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Art. 81 Beschwerderecht
1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer:
2 Eine Bundesbehörde ist zur Beschwerde berechtigt, wenn das Bundesrecht vorsieht, dass ihr der Entscheid mitzuteilen ist.56 3 Gegen Entscheide nach Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b steht das Beschwerderecht auch der Bundeskanzlei, den Departementen des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, den ihnen unterstellten Dienststellen zu, wenn der angefochtene Entscheid die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann. 51 Fassung gemäss Anhang 1 Ziff. 2 des BG vom 17. Juni 2022, in Kraft seit 1. Jan. 2024 (AS 2023 468; BBl 2019 6697). 52 Aufgehoben durch Anhang 1 Ziff. II 3 der Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007, mit Wirkung seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1881; BBl 2006 1085). 53 Fassung gemäss Anhang Ziff. II 5 des Strafbehördenorganisationsgesetzes vom 19. März 2010, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 3267; BBl 2008 8125). 54 Eingefügt durch Ziff. II 8 des BG vom 20. März 2008 zur formellen Bereinigung des Bundesrechts (AS 2008 3437; BBl 2007 6121). Fassung gemäss Anhang 1 Ziff. II 3 der Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1881; BBl 2006 1085). 56 Fassung gemäss Anhang 1 Ziff. 2 des BG vom 17. Juni 2022, in Kraft seit 1. Jan. 2024 (AS 2023 468; BBl 2019 6697). BGE
147 IV 297 (6B_1295/2020) from 26. Mai 2021
Regeste: a Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 14 UNO Pakt II, Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 69 und 70 StPO; Grundsatz der Justizöffentlichkeit, teilweiser Ausschluss der Öffentlichkeit, Anwesenheit von Vertrauenspersonen. Der Entscheid über den teilweisen Ausschluss der Öffentlichkeit von einer Verhandlung ist ein verfahrensleitender Beschluss im Sinne von Art. 80 Abs. 3 StPO. Er ist nicht mit sofortiger Beschwerde sondern zusammen mit dem Endentscheid anzufechten (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 1.1). Es verstösst nicht gegen den Grundsatz der Justizöffentlichkeit, wenn die Allgemeinheit (wegen der Corona-Pandemie) teilweise ausgeschlossen, jedoch rund zwanzig Journalisten die Teilnahme an der Berufungsverhandlung gestattet und dadurch die öffentliche Berichterstattung gewährleistet wird (E. 1.2). Aus Art. 70 Abs. 2 StPO lässt sich nicht ableiten, dass der Beschuldigte unabhängig von den konkreten Umständen die Anwesenheit von Vertrauenspersonen verlangen kann, denn dieser Anspruch kann mit anderen Interessen in Konflikt geraten. Vorliegend ist die vorinstanzliche Abwägung dieser Interessen nicht zu beanstanden (E. 1.3).
148 IV 256 (6B_1266/2020) from 25. April 2022
Regeste: Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; Art. 115, 118 und 121 StPO; Art. 110 Abs. 1 StGB; Stellung der geschädigten Person und Beschwerdelegitimation der Erben mit nachrangiger Erbberechtigung; Übergang der Verfahrensrechte. Die Rechtsnachfolger einer geschädigten natürlichen oder juristischen Person müssen als indirekt geschädigte Personen gelten, die sich grundsätzlich (vorbehalten bleiben die Ausnahmen gemäss Art. 121 Abs. 1 und 2 StPO) im Strafverfahren nicht als Privatklägerschaft konstituieren können. Art. 110 Abs. 1 StGB, auf den Art. 121 Abs. 1 StPO hinsichtlich des Übergangs der Rechte der Privatklägerschaft verweist, listet die Angehörigen der geschädigten Person abschliessend auf und ist restriktiv auszulegen. Es ist demnach zwischen dem Begriff der materiellen Erbfolge des Privatrechts und der Parteistellung im Zivil- oder Strafverfahren zu unterscheiden. Der Übergang der Verfahrensrechte nach Art. 121 Abs. 1 StPO und die materielle Erbberechtigung sind nicht zwangsläufig deckungsgleich (E. 3.1). Die durch Rechtsnachfolge eingetretene Privatklägerschaft wird in Art. 121 Abs. 1 und 2 StPO systematisch und abschliessend definiert; es besteht keine Gesetzeslücke. Nach der klaren Regelung von Art. 121 Abs. 1 StPO sind die Erben mit nachrangiger Erbberechtigung von der Stellung der durch Erbfolge eingetretenen Privatklägerschaft ausgeschlossen (E. 3.5). Im konkreten Fall können die Neffen (keine Angehörige) der geschädigten Person, die Berufung gegen einen ihre Zivilforderungen abweisenden Freispruch eingelegt hatte, ihre Parteistellung nicht mit einer weiten Auslegung von Art. 121 Abs. 1 StPO begründen (E. 3.7). Die Frage, ob die Rechtsnachfolge infolge Todes als Eintritt von Gesetzes wegen nach Art. 121 Abs. 2 StPO gelten könnte, kann vorliegend offenbleiben. Die Erben mit nachrangiger Erbberechtigung sind nicht beschwerdelegitimiert im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG (E. 3.8).
