­ren wird sum­ma­risch be­grün­det.

3 Sind die Vor­aus­set­zun­gen für ein Ur­teil im ab­ge­kürz­ten Ver­fah­ren nicht er­füllt, so weist das Ge­richt die Ak­ten an die Staats­an­walt­schaft zur Durch­füh­rung ei­nes or­dent­li­chen Vor­ver­fah­rens zu­rück. Das Ge­richt er­öff­net den Par­tei­en sei­nen ab­leh­nen­den Ent­scheid münd­lich so­wie schrift­lich im Dis­po­si­tiv. Die­ser Ent­scheid ist nicht an­fecht­bar.

4 Er­klä­run­gen, die von den Par­tei­en im Hin­blick auf das ab­ge­kürz­te Ver­fah­ren ab­ge­ge­ben wor­den sind, sind nach der Ab­leh­nung ei­nes Ur­teils im ab­ge­kürz­ten Ver­fah­ren in ei­nem fol­gen­den or­dent­li­chen Ver­fah­ren nicht ver­wert­bar.

5 Mit der Be­ru­fung ge­gen ein Ur­teil im ab­ge­kürz­ten Ver­fah­ren kann ei­ne Par­tei nur gel­tend ma­chen, sie ha­be der An­kla­ge­schrift nicht zu­ge­stimmt oder das Ur­teil ent­spre­che der An­kla­ge­schrift nicht.

3. Kapitel: Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden des Gerichts

Art. 363 Zuständigkeit

1 Das Ge­richt, wel­ches das ers­tin­stanz­li­che Ur­teil ge­fällt hat, trifft auch die ei­ner ge­richt­li­chen Be­hör­de über­tra­ge­nen selbst­stän­di­gen nach­träg­li­chen Ent­schei­de, so­fern Bund oder Kan­to­ne nichts an­de­res be­stim­men.

2 Hat die Staats­an­walt­schaft im Straf­be­fehls­ver­fah­ren oder die Über­tre­tungs­straf­be­hör­de im Über­tre­tungs­straf­ver­fah­ren ent­schie­den, so tref­fen die­se Be­hör­den auch die nach­träg­li­chen Ent­schei­de.

3 Für nach­träg­li­che Ent­schei­de, die nicht dem Ge­richt zu­ste­hen, be­stim­men Bund und Kan­to­ne die zu­stän­di­gen Be­hör­den.

Art. 364 Verfahren

1 Die zu­stän­di­ge Be­hör­de lei­tet das Ver­fah­ren auf Er­lass ei­nes nach­träg­li­chen rich­ter­li­chen Ent­scheids von Am­tes we­gen ein, so­fern das Bun­des­recht nichts an­de­res be­stimmt. Sie reicht dem Ge­richt die ent­spre­chen­den Ak­ten so­wie ih­ren An­trag ein.

2 In den üb­ri­gen Fäl­len kön­nen die ver­ur­teil­te Per­son oder an­de­re da­zu be­rech­tig­te Per­so­nen mit ei­nem schrift­li­chen und be­grün­de­ten Ge­such die Ein­lei­tung des Ver­fah­rens be­an­tra­gen.

3 Das Ge­richt prüft, ob die Vor­aus­set­zun­gen für den nach­träg­li­chen rich­ter­li­chen Ent­scheid er­füllt sind, und er­gänzt wenn nö­tig die Ak­ten oder lässt wei­te­re Er­he­bun­gen durch die Po­li­zei durch­füh­ren.

4 Es gibt den be­trof­fe­nen Per­so­nen und Be­hör­den Ge­le­gen­heit, sich zum vor­ge­se­he­nen Ent­scheid zu äus­sern und An­trä­ge zu stel­len.

Art. 364a Sicherheitshaft im Hinblick auf einen selbstständigen nachträglichen Entscheid des Gerichts 161

1 Die Be­hör­de, die für die Ein­lei­tung des Ver­fah­rens auf Er­lass ei­nes selbst­stän­di­gen nach­träg­li­chen Ent­scheids des Ge­richts zu­stän­dig ist, kann die ver­ur­teil­te Per­son fest­neh­men las­sen, wenn ernst­haft zu er­war­ten ist, dass:

a.
ge­gen die Per­son der Voll­zug ei­ner frei­heits­ent­zie­hen­den Sank­ti­on an­ge­ord­net wird; und
b.
die Per­son:
1.
sich de­ren Voll­zug ent­zieht, oder
2.
er­neut ein Ver­bre­chen oder ein schwe­res Ver­ge­hen be­geht.

2 Das Ver­fah­ren rich­tet sich sinn­ge­mä­ss nach den Ar­ti­keln 222–228.

3 Die zu­stän­di­ge Be­hör­de reicht dem für den selbst­stän­di­gen nach­träg­li­chen Ent­scheid zu­stän­di­gen Ge­richt so rasch als mög­lich die ent­spre­chen­den Ak­ten und ih­ren An­trag ein.

161 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 25. Sept. 2020 (Si­cher­heits­haft im selbst­stän­di­gen nach­träg­li­chen Ver­fah­ren), in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 75; BBl 2019 6697)

Art. 364b Sicherheitshaft während des Gerichtsverfahrens 162

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung kann die ver­ur­teil­te Per­son un­ter den Vor­aus­set­zun­gen von Ar­ti­kel 364aAb­satz 1 fest­neh­men las­sen.

2 Sie führt in sinn­ge­mäs­ser An­wen­dung von Ar­ti­kel 224 ein Haft­ver­fah­ren durch und be­an­tragt dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt be­zie­hungs­wei­se der Ver­fah­rens­lei­tung des Be­ru­fungs­ge­richts die An­ord­nung der Si­cher­heits­haft. Das Ver­fah­ren rich­tet sich sinn­ge­mä­ss nach den Ar­ti­keln 225 und 226.

3 Bei vor­be­ste­hen­der Si­cher­heits­haft rich­tet sich das Ver­fah­ren sinn­ge­mä­ss nach Ar­ti­kel 227.

4 Im Üb­ri­gen gel­ten die Ar­ti­kel 222 und 230–233 sinn­ge­mä­ss.

162 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 25. Sept. 2020 (Si­cher­heits­haft im selbst­stän­di­gen nach­träg­li­chen Ver­fah­ren), in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 75; BBl 2019 6697)

Art. 365 Entscheid

1 Das Ge­richt ent­schei­det ge­stützt auf die Ak­ten. Es kann auch ei­ne Ver­hand­lung an­ord­nen.

2 Es er­lässt sei­nen Ent­scheid schrift­lich und be­grün­det ihn kurz. Hat ei­ne Ver­hand­lung statt­ge­fun­den, so er­öff­net es sei­nen Ent­scheid so­fort münd­lich.

4. Kapitel: Verfahren bei Abwesenheit der beschuldigten Person

1. Abschnitt: Voraussetzungen und Durchführung

Art. 366 Voraussetzungen

1 Bleibt ei­ne ord­nungs­ge­mä­ss vor­ge­la­de­ne be­schul­dig­te Per­son der ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­hand­lung fern, so setzt das Ge­richt ei­ne neue Ver­hand­lung an und lädt die Per­son da­zu wie­der­um vor oder lässt sie vor­füh­ren. Es er­hebt die Be­wei­se, die kei­nen Auf­schub er­tra­gen.

2 Er­scheint die be­schul­dig­te Per­son zur neu an­ge­setz­ten Haupt­ver­hand­lung nicht oder kann sie nicht vor­ge­führt wer­den, so kann die Haupt­ver­hand­lung in ih­rer Ab­we­sen­heit durch­ge­führt wer­den. Das Ge­richt kann das Ver­fah­ren auch sis­tie­ren.

3 Hat sich die be­schul­dig­te Per­son sel­ber in den Zu­stand der Ver­hand­lungs­un­fä­hig­keit ver­setzt oder wei­gert sie sich, aus der Haft zur Haupt­ver­hand­lung vor­ge­führt zu wer­den, so kann das Ge­richt so­fort ein Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren durch­füh­ren.

4 Ein Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren kann nur statt­fin­den, wenn:

a.
die be­schul­dig­te Per­son im bis­he­ri­gen Ver­fah­ren aus­rei­chend Ge­le­gen­heit hat­te, sich zu den ihr vor­ge­wor­fe­nen Straf­ta­ten zu äus­sern; und
b.
die Be­weis­la­ge ein Ur­teil oh­ne ih­re An­we­sen­heit zu­lässt.

Art. 367 Durchführung und Entscheid

1 Die Par­tei­en und die Ver­tei­di­gung wer­den zum Par­tei­vor­trag zu­ge­las­sen.

2 Das Ge­richt ur­teilt auf­grund der im Vor­ver­fah­ren und im Haupt­ver­fah­ren er­ho­be­nen Be­wei­se.

3 Nach Ab­schluss der Par­tei­vor­trä­ge kann das Ge­richt ein Ur­teil fäl­len oder das Ver­fah­ren sis­tie­ren, bis die be­schul­dig­te Per­son per­sön­lich vor Ge­richt er­scheint.

4 Im Üb­ri­gen rich­tet sich das Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren nach den Be­stim­mun­gen über das ers­tin­stanz­li­che Haupt­ver­fah­ren.

2. Abschnitt: Neue Beurteilung

Art. 368 Gesuch um neue Beurteilung

1 Kann das Ab­we­sen­heits­ur­teil per­sön­lich zu­ge­stellt wer­den, so wird die ver­ur­teil­te Per­son dar­auf auf­merk­sam ge­macht, dass sie in­nert 10 Ta­gen beim Ge­richt, wel­ches das Ur­teil ge­fällt hat, schrift­lich oder münd­lich ei­ne neue Be­ur­tei­lung ver­lan­gen kann.

2 Im Ge­such hat die ver­ur­teil­te Per­son kurz zu be­grün­den, wes­halb sie an der Haupt­ver­hand­lung nicht teil­neh­men konn­te.

3 Das Ge­richt lehnt das Ge­such ab, wenn die ver­ur­teil­te Per­son ord­nungs­ge­mä­ss vor­ge­la­den wor­den, aber der Haupt­ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern­ge­blie­ben ist.

Art. 369 Verfahren

1 Sind die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne neue Be­ur­tei­lung vor­aus­sicht­lich er­füllt, so setzt die Ver­fah­rens­lei­tung ei­ne neue Haupt­ver­hand­lung an. An die­ser ent­schei­det das Ge­richt über das Ge­such um neue Be­ur­tei­lung und fällt ge­ge­be­nen­falls ein neu­es Ur­teil.

2 Die Rechts­mit­tel­in­stan­zen sis­tie­ren die von an­de­ren Par­tei­en ein­ge­lei­te­ten Rechts­mit­tel­ver­fah­ren.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung ent­schei­det bis zur Haupt­ver­hand­lung über die Ge­wäh­rung der auf­schie­ben­den Wir­kung so­wie über die Si­cher­heits­haft.

4 Bleibt die ver­ur­teil­te Per­son der Haupt­ver­hand­lung er­neut un­ent­schul­digt fern, so bleibt das Ab­we­sen­heits­ur­teil be­ste­hen.

