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Bundesgesetz
über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981
(AFZFG)

vom 30. September 2016 (Stand am 1. Juli 2021)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

gestützt auf die Artikel 122 Absatz 1, 124 und 173 Absatz 2 der Bundesverfassung1,
nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 4. Dezember 20152,

beschliesst:

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Zweck, Geltungsbereich und Gegenstand  

1 Die­ses Ge­setz bezweckt die An­er­ken­nung und Wie­der­gut­ma­chung des Un­rechts, das den Op­fern von für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­men und Fremd­plat­zie­run­gen in der Schweiz vor 1981 zu­ge­fügt wor­den ist.

2 Es gilt auch für Per­so­nen, die von Mass­nah­men be­trof­fen wa­ren, die vor 1981 ver­an­lasst, aber erst da­nach voll­zo­gen wor­den sind.

3 Es re­gelt:

a.
den So­li­da­ri­täts­bei­trag zu­guns­ten von Op­fern;
b.
die Ar­chi­vie­rung und Ak­ten­ein­sicht;
c.
die Be­ra­tung und Un­ter­stüt­zung Be­trof­fe­ner;
d.
die wis­sen­schaft­li­che Auf­ar­bei­tung und die Öf­fent­lich­keits­ar­beit;
e.
wei­te­re Mass­nah­men im In­ter­es­se der Be­trof­fe­nen.
Art. 2 Begriffe  

Die fol­gen­den Aus­drücke be­deu­ten:

a.
für­sor­ge­ri­sche Zwangs­mass­nah­men:dievor 1981 in der Schweiz von Be­hör­den ver­an­lass­ten und von die­sen oder in de­ren Auf­trag und un­ter de­ren Auf­sicht voll­zo­ge­nen Mass­nah­men zum Schutz oder zur Er­zie­hung von Kin­dern, Ju­gend­li­chen oder Er­wach­se­nen;
b.
Fremd­plat­zie­rung: die vor 1981 in der Schweiz von Be­hör­den oder Pri­va­ten ver­an­lass­te Un­ter­brin­gung von Kin­dern und Ju­gend­li­chen aus­ser­halb ih­rer Fa­mi­lie in Hei­men oder An­stal­ten, bei Kost- oder Pfle­ge­fa­mi­li­en oder in ge­werb­li­chen oder land­wirt­schaft­li­chen Be­trie­ben;
c.
Be­trof­fe­ne: von für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­men oder Fremd­plat­zie­run­gen be­trof­fe­ne Per­so­nen;
d.
Op­fer:Be­trof­fe­ne, de­ren kör­per­li­che, psy­chi­sche oder se­xu­el­le Un­ver­sehrt­heit oder de­ren geis­ti­ge Ent­wick­lung un­mit­tel­bar und schwer be­ein­träch­tigt wor­den ist, ins­be­son­de­re durch:
1.
kör­per­li­che oder psy­chi­sche Ge­walt,
2.
se­xu­el­len Miss­brauch,
3.
un­ter Druck er­folg­te Kinds­weg­nah­me und Frei­ga­be zur Ad­op­ti­on,
4.
un­ter Druck oder in Un­kennt­nis der Be­trof­fe­nen er­folg­te Me­di­ka­ti­on oder Me­di­ka­men­ten­ver­su­che,
5.
un­ter Druck oder in Un­kennt­nis der Be­trof­fe­nen er­folg­te Ste­ri­li­sie­rung oder Ab­trei­bung,
6.
wirt­schaft­li­che Aus­beu­tung durch über­mäs­si­ge Be­an­spru­chung der Ar­beits­kraft oder Feh­len ei­ner an­ge­mes­se­nen Ent­löh­nung,
7.
ge­ziel­te Be­hin­de­rung der per­sön­li­chen Ent­wick­lung und Ent­fal­tung,
8.
so­zia­le Stig­ma­ti­sie­rung;
e.
An­ge­hö­ri­ge: der Ehe­gat­te oder die Ehe­gat­tin so­wie der ein­ge­tra­ge­ne Part­ner oder die ein­ge­tra­ge­ne Part­ne­rin ei­ner be­trof­fe­nen Per­son, ih­re Kin­der und ih­re El­tern so­wie an­de­re Per­so­nen, die ihr in ähn­li­cher Wei­se na­he­ste­hen.
Art. 3 Anerkennung des Unrechts  

Der Bund an­er­kennt, dass den Op­fern Un­recht zu­ge­fügt wor­den ist, das sich auf ihr gan­zes Le­ben aus­ge­wirkt hat.

