Bundesgesetz
über die Ausländerinnen und Ausländer
und über die Integration
(Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG)1

1 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 16. Dez. 2016 (Integration), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2017 6521, 2018 3171; BBl 2013 2397, 2016 2821).


Open article in different language:  FR  |  IT  |  EN
Art. 80 Haftanordnung und Haftüberprüfung

1 Die Haft wird von den Be­hör­den des Kan­tons an­ge­ord­net, wel­cher für den Voll­zug der Weg- oder Aus­wei­sung zu­stän­dig ist. Für Per­so­nen, wel­che sich in den Zen­tren des Bun­des auf­hal­ten, ist für die An­ord­nung der Vor­be­rei­tungs­haft (Art. 75) der Stand­ort­kan­ton zu­stän­dig. In den Fäl­len nach Ar­ti­kel 76 Ab­satz 1 Buch­sta­be b Zif­fer 5 wird die Haft vom Stand­ort­kan­ton der Zen­tren des Bun­des an­ge­ord­net.223

1bis In den Fäl­len nach Ar­ti­kel 76 Ab­satz 1 Buch­sta­be b Zif­fer 5 wird die Haft vom Stand­ort­kan­ton der Zen­tren des Bun­des an­ge­ord­net; wur­de ge­stützt auf Ar­ti­kel 46 Ab­satz 1bis drit­ter Satz AsylG224 ein an­de­rer als der Stand­ort­kan­ton für den Voll­zug der Weg­wei­sung als zu­stän­dig be­zeich­net, so ist die­ser auch für die An­ord­nung der Haft zu­stän­dig.225

2 Die Recht­mäs­sig­keit und die An­ge­mes­sen­heit der Haft sind spä­tes­tens nach 96 Stun­den durch ei­ne rich­ter­li­che Be­hör­de auf­grund ei­ner münd­li­chen Ver­hand­lung zu über­prü­fen. Wur­de die Aus­schaf­fungs­haft nach Ar­ti­kel 77 an­ge­ord­net, so wird das Ver­fah­ren der Haft­über­prü­fung schrift­lich durch­ge­führt.226

2bis Bei ei­ner Haft nach Ar­ti­kel 76 Ab­satz 1 Buch­sta­be b Zif­fer 5 wird die Recht­mäs­sig­keit und An­ge­mes­sen­heit der Haft auf An­trag der in­haf­tier­ten Per­son durch ei­ne rich­ter­li­che Be­hör­de in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren über­prüft. Die­se Über­prü­fung kann je­der­zeit be­an­tragt wer­den.227

3 Die rich­ter­li­che Be­hör­de kann auf ei­ne münd­li­che Ver­hand­lung ver­zich­ten, wenn die Aus­schaf­fung vor­aus­sicht­lich in­ner­halb von acht Ta­gen nach der Haft­an­ord­nung er­fol­gen wird und die be­trof­fe­ne Per­son sich da­mit schrift­lich ein­ver­stan­den er­klärt hat. Kann die Aus­schaf­fung nicht in­ner­halb die­ser Frist durch­ge­führt wer­den, so ist ei­ne münd­li­che Ver­hand­lung spä­tes­tens zwölf Ta­ge nach der Haft­an­ord­nung nach­zu­ho­len.

4 Die rich­ter­li­che Be­hör­de be­rück­sich­tigt bei der Über­prü­fung des Ent­schei­des über An­ord­nung, Fort­set­zung und Auf­he­bung der Haft auch die fa­mi­li­ären Ver­hält­nis­se der in­haf­tier­ten Per­son und die Um­stän­de des Haft­voll­zugs. Die An­ord­nung ei­ner Vor­be­rei­tungs-, Aus­schaf­fungs- oder Durch­set­zungs­haft ist aus­ge­schlos­sen ge­gen­über Kin­dern und Ju­gend­li­chen, die das 15. Al­ters­jahr noch nicht zu­rück­ge­legt ha­ben.228

5 Die in­haf­tier­te Per­son kann einen Mo­nat nach der Haft­über­prü­fung ein Haft­ent­las­sungs­ge­such ein­rei­chen. Über das Ge­such hat die rich­ter­li­che Be­hör­de in­nert acht Ar­beits­ta­gen auf­grund ei­ner münd­li­chen Ver­hand­lung zu ent­schei­den. Ein er­neu­tes Ge­such um Haft­ent­las­sung kann bei der Haft nach Ar­ti­kel 75 nach ei­nem oder bei der Haft nach Ar­ti­kel 76 nach zwei Mo­na­ten ge­stellt wer­den.

6 Die Haft wird be­en­det, wenn:

a.
der Haft­grund ent­fällt oder sich er­weist, dass der Voll­zug der Weg- oder Aus­wei­sung aus recht­li­chen oder tat­säch­li­chen Grün­den un­durch­führ­bar ist;
b.
ei­nem Haft­ent­las­sungs­ge­such ent­spro­chen wird;
c.
die in­haf­tier­te Per­son ei­ne frei­heits­ent­zie­hen­de Stra­fe oder Mass­nah­me an­tritt.

