Bundesverfassung
der Schweizerischen Eidgenossenschaft

vom 18. April 1999 (Stand am 7. März 2021)


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Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben

Je­de Per­son hat An­spruch dar­auf, von den staat­li­chen Or­ga­nen oh­ne Will­kür und nach Treu und Glau­ben be­han­delt zu wer­den.

BGE

115 IA 127 () from 13. Juni 1989
Regeste: Art. 12 BV, 178 KV-GE; Verbot der Annahme eines von einem ausländischen Staat verliehenen Ordens durch ein Mitglied des Grossen Rates. 1. Der Bund hat dem Art. 178 KV-GE insofern die Genehmigung verweigert, als dieser nicht mit Art. 12 BV übereinstimmt (E. 2a). 2. Art. 12 BV verbietet auch Orden humanitärer und kultureller Art (E. 3).

125 I 227 () from 21. April 1999
Regeste: Art. 85 lit. a OG; Zulässigkeit der kantonalen Initiative»Genève, République de Paix». Einheit der Materie (E. 3). Vereinbarkeit der Initiative mit dem übergeordneten Recht; grundsätzliche Erwägungen; Tragweite eines allgemeinen Vorbehaltes zugunsten des eidgenössischen Rechts (E. 4). Bei restriktiver Auslegung verstösst die Intitiativbestimmung, welche eine Intervention des Kantons bei «internationalen Institutionen» vorsieht, nicht gegen die aussenpolitischen Kompetenzen des Bundes (E. 5). Dass sich der Kanton für die Senkung des Militärbudgets einsetzen solle (E. 6), für die Rückwidmung von militärischem Gelände zu zivilen Zwecken (E. 7), für die Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem militärischen auf den zivilen Sektor (E. 8) sowie für die Aufnahme von Gewaltopfern (E. 9), erscheint bundesrechtskonform. Zulässig ist auch die Förderung des Zivildienstes im Rahmen einer objektiven Informationspolitik und durch Einrichtung einer angemessenen Infrastruktur (E. 10). Unzulässig wäre hingegen ein Verzicht des Kantons auf jeglichen Einsatz von Truppen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung auf dem kantonalen Territorium (E. 11) oder zur Gewährleistung der Sicherheit von internationalen Konferenzen (Assistenzdienst; E. 12).

126 I 50 () from 5. April 2000
Regeste: Fernmeldegeheimnis, Überwachung des E-Mail-Verkehrs als strafprozessuale Zwangsmassnahme; Art. 4 aBV/Art. 9 BV, Art. 36 Abs. 4 aBV/Art. 13 Abs. 1 BV, § 103 und 104 ff. StPO/ZH. Die materielle Grundlage für Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis findet sich nicht im (eidgenössischen) Fernmeldegesetz, sondern in den einschlägigen Strafprozessbestimmungen (E. 2). Es hält vor dem Willkürverbot nicht stand, vom Provider die Erforschung und Herausgabe von Angaben über Absender und Sendezeitpunkt eines manipulierten E-Mails gestützt auf § 103 StPO/ZH zu verlangen (E. 4). Die Teilnehmeridentifikation von Telefongesprächen stellt einen Eingriff in das Telefongeheimnis dar und unterliegt den verfassungs- und gesetzmässigen Voraussetzungen (E. 5b). Das verfassungsmässige Fernmeldegeheimnis gilt auch für den E-Mail-Verkehr über Internet; Anforderungen an Eingriffe (E. 6a). Die Erforschung und Herausgabe der Angaben über die Randdaten einer E-Mail-Mitteilung bedarf einer gesetzlichen Grundlage und einer richterlichen Genehmigung (E. 6b und 6c).

126 I 97 () from 23. Juni 2000
Regeste: Art. 84 Abs. 2, 87 Abs. 2, 88 OG; Art. 269 Abs. 1 BStP. Zulässigkeit der von einer Geschädigten gegen die Ablehnung einer Beschlagnahme erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1). Art. 29 Abs. 2 BV: Anspruch auf rechtliches Gehör. Begründungspflicht der entscheidenden Behörde in Bezug auf eine Lehrmeinung (E. 2). Art. 59 StGB; Art. 44 SchKG: Beschlagnahme nach Konkurseröffnung. Zulässigkeit der Beschlagnahme von Originalwerten, Surrogaten und weiterer Vermögenswerte aus einer Konkursmasse zur Sicherung einer Einziehung bzw. einer Ersatzforderung (E. 3)?

126 I 207 () from 23. August 2000
Regeste: Art. 87 OG (in der Fassung vom 8. Oktober 1999). Anfechtbarkeit des Entscheids über die Bewilligung des Wechsels des amtlichen Verteidigers. Der Entscheid über die Bewilligung eines Wechsels des amtlichen Verteidigers ist kein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 1 OG (E. 1). Ein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG droht in der Regel durch die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung (E. 2a), nicht aber durch die Ablehnung des Gesuchs, den amtlichen Verteidiger zu wechseln (E. 2b). In concreto droht kein solcher Nachteil (E. 2c).

126 I 257 () from 24. Juli 2000
Regeste: Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde; Erschöpfung der kantonalen Rechtsmittel. Nichtigkeitsbeschwerde im Waadtländer Zivilprozessrecht. Im Waadtländer Zivilprozess kann mit der Nichtigkeitsbeschwerde die willkürliche Würdigung von Beweisen gerügt werden (E. 1).

126 II 377 () from 11. September 2000
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 9, 11 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 29a, 30 sowie 41 Abs. 1 lit. f und g BV; Art. 8 und 13 EMRK; Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 sowie Art. 86 Abs. 1 OG; Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Wieweit lassen sich aus den Grundrechten der Bundesverfassung vom 18. April 1999 Ansprüche auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ableiten, welche den Weg ans Bundesgericht mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde öffnen? - aus dem Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV: keine Änderung der Rechtsprechung (E. 2b, 2c und 7); - aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) unter bestimmten Voraussetzungen (E. 3); - nicht aus dem Willkürverbot gemäss Art. 9 BV (E. 4); - aus dem Grundrecht auf Schutz von Kindern und Jugendlichen gemäss Art. 11 Abs. 1 BV? Tragweite dieser Bestimmung (E. 5). Begriff der direkten und indirekten Diskriminierung gemäss Art. 8 Abs. 2 BV: Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung eines invalid gewordenen Ausländers stellt keine Diskriminierung dar (E. 6). Erschöpfung des Instanzenzuges im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde bei "anspruchsabhängigen" kantonalen Rechtsmitteln (E. 8b und 8e). Art. 13 EMRK sowie Art. 30 BV verlangen keinen generellen gerichtlichen Rechtsschutz (E. 8d/bb).

126 III 497 () from 19. Oktober 2000
Regeste: Anhörung der Kinder gemäss Art. 144 Abs. 2 ZGB im Verfahren betreffend Erlass vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens (Art. 137 ZGB). Die Kinder sind bereits im Massnahmeverfahren nach Art. 137 ZGB in geeigneter Weise durch den Richter oder durch eine beauftragte Drittperson persönlich anzuhören, soweit nicht ihr Alter oder andere wichtige Gründe dagegen sprechen.

127 I 31 () from 30. August 2000
Regeste: Art. 9 und 29 Abs. 1 BV; überspitzter Formalismus, Recht auf Vertrauensschutz; Berechnung von Rechtsmittelfristen; Zustellfiktion sieben Tage nach erfolglosem Zustellungsversuch durch die Post. Die Rechtsmittelfrist beginnt sieben Tage nach dem erfolglosen Zustellungsversuch. Es ist nicht überspitzt formalistisch, diesen Grundsatz auch dann anzuwenden, wenn die Post von sich aus eine längere Abholfrist gewährt und die Sendung erst am letzten Tag dieser Frist abgeholt wird (E. 2b). Keine Verletzung des Anspruchs auf Vertrauensschutz im vorliegenden Fall (E. 3b).

127 I 38 () from 7. Dezember 2000
Regeste: Art. 9 und 32 Abs. 1 BV, Art. 4 aBV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 UNO-Pakt II; Unschuldsvermutung. Die Beschränkung der Kognition auf Willkür durch das Kassationsgericht des Kantons Zürich verletzt die Unschuldsvermutung nicht (E. 2c) und ist mit § 430 Abs. 1 Ziff. 4 StPO/ZH vereinbar (E. 3a). Auch im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde führt die Geltendmachung einer Verletzung der Unschuldsvermutung nicht zu einer freien Überprüfung des Sachverhaltes durch das Bundesgericht (E. 4).

127 I 54 () from 28. November 2000
Regeste: Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV; Willkür, rechtliches Gehör, Berücksichtigung eines psychiatrischen Aktengutachtens im Strafverfahren. Ein psychiatrisches Gutachten ohne persönliche Untersuchung des Betroffenen ist nur ausnahmsweise zulässig. Gründe für Ausnahmen (E. 2e-g).

127 I 60 () from 5. Juni 2001
Regeste: Art. 5 Abs. 1, Art. 9, 26, 49 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 1 BV; Art. 69 Abs. 4 und Art. 112 f. KV/BE; Art. 106 SVG; Art. 61 Polizeigesetz/BE; Art. 25 und 27 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen; Kostenersatz für verkehrspolizeiliche Einsätze einer Gemeinde; Störer- und Verursacherprinzip. Tragweite des Prinzips der Gewaltentrennung und des Erfordernisses der gesetzlichen Grundlage bei kommunalen Abgaben (E. 2). Bedeutung des Gesetzmässigkeitsprinzips nach neuer Bundesverfassung (E. 3a); Tragweite der Eigentumsgarantie im Abgaberecht (E. 3b). Derogatorische Kraft des Bundesrechts: Vereinbarkeit einer kantonalen (bzw. kommunalen) Kostentragungsregelung für polizeiliche Verkehrsregelungseinsätze mit dem Strassenverkehrsrecht des Bundes (E. 4). Es ist nicht willkürlich, den Eigentümer, der seine Liegenschaft durch Mietvertrag für eine nicht zonenkonforme Nutzung zur Verfügung stellt, nach Massgabe des Störer- bzw. Verursacherprinzips zum teilweisen Kostenersatz für die dadurch nötigen Verkehrsregelungseinsätze zu verpflichten (E. 5). Tragweite des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen, wenn es sich bei der nicht zonenkonformen Nutzung um den Betrieb einer Botschaft handelt (E. 6).

127 I 73 () from 26. Februar 2001
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK, Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV, § 237 Satz 2 StPO/ZH; Konfrontation der amtlichen Sachverständigen mit dem Privatgutachter an der Beweisverhandlung vor dem Geschworenengericht. Es verstiess nicht gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit, dass die amtlichen Sachverständigen zu den Vorbringen des privaten Gutachters Stellung nehmen konnten, diesem aber kein Recht auf eine "Replik" eingeräumt wurde. Es genügte, dass dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den Ausführungen der amtlichen Sachverständigen betreffend das Privatgutachten zu äussern (E. 3f/aa und bb). Durch den Ausschluss des Privatgutachters von einem "zweiten Vortrag" wurden auch die Verteidigungsrechte des Angeklagten und dessen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt (E. 3f/cc).

127 I 97 () from 29. Juni 2001
Regeste: Art. 9 BV; Art. 24 Abs. 2 BV; Abmeldebestätigung der Einwohnerkontrolle. Es verstösst gegen das Willkürverbot, einer Person die polizeiliche Abmeldung nicht zu bestätigen, weil sie offene Steuerschulden hat. Offen gelassen, ob die Abmeldebestätigung zu den Papieren gehört, die einem Auswandernden von Verfassungs wegen (Niederlassungsfreiheit) abgegeben werden müssen.

127 I 103 () from 4. September 2001
Regeste: Art. 9 BV, Art. 3, 19, 21, 22, 35 und 36 RPG, kantonales Bau- und Planungsrecht; Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse in Bezug auf die Erschliessung einer Industriezone. Die Aufhebung eines Bahnniveauübergangs und die Verlagerung des Verkehrs der Industriezone in ein Wohnquartier hat die tatsächlichen Erschliessungsverhältnisse derart verändert, dass die Nutzungs- und Erschliessungsplanung überarbeitet werden muss (E. 6). Es ist nicht willkürlich, die Baubewilligung für einen Umschlags- und Recyclingbetrieb zu verweigern, weil die Erschliessungsplanung noch nicht den veränderten Verhältnissen angepasst worden ist (E. 7).

127 I 128 () from 28. Mai 2001
Regeste: Anspruch auf richtige Besetzung der entscheidenden Behörde (§ 99 der Kirchenordnung der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau; Art. 9 und 29 Abs. 2 BV). Für die Zusammensetzung der Rekurskommission der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau als Spruchkörper sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei einem eigentlichen Gericht (E. 4a). Gemäss § 99 der anwendbaren Kirchenordnung besteht die Rekurskommission aus sieben Mitgliedern. Mangels abweichender Vorschriften muss die vorhandene Regelung in Befolgung rechtsstaatlicher Grundsätze dahin ausgelegt werden, dass die Rekurskommission nur in der Besetzung mit allen sieben Mitgliedern entscheiden darf (E. 4b und c).

127 I 145 () from 27. Juni 2001
Regeste: Einsicht in archivierte Strafakten durch Drittpersonen; Informations- und Wissenschaftsfreiheit, Art. 16 und 20 BV. Kantonale Bestimmungen über die Archivierung (E. 2). Keine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung durch den Verordnungsgeber (E. 3). Grundzüge der Kommunikationsfreiheit (E. 4b); die Informations- und Wissenschaftsfreiheit räumen keinen generellen Anspruch auf Beschaffung von Informationen aus nicht allgemein zugänglichen Quellen (archivierten Akten während Schutzfrist) ein (E. 4c und 4d). Prüfung der Anwendung des kantonalen Archivrechts; Persönlichkeitsschutz von Verstorbenen, Angehörigen und Drittpersonen (E. 5).

127 I 185 () from 30. Mai 2001
Regeste: Unfreiwilligkeitszuschlag zur kantonalrechtlichen Enteignungsentschädigung; Eigentumsgarantie, Gleichbehandlungsgebot. Die kantonalen Gerichte sind verpflichtet, auf Verlangen eines Rechtsuchenden das anzuwendende kantonale Recht vorfrageweise auf seine Übereinstimmung mit der Bundesverfassung zu prüfen (E. 2). Art. 6 Abs. 2 der Walliser Kantonsverfassung vom 8. März 1907 räumt dem Enteigneten keine weiter gehende Entschädigungsgarantie ein als Art. 26 BV bzw. Art. 22ter aBV (E. 3). Der bundesverfassungsmässige Grundsatz der vollen Entschädigung verwehrt es den Kantonen nicht, den Enteigneten im Rahmen von formellen kantonalrechtlichen Expropriationen mehr als den ganzen Schaden zu ersetzen (E. 4). Die Bestimmung von Art. 15 des Walliser Gesetzes vom 1. Christmonat 1887 über den Unfreiwilligkeitszuschlag kann im Umfeld des heutigen eidgenössischen Rechts nicht mehr rechtsgleich gehandhabt werden (E. 5).

128 I 63 () from 4. März 2002
Regeste: Persönliche Freiheit (Art. 10 BV, Art. 8 EMRK); Art. 7 Abs. 1 des UNO-Übereinkommens über die Rechte des Kindes (KRK). Anspruch auf Kenntnis der Abstammung: Der Anspruch, die leiblichen Eltern zu kennen und entsprechend die im Zivilstandsregister überdeckten Eintragungen einzusehen, steht dem volljährigen Adoptivkind unabhängig von einer Abwägung mit entgegenstehenden Interessen zu (E. 2-5).

128 I 81 () from 20. Dezember 2001
Regeste: Art. 9 BV; Verdacht auf sexuellen Kindsmissbrauch; Begutachtung. Für die Abklärung des Wahrheitsgehalts von kindlichen Zeugenaussagen bei Verdacht auf sexuellen Kindsmissbrauch bestehen fachliche Standards (E. 2). Methodische Grundlagen der aussagepsychologischen Begutachtung (E. 2 und 3).

128 I 102 () from 30. Januar 2002
Regeste: Art. 8, 9, 27, 49 Abs. 1 sowie Art. 127 Abs. 2 BV; Art. 132 Abs. 3 und Art. 142 KV/SO; Gesetz vom 9. Juni 1996 über das Gastgewerbe und den Handel mit alkoholhaltigen Getränken (Wirtschaftsgesetz); Verfassungsmässigkeit einer gastgewerblichen Patentgebühr. Verfassungsvorbehalt für kantonale Steuern (Art. 132 KV/SO); gesetzliche Grundlagen der Patentgebühren gemäss altem und neuem Wirtschaftsgesetz des Kantons Solothurn (E. 2). Akzessorische Normenkontrolle im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 3). Bei einer (nach Umsatz bemessenen) gastgewerblichen Jahrespatentgebühr handelt es sich um eine Gemengsteuer, woran der mit der Totalrevision des Wirtschaftsgesetzes einhergehende Wegfall von Bedürfnisklausel und Fähigkeitsausweis unter gleichzeitiger Anhebung der Obergrenze der Abgabe nichts ändert; sie verstösst weder gegen Art. 132 noch Art. 142 KV/SO (E. 4). Die Erhebung von Patentabgaben wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass sich die neue Bundesverfassung nicht mehr explizit für die Zulässigkeit kantonaler Gewerbesteuern ausspricht, wie dies in Art. 31 Abs. 2 aBV noch der Fall war (E. 5). Die angefochtene Patentabgabe stützt sich als Sondergewerbesteuer auf hinreichende sachliche Gründe; sie verstösst weder gegen die Wirtschaftsfreiheit, das Willkürverbot bzw. das Rechtsgleichheitsgebot, noch gegen die Grundsätze von Art. 127 Abs. 2 BV, soweit diese überhaupt auf Sondersteuern der vorliegenden Art anwendbar sind (E. 6).

128 I 113 () from 15. März 2002
Regeste: Art. 5 und 9 BV; Art. 2, 3, 17 und 32 KV/GR; Prinzip der Gewaltenteilung und der Gesetzmässigkeit; Rechtsetzungsdelegation im Bereich des Dienstrechts. "Psychiatrische Dienste Graubünden" als selbständige öffentlichrechtliche Anstalt zählt zwar nicht zur Landesverwaltung im Sinne von Art. 17 KV/GR. Da die Kantonsverfassung der Anstalt jedoch keine Gesetzgebungskompetenz zuweist, kann die Anstalt selber nur gesetzgebend tätig werden, soweit ihr die Regelungskompetenz gültig übertragen worden ist (E. 2). Blankodelegation; Anforderungen an die Delegation personalrechtlicher Rechtsetzungsbefugnisse (E. 3).

128 I 129 () from 7. Mai 2002
Regeste: Herausgabe beschlagnahmter Vermögenswerte; Art. 9 BV, Art. 59 StGB, Art. 87 OG. Aufrechterhaltung der Beschlagnahme und Abweisung eines Herausgabebegehrens stellen einen mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren Zwischenentscheid dar, gemäss Art. 84 und 87 OG (E. 1). Herausgabe von beschlagnahmten Vermögenswerten vor Abschluss des Verfahrens gemäss Basler Strafprozessordnung und Art. 59 StGB sowie aus verfassungsrechtlicher Sicht (E. 3).

128 I 254 () from 14. August 2002
Regeste: Art. 49 Abs. 1 BV; zuständige kantonale Behörde gemäss Art. 25 Abs. 2 RPG. Art. 25 Abs. 2 RPG verlangt im Interesse einer gesamtkantonal einheitlichen und rechtsgleichen Rechtsanwendung, dass sämtliche Gesuche für Bauvorhaben ausserhalb der Bauzone von einer kantonalen Behörde behandelt werden (E. 3). Art. 84 Abs. 1 des Berner Baugesetzes, der diese Kompetenz auf die (derzeit insgesamt 26) Regierungsstatthalter überträgt, erfüllt diese Anforderung nicht (E. 4).

128 I 295 () from 28. März 2002
Regeste: Art. 8, 9, 16, 17, 26, 27, 36, 49 Abs. 1, 93, 105, 118 Abs. 2 lit. a BV; Art. 2 und 3 BGBM; Gesetz des Kantons Genf vom 9. Juni 2000 über die Werbung; abstrakte Normenkontrolle. Die Genfer Bestimmung, welche das Anbringen von Werbung für Tabak und für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 15 Volumenprozenten auf öffentlichem Grund sowie auf privatem Grund verbietet, der vom öffentlichen Grund her einsehbar ist, verstösst nicht gegen: - den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts, und zwar sowohl hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bereich des Alkohols, der Lebensmittel sowie von Radio und Fernsehen (E. 3) als auch hinsichtlich derjenigen im Bereich des Binnenmarktes (E. 4); - die Pressefreiheit sowie die Meinungs- und Informationsfreiheit, soweit die geschäftsmässige Werbung in den Schutzbereich dieser Grundrechte fällt (E. 5a); - die Wirtschaftsfreiheit (E. 5b); - die Eigentumsgarantie (E. 6); - das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot (E. 7). Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie und der Wirtschaftsfreiheit von kantonalen Bestimmungen, welche die Werbung auf privatem Grund, soweit von öffentlichem Grund her einsehbar, der Kontrolle durch die öffentliche Gewalt unterstellt (E. 8), sowie des Verbots von Werbung auf fensterlosen Gebäudefassaden (E. 9).

128 II 34 () from 6. November 2001
Regeste: Art. 48 LwG; Art. 19 Abs. 1 lit. a SV; Verteilung des Zollkontingents für Nierstücke. Das System, welches die neue Schlachtviehverordnung für die Verteilung der Anteile am Zollkontingent für Schlachtvieh und Fleisch von "Tieren der Rindviehgattung" (insbesondere auch für Nierstücke) vorsieht, verstösst nicht gegen die Grundsätze von Art. 48 LwG.

128 II 112 () from 17. Januar 2002
Regeste: Art. 76 Abs. 4 BV; Art. 49 Abs. 1 und 2 WRG; Gesetzmässigkeit der besonderen Wasserkraftsteuer des Kantons Wallis; allfällige wohlerworbene Rechte des Konzessionärs Obwohl die der besonderen Steuer zu Grunde liegende Bestimmung des kantonalen Rechts weder das Objekt der Besteuerung noch die Bemessungsgrundlage dieser Steuer unmittelbar festlegt, genügt sie als gesetzliche Grundlage. Die entsprechenden Parameter lassen sich leicht aus anderen Bestimmungen des kantonalen Gesetzes ableiten, deren systematische, historische und teleologische Auslegung in diesem Punkt übereinstimmt (E. 5 und 6). Zur Bestimmung des Satzes der besonderen Steuer darf das kantonale Gesetz zulässigerweise auf den bundesrechtlich vorgesehenen Maximalsatz verweisen (E. 7-9). Rechtsnatur der besonderen Wasserkraftsteuer im Verhältnis zum Wasserzins; Tragweite allfälliger wohlerworbener Rechte des Konzessionärs (abgeleitet aus dem Grundsatz von Treu und Glauben und aus der Eigentumsgarantie) im Falle einer Erhöhung der besonderen Steuer (E. 10).

128 II 139 () from 24. Januar 2002
Regeste: Art. 16 Abs. 2 SVG, Art. 105 Abs. 2 OG, Art. 9 und 29 BV, Art. 45, 47 lit. a und 49 Abs. 1 VRG/FR; Führerausweisentzug, Mitwirkungspflichten des Betroffenen im Verfahren. Wer durch seinen Rechtsbeistand das Administrativverfahren sistieren lässt, damit der Strafrichter vorgängig eine bestimmte Sachverhaltsfrage entscheide, und in der Folge lediglich das zur aufgeworfenen Frage nichts sagende Dispositiv des Strafurteils ins Recht legt, obwohl ihm die Urteilsgründe kurz mündlich erläutert worden sind und er eine schriftliche Urteilsbegründung hätte verlangen können, genügt seiner Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren nicht; lässt die Verwaltungsbehörde den Betroffenen die Folgen der unbewiesenen Behauptung tragen, verletzt sie keine wesentlichen Verfahrensbestimmungen.

128 II 145 () from 3. April 2002
Regeste: Art. 4 und 7 ANAG; Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG; Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 114 f. ZGB; Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; Scheinehe; Rechtsmissbrauch. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Dem inzwischen von seinem Schweizer Ehegatten geschiedenen Ausländer steht dann ein grundsätzlicher Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu, wenn er bereits vor der Scheidung einen Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung erworben hatte (E. 1). Rechtsmissbrauch im Zusammenhang mit Art. 7 ANAG kann auch im Falle eines sich (nach Massgabe des neuen Scheidungsrechts) der Scheidung widersetzenden ausländischen Ehegatten während der Dauer der Vierjahresfrist von Art. 114 ZGB vorliegen; unerheblich ist, dass der Scheidungsrichter die Aufrechterhaltung der Ehe als nicht unzumutbar im Sinne von Art. 115 ZGB erachtet (E. 2). Feststellungen des Scheidungsrichters über das Vorliegen einer Scheinehe sind für die Fremdenpolizeibehörden nicht verbindlich; massgebend ist (primär) die Sicht des ausländischen Ehegatten (E. 3.1); Rechtsmissbrauch bejaht (E. 3.2-3.4). Das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) vermag keine Rechtsansprüche auf eine fremdenpolizeiliche Bewilligung zu begründen (E. 3.5).

128 II 259 () from 29. Mai 2002
Regeste: Art. 9, 10 Abs. 2 und 13 Abs. 2 BV; persönliche Freiheit, Anspruch auf Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten; DNA-Profil im Strafverfahren. Zulässiges Rechtsmittel zur Anfechtung von Verfügungen betreffend Erstellung von DNA-Profilen und deren Bearbeitung im DNA-Profil-Informationssystem des Bundes (E. 1). Ausgestaltung des DNA-Profil-Informationssystems (E. 2). Eingriff in das Recht auf körperliche Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) bzw. in den Anspruch auf Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten (informationelles Selbstbestimmungsrecht; Art. 13 Abs. 2 BV) durch Entnahme eines Wangenschleimhautabstrichs bzw. Erstellung und Bearbeitung eines DNA-Profils (E. 3.2 und 3.3); gesetzliche Grundlage für die Grundrechtseingriffe (E. 3.4); öffentliches Interesse (E. 3.5); Verhältnismässigkeit (E. 3.6); Kerngehalt (E. 3.7). Verfassungsrechtlicher Anspruch auf Vernichtung des Wangenschleimhautabstrichs sobald ein DNA-Profil erfolgreich erstellt worden ist (E. 4). Zuständigkeit nach basel-städtischem Recht (E. 5).

128 III 4 () from 30. November 2001
Regeste: Art. 9 BV, Art. 163 und Art. 176 ZGB; Unterhaltsbeitrag, hypothetisches Einkommen. Dem unterhaltspflichtigen Ehegatten darf ein höheres als das tatsächlich erzielte Einkommen angerechnet werden, wenn ihm eine entsprechende Einkommenssteigerung tatsächlich möglich und zumutbar ist. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein, selbst wenn der Unterhaltsschuldner sein Einkommen zuvor freiwillig vermindert hat (E. 4).

128 III 318 () from 13. Juni 2002
Regeste: Ausstellung eines Erbenscheines (Art. 559 Abs. 1 ZGB), nachdem dieser zuvor infolge Einsprache des gesetzlichen Erben verweigert worden war. Der Entscheid der Behörde, dem eingesetzten Erben infolge Einsprache des gesetzlichen Erben keinen Erbenschein auszustellen, ergeht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; die Verfügung kann durch eine spätere aufgehoben werden. Stellt die Behörde nach unbenutztem Ablauf der Verwirkungsfrist für die Herabsetzungsklage bzw. für die Ungültigkeitsklage (Art. 533 Abs. 1, Art. 521 Abs. 1 ZGB) dem eingesetzten Erben einen Erbenschein aus, so verfällt sie nicht in Willkür (E. 2).

128 IV 177 () from 11. Juli 2002
Regeste: Preisbekanntgabe bei "Telefonsex" (Art. 16, 17, 20 und 24 UWG; Art. 10 lit. q und Art. 11 Abs. 1bis PBV). Art. 11 Abs. 1bis der Preisbekanntgabeverordnung, wonach bei Mehrwertdiensten der Nummernkategorien 156... und 0906... innerhalb der ersten 20 Sekunden nach Verbindungsaufbau der Preis für die Dauer der ersten zehn Minuten mündlich bzw. durch vorgeschaltete Sprechtexte bekannt zu geben ist, hält sich in den Grenzen des dem Bundesrat bei der Regelung der Preisbekanntgabe zustehenden weiten Ermessensspielraums und ist zur Erreichung des angestrebten Zwecks des Konsumentenschutzes geeignet.

128 V 95 () from 29. April 2002
Regeste: Art. 19 Abs. 3 IVG; Art. 9 Abs. 2 IVV. Die Nichtaufnahme der Finanzierung von Massnahmen pädagogisch-therapeutischer Art bei sehbehinderten Kindern, die die Volksschule besuchen, in die abschliessende Aufzählung von Art. 9 Abs. 2 IVV ist weder gesetz- noch verfassungswidrig.

128 V 116 () from 21. Mai 2002
Regeste: Art. 19 Abs. 1 lit. a BVG; Art. 23 der Verordnung vom 2. März 1987 über die Eidgenössische Versicherungskasse (EVK-Statuten): Anspruch auf Witwenrente. Auslegung von Gesetz und Statuten. Anspruchsvoraussetzung ist eine beim Tod des Versicherten bestehende und darüber hinaus andauernde, gesetzliche oder vertragliche Unterhaltspflicht der Witwe. Frage offen gelassen, ob das Stiefkind unter Art. 19 Abs. 1 lit. a BVG fällt.

129 I 1 () from 6. November 2002
Regeste: Willkür in der Rechtssetzung (Art. 9 BV), Rechtsgleichheit in der Rechtssetzung (Art. 8 Abs. 1 BV), inzidente Normenkontrolle; Alimentenbevorschussung (Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Konkubinatspartners). Die kantonale Bestimmung, wonach das Einkommen des Konkubinatspartners des obhutsberechtigten Elternteils anrechenbar ist, Alimentenbevorschussung also nur gewährt wird, wenn die Einkommen beider Partner zusammen die Bevorschussungsgrenze nicht übersteigen, hält vor dem Willkürverbot stand (E. 3.1). Die dargestellte Regelung kann, soweit die Zulässigkeit der Gleichbehandlung von Stiefelternteil und Konkubinatspartner in Frage steht, verfassungskonform ausgelegt werden. Damit steht auch Art. 8 Abs. 1 BV der Anwendung der beanstandeten Norm nicht entgegen (E. 3.2).

129 I 12 () from 7. November 2002
Regeste: Art. 19, 36 und 62 BV; Art. 29 Abs. 2 KV/BE; soziale Grundrechte; disziplinarischer Schulausschluss. Aus Art. 19 BV ergibt sich der Anspruch auf eine den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende unentgeltliche Grundschulausbildung an öffentlichen Schulen während der obligatorischen Schulzeit von mindestens neun Jahren (E. 4). Art. 29 Abs. 2 KV/BE dehnt nicht nur den Anspruch auf alle Schulen innerhalb der obligatorischen Schulpflicht aus, sondern begründet gleichzeitig einen weitergehenden Anspruch des Kindes auf Schutz, Fürsorge und Betreuung (E. 5). Bei einschränkenden Konkretisierungen von sozialen Grundrechtsansprüchen ist in sinngemässer Anwendung von Art. 36 BV zu prüfen, ob die Voraussetzungen der gesetzlichen Grundlage, des überwiegenden öffentlichen oder privaten Interesses sowie der Verhältnismässigkeit erfüllt sind (E. 6-9). Das Gemeinwesen hat in der Regel eine Weiterbetreuung ausgeschlossener Schüler - bis zum Ende der obligatorischen Schulpflicht - durch geeignete Personen oder öffentliche Institutionen zu gewährleisten (E. 9.5). Das in Art. 28 VSG/BE geregelte Stufenmodell, das als letzte und schärfste Massnahme (ultima ratio) einen vorübergehenden (teilweisen oder vollständigen) Ausschluss vom Unterricht während höchstens zwölf Schulwochen pro Schuljahr vorsieht, lässt sich verfassungskonform auslegen (E. 10).

129 I 35 () from 7. November 2002
Regeste: Art. 19, 36 und 62 BV; disziplinarischer Schulausschluss. Nach Art. 48 VSG/SG dauert die Schulpflicht - und damit auch der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Volksschulunterricht im Sinne von Art. 19 BV - grundsätzlich bis zum Abschluss der dritten Oberstufenklasse (E. 7). Voraussetzungen für die Einschränkung dieses sozialen Grundrechtsanspruches (E. 8-10). Das Gemeinwesen hat in der Regel eine Weiterbetreuung ausgeschlossener Grundschüler durch geeignete Personen oder öffentliche Institutionen zu gewährleisten (E. 11.2). Besucht der ausgeschlossene Schüler, dem ersatzweise ein Schulunterricht in einem öffentlichen Erziehungs- oder Schulheim angeboten worden ist, dennoch eine Privatschule, kann der Kanton die Übernahme der Kosten ablehnen (E. 11.4 und 11.5).

129 I 49 () from 7. November 2002
Regeste: Art. 9 und 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Abs. 2 EMRK; Strafverfahren, Willkürverbot, Unschuldsvermutung. Methodische Anforderungen an die psychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung von Zeugenaussagen (E. 5 und 6).

129 I 65 () from 21. November 2002
Regeste: Art. 9 BV; Kürzung des Honorars eines Offizialanwaltes. Kürzt die obere Instanz die für das erstinstanzliche Verfahren festgesetzte Entschädigung eines Offizialanwaltes von Amtes wegen, handelt sie willkürlich, wenn hierfür keine gesetzliche Grundlage besteht und die entsprechende Entscheidziffer von keiner Partei angefochten worden ist (E. 2).

129 I 85 () from 13. November 2002
Regeste: Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 3 EMRK; verfassungsrechtliche Anforderungen an die gerichtliche Verwertung der Überwachung fremdsprachiger Telefongespräche. Weder das (hier noch nicht anwendbare) Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF; SR 780.1) oder die Verordnung dazu (VÜPF; SR 780.11) noch die Aargauer Strafprozessordnung enthalten Vorschriften, in welcher Form die in einer fremden Sprache abgehörten Telefongespräche dem Gericht zugänglich zu machen sind (E. 3). Die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör als Teilaspekt des Grundsatzes des fairen Verfahrens folgenden Verteidigungsrechte erheischen, dass aktenmässig belegt ist, wie Beweismittel produziert wurden (hier deutsche Protokolle von abgehörten fremdsprachigen Telefongesprächen; E. 4.1-4.3). Der Angeklagte kann sich darauf beschränken, die Verwertbarkeit von Beweismitteln zu bestreiten, ohne im Voraus die Verbesserung der geltend gemachten Mängel verlangt zu haben (hier namentlich die Bekanntgabe der Verfasser der Telefonabhörprotokolle; E. 4.4).

129 I 113 () from 15. November 2002
Regeste: Art. 88 OG; Art. 8 und 28 BV; Art. 11 EMRK; Koalitionsfreiheit im öffentlichen Dienst; Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren betreffend das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis; Gleichbehandlung von Berufsverbänden. Legitimation eines Berufsverbandes, dem die Mitwirkung an der Erarbeitung von Reglementen betreffend die Anwendung des Personalgesetzes verweigert wurde; sein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 88 OG ergibt sich aus der Koalitionsfreiheit und der Rechtsgleichheit (E. 1). Die Koalitionsfreiheit verleiht Berufsverbänden des öffentlichen Dienstes zwar keinen Rechtsanspruch auf Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren betreffend das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis. Bei Änderungen von Gesetzen und Reglementen, welche die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder wesentlich beeinflussen, ist ihnen indessen in angemessener Form das rechtliche Gehör zu gewähren (E. 3). Der Staat hat als Arbeitgeber Abstand zu nehmen von jeglichen ungerechtfertigten diskriminierenden Massnahmen gegenüber Berufsverbänden, die deren Koalitionsfreiheit oder diejenige ihrer Mitglieder verletzen. Diskriminatorisch ist es, eine Arbeitnehmerorganisation wegen Ansichten, die sie zu Beginn des Verfahren vertreten hat, von der weiteren Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren auszuschliessen, während eine andere Organisation zugelassen wird (E. 5).

129 I 161 () from 19. März 2003
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 BV. Rechtsgleichheit; Legalitätsprinzip; Treu und Glauben; Entschädigung der Kindergartenstellvertretungen. Gesetzliche Grundlage für die Entschädigung der Kindergartenstellvertretungen (E. 2). Verfassungsrechtliche Zulässigkeit, Stellvertretungen weniger hoch zu entschädigen als fest angestellte Lehrkräfte. Unterschiedliche Behandlung von länger- und kurzfristigen Stellvertretungsverhältnissen (E. 3). Vorliegend ergibt sich aus Treu und Glauben kein Anspruch, für die Stellvertretung gleich besoldet zu werden wie für die feste Anstellung (E. 4).

129 I 185 () from 18. Dezember 2002
Regeste: Politische Rechte; Art. 25 lit. b und c UNO-Pakt II, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 und 34 Abs. 2 BV, Art. 32 Abs. 3 KV/ZH, Art. 3 und 4 Abs. 1 lit. b Gemeindeordnung der Stadt Zürich; Anspruch auf unverfälschte Stimmabgabe, Recht auf gleiche Ämterzugänglichkeit, rechtsgleiches Wahlrecht bei der Wahlkreiseinteilung für die Wahl des Zürcher Stadtparlamentes. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (E. 1), insbesondere von Anträgen zum Erlass positiver Anordnungen (E. 1.5). Kognition des Bundesgerichts bei Stimmrechtsbeschwerden (E. 2). Anforderungen an die Ausgestaltung des kantonalen Wahlverfahrens (E. 3.1). Keine Verletzung des Anspruchs auf unverfälschte Stimmabgabe und des Rechts auf gleiche Ämterzugänglichkeit (E. 5). Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung zur Wahlkreisgestaltung (E. 6.1) und der hieran geübten Kritik (E. 6.2). Auseinandersetzung mit dieser Kritik, begriffliche und inhaltliche Präzisierung (E. 7.1-7.3). Bundesverfassungswidrigkeit der Wahlkreiseinteilung für die Gemeinderatswahl (Parlament) der Stadt Zürich; keine Rechtfertigung der Verletzung der Wahlfreiheit (E. 7.4-7.6). Keine Aufhebung der Wahlen aus Gründen der Rechtssicherheit und der Verhältnismässigkeit; Feststellung der Verfassungswidrigkeit der geltenden Regelung (E. 8 und 9).

129 I 207 () from 31. März 2003
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 EMRK; neue Kriterien für die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst; Stellung der Lehrkräfte. Entscheidend für die Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf öffentliche Bedienstete ist primär die Natur der von diesen ausgeübten Funktion (hoheitlich oder nicht hoheitlich). Aus der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der von diesem herangezogenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zum Begriff der "öffentlichen Verwaltung" ergibt sich, dass Mittelschullehrer für Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur aus ihrem Dienstverhältnis den Schutz von Art. 6 EMRK geniessen (E. 4 und 5).

129 I 217 () from 9. Juli 2003
Regeste: Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche; Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 88 OG); Verletzung des Diskriminierungsverbots und der Begründungspflicht (Art. 8 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 2 BV). Die Verletzung des Diskriminierungsverbots kann mit staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht geltend gemacht werden, auch wenn - wie bei der Ablehnung eines Einbürgerungsgesuchs - kein Anspruch in der Sache besteht (E. 1.1). Die Parteien des kantonalen Verfahrens sind ohne Rücksicht auf ihre Legitimation in der Sache befugt, das Fehlen einer Begründung (im Gegensatz zur mangelhaften Begründung) zu rügen (E. 1.4). Die Stimmbürger sind bei der Abstimmung über Einbürgerungsgesuche an die Grundrechte gebunden (E. 2.2.1); die Abstimmungsfreiheit gewährleistet keinen Anspruch auf Anerkennung materiell rechtswidriger Abstimmungsergebnisse (E. 2.2.2). Zu den Anforderungen an den Nachweis einer Diskriminierung (E. 2.2.3 und 2.2.4). Aufgrund des Abstimmungsergebnisses und den Veröffentlichungen im Umfeld der Abstimmung ist erstellt, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt wurden (E. 2.3). Die Ablehnung der Einbürgerungsgesuche verstiess somit gegen Art. 8 Abs. 2 BV (E. 2.4). Die angefochtenen Einbürgerungsentscheide an der Urne verletzten auch die Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 8 Abs. 2 BV; E. 3).