2. Abschnitt: Solidaritätsbeitrag

Art. 4 Grundsätze  

1 Op­fer ha­ben An­spruch auf einen So­li­da­ri­täts­bei­trag; die­ser ist ein Zei­chen der An­er­ken­nung des zu­ge­füg­ten Un­rechts und soll zur Wie­der­gut­ma­chung bei­tra­gen.

2 Es be­ste­hen kei­ne wei­ter­ge­hen­den An­sprü­che auf Ent­schä­di­gung oder Ge­nug­tu­ung.

3 Der So­li­da­ri­täts­bei­trag wird auf Ge­such hin aus­ge­rich­tet.

4 Al­le Op­fer er­hal­ten den glei­chen Be­trag. Bei­trä­ge, die im Rah­men der frei­wil­li­gen So­fort­hil­fe an Op­fer in schwie­ri­gen fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­sen aus­be­zahlt wor­den sind, wer­den nicht an den So­li­da­ri­täts­bei­trag an­ge­rech­net.

5 Der An­spruch auf den So­li­da­ri­täts­bei­trag ist per­sön­lich; er kann we­der ver­erbt noch ab­ge­tre­ten wer­den. Stirbt ein Op­fer nach Ein­rei­chung des Ge­suchs, so fällt der Bei­trag in die Erb­mas­se.

6 Für den So­li­da­ri­täts­bei­trag gilt über­dies Fol­gen­des:

a.
Der Bei­trag wird steu­er­recht­lich Ge­nug­tu­ungs­s­um­men nach Ar­ti­kel 24 Buch­sta­be g des Bun­des­ge­set­zes vom 14. De­zem­ber 19903 über die di­rek­te Bun­des­steu­er und nach Ar­ti­kel 7 Ab­satz 4 Buch­sta­be i des Bun­des­ge­set­zes vom 14. De­zem­ber 19904 über die Har­mo­ni­sie­rung der di­rek­ten Steu­ern der Kan­to­ne und Ge­mein­den gleich­ge­stellt.
b.
Er wird schuld­be­trei­bungs­recht­lich den Ge­nug­tu­ungs­leis­tun­gen nach Ar­ti­kel 92 Ab­satz 1 Zif­fer 9 des Bun­des­ge­set­zes vom 11. April 18895 über Schuld­be­trei­bung und Kon­kurs gleich­ge­stellt.
c.6
Er führt nicht zu ei­ner Re­duk­ti­on von Leis­tun­gen der So­zi­al­hil­fe, von Leis­tun­gen ge­mä­ss dem Bun­des­ge­setz vom 6. Ok­to­ber 20067 über Er­gän­zungs­leis­tun­gen zur Al­ters-, Hin­ter­las­se­nen- und In­va­li­den­ver­si­che­rung (ELG) so­wie von Leis­tun­gen ge­mä­ss dem Bun­des­ge­setz vom 19. Ju­ni 20208 über Über­brückungs­leis­tun­gen für äl­te­re Ar­beits­lo­se.

3 SR 642.11

4 SR 642.14

5 SR 281.1

6 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 1 des BG vom 19. Ju­ni 2020 über Über­brückungs­leis­tun­gen für äl­te­re Ar­beits­lo­se, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 373; BBl 2019 8251).

7 SR 831.30

8 SR 837.2

Art. 5 Gesuche  

1 Ge­su­che um Ge­wäh­rung des So­li­da­ri­täts­bei­trags sind bei der zu­stän­di­gen Be­hör­de ein­zu­rei­chen.9

2 Die ge­such­stel­len­de Per­son muss glaub­haft ma­chen, dass sie ein Op­fer im Sin­ne die­ses Ge­set­zes ist. Da­zu legt sie dem Ge­such die Ak­ten so­wie wei­te­re Un­ter­la­gen bei, die ge­eig­net sind, ih­re Op­fe­rei­gen­schaft zu be­le­gen.

