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Art. 8 Rechtsgleichheit
1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. 2 Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. 3 Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. 4 Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor. BGE
96 I 737 () from 23. Dezember 1970
Regeste: Auskunfterteilung nach dem Doppelbesteuerungsabkommen vom 24. Mai 1951 zwischen der Schweiz und den USA (DBA-US). 1. Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der Eidg. Steuerverwaltung, wonach auf Grund des Doppelbesteuerungsabkommens mit den USA der zuständigen amerikanischen Behörde eine Auskunft zu erteilen ist (Erw. 1). 2. Notwendigkeit der Auskunfterteilung für die Verhütung von Betrugsdelikten und dergleichen im Sinne von Art. XVI Abs. 1 DBA-US (Erw. 3). 3. Einfluss der allgemeinen Steueramnestie des Bundes und der Verjährung des Steuerbetruges auf die Auskunftspflicht (Erw. 4 und 5). 4. Erhältlichkeit der Auskunft nach Landesrecht. Bankgeheimnis (Erw. 6).
125 I 227 () from 21. April 1999
Regeste: Art. 85 lit. a OG; Zulässigkeit der kantonalen Initiative»Genève, République de Paix». Einheit der Materie (E. 3). Vereinbarkeit der Initiative mit dem übergeordneten Recht; grundsätzliche Erwägungen; Tragweite eines allgemeinen Vorbehaltes zugunsten des eidgenössischen Rechts (E. 4). Bei restriktiver Auslegung verstösst die Intitiativbestimmung, welche eine Intervention des Kantons bei «internationalen Institutionen» vorsieht, nicht gegen die aussenpolitischen Kompetenzen des Bundes (E. 5). Dass sich der Kanton für die Senkung des Militärbudgets einsetzen solle (E. 6), für die Rückwidmung von militärischem Gelände zu zivilen Zwecken (E. 7), für die Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem militärischen auf den zivilen Sektor (E. 8) sowie für die Aufnahme von Gewaltopfern (E. 9), erscheint bundesrechtskonform. Zulässig ist auch die Förderung des Zivildienstes im Rahmen einer objektiven Informationspolitik und durch Einrichtung einer angemessenen Infrastruktur (E. 10). Unzulässig wäre hingegen ein Verzicht des Kantons auf jeglichen Einsatz von Truppen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung auf dem kantonalen Territorium (E. 11) oder zur Gewährleistung der Sicherheit von internationalen Konferenzen (Assistenzdienst; E. 12).
126 I 76 () from 24. Februar 2000
Regeste: Art. 4 aBV (Rechtsgleichheit, Allgemeinheit der Steuer), Art. 80 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) (Zulässigkeit kantonaler Grundsteuern auf Liegenschaften von Personalvorsorgeeinrichtungen); Art. 2 ÜbBest. aBV. Eine kantonale Grundsteuer, die einzig auf Liegenschaften von Personalvorsorgeeinrichtungen erhoben wird, verletzt den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung und lässt sich nicht auf Art. 80 Abs. 3 BVG abstützen (E. 2).
126 I 168 () from 29. Februar 2000
Regeste: Art. 58 aBV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; richterliche Unbefangenheit; Ausstand. Der Scheidungsrichter, der einen Zeugen einvernommen hat, gilt nicht als unbefangen in einem späteren Strafverfahren gegen diesen Zeugen wegen falschen Zeugnisses (E. 2 - 4).
126 I 172 () from 29. Juni 2000
Regeste: Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK; grundrechtliche Anforderungen an das Haftprüfungsverfahren beim freiheitsentziehenden vorzeitigen Massnahmenvollzug. Rechtsnatur des vorzeitigen (vorläufigen) stationären Massnahmenvollzuges. Für den freiheitsentziehenden vorzeitigen Sanktionenvollzug vor Erlass eines rechtskräftigen Strafurteils gelten die grundrechtlichen Verfahrensregeln des strafprozessualen Freiheitsentzuges (E. 3a-b). Anforderungen an die kontradiktorische Ausgestaltung des Haftprüfungsverfahrens (E. 3c-e). Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK; zulässige Dauer des vorzeitigen stationären Massnahmenvollzuges. Besondere Problematik der Prüfung der zeitlichen Verhältnismässigkeit einer vorläufigen freiheitsentziehenden Massnahme (E. 5).
126 II 217 () from 17. Mai 2000
Regeste: Lohngleichheitsgebot (Art. 4 Abs. 2 Satz 3 aBV bzw. Art. 8 Abs. 3 BV sowie Art. 3 Abs. 1 GlG): Frage der Gleichstellung von Lehrerinnen für psychiatrische Krankenpflege mit Berufsschullehrern mit Meisterausbildung. Überprüfung des obergerichtlichen Vergleichs der beiden Berufsgruppen (E. 6 - 9): - Bedeutung des fehlenden Erfordernisses einer der Meisterprüfung entsprechenden Prüfung bei den Lehrerinnen für psychiatrische Krankenpflege; Bewertung des theoretischen Unterrichts im Vergleich zum klinischen Unterricht (E. 6). - Einbezug der vom Kanton getragenen Ausbildungskosten bei den Lehrerinnen für psychiatrische Krankenpflege (E. 8). - Ausrichtung von Gehältern an Berufsschullehrer, welche diese in der Privatwirtschaft erzielen können (E. 9).