129 I 265 () from 11. Juli 2003
Regeste: Art. 8 Abs. 3 und Art. 116 Abs. 2 BV; Art. 73 und 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; Art. 12 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 5 GlG; Gleichstellung von Mann und Frau; Familien-/Kinderzulage; interkantonale Kollisionsregel; Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren. Verfassungswidrigkeit einer Regelung, die den Anspruch auf Auszahlung von Familien-/Kinderzulagen bei Anspruchskonkurrenz zwischen erwerbstätigen Eheleuten dem "Vater" zuweist (E. 2-4). Befugnis zur Schaffung einer interkantonalen Kollisionsregel (E. 4.2-5.2). Abstellen auf die für das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU aufgrund des Freizügigkeitsabkommens (FZA) geltenden Kollisionsregeln der Art. 73 und 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (E. 5.3). Keine Kostenfreiheit des Verfahrens vor dem Bundesgericht (E. 6.2).

129 I 346 () from 24. Juni 2003
Regeste: Art. 8, 9, 49, 127 Abs. 1 und 164 Abs. 1 lit. d BV; Art. 44 Abs. 1 KVG; Kanton Waadt: Dekret vom 19. Juni 2001 über die Verpflichtung der Patienten von Pflegeheimen, von Chronischkranken-Abteilungen der Krankenhäuser sowie von Behandlungs- und Rehabilitationszentren zur Leistung eines Beitrags an die Investitionskosten solcher Einrichtungen. Tarifschutz gemäss Art. 44 Abs. 1 KVG, Begriff und Inhalt. Gemäss der geltenden Rechtsordnung fallen die Aufenthaltskosten in Pflegeheimen, im Besonderen die Unterbringungskosten (einschliesslich der Gebäudeamortisationen), nicht unter die Gesetzgebung der obligatorischen Krankenversicherung und geniessen keinen Tarifschutz. Es verstösst demnach nicht gegen Art. 49 BV, die Heimbewohner zu einem Beitrag an die Infrastrukturkosten der Immobilien solcher Einrichtungen zu verpflichten (E. 3.2 und 3.3). Zusammenfassung der Rechtsprechung im Bereich der öffentlichen Abgaben; Unterschiede zwischen Vorzugslast und Kostenanlastungssteuer (E. 5.1). Die vom angefochtenen Dekret vorgesehene Abgabe trägt die Merkmale einer Kostenanlastungssteuer (E.5.2). Sie genügt den strengen Anforderungen von Art. 127 Abs. 1 BV jedoch nicht und verletzt somit das Legalitätsprinzip (E. 5.3). Die erwähnte Abgabe verletzt auch Art. 8 und Art. 9 BV (E. 6).

129 I 361 () from 29. September 2003
Regeste: Art. 9 und 29 Abs. 2 BV; definitive Rechtsöffnung, Nichtigkeit eines Urteils. Ist ein Urteil ergangen, ohne dass der im Urteilskanton wohnhafte Beklagte vom Prozess Kenntnis erhielt und an diesem teilnehmen konnte, so ist es nichtig und kann nicht als Rechtsöffnungstitel dienen (E. 2).

129 I 410 () from 20. November 2003
Regeste: Art. 50 Abs. 1 BV, Submissionsgesetz des Kantons Graubünden; Gemeindeautonomie; Rechtswirkungen des submissionsrechtlichen Zuschlags. Autonomie der bündnerischen Gemeinden im Submissionsverfahren (E. 1.1 und 2). Rechtswirkungen eines Zuschlagsentscheides: Der Zuschlag begründet keine Kontrahierungspflicht des Submittenten, weshalb nicht im Vollstreckungsverfahren ein Vertragsschluss erzwungen werden kann. Allfällige Haftungsansprüche bleiben vorbehalten (E. 3). Auswirkungen dieser Rechtslage auf die Stellung der Mitglieder des Gemeindevorstandes, die unter Strafandrohung verpflichtet wurden, für die Gemeinde einen Kaufvertrag abzuschliessen (E. 1.2 und 4).

129 II 297 () from 2. April 2003
Regeste: Art. 88 OG; Art. 103 lit. a OG; Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA); Legitimation des Anzeigers zur Anfechtung kantonaler Disziplinarentscheide. Offen gelassen, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist gegen Entscheide in disziplinarrechtlichen Sachverhalten, die sich vor Inkrafttreten des eidgenössischen Anwaltsgesetzes abgespielt haben, aber nach dem 1. Juni 2002 zur Beurteilung gelangt sind (E. 1). Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist der Anzeiger weder in der Sache noch bezüglich eines ihn belastenden Kostenspruchs legitimiert (E. 3). In der Sache selbst ist der Anzeiger auch nicht zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert; er vermag aber mit diesem Rechtsmittel den Kostenspruch sowie gegebenenfalls eine Verletzung seiner Parteirechte zu rügen (E. 2).

129 II 361 () from 21. Mai 2003
Regeste: Art. 2 Abs. 2 lit. a, Art. 7 lit. i und Art. 14 BewG; Gesuch um Bewilligung, von einer Immobiliengesellschaft das Eigentum an einer Liegenschaft zu erwerben, die als Hotelbetrieb dienen soll, aber seit Jahren als Ferienwohnung genutzt wird; Ausnahme von der Bewilligungspflicht; Widerruf von Auflagen; Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismässigkeit; Verjährung. Abkommen über die Freizügigkeit der Personen: Regelung des Erwerbs einer Ferienwohnung (E. 2). Entstehungsgeschichte der in Art. 7 lit. i BewG vorgesehenen Ausnahme von der Bewilligungspflicht (E. 3). Begriff der Auflage und Bedingung im Sinne von Art. 14 BewG (E. 4.1 - 4.4). Dass eine Bedingung besteht, muss sich klar aus der betreffenden Bewilligung ergeben; die Auflage hingegen, die Liegenschaft dauerhaft zu dem im Bewilligungsgesuch angegebenen Zweck zu betreiben, besteht unabhängig davon, ob sie in der Bewilligungsverfügung oder im Grundbuch ausdrücklich erwähnt wird (E. 4.6 und 4.7); das gilt auch nach dem Inkrafttreten von Art. 2 Abs. 2 lit. a BewG (E. 5.3). Voraussetzungen für den Widerruf einer Auflage (E. 6). Prüfung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismässigkeit (E. 7). Unverjährbarkeit des Widerrufs der Bewilligung, wenn eine Auflage nicht eingehalten wird (Art. 25 Abs. 1 BewG) (E. 8).

129 II 385 () from 25. April 2003
Regeste: Art. 6 des Bundesgesetzes über die Ein- und Ausfuhr von Erzeugnissen aus Landwirtschaftsprodukten (sog. "Schoggigesetz"); Art. 15 der Verordnung über die Ausfuhrbeiträge für Erzeugnisse aus Landwirtschaftsprodukten; Art. 30 SuG; Art. 12 VStrR. Rückerstattung von Ausfuhrbeiträgen; Verjährung. Die gestützt auf Art. 6 des Schoggigesetzes gewährten Ausfuhrbeiträge sind keine Subventionen im Sinne des Subventionsgesetzes, deren Rückforderung allenfalls durch Art. 30 Abs. 2 SuG ausgeschlossen ist (E. 3.3). Das unrechtmässige Erwirken eines Ausfuhrbeitrages ist keine Zollwiderhandlung (E. 3.4). Zu Unrecht bezogene Ausfuhrbeiträge können während 5 Jahren seit der Zahlung des jeweiligen Beitrages jederzeit und ohne weitere Voraussetzungen zurückgefordert werden (E. 3.5 und 4.1). Es handelt sich bei dem in Frage stehenden strafbaren Verhalten weder um ein Dauerdelikt, noch liegt eine verjährungsrechtliche Einheit vor (E. 4.2). Unterbrechung der Verjährung (E. 4.3). Soweit die (objektiv) strafbaren Handlungen, aus denen der Rückerstattungsanspruch hergeleitet wird, nicht verjährt sind, ist der zu Unrecht gewährte Beitrag samt Zins zurückzuzahlen (E. 4.4).

129 II 497 () from 17. Juni 2003
Regeste: Anwendung des Kartellgesetzes auf den Elektrizitätsmarkt. ANSPRUCH AUF RECHTLICHES GEHÖR Äusserungsrecht zu einem Verfügungsentwurf der Wettbewerbskommission gemäss Art. 30 Abs. 2 KG und Anspruch auf einen Zuständigkeitsentscheid laut Art. 9 Abs. 1 und Art. 29 ff. VwVG (E. 2). VORBEHALT WETTBEWERBSAUSSCHLIESSENDER VORSCHRIFTEN GEMÄSS KARTELLGESETZ Lage des Elektrizitätsmarktes in der Schweiz (E. 3.1). Aus dem Umstand, dass das Bundesgesetz über den Elektrizitätsmarkt in der Volksabstimmung abgelehnt worden ist, kann nicht geschlossen werden, dass das Kartellgesetz auf den Elektrizitätsbereich nicht anwendbar ist (E. 3.2). (Eher restriktive) Auslegung der zwei Arten von Vorschriften gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a und b KG, die einen Wettbewerbsausschluss ermöglichen (E. 3.3). BUNDESRECHT Auf Bundesebene besteht keine Vorschrift, welche den Wettbewerb im Elektrizitätsbereich ausschliessen würde (E. 4). ÜBERPRÜFUNG DES FRÜHEREN RECHTS DES KANTONS FREIBURG Zuständigkeit der Kantone zur Regelung der Elektrizitätslieferung und -verteilung (E. 5.1). Freie Kognition des Bundesgerichts bei der Überprüfung des im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 KG anzuwendenden kantonalen Rechts (E. 5.2). Zeitlich anwendbares kantonales Recht (E. 5.3). Das kantonale Recht sieht keine Wettbewerbsausschlussklausel vor. Die Freiburger Elektrizitätswerke verfügen nicht über ein rechtliches, sondern nur über ein faktisches Monopol für den Transport und die Lieferung von Elektrizität. Ein Verwaltungsakt, wie eine Konzession, kann unter gewissen Voraussetzungen eine "Vorschrift" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 KG darstellen. Ein Sondernutzungsmonopol für den Bau und Betrieb von Elektrizitätsleitungen umfasst nicht zwingend deren Benützung für den Transport und die Lieferung des Stroms (E. 5.4.1-5.4.8). Wird einem Unternehmen eine öffentliche Aufgabe übertragen, so rechtfertigt dies nur dann einen Wettbewerbsausschluss, wenn die Erfüllung dieser Aufgabe durch die Anwendung des Kartellgesetzes verunmöglicht würde, was hier nicht der Fall ist. Möglichkeit der ausnahmsweisen Zulassung eines Wettbewerbsausschlusses durch den Bundesrat gemäss Art. 8 KG. Überprüfung der Verträge zur Abgrenzung der Stromverteilgebiete (E. 5.4.9-5.4.11). ÜBERPRÜFUNG DER NEUEN GESETZGEBUNG DES KANTONS FREIBURG Die neue kantonale Gesetzgebung sieht keinen Wettbewerbsausschluss vor. Offen gelassen, ob und inwieweit ein Kanton auf Grund von Art. 27 und 36 BV befugt wäre, für die Stromlieferung ein Rechtsmonopol zu Gunsten eines einzigen Unternehmens zu errichten (E. 5.5-5.7). ANWENDUNGSVORAUSSETZUNGEN VON ART. 7 KG Begriff des Unternehmens gemäss Art. 2 Abs. 1 KG (E. 6.2) mit marktbeherrschender Stellung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 KG (E. 6.3). Von den Freiburger Elektrizitätswerken geltend gemachte Gründe, um die Durchleitung des von der Migros bei Watt gekauften Stroms durch ihr Netz zu verweigern (E. 6.4). Eine Wettbewerbsbehinderung ist nur dann widerrechtlich, wenn sie missbräuchlich ist. Als missbräuchlich ist das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens einzustufen, das als einziges über die für das Erbringen einer Leistung notwendigen Infrastrukturen verfügt und sich ohne objektive Gründe weigert, sie seinen Konkurrenten zugänglich zu machen (E. 6.5.1-6.5.5). Kein Vertragsbruch im Sinne von Art. 4 lit. a UWG bei ordnungsgemässer Kündigung eines Stromliefervertrags (E. 6.5.6). Migros missbraucht ihre Marktmacht nicht, wenn sie den Stromlieferanten wechseln will (E. 6.5.7). Ein Unternehmen kann einer Konkurrentin den Zugang zu seinem Markt nicht deshalb verweigern, weil sie in einem anderen Marktbereich eine beherrschende Stellung innehabe (E. 6.5.8). Festsetzung des angemessenen Preises für die Benützung des Elektrizitätsnetzes (E. 6.5.9).

129 III 417 () from 22. Mai 2003
Regeste: Art. 9 BV, Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB; Eheschutz, Unterhaltsbeitrag des Ehegatten; Willkür durch Verletzung des Verbotes der reformatio in peius; Frist zur Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Geburt des ausserehelichen Kindes. Der einem Ehegatten für einen bestimmten Zeitraum zugesprochene Unterhaltsbeitrag darf im Rechtsmittelverfahren nicht zu Lasten des andern Ehegatten, der ihn allein angefochten hat, abgeändert werden (E. 2.1). Es ist nicht willkürlich, der Ehefrau nach der Geburt ihres ausserehelichen Kindes eine angemessene Frist zur Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit einzuräumen (E. 2.2).

129 V 327 () from 25. Februar 2003
Regeste: Art. 13 Abs. 3 AVIG; Art. 12 Abs. 1 AVIV; Art. 8 Abs. 1, Art. 9 BV: Erfüllung der Beitragszeit nach freiwilliger vorzeitiger Pensionierung. Art. 12 AVIV ist gesetz- und verfassungsmässig, soweit darin von Personen, die sich durch die Wahl einer Alters- statt einer Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge freiwillig vorzeitig pensionieren lassen, die Erfüllung der Beitragszeit durch eine nach der Pensionierung ausgeübte beitragspflichtige Beschäftigung verlangt wird.

130 I 174 () from 8. Juni 2004
Regeste: Art. 9 und 29 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 40 Ziff. 2 KV/ZH; § 11 Abs. 2 des zürcherischen Publikationsgesetzes vom 27. September 1998; Rechtsverzögerungsverbot; Prinzip der Gewaltentrennung. Verzögertes Inkraftsetzen einer Steuergesetzrevision durch die Regierung. Das Verbot der Rechtsverzögerung bezieht sich auf das Verfahren der Rechtsanwendung und grundsätzlich nicht auf jenes der Rechtsetzung. Zuständigkeit des Zürcher Regierungsrates zur Bestimmung des Zeitpunktes des Inkrafttretens von rechtsetzenden Erlassen des Kantonsrates (E. 2.2). Grundsätze bei der Bestimmung des Zeitpunktes des Inkrafttretens von Gesetzen durch die Regierung (E. 2.3). Vorliegend keine willkürliche Missachtung des Willens des Gesetzgebers, wenn der Regierungsrat eine Steuergesetzrevision, wie von ihm bereits vor deren Verabschiedung im Parlament öffentlich kundgegeben, verzögert in Kraft setzt (E. 2.4).

130 I 180 () from 1. Juli 2004
Regeste: Unentgeltliche Rechtsverbeiständung (Art. 29 Abs. 3 BV). Die Mutter, der die elterliche Obhut über ihr Kind entzogen worden ist, hat für das von ihr zur Aufhebung dieser Massnahme bei der Vormundschaftsbehörde eingeleitete Verfahren grundsätzlich Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (E. 2 und 3).

130 I 258 () from 13. Juli 2004
Regeste: Art. 9 und 29 BV, Art. 9 Abs. 3 BGBM, Submissionsgesetz des Kantons Basel-Stadt. Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Zuschlagsentscheides. Beitritt zu einem Gesamtarbeitsvertrag als Zulassungsvoraussetzung zu einem Vergabeverfahren? Nachweis der Gleichwertigkeit verschiedener Gesamtarbeitsverträge. Voraussetzungen für die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde im Submissionswesen; Umfang des Feststellungsanspruchs gemäss Art. 9 Abs. 3 BGBM (E. 1). Das Submissionsgesetz des Kantons Basel-Stadt verlangt, dass ein Auftrag "in der Regel" nur an einen Anbieter erteilt werden darf, der als Arbeitgeber an einem Gesamtarbeitsvertrag beteiligt ist. Das Binnenmarktgesetz schliesst solche Regelungen nicht aus (E. 2). Der Nachweis der Gleichwertigkeit verschiedener Gesamtarbeitsverträge obliegt gemäss Submissionsgesetz dem Anbieter. Dies ändert nichts an der Pflicht der Submissionsbehörde, den Gegenstand des geforderten Nachweises nötigenfalls zu bestimmen und dem Anbieter ordnungsgemäss Gelegenheit zu geben, die Gleichwertigkeit der Gesamtarbeitsverträge darzutun. Diskriminierende Handhabung des verwendeten Kriteriums im konkreten Fall (E. 3-5).

130 I 337 () from 19. Oktober 2004
Regeste: Kantonalrechtliche Haftung für spitalärztliche Tätigkeit; Willkür (Art. 9 BV). Verletzung von Art. 9 BV wegen willkürlicher Würdigung von Expertisen und widersprüchlicher Entscheidbegründung (E. 5).

130 III 489 () from 23. Juni 2004
Regeste: Anweisung an die Schuldner im internationalen Verhältnis (Art. 137 Abs. 2 i.V.m. Art. 177 ZGB; Art. 10 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2. Oktober 1973). Die Anweisung an die Schuldner stellt keine Zivilsache im Sinne von Art. 68 OG dar, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde ausgeschlossen und einzig die staatsrechtliche Beschwerde gemäss Art. 84 ff. OG zulässig ist (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 1). Die Anweisung an die Schuldner stellt eine besondere familienrechtliche Sanktion bei Nichterfüllung der Unterhaltspflicht dar und untersteht daher nicht dem Statut der Unterhaltsforderung (E. 2).

130 III 611 () from 24. August 2004
Regeste: Entgelt für die ausseramtliche Konkursverwaltung in anspruchsvollen Verfahren (Art. 47 GebV SchKG). Die Verfügung, mit der einstweilen lediglich der anwendbare Stundenansatz festgelegt wird, um dann anhand der von der ausseramtlichen Konkursverwaltung einzureichenden detaillierten Zusammenstellung des Aufwands das Entgelt endgültig bestimmen zu können, ist, obschon sie als Zwischenentscheid erscheint, nach Art. 19 Abs. 1 SchKG beim Bundesgericht anfechtbar. Mit Beschwerde nicht anfechtbar sind einzig Zwischenverfügungen verfahrensleitender Natur (E. 1.1). Wird das Bundesgericht mit einer Beschwerde gegen die Festsetzung des der ausseramtlichen Konkursverwaltung zustehenden Entgelts angerufen, greift es nur im Falle von Ermessensmissbrauch oder von Ermessensüberschreitung ein (E. 1.2). Die Methode, bei der die verschiedenen Konkurshandlungen in mehrere Kategorien eingeteilt werden und für jede von ihnen der ihr angemessene Stundenansatz festgelegt wird, statt jeder Person, die tätig geworden ist, das nach Massgabe ihrer verschiedenen Verrichtungen gewichtete Entgelt zuzusprechen, steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung. Indem die obere kantonale Aufsichtsbehörde hier für jede der Kategorien einen Stundenansatz festgelegt hat, der sich im Rahmen der in der Rechtsprechung üblicherweise zugelassenen Beträge bewegt, hat sie das ihr zustehende Ermessen weder missbraucht noch überschritten (E. 3 und 4).

130 V 39 () from 26. September 2003
Regeste: Art. 20 Abs. 2 UVG; Art. 32 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 1 UVV: Komplementärrente. Die vor Eintritt des AHV-Rentenalters zugesprochene UVG-Rente ist beim Zusammentreffen mit der Altersrente der AHV, die eine ausschliesslich krankheitsbedingte IV-Rente ablöst, als Komplementärrente festzusetzen. Es besteht diesfalls keine vom Gericht auszufüllende Verordnungslücke.

131 I 1 () from 23. November 2004
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 41 des bernischen Gesetzes vom 2. Februar 1964 über Bau und Unterhalt der Strassen; Gemeinwerkreglement der Einwohnergemeinde Grindelwald vom 7. Dezember 2001; Arbeitsleistungspflicht für den Strassenunterhalt; Ersatzabgabe. Arbeitsleistungspflicht als blosser Vorwand für die Generierung von Fiskaleinnahmen (E. 3)? Es ist mit dem Rechtsgleichheitsgebot nicht vereinbar, ausschliesslich die Grundeigentümer einer Gemeinde für die Instandhaltung und Reinigung des kommunalen Strassennetzes arbeits- bzw. (subsidiär) ersatzabgabepflichtig zu erklären (E. 4.3 und 4.4). Das Rechtsgleichheitsgebot wird vorliegend auch dadurch verletzt, dass jedem Grundeigentümer - unabhängig von dem ihm aus dem Strassenunterhalt erwachsenden individuellen Vorteil - die gleiche Einheitsleistung auferlegt wird (E. 4.5).

131 I 45 () from 18. November 2004
Regeste: Art. 36 lit. f KSG. Willkür als Nichtigkeitsgrund, weil der Schiedsspruch auf offensichtlich aktenwidrigen Feststellungen beruht (E. 3).

131 I 137 () from 11. Februar 2005
Regeste: Art. 49 Abs. 1 BV, Art. 9 Abs. 1 und 2 BGBM, Submissionsgesetz des Kantons Bern; freihändige Vergebung unterhalb des Schwellenwertes, Anfechtbarkeit. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde; zulässige bzw. unzulässige Anträge (E. 1.1 und 1.2). Das angefochtene kantonale Urteil, welches entsprechend der kantonalgesetzlichen Ordnung die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die freihändige Vergebung verneint, verstösst nicht gegen Art. 9 BGBM bzw. gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV). Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch auf Eröffnung einer Beschwerdemöglichkeit bei freihändig durchgeführter Vergebung unmittelbar gestützt auf Art. 9 BGBM bzw. selbst ohne Grundlage im kantonalen Verfahrensrecht bestehen könnte (E. 2.1-2.7).

131 I 153 () from 17. Dezember 2004
Regeste: Art. 9 und 29 BV; Art. 9 Abs. 3 BGBM; Art. 18 Abs. 2 IVoeB; Art. 32 Abs. 2 BoeB; öffentliche Beschaffung, Beschwerdelegitimation von Mitgliedern eines übergangenen Konsortiums gegen einen Vergabeentscheid. Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Nichteintretensentscheid, aktuelles Interesse (E. 1). Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 3). Gutglaubensschutz, Rechtsmittelbelehrung (E. 4). Solange der Vertrag zwischen der Vergabebehörde und dem berücksichtigten Anbieter nicht abgeschlossen ist, können die Mitglieder eines übergangenen Konsortiums nur gemeinschaftlich gegen den Vergabeentscheid Beschwerde führen, weil sie nur ein unteilbares Recht der Gesellschaft geltend machen können, d.h. dasjenige, den Zuschlag für die Beschaffung zu erhalten (E. 5). Sobald der Vertrag abgeschlossen ist, stellt sich die Frage anders, ob ein einzelnes Mitglied in seinem eigenen Namen vorgehen kann, weil die Beschwerde nurmehr auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vergabeentscheids und den Erhalt von Schadenersatz hinzielt. Indem das Genfer Verwaltungsgericht dies verneint hat, ist es nicht in Willkür verfallen (E. 6).

131 I 242 () from 9. März 2005
Regeste: "Kleine Appellation" nach dem Zivilprozessrecht des Kantons Basel-Stadt; aufschiebende Wirkung; derogatorische Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV). Richtet sich die "kleine Appellation" gegen einen Entscheid betreffend Mieterausweisung und Wirksamkeit der ausserordentlichen Vermieterkündigung (Kompetenzattraktion gemäss Art. 274g OR), muss ihr von Bundesrechts wegen die aufschiebende Wirkung erteilt werden, wenn andernfalls dem Mieter die Möglichkeit genommen wird, den kantonalen Rechtsmittelentscheid mit Berufung beim Bundesgericht anzufechten (E. 2 und 3).

131 I 272 () from 3. Mai 2005
Regeste: Art. 5, 9, 13, 29, 32, 35, 36 BV, Art. 6 und 8 EMRK, § 41 Abs. 1 StPO/ BL; Verwertungsverbot für unrechtmässig erlangte Beweise im Strafprozess. Verfassungsrechtliche Zuordnung des Verwertungsverbots für rechtswidrig erlangte, aber nicht an sich verbotene Beweismittel: Im Vordergrund steht das aus Art. 29 Abs. 1 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleitete Fairnessgebot (E. 3.2). Zulässigkeit einer Interessenabwägung für den Entscheid über die Verwertbarkeit derartiger Beweise (Bestätigung der Rechtsprechung, E. 4). Es besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht, die Regelung des Verwertungsverbots von Art. 7 Abs. 4 BÜPF ausserhalb des Anwendungsbereichs dieses Erlasses beim unbewilligten Einsatz technischer Überwachungsgeräte zu Ermittlungszwecken (z.B. Videoüberwachung) zu übernehmen (E. 4.4).

131 I 291 () from 20. April 2005
Regeste: Art. 85 lit. a, 84 Abs. 1 lit. a und 93 OG; Art. 13-16, 66, 72 Abs. 1 und 3 StHG; vorläufige Vorschriften durch die Kantonsregierung betreffend den Vermögenssteuerwert von Liegenschaften; Prinzip der Gewaltenteilung. Abgrenzung von Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG und Verfassungsbeschwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. a OG bei der Rüge der Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung (E. 1.1). Befugnis und Verpflichtung der Kantonsregierung gemäss Art. 72 Abs. 3 StHG, vorläufige Vorschriften zu erlassen, wenn das zur Regelung zuständige Kantonsparlament nicht rechtzeitig auf den 1. Januar 2001 eine dem Steuerharmonisierungsgesetz entsprechende Rechtslage geschaffen hat (E. 2). Prüfung einer gestützt auf Art. 72 Abs. 3 StHG erlassenen Regelung, wonach Schätzungen des Vermögenssteuerwertes von Liegenschaften, die vor Ablauf der Frist des Art. 72 Abs. 1 StHG durchgeführt wurden und die den Anforderungen dieses Gesetzes nicht genügen, in erster Linie mittels pauschaler prozentualer Erhöhungen angepasst werden sollen (E. 3.1-3.4).

131 I 313 () from 22. Juni 2005
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 26 Abs. 5 des bernischen Gesetzes vom 2. Februar 1964 über Bau und Unterhalt der Strassen; Reglement vom 27. Dezember 1936 über die Erhebung einer Beleuchtungsgebühr in der Gemeinde Bern. Eine von den Eigentümern von Grundstücken im näheren Umkreis einer Strassenlampe erhobene, jährlich wiederkehrende kommunale Abgabe zur teilweisen Deckung der Betriebskosten der öffentlichen Strassenbeleuchtung (E. 2.1), welche als Vorzugslast konzipiert ist (E. 3.3), verstösst mangels eines relevanten individuellen Sondervorteils der Abgabepflichtigen gegen das Rechtsgleichheitsgebot (E. 3.5 und 3.6).

131 I 321 () from 6. Juni 2005
Regeste: Art. 9 und 26 BV; Eigentumsgarantie; Wassertaxen; Kündigung einer altrechtlichen, unentgeltlichen Wasserlieferungspflicht (Grundlast). Ein vor dem Inkrafttreten des ZGB rechtmässig erworbenes - privates und unentgeltliches - Recht auf Quellwasserbezug besteht (als Grunddienstbarkeit) auch ohne späteren Eintrag im Grundbuch weiter. Dies gilt auch für die als Ersatz für die Beeinträchtigung dieses Rechts (infolge Erstellens einer öffentlichen Wasserversorgung) durch Gerichtsurteil im Jahre 1901 der Gemeinde Altdorf im Sinne einer Grundlast auferlegte unentgeltliche Wasserlieferungspflicht zu Gunsten der ursprünglich Berechtigten. Diese Verpflichtung steht zwar unter dem Schutz der Eigentumsgarantie, kann aber in (analoger oder direkter) Anwendung von Art. 788 ZGB nach Ablauf von dreissig Jahren gekündigt werden (E. 5). Die altrechtliche unentgeltliche Wasserlieferungspflicht kann nur gegen Entschädigung abgelöst bzw. gekündigt werden. Kriterien für deren Bemessung; Berücksichtigung besonderer Verhältnisse (E. 6).

131 I 333 () from 31. Mai 2005
Regeste: Art. 26, 27 und 49 BV; Gemeindereglement zur Benützung von Wohnungen, die mit Unterstützung der Stadt Lausanne erstellt oder renoviert worden sind. Art. 11 des Gemeindereglementes erlaubt den Behörden, für 15 % der Wohnungen in jedem subventionierten Gebäude die Mieter zu bestimmen. Diese Regelung steht weder mit dem Bundesrecht (E. 2) noch mit der Eigentumsgarantie (E. 3) oder der Wirtschaftsfreiheit (E. 4) im Widerspruch.

131 I 350 () from 22. Juni 2005
Regeste: Amtliche und notwendige Verteidigung; Art. 29 Abs. 3, Art. 31 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK. Begriff der notwendigen Verteidigung (E. 2.1). Weder aus dem kantonalen Verfahrensrecht (E. 2) noch aus Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK (E. 3) ergibt sich für die Dauer der Haft und der Untersuchung ein Anspruch auf notwendige Verteidigung. Die Garantie der Fairness des Strafverfahrens nach Art. 32 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK kann es gebieten, einem Beschuldigten von Amtes wegen einen Rechtsvertreter zu bestellen (E. 4.1 und 4.2); entsprechende Pflicht im vorliegenden Fall verneint (E. 4.3 und 4.4).

131 I 366 () from 3. Mai 2005
Regeste: Berücksichtigung der politischen Richtungen bei der Besetzung öffentlicher Ämter, Begriff der verfassungsmässigen Rechte; Art. 60 KV/SO, Art. 189 Abs. 1 lit. a BV, Art. 84 Abs. 1 lit. a OG. Die Bestimmung von Art. 60 KV/SO, wonach bei der Besetzung öffentlicher Ämter u.a. die politischen Richtungen zu berücksichtigen sind, ist programmatischer Natur und räumt den politischen Parteien kein verfassungsmässiges Recht auf Minderheitsschutz ein (E. 2).

131 I 372 () from 18. Mai 2005
Regeste: Art. 86 Abs. 1 OG; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges; Strafprozessrecht des Kantons Waadt. Auf dem Gebiet des eidgenössischen Übertretungsstrafrechts kann der Verurteilte, der die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung erheben will, die staatsrechtliche Beschwerde direkt gegen das Urteil eines Waadtländer Polizeigerichts einreichen, das auf Appellation gegen den Entscheid eines Präfekten ergangen ist.

131 I 394 () from 8. August 2005
Regeste: Art. 80 Abs. 1 ATSG, Art. 8 und 49 BV; Befreiung von der Handänderungssteuer; derogatorische Kraft des Bundesrechts, Gleichbehandlung. Altes und neues Recht betreffend die Steuerbefreiung der SUVA (E. 3.3). Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Steuern sowie Wesen der Handänderungssteuer (E. 3.4). Gleichbehandlung mit den durch das kantonale Recht befreiten Einrichtungen (E. 4).

131 I 476 () from 12. Oktober 2005
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 i.V.m. Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK; Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 5 Abs. 4 und 5, Art. 7 Abs. 2, Art. 10b Abs. 1 und 3 OHG; § 107 Abs. 2 StPO/AG; Anspruch auf Befragung des minderjährigen Opferzeugen; Zeugnisverweigerung. Der Anspruch, dem Belastungszeugen Fragen stellen zu können, ist dann absolut, wenn das Zeugnis für den Schuldspruch ausschlaggebend ist (E. 2.2). Dieser Anspruch wird verletzt, wenn der Zeuge über vier Jahre nach der ersten Befragung jegliche ergänzende Aussage verweigert und das Gericht gleichwohl auf die erste, beweismässig entscheidende Aussage abstellt (E. 2.3.4).

131 II 151 () from 28. Dezember 2004
Regeste: Materielle Enteignung, Beschränkung der vorhersehbaren künftigen Nutzung eines Grundstücks; Art. 26 Abs. 2 BV, Art. 5 Abs. 2 und Art. 15 RPG. Tragweite des Erfordernisses, in einer Bauzone vorgängig des Baubewilligungsverfahrens einen Quartierplan zu erstellen ("Zone mit Quartierplanpflicht"; E. 2.3). Nach der Rechtsprechung zur materiellen Enteignung ist die vorhersehbare künftige Nutzung des Grundstücks - welche im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Einschränkung als für die nahe Zukunft sehr wahrscheinlich erscheinen muss - vorab nach juristischen Gesichtspunkten abzuschätzen. Es geht nicht an, grundsätzlich jedes zusätzliche Verfahren, welches das kantonale Recht vor der Erteilung einer Baubewilligung verlangt (z.B. das Erfordernis eines Quartier- oder Erschliessungsplans), als juristisches Element zu betrachten, welches die Ausrichtung einer Entschädigung ausschliesst; es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände und auf die effektive Tragweite an, welche diesem Erfordernis nach kantonalem Recht zukommt (E. 2.4). Beurteilung der Gemeindereglemente und der Gesetzgebung des Kantons Neuenburg nach diesen Vorgaben (E. 2.5).

131 II 162 () from 28. Januar 2005
Regeste: Registrierung von Internationalized Domain Names (IDN); Art. 28 FMG und Art. 14a ff. AEFV. Zuteilung von Domain-Namen: Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen Registerbetreiber und Internet-Benutzer; Übertragung der Domain-Namen durch Verfügung oder durch privatrechtlichen Vertrag (E. 2)?

131 II 271 () from 8. März 2005
Regeste: Art. 3 Abs. 2 lit. a der Verordnung über die Abgabe zur Sanierung von Altlasten (VASA), Art. 30-32e USG; Abgabesatz für Abfallausfuhr in Untertagedeponie; akzessorische Normenkontrolle. Auslegung von Art. 32e Abs.1 und 2 USG: Rechtsnatur der Abgabe (E. 5.3); Untertagedeponie als Deponieart (E. 6); Begriff der durchschnittlichen Ablagerungskosten (E. 7); Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers bei der Festsetzung der Abgabehöhe (E. 7.3). Art. 32e Abs. 2 USG ermächtigt den Verordnungsgeber, die Abgabesätze für die Deponiearten gemäss den unterschiedlichen Ablagerungskosten abzustufen (E. 8.4). Zulässigkeit eines Abgabetarifs, der für Untertagedeponien einen höheren Abgabesatz als für Reststoffdeponien vorsieht (E. 8-10). Vereinbarkeit des Tarifs mit dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft (E. 10.1-10.5). Frage der Anwendbarkeit des GATT/WTO- Übereinkommens offen gelassen (E. 10.6). Prüfung, ob die durchschnittlichen Ablagerungskosten bei der Untertagedeponie und der Reststoffdeponie vom Verordnungsgeber als Grundlage des Abgabetarifs genügend abgeklärt worden sind (E. 11); Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Kognitionsbeschränkung der Vorinstanz (E. 11.7).

131 II 413 () from 9. Mai 2005
Regeste: Art. 17 DSG; Art. 57, 84 und 84a KVG; Weiterleitung des medizinischen Dossiers des Versicherten durch den Vertrauensarzt des Versicherers an einen externen Spezialisten. Eine derartige Weiterleitung ist nach Art. 84 KVG zulässig (E. 2.1). Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, benötigt sie weder das Einverständnis des Versicherten noch dessen vorgängige Information (E. 2.4).

131 II 639 () from 24. August 2005
Regeste: a Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 BGFA; Rechtsanwälte können sich nur in das kantonale Anwaltsregister eines einzigen Kantons eintragen lassen. Ein gleichzeitiger Eintrag in verschiedene kantonale Anwaltsregister ist ausgeschlossen. Rechtsanwälte, die über mehrere Geschäftsadressen verfügen, haben sich im Register jenes Kantons eintragen zu lassen, in welchem sie überwiegend tätig sind (E. 3).

131 V 9 () from 30. September 2004
Regeste: Art. 8 Abs. 1, 2 und 4 BV; Art. 21 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 HVI und Ziff. 15.02 HVI Anhang; Art. 12 und 13 IVG; Art. 19 IVG in Verbindung mit Art. 8ter Abs. 2 lit. c und Art. 10 Abs. 2 lit. c IVV: Leistungspflicht der Invalidenversicherung hinsichtlich eines elektronischen Kommunikationsgerätes zuhanden Minderjähriger mit Trisomie 21. Elektrische und elektronische Kommunikationsgeräte, in casu das "B.A.Bar"Gerät, fallen nicht unter den Hilfsmittelbegriff, soweit sie zum Zweck des Spracherwerbs eingesetzt werden (Erw. 3.3). Deren Nichtabgabe durch die Invalidenversicherung hält insoweit auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Diskriminierungsverbot, Gebot der rechtsgleichen Behandlung, persönliche Freiheit) stand; namentlich ergibt sich aus dem Förderungsauftrag zugunsten Behinderter zumal dann nichts anderes, wenn die Leistungskategorie der Sonderschulung in die Betrachtung miteinbezogen wird (Erw. 3.4.3 und 3.5; vgl. Erw. 5). Soweit sich der Einsatz auf die Pflege des täglichen Kontakts mit der Umwelt bezieht, gebricht es an der Notwendigkeit der Vorkehr. (Erw. 3.6) Aus verschiedenen Gründen fällt auch eine Übernahme als medizinische Massnahme nicht in Betracht. (Erw. 4) Geht das Gerät als pädagogisch-therapeutische Sonderschulmassnahme - mit Blick auf das Vorschulalter des Versicherten im Sinne einer heilpädagogischen Früherziehung - zulasten der Invalidenversicherung (Erw. 5.2 und 5.3)? Rückweisung an die Verwaltung zur Abklärung und neuen Verfügung unter diesem Rechtstitel. (Erw. 5.4)

131 V 153 () from 29. März 2005
Regeste: Art. 9 und 29 Abs. 3 BV; Art. 37 Abs. 4, Art. 52 Abs. 1, Art. 55 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 1 ATSG; Art. 65 Abs. 5 VwVG in Verbindung mit Art. 12a der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (VVKV) und Art. 2 Abs. 1 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht (EVG-Tarif): Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsvertreters im Sozialversicherungsverfahren. Unter der Herrschaft des ATSG bestimmt sich das Anwaltshonorar im Verwaltungsverfahren der Invalidenversicherung nicht mehr nach kantonalem Recht, sondern unter Anwendung von Art. 2 Abs. 1 EVG-Tarif; die Höhe des Armenrechtshonorars ist daher nicht mehr nur im Hinblick auf das Willkürverbot, sondern daraufhin zu überprüfen, ob die einschlägigen bundesrechtlichen Vorschriften verletzt wurden oder ob die Verwaltung das ihr durch die VVKV und den EVG-Tarif eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat und insofern eine Bundesrechtsverletzung vorliegt. (Erw. 3.1, 6.1 und 6.2) Die unterschiedliche kantonale Kostenstruktur bei Anwälten bzw. die kantonale Anwaltsgebührenregelung bildet nicht Bemessungsfaktor für die Entschädigungshöhe, weshalb ein gesamtschweizerischer Stundenansatz, wie ihn das Bundesamt für Sozialversicherung in Rz 2058 des Kreisschreibens über die Rechtspflege in der AHV, der IV, der EO und bei den EL festgelegt hat, grundsätzlich nicht rechtswidrig ist; der in dieser Randziffer gewählte Stundenansatz von Fr. 160.- hingegen ist zu niedrig; als im Ergebnis bundesrechtskonform bestätigt wird das von der Vorinstanz zugesprochene Stundenhonorar von Fr. 200.- (zuzüglich Mehrwertsteuer). (Erw. 6.2 und 7)

131 V 256 () from 4. August 2005
Regeste: Art. 8, 9 und 12 BV; Art. 3a Abs. 7 lit. h ELG; Art. 16b ELV: Heizkostenpauschale. Art. 16b ELV ist gesetz- und verfassungsmässig. (Erw. 5) In der Pauschalierung der Heizkosten liegt keine Verletzung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Dasein nach Art. 12 BV. (Erw. 6)

131 V 263 () from 13. Juli 2005
Regeste: Art. 3d Abs. 1 lit. a und Abs. 4 ELG; Art. 8 Abs. 1 und 3 ELKV: Zahnbehandlungskosten. In gesetzeskonformer Auslegung von Art. 8 Abs. 3 Satz 2 ELKV kann bei Durchführung einer Zahnbehandlung ohne vorgängige Einreichung eines Kostenvoranschlages der Vergütungsanspruch nicht ohne weiteres auf maximal Fr. 3000.- beschränkt werden. Erbringt der Bezüger oder die Bezügerin von Ergänzungsleistungen den Beweis der für das Tatbestandsmerkmal der Einfachheit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit der Massnahme erheblichen Tatsachen, sind die gesamten Kosten im Rahmen der verfügbaren Quote durch die Ergänzungsleistung zu übernehmen. (Erw. 5)

132 I 7 () from 17. November 2005
Regeste: Art. 5, 8 Abs. 1, 9 und 10 Abs. 2 BV; Bewilligungserfordernis für das Halten von "potenziell gefährlichen Hunden". Konkretisierung des für die Bewilligungspflicht massgebenden gesetzlichen Begriffes der "potenziell gefährlichen Hunde" durch den Verordnungsgeber (E. 2). Kein Eingriff in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit durch die blosse Bewilligungspflicht für die Hundehaltung (E. 3). Verwendung der Rassenzugehörigkeit von Hunden als Kriterium zur Abgrenzung der Bewilligungspflicht (E. 4).