5 Das Ge­such um neue Be­ur­tei­lung kann bis zum Schluss der Par­teiver­hand­lun­gen un­ter Kos­ten- und Ent­schä­di­gungs­fol­ge zu­rück­ge­zo­gen wer­den.

Art. 370 Neues Urteil

1 Das Ge­richt fällt ein neu­es Ur­teil. Da­ge­gen kön­nen die üb­li­chen Rechts­mit­tel er­grif­fen wer­den.

2 Mit der Rechts­kraft des neu­en Ur­teils fal­len das Ab­we­sen­heits­ur­teil, die da­ge­gen er­grif­fe­nen Rechts­mit­tel und die im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren be­reits er­gan­ge­nen Ent­schei­de da­hin.

Art. 371 Verhältnis zur Berufung

1 So­lan­ge die Be­ru­fungs­frist noch läuft, kann die ver­ur­teil­te Per­son ne­ben oder statt dem Ge­such um neue Be­ur­tei­lung auch die Be­ru­fung ge­gen das Ab­we­sen­heits­ur­teil er­klä­ren. Sie ist über die­se Mög­lich­keit im Sin­ne von Ar­ti­kel 368 Ab­satz 1 zu in­for­mie­ren.

2 Auf ei­ne Be­ru­fung wird nur ein­ge­tre­ten, wenn das Ge­such um neue Be­ur­tei­lung ab­ge­lehnt wur­de.

5. Kapitel: Selbstständige Massnahmeverfahren

1. Abschnitt: Anordnung der Friedensbürgschaft

Art. 372 Voraussetzungen und Zuständigkeit

1 Kann ei­ne Frie­dens­bürg­schaft nach Ar­ti­kel 66 StGB163 nicht im Rah­men des Straf­ver­fah­rens ge­gen die be­schul­dig­te Per­son an­ge­ord­net wer­den, so fin­det ein selbst­stän­di­ges Ver­fah­ren statt.

2 Be­fin­det sich die be­schul­dig­te Per­son we­gen Wie­der­ho­lungs- oder Aus­füh­rungs­ge­fahr in Haft, so wird kei­ne Frie­dens­bürg­schaft an­ge­ord­net.

3 Das Ge­such um Ein­lei­tung des selbst­stän­di­gen Ver­fah­rens ist bei der Staats­an­walt­schaft des Or­tes ein­zu­rei­chen, an dem die Dro­hung aus­ge­spro­chen oder die Wie­der­ho­lungs­ab­sicht ge­äus­sert wor­den ist.

Art. 373 Verfahren

1 Die Staats­an­walt­schaft be­fragt die be­tei­lig­ten Per­so­nen und über­mit­telt an­sch­lies­send die Ak­ten dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt. Die­ses ord­net die in Ar­ti­kel 66 StGB164 ge­nann­ten Mass­nah­men an. Ge­gen die An­ord­nung von Haft kann die be­trof­fe­ne Per­son bei der Be­schwer­de­in­stanz Be­schwer­de füh­ren.

2 Die be­droh­te Per­son hat die glei­chen Rech­te wie die Pri­vat­klä­ger­schaft. Sie kann in be­grün­de­ten Fäl­len ver­pflich­tet wer­den, für die Kos­ten des Ver­fah­rens und für Ent­schä­di­gun­gen Si­cher­heit zu leis­ten.

3 Die dro­hen­de Per­son hat die Rech­te ei­ner be­schul­dig­ten Per­son.

4 Ver­fällt die Si­cher­heits­leis­tung ge­mä­ss Ar­ti­kel 66 Ab­satz 3 StGB dem Staat, so wird dar­über in An­wen­dung von Ar­ti­kel 240 ver­fügt.

5 Droht von ei­ner Per­son un­mit­tel­bar Ge­fahr, so kann die Staats­an­walt­schaft die­se Per­son vor­läu­fig in Haft set­zen oder an­de­re Schutz­mass­nah­men tref­fen. Die Staats­an­walt­schaft führt die Per­son un­ver­züg­lich dem zu­stän­di­gen Zwangs­mass­nah­men­ge­richt zu; die­ses ent­schei­det über die An­ord­nung der Haft.

2. Abschnitt: Verfahren bei einer schuldunfähigen beschuldigten Person

Art. 374 Voraussetzungen und Verfahren

1 Ist ei­ne be­schul­dig­te Per­son schul­d­un­fä­hig und kommt ei­ne An­wen­dung der Ar­ti­kel 19 Ab­satz 4 oder 263 StGB165 nicht in Be­tracht, so be­an­tragt die Staats­an­walt­schaft dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt schrift­lich ei­ne Mass­nah­me nach den Ar­ti­keln 59–61, 63, 64, 67, 67b oder 67eStGB, oh­ne vor­her das Ver­fah­ren we­gen Schul­d­un­fä­hig­keit ein­zu­stel­len.166

2 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt kann mit Rück­sicht auf den Ge­sund­heits­zu­stand oder zum Schutz der Per­sön­lich­keit der be­schul­dig­ten Per­son:

a.
in Ab­we­sen­heit der be­schul­dig­ten Per­son ver­han­deln;
b.
die Öf­fent­lich­keit von den Ver­hand­lun­gen aus­sch­lies­sen.

3 Es gibt der Pri­vat­klä­ger­schaft Ge­le­gen­heit, sich zum An­trag der Staats­an­walt­schaft und zu ih­rer Zi­vil­kla­ge zu äus­sern.

4 Im Üb­ri­gen gel­ten die Be­stim­mun­gen über das ers­tin­stanz­li­che Haupt­ver­fah­ren.

165 SR 311.0

166 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 1 des BG vom 13. Dez. 2013 über das Tä­tig­keits­ver­bot und das Kon­takt- und Ray­on­ver­bot, in Kraft seit 1. Jan. 2015 (AS 2014 2055; BBl 20128819).

Art. 375 Entscheid

1 Das Ge­richt ord­net die be­an­trag­te oder an­de­re Mass­nah­men an, wenn es die Tä­ter­schaft und die Schul­d­un­fä­hig­keit für er­wie­sen und die Mass­nah­me für er­for­der­lich hält. Gleich­zei­tig ent­schei­det es über die gel­tend ge­mach­ten Zi­vil­an­sprü­che.

2 Die An­ord­nung der Mass­nah­me und der Ent­scheid über die Zi­vil­an­sprü­che er­ge­hen in ei­nem Ur­teil.

3 Er­ach­tet das Ge­richt die be­schul­dig­te Per­son als schuld­fä­hig oder als für die im Zu­stand der Schul­d­un­fä­hig­keit be­gan­ge­nen Straf­ta­ten ver­ant­wort­lich, so weist es den An­trag der Staats­an­walt­schaft ab. Mit der Rechts­kraft die­ses Ent­scheids wird das Vor­ver­fah­ren ge­gen die be­schul­dig­te Per­son wei­ter­ge­führt.

3. Abschnitt: Selbstständiges Einziehungsverfahren

Art. 376 Voraussetzungen

Ein selbst­stän­di­ges Ein­zie­hungs­ver­fah­ren wird durch­ge­führt, wenn aus­ser­halb ei­nes Straf­ver­fah­rens über die Ein­zie­hung von Ge­gen­stän­den oder Ver­mö­gens­wer­ten zu ent­schei­den ist.

Art. 377 Verfahren

1 Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te, die vor­aus­sicht­lich in ei­nem selbst­stän­di­gen Ver­fah­ren ein­zu­zie­hen sind, wer­den be­schlag­nahmt.

2 Sind die Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­zie­hung er­füllt, so ord­net die Staats­an­walt­schaft die Ein­zie­hung in ei­nem Ein­zie­hungs­be­fehl an; sie gibt der be­trof­fe­nen Per­son Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me.

3 Sind die Vor­aus­set­zun­gen nicht er­füllt, so ver­fügt sie die Ein­stel­lung des Ver­fah­rens und gibt die Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te der be­rech­tig­ten Per­son zu­rück.

4 Das Ein­spra­che­ver­fah­ren rich­tet sich nach den Be­stim­mun­gen über den Straf­be­fehl. Ein all­fäl­li­ger Ent­scheid des Ge­richts er­geht in Form ei­nes Be­schlus­ses oder ei­ner Ver­fü­gung.

Art. 378 Verwendung zugunsten der geschädigten Person

Die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt ent­schei­det auch über die An­trä­ge der ge­schä­dig­ten Per­son auf Ver­wen­dung der ein­ge­zo­ge­nen Ge­gen­stän­de und Ver­mö­gens­wer­te zu ih­ren Guns­ten. Ar­ti­kel 267 Ab­sät­ze 3–6 ist sinn­ge­mä­ss an­wend­bar.

9. Titel: Rechtsmittel

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

Art. 379 Anwendbare Vorschriften

Das Rechts­mit­tel­ver­fah­ren rich­tet sich sinn­ge­mä­ss nach den all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes, so­weit die­ser Ti­tel kei­ne be­son­de­ren Be­stim­mun­gen ent­hält.

Art. 380 Endgültige oder nicht anfechtbare Entscheide

Be­zeich­net die­ses Ge­setz einen Ent­scheid als end­gül­tig oder nicht an­fecht­bar, so ist da­ge­gen kein Rechts­mit­tel nach die­sem Ge­setz zu­läs­sig.

Art. 381 Legitimation der Staatsanwaltschaft

1 Die Staats­an­walt­schaft kann ein Rechts­mit­tel zu­guns­ten oder zu­un­guns­ten der be­schul­dig­ten oder ver­ur­teil­ten Per­son er­grei­fen.

2 Se­hen Bund oder Kan­to­ne ei­ne Ober- oder Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft vor, so be­stim­men sie, wel­che Staats­an­walt­schaft be­rech­tigt ist, Rechts­mit­tel zu er­grei­fen.

3 Sie re­geln, wel­che Be­hör­den im Über­tre­tungs­straf­ver­fah­ren Rechts­mit­tel er­grei­fen kön­nen.

4 Die Staats­an­walt­schaft des Bun­des kann ge­gen kan­to­na­le Ent­schei­de Rechts­mit­tel er­grei­fen, wenn:

a.
das Bun­des­recht vor­sieht, dass ihr oder ei­ner an­de­ren Bun­des­be­hör­de der Ent­scheid mit­zu­tei­len ist;
b.
sie die Strafsa­che den kan­to­na­len Be­hör­den zur Un­ter­su­chung und Be­ur­tei­lung über­wie­sen hat.

Art. 382 Legitimation der übrigen Parteien

1 Je­de Par­tei, die ein recht­lich ge­schütz­tes In­ter­es­se an der Auf­he­bung oder Än­de­rung ei­nes Ent­schei­des hat, kann ein Rechts­mit­tel er­grei­fen.

2 Die Pri­vat­klä­ger­schaft kann einen Ent­scheid hin­sicht­lich der aus­ge­spro­che­nen Sank­ti­on nicht an­fech­ten.

3 Nach dem To­de der be­schul­dig­ten oder ver­ur­teil­ten Per­son oder der Pri­vat­klä­ger­schaft kön­nen die An­ge­hö­ri­gen im Sin­ne von Ar­ti­kel 110 Ab­satz 1 StGB167 in der Rei­hen­fol­ge der Erb­be­rech­ti­gung ein Rechts­mit­tel er­grei­fen oder das Rechts­mit­tel­ver­fah­ren wei­ter­füh­ren, so­weit sie in ih­ren recht­lich ge­schütz­ten In­ter­es­sen be­trof­fen sind.