9 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 19. Ju­ni 2020 (Strei­chung der Frist zur Ein­rei­chung der Ge­su­che um So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge), in Kraft seit 1. Nov. 2020 (AS 2020 4175; BBl 2020 16391653).

Art. 6 Prüfung der Gesuche und Entscheid  

1 Die zu­stän­di­ge Be­hör­de prüft die Ge­su­che und ent­schei­det über die Ge­wäh­rung des So­li­da­ri­täts­bei­trags.

2 Sie darf be­son­ders schüt­zens­wer­te Per­so­nen­da­ten nach Ar­ti­kel 3 Buch­sta­be c des Bun­des­ge­set­zes vom 19. Ju­ni 199210 über den Da­ten­schutz be­ar­bei­ten, so­weit dies für die Er­fül­lung ih­rer Auf­ga­be er­for­der­lich ist.

3 Sie hört vor ih­rem Ent­scheid die be­ra­ten­de Kom­mis­si­on (Art. 18 Abs. 2) an.

4 ...11

10 SR 235.1

11 Auf­ge­ho­ben durch Ziff. I des BG vom 19. Ju­ni 2020 (Strei­chung der Frist zur Ein­rei­chung der Ge­su­che um So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge), mit Wir­kung seit 1. Nov. 2020 (AS 2020 4175; BBl 2020 16391653).

Art. 7 Betrag und Auszahlung 12  

1 Der So­li­da­ri­täts­bei­trag be­trägt pro Op­fer 25 000 Fran­ken.

2 Er wird den Op­fern aus­be­zahlt, de­ren Ge­such gut­ge­heis­sen wur­de.

12 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 19. Ju­ni 2020 (Strei­chung der Frist zur Ein­rei­chung der Ge­su­che um So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge), in Kraft seit 1. Nov. 2020 (AS 2020 4175; BBl 2020 16391653).

Art. 8 Rechtsschutz  

1 Ge­gen die Ab­leh­nung ei­nes Ge­suchs kann in­nert 30 Ta­gen bei der zu­stän­di­gen Be­hör­de Ein­spra­che er­ho­ben wer­den.

2 Im Üb­ri­gen gel­ten die all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen über die Bun­des­rechts­pfle­ge.

Art. 9 Finanzierung 13  

1 Die So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge wer­den fi­nan­ziert durch:

a.
den Bund;
b.
frei­wil­li­ge Zu­wen­dun­gen der Kan­to­ne;
c.
wei­te­re frei­wil­li­ge Zu­wen­dun­gen.

2 ...14

3 Für Zu­wen­dun­gen nach Ab­satz 1 Buch­sta­ben b und c gilt Fol­gen­des:

a.
Sie wer­den in der Rech­nung des Bun­des als Er­trag aus­ge­wie­sen.
b.
Sie sind zweck­ge­bun­den im Sin­ne von Ar­ti­kel 53 des Fi­nanz­haus­halt­ge­set­zes vom 7. Ok­to­ber 200515.

13 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 19. Ju­ni 2020 (Strei­chung der Frist zur Ein­rei­chung der Ge­su­che um So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge), in Kraft seit 1. Nov. 2020 (AS 2020 4175; BBl 2020 16391653).

14 Auf­ge­ho­ben durch Ziff. I des BG vom 19. Ju­ni 2020 (Strei­chung der Frist zur Ein­rei­chung der Ge­su­che um So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge), mit Wir­kung seit 1. Nov. 2020 (AS 2020 4175; BBl 2020 16391653).

15 SR 611.0

3. Abschnitt: Archivierung und Akteneinsicht

Art. 10 Archivierung  

1 Die Be­hör­den des Bun­des, der Kan­to­ne und der Ge­mein­den sor­gen für die Auf­be­wah­rung der Ak­ten zu den für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­men und den Fremd­plat­zie­run­gen vor 1981. Der Bun­des­rat re­gelt die Ein­zel­hei­ten der ad­mi­nis­tra­ti­ven Auf­be­wah­rung, na­ment­lich die Dau­er und die Mo­da­li­tä­ten.

