Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherungvom 20. Dezember 1946 (Stand am 1. Januar 2021) |
Art. 87 Vergehen
Wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise für sich oder einen anderen eine Leistung auf Grund dieses Gesetzes erwirkt, die ihm nicht zukommt, wer sich durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise der Beitragspflicht ganz oder teilweise entzieht, wer es als Arbeitgeber unterlässt, sich einer Ausgleichskasse anzuschliessen und die beitragspflichtigen Löhne seiner Arbeitnehmer innert der Frist abzurechnen, die der Bundesrat gestützt auf Artikel 14 bestimmt,1 wer als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer um die Beiträge gekürzte Löhne ausrichtet und, anstatt die der Ausgleichskasse geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge zu bezahlen, die Beiträge selber verbraucht oder damit andere Forderungen begleicht,2 wer die Schweigepflicht verletzt oder bei der Durchführung dieses Gesetzes seine Stellung als Organ oder Funktionär zum Nachteil Dritter oder zum eigenen Vorteil missbraucht, wer die ihm obliegende Meldepflicht (Art. 31 Abs. 1 ATSG3) verletzt,4 wer als Revisor oder Revisionsgehilfe die ihm bei der Durchführung einer Revision bzw. Kontrolle oder bei Abfassung oder Erstattung des Revisions- bzw. Kontrollberichtes obliegenden Pflichten in grober Weise verletzt, wer die Versichertennummer systematisch verwendet, ohne hiefür berechtigt zu sein,5 wird, sofern nicht ein mit einer höheren Strafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des Strafgesetzbuches6 vorliegt, mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft.7 1 Eingefügt durch Ziff. II 1 des BG vom 17. März 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5521; BBl 2016 157). BGE
107 IV 205 () from 24. September 1981
Regeste: Art. 87 Abs. 3 AHVG. Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen. 1. Den objektiven Tatbestand dieser Bestimmung erfüllt der Arbeitgeber, der die tatsächlich vom Lohn abgezogenen Arbeitnehmerbeiträge nicht fristgerecht an die Ausgleichskasse überweist. Dass dem Arbeitgeber die dazu erforderlichen finanziellen Mittel fehlten und diese ihm auch nicht von Dritten zur Verfügung gestellt wurden, ist belanglos (E. 2a). Unerheblich ist auch, dass die Forderungen der Ausgleichskasse durch gepfändete Gegenstände gedeckt waren (E. 2b). 2. Ob der Arbeitgeber um die Strafbarkeit der Nichtbezahlung abgezogener Arbeitnehmerbeiträge wusste oder nicht, ist für die Beantwortung der Frage, ob er vorsätzlich handelte, ohne Bedeutung (E. 3).
108 V 199 () from 3. November 1982
Regeste: Art. 52 AHVG. - Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers. In casu bejaht, weil keine Rechtfertigungs- bzw. Exkulpationsgründe nachgewiesen (Erw. 1, 2). - Haftung der Organe einer Aktiengesellschaft (Erw. 3).
111 V 172 () from 3. Juli 1985
Regeste: Art. 52 AHVG. Die Verantwortlichkeit eines Prokuristen bestimmt sich im Lichte des Art. 52 AHVG nicht nach seiner Handlungsvollmacht im Aussenverhältnis, sondern nach seinen Rechten und Pflichten im Innenverhältnis. Bedeutung der strafrichterlichen Beurteilung für den Sozialversicherungsrichter (Erw. 5). Art. 82 AHVV. - Kenntnis des Schadens kann auch dann gegeben sein, wenn die Ausgleichskasse von einer Meinungsäusserung des Konkursverwalters über die voraussichtlichen Dividendenaussichten gegenüber einer dritten Behörde (z.B. einer Strafbehörde) Kenntnis erhält (Erw. 3). - Hinsichtlich Dauer und Beginn der im Strafrecht vorgesehenen längern Verjährungsfristen sind die allgemeinen Bestimmungen des StGB massgebend (Erw. 4a). - Die fünfjährige Verjährungsfrist gilt nur für die Schadenersatzforderung aus der Zweckentfremdung der Arbeitnehmerbeiträge und nicht auch der Arbeitgeberbeiträge (Erw. 4b).
112 V 161 () from 24. Juni 1986
Regeste: Art. 82 Abs. 2 AHVV. Die längere Frist des Strafrechts ist jene der ordentlichen Verjährung des Art. 70 StGB und nicht diejenige der absoluten Verjährung des Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB.
117 IV 78 () from 10. April 1991
Regeste: Art. 87 AHVG i.V.m. Art. 25 EOG und Art. 70 IVG; Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen. 1. Eine Bestrafung nach Art. 87 Abs. 3 AHVG setzt keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Strafbarkeit der Nichtablieferung nach unbenütztem Ablauf der Mahnfrist voraus (E. 1). 2. Eine Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Lohnauszahlung die erforderlichen (vorhandenen) Mittel oder ein diesen entsprechendes Substrat so für andere Zwecke als die Zahlung an die Ausgleichskasse verwendet, dass nicht davon ausgegangen werden kann, er werde seiner Zahlungspflicht im letztmöglichen Zeitpunkt nachkommen können (Änderung der Rechtsprechung, E. 2).