132 I 49 () from 25. Januar 2006
Regeste: Wegweisungs- und Fernhalteverfügungen; Art. 7, 8, 10, 22 und 36 BV. Kantonalrechtliche Grundlage für vorübergehende Wegweisungs- und Fernhaltemassnahmen (E. 2). Aus einer selbständigen Anrufung der Menschenwürde (Art. 7 BV) können die Betroffenen nichts zu ihren Gunsten ableiten; sie können sich auf die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV), die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) und das Willkürverbot (Art. 9 BV) berufen (E. 5). Hinreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Norm bejaht (E. 6). Öffentliches Interesse und Verhältnismässigkeit der Wegweisungs- und Fernhalteverfügungen gegeben (E. 7). Keine Verletzung des Diskriminierungsverbotes (E. 8).

132 I 86 () from 14. März 2006
Regeste: Art. 9 BV, Art. 9 Abs. 3 BGBM, Art. 18 IVöB, Submissionsgesetz des Kantons Appenzell I.Rh.; Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Zuschlags. Die in Art. 9 Abs. 3 BGBM statuierte Pflicht der kantonalen Rechtsmittelinstanz, bei bereits erfolgtem Vertragsabschluss anstelle der Aufhebung des Zuschlages dessen allfällige Bundesrechtswidrigkeit festzustellen, besteht unabhängig davon, ob bzw. auf welcher Rechtsgrundlage und in welchem Verfahren nach dem betreffenden kantonalen Recht Haftungsansprüche gegen den öffentlichen Auftraggeber geltend gemacht werden können (E. 3.2 und 3.3).

132 I 127 () from 25. April 2006
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 i.V.m. Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK; Zulassung anonymer Zeugen, Wahrung der Verteidigungsrechte. Die Zulässigkeit des Einsatzes eines anonymen Zeugen beurteilt sich nicht nach formalen Kriterien. Vielmehr ist in einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob die durch seine Zulassung bewirkte Beschneidung der Verteidigungsrechte durch schutzwürdige Interessen gedeckt ist und, falls ja, der Beschuldigte trotzdem einen fairen Prozess hatte (E. 2). Der Einsatz anonymer Zeugen ist in concreto - Fall eines ungewöhnlich gewaltbereiten Einzeltäters, dem schwere SVG-Delikte und Nötigung vorgeworfen werden - zulässig (E. 4.1 und 4.2). Die Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte wurde ungenügend kompensiert, indem weder der Beschuldigte noch sein Verteidiger die Gelegenheit erhielten, den Zeugen in wenigstens indirekter Konfrontation zu befragen (E. 4.3).

132 I 201 () from 6. Juni 2006
Regeste: Art. 9 und 27 BV; Entschädigung des amtlichen Rechtsvertreters; Praxisänderung. Darstellung der aktuellen Rechtslage und Praxis. Der streitige (fixe) Stundenansatz für amtliche Verteidigungen im Kanton Aargau in der Höhe von 150 Franken ist kostendeckend (E. 7). Es lässt sich heute nicht mehr rechtfertigen, den amtlichen Rechtsvertretern bloss deren eigene Aufwendungen zu ersetzen; die Entschädigung für Pflichtmandate ist so zu bemessen, dass es den Rechtsanwälten möglich ist, einen bescheidenen (nicht bloss symbolischen) Verdienst zu erzielen. Das Bundesgericht geht als Faustregel von einem Honorar in der Grössenordnung von 180 Franken pro Stunde aus (E. 8).

132 I 220 () from 8. Mai 2006
Regeste: Art. 127 Abs. 3 BV; interkantonale Doppelbesteuerung; Kapitalanlageliegenschaft; Ausscheidungsverlust. Besteuerung der Kapitalanlageliegenschaft einer Unternehmung (Handelsgesellschaft) im Liegenschaftskanton. Grundsätze der interkantonalen Steuerausscheidung und bisherige Praxis zu den sog. Ausscheidungsverlusten (E. 3 und 4). Kapital und Ertrag wie auch Gewinn aus Kapitalanlageliegenschaften stehen dem Liegenschaftskanton zur ausschliesslichen Besteuerung zu (E. 3). Einem allfälligen Betriebsverlust im Sitzkanton muss der Liegenschaftskanton Rechnung tragen (Änderung der Rechtsprechung; E. 4).

132 II 103 () from 9. November 2005
Regeste: Art. 14 Abs. 3, 24 und 25 GwG; Kontrolle über die Anwälte und Notare im System des Geldwäschereigesetzes; Tragweite des Berufsgeheimnisses. Das Berufsgeheimnis von Anwälten und Notaren deckt grundsätzlich nur deren berufsspezifischen, nicht auch ihre allgemeinen wirtschaftlichen (akzessorischen) Aktivitäten ab (E. 2.1); diese fallen unter die Meldepflicht gemäss Art. 9 GwG (E. 2.2). Die Selbstregulierungsorganisation der Anwälte und Notare ist gehalten, alle ihr angeschlossenen Mitglieder zu kontrollieren, d.h. auch jene - wenig zahlreichen (E. 3) -, die erklären, nicht als Finanzintermediäre aktiv zu werden und keine geldwäschereirechtlich relevanten Tätigkeiten zu entfalten (E. 4).

132 II 234 () from 13. März 2006
Regeste: Art. 16c SVG; Mindestdauer des Führerausweisentzugs nach schwerer Widerhandlung; Definition der schweren Widerhandlung bei Geschwindigkeitsüberschreitung. In den Anwendungsfällen von Art. 16c SVG ist es selbst bei Vorliegen besonderer Umstände nicht möglich, den Führerausweis für eine kürzere als die vom Gesetz vorgesehene Dauer zu entziehen (E. 2). Wie unter altem Recht stellt eine innerorts begangene Geschwindigkeitsüberschreitung von 25 km/h eine schwere Widerhandlung dar (E. 3).

132 II 240 () from 13. April 2006
Regeste: Widerruf von Mehrwertdienstnummern, die im Rahmen von TV-Gewinnspielen unter Verletzung der Nutzungsbedingungen eingesetzt werden (Art. 1 ff. LG, Art. 43 Ziff. 2 LV; Art. 11 Abs. 1 lit. b und Art. 24g Abs. 2 AEFV; Art. 13 Abs. 1bis und Art. 14 PBV). Ein über Mehrwertdienstnummern betriebenes TV-Gewinnspiel, an dem nicht klar erkennbar mit gleichen Gewinnchancen unentgeltlich teilgenommen werden kann, ist eine widerrechtliche lotterieähnliche Veranstaltung und rechtfertigt den Widerruf der verwendeten Nummern (E. 3); Anforderungen an die Preisanschrift (E. 4.1) und Preisspezifikation (E. 4.2).

132 II 408 () from 31. August 2006
Regeste: Raumplanung, Schutzzone, Energiepolitik, kantonaler Nutzungsplan für Windkraftanlagen. Nutzungsänderung eines als Schutzzone im Sinne von Art. 17 Abs. 1 RPG ausgeschiedenen Gebietes; Anforderungen gemäss Art. 21 Abs. 2 RPG (E. 4.1 und 4.2). Abwägung der Interessen zur Feststellung des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit einer umstrittenen raumplanerischen Massnahme (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV i.V.m. Art. 26 Abs. 1 BV); Gegenüberstellung der Wichtigkeit bzw. des Interesses an der Erhaltung eines Naturschutzgebietes einerseits und des Interesses an der Umsetzung der vom Bund und von den Kantonen entwickelten Politik zur Förderung erneuerbarer Energien andererseits (E. 4.3-4.5).

132 II 485 () from 26. Oktober 2006
Regeste: Art. 1, 6 Abs. 1, Art. 9, 10, 23 Abs. 1 und 4 sowie Art. 58 Abs. 2 FMG, Art. 5, 8, 9, 26, 27, 29 und 36 BV sowie Art. 6 EMRK; Änderung, Übertragung und Entzug einer Fernmeldekonzession (Konzession für IMT-2000/UMTS-Fernmeldedienste). Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Anforderungen an das Verfahren (E. 1). Anspruch auf rechtliches Gehör und Akteneinsicht (E. 3). Verwirkung des Anspruchs auf Anrufung eines Organmangels vor der Kommunikationskommission durch Einlassung (E. 4). Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen der Kommunikationskommission (E. 5). Anwendbare Rechtsregeln für die Änderung einer Fernmeldekonzession (E. 6). Anwendbare Rechtsregeln für die Übertragung einer Fernmeldekonzession (E. 7). Anwendbare Rechtsregeln für den Entzug einer Fernmeldekonzession (E. 8). Entschädigungspflicht beim Entzug einer Fernmeldekonzession (E. 9)?

132 III 83 () from 21. September 2005
Regeste: Art. 77 PatG; Beurteilung des Schutzumfangs eines Patents im vorsorglichen Massnahmeverfahren; Bedeutung von Parteibehauptungen und Parteigutachten. Im vorsorglichen Massnahmeverfahren hat der Gesuchsgegner lediglich glaubhaft zu machen, das Patent des Gesuchstellers sei ungültig (E. 3.2). Parteigutachten kommt nicht die Bedeutung von Beweismitteln, sondern von blossen Parteivorbringen zu (E. 3.4). Es ist willkürlich, ohne Beizug eines unabhängigen gerichtlichen Sachverständigen auf eine bestrittene Parteibehauptung abzustellen, wenn der Sachrichter nicht über die notwendige Sachkunde verfügt (E. 3.5).

132 III 140 () from 7. Oktober 2005
Regeste: Art. 82 SchKG; provisorische Rechtsöffnung in einer Betreibung, die sich auf eine Vertragsübernahme mit umstrittener Echtheit der Unterschriften stützt. Natur des Rechtsöffnungsverfahrens. Urkundenbeweis der Eigenschaft als Zessionar oder Übernehmer des Vertrages (E. 4.1.1). Einrede des Schuldners, die Unterschriften seien gefälscht; Glaubhaftmachung (E. 4.1.2).

133 I 1 () from 7. Dezember 2006
Regeste: Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, § 3 Abs. 2 Ziff. 3 GVG/ZH; Ablehnung eines Richters. Unbefangenheit des Richters in einem Prozess, in dem das Mitglied einer Rechtsmittelinstanz als Parteivertreter auftritt. Der Umstand, dass der Anwalt ein derartiges richterliches Nebenamt ausübt, tangiert im vorliegenden Fall das Gebot der Waffengleichheit der Parteien nicht (E. 5.3). Akzessorische Überprüfung der Zürcher Gerichtsorganisation, die den Mitgliedern des kantonalen Kassationsgerichts die berufsmässige Parteivertretung vor unteren Gerichten erlaubt (E. 6).

133 I 12 () from 22. November 2006
Regeste: Art. 32 Abs. 2 und 3 BV; Recht auf Verteidigung und Appellation. Die Praxis, wonach die Appellation bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten selbst dann ersatzlos abgeschrieben wird, wenn der Verteidiger zur Appellationsverhandlung erscheint, hält vor der Verfassung nicht stand. Eine Verwirkung des Anspruches auf Berufung kann nur bei einem sogenannten "Totalversäumnis" (unentschuldigtes Ausbleiben sowohl des Angeklagten als auch des Verteidigers) in Frage kommen (E. 4-8).

133 I 49 () from 13. November 2006
Regeste: Art. 9, 29 und 35 Abs. 2 BV, Art. 13 EMRK; Verfassungsgericht (Cour constitutionnelle) des Kantons Waadt; Hoheitsakte, welche durch dieses im Rahmen einer (abstrakten) Normenkontrolle überprüft werden können; von der Fondation vaudoise pour l'accueil des requérants d'asile (FAREAS) erlassene Hausordnung für ein Asylbewerber-Zentrum. Beim Waadtländer Verfassungsgericht können bloss solche - im Prinzip publizierte - Hoheitsakte angefochten werden, die von einer der in Art. 3 Abs. 2 des kantonalen Gesetzes über die Verfassungsrechtsprechung (loi cantonale sur la juridiction constitutionnelle) einschränkend und abschliessend aufgezählten Behörde erlassen worden sind; willkürfreie Auslegung der vorgenannten Gesetzesbestimmung (E. 2). Art. 29 BV und Art. 13 EMRK stehen einer solchen Auslegung nicht entgegen (E. 3.1). Art. 35 Abs. 2 BV gewährleistet, dass gestützt auf die streitige Hausordnung vorgenommene Handlungen ("Realakte") der FAREAS zum Gegenstand einer (konkreten) Rechtskontrolle gemacht werden können, wenn sie zu einer ernsthaften Beeinträchtigung eines Grundrechts führen; massgeblich für diese Rechtskontrolle sind die in BGE 128 II 156 dargelegten Grundsätze (E. 3.2).

133 I 178 () from 23. Januar 2007
Regeste: Art. 9 BV; Erfordernis der zweiten Lesung für Erlasse; Herabsetzung der Besoldung der Behördenmitglieder. Die Nichtbeachtung von Art. 86 Abs. 2 KV/GL (Erfordernis der zweiten Lesung für Erlasse) durch den Landrat (Kantonsparlament) kann gestützt auf das allgemeine Willkürverbot (Art. 9 BV) gerügt werden (E. 2). Die Missachtung des Erfordernisses der zweiten Lesung erscheint als ein gravierender formeller Mangel des parlamentarischen Rechtsetzungsverfahrens, welcher zwar aus Gründen der Rechtssicherheit der Verbindlichkeit des betreffenden Erlasses nicht absolut entgegenstehen kann, aber doch - wenn er innert Frist mit einem zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gerügt wird - zur Aufhebung desselben führen muss (E. 3).

133 I 185 (2D_2/2007) from 30. April 2007
Regeste: Art. 9 BV; Art. 113 in Verbindung mit Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG, Art. 115 lit. b BGG. Ausländerrechtliches Bewilligungsverfahren; keine Legitimation des Ausländers zur subsidiären Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Willkürverbots, wenn kein Rechtsanspruch auf Bewilligung besteht. Verhältnis subsidiäre Verfassungsbeschwerde und Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (E. 2.1 und 2.2); im konkreten Fall kann die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG nicht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden, weil kein Rechtsanspruch auf die Bewilligung besteht (E. 2.2 und 2.3). Legitimationsvoraussetzungen bei Willkürbeschwerden nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG (E. 4). Entstehungsgeschichte von Art. 115 lit. b BGG; Zusammenhang mit der Rechtsprechung zu Art. 88 OG (E. 5). In Berücksichtigung der Materialien, der Zielsetzungen der Revision der Bundesrechtspflege und des Verhältnisses zu den verschiedenen in Art. 83 BGG enthaltenen Ausschlussgründen setzt die Berechtigung zur Erhebung der Willkürrüge bei der subsidiären Verfassungsbeschwerde nach Art. 115 lit. b BGG voraus, dass sich der Beschwerdeführer auf eine durch das Gesetz oder ein spezielles Grundrecht geschützte Rechtsstellung berufen kann (E. 6).

133 I 201 (8C_76/2007) from 6. Juli 2007
Regeste: Art. 9 und 29 Abs. 2 BV; § 4 Abs. 1 des thurgauischen Gesetzes über die Kinder- und Ausbildungszulagen; § 20 Abs. 1 des thurgauischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege; Eröffnung einer Verfügung über Kinderzulagen. Die Verfügung über Kinderzulagen, welche dem Arbeitnehmer zustehen, ist diesem zu eröffnen. Eine Zustellung an den Arbeitgeber mit der Bitte, die Verfügung an den Arbeitnehmer weiterzuleiten, genügt nicht. Dieses Vorgehen verletzt das Willkürverbot und den Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 2.1). Offengelassen, ob eine Heilung des Mangels im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich möglich wäre. Jedenfalls genügt es nicht, wenn dem Arbeitnehmer lediglich der Entscheid einer gerichtlichen Rechtsmittelinstanz zugestellt wird, welche nur über eingeschränkte Kognition verfügt (E. 2.3).

133 I 234 (1B_87/2007) from 22. Juni 2007
Regeste: a Art. 5 Ziff. 1 Satz 2 EMRK; Untersuchungshaft, völkerrechtswidrige Entführung. Fall, in dem ein wegen gewerbsmässigen Betrugs Angeschuldigter in die Dominikanische Republik geflüchtet, von den dortigen Behörden ausgewiesen und dabei den schweizerischen Behörden übergeben worden war. Völkerrechtswidrige Entführung und damit Hafthinderungsgrund verneint, da die schweizerischen Behörden die Souveränität der Dominikanischen Republik beachtet und weder Zwang, Drohung noch List angewandt haben, um des Angeschuldigten habhaft zu werden (E. 2).

133 I 259 () from 21. August 2007
Regeste: Art. 9 und 49 BV; freies Notariat; öffentliche Beurkundung; (neues) basel-städtisches Notariatsgesetz vom 18. Januar 2006. Weitreichende Normierungsfreiheit der Kantone bei der Regelung der öffentlichen Beurkundung (E. 2). Überprüfung der Bestimmungen zur Unabhängigkeit des Notars (Verbot der Tätigkeit als Organ einer Immobiliengesellschaft; E. 3), zur Altersgrenze für Notare (E. 4), zur Zeugenregelung bei der öffentlichen Beurkundung (Ausschluss von "Mitarbeitenden des gleichen Büros"; E. 5) und zu den Eigentumsverhältnissen an Urkundensammlung und Register (E. 6).

133 II 1 (2C_1/2007) from 5. Februar 2007
Regeste: Art. 13b Abs. 2 ANAG; Übergangsbestimmungen zur Änderung des Asylgesetzes vom 16. Dezember 2005 Abs. 1; Verschärfung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht; neue maximale Haftdauer der Ausschaffungshaft. Die Neuregelung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht im Anhang zur Änderung des Asylgesetzes vom 16. Dezember 2005 gilt, soweit sie auf den 1. Januar 2007 in Kraft gesetzt wurde, auch für Fälle, in denen die Ausschaffungshaft noch aufgrund von Art. 13b Abs. 1 ANAG in der Fassung vom 18. März 1994 angeordnet worden ist, indessen nach dem neuen Recht verlängert wird (E. 4). Die unter altem Recht ausgestandene Ausschaffungshaft ist grundsätzlich auf die neue Maximaldauer von 18 Monaten anzurechnen (E. 5).

133 II 97 (2C_19/2007, 2C_45/2007) from 2. April 2007
Regeste: Art. 5 Ziff. 1 lit. b und lit. f EMRK; Art. 13g Abs. 1, 2 und 6 lit. b ANAG (in der Fassung vom 16. Dezember 2005); Durchsetzungshaft eines aus Algerien stammenden Ausländers, der sich weigert, in seine Heimat zurückzukehren. Grundlage und Voraussetzungen für die Anordnung einer Durchsetzungshaft (E. 2 und 3). Werden haftbegründende Tatsachen, die nach dem Inkrafttreten der Neuregelung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht gemäss Anhang zur Änderung des Asylgesetzes vom 16. Dezember 2005 eingetreten sind, im Lichte des früheren Verhaltens des Betroffenen gewürdigt, liegt hierin keine unzulässige Rückwirkung des neuen Rechts (E. 4.1). Nur eine Ausreise, die mit einer rechtmässigen Einreise in einen anderen Staat verbunden ist, lässt die Durchsetzungshaft dahinfallen, nicht bereits die Bereitschaft, sich illegal in ein Drittland zu begeben (E. 4.2).

133 II 249 (1C_3/2007) from 20. Juni 2007
Regeste: Art. 82 lit. a und Art. 89 Abs. 1 i.V.m. Art. 42, 95-97, 105 f. BGG; Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Baubewilligung; Nachbarbeschwerde; Sachurteilsvoraussetzungen (Beschwerdegründe, Legitimation, Beschwerdebegründung). Pflicht des Nachbarn eines Bauprojekts, seine Beschwerdebefugnis darzulegen (E. 1.1). Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet des Raumplanungs- und Baurechts; Übersicht über die möglichen Beschwerdegründe (E. 1.2). Legitimation des Nachbarn zur Anfechtung eines Bauprojekts mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (E. 1.3.1); Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Beschwerdegründen (E. 1.3.2). Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts und grundsätzliche Beschränkung auf die Beurteilung der vorgebrachten Rügen (E. 1.4.1). Anforderungen an Verfassungs- und Sachverhaltsrügen (E. 1.4.2 und 1.4.3).

133 II 384 (1C_79/2007) from 6. September 2007
Regeste: Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG; Sicherungsentzug des Führerausweises. Abklärung der kognitiven bzw. psychophysischen Fahreignung hinsichtlich der Ausweiskategorien B und D1 nach Erteilung der entsprechenden Bewilligungen; verkehrspsychologisches Gutachten, das die Fahreignung für die Kategorie B knapp bejaht und für die Kategorie D1 verneint. Gesetzliche Grundlagen für den Sicherungsentzug des Führerausweises der Kategorie D1 gestützt auf ein solches verkehrspsychologisches Gutachten (E. 3); Handhabung im konkreten Fall (E. 4). Notwendigkeit weiterer Abklärungen zur Fahreignung bezüglich der Kategorie B (E. 5).

133 II 396 (2C_224/2007) from 10. September 2007
Regeste: Art. 42 Abs. 2, Art. 83 lit. f, Art. 106 Abs. 2, Art. 113 ff. BGG; Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten/subsidiäre Verfassungsbeschwerde auf dem Gebiet der öffentlichen Beschaffungen. Die Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet der öffentlichen Beschaffungen setzt voraus, dass die in Art. 83 lit. f Ziff. 1 BGG erwähnten Schwellenwerte erreicht sind und sich zugleich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (Art. 83 lit. f Ziff. 2 BGG). Die Erfüllung dieser letztgenannten Voraussetzung ist gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG vom Beschwerdeführer darzutun, ansonsten auf die Beschwerde nicht eingetreten wird (E. 2.1 und 2.2). Weil die Eingabe den qualifizierten Begründungsanforderungen für die Geltendmachung von Grundrechtsverletzungen nicht genügt, kann sie auch nicht als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegengenommen werden (E. 3.1-3.3).

133 II 400 (1C_2/2007) from 4. Oktober 2007
Regeste: Art. 89 BGG; Legitimation eines Kantons zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Der Kanton befürchtet, wegen des Widerrufs einer Baubewilligung durch das Verwaltungsgericht zu einer Entschädigungszahlung an die Bauherrschaft verpflichtet zu werden (E. 2.3). Er ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Widerruf der Baubewilligung nicht legitimiert (E. 2.4).

133 III 252 () from 15. März 2007
Regeste: Art. 36 und 52 LugÜ, Art. 20 IPRG, Art. 29 BV. Vollstreckung nach dem Luganer Übereinkommen. Nichteintreten auf ein Rechtsmittel wegen Verspätung. Rechtsmittelfrist zur Anfechtung eines Vollstreckungserklärungs-Entscheids. Feststellung des schuldnerischen Wohnsitzes in diesem Zusammenhang. Verletzung des Gehörsanspruchs (E. 4).

133 III 360 () from 6. März 2007
Regeste: Lizenzvertrag; fristlose Kündigung des Vertrages aus wichtigen Gründen; vorsorgliche Massnahmen. Wirkungen einer nicht durch wichtige Gründe gerechtfertigen Vertragskündigung nach schweizerischem Recht (E. 7 und 8). Möglichkeit, die vorläufige Erfüllung des Lizenzvertrages als vorsorgliche Massnahme anzuordnen (E. 9).

133 III 368 (4A_26/2007) from 5. Juni 2007
Regeste: Art. 74 BGG und Art. 32 HRegV; Eintragung im Handelsregister; Streitwert; privatrechtlicher Einspruch gegen die Eintragung eines Beschlusses über die Herabsetzung des Aktienkapitals. Erfordernis eines minimalen Streitwerts für die Beschwerde in Zivilsachen gegen einen Entscheid über eine Eintragung im Handelsregister (E. 1). Vorgehensweise bei einem privatrechtlichen Einspruch gegen eine noch nicht angemeldete Eintragung (Frage offengelassen); Mangel in Bezug auf das Verfahren der Eintragung eines Beschlusses über die Herabsetzung des Aktienkapitals; überwiegendes Interesse der Gläubiger und der Aktionäre an der Aufrechterhaltung dieser Eintragung (E. 2).

133 III 393 (5A_52/2007) from 22. Mai 2007
Regeste: Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft (Art. 172 ff. ZGB); Art. 72 Abs. 1, Art. 90, 98, 99 Abs. 1, Art. 106 Abs. 2 BGG. Die Anordnung von Eheschutzmassnahmen ist eine Zivilsache im Sinne von Art. 72 Abs. 1 BGG (E. 2). Noven (E. 3). Eheschutzentscheide sind Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG (E. 4). Eheschutzentscheide sind Entscheide über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG; gegen sie kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (E. 5). Aus Art. 106 Abs. 2 BGG ergibt sich, dass klar und detailliert darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (E. 6). Im Falle einer Art. 98 BGG unterstehenden Beschwerde kommt eine Berichtigung oder Ergänzung von Sachverhaltsfeststellungen nur dann in Frage, wenn die kantonale Instanz verfassungsmässige Rechte verletzt hat (E. 7.1).

133 III 462 (4A_61/2007) from 13. Juni 2007
Regeste: Haftung des Staates für die Tätigkeit von Spitalärzten; Rechtsweg; entgangene Chance. Die Beschwerde in Zivilsachen steht offen gegen in Anwendung von kantonalem öffentlichem Recht ergangene Entscheide über die Verantwortlichkeit des Gemeinwesens für rechtswidrige Handlungen von in öffentlichen Spitälern angestellten Ärzten (Art. 72 Abs. 2 lit. b BGG; Art. 31 Abs. 1 lit. d BGerR; E. 2.1). Die Übernahme der Theorie der entgangenen Chance in das schweizerische Recht erscheint mindestens problematisch. Die Ablehnung dieser Theorie stellt insofern keine willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts über die Verantwortlichkeit des Staates für medizinische Tätigkeiten dar (E. 3 und 4).

133 III 585 (5A_36/2007, 5A_391/2007) from 20. August 2007
Regeste: Eheschutz; Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht; Kanton Zürich; letztinstanzlicher kantonaler Entscheid. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 ff. ZPO/ZH) gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich über Eheschutzmassnahmen an das Kassationsgericht des Kantons Zürich können alle vor Bundesgericht zulässigen Rügen erhoben werden. Einzig der Beschluss des Kassationsgerichts gilt demnach als letztinstanzlicher Entscheid im Sinn von Art. 75 Abs. 1 BGG (E. 3). Anforderungen an die Begründung der Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid über vorsorgliche Massnahmen im Sinn von Art. 98 BGG (E. 4.1).

133 IV 171 () from 30. Mai 2007
Regeste: Art. 146 StGB (Dreiecksbetrug); Art. 7 aStGB (schweizerische Zuständigkeit im Strafpunkt); Art. 129 IPRG und Art. 30 Abs. 2 BV (Zivilpunkt, Adhäsionsprozess). Schädigt der Getäuschte nicht sich selbst, sondern einen Dritten, setzt die Erfüllung des Betrugstatbestands voraus, dass der Getäuschte für den Vermögenskreis des Geschädigten verantwortlich ist und darüber zumindest in tatsächlicher Hinsicht verfügen kann. Diese Stellung des Getäuschten im Umfeld des Geschädigten ermöglicht die Abgrenzung zum Diebstahl, begangen in mittelbarer Täterschaft (E. 4.3). Im internationalen Verhältnis ist bei mehreren gewerbsmässig verübten Taten für jede einzelne selbständig zu prüfen, ob der Handlungs- oder der Erfolgsort gemäss Art. 7 aStGB in der Schweiz liegt (E. 6.3). Ein arglistiges Bestärken in einem Irrtum nach erfolgter Vermögensverfügung sowie nach Eintritt von Schaden und Bereicherung ist als Nachtatverhalten für die Begründung der Zuständigkeit nicht mehr von Relevanz (E. 6.5). Das IPRG sieht nicht ausdrücklich einen Adhäsionsgerichtsstand vor (E. 9.2). Art. 129 IPRG geht mit Rücksicht auf Art. 30 Abs. 2 BV vom Wohnsitzgerichtsstand aus. Sinn und Zweck des Instituts des Adhäsionsprozesses gebieten, dass sich der einer strafbaren Handlung Beschuldigte nicht auf die Garantie des Wohnsitzgerichtsstands berufen kann. Die adhäsionsweise Geltendmachung von Zivilforderungen am Forum des Strafgerichts ist daher auch im internationalen Verhältnis zulässig (E. 9.4).

133 IV 187 () from 19. Juni 2007
Regeste: a Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG; Legitimation der Bundesanwaltschaft. Die Staatsanwälte des Bundes sind befugt, in den von ihnen geführten Verfahren eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen Entscheide des Bundesstrafgerichts zu erheben (E. 2.1).

133 V 450 () from 23. Juli 2007
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 9 BV; Art. 9 ATSG; Art. 42 IVG; Art. 37 Abs. 3 lit. e und Art. 38 IVV; Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG; SR 151.3): Lebenspraktische Begleitung. Die "lebenspraktische Begleitung" beinhaltet weder die (direkte oder indirekte) "Dritthilfe bei den sechs alltäglichen Lebensverrichtungen" noch die "Pflege" noch die "Überwachung". Sie stellt vielmehr ein zusätzliches und eigenständiges Institut der Hilfe dar. Die vom BSV vorgenommene Konkretisierung der Anwendungsfälle der lebenspraktischen Begleitung (Rz. 8050-8052 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH] in der seit 1. Januar 2004 gültigen Fassung) erweist sich grundsätzlich als sachlich gerechtfertigt und damit als gesetzes- und verordnungskonform (E. 9). Rz. 8053 KSIH beinhaltet keine Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV), des Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) oder des BehiG (E. 6.2). Im Rahmen der lebenspraktischen Begleitung nach Art. 38 Abs. 1 lit. a IVV ist die direkte und indirekte Dritthilfe zu berücksichtigen. Demnach kann die Begleitperson die notwendigerweise anfallenden Tätigkeiten auch selber ausführen, wenn die versicherte Person dazu gesundheitsbedingt trotz Anleitung oder Überwachung/Kontrolle nicht in der Lage ist (E. 10.2).

133 V 472 () from 23. Juli 2007
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 9 BV; Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 3 IVG; Art. 37 Abs. 3 lit. e und Art. 38 IVV; Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG; SR 151.3): Bedarf an lebenspraktischer Begleitung, Regelmässigkeit; Kostenfaktor. Rz. 8053 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH, in der seit 1. Januar 2004 gültigen Fassung) beinhaltet keine Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV), des Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) oder des BehiG (E. 5.3.1). Das Gesetz macht den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung nicht davon abhängig, ob die lebenspraktische Begleitung kostenlos erfolgt oder nicht (E. 5.3.2).

133 V 569 () from 6. August 2007
Regeste: Art. 43bis Abs. 5 AHVG; Art. 66bis Abs. 1 AHVV; Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 3 IVG; Art. 37 Abs. 2 lit. c und Abs. 3 lit. e, Art. 38 IVV; Art. 8 Abs. 1 und 2 BV. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, dass AHV-Rentnerinnen und -Rentner, die vor Erreichen des AHV-Rentenalters keiner lebenspraktischen Begleitung bedurften, vom Anspruch auf Hilflosenentschädigung aus diesem Grunde ausgeschlossen bleiben (E. 5.4). Soweit der Bundesrat in Art. 66bis Abs. 1 AHVV bei der Bemessung der Hilflosigkeit den Bedarf an lebenspraktischer Begleitung im Bereich der AHV unberücksichtigt lässt, verstösst diese Regelung weder gegen das verfassungsmässige Gleichbehandlungsgebot oder das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 1 und 2 BV) noch gegen das Gesetz (Art. 43bis Abs. 5 AHVG; E. 5.5).

134 I 23 (9C_83/2007, 9C_84/2007) from 15. Januar 2008
Regeste: Art. 82 lit. b und Art. 87 BGG; Art. 8, 9, 26 und 49 Abs. 1 BV; Art. 1 und 88-98 FusG; Art. 61 und 62 BVG, Art. 51 Abs. 5 und Art. 65d Abs. 2 BVG; IAO-Übereinkommen Nr. 98, 150 und 154; Gesetz vom 12. Oktober 2006 über die staatlichen Vorsorgeeinrichtungen des Kantons Wallis (GVE); abstrakte Normenkontrolle; derogatorische Kraft des Bundesrechts. Gegen das GVE kann direkt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben werden (E. 3). Das GVE, welches u.a. die Umwandlung der registrierten privatrechtlichen Stiftung "Vorsorgekasse für das Personal des Staates Wallis" in ein unabhängiges Institut des öffentlichen Rechts und eine Erhöhung des Pensionsalters vorsieht, verletzt die folgenden Gesetze, Bestimmungen oder Grundsätze nicht: das Fusionsgesetz (E. 6.2); die sich auf Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen beziehende Bestimmung des Art. 65d Abs. 2 BVG (E. 6.3); das Anhörungsrecht gemäss Art. 51 Abs. 5 BVG und die IAO-Übereinkommen Nr. 98, 150 und 154 (E. 6.4); den Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 9 BV, namentlich den daraus und aus der Eigentumsgarantie gemäss Art. 26 BV abgeleiteten Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte (E. 7); das Willkürverbot (Art. 9 BV; E. 8); das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV; E. 9).

134 I 65 (8C_92/2007) from 14. Dezember 2007
Regeste: Art. 12 BV; Art. 2 Abs. 2, Art. 289 Abs. 2, Art. 328 und 329 ZGB; Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG. Sozialhilfe an einen zum Bezug von Ergänzungsleistungen zur AHV berechtigten Vater, der freiwillig auf einen Teil seines Vermögens verzichtet hat, indem er diesen seinen Kindern als Erbvorbezug überlassen hat. Da kein offensichtlicher Rechtsmissbrauch vorliegt, darf das in Art. 12 BV garantierte Existenzminimum nicht verweigert werden. Regressmöglichkeit gegenüber den Kindern gestützt auf Art. 328 und 329 ZGB (E. 2-7).

134 I 153 (2C_704/2007) from 1. April 2008
Regeste: Art. 5 Abs. 2 und Art. 9 BV; Art. 95 lit. a BGG; Kognition des Bundesgerichts bei der Verhältnismässigkeitsprüfung von kantonalrechtlichen Anordnungen. Ausserhalb von Grundrechtseingriffen (Art. 36 Abs. 3 BV) schreitet das Bundesgericht wegen Verletzung des Verhältnismässigkeitsgebots nur dann ein, wenn die kantonalrechtliche Anordnung offensichtlich unverhältnismässig ist und damit gleichzeitig gegen das Willkürverbot verstösst (E. 4).

134 I 159 (9C_84/2008) from 8. Mai 2008
Regeste: a Art. 82 lit. a und Art. 89 Abs. 1 BGG; Beschwerdelegitimation. Der vom kantonalen Gericht beauftragte Gutachter, dessen Honorarforderung im Entscheid in der Hauptsache gekürzt wird, ist zur Erhebung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert (E. 1.1 und 1.3).

134 I 184 (4A_512/2007) from 13. Mai 2008
Regeste: a Art. 74 Abs. 2 lit. a und Art. 113 BGG. Verhältnis der Beschwerde in Zivilsachen betreffend eine "Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung" zur subsidiären Verfassungsbeschwerde (E. 1).

134 I 204 (1C_183/2007) from 5. Februar 2008
Regeste: Art. 9 und 50 BV; Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c BGG; Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Beschwerdelegitimation; öffentliches Personalrecht. Der Beschwerdeführer ist ein kommunaler Zweckverband und durch das angefochtene Urteil als Träger hoheitlicher Gewalt betroffen, weshalb er gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG die Verletzung von Garantien rügen kann, die ihm die Kantons- oder Bundesverfassung einräumt. Die Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens ist auch nach Art. 89 Abs. 1 BGG gegeben, wenn dieses in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise berührt wird wie ein privater Arbeitgeber. Dies ist bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Bereich des öffentlichen Personalrechts grundsätzlich zu bejahen (E. 2).

134 I 293 (2C_73/2008) from 26. September 2008
Regeste: Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 38, 44 und 92 Abs. 1 Ziff. 1a SchKG; Art. 641a und 896 ZGB; persönliche Freiheit; Eigentumsgarantie; Änderung des thurgauischen Gesetzes vom 5. Dezember 1983 über das Halten von Hunden. Die angefochtene Bestimmung im kantonalen Hundegesetz, welche den Einzug eines Hundes bzw. dessen Fremdplatzierung als Mittel zur Durchsetzung der finanziellen Verpflichtungen des Hundehalters vorsieht, stellt keine in den Regelungsbereich des Schuldbetreibungsrechts eingreifende, unmittelbar der Vollstreckung der Geldleistungspflicht dienende Massnahme, sondern ein indirektes Druckmittel im Sinne eines administrativen Rechtsnachteils dar (E. 3 und 4.1); kein Verstoss gegen das bundesrechtliche Pfändungs- und Retentionsverbot von Heimtieren (E. 4.2). Vereinbarkeit dieser Massnahme mit der persönlichen Freiheit und der Eigentumsgarantie (E. 5).