Art. 383 Sicherheitsleistung

1 Die Ver­fah­rens­lei­tung der Rechts­mit­tel­in­stanz kann die Pri­vat­klä­ger­schaft ver­pflich­ten, in­nert ei­ner Frist für all­fäl­li­ge Kos­ten und Ent­schä­di­gun­gen Si­cher­heit zu leis­ten. Ar­ti­kel 136 bleibt vor­be­hal­ten.

2 Wird die Si­cher­heit nicht frist­ge­recht ge­leis­tet, so tritt die Rechts­mit­tel­in­stanz auf das Rechts­mit­tel nicht ein.

Art. 384 Fristbeginn

Die Rechts­mit­tel­frist be­ginnt:

a.
im Fal­le ei­nes Ur­teils: mit der Aus­hän­di­gung oder Zu­stel­lung des schrift­li­chen Dis­po­si­tivs;
b.
bei an­dern Ent­schei­den: mit der Zu­stel­lung des Ent­schei­des;
c.
bei ei­ner nicht schrift­lich er­öff­ne­ten Ver­fah­rens­hand­lung: mit der Kennt­nis­nah­me.

Art. 385 Begründung und Form

1 Ver­langt die­ses Ge­setz, dass das Rechts­mit­tel be­grün­det wird, so hat die Per­son oder die Be­hör­de, die das Rechts­mit­tel er­greift, ge­nau an­zu­ge­ben:

a.
wel­che Punk­te des Ent­schei­des sie an­ficht;
b.
wel­che Grün­de einen an­de­ren Ent­scheid na­he le­gen;
c.
wel­che Be­weis­mit­tel sie an­ruft.

2 Er­füllt die Ein­ga­be die­se An­for­de­run­gen nicht, so weist die Rechts­mit­tel­in­stanz sie zur Ver­bes­se­rung in­ner­halb ei­ner kur­z­en Nach­frist zu­rück. Ge­nügt die Ein­ga­be auch nach Ab­lauf der Nach­frist den An­for­de­run­gen nicht, so tritt die Rechts­mit­tel­in­stanz auf das Rechts­mit­tel nicht ein.

3 Die un­rich­ti­ge Be­zeich­nung ei­nes Rechts­mit­tels be­ein­träch­tigt sei­ne Gül­tig­keit nicht.

Art. 386 Verzicht und Rückzug

1 Wer be­rech­tigt ist, ein Rechts­mit­tel zu er­grei­fen, kann nach Er­öff­nung des an­fecht­ba­ren Ent­scheids durch schrift­li­che oder münd­li­che Er­klä­rung ge­gen­über der ent­schei­den­den Be­hör­de auf die Aus­übung die­ses Rechts ver­zich­ten.

2 Wer ein Rechts­mit­tel er­grif­fen hat, kann die­ses zu­rück­zie­hen:

a.
bei münd­li­chen Ver­fah­ren: bis zum Ab­schluss der Par­teiver­hand­lun­gen;
b.
bei schrift­li­chen Ver­fah­ren: bis zum Ab­schluss des Schrif­ten­wech­sels und all­fäl­li­ger Be­weis- oder Ak­ten­er­gän­zun­gen.

3 Ver­zicht und Rück­zug sind end­gül­tig, es sei denn, die Par­tei sei durch Täu­schung, ei­ne Straf­tat oder ei­ne un­rich­ti­ge be­hörd­li­che Aus­kunft zu ih­rer Er­klä­rung ver­an­lasst wor­den.

Art. 387 Aufschiebende Wirkung

Rechts­mit­tel ha­ben kei­ne auf­schie­ben­de Wir­kung; vor­be­hal­ten blei­ben ab­wei­chen­de Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes oder An­ord­nun­gen der Ver­fah­rens­lei­tung der Rechts­mit­tel­in­stanz.

Art. 388 Verfahrensleitende und vorsorgliche Massnahmen

Die Ver­fah­rens­lei­tung der Rechts­mit­tel­in­stanz trifft die not­wen­di­gen und un­auf­schieb­ba­ren ver­fah­rens­lei­ten­den und vor­sorg­li­chen Mass­nah­men. Sie kann na­ment­lich:

a.
die Staats­an­walt­schaft mit un­auf­schieb­ba­ren Be­weis­er­he­bun­gen be­auf­tra­gen;
b.
die Haft an­ord­nen;
c.
ei­ne amt­li­che Ver­tei­di­gung be­stel­len.

Art. 389 Beweisergänzungen

1 Das Rechts­mit­tel­ver­fah­ren be­ruht auf den Be­wei­sen, die im Vor­ver­fah­ren und im ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­fah­ren er­ho­ben wor­den sind.

2 Be­weis­ab­nah­men des ers­tin­stanz­li­chen Ge­richts wer­den nur wie­der­holt, wenn:

a.
Be­weis­vor­schrif­ten ver­letzt wor­den sind;
b.
die Be­weis­er­he­bun­gen un­voll­stän­dig wa­ren;
c.
die Ak­ten über die Be­weis­er­he­bun­gen un­zu­ver­läs­sig er­schei­nen.

3 Die Rechts­mit­tel­in­stanz er­hebt von Am­tes we­gen oder auf An­trag ei­ner Par­tei die er­for­der­li­chen zu­sätz­li­chen Be­wei­se.

Art. 390 Schriftliches Verfahren

1 Wer ein Rechts­mit­tel er­grei­fen will, für wel­ches die­ses Ge­setz das schrift­li­che Ver­fah­ren vor­schreibt, hat ei­ne Rechts­mit­tel­schrift ein­zu­rei­chen.

2 Ist das Rechts­mit­tel nicht of­fen­sicht­lich un­zu­läs­sig oder un­be­grün­det, so stellt die Ver­fah­rens­lei­tung den an­de­ren Par­tei­en und der Vor­in­stanz die Rechts­mit­tel­schrift zur Stel­lung­nah­me zu. Kann die Rechts­mit­tel­schrift nicht zu­ge­stellt wer­den oder bleibt ei­ne Stel­lung­nah­me aus, so wird das Ver­fah­ren gleich­wohl wei­ter­ge­führt.

3 Die Rechts­mit­tel­in­stanz ord­net wenn nö­tig einen zwei­ten Schrif­ten­wech­sel an.

4 Sie fällt ih­ren Ent­scheid auf dem Zir­ku­lar­weg oder in ei­ner nicht öf­fent­li­chen Be­ra­tung auf­grund der Ak­ten und der zu­sätz­li­chen Be­weis­ab­nah­men.

5 Sie kann von Am­tes we­gen oder auf An­trag ei­ner Par­tei ei­ne Ver­hand­lung an­ord­nen.

Art. 391 Entscheid

1 Die Rechts­mit­tel­in­stanz ist bei ih­rem Ent­scheid nicht ge­bun­den an:

a.
die Be­grün­dun­gen der Par­tei­en;
b.
die An­trä­ge der Par­tei­en, aus­ser wenn sie Zi­vil­kla­gen be­ur­teilt.

2 Sie darf Ent­schei­de nicht zum Nach­teil der be­schul­dig­ten oder ver­ur­teil­ten Per­son ab­än­dern, wenn das Rechts­mit­tel nur zu de­ren Guns­ten er­grif­fen wor­den ist. Vor­be­hal­ten bleibt ei­ne stren­ge­re Be­stra­fung auf­grund von Tat­sa­chen, die dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt nicht be­kannt sein konn­ten.

3 Sie darf Ent­schei­de im Zi­vil­punkt nicht zum Nach­teil der Pri­vat­klä­ger­schaft ab­än­dern, wenn nur von die­ser ein Rechts­mit­tel er­grif­fen wor­den ist.

Art. 392 Ausdehnung gutheissender Rechtsmittelentscheide

1 Ha­ben nur ein­zel­ne der im glei­chen Ver­fah­ren be­schul­dig­ten oder ver­ur­teil­ten Per­so­nen ein Rechts­mit­tel er­grif­fen und wird die­ses gut­ge­heis­sen, so wird der an­ge­foch­te­ne Ent­scheid auch zu­guns­ten je­ner auf­ge­ho­ben oder ab­ge­än­dert, die das Rechts­mit­tel nicht er­grif­fen ha­ben, wenn:

a.
die Rechts­mit­tel­in­stanz den Sach­ver­halt an­ders be­ur­teilt; und
b.
ih­re Er­wä­gun­gen auch für die an­de­ren Be­tei­lig­ten zu­tref­fen.

2 Die Rechts­mit­tel­in­stanz hört vor ih­rem Ent­scheid wenn nö­tig die be­schul­dig­ten oder ver­ur­teil­ten Per­so­nen, die kein Rechts­mit­tel er­grif­fen ha­ben, die Staats­an­walt­schaft und die Pri­vat­klä­ger­schaft an.

2. Kapitel: Beschwerde

Art. 393 Zulässigkeit und Beschwerdegründe

1 Die Be­schwer­de ist zu­läs­sig ge­gen:

a.
die Ver­fü­gun­gen und die Ver­fah­rens­hand­lun­gen von Po­li­zei, Staats­an­walt­schaft und Über­tre­tungs­straf­be­hör­den;
b.
die Ver­fü­gun­gen und Be­schlüs­se so­wie die Ver­fah­rens­hand­lun­gen der ers­tin­stanz­li­chen Ge­rich­te; aus­ge­nom­men sind ver­fah­rens­lei­ten­de Ent­schei­de;
c.
die Ent­schei­de des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts in den in die­sem Ge­setz vor­ge­se­he­nen Fäl­len.

2 Mit der Be­schwer­de kön­nen ge­rügt wer­den:

a.
Rechts­ver­let­zun­gen, ein­sch­liess­lich Über­schrei­tung und Miss­brauch des Er­mes­sens, Rechts­ver­wei­ge­rung und Rechts­ver­zö­ge­rung;
b.
die un­voll­stän­di­ge oder un­rich­ti­ge Fest­stel­lung des Sach­ver­halts;
c.
Un­an­ge­mes­sen­heit.

Art. 394 Ausschluss der Beschwerde

Die Be­schwer­de ist nicht zu­läs­sig:

a.
wenn die Be­ru­fung mög­lich ist;
b.
ge­gen die Ab­leh­nung von Be­weis­an­trä­gen durch die Staats­an­walt­schaft oder die Über­tre­tungs­straf­be­hör­de, wenn der An­trag oh­ne Rechts­nach­teil vor dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt wie­der­holt wer­den kann.

Art. 395 Kollegialgericht als Beschwerdeinstanz

Ist die Be­schwer­de­in­stanz ein Kol­le­gi­al­ge­richt, so be­ur­teilt de­ren Ver­fah­rens­lei­tung die Be­schwer­de al­lein, wenn die­se zum Ge­gen­stand hat:

a.
aus­sch­liess­lich Über­tre­tun­gen;
b.
die wirt­schaft­li­chen Ne­ben­fol­gen ei­nes Ent­schei­des bei ei­nem strit­ti­gen Be­trag von nicht mehr als 5000 Fran­ken.