126 II 377 () from 11. September 2000
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 9, 11 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 29a, 30 sowie 41 Abs. 1 lit. f und g BV; Art. 8 und 13 EMRK; Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 sowie Art. 86 Abs. 1 OG; Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Wieweit lassen sich aus den Grundrechten der Bundesverfassung vom 18. April 1999 Ansprüche auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ableiten, welche den Weg ans Bundesgericht mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde öffnen? - aus dem Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV: keine Änderung der Rechtsprechung (E. 2b, 2c und 7); - aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) unter bestimmten Voraussetzungen (E. 3); - nicht aus dem Willkürverbot gemäss Art. 9 BV (E. 4); - aus dem Grundrecht auf Schutz von Kindern und Jugendlichen gemäss Art. 11 Abs. 1 BV? Tragweite dieser Bestimmung (E. 5). Begriff der direkten und indirekten Diskriminierung gemäss Art. 8 Abs. 2 BV: Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung eines invalid gewordenen Ausländers stellt keine Diskriminierung dar (E. 6). Erschöpfung des Instanzenzuges im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde bei "anspruchsabhängigen" kantonalen Rechtsmitteln (E. 8b und 8e). Art. 13 EMRK sowie Art. 30 BV verlangen keinen generellen gerichtlichen Rechtsschutz (E. 8d/bb).
126 II 425 () from 25. August 2000
Regeste: Art. 8 in Verbindung mit Art. 14 EMRK; Art. 8, Art. 13 Abs. 1, Art. 14 und Art. 36 BV; Art. 4 ANAG; Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG; Anspruch eines gemischtnationalen, lesbischen Paares, seine Beziehung in der Schweiz leben zu können. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften stellen kein Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV dar (E. 4b); die Verweigerung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung an den ausländischen Partner kann unter gewissen Umständen aber das Recht der Betroffenen auf Privatleben berühren und das Ermessen der Bewilligungsbehörde gemäss Art. 4 ANAG beschränken (E. 4c; Änderung der Rechtsprechung). Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der in einer stabilisierten, sechsjährigen Partnerschaft lebenden Beschwerdeführerinnen ein (E. 4d), erachtet den mit der Verweigerung der Bewilligung verbundenen Eingriff in ihr Privatleben indessen als im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK bzw. Art. 36 BV gerechtfertigt (E. 5).
126 V 36 () from 23. Februar 2000
Regeste: Art. 23 Abs. 2 AVIG; Art. 41 Abs. 1 lit. b und c AVIV: Festsetzung des als versicherter Verdienst massgebenden Pauschalansatzes. Für Personen, welche wegen einer Ausbildung von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind und über ein Maturitätszeugnis verfügen, stellt die in AlV-Praxis 98/2, Blatt 2/8 und 2/9, Anhang 3, publizierte Weisung des Bundesamtes für Wirtschaft und Arbeit eine Praxisänderung dar, für die kein triftiger Grund besteht und die insoweit gesetzwidrig ist, als sie den als versicherter Verdienst massgebenden Pauschalansatz für die Zeit ab 1. Januar 1996 von Fr. 127.- auf Fr. 102.- pro Tag herabsetzt.
126 V 48 () from 21. Januar 2000
Regeste: Art. 47 Abs. 1 AHVG; Art. 79 Abs. 1bis, 1ter und 1quater AHVV; Art. 95 Abs. 2 AVIG: Erlassvoraussetzung der grossen Härte. Ab 1. Januar 1997 sind bei der Prüfung der für den Erlass von Rückforderungen der Arbeitslosenversicherung vorausgesetzten grossen Härte der Rückerstattung die Art. 79 Abs. 1bis und 1ter AHVV analog anzuwenden. Nicht anwendbar ist hingegen Art. 79 Abs. 1quater AHVV, der gesetz- und verfassungswidrig ist. Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 4 aBV: Überprüfung unselbstständiger Verordnungen nach Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung. Die neue Bundesverfassung ist im Rahmen der Überprüfung unselbstständigen Verordnungsrechts auf anhängige Verfahren selbst dann anzuwenden, wenn der angefochtene Entscheid vor dem 1. Januar 2000 ergangen ist. Die unter der Herrschaft der bis Ende 1999 in Kraft gestandenen Bundesverfassung ergangene Rechtsprechung zur vorfrageweisen Prüfung unselbstständigen Verordnungsrechts gilt auch unter der neuen Bundesverfassung.