134 II 124 (2C_583/2007) from 6. März 2008
Regeste: Art. 9 BV, Art. 89 Abs. 2 lit. d, Art. 90, 93 Abs. 1 lit. a und Art. 95 lit. a BGG sowie Art. 12 und 73 StHG; kantonalrechtliche, das Steuerharmonisierungsgesetz ergänzende Regelung der bei der Grundstückgewinnsteuer massgeblichen Besitzesdauer. Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen Steuerentscheid, mit dem die Streitsache an die untere Instanz zurückgewiesen wird (E. 1). Die kantonale Steuerverwaltung ist gemäss der entsprechenden Legitimationsbestimmung im Steuerharmonisierungsgesetz zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt, und zwar unabhängig davon, ob es um eine vom Steuerharmonisierungsgesetz abschliessend geregelte Frage oder um eine solche geht, in der den Kantonen ein gewisser Gestaltungsspielraum verbleibt (E. 2). Die zur Beschwerde berechtigte Behörde kann, im Rahmen ihres Aufgabenbereichs, jede Rechtsverletzung geltend machen, die mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gerügt werden kann, mithin auch eine Verletzung von Bundesverfassungsrecht und insbesondere des Willkürverbots (E. 3). Prüfung der Auslegung einer kantonalen übergangsrechtlichen Ordnung zur Berechnung der für die Grundstückgewinnsteuer massgeblichen Besitzesdauer auf Willkür hin (E. 4).

134 II 318 (2C_443/2007) from 28. Juli 2008
Regeste: Art. 112 DBG, Art. 98a OG, Art. 86 Abs. 2 und Art. 130 Abs. 3 BGG; Amtshilfe anderer Behörden zugunsten der Steuerbehörden; Verfahren; Zuständigkeit; Tragweite der Pflicht zur Amtshilfe. Überblick über die Rechtsprechung zur Zuständigkeit von Behörden zur Prüfung von Ersuchen um Amtshilfe zugunsten der Steuerbehörden gemäss Art. 112 DBG (E. 4.2). Anforderungen gemäss Art. 98a OG und Art. 86 Abs. 2 BGG (E. 4.4). Bejaht eine kantonale Behörde ihre Zuständigkeit, so prüft das Bundesgericht zurzeit nur, ob dies auf einer willkürlichen Auslegung des kantonalen Rechts beruht (E. 4.5). Tragweite der Pflicht zur Amtshilfe gemäss Art. 112 DBG (E. 6.1). Geht es um die Ausscheidung von Dokumenten, so gelten die Grundsätze analog, die für die internationale Rechtshilfe anwendbar sind, wobei zu berücksichtigen ist, dass der auf Art. 112 DBG gestützte Informationsaustausch nicht Fragen der Gewährleistung der nationalen Souveränität aufwirft und eine umfassende Zusammenarbeit zwischen den Behörden garantiert ist (E. 6.4 und 6.5).

134 II 349 (2C_414/2008) from 1. Oktober 2008
Regeste: Art. 90 und 98 BGG; Sicherstellung der Steuer. Der verfahrensabschliessende Entscheid über eine Sicherstellungsverfügung stellt einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG dar (E. 1.2-1.4). Zulässige Rügen gemäss Art. 98 BGG und Substantiierungspflicht (E. 3).

134 III 151 (4A_380/2007) from 14. Januar 2008
Regeste: Art. 84 OR; Zahlung von Fremdwährungsschulden. Bei einer Fremdwährungsschuld ist der Schuldner nach Art. 84 Abs. 2 OR lediglich berechtigt, nicht etwa verpflichtet, in Landeswährung zu leisten (E. 2.2). Abgrenzung von vollstreckungsrechtlichen Fragen bei Zwangsvollstreckung in der Schweiz (E. 2.3). Das Gericht darf im Erkenntnisverfahren nur eine Zahlung in der geschuldeten Fremdwährung zusprechen (E. 2.4 und 2.5).

134 III 379 (4D_81/2007) from 17. März 2008
Regeste: Bundesgerichtsgesetz; beschwerdefähiger Entscheid; Umwandlung des Rechtsmittels; Anforderungen an die in der Rechtsschrift enthaltenen Anträge. Der Entscheid über die Verweigerung der Streitverkündung stellt einen Teilentscheid nach Art. 91 lit. b BGG dar (E. 1.1). Die unrichtige Bezeichnung eines Rechtsmittels schadet dem Beschwerdeführer nicht, sofern die Prozessvoraussetzungen desjenigen Rechtsmittels, das hätte eingereicht werden müssen, erfüllt sind und es möglich ist, das Rechtsmittel als Ganzes umzuwandeln (E. 1.2). Der Beschwerdeführer darf sich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern muss grundsätzlich auch Anträge in der Sache stellen, es sei denn, das Bundesgericht wäre im Fall der Gutheissung der Beschwerde nicht in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden (E. 1.3).

134 III 581 (5A_449/2008) from 15. September 2008
Regeste: Art. 137 ZGB; Unterhaltsbeiträge; massgebendes Einkommen. Umstände, die es als nicht willkürlich erscheinen lassen, für den Unterhalt während der kurzen Dauer des Scheidungsverfahrens eine Integritätsschadenrente teilweise als Einkommen anzurechnen (E. 3).

134 IV 36 (6B_89/2007) from 24. Oktober 2007
Regeste: Art. 81 und 95-98 BGG; Beschwerderecht und Rügemöglichkeiten der Staatsanwaltschaft. Voraussetzung der Verfahrensteilnahme vor Vorinstanz gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG in Bezug auf die Staatsanwaltschaft (E. 1.3). Der Staatsanwaltschaft steht das Beschwerderecht in Strafsachen nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG ohne Einschränkung zu. Sie kann alle Beschwerdegründe nach Art. 95-98 BGG vorbringen (E. 1.4).

134 IV 193 (6B_235/2007) from 13. Juni 2008
Regeste: a Willkür in der Beweiswürdigung (Art. 9 BV). Natürlicher Kausalzusammenhang zwischen ungeschütztem Geschlechtsverkehr und HIV-Infektion. Tragweite wissenschaftlicher Gutachten für den Nachweis der direkten Übertragung des HI-Virus (E. 4).

135 I 43 (2C_609/2007) from 27. November 2008
Regeste: Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c BGG; Art. 85 der Verfassung des Kantons St. Gallen; Finanzausgleichsgesetz des Kantons St. Gallen vom 24. April 2007; interkommunaler Finanzausgleich; Beschwerdelegitimation. Die vom interkommunalen Finanzausgleich erfassten Gemeinden können sich auf die Gemeindeautonomie berufen; es fehlt jedoch an einem geschützten Autonomiebereich (E. 1.2). Frage offengelassen, ob in der Bestimmung der Kantonsverfassung, welche den Zweck des interkommunalen Finanzausgleichs umschreibt, eine Verfassungsgarantie zugunsten der Gemeinden im Sinne von Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG zu erblicken ist; die Beschwerdelegitimation der Gemeinden ergibt sich aus der allgemeinen Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG (E. 1.3). Fehlende Legitimation der beschwerdeführenden Privatpersonen mangels unmittelbarer Betroffenheit durch das angefochtene Finanzausgleichsgesetz; die bloss indirekten Auswirkungen auf die Steuerlast vermögen keine Beschwerdebefugnis zu begründen (E. 1.4).

135 I 63 (6B_481/2008) from 15. Dezember 2008
Regeste: §§ 73 Abs. 1, 3 und 4, 83 StPO/ZH; Art. 9 BV; Freigabe der Kaution, Willkür. Der deutsche Insolvenzverwalter ist ohne vorgängige Durchführung eines selbständigen Anerkennungsverfahrens und ohne Anhebung eines Anschlusskonkurses gemäss Art. 166 ff. IPRG zur Erhebung der Beschwerde an das Bundesgericht gegen die Verrechnung der aus öffentlich-rechtlichen Gründen an den Berechtigten herauszugebenden Kaution mit den Verfahrenskosten legitimiert (E. 1). Die Verwendung der von einer Drittperson für den Angeschuldigten gestellten, nicht verfallenen Sicherheitsleistung zur Deckung der Verfahrenskosten ist unhaltbar (E. 4).

135 I 265 (1D_8/2008) from 7. Juli 2009
Regeste: Art. 7-9, 29 und 35 BV, Art. 92 und 115 BGG; Zuständigkeit zur Beurteilung von Einbürgerungsgesuchen, die von der kommunalen Bürgerversammlung zweimal ohne hinreichende Begründung abgewiesen wurden. Anfechtung eines Vor- oder Zwischenentscheids über die Zuständigkeit zur Einbürgerung (E. 1.2). Beschwerdeberechtigung der nicht eingebürgerten Gesuchsteller (E. 1.3). Anwendbares Recht (E. 2). Regelung des Einbürgerungsverfahrens im kan tonalen Recht (E. 3.1 und 3.2). Der im Beschwerdeverfahren zulässige Antrag auf Beurteilung der Einbürgerungsgesuche durch die Beschwerdeinstanz ist keine Angelegenheit der Staatsaufsicht (E. 3.4). Bindung staatlicher Organe an die Grundrechte (E. 4.2). Tragweite der Ansprüche auf Begründung und auf Beurteilung innert angemessener Frist im Einbürgerungsverfahren (E. 4.3-4.5).

135 I 279 (8C_321/2009) from 9. September 2009
Regeste: Art. 29 Abs. 2 BV; Anspruch auf rechtliches Gehör eines Beamten vor einer Nichtwiederwahl. Die Tatsache, dass die Wahlbehörde von einer vorsorglichen Anhörung des betroffenen Beamten absieht, weil sie sonst aus selbst zu vertretenden Gründen nicht mehr in der Lage wäre, diesem den Entscheid über die Nichtwiederwahl rechtzeitig zu eröffnen, stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, welche vor einer Beschwerdeinstanz nicht mehr geheilt werden kann (E. 2.6.1-2.6.5).

135 I 313 (6B_962/2008) from 18. Juni 2009
Regeste: a Art. 29a BV, Art. 130 Abs. 1 BGG; Rechtsweggarantie. Übergangsrechtlich bestimmen sich die massgeblichen Vorinstanzen in Strafsachen gemäss Art. 80 in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 BGG (E. 1.2).

135 II 145 (2C_504/2008, 2C_505/2008) from 28. Januar 2009
Regeste: a Art. 89 Abs. 1 und Art. 111 Abs. 1 BGG; Beschwerderecht des Mandanten, dessen Anwalt wegen Interessenkonflikts diszipliniert worden ist. Beschwerderecht gegen einen Nichteintretensentscheid (E. 3); zulässige Beschwerdegründe (E. 4). Das Beschwerderecht vor den kantonalen Instanzen muss mindestens demjenigen vor Bundesgericht entsprechen (E. 5). Das gegenüber dem Anwalt verhängte Verbot, einen Klienten zu vertreten, berührt Letzteren nur mittelbar, womit ihm die Beschwerdeberechtigung im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG fehlt. Der kantonale Entscheid, der ihm diese Berechtigung abspricht, verletzt Art. 111 BGG nicht (E. 6).

135 III 232 (5A_545/2007) from 9. Januar 2009
Regeste: Einsprache gegen den Arrestbefehl (Art. 278 Abs. 1 SchKG); Rechtsnatur des Entscheides über die Weiterziehung des Einspracheentscheides (Art. 278 Abs. 3 SchKG); Kognition des Bundesgerichts; Beginn der Einsprachefrist; Willkür in der Rechtsanwendung (Art. 9 BV). Der Entscheid über die Weiterziehung des Einspracheentscheides ist - wie der Arrestentscheid - eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG; die Kognition des Bundesgerichts ist auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte beschränkt; Anforderungen an die Begründung der Beschwerdeschrift (E. 1.2). Die kantonale Praxis, wonach die Frist für die Einsprache gegen den Arrestbefehl für den beim Arrestvollzug anwesenden oder vertretenen Schuldner mit dem Vollzug des Arrestes beginnt, ist willkürlich. Daran ändert nichts, dass dem anwesenden oder vertretenen Schuldner Einsicht in die Arrestakten, insbesondere in den Arrestbefehl, gewährt worden ist (E. 2).

135 III 253 (4A_519/2008) from 6. Februar 2009
Regeste: Art. 273 Abs. 5 und Art. 274f Abs. 1 OR; Entscheidungsbefugnis der Schlichtungsbehörde in Mietsachen; Rechtslage, wenn eine der Parteien den Richter anruft. Ruft mindestens eine der Parteien des Mietvertrages rechtmässig den Richter an, fällt der Entscheid der Schlichtungsbehörde dahin, so dass die andere Partei in den Schranken des anwendbaren Verfahrensrechts grundsätzlich frei ist, materielle Rechtsbegehren zu stellen und eine Widerklage zu erheben (E. 2).

135 III 295 (4A_595/2008) from 20. März 2009
Regeste: a Art. 216 Abs. 2 OR; Form eines Vorvertrages, der den Kauf von Grundstücken und Fahrnis zum Gegenstand hat. In einem Vorvertrag, der den Kauf von Grundstücken und Fahrnis verbindet, können die Parteien einen Globalpreis als Gegenleistung für die Grundstücke und die übrigen Gegenstände vereinbaren; diesfalls müssen auch Letztere in der öffentlichen Urkunde aufgeführt (spezifiziert) werden (E. 2 und 3).

135 III 397 (4A_14/2009) from 2. April 2009
Regeste: Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG; Art. 45 Abs. 1 OR; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung; Bestattungskosten. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung liegt vor, wenn diese zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führt und daher dringend einer Klärung durch das Bundesgericht bedarf (E. 1). Wer den Tod einer Person zu verantworten und die Bestattungskosten zu ersetzen hat (Art. 45 Abs. 1 OR), kann nicht als Umstand, für den der Geschädigte einstehen muss (Art. 44 Abs. 1 OR), geltend machen, dass der Tod in nächster Zeit aus einem anderen Grund ohnehin eingetreten wäre, namentlich aufgrund des hohen Alters des Opfers (E. 2).

135 III 474 (5A_39/2009) from 17. April 2009
Regeste: Arresteinsprache (Art. 278 SchKG); Glaubhaftmachung der Arrestforderung (Art. 272 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG), Gegenstand der Schuldbetreibung (Art. 38 Abs. 1 SchKG). Prüfung der Arrestforderung einer dänischen Gläubigerin, die sich auf ihr Eigentum an Wertschriften beruft und von der Schuldnerin, auf welche die Vermögenswerte weiter übertragen wurden, einen auf Geldzahlung gerichteten Ersatz verlangt (E. 2 und 3).

135 III 489 (5A_153/2009) from 29. Mai 2009
Regeste: Art. 75 ZGB; Monatsfrist zur Anfechtung eines Vereinsbeschlusses; Verwirkung. Die bundesrechtliche Verwirkungsfrist von einem Monat kann durch das Begehren zur Ladung zum Aussöhnungsversuch gewahrt werden, wenn nach dessen Scheitern die Klage innert der vom kantonalen Prozessrecht gesetzten Frist beim Gericht eingereicht wird (E. 3). Wer die Dauer der versäumten Klagefrist allein schon auf Grund des Gesetzestextes feststellen kann, geniesst keinen Vertrauensschutz (E. 4). Kurze Klagefristen sind sachlich gerechtfertigt und bedeuten für anwaltlich vertretene Parteien keine Prozessfalle (E. 6).

135 III 513 (5A_34/2009, 5A_59/2009, 5A_60/2009) from 26. Mai 2009
Regeste: Art. 288-291 SchKG; Absichtsanfechtung; Genossenschaftsanteilscheine. Voraussetzungen der Absichtsanfechtung im Falle des Verkaufs von Genossenschaftsanteilscheinen verbunden mit der Mitgliedschaft in der Genossenschaft (E. 3-6). Klage gegen den Vertragspartner des Schuldners und gegen den bösgläubigen Dritterwerber (E. 7 und 8). Art und Umfang der Rückerstattung (E. 9).

135 III 578 (5A_23/2009) from 20. Mai 2009
Regeste: Kostenfestsetzung im Aufsichtsverfahren über den Willensvollstrecker. Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Bei der Festsetzung der Kosten geniesst der Kanton grosses Ermessen. Es erweist sich aber als willkürlich, den Streitwert der Willensvollstreckerbeschwerde mit dem Nachlasswert gleichzusetzen (E. 6).

135 III 608 (5A_261/2009) from 1. September 2009
Regeste: Art. 271 ff. SchKG; Arrestierung von Vermögenswerten, die einem ausländischen Staat oder einer ausländischen Zentralbank gehören. Unterscheidung zwischen dem "genügenden Bezug" als Bedingung der Arrestierung von Vermögenswerten eines Schuldners, der nicht im Sinne von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG in der Schweiz wohnt, und der "genügenden Binnenbeziehung" als Bedingung der Arrestierung von Vermögenswerten, die einem ausländischen Staat oder einer ausländischen Zentralbank gehören (E. 4).

135 III 633 (5A_428/2009) from 23. November 2009
Regeste: Art. 928 ZGB; Besitzesstörung; Fliegen und Landen mit Hängegleitern. Voraussetzung der Ansprüche gemäss Art. 928 Abs. 2 ZGB ist die Störung des Besitzes durch verbotene Eigenmacht. Eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung in einem kommunalen Bau- und Zonenreglement, die ein hindernisfreies und sicheres Überfliegen und Landen mit Hängegleitern bezüglich der dafür vorgesehenen Grundstücke gewährleistet, kann verbotene Eigenmacht ausschliessen. Prüfung des Ausschlusses im konkreten Fall (E. 3-5).

135 III 663 (5A_515/2009) from 5. November 2009
Regeste: Pflichten des Schuldners bei der Pfändung; Art. 91 SchKG. Gegenstand und Umfang der Auskunftspflicht des Schuldners (E. 3).

135 III 666 (5A_134/2009) from 7. Juli 2009
Regeste: Konkurs nach Art. 166 ff. IPRG; Anfechtungsklage (Art. 171 IPRG, Art. 285 ff. SchKG). Voraussetzungen zur Erhebung der Anfechtungsklage durch die ausländische Konkursverwaltung (E. 3.2).

135 III 670 (5A_530/2008) from 22. Oktober 2009
Regeste: Vollstreckbarerklärung von ausländischen vorsorglichen Massnahmen gemäss LugÜ. Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen und Beschwerdegründe (E. 1). Der Sequestro conservativo nach italienischem Zivilprozessgesetz stellt als vorsorgliche Massnahme eine Entscheidung im Sinne von Art. 25 LugÜ dar, die in der Schweiz nach Art. 31 LugÜ vollstreckt werden kann. Der Gesuchsteller hat im Rahmen von Art. 29 Abs. 2 BV Anspruch darauf, dass sein Gutachten zur Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat vom schweizerischen Richter berücksichtigt wird (E. 2 und 3).

135 IV 121 (6B_978/2008) from 9. Juli 2009
Regeste: Umwandlung der Strafe der gemeinnützigen Arbeit; Art. 35 Abs. 3, Art. 39 Abs. 3 und Art. 41 Abs. 1 StGB. Die direkte Umwandlung von gemeinnütziger Arbeit in eine unbedingte Freiheitsstrafe ist nicht ausgeschlossen. Sie setzt voraus, dass eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann. Diese Prognose ist eigenständig vorzunehmen und richtet sich nicht notwendigerweise nach den Kriterien, welche die Anwendung von Art. 35 Abs. 3 oder Art. 41 Abs. 1 StGB beherrschen. Der Richter verfügt über einen grossen Ermessensspielraum (E. 3).

135 IV 162 (1C_116/2009) from 9. Juni 2009
Regeste: Art. 82 lit. a BGG, Art. 4 Abs. 1 TEVG; Teilung eingezogener Vermögenswerte. Zulässiges Rechtsmittel an das Bundesgericht (E. 1). Abzugsfähigkeit von Gerichtskosten bei der Berechnung des Nettobetrags gemäss Art. 4 Abs. 1 TEVG (E. 2 und 3).

135 IV 212 (1B_217/2009) from 17. September 2009
Regeste: Art. 14 EAUe, Art. 38 Abs. 2 IRSG; Spezialitätsprinzip, Schonfrist. Eine an die Schweiz ausgelieferte Person muss die Vollstreckung von Strafurteilen, für welche die Auslieferung nicht bewilligt wurde, nicht über sich ergehen lassen, ohne vorher über die Konsequenzen des Ablaufs der Schonfrist informiert worden zu sein (E. 2 und 3).

135 V 94 (8C_449/2008) from 16. Dezember 2008
Regeste: Art. 59 AsylG; Art. 24 Ziff. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge; Art. 1 Abs. 5 des bernischen Gesetzes vom 5. März 1961 über Kinderzulagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; kantonale Familienzulagen. Ein vorläufig aufgenommener Flüchtling hat gestützt auf Art. 59 AsylG i.V.m. Art. 24 Ziff. 1 der Flüchtlingskonvention mit der Anerkennung als Flüchtling Anspruch auf Familienzulagen wie eine Person mit Schweizer Bürgerrecht; massgebender Zeitpunkt ist dabei die Anerkennung als (vorläufig aufgenommener) Flüchtling durch die Behörden (E. 3 und 4).

135 V 124 (9C_781/2008) from 25. März 2009
Regeste: Art. 89 Abs. 1 und 2, Art. 56 Abs. 1 und 2 sowie Art. 32 Abs. 1 KVG; Art. 116 und 139 OR; Art. 46 Abs. 1 und Art. 83 Abs. 2 SchKG; sachliche und örtliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur Beurteilung der Aberkennungsklage eines Leistungserbringers. Ein einzelrichterlicher Nichteintretensentscheid mangels örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit ist im Verfahren nach Art. 89 KVG unzulässig (E. 3). Das Schiedsgericht nach Art. 89 KVG ist sachlich zuständig zur Beurteilung der Aberkennungsklage eines Leistungserbringers betreffend eine vom Krankenversicherer auf dem Betreibungsweg geltend gemachte Forderung gestützt auf eine Vereinbarung im Zusammenhang mit einer behaupteten Verletzung des Gebots der wirtschaftlichen Behandlung (Art. 56 Abs. 1 und 2 sowie Art. 32 Abs. 1 KVG), auch wenn die Vereinbarung alle Merkmale einer Neuerung im Sinne von Art. 116 OR aufweist (E. 4.3.1). Der Gerichtsstand nach Art. 89 Abs. 2 KVG (Kanton, in welchem die ständige Einrichtung des Leistungserbringers liegt) geht dem Gerichtsstand des Betreibungsortes nach Art. 83 Abs. 2 SchKG vor (E. 4.3.2). Fristwahrung durch Klage beim örtlich unzuständigen Gericht (Art. 139 OR analog; E. 5).

135 V 134 (8C_97/2008) from 29. Januar 2009
Regeste: Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG; Art. 310 in Verbindung mit Art. 315 Abs. 1 ZGB; § 15 Abs. 2 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich vom 14. Juni 1981 (SHG); § 19 Abs. 3 und § 20 Abs. 1 der Verordnung vom 21. Oktober 1981 zum SHG (SHV). Die Sozialhilfebehörde ist an den (bundesrechtskonform gefällten) Entscheid der zuständigen Vormundschaftsbehörde zur Unterbringung eines unmündigen Kindes in einem Heim gebunden. Sie kann gestützt auf kantonalrechtliche Sozialhilfebestimmungen die Übernahme der Kosten der angeordneten Massnahme nicht verweigern (E. 3 und 4).

135 V 353 (8C_644/2008) from 19. August 2009
Regeste: Art. 112 Abs. 2 BGG; Art. 61 lit. h ATSG; a§ 8a des luzernischen Gesetzes vom 3. Juli 1972 über die Organisation des Verwaltungsgerichts (VGOG; SRL Nr. 41 [in der bis 31. Dezember 2008 in Kraft gestandenen Fassung]); Entscheidbegründungspflicht der kantonalen Sozialversicherungsgerichte. a§ 8a Abs. 1 VGOG, wonach das Gericht in klaren Fällen Urteile und Entscheide ohne Begründung zustellen kann, ist mit Blick auf Art. 112 Abs. 2 BGG bundesrechtskonform (E. 3-5).

135 V 361 (9C_572/2008) from 17. Juli 2009
Regeste: Art. 10 Abs. 1 und 3 AHVG; Art. 28 Abs. 4 AHVV; Festsetzung der Beiträge nichterwerbstätiger Personen. Die Beitragsfestsetzung gemäss Art. 28 Abs. 4 AHVV auch nach rechtskräftiger gerichtlicher Ehetrennung (Art. 117 f. ZGB) ist gesetzes- und verfassungskonform (E. 4 und 5).

136 I 142 (1C_501/2009) from 4. Januar 2010
Regeste: Art. 127 Abs. 1 BV, Art. 27 RPG; Planungszone und verwaltungsrechtlicher Vertrag über eine Lenkungsabgabe zur Beschränkung des Zweitwohnungsbaus. Legalitätsprinzip im Abgaberecht (E. 3.1). Gesetzliche Grundlage für eine Planungszone (E. 3.2). Kompetenz der Bündner Gemeinden, Erstwohnungsanteile festzulegen oder gleichwertige Regelungen zu treffen (E. 3.3). Zulässigkeit verwaltungsrechtlicher Verträge allgemein (E. 4.1) und im Abgaberecht (E. 4.2). Der verwaltungsrechtliche Vertrag beruht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage im kantonalen Raumplanungsgesetz und stellt eine rechtmässige Grundlage für die Erhebung der Lenkungsabgabe im Rahmen der Baubewilligung dar (E. 4.3). Keine unzulässige positive Vorwirkung einer geplanten kommunalen Regelung des Zweitwohnungsbaus (E. 4.4).

136 I 197 (4A_18/2010) from 15. März 2010
Regeste: Komplementäre Krankenversicherung; Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit von Art. 156 AVO, welcher einen Wechsel von einem geschlossenen zu einem offenen Versicherungsbestand erlaubt (Art. 31 VAG; Art. 8, 9 und 27 BV). Art. 156 AVO, der den Schutz von älteren Komplementärversicherten bezweckt, fällt nicht aus dem Rahmen der in Art. 31 VAG vorgesehenen Kompetenzdelegation (E. 4.3). Die Einschränkung der Vertragsfreiheit, die sich aus der Regelung von Art. 156 AVO ergibt, beruht auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage; sie ist durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und ist hinsichtlich des damit verfolgten Ziels verhältnismässig. Art. 156 AVO steht zudem weder mit dem Gleichbehandlungsgebot noch dem Grundsatz von Treu und Glauben im Widerspruch. Er verletzt die Bundesverfassung nicht (E. 4.4-4.6).

136 I 229 (2D_76/2009) from 14. Mai 2010
Regeste: Art. 83 lit. t, Art. 113 und 115 lit. b BGG, Art. 9 und 29 Abs. 2 BV; Anfechtung eines Prüfungsergebnisses (hier: Masterabschluss im Studium der Rechtswissenschaften) beim Bundesgericht. Ein Prüfungsergebnis (bzw. eine Note) kann mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde angefochten werden, wenn das Nichtbestehen, eine andere Rechtsfolge (wie der Ausschluss von der Weiterbildung) oder ein Prädikat in Frage steht, für das die Prüfungsordnung vorgibt, wie es zu bestimmen ist, bzw. dessen Festlegung nicht im Ermessen der Prüfungsbehörde liegt (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 1-3). Verfahrensfragen, insbesondere rechtliches Gehör und Kognition der kantonalen richterlichen Behörde (E. 4 und 5). Überprüfung eines Examensentscheides durch das Bundesgericht (E. 6).

136 I 241 (1C_491/2009) from 2. Juni 2010
Regeste: Art. 178B KV/GE; Genfer Gesetz betreffend Verbot, in öffentlichen Räumen zu rauchen; Art. 95 lit. c BGG. Art. 178B KV/GE betreffend den Schutz vor Passivrauchen räumt keine direkt anrufbaren verfassungsmässigen Rechte ein (E. 2.2 und 2.3). Das Bundesgericht prüft lediglich unter dem Gesichtswinkel der Willkür, ob das kantonale Ausführungsgesetz der Verfassungsbestimmung entspricht (E. 2.4 und 2.5). Das Gesetz erlaubt in den öffentlichen Restaurationsbetrieben Fumoirs, allerdings unter Bedingungen, sodass das von der Verfassungsnorm verfolgte Ziel der öffentlichen Gesundheit nicht beeinträchtigt wird (E. 3).

136 I 254 (8C_724/2009) from 11. Juni 2010
Regeste: Art. 5 Abs. 3, Art. 9 und 12 BV; Art. 2 Abs. 1 Ziff. 4 des Waadtländer Gesetzes über die Hilfe an Asylbewerber und gewisse Ausländerkategorien; Art. 4 Abs. 2 und Art. 4a des Waadtländer Sozialhilfegesetzes; Nothilfe für eine Person ohne Aufenthaltsbewilligung, deren Gesuch um Regelung ihres Aufenthalts aber hängig ist; auf die Person bezogene Kriterien der Nothilfe. Auch ohne Rückweisungsentscheid sind die Waadtländer Behörden befugt, Leistungen für eine ausländische Person ohne Aufenthaltsbewilligung, bei der die Regelung des Aufenthalts im Sinne eines Härtefalles aber hängig ist, auf die Nothilfe zu beschränken (E. 4 und 5). Nach Aufhebung der ordentlichen Sozialhilfe steht der Einrichtung für den Empfang von Migranten im Kanton Waadt ein Ermessen zu, das es erlaubt, bei der Zusprache von Nothilfeleistungen besonderen Situationen Rechnung zu tragen. Die Anfechtung der Beherbergung in einer Massenunterkunft ist daher vorliegend verfrüht (E. 6).

136 I 309 (1D_5/2009) from 25. August 2010
Regeste: Nichteinbürgerung einer in Ausbildung begriffenen Person wegen Sozialhilfeabhängigkeit, Diskriminierungsverbot; Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 BV. Bürgerrechtserteilung nach kantonalem Recht (E. 2). Fehlen der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit (E. 3). Bedeutung des Diskriminierungsverbotes; offengelassen, ob der Kreis der Sozialhilfeabhängigen eine nach Art. 8 Abs. 2 BV geschützte Gruppe darstellt (E. 4.2). Unter den konkreten Umständen liegt auch unter Beachtung von Herkunft und sozialer Stellung keine Diskriminierung vor (E. 4.3). Grenze der Nichteinbürgerung bildet das Willkürverbot nach Art. 9 BV (E. 4.4).

136 I 316 (2C_833/2009) from 19. Juli 2010
Regeste: Gebührenordnung der Einwohnergemeinde Zermatt für das Wasser und das Abwasser: Verweisung auf private Normen; Art. 9 BV. Nach dem kantonalen Recht sind die Gemeinden im Kanton Wallis für die Erhebung von Wasseranschluss- und Kanalisationsanschlussbeiträgen autonom (E. 2.1). Unterschied zwischen statischen und dynamischen Verweisungen; Voraussetzung derer Zulässigkeit (E. 2.4.1). Im vorliegenden Fall handelt es sich aufgrund der Auslegung um eine statische Verweisung; willkürliche Annahme einer dynamischen Verweisung durch die Vorinstanz (E. 2.4.2 und 2.4.3).

136 I 395 (1C_66/2010) from 6. September 2010
Regeste: Art. 9 und 50 BV, Art. 85 KV/ZH; Gemeindeautonomie bei der Auslegung von Zonenvorschriften. Kognition des Bundesgerichts im Anwendungsbereich der Gemeindeautonomie (E. 2). Autonomie der Gemeinde bei der Auslegung des kantonalrechtlichen Begriffs des mässig störenden Betriebs (E. 3). Der Entscheid der Gemeinde, die Nutzung einer Liegenschaft für Freitodbegleitungen in einer primär der Wohnnutzung gewidmeten Zone sei mehr als nur mässig störend, ist vertretbar. Die blosse Vorstellung darüber, was im Innern eines benachbarten Gebäudes vor sich geht, ist bei der Beurteilung der Immissionen zu berücksichtigen. Die Aufhebung des kommunalen Entscheids durch das kantonale Verwaltungsgericht verletzte die Gemeindeautonomie und das Willkürverbot (E. 4).

136 II 120 (2C_135/2009) from 22. Januar 2010
Regeste: Art. 8 in Verbindung mit Art. 14 EMRK; Art. 8 und 190 BV; Art. 3 Anhang I FZA; Art. 42 AuG; Art. 17 Abs. 2 ANAG; Teilfamiliennachzug zu einem eingebürgerten Schweizer ("Inländerdiskriminierung"). Zusammenfassung der Praxis zum Familiennachzug von Schweizer Bürgern nach Art. 17 Abs. 2 ANAG und zur Problematik der Inländerdiskriminierung (E. 2 und 3). Tragweite von Art. 8 BV (Rechtsgleichheitsgebot; E. 3.3.2) sowie von Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 EMRK (akzessorisches Diskriminierungsverbot; E. 3.3.3) unter Berücksichtigung von Art. 42 Abs. 2 AuG. "Appellentscheid" im Rahmen von Art. 190 BV, den Familiennachzug von Schweizer Bürgern den neuen Verhältnissen im Bereich des FZA anzupassen (E. 3.5).

136 II 304 (2C_77/2009, 2C_78/2009) from 11. März 2010
Regeste: Art. 2 lit. a und Art. 20 BEHG (in den beiden Fassungen vom 24. März 1995 sowie vom 22. Juni 2007), Art. 9, 10, 12 und 13 BEHV-EBK, Art. 15 Abs. 1 lit. c BEHV-FINMA; Art. 89 Abs. 1 lit. c und Art. 95 BGG, Art. 1 und 18 VwVG; börsenrechtliche Meldepflicht. Formelles, insbesondere Streitgegenstand, Legitimation und Kognition (E. 1 und 2). Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen (E. 3-5). Anwendbare Rechtsgrundsätze und zu gewährende Parteirechte im Rahmen der Vorabklärungen vor Eröffnung des ordentlichen Verwaltungsverfahrens über die Feststellung einer Verletzung der Meldepflicht (E. 6). Der die börsenrechtliche Meldepflicht auslösende indirekte Erwerb einer massgeblichen Beteiligung schliesst alles geschäftliche Handeln ein, das den Aufbau einer entsprechenden Beteiligung trotz Auseinanderfallens der wirtschaftlichen und formalen Berechtigung objektiv ermöglicht bzw. das im Ergebnis das Stimmrecht über die Beteiligungspapiere vermitteln kann, wenn aufgrund der Umstände darauf geschlossen werden muss, dass eine solche Beteiligung auch angestrebt wird. Beurteilung eines Geschäftsverhaltens, bei dem verschiedene miteinander verbundene Gesellschaften unter Verwendung eines für die Schweiz neuen Finanzinstruments (sog. "contract for difference", CFD) mit Blick auf die gleiche Zielgesellschaft koordiniert vorgingen (E. 7).

136 II 337 (2C_802/2009) from 19. April 2010
Regeste: Art. 85 BV; Art. 7 und 8 SVAG; Art. 14 SVAV (Fassung vom 12. September 2007); Erhebung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) gestützt auf den vom Bundesrat per 1. Januar 2008 erhöhten Abgabetarif. Rechtliche Grundlagen für die Erhebung der LSVA in Verfassung (E. 2.1), Gesetz (E. 2.2) und Verordnung (E. 2.3). Vereinbarkeit der streitigen Tariferhöhung (E. 3) mit dem Landverkehrsabkommen (E. 4.1); Verhältnis zwischen der Kostendeckungsvorgabe gemäss Art. 7 SVAG und der Delegationsnorm von Art. 8 SVAG (E. 4.2). Zulässige Mitberücksichtigung der vom Schwerverkehr bei den übrigen Verkehrsteilnehmern verursachten Stauzeitkosten als externe Kosten im Sinne der gesetzlichen Konzeption der LSVA (E. 5). Nicht zu beanstandende Berechnung der Kosten zulasten der Allgemeinheit bezüglich der Faktoren Klimakosten (E. 6.3) und Unfallkosten (E. 6.4) sowie des externen Nutzens des Schwerverkehrs (E. 6.5).

136 II 539 (1C_17/2010) from 8. September 2010
Regeste: Tempo-30-Zonen auf Durchgangsstrassen; Art. 3 Abs. 4 und Art. 32 Abs. 3 SVG, Art. 2a und 108 SSV sowie Art. 3 der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen. Der Touring Club Schweiz (Sektion Bern, Landesteil Bern-Mittelland) ist zur Anfechtung einer Tempo-30-Zone auf einer Durchgangsstrasse legitimiert ("egoistische Verbandsbeschwerde"; E. 1.1). Die Errichtung von Tempo-30-Zonen ist auch auf verkehrsorientierten Durchgangsstrassen ausnahmsweise zulässig, wenn aufgrund eines Gutachtens nachgewiesen ist, dass durch diese Massnahme auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann (E. 2.2 und 3.4). Die Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, in Tempo-30-Zonen eine vom Rechtsvortritt abweichende Vortrittsregelung zu treffen, wenn die Verkehrssicherheit es erfordert (E. 2.4). Das erstellte Gutachten und das Betriebskonzept legen schlüssig dar, weshalb die Einführung einer Tempo-30-Zone mit Wechselsignalisation (Tempo 30 von 06.30 Uhr bis 19.00 Uhr, Tempo 50 in der übrigen Zeit) als nötig, zweck- und verhältnismässig einzustufen ist (E. 3.4).

136 III 161 (5A_576/2009) from 25. November 2009
Regeste: Art. 30 Abs. 1 ZGB; Namensänderung eines Ehegatten. Ehegatten kann eine Namensänderung nach Art. 30 Abs. 1 ZGB bewilligt werden, sofern der oder die Namen den eherechtlichen Namensregeln (Art. 160 und Art. 30 Abs. 2 ZGB) entsprechen. Im konkreten Fall hat die kantonale Behörde ihr Ermessen nicht verletzt, wenn sie einer Ehefrau, die den Namen des Ehemannes führt, trotz des vorgelegten Arztzeugnisses die Bewilligung zum Doppelnamen verweigert hat (E. 3).

136 III 261 (5A_108/2010) from 6. April 2010
Regeste: Art. 647d Abs. 2 und Art. 647e Abs. 2 ZGB; bauliche Massnahmen beim Stockwerkeigentum; Vetorecht des nicht zustimmenden Stockwerkeigentümers. Die Vorschriften über bauliche Massnahmen gemäss Art. 647c ff. ZGB betreffen beim Stockwerkeigentum die gemeinschaftlichen Teile und berücksichtigen die unterschiedlichen Interessen der Stockwerkeigentümer mit verschieden hohen Zustimmungserfordernissen (E. 2). Das Vetorecht des nicht zustimmenden Stockwerkeigentümers gegen nützliche und luxuriöse bauliche Massnahmen setzt ein Nutzungs- und Gebrauchsrecht voraus, dessen Ausübung durch die rechtsgültig beschlossenen Änderungen oder Arbeiten im Gesetzessinne beeinträchtigt wird (E. 3). Ein ausschliessliches Nutzungs- und Gebrauchsrecht an gemeinschaftlichen Teilen bedarf der Grundlage im Reglement oder in einem Beschluss der Stockwerkeigentümergemeinschaft und kann nicht formlos begründet werden (E. 4).

136 III 513 (4A_408/2010) from 7. Oktober 2010
Regeste: Art. 336 OR; missbräuchliche Kündigung. Der Arbeitnehmer ist vor einer Rachekündigung nur geschützt (Art. 336 Abs. 1 lit. d OR), sofern er nach Treu und Glauben annehmen kann, dass die von ihm geltend gemachten Ansprüche berechtigt sind. Es ist nicht erforderlich, dass sie tatsächlich begründet sind. Die Kündigung ist jedoch nicht missbräuchlich, sofern der Arbeitnehmer Ansprüche geltend macht, die beim Entscheid zur Entlassung keine kausale Rolle gespielt haben (E. 2.4 und 2.6). Nicht missbräuchlich im Sinne von Art. 336 Abs. 1 lit. a OR ist eine Kündigung, die aufgrund von charakterlichen Unzulänglichkeiten des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, die sich schädlich auf die gemeinsame Arbeit auswirken. Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob es sich dabei um eine Eigenschaft nach dieser Bestimmung handelt, die der anderen Partei "kraft ihrer Persönlichkeit zusteht" (E. 2.5 und 2.6).

136 III 534 (5A_421/2010) from 22. Oktober 2010
Regeste: Abtretung von Rechtsansprüchen nach Art. 260 Abs. 1 SchKG. Über den von mehreren Abtretungsgläubigern eingeklagten Anspruch der Masse kann nur einheitlich entschieden werden (E. 2). Der Vorschlag der Konkursverwaltung an die Gläubiger, auf die Geltendmachung eines Anspruchs durch die Masse zu verzichten, und die Aufforderung, für den Fall des Verzichts die Abtretung zu verlangen, können im gleichen Rundschreiben Platz finden (E. 3 und 4).