148 IV 275 (1B_472/2021) from 22. März 2022
Regeste: Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG; Art. 135 Abs. 3 lit. b, Art. 135 Abs. 4 lit. a und b, Art. 429 Abs. 1 lit. a, Art. 434 Abs. 1 und 2 StPO; Entschädigungsansprüche von Drittpersonen; Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist grundsätzlich nicht dazu legitimiert, mit Beschwerde in Strafsachen die Festsetzung eines Entschädigungsanspruchs an eine Drittperson im Sinne von Art. 434 StPO anzufechten (E. 1).
149 I 14 (1B_420/2022) from 9. September 2022
Regeste: Art. 30 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Anspruch auf ein unabhängiges Gericht; Gefährdung der internen gerichtlichen Unabhängigkeit durch informelle Hierarchien. Ein aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung der Haftbeschwerde liegt auch dann vor, wenn während des laufenden Beschwerdeverfahrens ein Haftentlassungsgesuch gestellt wird (E. 1). Der Schutzbereich der Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK umfasst nicht bloss die gegen äussere Beeinflussung gerichtete richterliche Unabhängigkeit, sondern auch die interne Unabhängigkeit der Gerichtspersonen, namentlich die Autonomie der einzelnen Gerichtsmitglieder im Kollegialgericht. Letztere kann nicht nur durch formelle Hierarchien, sondern auch durch informelle Hierarchien innerhalb des Spruchkörpers gefährdet sein. Die vorliegend zu beurteilende Einsetzung einer Gerichtsschreiberin und eines Gerichtsschreibers der entscheidenden Kammer als Richterin und Richter in eben dieser Kammer ist nicht mit dem Anspruch auf ein unabhängiges Gericht zu vereinbaren (E. 5).
149 I 153 (1B_10/2023) from 6. April 2023
Regeste: Art. 81 Abs. 1 BGG, Art. 56 ff. StPO; Recht auf Teilnahme am Ausstandsverfahren. Eine Partei ist in ihrem Anspruch auf das verfassungsmässige Gericht beeinträchtigt, wenn das eine Richterin oder einen Richter betreffende Ausstandsgesuch eines andern Prozessbeteiligten ohne stichhaltigen Grund gutgeheissen wird. Ihr ist deshalb vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren (E. 1 und 2).
149 IV 9 (6B_1325/2021, 6B_1348/2021) from 27. September 2022
Regeste: a Art. 6 EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. g UNO-Pakt II, Art. 32 BV und Art. 113 StPO; Selbstbelastungsprivileg ("nemo tenetur se ipsum accusare") und Recht zu schweigen; Verpflichtung, die Personalien anzugeben. Allgemeiner Geltungsbereich des Selbstbelastungsprivilegs (E. 5.1). Das Prinzip kann weder als Grundlage für ein Recht auf Anonymität verstanden werden noch vermag es die Weigerung der Bekanntgabe der Personalien zu rechtfertigen (E. 5.2).
149 IV 213 (1B_643/2022, 1B_645/2022) from 6. April 2023
Regeste: Art. 81 Abs. 1 BGG; Beschwerderecht im Ausstandsverfahren. Der Richter oder die Richterin kann den Entscheid, mit dem ein gegen ihn bzw. sie eingereichtes Ablehnungsbegehren gutgeheissen wurde, nicht mit Beschwerde in Strafsachen anfechten (E. 2).
150 IV 38 (7B_843/2023) from 20. November 2023
Regeste: a Art. 78 ff. BGG; Art. 222 und 429-431 StPO; Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen. Gegen kantonal letztinstanzliche Entscheide über die Anordnung von Sicherheitshaft im selbstständigen gerichtlichen Nachverfahren betreffend die nachträgliche Anordnung einer stationären Massnahme steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen. Über Haftentschädigungs- und Genugtuungsbegehren ist indes nicht im Haftprüfungsverfahren zu entscheiden, sondern im gesetzlich dafür vorgesehenen Haftentschädigungsverfahren (E. 1).
150 IV 103 (7B_215/2023) from 30. November 2023
Regeste: a Art. 78 ff. und 93 Abs. 1 lit. a BGG; Zwischenentscheid betreffend die Beweiserhebung; Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen. Wird im Rahmen eines hängigen Strafverfahrens der Beizug von Urkunden aus abgeschlossenen Strafverfahren, deren Urteile infolge Zeitablaufs nicht mehr im Strafregister ersichtlich sind, zugelassen, so ist der diesbezügliche Zwischenentscheid geeignet, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zulasten des beschuldigten Beschwerdeführers zu bewirken (Recht auf Vergessen; E. 1.2.2). |