126 V 70 () from 22. Mai 2000
Regeste: Art. 21 Abs. 2 und Art. 21bis Abs. 1 IVG; Art. 2 Abs. 1 HVI; Ziff. 10.05 HVI Anhang (in der seit 1. Januar 1997 geltenden Fassung); Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 11 Abs. 1, Art. 35 Abs. 1 und 2, Art. 36 Abs. 1 bis 3 BV: Invaliditätsbedingte Abänderung von Motorfahrzeugen. Die Beschränkung des Anspruchs auf invaliditätsbedingte Abänderungen an Motorfahrzeugen auf volljährige Versicherte widerspricht Gesetz und Verfassung.
126 V 75 () from 9. Mai 2000
Regeste: Art. 28 Abs. 2 IVG: Kürzung von Tabellenlöhnen. - Für die Bestimmung des Invalideneinkommens ist primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die versicherte Person konkret steht. Ist kein tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, können rechtsprechungsgemäss Tabellenlöhne beigezogen werden. - Die Frage, ob und in welchem Ausmass Tabellenlöhne herabzusetzen sind, hängt von sämtlichen persönlichen und beruflichen Umständen des konkreten Einzelfalles ab (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad), welche nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen sind. Dabei erlaubt ein Abzug vom statistischen Lohn von insgesamt höchstens 25%, den verschiedenen Merkmalen, die das Erwerbseinkommen zu beeinflussen vermögen, Rechnung zu tragen. - Bei der Überprüfung des gesamthaft vorzunehmenden Abzuges, der eine Schätzung darstellt und von der Verwaltung kurz zu begründen ist, darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen.
126 V 93 () from 28. April 2000
Regeste: Art. 34 Abs. 2 BVG; Art. 24 Abs. 1 BVV 2: Überentschädigungsberechnung. Der mutmasslich entgangene Verdienst umfasst auch nicht versichertes Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit.
126 V 119 () from 12. April 2000
Regeste: Art. 68 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 UVG; Art. 22a VwVG: Fristenstillstand. Der in Art. 22a VwVG geregelte Fristenstillstand ist auf die Frist zur Einsprache gegen Verfügungen sämtlicher Unfallversicherer anwendbar.
126 V 221 () from 22. August 2000
Regeste: Art. 5 Abs. 4 AHVG; Art. 8 lit. b AHVV: Nicht zum massgebenden Lohn gehörende Sozialleistungen. Art. 8 lit. b AHVV ist in der ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung dahingehend auszulegen, dass die Ausnahme vom massgebenden Lohn (nebst der Gleichbehandlung der Arbeitnehmenden) voraussetzt, dass die Beiträge des Arbeitgebers direkt an die Kranken- und Unfallversicherer der Arbeitnehmenden entrichtet werden. Gesetzmässigkeit der Bestimmung bejaht.
126 V 283 () from 10. Oktober 2000
Regeste: Art. 16, Art. 22 Abs. 1, Art. 24 Abs. 2 und 2bis, Art. 25bis IVG: Taggeldanspruch während erstmaliger beruflicher Ausbildung. - Die Besitzstandsgarantie des Art. 25bis IVG kommt auch in Fällen erstmaliger beruflicher Ausbildung zur Anwendung, in welchen der oder die Versicherte (lediglich) Anspruch auf ein "kleines Taggeld" hat. - Rz 2046 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung über die Berechnung und Auszahlung der Taggelder sowie ihre beitragsrechtliche Erfassung (WTG) ist gesetzmässig.
126 V 468 () from 28. Dezember 2000
Regeste: Art. 34 Abs. 2 BVG; Art. 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BVV 2; Art. 113 Abs. 2 lit. a BV: Berechnung der Überentschädigung. Anrechnung der Zusatzrente für die Ehefrau, der Ehepaar-Invalidenrente und der Doppel-Kinderrenten der Invalidenversicherung.
126 V 490 () from 27. Oktober 2000
Regeste: Art. 67 ff., Art. 70 Abs. 4 und Art. 72 Abs. 1 KVG: Deckungsumfang in der freiwilligen Taggeldversicherung; Zügerrecht. - Da das Gesetz für die freiwillige Taggeldversicherung keine Mindesthöhe des Taggeldes vorsieht, bleibt dem Versicherer hinsichtlich des Deckungsumfangs grundsätzlich die volle Freiheit gewahrt. - Auf Grund des Zügerrechts ist eine Krankenkasse verpflichtet, das Taggeld im bisherigen Umfang weiter zu versichern, auch wenn das von ihr reglementarisch angebotene Taggeld niedriger ist.