136 III 552 (4A_348/2010, 4A_358/2010) from 8. Oktober 2010
Regeste: Arbeitsvertrag; Kündigung anlässlich einer Betriebsübertragung (Art. 333 Abs. 1 OR). Begriff der Betriebsübertragung im Sinne von Art. 333 Abs. 1 OR (E. 2). Nur die im Zeitpunkt des Übergangs des Betriebes bestehenden Arbeitsverhältnisse gehen auf den Erwerber über. Eine betriebsübergangsbedingte Kündigung stellt nicht in jedem Fall eine Umgehung von Art. 333 Abs. 1 OR dar, namentlich nicht, wenn sie durch wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt ist (E. 3). Vorliegend stellt die Beschränkung der Zahl der vom Erwerber übernommenen Arbeitsverträge keine Verletzung von Art. 333 Abs. 1 OR dar, weil diese Beschränkung auf wirtschaftlichen Gründen beruhte (E. 4 und 5).

136 III 587 (5A_534/2010) from 28. Oktober 2010
Regeste: Art. 85a Abs. 2 und Art. 173 Abs. 1 SchKG; Einstellung der Betreibung und Aussetzung des Konkursentscheides. Wird vor dem Entscheid über das Konkursbegehren eine negative Feststellungsklage anhängig gemacht, ist zuerst über die Einstellung der Betreibung zu befinden; diese kann superprovisorisch verfügt werden (E. 2).

136 III 636 (5A_512/2010) from 10. November 2010
Regeste: Art. 22 Abs. 1, Art. 231 Abs. 3 Ziff. 1 und Art. 260 SchKG; Nichtigkeit, Abtretung von Rechtsansprüchen der Masse im summarischen Konkursverfahren. Bedingungen, unter welchen der Verzicht der Masse, Rechtsansprüche selber geltend zu machen, und das Angebot zur Abtretung nichtig sind (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 2). Die Frage des Verzichts der Masse auf Geltendmachung von zweifelhaften oder strittigen Forderungen des Gemeinschuldners sowie das Angebot zur Abtretung an einzelne Gläubiger können auf dem Wege der Publikation vorgelegt werden (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3).

137 I 31 (1C_428/2009) from 13. Oktober 2010
Regeste: Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen; Art. 10 Abs. 2, Art. 22, Art. 32 Abs. 1, Art. 36 und 49 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 und Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 82 lit. b BGG. Die Bestimmungen des Konkordates über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (Konkordat) können mit Beschwerde nach Art. 82 lit. b BGG angefochten werden (E. 1.3). Die im Konkordat vorgesehenen Massnahmen (Rayonverbot, Meldeauflage und Polizeigewahrsam) sind polizeilicher Natur (E. 3 und 4). Sie sind mit dem Bundesrecht vereinbar (E. 4) und halten vor der Unschuldsvermutung stand (E. 5). Die Massnahmen beeinträchtigen die persönliche Freiheit und die Versammlungsfreiheit. Das Konkordat stellt eine verfassungsgemässe Grundlage für die Grundrechtseingriffe dar (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit; E. 6). Der Polizeigewahrsam als Massnahme zur Durchsetzung von Rayonverboten lässt sich unter die von der EMRK zugelassenen Freiheitsbeschränkungen subsumieren (E. 7). Die Empfehlung von Stadionverboten hält vor der Verfassung stand (E. 8).

137 I 69 (2C_120/2010) from 16. Dezember 2010
Regeste: Widerruf einer ursprünglich fehlerhaften Verfügung; Art. 9 BV. Auch eine Aufsichtsbehörde ist zuständig, die von der beaufsichtigten Behörde erlassene Verfügung zu widerrufen (E. 2.1). Voraussetzungen des Widerrufs: - Gegenüberstehen des Interesses an der richtigen Durchführung des objektiven Rechts und desjenigen des Vertrauensschutzes - dieses allerdings nur dann, wenn seine Voraussetzungen überhaupt erfüllt sind (E. 2.2 und 2.3); - Prüfung der Voraussetzungen des Vertrauensschutzes (E. 2.5); - Interessengewichtung und -abwägung (E. 2.6).

137 I 135 (4A_546/2010) from 17. März 2011
Regeste: Art. 257a Abs. 1 und Art. 257b Abs. 1 OR, Art. 49 Abs. 1 BV, Art. 5 und 6 ZGB; Mietvertrag; Nebenkosten; derogatorische Kraft des Bundesrechts. Zwingende Natur von Art. 257a und 257b OR, welche die Nebenkosten definieren. Der Mietvertrag kann dem Mieter nicht rechtsgültig als Nebenkosten Auslagen auferlegen, die keinen Zusammenhang mit der Benutzung der Mietlokalitäten haben (E. 2.4). Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts. Ein kantonales Gesetz bezüglich der Erstellung von Sozialwohnungen, das Gebäude erfasst, die keine Bundeshilfe im Sinne des WEG erhalten, darf nicht von Art. 257a Abs. 1 und Art. 257b Abs. 1 OR abweichen und dem Vermieter erlauben, als Nebenkosten Auslagen in Rechnung zu stellen, die mit dem Bestehen der Mietsache selber verbunden sind (E. 2.5-2.8).

137 I 235 (1D_1/2011) from 13. April 2011
Regeste: Art. 29a, 50 BV, Art. 14 lit. b, Art. 50 BüG; Einbürgerung, Gemeindeautonomie, kantonales Gerichtsverfahren, Sprachkenntnisse und Integration. Das kantonale Gericht, das ablehnende Entscheide über Einbürgerungen beurteilt, hat gestützt auf die Rechtsweggarantie eine freie Überprüfung des Sachverhalts und der Rechtsanwendung vorzunehmen. Es wahrt dabei den Gestaltungsbereich der unteren Instanzen und der Gemeinden (E. 2.5). Sprachniveau, das im Regelfall von Einbürgerungswilligen verlangt werden darf (E. 3.4). Verfahrensrechtliche Mindestanforderungen an die Ermittlung der Sprachkenntnisse (E. 3.5).

137 II 182 (2C_450/2009) from 10. Februar 2011
Regeste: Landwirtschaftliches Gewerbe: Berücksichtigung verschiedener Faktoren zur Berechnung der Standardarbeitskraft; Art. 2, 7, 84 BGBB; Art. 2a VBB; Art. 3, 14, 27 LBV; Art. 70 LwG; Art. 14 Abs. 1-6 GSchG; Art. 26 GSchV; Art. 2 und 10 WaG. Bei der Beurteilung des Arbeitsaufwandes und auch der Frage, ob ein landwirtschaftliches Gewerbe vorliegt, ist auf durchschnittliche Bewirtschaftungsformen abzustellen (E. 3.1.3); die DZV (SR 910.13) bildet nicht den zu berücksichtigenden Massstab, da deren Vorgaben freiwillig sind (E. 3.2.3). Für die Standardarbeitskraft relevant sind die Nutzfläche und die Nutztiere. Anforderungen an die Nutzflächen stellt Art. 14 GSchG: massgebend ist eine ausgeglichene Düngerbilanz. Zu berücksichtigen ist dabei, dass in höheren Lagen ein tieferer Grenzwert für Düngergrossvieheinheiten/ha Nutzfläche gilt (E. 3.2.4.2). Nur effektiv zugepachtete Grundstücke können berücksichtigt werden (E. 3.3). Futterzukäufe sind entsprechend dem Produktemodell nicht ausgeschlossen. Korrektiv bildet die ausgeglichene Düngerbilanz (E. 3.5). Ist die Grösse der landwirtschaftlichen Nutzflächen aufgrund von Waldgrundstücken unklar, ist von Amtes wegen eine Waldfeststellung durchzuführen und das Verfahren des bäuerlichen Bodenrechts mit dem Waldfeststellungsverfahren materiell und formell zu koordinieren (E. 3.7).

137 III 226 (4A_16/2011) from 18. März 2011
Regeste: Produktehaftpflicht; ersatzfähiger Schaden (Art. 1 PrHG); Nachweis eines Fabrikationsfehlers (Art. 4 Abs. 1 PrHG); Ausnahme von der Haftung nach Art. 5 Abs. 1 lit. e PrHG. Eine Person, der eine Hüftprothese implantiert worden ist, kann den Ersatz des Folgeschadens verlangen, der sich aus einer durch die fehlerhafte Prothese verursachten Körperverletzung ergibt, und zwar ohne dass geprüft werden müsste, ob es sich beim Implantat um eine zum privaten Gebrauch des Patienten bestimmte Sache handelt (E. 2). Der Geschädigte hat den Fehler zu beweisen. Auch wenn mitunter kein strikter Beweis verlangt werden kann, kommt es nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Der Geschädigte kann daher der Herstellerin nicht vorwerfen, ihre Produktionsverfahren nicht aufgezeigt zu haben, nachdem ihm der Beweis eines Produktionsfehlers misslungen ist, weil er die strittige Prothese nicht vorweisen konnte (E. 3). Eine Produktehaftpflicht für Entwicklungsrisiken ist ausgeschlossen, mithin für unvorhersehbare Risiken, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts nach dem damaligen Stand der Wissenschaft sowie der Technik nicht erkennbar waren (E. 4).

137 III 261 (4A_239/2010) from 25. Januar 2011
Regeste: Lugano-Übereinkommen; Sistierung des Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine Vollstreckbarkeitserklärung. Zulässigkeit einer Beschwerde beim Bundesgericht gegen einen kantonalen Entscheid, der das Exequaturverfahren sistiert (E. 1). Einwände, die bezüglich des Entscheids über die Sistierung berücksichtigt werden dürfen (E. 3).

137 III 303 (4A_53/2011) from 28. April 2011
Regeste: Art. 337 Abs. 1 OR; gerechtfertigte fristlose Kündigung des Vertrags durch den Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer kann unter Umständen ein legitimes Interesse daran haben, die vertraglich vereinbarte Leistung tatsächlich zu erbringen. Ein solches Interesse an einer tatsächlichen Beschäftigung muss namentlich bei einem professionellen Sportler, im vorliegenden Fall bei einem Fussballspieler, anerkannt werden (E. 2.1). Ein Arbeitnehmer, dessen Persönlichkeit i.S. von Art. 328 Abs. 1 OR verletzt wurde, kann eine Genugtuung gemäss den Voraussetzungen des Art. 49 Abs. 1 OR verlangen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2.2).

137 III 324 (4A_178/2011) from 28. Juni 2011
Regeste: a Vorsorgliche Massnahmen; Eintretensvoraussetzungen; Anforderungen an die Beschwerdebegründung (Art. 93 Abs. 1 lit. a und Art. 42 Abs. 2 BGG). Es ist fraglich, ob im Zusammenhang mit vorsorglichen Massnahmeentscheiden am bisherigen Verständnis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG festgehalten werden kann. Der Beschwerdeführer, der einen Massnahmeentscheid beim Bundesgericht anficht, hat in der Beschwerdebegründung aufzuzeigen, inwiefern ihm im konkreten Fall ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur droht (E. 1.1).

137 III 475 (5A_478/2011) from 30. September 2011
Regeste: Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft, Gewährung der aufschiebenden Wirkung in der Berufung; Art. 75 Abs. 2, Art. 93 Abs. 1 und Art. 98 BGG; Art. 315 Abs. 4 lit. b und Abs. 5 ZPO. Eintretensvoraussetzungen und Beschwerdegründe der Beschwerde in Zivilsachen (E. 1 und 2). Eine Berufung, die Eheschutzmassnahmen zum Gegenstand hat, ist kraft Art. 315 Abs. 4 lit. b ZPO nicht mit aufschiebender Wirkung versehen; die Vollstreckung der Massnahmen kann unter den Voraussetzungen von Art. 315 Abs. 5 ZPO dennoch aufgeschoben werden (E. 4.1). Prüfung im vorliegenden Fall (E. 4.2-4.4).

137 III 517 (5A_293/2011) from 10. Oktober 2011
Regeste: Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG; Anerkennung eines ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz, Gegenrecht. Auf dem Gebiet des internationalen Konkursrechts hält Finnland Gegenrecht (E. 3).

137 IV 134 (1C_424/2010) from 2. Februar 2011
Regeste: Art. 80h lit. b IRSG; Art. 84 und 89 Abs. 1 BGG; Art. 9a IRSV; internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Legitimation zur Anfechtung einer Schlussverfügung. Zeugenbefragung und Aktenedition; Beschwerdelegitimation von juristischen Personen und ihren Organen. Zusammenfassung und Präzisierung der Praxis (E. 5 und 6). Rechtshilferechtlich relevanter Begriff der tatsächlichen Verfügungsgewalt über Dokumente; unmittelbare und direkte Betroffenheit der juristischen Person in der vorliegenden Konstellation verneint (E. 7).

137 IV 219 (1B_123/2011) from 11. Juli 2011
Regeste: Art. 9, 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 6, 10 Abs. 3, Art. 139 Abs. 1, Art. 324 i.V.m. Art. 319 Abs. 1 sowie Art. 453 Abs. 1 StPO; Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 i.V.m. Art. 132 Abs. 1 BGG; Art. 29 Abs. 3 BGerR; Art. 122-125 StGB; Einstellung der Strafuntersuchung; strafprozessualer Grundsatz "in dubio pro duriore"; Untersuchungsmaxime; rechtliches Gehör; Willkürverbot. Intertemporalrechtliche Bestimmungen betreffend die Anwendbarkeit der StPO (E. 1.1), des BGerR (Zuständigkeit; E. 1.2) und des BGG (E. 2.1). Beschwerdeberechtigung des Privatklägers gegen definitive Verfahrenseinstellungen, wenn die Frage einer möglichen Strafbarkeit von weiteren Untersuchungsergebnissen abhängt (E. 2.2-2.7). Im vorliegenden Fall lässt sich eine strafbare Körperverletzung (durch einen medizinischen Kunstfehler) nicht mit grosser Wahrscheinlichkeit ausschliessen. Es bestehen Anhaltspunkte für schwere, sich langfristig auswirkende Gesundheitsschäden zum Nachteil des Privatklägers infolge eines (durch Erbgut-Schädigungen verursachten) deutlich erhöhten Krebsrisikos. Die definitive Einstellung des Strafverfahrens durch die Untersuchungsbehörde mangels Strafbarkeit verstösst gegen Bundesrecht, insbesondere gegen den Grundsatz "in dubio pro duriore" (E. 3-8). Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist auf die Frage der Einstellung oder Anklageerhebung nach Abschluss der Strafuntersuchung nicht anwendbar (E. 7.3).

137 IV 230 (1B_232/2011) from 12. Juli 2011
Regeste: Art. 81 BGG, Art. 222, 226 Abs. 5 und Art. 388 StPO; Untersuchungshaft, Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen Freilassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts. Rechtsschutzinteresse der Staatsanwaltschaft an der Beschwerdeführung gegen die Beendigung der Untersuchungshaft (E. 1). Die Beschwerdeinstanz kann ohne vorherige Anhörung der beschuldigten Person die vorläufige Weiterführung der Haft anordnen, wenn dies zum Schutz des Untersuchungszwecks notwendig ist (E. 2.2.1). Die Nichtbehandlung des Gesuchs um vorläufige Weiterführung der Untersuchungshaft führt zur Vereitelung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft (E. 2.3).

137 IV 297 (6B_277/2011) from 3. November 2011
Regeste: Art. 117 AuG; Teilnahme eines ausländischen Stellenbewerbers, der nicht berechtigt ist, in der Schweiz zu arbeiten, an einem Anstellungsverfahren. Die Bewilligung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz muss nach Vertragsabschluss und im Zeitpunkt des Stellenantritts vorliegen. Die Stellenbewerbung und die Teilnahme an einem Anstellungsverfahren setzen keine entsprechende Bewilligung voraus. Der Arbeitgeber, der einen ausländischen Stellenbewerber im Hinblick auf eine allfällige Anstellung probeweise arbeiten lässt, beschäftigt diesen nicht im Sinne von Art. 117 AuG (E. 1).

137 V 133 (8C_564/2010) from 11. April 2011
Regeste: Art. 14 Abs. 2 AVIG; Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit, ähnliche Gründe. An der Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 219, wonach die Auflösung eines Konkubinates keinen ähnlichen Grund im Sinne des Art. 14 Abs. 2 AVIG darstellt, wird festgehalten (E. 4-7).

137 V 143 (8C_930/2010) from 30. März 2011
Regeste: Art. 13, Art. 14 Abs. 1 und Art. 30 ZUG; Kostenersatzpflicht des Wohnkantons für vom Aufenthaltskanton im Rahmen der Unterstützung eines Bedürftigen im Notfall übernommenen Kosten eines Sanitätstransports. Eine kantonale Praxis, nach erfolglosem Versuch des Leistungserbringers, die Transportkosten bei der unterstützten Person auf betreibungsrechtlichem Weg einzufordern (Erhalt eines Verlustscheins), von der Bedürftigkeit der Person auszugehen, verletzt weder den bundesrechtlichen Begriff der Bedürftigkeit noch das Subsidiaritätsprinzip staatlicher Unterstützungsleistungen. Umfang der diesbezüglichen Abklärungspflicht des Aufenthaltskantons (E. 3 und 4).

137 V 193 (8C_137/2011) from 13. Mai 2011
Regeste: Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 UVG; Art. 134 Abs. 3 UVV; freiwillige Unfallversicherung. Im Bereich der freiwilligen Unfallversicherung steht es den Versicherern nicht frei, den Bewerbern den Vertragsabschluss ohne jegliche Begründung zu verweigern. Nur in im Sinne von Art. 134 Abs. 3 UVV begründeten Fällen können sie den Abschluss der beantragten Versicherung ablehnen (E. 5.4).

137 V 321 (9C_12/2011) from 8. August 2011
Regeste: Art. 5 Abs. 2 und 4 AHVG; Art. 6 Abs. 2 lit. h und Art. 8 lit. a AHVV; freiwillige Vorsorgekapitalleistungen eines patronalen Wohlfahrtsfonds als massgebender Lohn. Nach einer objektbezogenen Betrachtungsweise kann die Beitragspflicht auch gegeben sein, wenn ein anderes Rechtssubjekt als der Arbeitgeber eine Zuwendung tätigt, sofern diese in einem wirtschaftlichen Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis steht (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2). Zuwendungen patronaler Wohlfahrtsfonds sind als Ermessensleistungen grundsätzlich beitragspflichtig (E. 3.1). Stellungnahmen in der Doktrin (E. 3.2). Konzeption der Beitragsordnung gemäss Art. 6 ff. AHVV im vorsorgerechtlichen Kontext (E. 3.3). Folgerungen im Einzelfall (E. 4).

138 I 49 (5A_704/2011) from 23. Februar 2012
Regeste: Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV, Art. 314 Abs. 1, Art. 404 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 ZPO; Übergangsrecht; Bestimmung der Dauer der Frist zur Berufung gegen einen im beschleunigten Verfahren nach dem bisherigen kantonalen Recht ergangenen Entscheid über vorsorgliche Massnahmen; Vertrauensschutz bei falscher Belehrung über die Berufungsfrist. Es ist nicht willkürlich anzunehmen, dass die Dauer der Berufungsfrist von der Art des Verfahrens abhängt, dem der Entscheid über vorsorgliche Massnahmen gemäss der ZPO unterstellt ist (E. 7). Fall des Vertrauensschutzes in die falsche Belehrung über die Berufungsfrist (E. 8).

138 I 61 (1C_176/2011) from 20. Dezember 2011
Regeste: Eidgenössische Volksabstimmung über die Unternehmenssteuerreform vom Februar 2008, Abstimmungsfreiheit, nachträglicher Rechtsschutz, Zuständigkeit; Art. 29, 29a, 34 und 189 BV, Art. 77 ff. BPR. Grundzüge des Rechtsschutzes in Stimmrechtssachen vor und nach dem Inkrafttreten der Justizreform (E. 3). Rechts- und Rechtsmittelweg bei Unregelmässigkeiten anlässlich von eidgenössischen Abstimmungen (E. 4.1). Problematik erst nachträglich bekannt gewordener Unregelmässigkeiten des Abstimmungsverfahrens (E. 4.2). Verfassungsrechtlicher Anspruch auf Revision oder Wiedererwägung; Anwendung auf kantonale und eidgenössische Stimmrechtssachen (E. 4.3). Zuständigkeit des Bundesgerichts (E. 4.4). Voraussetzungen (E. 4.5 und 4.6). Entscheidbefugnis des Bundesgerichts (E. 4.7). Voraussetzungen für die materielle Beurteilung der Rüge der Verletzung der Abstimmungsfreiheit (E. 5). Grundzüge der Abstimmungsfreiheit; Anforderungen an Abstimmungserläuterungen; Geltung auf Bundesebene (E. 6). Überprüfung von Abstimmungserläuterungen des Bundesrates; Prüfung der Informationslage vor Abstimmungen unter dem Gesichtswinkel der Abstimmungsfreiheit (E. 7). Informationen vor der umstrittenen Volksabstimmung (E. 8.2 und 8.3); Tragweite von Prognosen (E. 8.4); Fehlen wesentlicher Elemente für die Meinungsbildung verletzt die Abstimmungsfreiheit (E. 8.6); prozessuale Folgen (E. 8.7).

138 I 113 (8C_294/2011) from 29. Dezember 2011
Regeste: Art. 9 BV; Art. 10 des Gesetzes vom 14. Juni 2006 über das Arbeitsverhältnis der Mitarbeitenden des Kantons Graubünden; Rechtzeitigkeit der fristlosen Entlassung durch den Arbeitgeber. Zusammenfassung der Kriterien, welche hinsichtlich der Erklärungsfrist für die fristlose Kündigung im privatrechtlichen (E. 6.3) und im öffentlich-rechtlichen (E. 6.4) Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen sind. Mit Blick auf die Besonderheiten der Kündigung eines öffentlich-rechtlichen im Vergleich zu einem privatrechtlichen Anstellungsverhältnis wurde die fristlose Entlassung eines Lehrers angesichts der konkreten Umstände als nicht verwirkt betrachtet (E. 7).

138 I 131 (1C_578/2010) from 20. Dezember 2011
Regeste: Art. 34, 36 Abs. 2 und 3, Art. 49 BV; Art. 33 RPG; Gültigkeit der kantonalen Volksinitiative "Sauver Lavaux". Die Initiative zielt insbesondere auf die unmittelbare Anwendbarkeit der im kantonalen Gesetz vom 12. Februar 1979 über den Schutzplan für das Gebiet von Lavaux enthaltenen Grundsätze und der dazugehörigen Karte ab. Sie schafft überdies eine Planungszone für den Zeitraum der Anpassung der Karte. Es handelt sich daher um eine einem Nutzungsplan vergleichbare Massnahme, die den Anforderungen von Art. 33 RPG untersteht (E. 4). Die Initiative sieht keinerlei Einsprache- und Beschwerderecht gegen diese Planungsmassnahmen vor. Das demokratische Gesetzgebungsverfahren kann jedoch als Ersatz für die öffentliche Auflage dienen (E. 5.1-5.3). Art. 33 RPG ist ausserdem unmittelbar anwendbar, so dass gegen sich aus der Initiative ergebende Massnahmen eine Beschwerdemöglichkeit an eine Behörde mit freier Prüfungsbefugnis eingerichtet werden muss (E. 5.4). Weder die Festlegung der Freihaltezone noch die Einrichtung einer Planungszone verletzen Bundesrecht (E. 6). Der Eingriff in die Gemeindeautonomie ist im vorliegenden Fall zulässig (E. 7). Mangels offensichtlichen Widerspruchs zum übergeordneten Recht muss die Initiative in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro populo" als zulässig erklärt werden.

138 I 217 (1C_131/2012) from 13. Juni 2012
Regeste: Art. 8 und 27 BV, Art. 133 Abs. 2 StPO; Beschränkung der Zahl der in eine offizielle Liste aufgenommenen amtlichen Verteidiger und diesbezügliche Wahlpraxis des Regierungsrats des Kantons Luzern. Eine auf der Parteizugehörigkeit basierende Wahl amtlicher Verteidiger verletzt das Diskriminierungsverbot (E. 3.3). Die Beschränkung der Zahl der in die Liste aufgenommenen amtlichen Verteidiger an sich verletzt weder das Rechtsgleichheitsgebot noch das Diskriminierungsverbot. Die amtliche Verteidigung fällt zudem nicht in den Schutzbereich der Wirtschaftsfreiheit (E. 3.4).

138 I 225 (9C_881/2011) from 27. Juni 2012
Regeste: Art. 14 ELG; § 8 Abs. 3 ELG/SZ; Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten im Rahmen von Ergänzungsleistungen. Die Limitierung der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten in Verweisung auf Art. 14 ELG verletzt weder das Gleichbehandlungsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV und Art. 14 EMRK noch das Recht auf Familienleben gemäss Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK (E. 3.5-3.9).

138 I 305 (1D_6/2011) from 12. Juni 2012
Regeste: Zulässigkeit der Rügen der Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) und des Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 Abs. 1 BV) in Einbürgerungsangelegenheiten. Art. 14 des Bürgerrechtsgesetzes (BüG) dient individuellen Interessen und regelt materielle Einbürgerungsvoraussetzungen konkret, indem (Mindest-)Kriterien der Eignung festgelegt werden. Art. 14 BüG verschafft einer einbürgerungswilligen Person im Ergebnis eine hinreichend klar umschriebene Rechtsposition, die es ihr ermöglicht, sich im Verfahren der subsidiären Verfassungsbeschwerde auf das Willkürverbot (Art. 9 BV) und den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV) zu berufen (E. 1.4.5 und 1.4.6). Materiell verstösst der angefochtene Entscheid nicht gegen das Willkürverbot (E. 4).

138 II 191 (2C_727/2011) from 19. April 2012
Regeste: Art. 27 BV, Art. 25a Abs. 5 und Art. 39 KVG, Art. 58e KVV, Art. 10 Abs. 2 ELG, Art. 25a ELV; Gesetz des Kantons Neuenburg vom 28. September 2010 über die Finanzierung der Pflegeheime; kantonale Gesundheitsplanung; Ergänzungsleistungen für Aufenthalt im Pflegeheim; Subventionen. Kategorien von Pflegeheimen im Kanton Neuenburg (E. 4.1). Die Zulassung eines Pflegeheims, Leistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung zu erbringen (Art. 39 KVG), verpflichtet den Kanton nicht, unter Vorbehalt der kantonalen Deckung der nach Art. 25a Abs. 5 KVG vorgesehenen Pflegeleistungen, es zu finanzieren (E. 4.2). Begriff des Leistungsauftrags (E. 4.3). Voraussetzungen für Subventionen an als gemeinnützig anerkannte Pflegeheime (E. 4.4). Deckung durch die Kantone des das soziale Existenzminimum nach ELG einer zu Hause lebenden Person übersteigenden Restbetrags der Kosten für einen Pflegeheimaufenthalt; Möglichkeit, die für den Aufenthalt anerkannten Ausgaben nach oben zu begrenzen (E. 5.3 und 5.4). Kantonaler Beurteilungsspielraum und einzuhaltende Bedingungen (E. 5.5). Unter der Voraussetzung, dass es flexibel angewandt wird und genügend Aufnahmekapazitäten vorgesehen werden, verstösst das kantonale System, das darin besteht, die Mehrheit der auf Ergänzungsleistungen angewiesenen Heimbewohner zu veranlassen, in ein gemeinnütziges, einer strikten staatlichen Kontrolle unterliegendes Pflegeheim zu ziehen, an sich nicht gegen Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG (E. 5.6-5.10).

138 II 545 (2C_565/2011) from 26. Oktober 2012
Regeste: a Art. 9 BV; Treu und Glauben; kein verbindliches "Ruling" der Eidgenössischen Steuerverwaltung oder anderer kantonaler Steuerverwaltungen im Bereich der Kantons- und Gemeindesteuern. Im Bereich der Staats- und Gemeindesteuern sind einzig die Steuerbehörden des betroffenen Kantons zuständig, auf vorherige Anfrage hin über die Zulässigkeit eines gegebenenfalls problematischen Sachverhalts zu befinden. Werden diese Behörden nicht angefragt, sind sie durch allfällige Zusicherungen einer anderen kantonalen oder der Eidgenössischen Steuerverwaltung nicht gebunden (E. 2).

138 III 97 (5A_662/2011) from 18. Januar 2012
Regeste: Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB; Ehegattenunterhalt während des Getrenntlebens; Konkubinat. Auswirkungen eines nichtehelichen Zusammenlebens auf den Unterhaltsanspruch im Rahmen gerichtlicher Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft (E. 2 und 3).

138 III 193 (5A_636/2011) from 10. Februar 2012
Regeste: Art. 212 ZGB; Bewertung eines landwirtschaftlichen Gewerbes im Eigengut eines Ehegatten; Ersatzforderungen der Errungenschaft auf Unternehmensertrag. Das behördliche Schätzungsgutachten über den Ertragswert und den Nutzwert ist für das Zivilgericht verbindlich (E. 3), während die Ermittlung des Verkehrswertes der freien gerichtlichen Beweiswürdigung unterliegt (E. 4). Aufwendungen zur Erhaltung und Erneuerung des Betriebsinventars vermindern den Unternehmensertrag und damit die Errungenschaft (E. 5). Beweisthema bei Investitionen ist der konkrete Zahlungsfluss (E. 6).

138 III 232 (5A_581/2011) from 5. März 2012
Regeste: Art. 278 SchKG, Arresteinsprache; Glaubhaftmachung der Arrestforderung. Grundsätze zur Arrestbewilligung und -einsprache sowie zur Anfechtung des Einspracheentscheides (E. 4.1). Prüfung, ob die Arrestforderung gegenüber der Republik Usbekistan oder einer staatlich gegründeten Einrichtung besteht (E. 4.2-4.5).

138 III 348 (5A_540/2011) from 30. März 2012
Regeste: Art. 165 Abs. 2 ZGB; angemessene Entschädigung. Voraussetzungen der Gewährung einer angemessenen Entschädigung an den Ehegatten, der aus seinem Einkommen oder Vermögen an den Unterhalt der Familie mehr beigetragen hat, als er verpflichtet war (E. 7.1.1 und 7.1.2). Berechnung des Betrags der Entschädigung (E. 7.1.3). Prüfung des vorliegenden Falls (E. 7.2-7.4).

138 III 374 (5A_651/2011) from 26. April 2012
Regeste: Art. 52, 310, 311 und 316 Abs. 3 ZPO; Beweiserhebung im Berufungsverfahren; Begründung der Berufung. Grundsätze, die im Rahmen eines Eheschutzprozesses für die Beweiserhebung im Berufungsverfahren gelten. Anforderungen an die Begründung der Berufung (E. 4.3).

138 III 489 (5A_473/2011) from 29. Mai 2012
Regeste: Art. 19 und 95 IPRG; Erbvertragsstatut und ausländisches Erbvertragsverbot. Massgebend für den Erbvertrag ist das Recht am Wohnsitz des Erblassers bzw. der Verfügenden zur Zeit des Vertragsabschlusses und nicht im Zeitpunkt des Todes (E. 3). Im zu beurteilenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass das brasilianische Erbvertragsverbot zwingend anzuwenden ist und damit den nach schweizerischem Recht gültig abgeschlossenen Erbvertrag als nichtig erscheinen lässt (E. 4).

138 III 520 (5A_754/2011) from 2. Juli 2012
Regeste: Art. IV Abs. 2 NYÜ; Erfordernis der Übersetzung des ausländischen Schiedsspruchs im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung. Die Formerfordernisse gemäss Art. IV NYÜ sind nicht streng zu handhaben und eine zu formalistische Anwendung dieser Bestimmung ist zu vermeiden. Nach heutigen Verhältnissen kann davon ausgegangen werden, dass die Gerichte bei Schiedssprüchen in englischer Sprache in der Regel nicht auf eine Übersetzung angewiesen sind (E. 4 und 5).

138 III 565 (5A_303/2012) from 30. August 2012
Regeste: Berufung gegen Entscheide über die Zuteilung der Obhut über die Kinder im Rahmen von Eheschutzmassnahmen bzw. vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens; Aufschub der Vollstreckung des angefochtenen erstinstanzlichen Entscheids (Art. 315 Abs. 5 ZPO). Grundsätze für die Behandlung des Gesuchs um Aufschub der Vollstreckung eines die Obhut regelnden erstinstanzlichen Massnahmeentscheides (E. 4.3).

138 III 675 (5A_84/2012) from 19. September 2012
Regeste: Art. 91 ff. ZPO; Art. 250 SchKG; Streitwert der Kollokationsklage im Konkurs. Grundsätze der Streitwertberechnung und Bedeutung der mutmasslichen Konkursdividende (E. 3).

138 IV 13 (6B_345/2011) from 17. November 2011
Regeste: Grobe Verletzung von Sitte und Anstand in der Öffentlichkeit (Art. 19 des Strafrechts des Kantons Appenzell A.Rh.), "Nacktwandern"; Gesetzgebungskompetenz der Kantone auf dem Gebiet des Übertretungsstrafrechts (Art. 335 Abs. 1 StGB); Bestimmtheitsgebot (Art. 1 StGB); persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV); Verbotsirrtum (Art. 21 StGB); Strafbefreiung wegen fehlenden Strafbedürfnisses (Art. 52 StGB). Die Kantone sind gestützt auf Art. 335 Abs. 1 StGB befugt, das "Nacktwandern" im öffentlichen Raum unter Strafe zu stellen (E. 3). Eine Norm, welche demjenigen Strafe androht, der "öffentlich Sitte und Anstand grob verletzt", ist hinreichend bestimmt (E. 4). Das "Nacktwandern" kann willkürfrei als grobe Verletzung von Sitte und Anstand qualifiziert werden (E. 5). Der Tatbestand setzt nicht voraus, dass der "Nacktwanderer" auf einen Menschen trifft, der dadurch in seinem Anstandsgefühl verletzt wird (E. 6). Verletzung des Grundrechts der persönlichen Freiheit verneint (E. 7). Verbotsirrtum verneint (E. 8). Keine Strafbefreiung wegen fehlenden Strafbedürfnisses (E. 9).

138 IV 92 (1B_442/2011) from 4. Januar 2012
Regeste: Art. 5 Abs. 2, Art. 222, 224 ff., 388 lit. b und Art. 393 StPO; Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichtanordnung der Untersuchungshaft durch das Zwangsmassnahmengericht. Vorgehen der Staatsanwaltschaft, damit sie die Freilassung des Beschuldigten bis zum Entscheid der Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz über die vorsorgliche Inhaftierung während des Beschwerdeverfahrens verhindern kann (E. 3). Lehnt die Verfahrensleitung die vorsorgliche Inhaftierung ab, kann die Staatsanwaltschaft diesen Entscheid nicht beim Bundesgericht anfechten (E. 2).

138 IV 178 (1B_205/2012) from 18. Juni 2012
Regeste: a Art. 15 Abs. 2, Art. 61 lit. a, Art. 307 Abs. 2 und 3 und Art. 312 Abs. 1 StPO; Mitteilungspflicht der Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft im Strafuntersuchungsverfahren. Die Polizei hat der Staatsanwaltschaft die Identität der in eine Straftat involvierten Personen bekannt zu geben, soweit ihr diese bekannt ist. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen einen Polizeibeamten führt (E. 2.1-2.4).

138 V 32 (9C_347/2011) from 26. Januar 2012
Regeste: Art. 356 ff. OR; Art. 1 Abs. 2 AVEG; Bundesratsbeschluss über die Allgemeinverbindlicherklärung des Gesamtarbeitsvertrages für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (GAV FAR); Beitragspflicht des Arbeitgebers. Die allgemeinverbindlich erklärte Pflicht des Arbeitgebers zur Entrichtung von Vorsorgebeiträgen an die Stiftung FAR beruht auf genügenden gesetzlichen Grundlagen (E. 3).

138 V 67 (9C_365/2011) from 17. Januar 2012
Regeste: Art. 10 Abs. 2 lit. b ELG; Betrag für persönliche Auslagen. Art. 4 Abs. 2 der Verordnung zum Einführungsgesetz des Kantons Genf über die bundesrechtlichen Ergänzungsleistungen zur AHV/IV widerspricht Bundesrecht, soweit diese Bestimmung vorsieht, dass die Höhe des Pauschalbetrags für persönliche Auslagen der in Heimen oder Spitälern lebenden anspruchsberechtigten Personen von deren tatsächlichen Ausgaben abhängt (E. 4).

138 V 386 (8C_325/2012) from 24. August 2012
Regeste: §§ 1 und 14 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich vom 14. Juni 1981; §§ 16 Abs. 1 und 30 der Verordnung vom 21. Oktober 1981 zum Sozialhilfegesetz; Behandlung des Überschusses im Sozialhilfebudget. Die Frage der Anrechenbarkeit von Taggeldern der Invalidenversicherung und andern Einkünften stellt sich so lange, als sich die Person sozialhilferechtlich in einer Notlage befindet. Es ist nicht bundesrechtswidrig, wenn die Sozialhilfebehörde bei laufenden, nicht immer den tatsächlichen Bedarf deckenden, variablen Einnahmen allfällige Überschüsse nicht monatlich abrechnet und der Person ausrichtet (E. 4).

139 I 145 (2C_240/2012) from 15. März 2013
Regeste: Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b und Art. 51 Abs. 1 lit. b AuG; Art. 96 Abs. 1 AuG; Art. 8 Ziff. 1 und 2 EMRK; Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung; Verhältnismässigkeitsprüfung beim Vorliegen von Widerrufsgründen. Wiederholung der massgeblichen Kriterien für die Abwägung zwischen den öffentlichen Fernhalteinteressen und den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz (E. 2.4 und 2.5). Grundsätzliches Festhalten an der sog. "Reneja"-Praxis, wonach einem Ausländer nach bloss kurzer Aufenthaltsdauer und bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr in der Regel selbst dann kein Aufenthaltstitel mehr zu erteilen ist, wenn der schweizerischen Ehepartnerin die Ausreise nicht oder nur schwer zuzumuten ist. Wie bisher stellt diese sog. "Zweijahresregel" aber - ungeachtet der Art der Delinquenz - keine feste Grenze dar. Entscheidend ist stets das Gesamtbild eines jeden Einzelfalles, welches anhand von sämtlichen massgeblichen Kriterien zu bewerten ist. Trotz der Verurteilung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe erweist sich die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung im vorliegenden Fall, namentlich aufgrund der familiären Situation des Betroffenen, als unverhältnismässig (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3.4-3.9).

139 II 185 (2C_347/2012, 2C_357/2012) from 28. März 2013
Regeste: Art. 4, 5, 19, 20, 21, 22, 65, 67, 70, 71 und 72 KEG, Art. 2 und 21 ENSIG, Art. 49 VwVG, KEV, ENSIV, VKNS, Art. 94 StSV, Gefährdungsannahmen- und Ausserbetriebnahmeverordnung. Bewilligungspflicht für den Betrieb von Kernanlagen, Voraussetzungen für Erteilung, Inhalt und Entzug der Betriebsbewilligung, allgemeine Pflichten des Bewilligungsinhabers, Aufsichtsbehörden und deren Aufgaben und Befugnisse (E. 4). Zuständigkeiten von Bewilligungs-, Aufsichts- und Rechtsmittelbehörden (E. 9). Verhältnis von Bewilligungs-, Aufsichts- und Bewilligungsentzugsverfahren; Voraussetzungen für die Befristung einer Betriebsbewilligung (E. 10). Anforderungen (zweistufiger Ansatz) an die nukleare Sicherheit im Normal- und Auslegungs- und auslegungsüberschreitendem Störfall sowie an Nachrüstungen (E. 11). Überprüfung des Vorwurfs der ungenügenden Prüfung durch das UVEK (E. 12). Zulässigkeit der Forderung eines Instandhaltungskonzepts durch die Vorinstanz (E. 13). Überprüfung einzelner Sicherheitsfragen: Kernmantel (E. 14.2), Erdbebengefährdung (E. 14.3), Kühlung (E. 14.4).