2 Die Be­hör­den des Bun­des, der Kan­to­ne und der Ge­mein­den dür­fen die Ak­ten nicht für Ent­schei­de zu­las­ten der Be­trof­fe­nen ver­wen­den.

3 Die Be­hör­den des Bun­des und der Kan­to­ne se­hen für Ak­ten mit Per­so­nen­da­ten Schutz­fris­ten vor, die den be­rech­tig­ten In­ter­es­sen der Be­trof­fe­nen und ih­rer An­ge­hö­ri­gen so­wie der For­schung Rech­nung tra­gen.

4 Für In­sti­tu­tio­nen, die mit für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­men oder Fremd­plat­zie­run­gen be­fasst wa­ren und die nach kan­to­na­lem Recht nicht den kan­to­na­len In­for­ma­ti­ons-, Da­ten­schutz- und Ar­chiv­ge­setz­ge­bun­gen un­ter­ste­hen, sind die Be­stim­mun­gen der In­for­ma­ti­ons-, Da­ten­schutz- und Ar­chiv­ge­setz­ge­bung ih­res Sitz­kan­tons an­wend­bar. Die­se In­sti­tu­tio­nen sor­gen für die fach­ge­rech­te Si­che­rung, Be­wer­tung, Er­schlies­sung und Auf­be­wah­rung ih­rer Ak­ten.

Art. 11 Akteneinsicht  

1 Be­trof­fe­ne ha­ben das Recht auf einen ein­fa­chen und kos­ten­lo­sen Zu­gang zu den sie be­tref­fen­den Ak­ten. Nach ih­rem Tod ha­ben ih­re An­ge­hö­ri­gen die­ses Recht.

2 So­weit dies für wis­sen­schaft­li­che Zwe­cke er­for­der­lich ist, ha­ben wei­te­re Per­so­nen das Recht auf Zu­gang zu den Ak­ten.

3 Wäh­rend lau­fen­der Schutz­frist wird Zu­gang zu den Ak­ten nur ge­währt, wenn ei­ne der fol­gen­den Vor­aus­set­zun­gen er­füllt ist:

a.
Die be­trof­fe­ne Per­son er­sucht um Zu­gang zu ih­ren Per­so­nen­da­ten.
b.
Die be­trof­fe­ne Per­son wil­ligt in die Be­kannt­ga­be ein.
c.
Die Ak­ten wer­den für nicht per­so­nen­be­zo­ge­ne Zwe­cke ver­wen­det, ins­be­son­de­re für wis­sen­schaft­li­che oder sta­tis­ti­sche Zwe­cke.
d.
Ei­ne Be­hör­de be­nö­tigt die Ak­ten zur Er­fül­lung ih­rer ge­setz­li­chen Auf­ga­ben.
e.
An­de­re, be­son­ders schüt­zens­wer­te In­ter­es­sen lie­gen vor.

4 Be­trof­fe­ne kön­nen ver­lan­gen, dass strit­ti­ge oder un­rich­ti­ge In­hal­te der Ak­ten ver­merkt wer­den und dass den Ak­ten ei­ne Ge­gen­dar­stel­lung bei­ge­fügt wird. Es be­steht kein An­spruch auf Her­aus­ga­be, Be­rich­ti­gung oder Ver­nich­tung von Ak­ten.

Art. 12 Unterstützung durch die kantonalen Archive  

1 Die kan­to­na­len Ar­chi­ve und wei­te­re staat­li­che Ar­chi­ve un­ter­stüt­zen Be­trof­fe­ne und ih­re An­ge­hö­ri­gen so­wie die kan­to­na­len An­lauf­stel­len bei der Su­che nach Ak­ten.

2 Die kan­to­na­len Ar­chi­ve un­ter­stüt­zen auch die wei­te­ren staat­li­chen Ar­chi­ve so­wie die In­sti­tu­tio­nen nach Ar­ti­kel 10 Ab­satz 4 bei der Er­fül­lung ih­rer Ver­pflich­tun­gen.