126 V 499 () from 20. Dezember 2000
Regeste: Art. 67 und 68 KVG: Umfang der Versicherungsdeckung. Ein Versicherter kann aus dem KVG keinen Anspruch auf eine Erhöhung seines Versicherungsschutzes nach Massgabe seines mutmasslichen Erwerbsausfalls ableiten. Art. 67 ff. KVG: Auslegung der Versicherungsbedingungen für die freiwillige Taggeldversicherung. Auslegung der Übergangsbestimmung einer Kasse, wonach der Höchstbetrag der versicherbaren Entschädigung (von 10 Franken pro Tag) für Personen nicht gilt, die am 31. Dezember 1996 ein höheres Taggeld versichert hatten.
127 I 1 () from 5. Dezember 2000
Regeste: Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (Art. 4 aBV, Art. 8 und 9 BV); strafprozessuales Legalitätsprinzip. Offen gelassen, ob eine allfällige Praxis der Bundesanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) nur bei Vorliegen einer schriftlichen Strafanzeige der betroffenen Bundesstelle einzuleiten, gegen das strafprozessuale Legalitätsprinzip verstosse. Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht im konkreten Fall verneint (E. 3).
127 I 49 () from 28. März 2001
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 19 Abs. 2 RPG; kommunales Bau- und Planungsrecht, Anschluss an das öffentliche Elektrizitätsnetz, Praxisänderung der kommunalen Behörden. Es ist mit dem kommunalen Bau- und Elektrizitätsrecht sowie Art. 19 Abs. 2 RPG vereinbar, wenn ein Ferienhaus, das ausserhalb der Bauzone liegt, nicht an das öffentliche Elektrizitätsnetz angeschlossen wird (E. 3a und b). Die Verweigerung des Anschlusses an das elektrische Verteilnetz verletzt auch das Gleichbehandlungsgebot nicht. Die neue Praxis der kommunalen Behörden beruht auf ernsthaften und sachlichen Gründen (E. 3c und d).
127 I 97 () from 29. Juni 2001
Regeste: Art. 9 BV; Art. 24 Abs. 2 BV; Abmeldebestätigung der Einwohnerkontrolle. Es verstösst gegen das Willkürverbot, einer Person die polizeiliche Abmeldung nicht zu bestätigen, weil sie offene Steuerschulden hat. Offen gelassen, ob die Abmeldebestätigung zu den Papieren gehört, die einem Auswandernden von Verfassungs wegen (Niederlassungsfreiheit) abgegeben werden müssen.
127 I 141 () from 25. April 2001
Regeste: Art. 6 Ziff. 3 lit. e und Art. 57 EMRK; Recht auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher. Der angefochtene Entscheid, der dem Beschwerdeführer die Kosten für den Dolmetscher auferlegte, erging, bevor die Schweiz den Vorbehalt und die auslegende Erklärung zu Art. 6 EMRK zurückzog. Obwohl formell somit noch in Kraft, war die auslegende Erklärung zu Art. 6 Ziff. 3 lit. e EMRK im Lichte von Art. 57 EMRK unzulässig (E. 3).
127 I 145 () from 27. Juni 2001
Regeste: Einsicht in archivierte Strafakten durch Drittpersonen; Informations- und Wissenschaftsfreiheit, Art. 16 und 20 BV. Kantonale Bestimmungen über die Archivierung (E. 2). Keine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung durch den Verordnungsgeber (E. 3). Grundzüge der Kommunikationsfreiheit (E. 4b); die Informations- und Wissenschaftsfreiheit räumen keinen generellen Anspruch auf Beschaffung von Informationen aus nicht allgemein zugänglichen Quellen (archivierten Akten während Schutzfrist) ein (E. 4c und 4d). Prüfung der Anwendung des kantonalen Archivrechts; Persönlichkeitsschutz von Verstorbenen, Angehörigen und Drittpersonen (E. 5).
127 I 185 () from 30. Mai 2001
Regeste: Unfreiwilligkeitszuschlag zur kantonalrechtlichen Enteignungsentschädigung; Eigentumsgarantie, Gleichbehandlungsgebot. Die kantonalen Gerichte sind verpflichtet, auf Verlangen eines Rechtsuchenden das anzuwendende kantonale Recht vorfrageweise auf seine Übereinstimmung mit der Bundesverfassung zu prüfen (E. 2). Art. 6 Abs. 2 der Walliser Kantonsverfassung vom 8. März 1907 räumt dem Enteigneten keine weiter gehende Entschädigungsgarantie ein als Art. 26 BV bzw. Art. 22ter aBV (E. 3). Der bundesverfassungsmässige Grundsatz der vollen Entschädigung verwehrt es den Kantonen nicht, den Enteigneten im Rahmen von formellen kantonalrechtlichen Expropriationen mehr als den ganzen Schaden zu ersetzen (E. 4). Die Bestimmung von Art. 15 des Walliser Gesetzes vom 1. Christmonat 1887 über den Unfreiwilligkeitszuschlag kann im Umfeld des heutigen eidgenössischen Rechts nicht mehr rechtsgleich gehandhabt werden (E. 5).