139 II 316 (4A_449/2012) from 23. Mai 2013
Regeste: Art. 4 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 und 2 lit. a KG; Behinderung des Wettbewerbs; Produkt mit geschützter Ursprungsbezeichnung. Abgrenzung des massgebenden Marktes, wenn ein konkurrierender Hersteller behauptet, in der Benutzung der Ursprungsbezeichnung behindert zu sein (E. 5.4 und 5.5). Marktbeherrschende Position, die sich aus Exklusivrechten an einer zur Herstellung unerlässlichen Anlage ergibt (E. 6). Ungerechtfertigte Weigerung, Zugang zur Anlage zu gewähren (E. 7 und 8).

139 III 252 (4A_655/2012) from 25. Februar 2013
Regeste: Art. 72 Abs. 2 lit. b und Art. 75 Abs. 2 BGG; Haftung des Staates für die Tätigkeit von Spitalärzten; Rechtsweg, Erfordernis des doppelten kantonalen Instanzenzugs. Die Beschwerde in Zivilsachen steht offen gegen in Anwendung von kantonalem öffentlichem Recht ergangene Entscheide über die Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen von in öffentlichen Spitälern angestellten Ärzten (E. 1.1-1.5; Bestätigung der Rechtsprechung). In diesen Fällen hat das kantonale Recht, wenn sie ab dem 1. Januar 2011 entschieden wurden, ein Rechtsmittel an ein oberes Gericht zuzulassen. Die Kantone bleiben jedoch frei in der Bestimmung der ersten Instanz (E. 1.6).

139 III 364 (5D_101/2013) from 26. Juli 2013
Regeste: Art. 9 BV; Art. 143 Abs. 3 ZPO; Einhaltung der Frist für die Zahlung an das Gericht. Grundsätze für die Einhaltung der Frist, wenn der Betrag für den Gerichtskostenvorschuss einem Post- oder Bankkonto belastet worden ist (E. 3).

139 III 475 (4A_314/2013) from 6. August 2013
Regeste: Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 117 lit. b ZPO; unentgeltliche Rechtspflege, Voraussetzung der Nichtaussichtslosigkeit. Einfluss der Parteirolle des um unentgeltliche Rechtspflege Ersuchenden auf die Beurteilung der Prozessaussichten. Gesuch des Rechtsmittelbeklagten in einem Fall, bei dem der angefochtene Entscheid an einem offensichtlichen, krassen Verfahrensfehler leidet (E. 2).

139 III 498 (5A_295/2013) from 17. Oktober 2013
Regeste: Art. 265a Abs. 1 SchKG, Art. 98 und 251 lit. d ZPO; Rechtsvorschlag mangels neuen Vermögens; Kostenvorschuss im summarischen Verfahren. Im summarischen Verfahren nach Rechtsvorschlag mangels neuen Vermögens ist der Schuldner die klagende Partei, von der das Gericht einen Kostenvorschuss verlangen kann (E. 2).

139 IV 113 (1B_387/2012) from 24. Januar 2013
Regeste: Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK; Art. 113 Abs. 1, Art. 130, 132 Abs. 1 lit. a und Art. 133 Abs. 2 StPO; amtliche und notwendige Verteidigung; Vorschlagsrecht des Beschuldigten betreffend die Person des amtlichen Verteidigers; Verbot des Selbstbelastungszwangs. Zwischenentscheid (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG): Drohender nicht wieder gutzumachender Nachteil bejaht, wenn eine Verletzung des Vorschlagsrechts der beschuldigten Person nach Art. 133 Abs. 2 StPO zur Diskussion steht (E. 1.2). Bei notwendiger Verteidigung setzt die Bestellung eines Offizialverteidigers, dessen Kosten vom Staat (vorläufig) zu bevorschussen sind, keinen Nachweis der finanziellen Bedürftigkeit des Beschuldigten voraus. Dass die Vorinstanz das gesetzliche Vorschlagsrecht bei der Ernennung des Offizialverteidigers davon abhängig macht, dass der Beschuldigte der Staatsanwaltschaft seine finanziellen Verhältnisse offenlegt und der erbetene Verteidiger ihn dazu aktiv anhalten muss, hält vor dem Bundesrecht nicht stand (E. 4 und 5).

139 V 331 (8C_17/2013) from 31. Mai 2013
Regeste: Art. 20 Abs. 2 und 3 UVG; Art. 32 Abs. 2 UVV; Komplementärrente. Keine analoge Anwendung von Art. 32 Abs. 2 UVV auf den Fall, in welchem der eine Invalidenrente begründende Unfall (wenn auch nur kurz) vor dem die Hinterlassenenrente der AHV auslösenden Ereignis stattgefunden hat (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4).

140 I 77 (9C_383/2013) from 6. Dezember 2013
Regeste: Art. 35 AHVG; Rentenplafonierung. Die Rentenplafonierung gemäss Art. 35 AHVG führt zu einer Ungleichbehandlung von Ehepaaren und eingetragenen Partnern einerseits sowie Konkubinatspaaren anderseits. Die Schlechterstellung in Bezug auf die Höhe der Altersrente darf nicht isoliert betrachtet werden, es gibt hiefür sachliche Gründe. Auch die EMRK verbietet den Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Behandlung von Personengruppen zur Behebung "tatsächlicher Ungleichheiten" nicht und belässt den Einzelstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit einen weiten Beurteilungsspielraum. In einer (sozialversicherungs-)rechtlichen Gesamtbetrachtung privilegiert das Gesetz Ehen und eingetragene Partnerschaften in mehrfacher Hinsicht. Auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR bewirkt die Rentenplafonierung keine unzulässige Diskriminierung (E. 6-9). Ob sich aus der EMRK Ansprüche auf positive staatliche Leistungen ableiten lassen, ist fraglich (E. 5.3 und 10).

140 I 201 (2C_421/2013) from 21. März 2014
Regeste: Art. 8, 9, 23, 35 und 36 BV; Art. 10 des Übereinkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau; Weigerung einer Universität, eine Studentenverbindung, die keine Frauen zur Mitgliedschaft zulässt, anzuerkennen und dieser Leistungen zu erbringen; Rechtsgleichheit; Gleichberechtigung von Mann und Frau; Vereinigungsfreiheit; Lösung von Grundrechtskollisionen. Darf ein Verwaltungsträger, der eine staatliche Aufgabe wahrnimmt und deswegen an die Grundrechte gebunden ist, einer zivilrechtlichen Studentenverbindung den Status als universitäre Vereinigung verwehren und die zugehörigen Leistungen verweigern, weil sie Frauen von der Mitgliedschaft ausschliesst (E. 5)? Eingriff in die universitäre Autonomie (E. 6.1-6.3). Grundrechtskollision, d.h. einerseits die legitime Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau durch die Universität, anderseits die Vereinigungsfreiheit und rechtsgleiche Behandlung der Studentenverbindungen (E. 6.4 und 6.5). Methodik und Problemlösung im vorliegenden Fall im Sinne des Vorrangs der Vereinigungsfreiheit (E. 6.6-6.8).

140 I 285 (2D_58/2013) from 24. September 2014
Regeste: Art. 9 und 50 Abs. 1 BV; Art. 83 lit. f und Art. 115 BGG; Art. 8 ZGB; Art. 21 BöB; IVöB; Reglement des Kantons Genf vom 17. Dezember 2007 über die Vergabe öffentlicher Aufträge; Beschwerdelegitimation einer Gemeinde; Gemeindeautonomie; Zulässigkeit eines Vergabekriteriums, welches die Lohnhöhe betrifft. Unzulässigkeit der Beschwerde im Rahmen von Art. 83 lit. f BGG (E. 1.1); Befugnis des Gemeinwesens, in seiner Eigenschaft als Vergabebehörde subsidiäre Verfassungsbeschwerde zu führen (E. 1.2). Standpunkt der Vorinstanz (E. 3). Autonomie der Gemeinde im betreffenden Bereich (E. 4). Es ist möglich, bei der Prüfung der Eignung des Angebots die gleichen Kriterien zu verwenden wie beim Zuschlag, wenn diese graduierbar sind (E. 5). Existenz einer allgemeinen Erfahrungsregel verneint, wonach ein direkter Bezug zwischen der Lohnhöhe und der Qualität der Leistungen bestünde (E. 6). Sozial oder ökologisch motivierte Vergabekriterien ohne direkten Zusammenhang mit den Leistungen des öffentlichen Auftrags dürfen herangezogen werden, wenn ein Gesetz dies vorsieht (E. 7).

140 I 320 (8C_340/2014) from 15. Oktober 2014
Regeste: Art. 9 BV; Art. 34 des Bildungsgesetzes des Kantons Obwalden vom 16. März 2006; Art. 2 der Verordnung des Kantons Obwalden vom 25. April 2008 über das Anstellungsverhältnis der Lehrpersonen (Lehrpersonenverordnung) in Verbindung mit Art. 42 der Personalverordnung des Kantons Obwalden vom 29. Januar 1998. Verweist eine kantonale Norm des öffentlichen Personalrechts auf eine Bestimmung des OR, so gilt Letztere als kantonale Norm (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3.3). Ein kantonaler öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber handelt nicht willkürlich, wenn er im Rahmen einer fristlosen Kündigung eine Sozialfrist gewährt (E. 7 und 8).

140 II 141 (2C_960/2012, 2C_961/2012) from 23. Januar 2014
Regeste: a Art. 30 Abs. 1 BV; Unregelmässigkeit in der Zusammensetzung einer letzten kantonalen Instanz. Das Bundesgericht prüft die Korrektheit der kantonalrechtlich geregelten Zusammensetzung der Vorinstanzen nur, wenn eine entsprechende Rüge erhoben worden ist; es unterlässt dies, wenn - wie hier - die Beschwerdeführer ausdrücklich darauf verzichtet haben (E. 1).

140 II 194 (2C_201/2013) from 24. Januar 2014
Regeste: Art. 19 Abs. 1 SV; Art. 5 Abs. 2 BV; Einfuhr von Fleisch zum (privilegierten) Kontingentszollansatz (KZA) oder zum (prohibitiven) Ausserkontingentszollansatz (AKZA); Verhältnismässigkeit; Präzisierung der Rechtsprechung. Zollkontingente in der Landwirtschaft dienen dem Schutz der inländischen Produktion. Die Pflicht zur vorgängigen Bezahlung des Zuschlagspreises bezweckt die Verhinderung von Importen ausserhalb der zugeteilten Kontingente und die Sicherstellung der Zahlung. Die Nachforderung des Differenzbetrags zwischen KZA und AKZA wegen verspäteter Bezahlung des Zuschlagspreises führt an diesen Regelungszielen vorbei und ist daher unverhältnismässig (E. 5).

140 III 6 (4A_294/2013) from 11. Dezember 2013
Regeste: Vertrauliche Anwaltskorrespondenz; rechtswidrig beschafftes Beweismittel (Art. 12 lit. a BGFA; Art. 152 Abs. 2 ZPO). Ein mit einem ausdrücklichen Vertraulichkeitsvorbehalt versehenes Schreiben darf, selbst eingeschwärzt, im Gerichtsverfahren nicht eingereicht werden, ausser die Vertraulichkeit bezieht sich offensichtlich nur auf einen Teil des Textes (E. 3.1). Ausnahme im vorliegenden Fall verneint (E. 3.2).

140 III 167 (5A_39/2014) from 12. Mai 2014
Regeste: Entlassung aus der ärztlich angeordneten fürsorgerischen Unterbringung (Art. 426 Abs. 1 i.V.m. Art. 429 Abs. 1 ZGB) durch die kantonale Beschwerdeinstanz; Parteientschädigung (Art. 122 Abs. 2 ZPO). Zur Bemessung der Parteientschädigung der obsiegenden, im Genuss unentgeltlicher Rechtspflege und Verbeiständung prozessierenden Beschwerdeführerin (E. 2).

140 III 231 (5A_704/2013) from 15. Mai 2014
Regeste: Art. 9 BV, Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB und Art. 271 ff. ZPO; Begehren um Ehegattenunterhalt im Eheschutzverfahren. Weil die Regelung der Kinderbelange die Höhe des Ehegattenunterhalts beeinflussen kann, ist es im Eheschutzverfahren zulässig und oftmals notwendig, für den Fall, dass eigene Hauptbegehren nicht durchdringen sollten, Eventualbegehren zum Ehegattenunterhalt zu stellen (E. 3.5).

140 III 264 (5A_909/2013) from 4. April 2014
Regeste: Art. 157, 160 und 164 ZPO; Art. 105 Abs. 1 und Art. 97 BGG. Beweiswürdigung bei unberechtigter Verweigerung der Mitwirkung einer Partei. Verbindlichkeit der vorinstanzlichen Beweiswürdigung für das Bundesgericht. Es bestehen keine Vorgaben (Art. 157 ZPO), welche Schlüsse der Sachrichter aus dem Umstand ziehen soll, dass eine Partei bei der Beweiserhebung unberechtigterweise nicht mitwirkt. Die vor Bundesgericht erhobene Rüge, Art. 157 oder 164 ZPO sei verletzt, ändert nichts daran, dass das Ergebnis der vorinstanzlichen Beweiswürdigung für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich ist (Art. 105 Abs. 1 BGG). Voraussetzungen der Anfechtung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen (Art. 97 BGG) und Begriff der Willkür (Art. 9 BV) im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung (E. 2.3).

140 III 337 (5A_890/2013) from 22. Mai 2014
Regeste: Eheschutz; Unterhalt des Ehegatten; Steuern und Leasingraten (Art. 163 ZGB; Art. 92 Abs. 1 und Art. 93 SchKG; Art. 9 BV). Die Berücksichtigung der laufenden und aufgelaufenen Steuern im betreibungsrechtlichen Existenzminimum des Unterhaltsschuldners ist willkürlich (E. 4.2-4.4). Verfassungskonform ist hingegen die Aufnahme der vollen Raten für ein geleastes Fahrzeug mit Kompetenzcharakter (E. 5).

140 III 349 (4A_235/2013) from 27. Mai 2014
Regeste: Art. 1, 18, 698 Abs. 2 Ziff. 2, Art. 710 und 731b Abs. 1 OR; Mangel in der Organisation der Gesellschaft; Statutenbestimmung, die vorsieht, dass die Verwaltungsräte bis zu einer neuen Wahl im Amt bleiben. Die Unmöglichkeit der Generalversammlung, mangels erforderlicher Stimmenzahl die Wahl der Verwaltungsräte vorzunehmen, stellt eine Blockade (Patt) im Sinne der Rechtsprechung dar, die dem Richter auferlegt, Massnahmen nach Art. 731b Abs. 1 OR anzuordnen. Eine Statutenbestimmung, die zur Vermeidung einer allfälligen Blockadensituation im Aktionariat eine automatische Wiederwahl der Verwaltungsräte vorsehen würde, würde dem unübertragbaren Recht der Generalversammlung widersprechen, die Mitglieder des Verwaltungsrates zu wählen (vgl. Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR), und wäre demnach nichtig (vgl. Art. 706b Ziff. 3 OR) (E. 2).

140 III 385 (5A_356/2014) from 14. August 2014
Regeste: Art. 450 ff. ZGB; Anspruch auf Parteientschädigung im Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz. Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung der Parteientschädigung im Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz den Kantonen überlassen. Regelung im Kanton Zürich (E. 2-5).

140 III 456 (5A_10/2014) from 22. August 2014
Regeste: Art. 82 und 84 SchKG; Art. 16 IPRG; Rechtsöffnungsverfahren; Feststellung ausländischen Rechts. Es obliegt dem Betreibenden, soweit dies von ihm zumutbarerweise verlangt werden kann, den Inhalt ausländischen Rechts zu ermitteln, vorliegend hinsichtlich der Fälligkeit der Forderung (E. 2).

140 III 473 (4A_256/2014) from 8. September 2014
Regeste: Art. 15, 117 und 122 IPRG; anwendbares Recht; Übertragung von Patentanmeldungen. Bestimmung des anwendbaren Rechts. Auf Verträge über die Übertragung von Patentanmeldungen ist Art. 122 IPRG anwendbar. Offengelassen, ob für eine Abweichung von der in Art. 122 IPRG vorgesehenen Anknüpfung Art. 15 oder 117 Abs. 1 IPRG massgebend wäre (E. 2).

140 III 485 (5A_798/2013) from 21. August 2014
Regeste: Vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsverfahren; Ehegattenunterhalt; Sparquote (Art. 276 ZPO; Art. 163 und 176 ZGB; Art. 9 BV). Anforderungen an den Nachweis der Sparquote. Deren Berücksichtigung setzt insbesondere eine konkrete Berechnung des Bedarfs der Ehegatten während des Zusammenlebens bzw. der beiden Haushalte nach Aufhebung des gemeinsamen ehelichen Haushalts voraus. Wird der Bedarf nicht konkret berechnet, sondern auf die zweistufige Methode der Existenzminimumsberechnung mit Überschussverteilung zurückgegriffen, ist die Berücksichtigung einer behaupteten, aber weder im Grundsatz noch betragsmässig glaubhaft gemachten Sparquote willkürlich (E. 3). Willkür im Ergebnis im konkreten Fall bejaht (E. 4.5).

140 III 491 (4A_240/2014) from 28. August 2014
Regeste: Art. 266n OR; Art. 2 Abs. 2 ZGB; Wohnung der Familie; gemeinschaftliche Miete; Kündigung durch den Vermieter; Rechtsmissbrauch. Anfechtung der Kündigung des Vermieters mit der Begründung, die Ansetzung der Zahlungsfrist mit Kündigungsandrohung und die Kündigung seien der Ehefrau und Mitmieterin des Klägers nicht separat zugestellt worden. Anwendbarkeit von Art. 266n OR vorliegend verneint (E. 4.1). Der Mieter, der sich auf die unterbliebene Zustellung an seine Mitmieterin beruft, handelt rechtsmissbräuchlich, wenn die Mitmieterin das Mietobjekt bereits vor der Mahnung und der Kündigung definitiv verlassen und keinerlei Interesse an der Nichtauflösung des Mietvertrages hat (E. 4.2).

140 III 644 (5A_385/2014) from 24. Oktober 2014
Regeste: Art. 14 Abs. 1 SchKG, Art. 76 Abs. 1 lit. b, Art. 89 Abs. 1 und 2 lit. c BGG; administrative Aufsicht über die Betreibungsämter. Beschwerde einer Gemeinde gegen die kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibung und Konkurssachen, welche die Einführung eines EDV-Programms für die Betreibungsämter im Kanton angeordnet hat (E. 2 und 3).

140 IV 74 (1B_105/2014) from 24. April 2014
Regeste: a Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG; Beschwerderecht. Behandlung der Beschwerde trotz Wegfalls des aktuellen praktischen Interesses während des bundesgerichtlichen Verfahrens (E. 1.3).

140 V 543 (9C_648/2013) from 17. Oktober 2014
Regeste: Art. 42sexies IVG; Art. 39e und 39f IVV; Assistenzbeitrag. Das standardisierte Abklärungsinstrument FAKT2 ist grundsätzlich geeignet, den gesamten Hilfebedarf einer versicherten Person zu ermitteln (E. 3.2.2). Die Höhe des Pauschalansatzes für den Assistenzbeitrag von Fr. 32.50 resp. 32.80 pro Stunde gemäss Art. 39f Abs. 1 IVV ist gesetzeskonform (E. 3.3). Im Verfahren betreffend den Assistenzbeitrag kann eine neue Abklärung von Aspekten der Hilflosigkeit namentlich dann angezeigt sein, wenn sie zwar nicht für den Schweregrad der Hilflosigkeit und den entsprechenden Entschädigungsanspruch, jedoch für den Anspruch auf Assistenzbeitrag bedeutsam sind (E. 3.4.4). Was unter einer Institution im Sinne von Art. 42sexies Abs. 2 IVG und Art. 39e Abs. 4 IVV zu verstehen ist, ergibt sich in erster Linie aus Art. 3 IFEG. Die in Art. 39e Abs. 4 IVV vorgesehene pauschale Kürzung des Höchstansatzes entsprechend dem regelmässigen Aufenthalt in einer solchen Institution ist gesetzmässig (E. 3.5). Die Höchstansätze von Art. 39e IVV beinhalten die durch die Hilflosenentschädigung und allfällige Beiträge für Dienstleistungen Dritter oder an Grundpflege nach Art. 25a KVG zu deckende Zeit (E. 3.6.3).

141 I 60 (1D_2/2014) from 11. März 2015
Regeste: Art. 5 Abs. 3, Art. 9 und 29 BV, Art. 14, 15, 15b und 15c BüG; Anforderungen an das Verfahren bei der ordentlichen Einbürgerung. Tragweite des Grundsatzes der Fairness im Verfahren, des Anspruchs auf rechtliches Gehör, des Prinzips von Treu und Glauben, insbesondere des Rechts des Gesuchstellers auf vorgängige Orientierung sowie der Aktenführungspflicht der Behörden (E. 2-4). Verhältnis von Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflicht (E. 5).

141 I 70 (8C_310/2014) from 31. März 2015
Regeste: Art. 29 Abs. 3 BV; unentgeltliche Rechtspflege, Stellvertretung. Die Kürzung des geltend gemachten Aufwandes der im kantonalen Verfahren richterlich eingesetzten unentgeltlichen Rechtsbeiständin um denjenigen Aufwandanteil, welchen eine Anwaltskollegin mit Substitutionsvollmacht aufgrund einer internen büropartnerschaftlichen Stellvertretungsvereinbarung, jedoch ohne gerichtliche Bewilligung des Rechtsbeistandswechsels, für die unentgeltliche Rechtsbeiständin erbracht hatte, ist nicht willkürlich (E. 6).

141 I 105 (6B_307/2014) from 4. Mai 2015
Regeste: Art. 9 BV (Willkür); Festlegung der Gerichtskosten, Äquivalenzprinzip. Gerichtskosten sind Kausalabgaben, die dem Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip genügen müssen (E. 3.3.2). Ob die Verdoppelung der Gebühr für den Fall der schriftlichen Begründung des erstinstanzlichen Urteils zulässig und mit Art. 80 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 82 Abs. 2 StPO vereinbar ist, kann offenbleiben (E. 3.5.1). Die Anzahl Verhandlungstage hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Begründungsaufwand eines Entscheids. Bei mehrtägigen Verhandlungen darf mit Blick auf das Äquivalenzprinzip und das Gleichbehandlungsgebot lediglich der Aufwand für die zusätzlichen Verhandlungstage berücksichtigt werden (E. 3.5.2). Verletzung des Äquivalenzprinzips im vorliegenden Fall (E. 3.6).

141 I 161 (2C_807/2014) from 24. August 2015
Regeste: Art. 9 BV; Vertrauensschutz; Zuständigkeit für die Erteilung von sog. "Rulings"; Bindungswirkung von "Rulings". Die ESTV hat keine Befugnis zur verbindlichen Feststellung bezüglich der steuerlichen Behandlung geplanter Sachverhalte im Sinne eines "Rulings". Damit sind grundsätzlich die kantonalen Veranlagungsbehörden - abgesehen von gewissen Ausnahmekonstellationen - allein zuständig zur Erteilung von "Rulings" und die genehmigten "Rulings" sind - bis zu einem allfälligen Widerruf - auch für die ESTV verbindlich (E. 3). Mit dem Widerruf des "Rulings" durch die kantonale Steuerverwaltung kann sich die Steuerpflichtige nicht mehr auf den Vertrauensschutz berufen (E. 4). Der Steuerpflichtigen ist zur Anpassung ihrer Strukturen eine angemessene Übergangsfrist zu gewähren (E. 5).

141 I 235 (2C_28/2015) from 19. Juni 2015
Regeste: Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 1, 3 und 4 StHG: derogatorische Kraft des Bundesrechts; Steuerharmonisierung; Gemeindesteuern auf Einkommen und Vermögen; interkommunale Verteilung. Nicht der Bund, sondern die Kantone verleihen den Gemeinden ihre Steuerhoheit (E. 5). Unter Vorbehalt des Gleichbehandlungsgebots und des Willkürverbots steht es den Kantonen frei, die Steuerkompetenzen ihrer Gemeinden zu begrenzen (E. 6 und 7).

141 II 207 (2C_583/2014) from 9. Februar 2015
Regeste: Art. 12 Abs. 3 StHG; steuerliche Behandlung des realisierten Grundstückgewinns im Fall einer Aufschubkette (hier: Ersatzbeschaffung selbstgenutzten Wohneigentums mit anschliessendem Eigentumswechsel infolge Erbvorbezugs unter Nutzniessungsvorbehalt). Die Besteuerung der Grundstückgewinne ist weitgehend bundesrechtlich geregelt (E. 2). Praxis des Kantons Zürich zur Abfolge von Aufschubtatbeständen (E. 3). Das bundesrechtliche System des Steueraufschubs sieht keine dahingehende Tatbestandsbindung vor, dass die Grundeigentum veräussernde Person wieder Grundeigentum zu erwerben und dieses selbst zu bewohnen hat, um dadurch eine lückenlose Aufschubkette herbeizuführen. Ebenso wenig besteht eine Mindesthaltedauer (E. 4).

141 III 328 (5A_443/2014) from 14. September 2015
Regeste: Art. 8 EMRK; Art. 2, 3 und 7 KRK; Art. 119 Abs. 2 lit. d BV; Art. 4 FMedG; Art. 27 Abs. 1, Art. 32 und 70 IPRG; Art. 45 Abs. 2 Ziff. 4 und Art. 252 Abs. 1 ZGB; Art. 7 und 8 ZStV; Anerkennung und Eintragung ausländischer Geburtsurkunden ins Personenstandsregister bei Leihmutterschaft; Ordre public. Eine kalifornische Geburtsurkunde kann nicht anerkannt werden, wenn die verurkundeten Kindesverhältnisse zu genetisch nicht verwandten Eltern in Umgehung des schweizerischen Leihmutterschaftsverbotes entstanden sind (E. 2-8).

141 III 444 (4A_65/2015) from 28. September 2015
Regeste: a Art. 356 Abs. 2 lit. a und Art. 362 Abs. 3 ZPO, Art. 75 Abs. 2 BGG; interne Schiedsgerichtsbarkeit; Gesuch um Ernennung eines Schiedsrichters; Prüfungsbefugnis des "juge d'appui"; Beschwerde ans Bundesgericht. Der Entscheid, mit dem sich der "juge d'appui" weigert, einen Schiedsrichter zu ernennen oder auf das ad hoc Gesuch nicht eintritt, kann im Rahmen der internen Schiedsgerichtsbarkeit direkt mit Beschwerde in Zivilsachen am Bundesgericht angefochten werden (E. 2). Prüfungsbefugnis des "juge d'appui" (E. 3).

141 III 564 (4A_191/2015) from 16. Dezember 2015
Regeste: Vorsorgliche Beweisführung; schutzwürdiges Interesse (Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO); Rechenschaftsablegung (Art. 400 Abs. 1 OR). Der (materiellrechtliche) Informationsanspruch des Auftraggebers kann nicht auf dem Weg der vorsorglichen Beweisführung geltend gemacht werden (E. 4).

141 IV 305 (6B_978/2014) from 23. Juni 2015
Regeste: Illegaler Abbruch eines schützenswerten Einfamilienhauses; Verjährung der Einziehung bei Übertretungen; Berechnung der Ersatzforderung; Art. 26 und 36 Abs. 3 BV; Art. 97 Abs. 3, Art. 70 f. und 109 StGB. Verjährung der Einziehung bei Übertretungen (E. 1). Anwendung des Brutto- oder Nettoprinzips bei der Festlegung einer Ersatzforderung (Zusammenfassung und Bestätigung der Rechtsprechung; E. 6.3.3). Kognition des Bundesgerichts bei Ersatzforderungen in Anwendung kantonalen Rechts (E. 6.4). Der Beschwerdeführer liess das Einfamilienhaus im Wissen um die verweigerte Entlassung des Objekts aus dem kommunalen Inventar der schützenswerten Kulturobjekte abreissen, um darauf eine gewinnbringende Überbauung vornehmen zu können. Nicht als willkürlich oder unverhältnismässig zu beanstanden ist unter diesen Umständen, wenn die Kosten des Abbruchs, d.h. der eigentlichen Straftat, und der Wert des abgebrochenen Gebäudes bei der Berechnung der Ersatzforderung nicht zum Abzug zugelassen werden. Unerheblich war, dass im Zeitpunkt des Einziehungsentscheids noch nicht mit letzter Sicherheit feststand, ob das Immobilienprojekt mit der höheren Ausnutzung überhaupt verwirklicht werden kann (E. 6.5). Ermittlung des Verkehrswerts des unüberbauten Grundstücks nach der Lageklassenmethode (E. 6.6).

141 IV 349 (6B_573/2015) from 17. Juli 2015
Regeste: Rechtswidrige Haftbedingungen; Wiedergutmachung nach Einritt der Rechtskraft des Strafurteils. Die Grundsätze zur Wiedergutmachung bei rechtswidrigen Bedingungen der Untersuchungshaft oder der geschlossenen stationären Behandlung sind mutatis mutandis auch auf den Strafvollzug anwendbar (E. 2.1). Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils kann jedoch der vom Gefangenen aufgrund rechtswidriger Haftbedingungen während der Untersuchungshaft oder des Strafvollzugs erlittene Schaden grundsätzlich nicht mehr mit einer vorzeitigen Entlassung wiedergutgemacht werden. Vorbehalten bleiben ausserordentliche Umstände (E. 2.2). Sofern damit nicht in die Kompetenzen des Zwangsmassnahmengerichts gemäss Art. 18 Abs. 1 StPO eingegriffen wird, erscheint es nicht bundesrechtswidrig, die für den Straf- und Massnahmevollzug zuständige Behörde für die Beurteilung eines nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils gestellten Gesuchs um Feststellung der rechtswidrigen Bedingungen der Untersuchungshaft zuständig zu erklären (E. 3.1). Prüfung des Feststellungsinteresses des Gefangenen im Beschwerdeverfahren (E. 3.4). Ersucht ein Gefangener nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils um Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Haftbedingungen während der Untersuchungshaft sowie des Strafvollzugs, und hat die für den Straf- und Massnahmevollzug zuständige Behörde bereits über den ersten Zeitraum entschieden, ist es nicht überspitzt formalistisch, ihn für den zweiten Zeitraum an die nach kantonalem Recht zuständige Administrativbehörde zu verweisen (E. 4).

141 IV 369 (6B_462/2014) from 27. August 2015
Regeste: a Art. 9 BV; Stellenwert von Parteigutachten. Den Ergebnissen eines vom Beschuldigten in Auftrag gegebenen Parteigutachtens kommt lediglich die Bedeutung einer der freien Beweiswürdigung unterliegenden Parteibehauptung zu (E. 6).

141 V 162 (9C_509/2014) from 20. Februar 2015
Regeste: Art. 13 Abs. 1 und Art. 37 Abs. 2 BVG; Altersleistung. Ob mit der Aufgabe der Erwerbstätigkeit vor Erreichen des ordentlichen Rücktrittsalters ein Freizügigkeitsfall oder der Vorsorgefall "Alter" eintritt, bestimmt sich - unter Vorbehalt von Art. 2 Abs. 1bis FZG - nach dem anwendbaren Reglement. Der Bezug einer Überbrückungsrente von der Stiftung für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (Stiftung FAR) ändert daran nichts (E. 4.3). Altersleistungen können mindestens im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen in Kapitalform bezogen werden (E. 4.5).

141 V 455 (9C_233/2015) from 2. Juli 2015
Regeste: Art. 49 BV; Art. 42a KVG; Art. 1 VVK. Die Abgabe der Versichertenkarte für die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist durch das Bundesrecht abschliessend geregelt. Das Prinzip des Vorrangs des Bundesrechts ist verletzt, wenn der Krankenversicherer sich auf das kantonale Recht beruft, um sich seiner Verpflichtung zu entziehen, die Karte auszustellen (E. 6).

141 V 473 (8C_611/2014) from 6. Juli 2015
Regeste: Art. 25 Abs. 5 AHVG; Art. 49ter Abs. 3 lit. a und b AHVV; Art. 3 Abs. 1 lit. b FamZG; Art. 1 Abs. 1 FamZV; Ausbildungsunterbruch. Lit. a und b von Art. 49ter Abs. 3 AHVV sind nicht kumulativ anwendbar (E. 8).

141 V 530 (9C_283/2015) from 11. September 2015
Regeste: a Art. 39 Abs. 1 IVG; Art. 42 AHVG; Art. 23 ff. ZGB; Art. 13 ATSG; Begriff des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts. Das Recht auf eine ausserordentliche Invalidenrente setzt kumulativ Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz voraus. Unterscheidung des Begriffs Wohnsitz im Sinne von Art. 13 Abs. 1 ATSG und Art. 23 Abs. 1 erster Satz ZGB und desjenigen des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 13 Abs. 2 ATSG (E. 5).

142 I 1 (8C_455/2015) from 8. März 2016
Regeste: a Art. 12 BV; grundrechtlicher Anspruch auf Nothilfe bei Nichtteilnahme an nicht entlöhntem Beschäftigungsprogramm. Wird die Nothilfe (im Sinne des absolut Notwendigen) wegen Nichtbefolgung der Weisung, an einem Beschäftigungsprogramm teilzunehmen, verweigert, verstösst dies, wenn die Teilnahme am Programm nicht entlöhnt wäre und das Subsidiaritätsprinzip daher nicht zur Anwendung gelangt, gegen Art. 12 BV (Bestätigung und Präzisierung der Rechtsprechung; E. 7.1-7.2.4, 7.2.6). Frage, ob die Nothilfe wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der sie beanspruchenden Person verweigert werden könnte, weiterhin offengelassen (E. 7.2.5). Erwägungen zu denkbaren anderen Sanktionen (etwa Erbringung der Nothilfe in Naturalleistungen; Verbindung von Auflagen/Weisungen mit einer Strafandrohung) bei renitentem Verhalten der Nothilfe beanspruchenden Person (E. 7.2.5).

142 II 69 (2C_594/2015) from 1. März 2016
Regeste: Art. 28 Abs. 3 lit. b DBA CH-FR; Art. 4 Abs. 3 StAhiG; Art. 126-129 DBG; internationale Amtshilfe in Steuersachen; Umfang der Mitwirkungspflicht einer zur Übermittlung von Informationen aufgeforderten Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Die Qualifikation als eine von einem Amtshilfeersuchen betroffene Person oder als reiner Informationsinhaber ist eine Rechtsfrage (E. 3). Der in Art. 28 Abs. 3 lit. b DBA CH-FR formulierte Vorbehalt schweizerischen Rechts bezieht sich hinsichtlich des Begriffes der Informationen, welche sich im Besitz einer in der Schweiz steuerpflichtigen Person befinden, auf die Art. 123-129 DBG (E. 4). Das Recht der direkten Bundessteuer basiert auf der Unterscheidung zwischen einer generellen, dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflicht (Art. 126 DBG), und von spezifischen, gewissen Dritten obliegenden Mitwirkungspflichten (Art. 127-129 DBG). Nach ständiger bundesgerichtlicher Praxis ist der Steuerpflichtige in Anwendung von Art. 126 DBG gehalten, der Steuerverwaltung auch Informationen zur Veranlagung einer Drittperson zu übermitteln, sofern diese Informationen seine eigene Veranlagung beeinflussen können. Sind die ersuchten Informationen nicht geeignet, Auswirkungen auf die Veranlagung des betreffenden Steuerpflichtigen zu zeitigen, beschränkt sich dessen Mitwirkungspflicht auf diejenigen Informationen, welche von ihm in Anwendung der Art. 127-129 DBG erhältlich gemacht werden können. Art. 126 DBG ist im vorliegenden Einzelfall auf die betreffende Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz anwendbar (E. 5).

142 II 154 (8C_506/2015) from 22. März 2016
Regeste: Art. 83 lit. g BGG; Art. 80 ff. ZGB. Eintreten auf eine Beschwerde in der Sache, wenn sich die Prüfung der Eintretensvoraussetzungen mit der Frage deckt, welche Gegenstand der Streitigkeit bildet (in casu: allfällige Existenz eines öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisses; E. 1.1). Art des Dienstverhältnisses mit einer juristischen Person des Privatrechts (Stiftung), welche Aufgaben des öffentlichen Rechts wahrnimmt (E. 5).

142 II 206 (1C_159/2015) from 3. Mai 2016
Regeste: Art. 75b BV; Art. 6, 7 Abs. 1 und Art. 14 ZWG; Art. 3 Abs. 1 ZWV; Art. 2 ZGB; Rechtsmissbrauch im Bereich Zweitwohnungen. Es besteht die Gefahr des Rechtsmissbrauchs, wenn die Bauherrschaft vorgibt, eine Erstwohnung zu erstellen, in Wahrheit jedoch beabsichtigt, das in Art. 75b BV und Art. 6 ZWG enthaltene Verbot zu umgehen (E. 2). Zusammenfassung der Rechtsprechung (E. 3). Aufgrund der Anzahl geplanter Wohnungen und jener der ganzjährigen Bewohner besteht Anlass, die Nachfrage nach Erstwohnungen im betroffenen Gebiet zu prüfen (E. 4).

142 II 243 (2C_739/2015) from 25. April 2016
Regeste: Art. 3 lit. a, Art. 33 FINMAG; Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 35, Art. 61 VwVG; Art. 9 Abs. 2 aBankV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II. Verfahren auf Erlass eines finanzmarktrechtlichen Berufsverbots; Selbstbelastungsverbot. Eine im Verfahren gegen die Beaufsichtigte ergangene Verfügung kann der für die Beaufsichtigte tätigen oder tätig gewesenen natürlichen Person im anschliessend gegen sie geführten Verfahren nicht im Sinne einer rechtskräftig beurteilten Vorfrage entgegengehalten werden (E. 2). Anforderungen an die Begründungsdichte im Falle von aufsichtsrechtlich relevanten Unterlassungen (E. 3.1). In auf Auferlegung eines Berufsverbots gerichteten Verfahren kann auf Aussagen abgestellt werden, welche die natürliche Person im gegen die Beaufsichtigte geführten Verfahren getätigt hat: Das Selbstbelastungsverbot steht einer Verwertung dieser Aussagen nicht entgegen, weil das Berufsverbot hinsichtlich seiner Art und Schwere eine wirtschaftspolizeirechtlich motivierte Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit und nicht eine strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist (E. 3.2-3.4).

142 II 355 (2C_419/2015) from 3. Juni 2016
Regeste: Art. 65 DBG; verdecktes Eigenkapital; Darlehen eines Dritten, das durch Liegenschaften der kreditnehmenden Gesellschaft gesichert ist und für welches eine nahestehende Person gemeinschaftlich und solidarisch haftet. Der Ansatz des Kreisschreibens Nr. 6 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 6. Juni 1997 zum verdeckten Eigenkapital, gemäss welchem die von einem Aktionär oder einer nahestehenden Person geleistete Sicherheit für das Darlehen eines Dritten gleich zu behandeln ist wie ein Darlehen des Aktionärs oder der nahestehenden Person (vgl. E. 7.1), lässt sich mit Art. 65 DBG insoweit vereinbaren, als der geleisteten Sicherheit wirtschaftlich betrachtet die Funktion eines Darlehens zukommt (E. 7.2). Falls das Darlehen des Dritten von einer dinglichen Sicherheitsleistung der kreditnehmenden Gesellschaft erfasst wird, diese Sicherheitsleistung jedoch nicht den gesamten Darlehensbetrag abzudecken vermag, so erhellt, dass der ungedeckte Teil des Darlehens der Gesellschaft aufgrund der persönlichen Mithaftung des Aktionärs resp. der nahestehenden Person zugestanden wurde und somit verdecktes Eigenkapital darstellt. Der Nachweis, dass die Rahmenbedingungen der Mittelbeschaffung marktkonform sind, bleibt vorbehalten (E. 7.3). Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall (E. 7.4 und 7.5).