223 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 1 des BG vom 25. Sept. 2015, in Kraft seit 1. März 2019 (AS 2016 3101, 2018 2855; BBl 2014 7991).

224 SR 142.31

225 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. 1 des BG vom 25. Sept. 2015, in Kraft seit 1. März 2019 (AS 2016 3101, 2018 2855; BBl 2014 7991).

226 Fas­sung ge­mä­ss Art. 2 Ziff. 1 des BB vom 18. Ju­ni 2010 be­tref­fend die Über­nah­me der EG-Rück­füh­rungs­richt­li­nie (Richt­li­nie 2008/115/EG), in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 5925; BBl 2009 8881).

227 Ein­ge­fügt durch Art. 2 Ziff. 1 des BB vom 18. Ju­ni 2010 be­tref­fend die Über­nah­me der EG-Rück­füh­rungs­richt­li­nie (Richt­li­nie 2008/115/EG) (AS 2010 5925; BBl 2009 8881). Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 1 des BG vom 25. Sept. 2015, in Kraft seit 1. März 2019 (AS 2016 3101, 2018 2855; BBl 2014 7991).

228 Fas­sung des zwei­ten Sat­zes ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 26. Sept. 2014, in Kraft seit 1. März 2015 (AS 2015 533; BBl 2014 3373).

BGE

149 II 6 (2C_765/2022) from 13. Oktober 2022
Regeste: Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie); Art. 80 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 2 AIG (Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 2018 [Verfahrensregelungen und Informationssysteme], in Kraft seit 1. Juni 2019); Haftbedingungen für ausländerrechtlich festgehaltene Personen; Zugang zum Internet. Bestätigung der Rechtsprechung (BGE 146 II 201), wonach ausländerrechtliche Festhaltungen grundsätzlich in einer speziellen, nur zu diesem Zweck bestimmten Vollzugsanstalt zu erfolgen haben (E. 4.1). Die baulichen, organisatorischen und personellen Gegebenheiten der Vollzugsinstitution sollen den administrativen Charakter der Festhaltung zum Ausdruck bringen. Die mit der Festhaltung verbundenen Beschränkungen der Grundrechte dürfen hinsichtlich der Erforderlichkeit - besondere Situationen im Einzelfall vorbehalten - nicht weiter gehen, als dies für den Vollzug der Weg-, Aus- oder Landesverweisung nötig ist (E. 4.2). Konkrete bauliche, organisatorische und personelle Verhältnisse im Regionalgefängnis Moutier (E. 4.3). Die Haftbedingungen sind im konkreten Fall anzupassen, soweit der Beschwerdeführer über 18 Stunden in einer Zelle eingeschlossen ist (E. 5.1). Der Anspruch ausländerrechtlich inhaftierter Personen auf angemessene soziale Kontakte und Kontaktmöglichkeiten nach aussen umfasst eine - allenfalls zeitlich und örtlich beschränkte - Zugriffsmöglichkeit auf das Internet (E. 5.2). Die Verweigerung des Gebrauchs von privaten Mobiltelefonen ist mit Blick auf die konkrete Regelung im Regionalgefängnis Moutier nicht unverhältnismässig (E. 5.3).

150 I 73 (2C_457/2023) from 15. September 2023
Regeste: Art. 5 Ziff. 4 EMRK, Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 80a Abs. 3 AIG; kein Verzicht auf das Recht auf jederzeitige Haftüberprüfung im Dublin-Haftverfahren. Recht der inhaftierten Person, jederzeit ein Gericht anzurufen, gemäss Art. 31 BV und Art. 5 EMRK (E. 4.1 und 4.2); Konkretisierung des Grundsatzes in Art. 80a Abs. 3 AIG (E. 4.3); Voraussetzungen, um auf ein Verfahrensrecht zu verzichten (E. 4.4 und 4.5). Das verfassungs- und konventionsrechtlich garantierte und in Art. 80a Abs. 3 AIG für die Dublin-Haft normierte Recht ist die zentrale prozessuale Garantie im Dublin-Haftverfahren, um die inhaftierte Person vor einem willkürlichen Freiheitsentzug zu schützen. Auf dieses Recht kann nicht verzichtet werden (E. 4.7). Möchte die inhaftierte Person die Haft nicht sofort gerichtlich überprüfen lassen, kann sie auf die Ausübung des Rechts verzichten. Sie kann die Überprüfung aber jederzeit zu einem späteren Zeitpunkt verlangen (E. 4.8). Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Haftentlassung.

Diese Seite ist durch reCAPTCHA geschützt und die Google Datenschutzrichtlinie und Nutzungsbedingungen gelten.

Feedback
Laden