Art. 13 Sparguthaben von Betroffenen  

1 Die kan­to­na­len Ar­chi­ve, wei­te­re staat­li­che Ar­chi­ve und die In­sti­tu­tio­nen nach Ar­ti­kel 10 Ab­satz 4 klä­ren auf Er­su­chen Be­trof­fe­ner hin ab, ob in ih­ren Ar­chi­ven In­for­ma­tio­nen über Spar­gut­ha­ben die­ser Be­trof­fe­nen ent­hal­ten sind. Sie be­ra­ten und un­ter­stüt­zen Be­trof­fe­ne und, nach de­ren Tod, ih­re An­ge­hö­ri­gen bei ih­rer Su­che.

2 Er­ge­ben sich aus den Ak­ten Hin­wei­se, dass wäh­rend der Dau­er von für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­men oder Fremd­plat­zie­run­gen Spar­gut­ha­ben bei ei­ner Bank vor­han­den wa­ren, so nimmt die­se oder ih­re Rechts­nach­fol­ge­rin auf Er­su­chen der Be­trof­fe­nen und, nach ih­rem Tod, ih­rer An­ge­hö­ri­gen die er­for­der­li­chen Ab­klä­run­gen un­ent­gelt­lich vor.

4. Abschnitt: Beratung und Unterstützung durch kantonale Anlaufstellen

Art. 14  

1 Die Kan­to­ne be­trei­ben An­lauf­stel­len für die Be­trof­fe­nen. Die­se be­ra­ten Be­trof­fe­ne und ih­re An­ge­hö­ri­gen und leis­ten den Per­so­nen, die von der zu­stän­di­gen Be­hör­de als Op­fer an­er­kannt wer­den, So­fort­hil­fe so­wie län­ger­fris­ti­ge Hil­fe im Sin­ne von Ar­ti­kel 2 Buch­sta­ben a und b des Op­fer­hil­fe­ge­set­zes vom 23. März 200716 (OHG).

2 Die An­lauf­stel­len un­ter­stüt­zen Be­trof­fe­ne bei der Vor­be­rei­tung und Ein­rei­chung ih­rer Ge­su­che um Ge­wäh­rung des So­li­da­ri­täts­bei­trags.

3 Be­trof­fe­ne und ih­re An­ge­hö­ri­gen kön­nen sich an ei­ne An­lauf­stel­le ih­rer Wahl wen­den.

4 Er­bringt ein Kan­ton Leis­tun­gen zu­guns­ten von Per­so­nen mit Wohn­sitz in ei­nem an­de­ren Kan­ton, so er­hält er von die­sem ei­ne Ab­gel­tung. Ar­ti­kel 18 Ab­satz 2 OHG ist an­wend­bar.

5. Abschnitt: Wissenschaftliche Aufarbeitung und Öffentlichkeitsarbeit

Art. 15 Wissenschaftliche Aufarbeitung  

1 Der Bun­des­rat sorgt für die um­fas­sen­de wis­sen­schaft­li­che Auf­ar­bei­tung der für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­men und der Fremd­plat­zie­run­gen vor 1981.

2 Ei­ne un­ab­hän­gi­ge Kom­mis­si­on be­fasst sich mit der wis­sen­schaft­li­chen Auf­ar­bei­tung der ad­mi­nis­tra­ti­ven Ver­sor­gun­gen; da­bei be­rück­sich­tigt sie auch an­de­re für­sor­ge­ri­sche Zwangs­mass­nah­men und Fremd­plat­zie­run­gen.

3 Die Er­geb­nis­se der wis­sen­schaft­li­chen Auf­ar­bei­tung wer­den ver­öf­fent­licht. Per­so­nen­da­ten wer­den an­ony­mi­siert.

4 Die zu­stän­di­ge Be­hör­de sorgt in Zu­sam­men­ar­beit mit der un­ab­hän­gi­gen Kom­mis­si­on und an­de­ren Trä­gern der wis­sen­schaft­li­chen Auf­ar­bei­tung für die Ver­brei­tung und die Nut­zung der Er­geb­nis­se der wis­sen­schaft­li­chen Auf­ar­bei­tung.