142 II 369 (2C_6/2016) from 18. Juli 2016
Regeste: Ist die Aargauische Pensionskasse bei der Vergabe von Unterhaltsarbeiten an Liegenschaften ihres Anlagevermögens dem kantonalen Vergaberecht unterstellt? Beurteilung der Frage nach Staatsvertrags-, Bundes-, und kantonalem Recht. Zulässigkeit der Beschwerde (E. 1.1-1.4). Beschwerdelegitimation der Aargauischen Pensionskasse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG bejaht (E. 1.5). Kognition und Rügen (E. 2). Eine Unterstellung unter das Vergaberecht ergibt sich nicht bereits aus dem Staatsvertragsrecht (E. 3). Das kantonale Recht kann den subjektiven Geltungsbereich des Vergaberechts weiter fassen als das Staatsvertrags-, Bundes- und interkantonale Recht. Es ist nicht willkürlich, die Pensionskasse als Anstalt des Kantons in Bezug auf die streitbetroffenen Aufträge dem kantonalen Vergaberecht zu unterstellen (E. 4). Die Unterstellung verstösst nicht gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts (Art. 49 BV) bzw. nicht gegen Art. 111 und Art. 113 BV, ebenso wenig gegen das BVG (E. 5). Frage der Grundrechtsträgerschaft (Art. 27 BV) der Pensionskasse offengelassen, da die Aargauische Pensionskasse mehrheitlich nicht im Wettbewerb tätig ist (E. 6). Gerichtskosten: Submissionsrechtliche Angelegenheiten gelten als Fälle mit Vermögensinteresse (Art. 68 Abs. 1 und 4 BGG), auch wenn es bloss um die Frage geht, ob das Beschaffungsrecht anwendbar ist (E. 7).

142 II 433 (2C_436/2015) from 22. Juli 2016
Regeste: Art. 2 lit. b, Art. 5 Abs. 1 lit. b PublG; Art. 15 PublV; Art. 3 lit. e und Art. 12 VwVG; Art. 8 ZGB; Art. 34 und 116 ZG; Art. 1 ZTG; Einordnung der zollrechtlichen Berichtigung, Abgrenzung von den direktsteuerlichen Berichtigungstatbeständen und Verhältnis zur zollrechtlichen Beschwerde. Dem Generaltarif kommt Gesetzesrang zu. Die zollrechtliche Berichtigung hat die Richtigstellung einer unzutreffenden Veranlagungsverfügung zum Gegenstand; sie wirkt sich daher zwangsläufig auf das Dispositiv aus. Beweisführungs- und Beweislast im Berichtigungsverfahren (E. 3.2). Ob eine Falschanmeldung vorliegt, ist berichtigungsweise zu klären. Die Beschwerde ist erst im Anschluss an die Verfügung über die Berichtigung zulässig (E. 3.4). Der Beweis der Nämlichkeit ist im konkreten Fall nicht erbracht (E. 4). Die fehlende Veröffentlichung der Anhänge 1 und 2 zum ZTG, welche den Generaltarif enthalten, ändert nichts an dessen Gesetzesrang (E. 5).

142 III 153 (5A_52/2015) from 17. Dezember 2015
Regeste: Art. 299 f. ZPO; Verordnung des zürcherischen Obergerichts vom 8. September 2010 über die Anwaltsgebühren (AnwGebV): Kriterien für die Bemessung der Entschädigung des Verfahrensbeistandes des Kindes im Ehescheidungsverfahren seiner Eltern. Abgeltung des notwendigen Aufwandes; Bedingungen für die Zulässigkeit eines pauschalisierenden Tarifes (E. 2.5, 3.2, 3.3 und 4). Berücksichtigung der prozessualen Natur und der Funktion der Kindervertretung (E. 5.1 und 5.2). Möglichkeit des Gerichts, bei der Mandatierung und bei der Prozessinstruktion den Aufgabenumfang des Verfahrensbeistandes zu steuern (E. 5.3.2 und 5.3.3). Berücksichtigung der beruflichen Qualifikation; Bestellung eines Anwaltes als Ausnahme (E. 5.3.4). Rahmenbedingungen für eine neue Beurteilung und Festsetzung des Honorars (E. 6).

142 III 369 (4A_398/2015) from 19. Mai 2016
Regeste: Art. 270 Abs. 2 OR, Art. 1 Abs. 2 ZGB; Mietvertrag, Formular für die Mitteilung des Anfangsmietzinses, Beweis des Versandes. Ist das Formular in dem vom Vermieter an den Mieter gesendeten Mietvertrag als Beilage erwähnt, gilt nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Vermutung, dass der Vermieter es tatsächlich zusammen mit dem Mietvertrag abgeschickt hat, sofern er eine Kopie des Formulars mit dem erforderlichen Inhalt vorzuweisen vermag. Zufolge einer Umkehr der Beweislast liegt es sodann am Mieter, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu beweisen, dass das Formular nicht im Umschlag enthalten war (E. 4).

142 III 638 (4A_105/2016) from 13. September 2016
Regeste: Art. 212 ZPO; Entscheidkompetenz der Schlichtungsbehörde. Muss die Schlichtungsbehörde von ihrer Entscheidkompetenz gemäss Art. 212 Abs. 1 ZPO Gebrauch machen, wenn sie formell ein Entscheidverfahren eröffnet hat und die Parteien in dessen Rahmen hat plädieren lassen? Frage verneint (E. 3.1-3.4).

142 III 648 (5A_172/2016) from 19. August 2016
Regeste: GebV SchKG; Rückzug der Betreibung durch den Gläubiger; Gebühr für die Protokollierung. Der Rückzug der Betreibung durch den Gläubiger führt zu einer nicht besonders tarifierten Eintragung des Betreibungsamtes, welche gemäss Art. 42 GebV SchKG gebührenpflichtig ist (E. 3).

142 IV 49 (6B_565/2015) from 10. Februar 2016
Regeste: Art. 61 und 59 Abs. 3 StGB; Unterbringung in einer Einrichtung für junge Erwachsene, Behandlung von psychischen Störungen in einer geschlossenen Einrichtung. Voraussetzungen einer Massnahme für junge Erwachsene gemäss Art. 61 StGB; die zum alten Recht entwickelte Rechtsprechung findet weiterhin Anwendung (E. 2.1.2). Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer gefährlich und dessen Persönlichkeit derart gestört, dass diese nur schwer veränderbar ist; seine Unterbringung in einer Einrichtung für junge Erwachsene ist somit nicht zweckmässig. Unter diesen Voraussetzungen erweist sich die Anordnung einer stationären Massnahme in einer geschlossenen Einrichtung zur Behandlung psychischer Störungen eines jungen Erwachsenen nicht als bundesrechtswidrig (E. 2.4).

142 IV 129 (6B_1140/2014) from 3. März 2016
Regeste: a Art. 241 Abs. 4 StPO; Sicherheitsdurchsuchung. Gestützt auf Art. 241 Abs. 4 StPO kann die Polizei eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, insbesondere um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten. Eine Durchsuchung kann selbst dann erfolgen, wenn sich die angehaltene Person freiwillig auf den Polizeiposten begeben hat, keines Delikts verdächtigt wird und sich über ihre Identität ausgewiesen hat (E. 2).

142 V 239 (9C_553/2015) from 13. Juni 2016
Regeste: Art. 51 Abs. 1 und 3 BVG; paritätische Verwaltung der Vorsorgeeinrichtung. Die Reglementsbestimmung eines Vorsorgewerkes einer Sammelstiftung, wonach die Vertreter durch die betroffenen Verbände berufen werden, verletzt die Parität, wenn nur eine Minderheit der angeschlossenen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert ist (E. 4.4).

142 V 316 (9C_183/2016) from 26. Juni 2016
Regeste: a Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 3, Art. 35 Abs. 2 lit. e und Art. 38 KVG; Art. 46 Abs. 1 KVV; Anspruch auf Erstattung der Kosten von Leistungen eines nicht zugelassenen Leistungserbringers. Die Weigerung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, die Kosten einer Leistung (hier: Elektroepilation) zu übernehmen, ist nicht bundesrechtswidrig, wenn der Leistungserbringer in Art. 46 Abs. 1 KVV nicht aufgelistet ist (E. 5.3).

142 V 349 (9C_583/2015) from 17. Juni 2016
Regeste: Art. 14 und 16 ELG; Art. 19b ELV; Art. 5 und 8 des Tessiner Einführungsgesetzes vom 23. Oktober 2007 zum Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten durch die Kantone im Rahmen der Ergänzungsleistung, wenn eine Hilflosenentschädigung ausgerichtet wird. Seit dem 1. Januar 2008 obliegt es den Kantonen, die Art und Weise der Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten näher zu regeln. Mangels einer spezifischen bundesrechtlichen Vorschrift sind die Kantone insbesondere frei festzulegen, ob eine Hilflosenentschädigung von den Kosten nach Art. 14 Abs. 1 lit. b ELG abzuziehen ist, wenn diese weniger als Fr. 25'000.- betragen. Bundesrechtlich vorgeschrieben ist ein solcher Abzug nur in den in Art. 14 Abs. 4 ELG und Art. 19b ELV vorgesehenen Fällen (E. 6.3). Das Recht des Kantons Tessin kennt bei der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten, für welche nicht eine andere Versicherung aufkommt, keinen Abzug der Hilflosenentschädigung (E. 7.2).

142 V 513 (8C_138/2016) from 6. September 2016
Regeste: Art. 9 und 12 BV; Sozialhilfegesetz und Sozialhilfeverordnung des Kantons Zürich: Anrechnung eines Konkubinatsbeitrages im Sozialhilfebudget. Dem erweiterten SKOS-Budget des nicht unterstützten Konkubinatspartners sind sämtliche Einnahmen (Erwerbseinkommen oder Ersatzeinkommen einschliesslich Ergänzungsleistungen) gegenüberzustellen. Resultiert ein Einnahmenüberschuss, ist dieser bei stabilem Konkubinat im Budget der antragstellenden Person vollumfänglich als Einnahme (Konkubinatsbeitrag) anzurechnen. Dies verletzt - auch im Vergleich zu verheirateten Paaren - weder das Rechtsgleichheitsgebot noch das Willkürverbot und auch nicht das Recht auf Existenzsicherung (E. 5).

142 V 551 (9C_160/2016) from 19. August 2016
Regeste: a Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV; Art. 92, 93 und 100 BGG; Vertrauensschutzprinzip im Falle geänderter Rechtsprechung zum Fristbeginn bei Anfechtung von Kostenregelungen in einem Rückweisungsentscheid. Die bisherige - mit BGE 142 II 363 (Urteil 2C_309/2015 vom 24. Mai 2016) geänderte - bundesgerichtliche Praxis, wonach bei Kostenregelungen in Rückweisungsentscheiden erst die Rechtskraft (und nicht bereits die Eröffnung) der neuen Verfügung fristauslösend wirkt, wurde hauptsächlich in Fällen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts angewendet. Ein Nichteintreten auf die vor dem 24. Mai 2016 eingereichte Beschwerde der IV-Stelle infolge Fristversäumnisses verletzte trotz prinzipiell sofortiger Anwendbarkeit der bereinigten fristbestimmenden Leitlinien den Grundsatz des Vertrauensschutzes (E. 3 und 4).

142 V 577 (8C_438/2016) from 16. November 2016
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; § 85ter Abs. 2 des Sozialgesetzes des Kantons Solothurn vom 31. Januar 2007; Familienergänzungsleistungen. § 85ter Abs. 2 des Sozialgesetzes des Kantons Solothurn, wonach auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen durch beide Elternteile nur einer Anspruch auf Familienergänzungsleistungen hat, verstösst nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV (E. 4 und 5).

143 I 1 (8C_182/2016) from 6. Dezember 2016
Regeste: a Art. 22, Art. 42 Abs. 2, Art. 87, Art. 95 lit. b und Art. 106 Abs. 2 BGG; Art. 34 BGerR; Beschwerde gegen Erlasse. Zuständigkeit der I. sozialrechtlichen Abteilung (E. 1.1). Mangels kantonalen Verfahrens zur abstrakten Normenkontrolle ist die Beschwerde direkt ans Bundesgericht zulässig (E. 1.2). Internationales Recht muss direkt anwendbar sein, damit es vor Bundesgericht angerufen werden kann (E. 1.3). Begründungserfordernisse (E. 1.4). Überprüfungsbefugnis des Verfassungsrichters im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle (E. 2.3).

143 I 109 (2C_62/2015) from 2. September 2016
Regeste: Art. 49 Abs. 1, 81a, 87 und 92 BV; Art. 15 und 28 PBG; Art. 36 LTPG/GE; Vorrang des Bundesrechts; Zuständigkeit des kantonalen Gesetzgebers zur Festsetzung der Tarife der Genfer Verkehrsbetriebe. Vorrang des Bundesrechts (E. 4.2). Frage offengelassen, ob Art. 87 und 92 BV dem Bund eine ausschliessliche oder konkurrierende Kompetenz im Bereich des Transportwesens einräumen (E. 5). Die Änderung von Art. 36 LTPG/GE, der dem Grossen Rat die Kompetenz einräumt, den Tarif der Genfer Verkehrsbetriebe festzusetzen, verletzt das PBG nicht (E. 6).

143 I 177 (2C_384/2016) from 6. März 2017
Regeste: Art. 9 BV; § 36 Abs. 1 Ziff. 1 VöB/TG; Vergaberecht; willkürliche Zuschlagserteilung an einen Anbieter, der ein Eignungskriterium nicht erfüllt. Eignungskriterien sollen sicherstellen, dass im Vergabeverfahren nur jene Bieter eine Chance haben, die den konkreten Auftrag gehörig erbringen können. Das Nichterfüllen eines Eignungskriteriums hat den Ausschluss aus dem Verfahren zur Folge, ausser wenn die Mängel geringfügig sind und der Ausschluss unverhältnismässig wäre. Unterbleibt bei einem schweren Mangel der Ausschluss des Anbieters, wird kantonales Recht qualifiziert falsch angewendet (E. 2.1-2.4). Im Vergaberecht ist der Sachverhalt massgebend, wie er sich im Zeitpunkt des Vergabeentscheids präsentiert und nicht derjenige bei der Beurteilung einer allfälligen Beschwerde (E. 2.5 und 2.6).

143 I 187 (8C_455/2016) from 10. Februar 2017
Regeste: Art. 9 und 29 Abs. 1 BV; elektronische Beschwerde. Eine elektronisch signierte Beschwerdeschrift kann beim kantonalen Gericht nur dann gültig eingereicht werden, wenn dafür eine spezifische gesetzliche Regelung besteht. Daran fehlt es im hier betroffenen Bereich der Sozialversicherungsgerichtsbarkeit im Kanton Wallis (E. 2 und 3).

143 I 227 (2C_501/2015, 2C_512/2015) from 17. März 2017
Regeste: Art. 29a und 127 BV; Art. 6 EMRK; Gebühren- und Entschädigungstarif des waadtländischen Kantonsgerichts in Verwaltungsangelegenheiten (TFJDA/VD); steuerrechtliche Prinzipien; Kausalabgaben; Rechtsweggarantie. Das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip erlauben bei Kausalabgaben eine Aufweichung der Anforderungen des Legalitätsprinzips, sofern die streitbetroffene Bestimmung darauf abzielt oder zum Ergebnis führt, dass die Gesamtheit der Kosten einer staatlichen Leistung auf die jeweiligen Empfänger überwälzt wird. Dies ist bei Gerichtsgebühren nicht der Fall. Aus diesem Grund hat der formelle Gesetzgeber deren Höhe zu begrenzen (E. 4-4.4). Relativierung dieses Grundsatzes angesichts der Besonderheiten der abstrakten Normenkontrolle sowie der Gebührenpraxis der waadtländischen Gerichte (E. 4.5). Die Pflicht zur Bezahlung von verhältnismässigen Gerichtsgebühren verletzt die Rechtsweggarantie nicht (E. 5).

143 II 350 (2C_996/2015) from 7. März 2017
Regeste: Art. 1 Abs. 1 lit. b Ziff. 1-6 und Art. 13 StG; Art. 96 lit. a BGG; Art. 959 OR; Art. 2, 11 und 19 des Haager Übereinkommens vom 1. Juli 1985 über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung; Umsatzabgabe, Eigentumsübertragung; Anerkennung eines ausländischen Trusts; wirtschaftliche Verfügungsmacht und Buchführung. Die eidgenössischen Stempelabgaben haben insofern formellen Charakter, als für die Erhebung der Abgabe die gewählte Form und nicht der wirtschaftliche Zweck der Transaktion entscheidend ist: Der Eigentumsbegriff von Art. 13 Abs. 1 StG entspricht dem formellen zivilrechtlichen Begriff, ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die betroffenen Güter (E. 2). Anerkennung des ausländischen Trusts (E. 3). Die Eigentumsübertragung durch den schweizer Settlor auf den ausländischen Trust verhindert die Erhebung einer Umsatzabgabe (E. 4). Es spielt unter diesem Blickwinkel weder eine Rolle, ob der Trust widerrufbar ist, noch ob der Settlor vorübergehend oder endgültig entreichert ist, noch ob das investierte Kapital in der Bilanz des Settlors, der vorliegend die wirtschaftliche Verfügungsmacht darüber behalten hat, aktiviert wurde (E. 5).

143 II 459 (2D_7/2016) from 25. August 2017
Regeste: Art. 83 lit. m BGG; Art. 167 ff. DBG; Art. 231 des Gesetzes des Kantons Waadt vom 4. Juli 2000 über die direkten Steuern (LI/VD); besonders bedeutender Fall betreffend den Erlass der kantonalen und kommunalen Steuern; fehlende Harmonisierung in diesem Bereich. Begriff des besonders bedeutenden Falles im Zusammenhang mit Art. 83 lit. m BGG (E. 1.2). Die neue Regelung betreffend den Steuererlass in Art. 167 ff. DBG harmonisiert die Erlassvoraussetzungen bezüglich der kantonalen und kommunalen Steuern nicht; die Frage eines allfälligen Erlasses der kantonalen und kommunalen Steuern beantwortet sich somit nach den Bestimmungen des autonomen kantonalen Rechts (E. 2.1). Die vom Kantonsgericht vorgenommene Auslegung von Art. 231 LI/VD, wonach das kantonale Recht bloss eine Kann-Vorschrift enthält und demnach keinen Rechtsanspruch auf einen Erlass der kantonalen und kommunalen Steuern einräumt, ist nicht willkürlich (E. 4, 4.4 und 4.4.1).

143 III 42 (5A_819/2015) from 24. November 2016
Regeste: Art. 9 BV, Art. 179 Abs. 1 ZGB und Art. 317 Abs. 1 ZPO; Kindesunterhalt als Eheschutzmassnahme; Verhältnis des Novenrechts in der Berufung zum Abänderungsverfahren. In der Berufung zulässige neue Vorbringen dürfen nicht in das Abänderungsverfahren verwiesen werden; der gegenteilige kantonale Entscheid ist willkürlich (E. 4.1 und 5).

143 III 140 (5A_725/2016) from 6. März 2017
Regeste: Art. 74 ZPO und 75 Abs. 2 BGG; Gesuch um Nebenintervention in einem Berufungsverfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen. Die Nebenintervention ist jederzeit möglich, namentlich im Berufungsverfahren. Der Grundsatz der "double instance" gemäss Art. 75 Abs. 2 BGG gilt folglich nicht für den Entscheid über ein im Berufungsverfahren gestelltes Gesuch um Nebenintervention (E. 1). Die Nebenintervention kann auch im Rahmen eines Verfahrens um vorsorgliche Massnahmen verlangt werden. Das Vorliegen eines rechtlichen Interesses daran, dass eine rechtshängige Streitigkeit zugunsten der einen Partei entschieden werde, muss glaubhaft gemacht werden. Begriff des rechtlichen Interesses (E. 4).

143 III 284 (5A_390/2016) from 17. Mai 2017
Regeste: Art. 32 IPRG; Eintragung einer ausländischen Entscheidung oder Urkunde über eine Geschlechtsumwandlung in die schweizerischen Zivilstandsregister. Die Geschlechtsumwandlung, die durch den Konsul eines ausländischen Staates in der Schweiz ausgesprochen wurde, kann in die schweizerischen Zivilstandsregister nicht eingetragen werden (E. 4 und 5).

143 III 297 (5A_256/2016) from 9. Juni 2017
Regeste: Art. 28 und 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB; Persönlichkeitsverletzung durch Mitwirkung an einer Medienkampagne. Art. 28a Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 42 Abs. 2 und Art. 423 OR sowie Art. 85 ZPO; Substanziierung des Gewinnherausgabeanspruchs. Art. 28a Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 49 OR sowie Art. 152, 157 und 168 Abs. 1 lit. f ZPO; Nachweis erlittener seelischer Unbill. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Beteiligung an einer Medienkampagne einer übermässigen Einmischung in die Individualität des Betroffenen gleichkommt und eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung darstellt, die sich auch durch ein öffentliches Informationsinteresse nicht rechtfertigen lässt (E. 6). Zum (Neben-)Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung, der dem Verletzten mit Blick auf die Substanziierung seines (nach Massgabe von Art. 42 Abs. 2 OR zu schätzenden) Gewinnherausgabeanspruchs zusteht (E. 8). Zur Tauglichkeit von Parteiverhör und Beweisaussage als Beweismittel im Streit um die infolge der Persönlichkeitsverletzung erlittene seelische Unbill (E. 9).

143 III 617 (5A_857/2016) from 8. November 2017
Regeste: Art. 9 BV; Art. 179 ZGB; Abänderung des Unterhaltsbeitrages an den Ehegatten für die Dauer des Scheidungsverfahrens; Prozesskostenvorschusspflicht. Abänderungsvoraussetzungen (E. 3.1). Glaubhaftmachen der dauerhaften Veränderung des Einkommens in einem Fall, wo ein unselbstständig erwerbstätiger Ehegatte während des Getrenntlebens seine Stelle verliert und eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnimmt (E. 5). Verhältnis des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege im Beschwerdeverfahren zum materiell-rechtlichen Anspruch auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses durch Ehegatten (E. 7).

143 III 624 (5A_590/2016) from 12. Oktober 2017
Regeste: Art. 260a Abs. 1 ZGB; Art. 260b Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 296 ZPO; Aktivlegitimation zur Anfechtung einer Kindesanerkennung; Beweisfragen im Abstammungsprozess. Voraussetzungen, unter denen die Heimat- und die Wohnsitzgemeinde des Anerkennenden oder die kantonale Aufsichtsbehörde im Zivilstandswesen auf Anfechtung einer Kindesanerkennung klagen dürfen (E. 3 und 4). Beweis, insbesondere durch DNA-Gutachten, dass der Anerkennende nicht der Vater des Kindes ist. Zulässigkeit und Voraussetzungen einer zwangsweisen Durchsetzung der gerichtlich angeordneten DNA-Begutachtung (E. 5 und 6).

143 III 693 (5A_899/2016) from 27. November 2017
Regeste: Art. 47 Abs. 2 LugÜ, Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG; Sicherungsmassnahme nach Vollstreckbarerklärung einer in Griechenland erlassenen Beschlagnahme von Vermögenswerten. Die konservative Beschlagnahme nach griechischem Zivilprozessrecht gibt nach der Vollstreckbarerklärung die Befugnis, als Sicherungsmassnahme den Arrest gemäss Art. 271 ff. SchKG zu verlangen (E. 3).

143 IV 5 (6B_310/2016) from 19. Januar 2017
Regeste: Art. 9 BV, Art. 3 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 5 StPO; Einhaltung der Frist für eine Zahlung an eine Strafbehörde. Wird die Sicherheitsleistung bei einer Post- oder Banküberweisung nicht innert der angesetzten Frist der Strafbehörde gutgeschrieben, muss diese den Vorschusspflichtigen zum Nachweis auffordern, dass der Betrag am letzten Tag der Frist seinem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet wurde (E. 2).

143 IV 241 (6B_1358/2016) from 1. Juni 2017
Regeste: Art. 319 Abs. 1 StPO; Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 BGG; häusliche Gewalt; Einstellung des Strafverfahrens bei "Aussage gegen Aussage"-Situationen; Kognition des Bundesgerichts bei Einstellungen. Der Entscheid über die Einstellung eines Strafverfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2.2.1). Voraussetzungen, unter welchen bei "Aussage gegen Aussage"-Situationen eine Einstellung ergehen darf (E. 2.2.2). Zulässigkeit von Sachverhaltsfeststellungen und Pflicht zur Beweiswürdigung nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" durch die Staatsanwaltschaft und die Beschwerdeinstanz bei Einstellungen; Kognition des Bundesgerichts bei der Überprüfung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" im Rahmen von Beschwerden gegen Einstellungsentscheide (E. 2.3). Vorliegend durfte die Vorinstanz ohne Willkür einen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklageerhebung verneinen, da die Schilderungen der Strafanzeigerin zu den geltend gemachten körperlichen Übergriffen durch ihren Ehemann sehr allgemein gehalten sowie wenig substanziiert waren und weitere Beweise fehlten. Verletzung von Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO oder des Grundsatzes "in dubio pro duriore" verneint (E. 2.4-2.6).

143 IV 500 (6B_1300/2016) from 5. Dezember 2017
Regeste: a Art. 36 Abs. 2 und 27 Abs. 1 SVG, Art. 36 Abs. 2 SSV; Vortrittsrecht an einer mit dem Signal "kein Vortritt" versehenen Kreuzung; Verkehrsspiegel. Vortrittsrecht an Kreuzungen bei schlechter Sicht (E. 1.2.1 und 1.2.2). Eigenschaften eines Verkehrsspiegels (E. 1.2.3). Ist bei einer Kreuzung das Signal "kein Vortritt" angebracht und besteht keine direkte Sicht auf die Hauptstrasse, kann sich der Vortrittsbelastete nicht darauf berufen, dass die Situation klar sei, wenn in einem Verkehrsspiegel ein herankommendes Fahrzeug erkennbar ist. Um seinen Pflichten nachzukommen, muss der Vortrittsbelastete anhalten und dem Fahrzeug auf der Hauptstrasse den Vortritt gewähren. Er kann sich auch vorsichtig in die Hauptstrasse hineintasten, um sich somit eine bessere Sicht zu verschaffen, den Abstand und die Geschwindigkeit des vortrittsberechtigten Fahrzeugs einschätzen zu können und diesem zu ermöglichen, ihn zu erkennen (E. 1.3.1)

143 V 95 (9C_528/2016) from 28. Februar 2017
Regeste: Art. 32 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 64a ff. KVV; Art. 30 ff. KLV; Art. 9 BV; Wirksam- und Zweckmässigkeit eines opioid-haltigen Medikaments; Vertrauensschutz. Ein opioid-haltiges Medikament, das von Swissmedic zur Behandlung chronischer Schmerzen - und zwar (implizit) auch im Rahmen einer somatoformen Schmerzstörung - zugelassen und ohne Limitierung in die Spezialitätenliste aufgenommen ist, gilt als allgemein wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich (E. 3.3). Übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung vorbehaltlos über längere Zeit Arzneimittel, deren Anwendung nicht (mehr) wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist, bleibt sie im Rahmen des Vertrauensschutzes dafür leistungspflichtig. Darüber hinaus ist eine Übergangsfrist für die Anpassung an eine geänderte, nunmehr richtige Praxis der Krankenpflegeversicherung zu gewähren (E. 3.7).

143 V 139 (9C_305/2016) from 23. Mai 2017
Regeste: Art. 65d Abs. 1 KVV (in der bis 31. Mai 2015 geltenden Fassung); dreijährliche Überprüfung der Bedingungen für die Aufnahme in die Spezialitätenliste; massgebender Vergleichspreis beim therapeutischen Quervergleich. Die Auslegung von Art. 65d Abs. 1 KVV, wonach beim therapeutischen Quervergleich auf den per 1. November des Überprüfungsjahres vorgesehenen Fabrikabgabepreis des gleichzeitig überprüften Vergleichsarzneimittels abzustellen ist, hält vor Bundesrecht stand (E. 6).

143 V 208 (9C_304/2016) from 23. Mai 2017
Regeste: Art. 53k BVG; Art. 32 ASV; Tochtergesellschaften im Anlagevermögen einer Anlagestiftung. Die Bestimmung von Art. 32 Abs. 1 ASV ist gesetzeskonform (E. 5.3). Sie tangiert auch nicht die Wirtschaftsfreiheit (E. 6.1.2) und die Eigentumsgarantie (E. 6.2.2). In concreto spricht kein verfassungsrechtlicher Aspekt gegen ihre Anwendung (E. 6.3-6.5).

143 V 241 (8C_83/2016) from 28. Juni 2017
Regeste: a Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 ATSV; Art. 132 Abs. 1 ZGB; Rückerstattung zu Unrecht ausgerichteter Leistungen; Anteil an Invalidenrente. Die geschiedene Ehefrau ist nach Art. 25 Abs. 1 ATSG für einen im Rahmen einer Drittauszahlung gestützt auf eine zivilgerichtlich angeordnete Schuldneranweisung (Art. 132 Abs. 1 ZGB) zu Unrecht bezogenen IV-Stammrentenanteil nicht rückerstattungspflichtig, nachdem der Leistungsanspruch des geschiedenen Ehemannes rückwirkend dahingefallen ist (E. 4).

143 V 341 (8C_108/2017) from 16. August 2017
Regeste: Art. 3 Abs. 3 UVG (in der bis Ende 2016 in Kraft gestandenen Fassung); Art. 8 UVV und Art. 2 und 3 der Verordnung vom 24. Januar 1996 über die Unfallversicherung von arbeitslosen Personen (in Kraft bis Ende 2016); Art. 27 Abs. 2 ATSG und Art. 9 BV; Abredeversicherung; Beratungspflicht des Versicherungsträgers und Grundsatz von Treu und Glauben. Der Unfallversicherer kann sich bezüglich des rechtzeitigen Abschlusses der Abredeversicherung zwar für eine erste Phase nach Einzahlung der Versicherungsprämien auf die Angaben der versicherten Personen stützen. Er darf allerdings mit der Prüfung der Rechtzeitigkeit nicht bis zu einer allfälligen Schadenmeldung zuwarten, weil er so in stossender Weise dazu beiträgt, dass sich Personen, die eine Unfalldeckung wünschen, die Abredeversicherung aber zu spät abgeschlossen haben, nicht um einen anderweitigen Unfallversicherungsschutz bemühen (E. 5.3.2).

144 I 113 (8C_162/2018) from 4. Juli 2018
Regeste: Art. 8, 9 und 49 Abs. 1 BV; aArt. 39 des Reglementes des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 14. März 2016 für das Lehrpersonal, das der Direktion für Erziehung, Kultur und Sport untersteht (LPR; in der bis Ende April 2018 in Kraft gewesenen Fassung). Die vorinstanzliche Auslegung von aArt. 39 LPR, wonach Ferien, die in den Mutterschaftsurlaub fallen, in der unterrichtsfreien Zeit vor- oder nachbezogen werden können, verstösst weder gegen das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 BV) noch gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) oder gegen das Gebot des Vorrangs und der Einhaltung von Bundesrecht (Art. 49 BV) (E. 5-8).

144 I 181 (8C_903/2017) from 12. Juni 2018
Regeste: Art. 29a BV; Art. 17 Abs. 4 der Verordnung der Stadt Zürich vom 6. Februar 2002 über das Arbeitsverhältnis des städtischen Personals; § 27a Abs. 1 in Verbindung mit § 63 Abs. 3 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959; Anordnung der Weiterbeschäftigung einer unrechtmässig gekündigten Angestellten durch das kantonale Gericht. In Nachachtung der Rechtsweggarantie gemäss Art. 29a BV erstreckt sich die Entscheidungsbefugnis des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich - entgegen der Regelung im kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz - auch auf die Anordnung der Weiterbeschäftigung einer unrechtmässig entlassenen Angestellten, da kraft kommunalen Rechts ein justiziabler Anspruch auf Weiterbeschäftigung besteht (E. 5.3.2).

144 I 193 (1C_221/2017, 1C_223/2017) from 18. April 2018
Regeste: Art. 10, Art. 48, Art. 59 Abs. 2 lit. a und Art. 109 KV/BE, Art. 5 Abs. 2, Art. 8, Art. 34 Abs. 1 und Art. 50 Abs. 1 BV; Ungültigerklärung einer kantonalen Gesetzesinitiative (Volksinitiative) im Kanton Bern wegen Verstosses gegen übergeordnetes Recht. Kriterien für die Beurteilung der materiellen Rechtmässigkeit einer kantonalen Volksinitiative; Bedeutung des Wortlauts der Initiative, insbesondere bei einer ausformulierten Gesetzesinitiative (E. 7.3). In Verbindung mit der Rüge der Verletzung ihrer Autonomie kann sich eine Gemeinde auf weitere Verfassungsrechte und -grundsätze berufen (E. 7.4.1). Die für ungültig erklärte Volksinitiative schränkt die der Stadt Bern im Bereich der lokalen Kulturförderung zukommende Autonomie durch eine finanzielle Sanktion faktisch übermässig ein und hält auch vor dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht stand (E. 7.4.2-7.4.5). Die Initiative verstösst ausserdem gegen das Rechtsgleichheitsgebot (E. 7.4.6).

144 I 318 (2C_34/2017) from 24. August 2018
Regeste: Art. 4 LRECA/VD; Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG; Art. 29 Abs. 1 BV; Begriff der Widerrechtlichkeit im Rahmen der Staatshaftung im Bereich der Raumplanung. Die Gemeinde, welche bei der Genehmigung eines Nutzungsplanes unzulässigerweise verspätet ist, handelt nicht widerrechtlich (Art. 4 LRECA/VD), ausser wenn sie durch ihre Passivität eine Schutznorm zugunsten des angeblich beeinträchtigten Grundeigentümers verletzt (E. 5). Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG ist keine solche Norm (E. 6). Voraussetzungen, unter denen eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV (Rechtsverweigerung) angesichts der Besonderheiten des Planungsverfahrens einen widerrechtlichen Akt begründet, welcher geeignet ist, die Haftung der betroffenen Gemeinde auszulösen (E. 7).

144 II 184 (2C_229/2017) from 9. März 2018
Regeste: Art. 83 lit. f BGG; Art. 29 Abs. 1 BV; öffentliches Beschaffungswesen; Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Abgrenzung zwischen öffentlicher Beschaffung und Sondernutzungskonzession; öffentliches Veloverleihsystem. Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, wenn ein oberes kantonales Gericht letztinstanzlich entschieden hat, die Streitsache betreffe eine Sondernutzungskonzession und die Beschwerdeführerin geltend macht, es handle sich um eine öffentliche Beschaffung (E. 1.3). Begriff der öffentlichen Beschaffung (E. 2.1 und 2.2) und Darlegung der angebotenen Dienstleistung im vorliegenden Fall (E. 2.3). Wenn eine private Unternehmung durch den Staat beauftragt wird, eine Aufgabe von öffentlichem Interesse zu erfüllen, so ist diese grundsätzlich als öffentliche Beschaffung zu qualifizieren, selbst wenn der Nutzer den öffentlichen Grund für seine Aktivitäten benutzen darf (E. 2.4). Die Zurverfügungstellung des öffentlichen Grundes durch den Staat bildet dabei die vom Staat eingeräumte Gegenleistung (E. 2.5; vgl. auch BGE 144 II 177). Indem das obere kantonale Gericht letztinstanzlich nicht auf einen von der interessierten Gesellschaft fristgerecht erhobenen Rekurs gegen eine Auschreibung eingetreten ist, hat sie gegen das Verbot der formellen Rechtsverweigerung verstossen (E. 3.2).

144 II 313 (2C_450/2017) from 26. Juni 2018
Regeste: Art. 127 Abs. 2 BV; Art. 86 und 91 DBG, Art. 33 Abs. 2 und 35 StHG; Art. 133 Abs. 2 und 138 ff. StG/VD; Art. 1 Abs. 1 QStV (in der seit dem 1. Januar 2014 wirksamen Fassung). Quellensteuer, Tarif C für Doppelverdiener-Ehegatten, theoretisches Einkommen des Ehegatten im Ausland; Tarif für unmündige Kinder unter dessen Obhut. Darstellung der Quellensteuer und des Tarifs für in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe lebende Ehegatten, die beide erwerbstätig sind (Tarif C "Doppelverdiener") und des Systems, das in schematischer Weise im Tarif C das Einkommen des im Ausland ansässigen Ehegatten einbezieht (E. 4). Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 5). Wenn der ausländische Ehegatte im Ausland aus seiner Erwerbstätigkeit ein geringfügiges Einkommen erzielt, führt die Struktur des Tarifs C zu einer Überbesteuerung der steuerpflichtigen Person, was im Widerspruch zur Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Art. 127 Abs. 2 BV steht, es sei denn, dies werde durch die nachträgliche Rektifikation bereinigt, die von der steuerpflichtigen Person in den Fristen gemäss Art. 137 Abs. 1 DBG und Art. 191 Abs. 1 StG/VD zu verlangen ist (E. 6 und 8). Den Tarif C3 auf die steuerpflichtige Person einzig deshalb nicht anzuwenden, weil sie keine vollständigen Kinderzulagen einer schweizerischen Kasse bezieht, findet weder im DBA CH-FR noch im DBG oder StHG eine Grundlage (E. 7 und 8).

144 III 93 (4A_635/2016) from 22. Januar 2018
Regeste: Darlehensvertrag (Art. 312 OR) oder Schenkung (Art. 239 Abs. 1 OR). Anwendung der Prinzipien zur Auslegung des Parteiwillens (Art. 18 Abs. 1 OR und Vertrauensprinzip). Kann ein tatsächlich übereinstimmender Wille der Parteien nicht festgestellt werden (fehlender natürlicher Konsens), hat das Gericht den objektiven Willen der Parteien nach dem Vertrauensprinzip zu bestimmen (Bestimmung des rechtlichen Konsens). Ein rechtlicher Konsens bedeutet nicht zwingend, dass die sich äussernde Partei tatsächlich den inneren Willen hatte, sich zu binden; es reicht, wenn die andere Partei aufgrund der nach dem objektiv verstandenen Sinn der Erklärung oder dem Verhalten nach Treu und Glauben annehmen konnte, die sich äussernde Partei habe einen Rechtsbindungswillen. Ein Schenkungswille kann unter gewissen Umständen einer Partei zugeschrieben werden, die eine Geldsumme überwies, selbst wenn dies nicht mit ihrem tatsächlichen (inneren) Willen übereinstimmt (E. 5).

144 III 145 (4A_197/2017) from 13. März 2018
Regeste: Art. 924 Abs. 1 und 927 ZGB; Klage aus Besitzesentziehung. Zwei Voraussetzungen der Klage aus Besitzesentziehung (Art. 927 Abs. 1 ZGB; E. 3.1 und 3.2). Für die erste Voraussetzung genügt der mittelbare Besitz: Übertragung des mittelbaren Besitzes an einem Grundstück vom Verkäufer an den Käufer durch Besitzanweisung (E. 3.2.1).

144 III 349 (5A_788/2017) from 2. Juli 2018
Regeste: Art. 317 Abs. 1, 296 Abs. 1 ZPO; Zulässigkeit von Noven im Berufungsverfahren; uneingeschränkte Untersuchungsmaxime. Erforscht das Gericht den Sachverhalt wie vorliegend von Amtes wegen, können die Parteien im Berufungsverfahren Noven auch dann vorbringen, wenn die Voraussetzungen von Art. 317 Abs. 1 ZPO nicht erfüllt sind (E. 4.2.1).

144 III 411 (5A_942/2017) from 7. September 2018
Regeste: Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 und Art. 272 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG, Art. III und V des Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (NYÜ), Art. 9 BV; Arrest auf Vermögenswerte eines fremden Staates gestützt auf einen ausländischen Schiedsspruch; Glaubhaftmachung des Arrestgrundes; Erfordernis einer genügenden Binnenbeziehung. Zur Frage, ob sich der Arrestrichter willkürlich über Art. V NYÜ hinwegsetzt, wenn er die Vollstreckbarkeit des gegen die Republik Usbekistan ergangenen ausländischen Schiedsspruches mit der Begründung verneint, dass das Rechtsverhältnis, das der Arrestforderung zugrunde liegt, keine hinreichende Binnenbeziehung zur Schweiz aufweise (E. 6).