127 I 202 () from 29. Mai 2001
Regeste: Art. 29 Abs. 3 BV, § 10 Abs. 5 StPO/ZH; Anspruch der geschädigten Person auf unentgeltlichen Rechtsbeistand im Strafverfahren; Erfordernis der Bedürftigkeit; Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse der Eltern der geschädigten Person. Die in Art. 277 Abs. 2 ZGB vorgesehene Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem mündigen Kind umfasst grundsätzlich auch die Prozesskosten (E. 3f). Keine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV und § 10 Abs. 5 StPO/ZH, wenn bei der Beurteilung der Frage, ob ein mündiges, sich noch in Ausbildung befindendes Kind bedürftig sei, auch die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern berücksichtigt werden (E. 3g).
128 I 19 () from 19. Februar 2002
Regeste: Art. 9, 20, 27, 36, 49, 62 und 63 BV; Art. 5 ff. UFG; Art. 14 des Tessiner Gesetzes vom 3. Oktober 1995 über die Universität der italienischen Schweiz und über die Berufsschule der italienischen Schweiz (LUni/TI); Namensschutz für öffentliche Universitäten; Bewilligungspflicht für die Verwendung der Bezeichnung "Universität". Vereinbarkeit von Art. 14 LUni/TI mit dem Bundesrecht; die Kantone sind befugt, den Namensschutz für öffentliche Universitäten auf ihrem Gebiet zu regeln; insbesondere können sie, wie dies im Kanton Tessin der Fall ist, die Verwendung der Bezeichnung "Universität" durch private Bildungsinstitute einer Bewilligungspflicht unterstellen (E. 2). Die Bewilligungsauflage, dem Namen der Institution den Zusatz "privat" beizufügen, ist mit dem vom Gesetz verfolgten Schutzzweck vereinbar. Eine derartige Massnahme verletzt die angerufenen verfassungsmässigen Rechte nicht; sie lässt sich durch ein ausreichendes öffentliches Interesse - das Bestreben, jegliche Gefahr der Verwechslung mit der öffentlichen Universität zu vermeiden - rechtfertigen und ist verhältnismässig (E. 3). Nicht auf eine genügende gesetzliche Grundlage stützen lässt sich dagegen die Auflage, den Namen mit der präzisierenden Bezeichnung "nicht akkreditiert" zu ergänzen. Sie verletzt die Wirtschaftsfreiheit, auf welche sich der beschwerdeführende Verein berufen kann, da er nicht allein einen rein ideellen Zweck verfolgt, welcher in keinem Zusammenhang mit dem Einsatz von ökonomischen Mitteln stünde (E. 4).
128 I 46 () from 10. Oktober 2001
Regeste: Art. 8, 9 und 49 BV sowie Art. 3a und 60a GSchG; periodische Abwassergebühr; Rechtsmittelweg; Vorrang des Bundesrechts. Obwohl die Rahmenregelung von Art. 60a GSchG nunmehr erhöhte Anforderungen an die für die Kostenverteilung zu berücksichtigenden Kriterien aufstellt, bleibt es auch heute noch dem kantonalen und kommunalen Recht vorbehalten, diese in autonomer Weise zu konkretisieren. Da somit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen entsprechende Gebührenentscheide nicht gegeben ist, können solche allein mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (E. 1). Es verletzt das aus Art. 8 und 9 BV abgeleitete Äquivalenzprinzip, wenn für die Bemessung der jährlich erhobenen Abwassergebühr in keiner Weise auf die Verbrauchswassermenge abgestellt wird (E. 4). Art. 60a GSchG enthält in dem Sinn ein Lenkungselement, als er vorschreibt, dass bei der Bemessung der periodischen Abwasserabgaben Parameter zu berücksichtigen sind, welche einen Bezug zur tatsächlichen Benützung der Abwasseranlagen haben, selbst wenn auf gewisse Installationen entfallende Kosten unabhängig von der Menge des tatsächlich verbrauchten Wassers zu sein scheinen (E. 5).
128 I 92 () from 2. November 2001
Regeste: Art. 27 und 49 BV; Voraussetzungen zur Bewilligung der selbstständigen nichtärztlichen psychotherapeutischen Berufstätigkeit. § 22 des Zürcher Gesundheitsgesetzes verletzt Art. 27 BV nicht, indem er für die Zulassung zur selbstständigen nichtärztlichen psychotherapeutischen Berufstätigkeit ein abgeschlossenes Psychologiestudium voraussetzt (E. 2). Das Erfordernis des Psychologiestudiums verstösst nicht darum gegen den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts gemäss Art. 49 BV (in Verbindung mit dem Binnenmarktgesetz), weil einige Kantone dieses Erfordernis nicht kennen. Das Binnenmarktgesetz verlangt nicht, dass ein Kanton im Hinblick auf die Regelungen anderer Kantone die Anforderungen für die ursprüngliche Erteilung der Berufsausübungsbewilligung herabsetzen muss (E. 3). Erfordernis und Ausgestaltung einer Übergangsregelung. Die vom Kanton Zürich getroffene Übergangsregelung hält vor der Verfassung stand (E. 4).