Art. 396 Form und Frist

1 Die Be­schwer­de ge­gen schrift­lich oder münd­lich er­öff­ne­te Ent­schei­de ist in­nert 10 Ta­gen schrift­lich und be­grün­det bei der Be­schwer­de­in­stanz ein­zu­rei­chen.

2 Be­schwer­den we­gen Rechts­ver­wei­ge­rung oder Rechts­ver­zö­ge­rung sind an kei­ne Frist ge­bun­den.

Art. 397 Verfahren und Entscheid

1 Die Be­schwer­de wird in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren be­han­delt.

2 Heisst die Be­hör­de die Be­schwer­de gut, so fällt sie einen neu­en Ent­scheid oder hebt den an­ge­foch­te­nen Ent­scheid auf und weist ihn zur neu­en Ent­schei­dung an die Vor­in­stanz zu­rück.

3 Heisst sie die Be­schwer­de ge­gen ei­ne Ein­stel­lungs­ver­fü­gung gut, so kann sie der Staats­an­walt­schaft oder der Über­tre­tungs­straf­be­hör­de für den wei­te­ren Gang des Ver­fah­rens Wei­sun­gen er­tei­len.

4 Stellt sie ei­ne Rechts­ver­wei­ge­rung oder Rechts­ver­zö­ge­rung fest, so kann sie der be­tref­fen­den Be­hör­de Wei­sun­gen er­tei­len und für de­ren Ein­hal­tung Fris­ten set­zen.

3. Kapitel: Berufung

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 398 Zulässigkeit und Berufungsgründe

1 Die Be­ru­fung ist zu­läs­sig ge­gen Ur­tei­le ers­tin­stanz­li­cher Ge­rich­te, mit de­nen das Ver­fah­ren ganz oder teil­wei­se ab­ge­schlos­sen wor­den ist.

2 Das Be­ru­fungs­ge­richt kann das Ur­teil in al­len an­ge­foch­te­nen Punk­ten um­fas­send über­prü­fen.

3 Mit der Be­ru­fung kön­nen ge­rügt wer­den:

a.
Rechts­ver­let­zun­gen, ein­sch­liess­lich Über­schrei­tung und Miss­brauch des Er­mes­sens, Rechts­ver­wei­ge­rung und Rechts­ver­zö­ge­rung;
b.
die un­voll­stän­di­ge oder un­rich­ti­ge Fest­stel­lung des Sach­ver­halts;
c.
Un­an­ge­mes­sen­heit.

4 Bil­de­ten aus­sch­liess­lich Über­tre­tun­gen Ge­gen­stand des ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­fah­rens, so kann mit der Be­ru­fung nur gel­tend ge­macht wer­den, das Ur­teil sei rechts­feh­ler­haft oder die Fest­stel­lung des Sach­ver­halts sei of­fen­sicht­lich un­rich­tig oder be­ru­he auf ei­ner Rechts­ver­let­zung. Neue Be­haup­tun­gen und Be­wei­se kön­nen nicht vor­ge­bracht wer­den.

5 Be­schränkt sich die Be­ru­fung auf den Zi­vil­punkt, so wird das ers­tin­stanz­li­che Ur­teil nur so weit über­prüft, als es das am Ge­richts­stand an­wend­ba­re Zi­vil­pro­zess­recht vor­se­hen wür­de.

Art. 399 Anmeldung der Berufung und Berufungserklärung

1 Die Be­ru­fung ist dem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt in­nert 10 Ta­gen seit Er­öff­nung des Ur­teils schrift­lich oder münd­lich zu Pro­to­koll an­zu­mel­den.

2 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt über­mit­telt die An­mel­dung nach Aus­fer­ti­gung des be­grün­de­ten Ur­teils zu­sam­men mit den Ak­ten dem Be­ru­fungs­ge­richt.

3 Die Par­tei, die Be­ru­fung an­ge­mel­det hat, reicht dem Be­ru­fungs­ge­richt in­nert 20 Ta­gen seit der Zu­stel­lung des be­grün­de­ten Ur­teils ei­ne schrift­li­che Be­ru­fungs­er­klä­rung ein. Sie hat dar­in an­zu­ge­ben:

a.
ob sie das Ur­teil voll­um­fäng­lich oder nur in Tei­len an­ficht;
b.
wel­che Ab­än­de­run­gen des ers­tin­stanz­li­chen Ur­teils sie ver­langt; und
c.
wel­che Be­weis­an­trä­ge sie stellt.

4 Wer nur Tei­le des Ur­teils an­ficht, hat in der Be­ru­fungs­er­klä­rung ver­bind­lich an­zu­ge­ben, auf wel­che der fol­gen­den Tei­le sich die Be­ru­fung be­schränkt:

a.
den Schuld­punkt, al­len­falls be­zo­gen auf ein­zel­ne Hand­lun­gen;
b.
die Be­mes­sung der Stra­fe;
c.
die An­ord­nung von Mass­nah­men;
d.
den Zi­vil­an­spruch oder ein­zel­ne Zi­vil­an­sprü­che;
e.
die Ne­ben­fol­gen des Ur­teils;
f.
die Kos­ten-, Ent­schä­di­gungs- und Ge­nug­tu­ungs­fol­gen;
g.
die nach­träg­li­chen rich­ter­li­chen Ent­schei­dun­gen.

Art. 400 Vorprüfung

1 Geht aus der Be­ru­fungs­er­klä­rung nicht ein­deu­tig her­vor, ob das ers­tin­stanz­li­che Ur­teil ganz oder nur in Tei­len an­ge­foch­ten wird, so for­dert die Ver­fah­rens­lei­tung des Be­ru­fungs­ge­richts die Par­tei auf, ih­re Er­klä­rung zu ver­deut­li­chen, und setzt ihr da­für ei­ne Frist.

2 Die Ver­fah­rens­lei­tung über­mit­telt den an­de­ren Par­tei­en un­ver­züg­lich ei­ne Ko­pie der Be­ru­fungs­er­klä­rung.

3 Die an­de­ren Par­tei­en kön­nen in­nert 20 Ta­gen seit Emp­fang der Be­ru­fungs­er­klä­rung schrift­lich:

a.
Nicht­ein­tre­ten be­an­tra­gen; der An­trag muss be­grün­det sein;
b.
An­schluss­be­ru­fung er­klä­ren.

Art. 401 Anschlussberufung

1 Die An­schluss­be­ru­fung rich­tet sich sinn­ge­mä­ss nach Ar­ti­kel 399 Ab­sät­ze 3 und 4.

2 Sie ist nicht auf den Um­fang der Haupt­be­ru­fung be­schränkt, es sei denn, die­se be­zie­he sich aus­sch­liess­lich auf den Zi­vil­punkt des Ur­teils.

3 Wird die Be­ru­fung zu­rück­ge­zo­gen oder wird auf sie nicht ein­ge­tre­ten, so fällt auch die An­schluss­be­ru­fung da­hin.

Art. 402 Wirkung der Berufung

Die Be­ru­fung hat im Um­fang der An­fech­tung auf­schie­ben­de Wir­kung.

2. Abschnitt: Verfahren

Art. 403 Eintreten

1 Das Be­ru­fungs­ge­richt ent­schei­det in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren, ob auf die Be­ru­fung ein­zu­tre­ten sei, wenn die Ver­fah­rens­lei­tung oder ei­ne Par­tei gel­tend macht:

a.
die An­mel­dung oder Er­klä­rung der Be­ru­fung sei ver­spä­tet oder un­zu­läs­sig;
b.
die Be­ru­fung sei im Sin­ne von Ar­ti­kel 398 un­zu­läs­sig;
c.
es fehl­ten Pro­zess­vor­aus­set­zun­gen oder es lä­gen Pro­zess­hin­der­nis­se vor.

2 Es gibt den Par­tei­en Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me.

3 Tritt es auf die Be­ru­fung nicht ein, so er­öff­net es den Par­tei­en den be­grün­de­ten Nicht­ein­tre­tens­ent­scheid.

4 An­dern­falls trifft die Ver­fah­rens­lei­tung oh­ne Wei­te­res die not­wen­di­gen An­ord­nun­gen zur Durch­füh­rung des wei­te­ren Be­ru­fungs­ver­fah­rens.

Art. 404 Umfang der Überprüfung

1 Das Be­ru­fungs­ge­richt über­prüft das ers­tin­stanz­li­che Ur­teil nur in den an­ge­foch­te­nen Punk­ten.

2 Es kann zu­guns­ten der be­schul­dig­ten Per­son auch nicht an­ge­foch­te­ne Punk­te über­prü­fen, um ge­setz­wid­ri­ge oder un­bil­li­ge Ent­schei­dun­gen zu ver­hin­dern.

Art. 405 Mündliches Verfahren

1 Die münd­li­che Be­ru­fungs­ver­hand­lung rich­tet sich nach den Be­stim­mun­gen über die ers­tin­stanz­li­che Haupt­ver­hand­lung.

2 Hat die be­schul­dig­te Per­son oder die Pri­vat­klä­ger­schaft die Be­ru­fung oder An­schluss­be­ru­fung er­klärt, so lädt die Ver­fah­rens­lei­tung sie zur Be­ru­fungs­ver­hand­lung vor. In ein­fa­chen Fäl­len kann sie sie auf ihr Ge­such hin von der Teil­nah­me dis­pen­sie­ren und ihr ge­stat­ten, ih­re An­trä­ge schrift­lich ein­zu­rei­chen und zu be­grün­den.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung lädt die Staats­an­walt­schaft zur Ver­hand­lung vor:

a.
in den in Ar­ti­kel 337 Ab­sät­ze 3 und 4 vor­ge­se­he­nen Fäl­len;
b.
wenn die Staats­an­walt­schaft die Be­ru­fung oder die An­schluss­be­ru­fung er­klärt hat.

4 Ist die Staats­an­walt­schaft nicht vor­ge­la­den, so kann sie schrift­li­che An­trä­ge stel­len und ei­ne schrift­li­che Be­grün­dung ein­rei­chen oder per­sön­lich vor Ge­richt auf­tre­ten.

Art. 406 Schriftliches Verfahren

1 Das Be­ru­fungs­ge­richt kann die Be­ru­fung in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren be­han­deln, wenn aus­sch­liess­lich:

a.
Rechts­fra­gen zu ent­schei­den sind;
b.
der Zi­vil­punkt an­ge­foch­ten ist;
c.
Über­tre­tun­gen Ge­gen­stand des ers­tin­stanz­li­chen Ur­teils bil­den und mit der Be­ru­fung nicht ein Schuld­spruch we­gen ei­nes Ver­bre­chens oder Ver­ge­hens be­an­tragt wird;
d.
die Kos­ten-, Ent­schä­di­gungs- und Ge­nug­tu­ungs­fol­gen an­ge­foch­ten sind;
e.
Mass­nah­men im Sin­ne der Ar­ti­kel 66–73 StGB168 an­ge­foch­ten sind.