144 IV 35 (6B_440/2016) from 8. November 2017
Regeste: Art. 60 Abs. 3 StPO; Art. 391 Abs. 2 StPO; Art. 410 ff. StPO; Rechtsweg, wenn eine Unregelmässigkeit in der Zusammensetzung des urteilenden kantonalen Gerichts während des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht entdeckt wird; analoge Anwendung von Art. 60 Abs. 3 StPO und des Revisionsverfahrens nach Art. 410 ff. StPO; Verbot der reformatio in peius im Revisionsverfahren. Wird ein Mangel betreffend die Zusammensetzung des kantonalen Gerichts während des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht entdeckt, ist Art. 60 Abs. 3 StPO analog anwendbar, welcher auf Art. 410 ff. StPO verweist und den Parteien erlaubt, die Revision des betreffenden Urteils zu verlangen. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hat die Partei die Revision unverzüglich zu verlangen (E. 2). Das Verbot der reformatio in peius ist auf das Revisionsverfahren anwendbar. Wird das Verfahren einzig durch den Verurteilten eingeleitet und wird sein Revisionsbegehren gutgeheissen, darf sich das neue Urteil weder betreffend die Strafhöhe noch die rechtliche Qualifikation zu seinen Ungunsten auswirken (E. 3).

144 IV 136 (2C_12/2017, 2C_13/2017) from 23. März 2018
Regeste: Art. 4 Abs. 1 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK; Art. 175 Abs. 2 und 182 Abs. 3 DBG; Art. 57bis Abs. 3 StHG; Art. 47, 48, 49 und 106 Abs. 3 StGB; Steuerhinterziehung; reformatio in peius bei Beschwerderückzug; Prinzip "ne bis in idem". Im Bereich der direkten Bundessteuer kann der kantonale Richter die Busse für Steuerhinterziehung einer reformatio in peius unterziehen (E. 5.3-5.5). Bei den kantonalen oder kommunalen Steuern steht es den Kantonen frei, eine solche Möglichkeit im Beschwerdeverfahren vorzusehen (E. 5.6-5.10). Der Rückzug einer Beschwerde führt im Prinzip zum Abschluss des Verfahrens. Der kantonale Richter kann jedoch trotz Beschwerderückzug die Busse wegen Steuerhinterziehung im Bereich der direkten Bundessteuer einer reformatio in peius unterziehen, wenn der getroffene Entscheid mit den anwendbaren Bestimmungen offensichtlich unvereinbar und seine Korrektur von erheblicher Bedeutung ist (E. 7.1; Bestätigung der Rechtsprechung). Autonomie des kantonalen Rechts in diesem Punkt in Bezug auf die kantonalen und kommunalen Steuern (E. 8). Erinnerung an die geltenden Regeln zur Festsetzung der Busse wegen Steuerhinterziehung; Nichtanwendbarkeit von Art. 49 StGB in diesem Bereich (E. 7.2). Keine Verletzung des Prinzips "ne bis in idem" im vorliegenden Fall im Zusammenhang mit einer früheren Verurteilung des Steuerpflichtigen wegen Steuerbetrug (E. 10).

144 IV 345 (6B_804/2017) from 23. Mai 2018
Regeste: Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 10 Abs. 2 und 3 StPO; Unschuldsvermutung und Beweiswürdigung, Wiederholung der Grundsätze. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung lässt keinen Raum für eine Anwendung der Regel in dubio pro reo auf die Sammlung und Sichtung der Beweismittel (E. 2.2.3.1). Die Unschuldsvermutung kommt erst in einem späteren Stadium zum Tragen (E. 2.2.3.2). Nur das Übergehen offensichtlich erheblicher Zweifel kann eine Verletzung des In-dubio-Grundsatzes begründen (E. 2.2.3.3). Anwendung dieser Grundsätze auf die Tatbestandselemente des Mordes (E. 2.2.3.4-2.2.3.7).

144 V 20 (9C_796/2016) from 22. Dezember 2017
Regeste: Art. 35b Abs. 10 lit. a KLV (in der von 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2015 in Kraft gestandenen Fassung); dreijährliche Überprüfung der Bedingungen für die Aufnahme in die Spezialitätenliste; massgebender Preisabstand bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Generika von Originalpräparaten mit geringem Marktvolumen. In den Genuss des Preisabstands gemäss Art. 35b Abs. 10 lit. a KLV kommen auch jene Generika von Originalpräparaten mit geringem Marktvolumen, die vor dem 1. Januar 2012 in die Spezialitätenliste aufgenommen worden sind (E. 6.1-6.3).

144 V 138 (9C_476/2017) from 29. März 2018
Regeste: Art. 43 Abs. 4 und 5bis KVG; Anpassung der Tarifstruktur TARMED durch den Bundesrat. Art. 43 Abs. 4 Satz 2 und Art. 43 Abs. 5bis KVG schliessen nicht aus, dass der Bundesrat bei einer Anpassung der Tarifstruktur die Taxpunkte bestimmter Positionen linear kürzt und dabei auch politischen Anliegen Rechnung trägt (E. 6.4 und 6.5).

144 V 153 (8C_440/2017) from 25. Juni 2018
Regeste: Art. 61 lit. d ATSG; reformatio in peius im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren. Seiner Zielsetzung und systematischen Stellung entsprechend setzt Art. 61 lit. d ATSG nicht voraus, dass ein kantonales Versicherungsgericht einen angefochtenen Entscheid nur dann in peius reformieren darf, wenn dieser zweifellos unrichtig und die Korrektur von erheblicher Bedeutung ist (Bereinigung der Rechtsprechung; E. 4).

145 I 73 (1C_188/2018) from 13. Februar 2019
Regeste: Art. 4 und 5 Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, Art. 17 und 27 UNO-Pakt II, Art. 2 FZA, Art. 6 und 8 EMRK, Art. 8, 9, 13, 24, 26, 27, 29, 29a und 30 BV; abstrakte Kontrolle des Neuenburger Gesetzes über Lagerplätze fahrender Gemeinschaften (LSCN). Konventions- und verfassungsrechtlicher Rahmen zum Schutz fahrender Gemeinschaften (E. 4). Das LSCN begründet keine Ungleichbehandlung zwischen den fahrenden Gemeinschaften und der sesshaften Bevölkerung (E. 5.2); es verletzt das Diskriminierungsverbot nicht, indem es Plätze für den Aufenthalt und die Durchreise von "schweizerischen fahrenden Gemeinschaften" und Plätze für die Durchreise von "anderen fahrenden Gemeinschaften" vorsieht (E. 5.3). Das LSCN ist sowohl mit der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) als auch mit der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) vereinbar (E. 6). Die Räumung eines rechtswidrigen Lagers - vorgesehen in den Art. 24 bis 28 LSCN - verletzt weder den Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) noch die Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV) noch die Allgemeinen Verfahrensgarantien (Art. 29 BV) noch die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) noch die gerichtlichen Verfahrensgarantien (Art. 30 BV) (E. 7).

145 I 108 (2C_201/2018) from 15. Oktober 2018
Regeste: Art. 9 Abs. 1 BV; Art. 12 des Reglements des Regierungsrats des Kantons Waadt vom 9. November 2010 über die Harmonisierung und die Koordination der Gewährung von Sozialleistungen, Ausbildungsbeiträgen und Wohnbeihilfen; Wiedererwägung des Betrags eines Stipendiums; Personen, die im gleichen Haushalt leben; stabiles Konkubinat; Unterstützungspflicht; Willkürverbot. Darstellung der waadtländischen Bestimmungen, welche bei der Gewährung von Stipendien die Berücksichtigung des Einkommens der Person, die eine faktische Lebensgemeinschaft mit dem Gesuchsteller führt, verlangen (E. 4.1-4.3). Prüfung des Begriffs "Personen, die eine faktische Lebensgemeinschaft führen" gemäss kantonalem Recht im Lichte der Gesetzgebung und der Rechtsprechung (E. 4.4). Es ist willkürlich anzunehmen, dass zwei Partner "eine faktische Lebensgemeinschaft führen", nur weil sie eine gemeinsame Wohnung bezogen haben, und einzig gestützt auf diesen Umstand den Betrag eines Stipendiums, welches einem der Partner gewährt wurde, unter Berücksichtigung des Lohns des anderen Partners anzupassen (E. 4.5-4.7).

145 I 207 (1C_338/2018) from 10. April 2019
Regeste: Eidgenössische Volksabstimmung vom Februar 2016 über die Volksinitiative "Für Ehe und Familie - gegen die Heiratsstrafe", Informationslage im Vorfeld der Abstimmung, nachträglich entdeckte krasse Unregelmässigkeiten, Auswirkung auf das Abstimmungsergebnis; Art. 5, 29, 29a, 34, 182 und 189 BV, Art. 10a, 11, 15 und 77 ff. BPR, Art. 82, 88, 89 und 100 BGG. Rechtsweg im Fall von nachträglich bekannt gewordenen Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit einer eidgenössischen Volksabstimmung (E. 1.1); Beschwerdefrist (E. 1.3); Verbot von echten Noven (E. 1.4); allgemeine Informationslage im Vorfeld einer Abstimmung als möglicher Beschwerdegegenstand (E. 1.5). Anforderungen an die Erläuterungen gegenüber den Stimmberechtigten, namentlich Grundsätze der Objektivität und Transparenz (E. 2). Falsche und lückenhafte Informationen, die vor der streitigen Abstimmung abgegeben wurden (E. 3.1-3.3); Verletzung der Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BV) (E. 3.4). Voraussetzungen für die Aufhebung einer Volksabstimmung bei nachträglich bekannt gewordenen Unregelmässigkeiten (E. 4.1); Auswirkung der Aufhebung einer eidgenössischen Volksabstimmung auf den Erwahrungsbeschluss des Bundesrats (E. 4.2); Aufhebung der streitigen eidgenössischen Volksabstimmung, weil die Unregelmässigkeiten krass sind, das Abstimmungsergebnis knapp ausfiel und die Rechtssicherheit gewahrt ist (E. 4.3).

145 II 140 (1C_631/2017) from 29. März 2019
Regeste: Erneuerung und Sanierung eines bestehenden Wasserkraftwerks, das sich auf ein ehehaftes Wasserrecht stützt (Art. 31 ff. und 80 GSchG; Art. 43, 54 lit. e und 58 WRG). Streitig ist, ob das 1967 vom Kanton anerkannte ehehafte Wasserrecht einer integralen Restwassersanierung des bestehenden Kraftwerks entgegensteht (E. 2 und 3). Überblick über Rechtsprechung und Literatur zu den wohlerworbenen Rechten (E. 4) und den ehehaften Rechten (E. 5). Sondernutzungskonzessionen ohne zeitliche Begrenzung sind verfassungswidrig (E. 4.4). Das ehehafte Wasserrecht des Beschwerdegegners gewährt ein Sondernutzungsrecht an einem öffentlichen Gewässer (E. 6.3), das nicht unbefristet gelten kann, sondern nur bis zur Amortisation der getätigten Investitionen, längstens für 80 Jahre (E. 6.4). Es ist daher heute (entschädigungslos) dem aktuellen Recht zu unterstellen. Für die Fortführung der Wassernutzung bedarf es deshalb einer Konzession; einzuhalten sind die gesetzlichen Vorschriften für Neuanlagen, einschliesslich der Restwasservorschriften (E. 6.5).

145 II 259 (2C_524/2018) from 8. Mai 2019
Regeste: Art. 48 VwVG; Art. 29 KG; kartellrechtliche Beschwerdelegitimation. Eröffnet die Wettbewerbskommission gegen mehrere an einer angeblich unzulässigen Wettbewerbsabrede beteiligte Unternehmungen eine Untersuchung und stimmt eines davon einer einvernehmlichen Regelung zu, so sind die anderen beteiligten Unternehmungen nicht legitimiert, die Verfügung anzufechten, mit der die einvernehmliche Regelung genehmigt wurde (E. 2).

145 III 1 (5A_404/2018) from 6. November 2018
Regeste: Art. 527 Ziff. 1 ZGB; Herabsetzung; gemischte Schenkung; Beweis des Schenkungswillens. Die Herabsetzung einer gemischten Schenkung setzt insbesondere voraus, dass der Erblasser das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zur Zeit des Vertragsabschlusses tatsächlich erkannt hat. Beweislast für den Schenkungswillen des Erblassers (E. 3 und 4).

145 III 20 (5A_1017/2017) from 12. September 2018
Regeste: Art. 82 SchKG; provisorische Rechtsöffnung und Kaufvertrag. Provisorische Rechtsöffnung, wenn der betriebene Schuldner behauptet, der Betreibungsgläubiger habe seine Leistung nicht erbracht oder angeboten (E. 3 und 4).

145 III 213 (5A_648/2018) from 25. Februar 2019
Regeste: Art. 82 SchKG; Art. 16 IPRG; provisorische Rechtsöffnung; Beweismass für das auf Einwendungen anwendbare ausländische Recht; Umfang der Prüfung der Begründetheit der durch ausländisches Recht geregelten Einwendungen. Es obliegt dem Betriebenen, den Inhalt des ausländischen Rechts glaubhaft zu machen, welches für die von ihm erhobenen Einwendungen gilt. Der Richter muss die materielle Begründetheit der Einwendungen summarisch prüfen (E. 6).

145 IV 99 (1C_393/2018) from 14. Dezember 2018
Regeste: a Art. 42 Abs. 2 Satz 2 und Art. 84 BGG. Besonders bedeutender Rechtshilfefall; Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Verfahren; Substanziierung und vorläufige Prüfung der Rüge. Zusammenfassung und Präzisierung der Praxis zu den Eintretensvoraussetzungen des "besonders bedeutenden Falles" (E. 1.1 und 1.2). Widerspruch zwischen (einerseits) dem deutschen und italienischen Gesetzeswortlaut und (anderseits) der französischen Textfassung von Art. 84 Abs. 2 BGG. Massgeblich sind die Fassungen auf Deutsch und Italienisch. Danach kann auch die drohende Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren - etwa des rechtlichen Gehörs - einen besonders bedeutenden Fall begründen (E. 1.3). Auf ausreichend substanziierte Vorbringen hin erfolgt (im Rahmen der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzung) eine vorläufige materielle Prüfung der drohenden Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze (E. 1.4 und 1.5). Das Vorliegen eines besonders bedeutenden Falles wurde hier bejaht (E. 2).

145 IV 154 (6B_52/2019) from 5. März 2019
Regeste: Art. 125 StGB; im Rahmen eines Fussballspiels zugefügte fahrlässige Körperverletzung; Grundsatz "neminem laedere". Ob das im Rahmen eines Fussballspiels begangene Tackling eines Spielers als schwerwiegende Verletzung der Spielregeln zu qualifizieren ist und wie die Spielregeln grundsätzlich auszulegen sind, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage (E. 1). Um zu bestimmen, ob die Verletzung der Spielregeln derart schwer wiegt, dass eine stillschweigende Einwilligung des Opfers in das mit dem Fussballsport einhergehende Risiko einer Körperverletzung auszuschliessen ist, können die für das Strafrecht massgebenden Grenzen nicht von dem nach den Spielregeln vorgesehenen Sanktionen- und Verwarnungssystem übernommen werden. Im vorliegenden Fall ist das mit einem auf der Höhe von 10 bis 15 cm über dem Boden ausgestreckten Bein begangene Tackling, welches der Schiedsrichter als "gefährlich" einschätzte, als eine "schwerwiegende Verletzung" der Spielregeln zu qualifizieren, mit welcher der Täter seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Der Täter konnte sich insofern nicht auf den Grundsatz "volenti non fit iniuria" berufen (E. 2).

145 IV 167 (6B_1098/2018) from 21. März 2019
Regeste: Art. 62c Abs. 1 lit. a und Art. 62d Abs. 1 StGB; Art. 19 Abs. 2 lit. b und Art. 363 ff. StPO; Gerichts- und Behördenorganisation bei Aufhebung und Umwandlung von Massnahmen; Spruchkörperbesetzung. Den Kantonen steht es frei, eine gerichtliche Instanz zu schaffen, welche sowohl über die Aufhebung einer Massnahme als auch deren Umwandlung gleichzeitig in einem einzigen Entscheid befinden kann (E. 1.5). Anwendbares Verfahrensrecht und Rechtsmittelweg (E. 1.6). Abgrenzung der Anordnung der Verwahrung gemäss Art. 62c Abs. 4 i.V.m. Art. 64 Abs. 1 StGB von der nachträglichen Verwahrung nach Art. 65 Abs. 2 StGB hinsichtlich des anwendbaren Verfahrensrechts und der Voraussetzungen (E. 1.7). Verneinung einer Verletzung von Bestimmungen der EMRK (E. 1.8). Über Beschwerden gegen eine in einem selbstständigen nachträglichen Verfahren angeordnete Verwahrung hat die Beschwerdeinstanz als Kollegialgericht zu befinden (E. 2.3).

145 IV 513 (6B_878/2018) from 29. Juli 2019
Regeste: Art. 2 lit. a, Art. 2a, Art. 19 Abs. 1 lit. a und d BetmG; Art. 1 Abs. 2 lit. a BetmVV-EDI und Anhang 5; Art. 1 StGB; Gesamt-THC-Gehalt von Cannabis; Legalitätsprinzip. Als Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes werden unter anderem abhängigkeitserzeugende Stoffe des Wirkungstyps Cannabis bezeichnet. Der Gesetzgeber verweist zur Konkretisierung auf ein Verzeichnis des EDI (vgl. Art. 2 lit. a und Art. 2a BetmG), was das Bestimmtheitsgebot nicht verletzt. Gesetz und Verordnung legen die Messart des Gesamt-THC-Gehalts nicht fest. Dies verletzt das Legalitätsprinzip und das Bestimmtheitsgebot nicht. Beim Gesamt-THC-Gehalt handelt es sich um die Summe von THC und THC-Carbonsäure (E. 2.3).

145 V 75 (8C_630/2018) from 12. Februar 2019
Regeste: Art. 20 Abs. 2 UVG; Art. 33 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2 lit. a UVV; Art. 35 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 25 AHVG; Anrechnung der IV-Kinderrente bei der Komplementärrente. Die fehlende zivilrechtliche Unterhaltspflicht rechtfertigt kein Abweichen von der vollen Anrechenbarkeit der IV-Kinderrente eines mündigen, sich in Zweitausbildung befindenden Kindes bei der Festsetzung der Komplementärrente (E. 5.2).

145 V 278 (8C_9/2019) from 22. August 2019
Regeste: Art. 42quater Abs. 3 IVG; Art. 39a lit. c IVV; Art. 42ter Abs. 3 IVG; Assistenzbeitrag für minderjährige versicherte Personen. Minderjährige versicherte Personen, denen ein Intensivpflegezuschlag nach Art. 42ter Abs. 3 IVG von mindestens 6 Stunden pro Tag ausgerichtet wird, haben Anspruch auf einen Assistenzbeitrag (E. 6).

145 V 326 (9C_329/2019) from 17. Oktober 2019
Regeste: Art. 9 Abs. 1 AHVG; Art. 5 VwVG; Art. 49 ATSG; Art. 9 BV; Nichtigkeit einer Verfügung über Beiträge aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Die im Steuerrecht geltenden Grundsätze zur Nichtigkeit einer (rechtskräftigen) Ermessensveranlagung (vgl. Urteil 2C_679/2016 vom 11. Juli 2017) gelten sinngemäss auch bei Verfügungen über Beiträge aus selbständiger Erwerbstätigkeit, welche auf einer steuerrechtlichen Ermessensveranlagung beruhen, wenn die betreffende versicherte Person bestreitet, überhaupt selbständig erwerbstätig zu sein (E. 4).

146 I 83 (1C_337/2019) from 13. November 2019
Regeste: Art. 37, 38 Abs. 2, Art. 50 Abs. 1 BV, §§ 39, 59 und 64 KV/BS, Art. 11-13 BüG; abstrakte Normenkontrolle: verletzt eine kantonale Vermutungsregel bei der Prüfung eines Kriteriums der ordentlichen Einbürgerung die Autonomie der basel-städtischen Bürgergemeinden? Eintreten (E. 1). Autonomie der basel-städtischen Bürgergemeinden im Bereich der ordentlichen Einbürgerung (E. 2). Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 3). Föderalistische Kompetenzausscheidung beim Entscheid über die ordentliche Einbürgerung; Tragweite einer gesetzlichen Vermutung für ein einzelnes Einbürgerungskriterium (hier: Nachweis von Grundkenntnissen durch Schulbesuch); Vergleich mit einer analogen Vermutungsregel im Bundesrecht und Bedeutung der Richtlinien des Bundes (E. 4). Tauglichkeit der Vermutungsbasis (E. 5). Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 6). Schlussfolgerung (E. 7).

146 II 304 (1C_22/2019, 1C_476/2019) from 6. April 2020
Regeste: Besitzstandsschutz von zonenwidrigen Bauten ausserhalb der Bauzone im Gewässerraum (Art. 41c Abs. 2 GSchV; Art. 24c RPG). Art. 41c GSchV enthält eine gegenüber Art. 24c RPG eigenständige Besitzstandsgarantie (abweichend von Urteil 1C_345/2014 vom 17. Juni 2015 E. 4). Diese orientiert sich an der verfassungsmässigen Besitzstandsgarantie und umfasst den Bestand, die Weiternutzung und den Unterhalt von Bauten sowie Änderungen, welche die Funktionen des Gewässerraums nicht berühren. Unzulässig ist dagegen die Erweiterung oder der Wiederaufbau zonenwidriger Bauten ausserhalb der Bauzone im Gewässerraum (E. 9).

146 III 303 (5A_764/2019) from 10. März 2020
Regeste: Art. 95, 98 BGG; Art. 283 SchKG; Rechtsnatur der Aufnahme des Retentionsverzeichnisses; Folgen für die Beschwerde in Zivilsachen. Unterscheidung der Rechtsnatur der Aufnahme des Retentionsverzeichnisses danach, ob die materiellen Voraussetzungen oder der Vollzug dieser Massnahme streitig sind (E. 2).

146 III 435 (5A_126/2020) from 8. Juni 2020
Regeste: Art. 222 Abs. 4 SchKG, Art. 400 OR; Auskunftspflicht des Dritten im Konkurs; Folgen für den Beauftragten. Die Auskunftspflicht des Dritten hat den gleichen Umfang wie diejenige des Schuldners. Der Beauftragte des Konkursiten kann gegenüber dem Konkursamt nur die Übermittlung rein interner Dokumente verweigern (E. 4).

146 IV 88 (6B_614/2019) from 3. Dezember 2019
Regeste: Art. 91a Abs. 1 i.V.m. Art. 55 Abs. 1 und 2 SVG und Art. 10 Abs. 2 SKV; Verweigerung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit; Betäubungsmittelvortests; hinreichende Verdachtsmomente zur Durchführung; Beweiswert. Für die Durchführung von Vortests nach Art. 10 Abs. 2 SKV genügen geringe Anzeichen einer durch Betäubungs- oder Arzneimittel beeinträchtigten Fahrfähigkeit; eines hinreichenden Tatverdachts, wie er zur Anordnung strafprozessualer Zwangsmassnahmen nach Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO erforderlich ist, bedarf es nicht (E. 1.4.2). Art. 91a SVG ist ein Erfolgsdelikt. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn die zuverlässige Ermittlung der Fahrunfähigkeit mittels der im Gesetz vorgesehenen Untersuchungsmethoden durch aktiven oder passiven Widerstand verunmöglicht wird, d.h. definitiv nicht mehr möglich ist. Die Verweigerung von Betäubungsmittelvortests genügt hierzu nicht, da diesen lediglich eine Indikatorfunktion zukommt und sie nicht geeignet sind, den relevanten medizinischen Zustand der betroffenen Person zum Abnahme- bzw. Fahrzeitpunkt exakt festzustellen (E. 1.6.2 und 1.6.3).

146 IV 114 (6B_1311/2019) from 5. März 2020
Regeste: Art. 116 StGB; Kindstötung. Tötet eine Mutter ihr Kind nach der Geburt, setzt der privilegierende Tatbestand der Kindstötung voraus, dass sie unter dem Einfluss des Geburtsvorganges handelte, welcher bis zur Nachgeburt unwiderlegbar vermutet wird. Die Erwähnung im Gesetz dieser zwei Zeitabschnitte (Geburt und einige Zeit danach) bedeutet nicht, dass sich diese unterscheiden. Sie erfassen den gleichen Zustand. Es stellt sich daher die Frage, wann dieser Zustand endet. Ob der Einfluss des Geburtsvorganges im Tatzeitpunkt weiter bestand, ist eine Tatfrage, welche den Geltungsbereich des Gutachtens betrifft. Ist der Weiterbestand erstellt, wird der Einfluss von Gesetzes wegen vermutet. Diese Rechtsfrage entzieht sich einer Beweiswürdigung (E. 2).

146 IV 196 (6B_1430/2019) from 10. Juli 2020
Regeste: Art. 422 Abs. 1 StPO; Gebühren. Die Gebühren im Sinne von Art. 422 Abs. 1 StPO haben sich nicht an der Höhe der Sanktion zu orientieren (E. 2.2).

146 IV 267 (6B_40/2020) from 17. August 2020
Regeste: Art. 5 Ziff. 1 EMRK; Art. 11 BV; Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 KRK; Art. 372 Abs. 1 und 3 StGB; Art. 439 Abs. 2 StPO; Strafvollzug, Vollzugsbefehl, Kindeswohl. Der Strafvollzug ist die zwingende gesetzliche Rechtsfolge der Straftat (E. 3.2.1). Die Trennung der Mutter von ihrem Kind ist eine zwangsläufige, unmittelbar gesetzmässige Folge des Vollzugs der Freiheitsstrafe und der damit verbundenen Nebenfolgen (E. 3.2.2). Das StGB und das kantonale Konkordatsrecht kennen zahlreiche Vollzugsformen für Freiheitsstrafen (E. 3.2.4). Weder die Bestimmungen der BV noch jene der KRK und der anderen menschenrechtlichen Übereinkommen hindern den Vollzug der gesetzmässigen Freiheitsstrafe. Der verurteilte Elternteil ist nicht berechtigt, gegen die Vollzugsverfügung Rechte der Kinder in eigenem Namen geltend zu machen (E. 3.3.3). Soweit die verurteilte Person nicht selber eine Betreuung ihrer Kinder organisiert, wird dies Aufgabe der Kindesschutzbehörde (KESB) sein. Das ist keine Frage des Vollzugsrechts (E. 3.4.3).

146 IV 297 (6B_1162/2019) from 30. Juni 2020
Regeste: Art. 5 Abs. 3 BV; Art. 116 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 AIG; Art. 17 StGB; Förderung der rechtswidrigen Einreise; Notstandshilfe; Dublin-Verfahren. Die Beschwerde ist gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet des Asyls unzulässig. Das Bundesgericht tritt auf diesbezügliche Rügen nicht ein (E. 1.3). Der rechtfertigende wie der entschuldbare Notstand setzen voraus, dass die Gefahr nicht anders abwendbar war. Auch die Notstandshilfe steht deshalb unter der Voraussetzung der absoluten Subsidiarität. Entsprechendes gilt für den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen (E. 2.2.1). Der Asyl-Antragsteller befand sich im nach dem Dublin-Verfahren zuständigen Mitgliedstaat Italien (E. 1.3) in einer schwierigen, aber nicht ausweglosen und auch nicht in einer aussergewöhnlichen Situation im Sinne von Art. 3 EMRK (E. 2.2.3). Ein Notstand lässt sich nicht bejahen. Das tatbestandsmässige Handeln erweist sich als rechtswidrig (E. 2.2.9). Im Strafpunkt war keine doppelte Privilegierung (Art. 116 Abs. 2 AIG kumuliert mit Art. 52 StGB) vorzunehmen (E. 2.3).

146 V 9 (9C_413/2019) from 4. Dezember 2019
Regeste: Art. 44 ATSG; Delegation von Aufgaben und Mitwirkungsrecht der versicherten Person im Rahmen der medizinischen Begutachtung. Die Pflicht des Versicherungsträgers, der versicherten Person vor Beginn der Begutachtung den Namen des Sachverständigen mitzuteilen, erstreckt sich auf den Namen des Arztes, der im Auftrag des Gutachters die Anamnese der zu begutachtenden Person erstellt, die medizinischen Akten analysiert und zusammenfasst oder die Expertise auf deren Schlüssigkeit hin überprüft (E. 4.2.3).

146 V 271 (8C_508/2019) from 27. Mai 2020
Regeste: Art. 20sexies Abs. 1 lit. b IVV; Taggelder während Eingliederungsmassnahmen. Art. 20sexies Abs. 1 lit. b IVV (in Kraft seit 1. Januar 2008), wonach Versicherte als erwerbstätig gelten, wenn sie glaubhaft machen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten, fehlt die gesetzliche Grundlage (E. 7).

147 I 57 (2C_92/2019) from 31. Januar 2020
Regeste: Art. 34 FINMAG; Art. 6, Art. 7 EMRK; Art. 14 Abs. 3 lit. g UNO-Pakt II; Art. 32 Abs. 1 BV. Die finanzmarktrechtliche Publikationsanordnung qualifiziert nicht als eine strafrechtliche Anklage bzw. eine Strafe im Sinne der Art. 6 und 7 EMRK. Entstehungsgeschichte der finanzmarktrechtlichen Publikationsanordnung (E. 2.1 und 2.2). Die Publikationsanordnung im neueren Recht der EU (E. 2.3). Abgrenzung verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Sanktionen im Recht der EU im Lichte der Kompetenzabgrenzungen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten (E. 2.4). Wandel der Reputationssanktion zu einem Instrument der Markttransparenz (E. 3). Die Realdurchsetzung der innerstaatlichen verwaltungsrechtlichen Ordnung über repressive verwaltungsrechtliche Sanktionen (E. 4.2). Abgrenzung repressiver verwaltungsrechtlicher Sanktionen von strafrechtlichen Sanktionen anhand der "Engel-Kriterien" (E. 4.3). Unschuldsvermutung und nemo-tenetur (E. 5.1). Vorliegen einer strafrechtlichen Anklage (Art. 6 EMRK) bzw. einer Strafe (Art. 7 EMRK) in Anwendung der "Engel-Kriterien" (E. 5.2). Eine auf Art. 34 FINMAG gestützte und angemessen zu befristende Publikation einer Unterlassungsanweisung erfüllt keines der "Engel-Kriterien", weshalb ein auf Erlass dieser Sanktion gerichtetes Verwaltungsverfahren keine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK darstellt (E. 5.3-5.5).

147 I 103 (1C_181/2019) from 29. April 2020
Regeste: a Art. 10 und 22 BV; Art. 11 EMRK; Art. 84 Abs. 1 PolG/BE; Unverhältnismässigkeit der Verbindung der Wegweisungs- und Fernhaltungsmassnahmen mit einer Strafdrohung nach Art. 292 StGB. Die automatische Verbindung zwischen den Wegweisungs- und Fernhaltungsmassnahmen mit der Strafdrohung nach Art. 292 StGB ist weder erforderlich noch verhältnismässig im engeren Sinne (E. 10.4).

147 I 225 (1C_245/2019) from 19. November 2020
Regeste: Art. 5 RPG, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 und Art. 49 Abs. 1 BV; abstrakte Kontrolle des Gesetzes des Kantons Basel-Landschaft über die Abgeltung von Planungsmehrwerten. Der allgemeine Gesetzgebungsauftrag in Abs. 1 von Art. 5 RPG behält auch nach der Gesetzesrevision vom 15. Juni 2012 seinen Charakter als bindendes Recht. Das kantonale Recht muss deshalb einen angemessenen Ausgleich auch für jene erheblichen Vorteile regeln, die aus Um- oder Aufzonungen entstehen. Es ist bundesrechtswidrig, wenn ein Kanton lediglich die Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 bis -1 sexies RPG umsetzt, indem er einen Mehrwertausgleich nur bei Neueinzonungen vorsieht, und den Gemeinden gleichzeitig verbietet, einen eigenen, weitergehenden Vorteilsausgleich einzuführen. Zumindest im über den Kernbereich von Abs. 1 bis hinausgehenden Bereich des erweiterten Mehrwertausgleichs nach Abs. 1 erscheinen vertragliche Lösungen möglich, doch ist es bundesrechtswidrig, gleichzeitig die Erhebung einer Abgabe durch einseitigen Akt auszuschliessen (E. 4). Für den gemäss Art. 5 Abs. 1 quinquies lit. b RPG von der Abgabe ausgenommenen Betrag (Freibetrag oder Freigrenze) gilt ein Richtwert von Fr. 30'000.-. Erheblich darüber hinausgehende Beträge bedürfen der besonderen Rechtfertigung. Eine solche ist der Kanton Basel-Landschaft in Bezug auf die von ihm vorgesehene Freigrenze von Fr. 50'000.- schuldig geblieben (E. 5).

147 I 241 (2C_283/2020) from 5. Februar 2021
Regeste: Art. 213 ff. ZPO; Art. 6 ff. der Verordnung über die Mediation in Zivil-, Straf- und Jugendstrafsachen des Kantons Freiburg vom 6. Dezember 2010 (MedV/FR); Mediation; Bewilligung der Ausübung; Rechtsprechung und Organisation der Gerichte; unentgeltliche Rechtspflege; derogatorische Kraft des Bundesrechts. Darstellung der rechtlichen Vorschriften des Kantons Freiburg, welche die justizförmige Tätigkeit des Mediators in Zivilsachen einer Bewilligungspflicht unterwerfen (E. 3). Die Kantone haben die originäre Kompetenz, die justizförmige Tätigkeit von Mediatoren in Zivilsachen zu regeln (E. 5.1). Aus Art. 213 ff. ZPO folgt jedoch, dass die Kantone das Recht zur Ausübung dieser Funktion nicht von der vorgängigen Erteilung einer Bewilligung abhängig machen dürfen (E. 5.2-5.8). Möglichkeit für einen Kanton, eine Liste mit Personen zu führen, die im Bereich der Mediation qualifiziert sind, und die Kosten für Mediationsverfahren nur zu übernehmen, wenn sich die Parteien an eine dieser Personen wenden (E. 5.7.6 und 5.7.7). Praktische Auswirkungen dieser Grundsätze (E. 6).

147 II 155 (2C_132/2020) from 26. November 2020
Regeste: Auslegung von Art. 62 Abs. 4 DBG (Art. 28 Abs. 1ter StHG). Art. 62 Abs. 4 DBG ist eine steuerrechtliche Berichtigungsbestimmung. Sie ermöglicht, beim steuerbaren Gewinn der geprüften Periode nicht begründete Abschreibungen oder Wertberichtigungen aus einem früheren Steuerjahr aufzurechnen, soweit sie sich auf die in Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG erwähnten Beteiligungen beziehen. Die Aufrechnung kann Abschreibungen oder Wertberichtigungen betreffen, die sich als nicht mehr begründet erweisen oder es nie waren. Analogie mit Art. 63 Abs. 2 DBG (E. 10).

147 II 264 (2C_1060/2017) from 29. Oktober 2020
Regeste: Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB; Ziff. 2 des Anhangs 2 und Fussnote 1 des Anhangs 3 der Anlage I des WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen. Umsetzung von Verpflichtungen aus internationalen Verträgen in nationales Recht. Unterstellung einer privatrechtlichen Stiftung unter die IVöB. Begriff der "Einrichtung des öffentlichen Rechts" im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB i.V.m. Ziff. 2 des Anhangs 2 und Fussnote 1 zu Anhang 3 der Anlage I des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (E. 3 und 4.1). Die Beschwerdeführerin, eine Stiftung des privaten Rechts (Art. 80 ff. ZGB), ist eine Einrichtung mit Rechtspersönlichkeit, die speziell zur Erfüllung von Bedürfnissen im allgemeinen Interesse geschaffen wurde (E. 4.2.2), ohne industriellen oder gewerblichen Charakter (E. 4.2.3 und 4.2.4.), und über die der Staat oder andere öffentlichen Stellen einen beherrschenden Einfluss ausüben (E. 4.3). Sie kann daher als "Einrichtung des öffentlichen Rechts" definiert werden, welche der IVöB untersteht (E. 4.4). Nichtigkeit des gesamten Verfahrens im Lichte des schwerwiegenden und offensichtlichen Verstosses gegen die wesentlichen Grundsätze zur Vergabe öffentlicher Aufträge (E. 4.4).

147 IV 73 (6B_572/2020) from 8. Januar 2021
Regeste: Art. 146 Abs. 1 StGB; Betrug; Entgelt für sexuelle Dienstleistungen; Täuschung über die Zahlungsbereitschaft; Arglist; Vermögensschaden. Die Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft ist als Täuschung über innere Tatsachen grundsätzlich arglistig. Dass das Täuschungsopfer im konkreten Fall die sexuellen Dienstleistungen erbracht hat, ohne auf Vorauszahlung des vereinbarten Entgelts zu bestehen, führt nicht zu seiner alleinigen, die Strafbarkeit des Täuschenden ausschliessenden Verantwortung für den erlittenen Schaden (E. 3.3 und 4.2). Dem Anspruch einer sich prostituierenden Person auf Entschädigung für die von ihr erbrachte sexuelle Dienstleistung kommt Vermögenswert zu (E. 7.2).

147 V 35 (8C_678/2019) from 14. September 2020
Regeste: Art. 10 Abs. 3 Satz 2 UVG (in der seit 1. Januar 2017 geltenden Fassung); Art. 18 UVV (in der seit 1. Januar 2017 geltenden Fassung); Hilfe und Pflege zu Hause. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 4). Definition des Begriffs der Hilfe und Pflege zu Hause (E. 5). Nur die von einer zugelassenen Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 UVV durchgeführte medizinische Pflege zu Hause wird vom Versicherer ohne Kostenbeteiligung des Versicherten übernommen (E. 7). Der erforderliche zeitliche Bedarf zur Verrichtung der medizinischen Pflegehandlung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 UVV ist vom Versicherer vollumfänglich zu übernehmen; dabei sind sowohl deren technische Ausführung als auch die dazu in einem Konnex stehenden Begleithandlungen zu berücksichtigen. Wenn die medizinische Pflegehandlung durch eine nicht zugelassene Person ausgeführt werden kann (Art. 18 Abs. 2 lit. a UVV), berechnet sich der Beitrag des Versicherers anhand der Zeit, die für die Verrichtung der medizinischen Pflegehandlung sowie der dafür nötigen Begleithandlungen erforderlich ist (E. 8.4). Abgrenzung zwischen einzelnen medizinischen und nichtmedizinischen Pflegehandlungen im Sinne von Art. 18 Abs. 2 UVV einerseits und nichtmedizinischen Pflegehandlungen, die durch die Hilflosenentschädigung nach Art. 26 UVG abgedeckt werden, andererseits (E. 9).

147 V 133 (9C_179/2020) from 16. November 2020
Regeste: Art. 29bis Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 36 Abs. 2 IVG; Art. 8 Abs. 2 BV; Berechnungsgrundlage des Betrags der Invalidenrente bei Revision des Rentenanspruchs einer Person, die an einem Geburtsgebrechen leidet. Die Änderung des Invaliditätsgrades und die daraus resultierende Erhöhung des Rentenanspruchs bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes stellen einen Revisionsfall i.S.v. Art. 17 ATSG dar (E. 5.1), nicht einen neuen Versicherungsfall (E. 5.3). Nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis rechtfertigt es sich, bei der Festlegung des neuen Rentenbetrages die gleichen Berechnungsgrundlagen anzuwenden wie bisher, auch wenn das Einkommen des Versicherten in der Zwischenzeit erheblich gestiegen ist. Diese Rechtsprechung und Verwaltungspraxis verstossen nicht gegen Art. 8 Abs. 2 BV (E. 5.2). Bestätigung der Rechtsprechung (E. 5.4).

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