128 I 102 () from 30. Januar 2002
Regeste: Art. 8, 9, 27, 49 Abs. 1 sowie Art. 127 Abs. 2 BV; Art. 132 Abs. 3 und Art. 142 KV/SO; Gesetz vom 9. Juni 1996 über das Gastgewerbe und den Handel mit alkoholhaltigen Getränken (Wirtschaftsgesetz); Verfassungsmässigkeit einer gastgewerblichen Patentgebühr. Verfassungsvorbehalt für kantonale Steuern (Art. 132 KV/SO); gesetzliche Grundlagen der Patentgebühren gemäss altem und neuem Wirtschaftsgesetz des Kantons Solothurn (E. 2). Akzessorische Normenkontrolle im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 3). Bei einer (nach Umsatz bemessenen) gastgewerblichen Jahrespatentgebühr handelt es sich um eine Gemengsteuer, woran der mit der Totalrevision des Wirtschaftsgesetzes einhergehende Wegfall von Bedürfnisklausel und Fähigkeitsausweis unter gleichzeitiger Anhebung der Obergrenze der Abgabe nichts ändert; sie verstösst weder gegen Art. 132 noch Art. 142 KV/SO (E. 4). Die Erhebung von Patentabgaben wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass sich die neue Bundesverfassung nicht mehr explizit für die Zulässigkeit kantonaler Gewerbesteuern ausspricht, wie dies in Art. 31 Abs. 2 aBV noch der Fall war (E. 5). Die angefochtene Patentabgabe stützt sich als Sondergewerbesteuer auf hinreichende sachliche Gründe; sie verstösst weder gegen die Wirtschaftsfreiheit, das Willkürverbot bzw. das Rechtsgleichheitsgebot, noch gegen die Grundsätze von Art. 127 Abs. 2 BV, soweit diese überhaupt auf Sondersteuern der vorliegenden Art anwendbar sind (E. 6).
128 I 155 () from 14. Februar 2002
Regeste: Geltung des Mehrwertsteuergesetzes in den Talschaften Samnaun und Sampuoir (Art. 3 Abs. 3 MWSTG); Sondergewerbesteuergesetze der Gemeinde Samnaun für Handel und Bauinvestitionen, für Handel mit Benzin und Dieselöl sowie für Handel mit Tabakwaren (Art. 8, 9, 27, 29 und 127 BV); Frist für staatsrechtliche Beschwerde (Art. 89 Abs. 1 OG). Bedarf ein kantonaler Erlass der konstitutiven Genehmigung durch eine andere Behörde, so beginnt die Frist für die staatsrechtliche Beschwerde erst mit der Genehmigung bzw. der Bekanntmachung des Genehmigungsentscheids zu laufen. Das gilt auch, wenn die letzte kantonale Instanz im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens entschieden hat (E. 1.1). Die streitigen Sondergewerbesteuern verstossen nicht gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung (Art. 127 Abs. 2 BV): Soweit sie zur Finanzierung der dem Bund zu kompensierenden Steuerausfälle dienen, ist es sachlich vertretbar, diese Kosten in erster Linie jenen Leistungspflichtigen anzulasten, die von der Befreiung von der Mehrwertsteuer profitieren und deren Privilegierung den Bund veranlasst hat, von der Gemeinde eine Kompensation zu verlangen. Soweit ihr Ertrag zu andern, im Gesetz umschriebenen Zwecken dient, wird damit ein Sondervorteil ausgeglichen, der einzelnen Gewerbetreibenden aus dem Zollprivileg in besonderem Mass zukommt (E. 2). Die zur Überwachung und Kontrolle des Handels mit Tabakwaren vorgesehenen Massnahmen (Clearingstelle; Meldepflicht) verletzen die Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV nicht (E. 3).
128 I 240 () from 10. Juli 2002
Regeste: Bemessung der Eigenmiet- und der Vermögenssteuerwerte (§ 21 Abs. 2 lit. a und § 39 Abs. 3 und 4 des Zürcher Steuergesetzes in der Fassung vom 8. Januar 2001; Art. 8 und 49 BV; Art. 14 StHG). Eine kantonale Regelung, wonach der Eigenmietwert auf maximal 70 Prozent des Marktwerts festzulegen ist, ist nicht verfassungswidrig (E. 2). Eine kantonale Gesetzesbestimmung, die den Regierungsrat verpflichtet, die Bewertungsformel für Grundstücke so zu wählen, dass die am oberen Rand der Bandbreite liegenden Schätzungen nicht über dem effektiven Marktwert liegen, ist mit Art. 14 Abs. 1 StHG vereinbar und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gleiche gilt für eine kantonale Vorschrift, wonach bei einer individuellen Schätzung ein Wert von 90 Prozent des effektiven Marktwerts anzustreben ist (E. 3).