5 Sie kann ins­be­son­de­re die fol­gen­den Mass­nah­men för­dern:

a.
Me­di­en­pro­duk­tio­nen, Aus­stel­lun­gen und Vor­trä­ge zum The­ma;
b.
die Auf­be­rei­tung in Lehr­mit­teln der ob­li­ga­to­ri­schen Schu­le und Schu­len der Se­kun­dar­stu­fe II;
c.
die Sen­si­bi­li­sie­rung der Öf­fent­lich­keit so­wie der Be­hör­den, In­sti­tu­tio­nen und Pri­vat­per­so­nen, die nach gel­ten­dem Recht mit für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­men oder Fremd­plat­zie­run­gen be­fasst sind.
Art. 16 Zeichen der Erinnerung  

Der Bund setzt sich da­für ein, dass die Kan­to­ne Zei­chen der Er­in­ne­rung schaf­fen.

6. Abschnitt: Weitere Massnahmen

Art. 17  

Die zu­stän­di­ge Be­hör­de kann wei­te­re Mass­nah­men im In­ter­es­se der Be­trof­fe­nen er­grei­fen. Sie kann ins­be­son­de­re:

a.
die Ein­rich­tung ei­ner Platt­form für Such­diens­te un­ter­stüt­zen;
b.
Selbst­hil­fe­pro­jek­te von Or­ga­ni­sa­tio­nen von Op­fern und an­de­ren Be­trof­fe­nen för­dern.

7. Abschnitt: Vollzug

Art. 18 Zuständige Behörde und beratende Kommission  

1 Der Bun­des­rat be­stimmt die zu­stän­di­ge Be­hör­de im Sin­ne die­ses Ge­set­zes.

2 Er setzt die be­ra­ten­de Kom­mis­si­on (Art. 6 Abs. 3) ein. In die­ser sind auch Op­fer und an­de­re Be­trof­fe­ne ver­tre­ten.

Art. 19 Ausführungsbestimmungen  

Der Bun­des­rat er­lässt die Aus­füh­rungs­be­stim­mun­gen. Da­bei re­gelt er ins­be­son­de­re die Ein­zel­hei­ten:

a.
des Ge­suchs­ver­fah­rens für die Ge­wäh­rung ei­nes So­li­da­ri­täts­bei­trags (Art. 5);
b.17
...
c.
der Fi­nan­zie­rung und Um­set­zung wei­te­rer Mass­nah­men nach Ar­ti­kel 17.

17 Auf­ge­ho­ben durch Ziff. I des BG vom 19. Ju­ni 2020 (Strei­chung der Frist zur Ein­rei­chung der Ge­su­che um So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge), mit Wir­kung seit 1. Nov. 2020 (AS 2020 4175; BBl 2020 16391653).

8. Abschnitt: Schlussbestimmungen

Art. 20 Erlöschen von Forderungen  

For­de­run­gen, die ih­ren Rechts­grund un­mit­tel­bar in ei­ner für­sor­ge­ri­schen Zwangs­mass­nah­me oder ei­ner Fremd­plat­zie­rung ha­ben und die sich ge­gen Op­fer oder ge­gen de­ren An­ge­hö­ri­ge rich­ten, er­lö­schen mit dem In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes.

Art. 21 Aufhebung und Änderung anderer Erlasse  

1 Das Bun­des­ge­setz vom 21. März 201418 über die Re­ha­bi­li­tie­rung ad­mi­nis­tra­tiv ver­sorg­ter Men­schen wird auf­ge­ho­ben.

2 ...19

18 [AS 2014 2293]

19 Die Än­de­rung kann un­ter AS 2017 753kon­sul­tiert wer­den.

Art. 21a Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 20. Dezember 2019 20  

1 Ar­ti­kel 4 Ab­satz 6 Buch­sta­be c in der Fas­sung der Än­de­rung vom 20. De­zem­ber 2019 gilt auch für So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge, die vor dem In­kraft­tre­ten die­ser Än­de­rung aus­be­zahlt wor­den sind.