117 IV 153 () from 8. März 1991
Regeste: Art. 105 AVIG, Art. 148 StGB. Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen. 1. Die Vorlage von inhaltlich unwahren Kontrollausweisen (Stempelkarten) der Arbeitnehmer zwecks Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen ist eine arglistige Täuschung (E. 4b). 2. Die Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen durch arglistige Täuschung ist als Betrug (Art. 148 StGB) und nicht als Leistungsbetrug (Art. 14 VStrR) zu ahnden. Bei der Strafzumessung nach Art. 63 StGB kann berücksichtigt werden, dass Leistungsbetrug gemäss Art. 14 VStrR milder bestraft wird als Betrug nach Art. 148 StGB (E. 5).
118 IV 363 () from 11. Dezember 1992
Regeste: Art. 251 Ziff. 1 StGB; Falschbeurkundung. Das Erstellen einer inhaltlich unwahren Lohnabrechnung stellt keine Falschbeurkundung dar, soweit ihr nicht aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschrift erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt. Gegebenenfalls kommt eine Bestrafung aufgrund von Spezialgesetzen, wie etwa Sozialversicherungsgesetzen, in Betracht.
118 V 193 () from 30. Oktober 1992
Regeste: Art. 82 Abs. 2 AHVV: Längere Verwirkungsfrist des Strafrechts. Die längere Verwirkungsfrist des Strafrechts ist nur auf die Person anwendbar, welche die strafbare Handlung begangen hat.
119 IV 187 () from 4. August 1993
Regeste: Art. 76 Abs. 3 BVG; Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen. Art. 76 Abs. 3 BVG ist wie Art. 87 Abs. 3 AHVG auszulegen (Beantwortung der in BGE 117 IV 82 offengelassenen Frage).
122 IV 270 () from 26. September 1996
Regeste: Art. 87 Abs. 3 AHVG; Art. 76 Abs. 3 BVG; Zweckentfremdung bzw. Nichtüberweisung von Arbeitnehmerbeiträgen; letztmöglicher Überweisungszeitpunkt, Substraterhaltungspflicht. Art. 87 Abs. 3 AHVG und Art. 76 Abs. 3 BVG sind gleich auszulegen (E. 2a; Bestätigung der Rechtsprechung). Letztmöglicher Überweisungszeitpunkt und Substraterhaltungspflicht im Rahmen von AHVG (E. 2c) und BVG (E. 3b und c). Strafbar im Sinne dieser Bestimmungen ist ein Arbeitgeber, der es unterlässt, fällige Arbeitnehmerbeiträge im letztmöglichen Zeitpunkt zu überweisen, obwohl ihm das möglich gewesen wäre bzw. weil sich eine ihm vorwerfbare Verletzung der Substraterhaltungspflicht als für die Unterlassung kausal erweist (E. 2 und 3). Der Verantwortliche, der die Schuld der pflichtigen Aktiengesellschaft mit Hilfe einer persönlichen Kreditaufnahme im letztmöglichen Zeitpunkt bezahlt, ist nicht strafbar (E. 4).
135 V 74 (9C_473/2008) from 19. Dezember 2008
Regeste: Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVG; Art. 60 und 135 ff. OR; Unterbrechung der Verjährung des Schadenersatzanspruchs. Der Schadenersatzanspruch nach Art. 52 Abs. 1 AHVG kann auch während des Einspracheverfahrens oder verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens verjähren (E. 4.2.2).
140 IV 11 (6B_750/2012) from 12. November 2013
Regeste: Art. 146 StGB, Art. 31 Abs. 1 ATSG; Verletzung der Meldepflicht. Betrug durch Unterlassen setzt eine qualifizierte Rechtspflicht des Täters zum Handeln voraus (E. 2.3.2). Gesetzliche und vertragliche Pflichten des Bezügers von Versicherungsleistungen, rentenrelevante Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen zu melden, begründen keine Garantenpflicht (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2.4).
140 IV 206 (9C_171/2014) from 17. September 2014
Regeste: Art. 25 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 ATSG; Art. 146 Abs. 1 StGB; Art. 31 Abs. 1 lit. d ELG; Verwirkung eines Anspruchs auf Rückforderung von Leistungen; längere Verjährungsfrist des Strafrechts. Eine Verletzung der Pflicht, wesentliche Änderungen in den für einen Leistungsanspruch massgebenden Verhältnissen zu melden, wird im Falle des Begehens durch Unterlassung nach den speziellen Strafbestimmungen in den Sozialversicherungsgesetzen geahndet (E. 6.3.2.2). Wird ein Informationsschreiben, welches an die Pflicht zur Mitteilung jeder Tatsachenänderung erinnert, nicht befolgt, so stellt dies keine Täuschung durch aktives Tun und demnach keinen Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB dar (E. 6.4).
145 V 141 (8C_253/2018) from 19. Februar 2019
Regeste: Art. 17 Abs. 1, Art. 31 Abs. 1 ATSG; Revision der Invalidenrente (der UV) bei einer Meldepflichtverletzung. Bei Revision einer Invalidenrente nach Art. 17 Abs. 1 ATSG, die auf einem Umstand gründet, der in Missachtung der Meldepflicht nach Art. 31 Abs. 1 ATSG von der versicherten Person dem Sozialversicherer nicht mitgeteilt wurde, ist die Rentenanpassung rückwirkend auf den Zeitpunkt des Eintritts der (pflichtwidrig nicht gemeldeten) Sachverhaltsänderung vorzunehmen, sofern die betreffende Sozialversicherung dafür keine Spezialnorm enthält (E. 7.3). |