128 I 295 () from 28. März 2002
Regeste: Art. 8, 9, 16, 17, 26, 27, 36, 49 Abs. 1, 93, 105, 118 Abs. 2 lit. a BV; Art. 2 und 3 BGBM; Gesetz des Kantons Genf vom 9. Juni 2000 über die Werbung; abstrakte Normenkontrolle. Die Genfer Bestimmung, welche das Anbringen von Werbung für Tabak und für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 15 Volumenprozenten auf öffentlichem Grund sowie auf privatem Grund verbietet, der vom öffentlichen Grund her einsehbar ist, verstösst nicht gegen: - den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts, und zwar sowohl hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bereich des Alkohols, der Lebensmittel sowie von Radio und Fernsehen (E. 3) als auch hinsichtlich derjenigen im Bereich des Binnenmarktes (E. 4); - die Pressefreiheit sowie die Meinungs- und Informationsfreiheit, soweit die geschäftsmässige Werbung in den Schutzbereich dieser Grundrechte fällt (E. 5a); - die Wirtschaftsfreiheit (E. 5b); - die Eigentumsgarantie (E. 6); - das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot (E. 7). Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie und der Wirtschaftsfreiheit von kantonalen Bestimmungen, welche die Werbung auf privatem Grund, soweit von öffentlichem Grund her einsehbar, der Kontrolle durch die öffentliche Gewalt unterstellt (E. 8), sowie des Verbots von Werbung auf fensterlosen Gebäudefassaden (E. 9).
128 II 145 () from 3. April 2002
Regeste: Art. 4 und 7 ANAG; Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG; Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 114 f. ZGB; Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; Scheinehe; Rechtsmissbrauch. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Dem inzwischen von seinem Schweizer Ehegatten geschiedenen Ausländer steht dann ein grundsätzlicher Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu, wenn er bereits vor der Scheidung einen Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung erworben hatte (E. 1). Rechtsmissbrauch im Zusammenhang mit Art. 7 ANAG kann auch im Falle eines sich (nach Massgabe des neuen Scheidungsrechts) der Scheidung widersetzenden ausländischen Ehegatten während der Dauer der Vierjahresfrist von Art. 114 ZGB vorliegen; unerheblich ist, dass der Scheidungsrichter die Aufrechterhaltung der Ehe als nicht unzumutbar im Sinne von Art. 115 ZGB erachtet (E. 2). Feststellungen des Scheidungsrichters über das Vorliegen einer Scheinehe sind für die Fremdenpolizeibehörden nicht verbindlich; massgebend ist (primär) die Sicht des ausländischen Ehegatten (E. 3.1); Rechtsmissbrauch bejaht (E. 3.2-3.4). Das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) vermag keine Rechtsansprüche auf eine fremdenpolizeiliche Bewilligung zu begründen (E. 3.5).
128 II 292 () from 16. Juli 2002
Regeste: Änderung des Betriebsreglementes für ein Helikopterflugfeld (Heliport); Wirtschaftsfreiheit, Gleichbehandlung von Konkurrenten. Die Zuweisung von Einsatzgebieten an einen einzigen oder wenige einzelne Betreiber von Helikopterflugfeldern ist mit den Geboten der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung von Konkurrenten unvereinbar (E. 4 und 5). Die Beschränkung der Flugbewegungszahl auf Helikopterflugfeldern ist als Mittel zur allgemeinen Lärmbekämpfung nur wenig geeignet, wenn zum einen diese Beschränkung nur einzelne Heliports betrifft und zum anderen deren Betreiber über Bewilligungen für Aussenlandungen verfügen. Strenge Limitierungen der Flugbewegungszahl stehen zudem mit den Vorgaben des Sachplanes für Infrastruktur der Luftfahrt, wonach die bestehenden Anlagen Dritten zur Mitbenützung geöffnet werden sollen, in Widerspruch (E. 6). Flugverbote an Sonn- und allgemeinen Feiertagen sind für Heliports im Rahmen einer Gesamtschau nach einheitlichen Grundsätzen und Kriterien zu erlassen (E. 7).