2 Mit dem Ein­ver­ständ­nis der Par­tei­en kann die Ver­fah­rens­lei­tung das schrift­li­che Ver­fah­ren zu­dem an­ord­nen, wenn:

a.
die An­we­sen­heit der be­schul­dig­ten Per­son nicht er­for­der­lich ist;
b.
Ur­tei­le ei­nes Ein­zel­ge­richts Ge­gen­stand der Be­ru­fung sind.

3 Die Ver­fah­rens­lei­tung setzt der Par­tei, wel­che die Be­ru­fung er­klärt hat, Frist zur schrift­li­chen Be­grün­dung.

4 Das an­sch­lies­sen­de Ver­fah­ren rich­tet sich nach Ar­ti­kel 390 Ab­sät­ze 2–4.

Art. 407 Säumnis der Parteien

1 Die Be­ru­fung oder An­schluss­be­ru­fung gilt als zu­rück­ge­zo­gen, wenn die Par­tei, die sie er­klärt hat:

a.
der münd­li­chen Be­ru­fungs­ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern­bleibt und sich auch nicht ver­tre­ten lässt;
b.
kei­ne schrift­li­che Ein­ga­be ein­reicht; oder
c.
nicht vor­ge­la­den wer­den kann.

2 Hat die Staats­an­walt­schaft oder die Pri­vat­klä­ger­schaft die Be­ru­fung im Schuld- oder Straf­punkt er­klärt und bleibt die be­schul­dig­te Per­son der Ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern, so fin­det ein Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren statt.

3 Hat die Pri­vat­klä­ger­schaft ih­re Be­ru­fung auf den Zi­vil­punkt be­schränkt und bleibt die be­schul­dig­te Per­son der Ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern, so ent­schei­det das Be­ru­fungs­ge­richt auf­grund der Er­geb­nis­se der ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­hand­lung und der üb­ri­gen Ak­ten.

3. Abschnitt: Berufungsentscheid

Art. 408 Neues Urteil

Tritt das Be­ru­fungs­ge­richt auf die Be­ru­fung ein, so fällt es ein neu­es Ur­teil, wel­ches das ers­tin­stanz­li­che Ur­teil er­setzt.

Art. 409 Aufhebung und Rückweisung

1 Weist das ers­tin­stanz­li­che Ver­fah­ren we­sent­li­che Män­gel auf, die im Be­ru­fungs­ver­fah­ren nicht ge­heilt wer­den kön­nen, so hebt das Be­ru­fungs­ge­richt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil auf und weist die Sa­che zur Durch­füh­rung ei­ner neu­en Haupt­ver­hand­lung und zur Fäl­lung ei­nes neu­en Ur­teils an das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt zu­rück.

2 Das Be­ru­fungs­ge­richt be­stimmt, wel­che Ver­fah­rens­hand­lun­gen zu wie­der­ho­len oder nach­zu­ho­len sind.

3 Das ers­tin­stanz­li­che Ge­richt ist an die vom Be­ru­fungs­ge­richt im Rück­wei­sungs­be­schluss ver­tre­te­nen Rechts­auf­fas­sun­gen und an die Wei­sun­gen nach Ab­satz 2 ge­bun­den.

4. Kapitel: Revision

Art. 410 Zulässigkeit und Revisionsgründe

1 Wer durch ein rechts­kräf­ti­ges Ur­teil, einen Straf­be­fehl, einen nach­träg­li­chen rich­ter­li­chen Ent­scheid oder einen Ent­scheid im selbst­stän­di­gen Mass­nah­men­ver­fah­ren be­schwert ist, kann die Re­vi­si­on ver­lan­gen, wenn:

a.
neue, vor dem Ent­scheid ein­ge­tre­te­ne Tat­sa­chen oder neue Be­weis­mit­tel vor­lie­gen, die ge­eig­net sind, einen Frei­spruch, ei­ne we­sent­lich mil­de­re oder we­sent­lich stren­ge­re Be­stra­fung der ver­ur­teil­ten Per­son oder ei­ne Ver­ur­tei­lung der frei­ge­spro­che­nen Per­son her­bei­zu­füh­ren;
b.
der Ent­scheid mit ei­nem spä­te­ren Stra­fent­scheid, der den glei­chen Sach­ver­halt be­trifft, in un­ver­träg­li­chem Wi­der­spruch steht;
c.
sich in ei­nem an­de­ren Straf­ver­fah­ren er­weist, dass durch ei­ne straf­ba­re Hand­lung auf das Er­geb­nis des Ver­fah­rens ein­ge­wirkt wor­den ist; ei­ne Ver­ur­tei­lung ist nicht er­for­der­lich; ist das Straf­ver­fah­ren nicht durch­führ­bar, so kann der Be­weis auf an­de­re Wei­se er­bracht wer­den.

2 Die Re­vi­si­on we­gen Ver­let­zung der Kon­ven­ti­on vom 4. No­vem­ber 1950169 zum Schut­ze der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten (EMRK) kann ver­langt wer­den, wenn:

a.170
der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te in ei­nem end­gül­ti­gen Ur­teil (Art. 44 EMRK) fest­ge­stellt hat, dass die EMRK oder die Pro­to­kol­le da­zu ver­letzt wor­den sind, oder den Fall durch ei­ne güt­li­che Ei­ni­gung (Art. 39 EMRK) ab­ge­schlos­sen hat;
b.
ei­ne Ent­schä­di­gung nicht ge­eig­net ist, die Fol­gen der Ver­let­zung aus­zu­glei­chen; und
c.
die Re­vi­si­on not­wen­dig ist, um die Ver­let­zung zu be­sei­ti­gen.

3 Die Re­vi­si­on zu­guns­ten der ver­ur­teil­ten Per­son kann auch nach Ein­tritt der Ver­jäh­rung ver­langt wer­den.

4 Be­schränkt sich die Re­vi­si­on auf Zi­vil­an­sprü­che, so ist sie nur zu­läs­sig, wenn das am Ge­richts­stand an­wend­ba­re Zi­vil­pro­zess­recht ei­ne Re­vi­si­on ge­stat­ten wür­de.

169 SR 0.101

170 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 3 des BG vom 1. Okt. 2021, in Kraft seit 1. Ju­li 2022 (AS 2022 289; BBl 2021300, 889).

Art. 411 Form und Frist

1 Re­vi­si­ons­ge­su­che sind schrift­lich und be­grün­det beim Be­ru­fungs­ge­richt ein­zu­rei­chen. Im Ge­such sind die an­ge­ru­fe­nen Re­vi­si­ons­grün­de zu be­zeich­nen und zu be­le­gen.

2 Ge­su­che nach Ar­ti­kel 410 Ab­satz 1 Buch­sta­be b und 2 sind in­nert 90 Ta­gen nach Kennt­nis­nah­me des be­tref­fen­den Ent­scheids zu stel­len. In den üb­ri­gen Fäl­len sind Re­vi­si­ons­ge­su­che an kei­ne Frist ge­bun­den.

Art. 412 Vorprüfung und Eintreten

1 Das Be­ru­fungs­ge­richt nimmt in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren ei­ne vor­läu­fi­ge Prü­fung des Re­vi­si­ons­ge­suchs vor.

2 Ist das Ge­such of­fen­sicht­lich un­zu­läs­sig oder un­be­grün­det oder wur­de es mit den glei­chen Vor­brin­gen schon frü­her ge­stellt und ab­ge­lehnt, so tritt das Ge­richt nicht dar­auf ein.

3 An­dern­falls lädt es die an­de­ren Par­tei­en und die Vor­in­stanz zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me ein.

4 Es be­schliesst die er­for­der­li­chen Be­weis- und Ak­ten­er­gän­zun­gen so­wie vor­sorg­li­chen Mass­nah­men, so­weit sie nicht nach Ar­ti­kel 388 der Ver­fah­rens­lei­tung ob­lie­gen.

Art. 413 Entscheid

1 Er­ach­tet das Be­ru­fungs­ge­richt die gel­tend ge­mach­ten Re­vi­si­ons­grün­de als nicht ge­ge­ben, so weist es das Re­vi­si­ons­ge­such ab und hebt all­fäl­li­ge vor­sorg­li­che Mass­nah­men auf.

2 Er­ach­tet das Be­ru­fungs­ge­richt die gel­tend ge­mach­ten Re­vi­si­ons­grün­de als ge­ge­ben, so hebt es den an­ge­foch­te­nen Ent­scheid ganz oder teil­wei­se auf und:

a.
weist die Sa­che an die von ihm be­zeich­ne­te Be­hör­de zur neu­en Be­hand­lung und Be­ur­tei­lung zu­rück; oder
b.
fällt sel­ber einen neu­en Ent­scheid, so­fern es die Ak­ten­la­ge er­laubt.

3 Im Fal­le ei­ner Rück­wei­sung be­stimmt es, in wel­chem Um­fang die fest­ge­stell­ten Re­vi­si­ons­grün­de die Rechts­kraft und Voll­streck­bar­keit des an­ge­foch­te­nen Ent­schei­des be­sei­ti­gen und in wel­chem Sta­di­um das Ver­fah­ren wie­der auf­zu­neh­men ist.

4 Es kann die be­schul­dig­te Per­son vor­läu­fig in Si­cher­heits­haft set­zen oder dar­in be­las­sen, wenn die Vor­aus­set­zun­gen er­füllt sind.

Art. 414 Neues Verfahren

1 Hat das Be­ru­fungs­ge­richt die Sa­che an die Staats­an­walt­schaft zu­rück­ge­wie­sen, so ent­schei­det die­se, ob ei­ne neue An­kla­ge zu er­he­ben, ein Straf­be­fehl zu er­las­sen oder das Ver­fah­ren ein­zu­stel­len ist.

2 Hat es die Sa­che an ein Ge­richt zu­rück­ge­wie­sen, so nimmt die­ses die not­wen­di­gen Be­wei­s­er­gän­zun­gen vor und fällt nach ei­ner Haupt­ver­hand­lung ein neu­es Ur­teil.

Art. 415 Folgen des neuen Entscheids

1 Wird die be­schul­dig­te Per­son im neu­en Ent­scheid zu ei­ner hö­he­ren Stra­fe ver­ur­teilt, so wer­den ihr be­reits ver­büss­te Stra­fen an­ge­rech­net.

2 Wird sie frei­ge­spro­chen oder mil­der be­straft oder wird das Ver­fah­ren ein­ge­stellt, so wer­den ihr die zu viel be­zahl­ten Bus­sen oder Geld­stra­fen zu­rück­er­stat­tet. An­sprü­che der be­schul­dig­ten Per­son auf Ent­schä­di­gung oder Ge­nug­tu­ung rich­ten sich nach Ar­ti­kel 436 Ab­satz 4.

3 Er­setzt der Frei­spruch ei­ne Ver­ur­tei­lung, so kön­nen die be­schul­dig­te Per­son oder nach ih­rem Tod ih­re An­ge­hö­ri­gen die Ver­öf­fent­li­chung des neu­en Ent­scheids ver­lan­gen.