2 Ver­fü­gun­gen über jähr­li­che Er­gän­zungs­leis­tun­gen, für de­ren Be­rech­nung bei der An­rech­nung der Ein­nah­men nach Ar­ti­kel 11 ELG21 ein So­li­da­ri­täts­bei­trag be­rück­sich­tigt wor­den ist, sind in Ab­wei­chung von Ar­ti­kel 53 Ab­satz 2 des Bun­des­ge­set­zes vom 6. Ok­to­ber 200022 über den All­ge­mei­nen Teil des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts (ATSG) auf An­trag der ver­si­cher­ten Per­son in Wie­der­er­wä­gung zu zie­hen, falls die­se Än­de­rung einen hö­he­ren Be­trag der jähr­li­chen Er­gän­zungs­leis­tung zur Fol­ge hat.

3 In Ab­wei­chung von Ar­ti­kel 24 ATSG er­lischt der An­spruch auf Nach­zah­lung von Er­gän­zungs­leis­tun­gen auf­grund die­ser Än­de­rung nicht.

20 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 20. Dez. 2019 (Ge­währ­leis­tung der Er­gän­zungs­leis­tun­gen an die Op­fer), in Kraft seit 1. Mai 2020 (AS 2020 1267; BBl 2019 80818203).

21 SR 831.30

22 SR 830.1

Art. 21b Übergangsbestimmung zur Änderung vom
19. Juni 2020
23  

Ge­su­che, die zwi­schen dem 1. April 2018 und dem In­kraft­tre­ten der Än­de­rung vom 19. Ju­ni 2020 bei der zu­stän­di­gen Be­hör­de ein­ge­reicht wor­den sind, gel­ten als im Zeit­punkt des In­kraft­tre­tens die­ser Än­de­rung ein­ge­reicht. Dies gilt auch für Ge­su­che des­sel­ben Zeit­raums, auf die nicht ein­ge­tre­ten wor­den ist, weil die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Wie­der­her­stel­lung der Frist nach Ar­ti­kel 24 des Ver­wal­tungs­ver­fah­rens-ge­set­zes vom 20. De­zem­ber 196824 nicht er­füllt wa­ren.

23 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 19. Ju­ni 2020 (Strei­chung der Frist zur Ein­rei­chung der Ge­su­che um So­li­da­ri­täts­bei­trä­ge), in Kraft seit 1. Nov. 2020 (AS 2020 4175; BBl 2020 16391653).

24 SR 172.021

Art. 22 Referendum und Inkrafttreten  

1 Die­ses Ge­setz un­ter­steht dem fa­kul­ta­ti­ven Re­fe­ren­dum.

2 Es ist im Bun­des­blatt zu pu­bli­zie­ren, so­bald die Volks­i­ni­tia­ti­ve «Wie­der­gut­ma­chung für Ver­ding­kin­der und Op­fer für­sor­ge­ri­scher Zwangs­mass­nah­men (Wie­der­gut­ma­chungs­i­ni­tia­ti­ve)» zu­rück­ge­zo­gen25 oder ab­ge­lehnt wor­den ist.

3 Steht zehn Ta­ge nach Ab­lauf der Re­fe­ren­dums­frist fest, dass ge­gen das Ge­setz kein Re­fe­ren­dum zu­stan­de ge­kom­men ist, so tritt es am ers­ten Tag des drit­ten Mo­nats nach dem Ab­lauf der Re­fe­ren­dums­frist in Kraft.

4 Steht erst spä­ter fest, dass kein Re­fe­ren­dum zu­stan­de ge­kom­men ist, so be­stimmt der Bun­des­rat das In­kraft­tre­ten.

5 Kommt das Re­fe­ren­dum zu­stan­de und wird das Ge­setz in der Volks­ab­stim­mung an­ge­nom­men, so tritt es am Tag nach der Er­wah­rung der Ab­stim­mungs­er­geb­nis­se in Kraft.

Da­tum des In­kraft­tre­tens: 1. April 201726

25 BBl 2016 7924; 2017 773

26 Sie­he Art. 22 Abs. 3

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