10. Titel: Verfahrenskosten, Entschädigung und Genugtuung

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

Art. 416 Geltungsbereich

Die Be­stim­mun­gen die­ses Ti­tels gel­ten für al­le Ver­fah­ren nach die­sem Ge­setz.

Art. 417 Kostenpflicht bei fehlerhaften Verfahrenshandlungen

Bei Säum­nis und an­de­ren feh­ler­haf­ten Ver­fah­rens­hand­lun­gen kann die Straf­be­hör­de Ver­fah­rens­kos­ten und Ent­schä­di­gun­gen un­ge­ach­tet des Ver­fah­rens­aus­gangs der ver­fah­rens­be­tei­lig­ten Per­son auf­er­le­gen, die sie ver­ur­sacht hat.

Art. 418 Beteiligung mehrerer Personen und Haftung Dritter

1 Sind meh­re­re be­tei­lig­te Per­so­nen kos­ten­pflich­tig, so wer­den die Kos­ten an­teils­mäs­sig auf­er­legt.

2 Die Straf­be­hör­de kann für ge­mein­sam ver­ur­sach­te Kos­ten ei­ne so­li­da­ri­sche Haf­tung der kos­ten­pflich­ti­gen Per­so­nen an­ord­nen.

3 Sie kann Drit­te nach Mass­ga­be der Haf­tungs­grund­sät­ze des Zi­vil­rechts ver­pflich­ten, die Kos­ten so­li­da­risch mit der be­schul­dig­ten Per­son zu tra­gen.

Art. 419 Kostenpflicht von Schuldunfähigen

Wur­de das Ver­fah­ren we­gen Schul­d­un­fä­hig­keit der be­schul­dig­ten Per­son ein­ge­stellt oder wur­de die­se aus die­sem Grund frei­ge­spro­chen, so kön­nen ihr die Kos­ten auf­er­legt wer­den, wenn dies nach den ge­sam­ten Um­stän­den bil­lig er­scheint.

Art. 420 Rückgriff

Der Bund oder der Kan­ton kann für die von ihm ge­tra­ge­nen Kos­ten auf Per­so­nen Rück­griff neh­men, die vor­sätz­lich oder grob­fahr­läs­sig:

a.
die Ein­lei­tung des Ver­fah­rens be­wirkt ha­ben;
b.
das Ver­fah­ren er­heb­lich er­schwert ha­ben;
c.
einen im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren auf­ge­ho­be­nen Ent­scheid ver­ur­sacht ha­ben.

Art. 421 Kostenentscheid

1 Die Straf­be­hör­de legt im En­dent­scheid die Kos­ten­fol­gen fest.

2 Sie kann die­se Fest­le­gung vor­weg­neh­men in:

a.
Zwi­schen­ent­schei­den;
b.
Ent­schei­den über die teil­wei­se Ein­stel­lung des Ver­fah­rens;
c.
Ent­schei­den über Rechts­mit­tel ge­gen Zwi­schen- und Ein­stel­lungs­ent­schei­de.

2. Kapitel: Verfahrenskosten

Art. 422 Begriff

1 Die Ver­fah­rens­kos­ten set­zen sich zu­sam­men aus den Ge­büh­ren zur De­ckung des Auf­wands und den Aus­la­gen im kon­kre­ten Straf­fall.

2 Aus­la­gen sind na­ment­lich:

a.
Kos­ten für die amt­li­che Ver­tei­di­gung und un­ent­gelt­li­che Ver­bei­stän­dung;
b.
Kos­ten für Über­set­zun­gen;
c.
Kos­ten für Gut­ach­ten;
d.
Kos­ten für die Mit­wir­kung an­de­rer Be­hör­den;
e.
Post-, Te­le­fon- und ähn­li­che Spe­sen.

Art. 423 Grundsätze

1 Die Ver­fah­rens­kos­ten wer­den vom Bund oder dem Kan­ton ge­tra­gen, der das Ver­fah­ren ge­führt hat; ab­wei­chen­de Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes blei­ben vor­be­hal­ten.

2 und 3171

171 Auf­ge­ho­ben durch An­hang Ziff. II 7 des Straf­be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes vom 19. März 2010, mit Wir­kung seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125).

Art. 424 Berechnung und Gebühren

1 Bund und Kan­to­ne re­geln die Be­rech­nung der Ver­fah­rens­kos­ten und le­gen die Ge­büh­ren fest.

2 Sie kön­nen für ein­fa­che Fäl­le Pau­schal­ge­büh­ren fest­le­gen, die auch die Aus­la­gen ab­gel­ten.

Art. 425 Stundung und Erlass

For­de­run­gen aus Ver­fah­rens­kos­ten kön­nen von der Straf­be­hör­de ge­stun­det oder un­ter Be­rück­sich­ti­gung der wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se der kos­ten­pflich­ti­gen Per­son her­ab­ge­setzt oder er­las­sen wer­den.

Art. 426 Kostentragungspflicht der beschuldigten Person und der Partei im selbstständigen Massnahmeverfahren


1 Die be­schul­dig­te Per­son trägt die Ver­fah­rens­kos­ten, wenn sie ver­ur­teilt wird. Aus­ge­nom­men sind die Kos­ten für die amt­li­che Ver­tei­di­gung; vor­be­hal­ten bleibt Ar­ti­kel 135 Ab­satz 4.

2 Wird das Ver­fah­ren ein­ge­stellt oder die be­schul­dig­te Per­son frei­ge­spro­chen, so kön­nen ihr die Ver­fah­rens­kos­ten ganz oder teil­wei­se auf­er­legt wer­den, wenn sie rechts­wid­rig und schuld­haft die Ein­lei­tung des Ver­fah­rens be­wirkt oder des­sen Durch­füh­rung er­schwert hat.

3 Die be­schul­dig­te Per­son trägt die Ver­fah­rens­kos­ten nicht, die:

a.
der Bund oder der Kan­ton durch un­nö­ti­ge oder feh­ler­haf­te Ver­fah­rens­hand­lun­gen ver­ur­sacht hat;
b.
für Über­set­zun­gen an­fie­len, die durch die Fremd­spra­chig­keit der be­schul­dig­ten Per­son nö­tig wur­den.

4 Die Kos­ten für die un­ent­gelt­li­che Ver­bei­stän­dung der Pri­vat­klä­ger­schaft trägt die be­schul­dig­te Per­son nur, wenn sie sich in güns­ti­gen wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen be­fin­det.

5 Die Be­stim­mun­gen die­ses Ar­ti­kels gel­ten sinn­ge­mä­ss für die Par­tei im selbst­stän­di­gen Mass­nah­me­ver­fah­ren, wenn der Ent­scheid zu ih­rem Nach­teil aus­fällt.

Art. 427 Kostentragungspflicht der Privatklägerschaft und der antragstellenden Person


1 Der Pri­vat­klä­ger­schaft kön­nen die Ver­fah­rens­kos­ten, die durch ih­re An­trä­ge zum Zi­vil­punkt ver­ur­sacht wor­den sind, auf­er­legt wer­den, wenn:

a.
das Ver­fah­ren ein­ge­stellt oder die be­schul­dig­te Per­son frei­ge­spro­chen wird;
b.
die Pri­vat­klä­ger­schaft die Zi­vil­kla­ge vor Ab­schluss der ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­hand­lung zu­rück­zieht;
c.
die Zi­vil­kla­ge ab­ge­wie­sen oder auf den Zi­vil­weg ver­wie­sen wird.

2 Bei An­trags­de­lik­ten kön­nen die Ver­fah­rens­kos­ten der an­trag­stel­len­den Per­son, so­fern die­se mut­wil­lig oder grob fahr­läs­sig die Ein­lei­tung des Ver­fah­rens be­wirkt oder des­sen Durch­füh­rung er­schwert hat, oder der Pri­vat­klä­ger­schaft auf­er­legt wer­den:

a.
wenn das Ver­fah­ren ein­ge­stellt oder die be­schul­dig­te Per­son frei­ge­spro­chen wird; und
b.
so­weit die be­schul­dig­te Per­son nicht nach Ar­ti­kel 426 Ab­satz 2 kos­ten­pflich­tig ist.

3 Zieht die an­trag­stel­len­de Per­son im Rah­men ei­nes durch die Staats­an­walt­schaft ver­mit­tel­ten Ver­gleichs den Straf­an­trag zu­rück, so trägt in der Re­gel der Bund oder der Kan­ton die Ver­fah­rens­kos­ten.

4 Ei­ne Ver­ein­ba­rung zwi­schen der an­trag­stel­len­den und der be­schul­dig­ten Per­son über die Kos­ten­tra­gung beim Rück­zug des Straf­an­trags be­darf der Ge­neh­mi­gung der Be­hör­de, wel­che die Ein­stel­lung ver­fügt. Die Ver­ein­ba­rung darf sich nicht zum Nach­teil des Bun­des oder des Kan­tons aus­wir­ken.

Art. 428 Kostentragung im Rechtsmittelverfahren

1 Die Kos­ten des Rechts­mit­tel­ver­fah­rens tra­gen die Par­tei­en nach Mass­ga­be ih­res Ob­sie­gens oder Un­ter­lie­gens. Als un­ter­lie­gend gilt auch die Par­tei, auf de­ren Rechts­mit­tel nicht ein­ge­tre­ten wird oder die das Rechts­mit­tel zu­rück­zieht.

2 Er­wirkt ei­ne Par­tei, die ein Rechts­mit­tel er­grif­fen hat, einen für sie güns­ti­ge­ren Ent­scheid, so kön­nen ihr die Ver­fah­rens­kos­ten auf­er­legt wer­den, wenn:

a.
die Vor­aus­set­zun­gen für das Ob­sie­gen erst im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren ge­schaf­fen wor­den sind; oder
b.
der an­ge­foch­te­ne Ent­scheid nur un­we­sent­lich ab­ge­än­dert wird.

3 Fällt die Rechts­mit­tel­in­stanz sel­ber einen neu­en Ent­scheid, so be­fin­det sie dar­in auch über die von der Vor­in­stanz ge­trof­fe­ne Kos­ten­re­ge­lung.

4 Hebt sie einen Ent­scheid auf und weist sie die Sa­che zur neu­en Ent­schei­dung an die Vor­in­stanz zu­rück, so trägt der Bund oder der Kan­ton die Kos­ten des Rechts­mit­tel­ver­fah­rens und, nach Er­mes­sen der Rechts­mit­tel­in­stanz, je­ne der Vor­in­stanz.

5 Wird ein Re­vi­si­ons­ge­such gut­ge­heis­sen, so ent­schei­det die Straf­be­hör­de, die an­sch­lies­send über die Er­le­di­gung der Strafsa­che zu be­fin­den hat, nach ih­rem Er­mes­sen über die Kos­ten des ers­ten Ver­fah­rens.

3. Kapitel: Entschädigung und Genugtuung

1. Abschnitt: Beschuldigte Person

Art. 429 Ansprüche

1 Wird die be­schul­dig­te Per­son ganz oder teil­wei­se frei­ge­spro­chen oder wird das Ver­fah­ren ge­gen sie ein­ge­stellt, so hat sie An­spruch auf:

a.
Ent­schä­di­gung ih­rer Auf­wen­dun­gen für die an­ge­mes­se­ne Aus­übung ih­rer Ver­fah­rens­rech­te;
b.
Ent­schä­di­gung der wirt­schaft­li­chen Ein­bus­sen, die ihr aus ih­rer not­wen­di­gen Be­tei­li­gung am Straf­ver­fah­ren ent­stan­den sind;
c.
Ge­nug­tu­ung für be­son­ders schwe­re Ver­let­zun­gen ih­rer per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se, ins­be­son­de­re bei Frei­heits­ent­zug.

2 Die Straf­be­hör­de prüft den An­spruch von Am­tes we­gen. Sie kann die be­schul­dig­te Per­son auf­for­dern, ih­re An­sprü­che zu be­zif­fern und zu be­le­gen.

Art. 430 Herabsetzung oder Verweigerung der Entschädigung oder Genugtuung


1 Die Straf­be­hör­de kann die Ent­schä­di­gung oder Ge­nug­tu­ung her­ab­set­zen oder ver­wei­gern, wenn:

a.
die be­schul­dig­te Per­son rechts­wid­rig und schuld­haft die Ein­lei­tung des Ver­fah­rens be­wirkt oder des­sen Durch­füh­rung er­schwert hat;
b.
die Pri­vat­klä­ger­schaft die be­schul­dig­te Per­son zu ent­schä­di­gen hat; oder
c.
die Auf­wen­dun­gen der be­schul­dig­ten Per­son ge­ring­fü­gig sind.

2 Im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren kön­nen Ent­schä­di­gung und Ge­nug­tu­ung zu­dem her­ab­ge­setzt wer­den, wenn die Vor­aus­set­zun­gen von Ar­ti­kel 428 Ab­satz 2 er­füllt sind.

Art. 431 Rechtswidrig angewandte Zwangsmassnahmen

1 Sind ge­gen­über der be­schul­dig­ten Per­son rechts­wid­rig Zwangs­mass­nah­men an­ge­wandt wor­den, so spricht ihr die Straf­be­hör­de ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung und Ge­nug­tu­ung zu.

2 Im Fall von Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft be­steht der An­spruch, wenn die zu­läs­si­ge Haft­dau­er über­schrit­ten ist und der über­mäs­si­ge Frei­heits­ent­zug nicht an die we­gen an­de­rer Straf­ta­ten aus­ge­spro­che­nen Sank­tio­nen an­ge­rech­net wer­den kann.

3 Der An­spruch nach Ab­satz 2 ent­fällt, wenn die be­schul­dig­te Per­son:

a.
zu ei­ner Geld­stra­fe, zu ge­mein­nüt­zi­ger Ar­beit oder zu ei­ner Bus­se ver­ur­teilt wird, die um­ge­wan­delt ei­ne Frei­heits­s­tra­fe er­gä­be, die nicht we­sent­lich kür­zer wä­re als die aus­ge­stan­de­ne Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft;
b.
zu ei­ner be­ding­ten Frei­heits­s­tra­fe ver­ur­teilt wird, de­ren Dau­er die aus­ge­stan­de­ne Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft über­schrei­tet.

Art. 432 Ansprüche gegenüber der Privatklägerschaft und der antragstellenden Person


1 Die ob­sie­gen­de be­schul­dig­te Per­son hat ge­gen­über der Pri­vat­klä­ger­schaft An­spruch auf an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung für die durch die An­trä­ge zum Zi­vil­punkt ver­ur­sach­ten Auf­wen­dun­gen.

2 Ob­siegt die be­schul­dig­te Per­son bei An­trags­de­lik­ten im Schuld­punkt, so kön­nen die an­trag­stel­len­de Per­son, so­fern die­se mut­wil­lig oder grob fahr­läs­sig die Ein­lei­tung des Ver­fah­rens be­wirkt oder des­sen Durch­füh­rung er­schwert hat, oder die Pri­vat­klä­ger­schaft ver­pflich­tet wer­den, der be­schul­dig­ten Per­son die Auf­wen­dun­gen für die an­ge­mes­se­ne Aus­übung ih­rer Ver­fah­rens­rech­te zu er­set­zen.

2. Abschnitt: Privatklägerschaft und Dritte

Art. 433 Privatklägerschaft

1 Die Pri­vat­klä­ger­schaft hat ge­gen­über der be­schul­dig­ten Per­son An­spruch auf an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung für not­wen­di­ge Auf­wen­dun­gen im Ver­fah­ren, wenn:

a.
sie ob­siegt; oder
b.
die be­schul­dig­te Per­son nach Ar­ti­kel 426 Ab­satz 2 kos­ten­pflich­tig ist.

2 Die Pri­vat­klä­ger­schaft hat ih­re Ent­schä­di­gungs­for­de­rung bei der Straf­be­hör­de zu be­an­tra­gen, zu be­zif­fern und zu be­le­gen. Kommt sie die­ser Pflicht nicht nach, so tritt die Straf­be­hör­de auf den An­trag nicht ein.

Art. 434 Dritte

1 Drit­te ha­ben An­spruch auf an­ge­mes­se­nen Er­satz ih­res nicht auf an­de­re Wei­se ge­deck­ten Scha­dens so­wie auf Ge­nug­tu­ung, wenn sie durch Ver­fah­rens­hand­lun­gen oder bei der Un­ter­stüt­zung von Straf­be­hör­den Scha­den er­lit­ten ha­ben. Ar­ti­kel 433 Ab­satz 2 ist sinn­ge­mä­ss an­wend­bar.

2 Über die An­sprü­che ist im Rah­men des En­dent­scheids zu be­fin­den. In kla­ren Fäl­len kann die Staats­an­walt­schaft schon im Vor­ver­fah­ren dar­über ent­schei­den.

3. Abschnitt: Besondere Bestimmungen

Art. 435 Verjährung

Ent­schä­di­gungs- und Ge­nug­tu­ungs­for­de­run­gen ge­gen­über dem Bund oder dem Kan­ton ver­jäh­ren nach 10 Jah­ren seit Ein­tritt der Rechts­kraft des Ent­schei­des.

Art. 436 Entschädigung und Genugtuung im Rechtsmittelverfahren

1 An­sprü­che auf Ent­schä­di­gung und Ge­nug­tu­ung im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren rich­ten sich nach den Ar­ti­keln 429–434.

2 Er­folgt we­der ein voll­stän­di­ger oder teil­wei­ser Frei­spruch noch ei­ne Ein­stel­lung des Ver­fah­rens, ob­siegt die be­schul­dig­te Per­son aber in an­dern Punk­ten, so hat sie An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung für ih­re Auf­wen­dun­gen.

3 Hebt die Rechts­mit­tel­in­stanz einen Ent­scheid nach Ar­ti­kel 409 auf, so ha­ben die Par­tei­en An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung für ih­re Auf­wen­dun­gen im Rechts­mit­tel­ver­fah­ren und im auf­ge­ho­be­nen Teil des ers­tin­stanz­li­chen Ver­fah­rens.

4 Die nach ei­ner Re­vi­si­on frei­ge­spro­che­ne oder mil­der be­straf­te be­schul­dig­te Per­son hat An­spruch auf an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung für ih­re Auf­wen­dun­gen im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren. Sie hat zu­dem An­spruch auf Ge­nug­tu­ung und Ent­schä­di­gung für aus­ge­stan­de­nen Frei­heits­ent­zug, so­fern die­ser Frei­heits­ent­zug nicht an die we­gen an­de­rer Straf­ta­ten aus­ge­spro­che­nen Sank­tio­nen an­ge­rech­net wer­den kann.

11. Titel: Rechtskraft und Vollstreckung der Strafentscheide

1. Kapitel: Rechtskraft

Art. 437 Eintritt

1 Ur­tei­le und an­de­re ver­fah­renser­le­di­gen­de Ent­schei­de, ge­gen die ein Rechts­mit­tel nach die­sem Ge­setz zu­läs­sig ist, wer­den rechts­kräf­tig, wenn:

a.
die Rechts­mit­tel­frist un­be­nützt ab­ge­lau­fen ist;
b.
die be­rech­tig­te Per­son er­klärt, auf ein Rechts­mit­tel zu ver­zich­ten, oder ein er­grif­fe­nes Rechts­mit­tel zu­rück­zieht;
c.
die Rechts­mit­tel­in­stanz auf das Rechts­mit­tel nicht ein­tritt oder es ab­weist.

2 Die Rechts­kraft tritt rück­wir­kend auf den Tag ein, an dem der Ent­scheid ge­fällt wor­den ist.

3 Ent­schei­de, ge­gen die kein Rechts­mit­tel nach die­sem Ge­setz zu­läs­sig ist, wer­den mit ih­rer Aus­fäl­lung rechts­kräf­tig.

Art. 438 Feststellung

1 Die Straf­be­hör­de, die einen Ent­scheid ge­fällt hat, ver­merkt den Ein­tritt der Rechts­kraft in den Ak­ten oder im Ur­teil.

2 Wur­de den Par­tei­en mit­ge­teilt, dass ein Rechts­mit­tel er­grif­fen wor­den ist, so wird ih­nen auch der Ein­tritt der Rechts­kraft des Ur­teils mit­ge­teilt.

3 Ist der Ein­tritt der Rechts­kraft strit­tig, so ent­schei­det dar­über die Be­hör­de, die den Ent­scheid ge­fällt hat.

4 Ge­gen den Ent­scheid über die Rechts­kraft ist die Be­schwer­de zu­läs­sig.

2. Kapitel: Vollstreckung der Strafentscheide

Art. 439 Vollzug von Strafen und Massnahmen

1 Bund und Kan­to­ne be­stim­men die für den Voll­zug von Stra­fen und Mass­nah­men zu­stän­di­gen Be­hör­den so­wie das ent­spre­chen­de Ver­fah­ren; be­son­de­re Re­ge­lun­gen in die­sem Ge­setz und im StGB172 blei­ben vor­be­hal­ten.

2 Die Voll­zugs­be­hör­de er­lässt einen Voll­zugs­be­fehl.

3 Rechts­kräf­ti­ge Frei­heits­s­tra­fen und frei­heits­ent­zie­hen­de Mass­nah­men sind so­fort zu voll­zie­hen:

a.
bei Flucht­ge­fahr;
b.
bei er­heb­li­cher Ge­fähr­dung der Öf­fent­lich­keit; oder
c.
wenn die Er­fül­lung des Mass­nah­men­zwecks an­ders nicht ge­währ­leis­tet wer­den kann.

4 Zur Durch­set­zung des Voll­zugs­be­fehls kann die Voll­zugs­be­hör­de die ver­ur­teil­te Per­son ver­haf­ten oder aus­schrei­ben las­sen oder ih­re Aus­lie­fe­rung ver­lan­gen.

Art. 440 Sicherheitshaft

1 In drin­gen­den Fäl­len kann die Voll­zugs­be­hör­de die ver­ur­teil­te Per­son zur Si­che­rung des Voll­zugs der Stra­fe oder der Mass­nah­me in Si­cher­heits­haft set­zen.

2 Sie un­ter­brei­tet den Fall in­nert 5 Ta­gen seit der In­haf­tie­rung:

a.
dem Ge­richt, das die zu voll­zie­hen­de Stra­fe oder Mass­nah­me aus­ge­spro­chen hat;
b.
bei Straf­be­feh­len dem Zwangs­mass­nah­men­ge­richt am Ort der Staats­an­walt­schaft, die den Straf­be­fehl er­las­sen hat.

3 Das Ge­richt ent­schei­det end­gül­tig, ob die ver­ur­teil­te Per­son bis zum An­tritt der Stra­fe oder Mass­nah­me in Haft bleibt.

Art. 441 Vollstreckungsverjährung

1 Ver­jähr­te Stra­fen dür­fen nicht voll­streckt wer­den.

2 Die Voll­zugs­be­hör­de prüft von Am­tes we­gen, ob die Stra­fe ver­jährt ist.

3 Die ver­ur­teil­te Per­son kann den dro­hen­den Voll­zug ei­ner ver­jähr­ten Stra­fe oder Mass­nah­me bei der Be­schwer­de­in­stanz des Voll­zugs­kan­tons an­fech­ten. Die­se ent­schei­det auch über die auf­schie­ben­de Wir­kung der Be­schwer­de.

4 Hat die ver­ur­teil­te Per­son ei­ne ver­jähr­te frei­heits­ent­zie­hen­de Sank­ti­on ver­büsst, so steht ihr in sinn­ge­mäs­ser An­wen­dung von Ar­ti­kel 431 ei­ne Ent­schä­di­gung und Ge­nug­tu­ung zu.

Art. 442 Vollstreckung von Entscheiden über Verfahrenskosten und weitere finanzielle Leistungen


1 Ver­fah­rens­kos­ten, Geld­stra­fen, Bus­sen und wei­te­re im Zu­sam­men­hang mit ei­nem Straf­ver­fah­ren zu er­brin­gen­de fi­nan­zi­el­le Leis­tun­gen wer­den nach den Be­stim­mun­gen des SchKG173 ein­ge­trie­ben.

2 For­de­run­gen aus Ver­fah­rens­kos­ten ver­jäh­ren in 10 Jah­ren seit Ein­tritt der Rechts­kraft des Kos­ten­ent­schei­des. Der Ver­zugs­zins be­trägt 5 Pro­zent.

3 Bund und Kan­to­ne be­stim­men, wel­che Be­hör­den die fi­nan­zi­el­len Leis­tun­gen ein­trei­ben.

4 Die Straf­be­hör­den kön­nen ih­re For­de­run­gen aus Ver­fah­rens­kos­ten mit Ent­schä­di­gungs­an­sprü­chen der zah­lungs­pflich­ti­gen Par­tei aus dem glei­chen Straf­ver­fah­ren so­wie mit be­schlag­nahm­ten Ver­mö­gens­wer­ten ver­rech­nen.

Art. 443 Vollstreckung der Strafurteile im Zivilpunkt

So­weit das Ur­teil Zi­vil­an­sprü­che be­trifft, wird es nach Mass­ga­be des am Ort der Voll­stre­ckung gel­ten­den Zi­vil­pro­zess­rechts und des SchKG174 voll­streckt.

Art. 444 Amtliche Bekanntmachungen

Bund und Kan­to­ne be­stim­men die Be­hör­den, wel­che amt­li­che Be­kannt­ma­chun­gen vor­zu­neh­men ha­ben.

12. Titel: Schlussbestimmungen

1. Kapitel: Ausführungsbestimmungen

Art. 445

Der Bun­des­rat und, so­weit sie da­für zu­stän­dig sind, die Kan­to­ne er­las­sen die zum Voll­zug die­ses Ge­set­zes not­wen­di­gen Aus­füh­rungs­be­stim­mun­gen.

2. Kapitel: Anpassung von Gesetzen

Art. 446 Aufhebung und Änderung bisherigen Rechts

1 Die Auf­he­bung und die Än­de­rung bis­he­ri­gen Rechts wer­den im An­hang 1 ge­re­gelt.

2 Die Bun­des­ver­samm­lung kann die­sem Ge­setz wi­der­spre­chen­de, aber for­mell nicht ge­än­der­te Be­stim­mun­gen in Bun­des­ge­set­zen durch ei­ne Ver­ord­nung an­pas­sen.

Art. 447 Koordinationsbestimmungen

Die Ko­or­di­na­ti­on von Be­stim­mun­gen an­de­rer Er­las­se mit die­sem Ge­setz ist im An­hang 2 ge­re­gelt.

3. Kapitel: Übergangsbestimmungen

1. Abschnitt: Allgemeine Verfahrensbestimmungen

Art. 448 Anwendbares Recht

1 Ver­fah­ren, die bei In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes hän­gig sind, wer­den nach neu­em Recht fort­ge­führt, so­weit die nach­fol­gen­den Be­stim­mun­gen nichts an­de­res vor­se­hen.

2 Ver­fah­rens­hand­lun­gen, die vor In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes an­ge­ord­net oder durch­ge­führt wor­den sind, be­hal­ten ih­re Gül­tig­keit.

Art. 449 Zuständigkeit

1 Ver­fah­ren, die bei In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes hän­gig sind, wer­den von den nach neu­em Recht zu­stän­di­gen Be­hör­den wei­ter­ge­führt, so­weit die nach­fol­gen­den Be­stim­mun­gen nichts an­de­res vor­se­hen.

2 Kon­flik­te über die Zu­stän­dig­keit zwi­schen Be­hör­den des glei­chen Kan­tons ent­schei­det die Be­schwer­de­in­stanz des je­wei­li­gen Kan­tons, sol­che zwi­schen Be­hör­den ver­schie­de­ner Kan­to­ne oder zwi­schen kan­to­na­len und eid­ge­nös­si­schen Be­hör­den das Bun­dess­traf­ge­richt.

2. Abschnitt: Erstinstanzliches Hauptverfahren und besondere Verfahren

Art. 450 Erstinstanzliches Hauptverfahren

Ist bei In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes die Haupt­ver­hand­lung be­reits er­öff­net, so wird sie nach bis­he­ri­gem Recht, vom bis­her zu­stän­di­gen ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt, fort­ge­führt.

Art. 451 Selbstständige nachträgliche Entscheide des Gerichts

Selbst­stän­di­ge nach­träg­li­che Ent­schei­de des Ge­richts wer­den nach In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes von der Straf­be­hör­de ge­fällt, die nach die­sem Ge­setz für das ers­tin­stanz­li­che Ur­teil zu­stän­dig ge­we­sen wä­re.

Art. 452 Abwesenheitsverfahren

1 Ge­su­che um neue Be­ur­tei­lung nach ei­nem Ab­we­sen­heits­ur­teil, die bei In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes hän­gig sind, wer­den nach bis­he­ri­gem Recht be­ur­teilt.

2 Ge­su­che um neue Be­ur­tei­lung nach ei­nem Ab­we­sen­heits­ur­teil nach bis­he­ri­gem Recht, die nach In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes ge­stellt wer­den, wer­den nach dem Recht be­ur­teilt, das für die ge­such­stel­len­de Per­son güns­ti­ger ist.

3 Für die neue Be­ur­tei­lung gilt neu­es Recht. Zu­stän­dig ist das Ge­richt, das nach die­sem Ge­setz für das Ab­we­sen­heits­ur­teil zu­stän­dig ge­we­sen wä­re.

3. Abschnitt: Rechtsmittelverfahren

Art. 453 Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gefällte Entscheide

1 Ist ein Ent­scheid vor In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes ge­fällt wor­den, so wer­den Rechts­mit­tel da­ge­gen nach bis­he­ri­gem Recht, von den bis­her zu­stän­di­gen Be­hör­den, be­ur­teilt.

2 Wird ein Ver­fah­ren von der Rechts­mit­tel­in­stanz oder vom Bun­des­ge­richt zur neu­en Be­ur­tei­lung zu­rück­ge­wie­sen, so ist neu­es Recht an­wend­bar. Die neue Be­ur­tei­lung er­folgt durch die Be­hör­de, die nach die­sem Ge­setz für den auf­ge­ho­be­nen Ent­scheid zu­stän­dig ge­we­sen wä­re.

Art. 454 Nach Inkrafttreten dieses Gesetzes gefällte Entscheide

1 Für Rechts­mit­tel ge­gen ers­tin­stanz­li­che Ent­schei­de, die nach In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes ge­fällt wer­den, gilt neu­es Recht.

2 Für Rechts­mit­tel ge­gen ers­tin­stanz­li­che Ent­schei­de hö­he­rer Ge­richts­in­stan­zen, die nach In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes nach bis­he­ri­gem Recht ge­fällt wer­den, gilt das bis­he­ri­ge Recht.

4. Abschnitt: Einsprachen gegen Strafbefehle; Privatstrafklageverfahren

Art. 455 Einsprachen gegen Strafbefehle

Für Ein­spra­chen ge­gen Straf­be­feh­le gilt Ar­ti­kel 453 sinn­ge­mä­ss.

Art. 456 Privatstrafklageverfahren

Pri­vat­straf­kla­ge­ver­fah­ren nach bis­he­ri­gem kan­to­na­lem Recht, die bei In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes bei ei­nem ers­tin­stanz­li­chen Ge­richt hän­gig sind, wer­den bis zum Ab­schluss des ers­tin­stanz­li­chen Ver­fah­rens nach bis­he­ri­gem Recht, vom bis­her zu­stän­di­gen Ge­richt, fort­ge­führt.

5. Abschnitt: Übergangsbestimmung zur Änderung vom 28. September 2012175

175 Eingefügt durch Ziff. I 2 des BG vom 28. Sept. 2012 (Protokollierungsvorschriften), in Kraft seit 1. Mai 2013 (AS 2013 851; BBl 2012 57075719).

Art. 456a

In Ver­fah­ren, die bei In­kraft­tre­ten der Än­de­rung vom 28. Sep­tem­ber 2012 die­ses Ge­set­zes rechts­hän­gig sind, gilt für Ein­ver­nah­men ab dem Zeit­punkt des In­kraft­tre­tens das neue Recht.

4. Kapitel: Referendum und Inkrafttreten

Art. 457

1 Die­ses Ge­setz un­ter­steht dem fa­kul­ta­ti­ven Re­fe­ren­dum.

2 Der Bun­des­rat be­stimmt das In­kraft­tre­ten.

Da­tum des In­kraft­tre­tens: 1. Ja­nu­ar 2011176

176 BRB vom 31. März 2010

Anhang 1

Aufhebung und Änderung bisherigen Rechts

Anhang 2

Koordinationsbestimmungen

1. Koordination von Artikel 305 Absatz 2 Buchstabe b Strafprozessordnung mit dem neuen Opferhilfegesetz 180

180 Das neue OHG trat am 1. Jan. 2009 in Kraft.

2. Koordination von Ziffer 9 des Anhangs 1 mit dem neuen OHG

3. Koordination des Militärstrafprozesses vom 23. März 1979 (Anhang 1 Ziffer 12) mit dem neuen OHG182182