128 II 340 () from 2. September 2002
Regeste: Schutz vor nichtionisierender Strahlung von Mobilfunkantennen: Einhaltung der Anlagegrenzwerte an Orten "mit empfindlicher Nutzung" i.S. der NISV (Art. 3 Abs. 3 NISV und Ziff. 65 Anhang 1 NISV). Zur Berücksichtigung von Nutzungsreserven auf nur teilweise ausgenützten, überbauten Parzellen unter dem Blickwinkel von Art. 3 Abs. 3 lit. c NISV (hier: Parzelle mit einem einstöckigen Einfamilienhaus, auf der ein 21 m hohes Gebäude errichtet werden könnte). Im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung für die Mobilfunkanlage ist nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip grundsätzlich auf die bestehende Nutzung der Nachbargrundstücke abzustellen, mit der Verpflichtung, die Anlage anzupassen oder zu entfernen, sofern dies zur Einhaltung der Anlagegrenzwerte in der Umgebung nach Ausnützung der verbleibenden Nutzungsreserven erforderlich ist (E. 2-5). Im vorliegenden Fall muss das kantonale Gericht die Immissionen prüfen, die von den geplanten und den auf demselben Dach bereits installierten Antennen gesamthaft verursacht werden (E. 4.1 und 4.2).
128 IV 177 () from 11. Juli 2002
Regeste: Preisbekanntgabe bei "Telefonsex" (Art. 16, 17, 20 und 24 UWG; Art. 10 lit. q und Art. 11 Abs. 1bis PBV). Art. 11 Abs. 1bis der Preisbekanntgabeverordnung, wonach bei Mehrwertdiensten der Nummernkategorien 156... und 0906... innerhalb der ersten 20 Sekunden nach Verbindungsaufbau der Preis für die Dauer der ersten zehn Minuten mündlich bzw. durch vorgeschaltete Sprechtexte bekannt zu geben ist, hält sich in den Grenzen des dem Bundesrat bei der Regelung der Preisbekanntgabe zustehenden weiten Ermessensspielraums und ist zur Erreichung des angestrebten Zwecks des Konsumentenschutzes geeignet.
128 V 34 () from 27. Februar 2002
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 18 und 70 Abs. 2 BV: Übersetzung des Gutachtens einer Medizinischen Abklärungsstelle der Invalidenversicherung (MEDAS) in die Amtssprache des Kantons. Im Hinblick auf das sprachliche Territorialitätsprinzip (Art. 70 Abs. 2 BV) ist es durchaus zulässig, dass die kantonale Beschwerdeinstanz von der IV-Stelle eine Übersetzung eines (vorliegend in italienischer Sprache verfassten) MEDAS-Gutachtens in die Amtssprache des Kantons (französisch) verlangt.
128 V 95 () from 29. April 2002
Regeste: Art. 19 Abs. 3 IVG; Art. 9 Abs. 2 IVV. Die Nichtaufnahme der Finanzierung von Massnahmen pädagogisch-therapeutischer Art bei sehbehinderten Kindern, die die Volksschule besuchen, in die abschliessende Aufzählung von Art. 9 Abs. 2 IVV ist weder gesetz- noch verfassungswidrig.
128 V 102 () from 29. April 2002
Regeste: Art. 19 Abs. 2 lit. c und Abs. 3 IVG; Art. 8ter Abs. 2 IVV: Liste der Massnahmen pädagogisch-therapeutischer. Art. 8ter Abs. 2 IVV, der eine abschliessende Liste der Massnahmen pädagogisch-therapeutischer Art enthält, die zusätzlich zum Sonderschulunterricht notwendig sind, ist gesetzes- und verfassungskonform.
128 V 217 () from 11. Juni 2002
Regeste: Art. 19 und 51 IVG; Art. 9 und 9bis IVV: Anspruch auf besondere Entschädigungen für durch Massnahmen pädagogisch-therapeutischer Art, welche den Besuch der Volksschule ermöglichen, bedingte Transporte. - Art. 51 IVG schafft keine gesetzliche Grundlage für die Vergütung von Transportkosten, welche durch die in Art. 9 Abs. 2 IVV aufgezählten Massnahmen bedingt sind; Art. 9bis IVV beruht auf der Kompetenzdelegation in Art. 19 Abs. 3 IVG. - Soweit die Kostenübernahme durch die Invalidenversicherung für Transporte, welche durch die in Art. 9 Abs. 2 IVV aufgezählten Massnahmen pädagogisch-therapeutischer Art bedingt sind, ausschliesslich auf körperlich Behinderte und Sehgeschädigte beschränkt wird, ist Art. 9bis IVV mit Art. 8 BV nicht vereinbar. Eine angemessene Auslegung dieser Bestimmung führt dazu, dass Versicherten, welchen solche Massnahmen gewährt werden, auch die Kosten der Transporte, die für deren Durchführung notwendig sind, zu vergüten sind.
129 I 1 () from 6. November 2002
Regeste: Willkür in der Rechtssetzung (Art. 9 BV), Rechtsgleichheit in der Rechtssetzung (Art. 8 Abs. 1 BV), inzidente Normenkontrolle; Alimentenbevorschussung (Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Konkubinatspartners). Die kantonale Bestimmung, wonach das Einkommen des Konkubinatspartners des obhutsberechtigten Elternteils anrechenbar ist, Alimentenbevorschussung also nur gewährt wird, wenn die Einkommen beider Partner zusammen die Bevorschussungsgrenze nicht übersteigen, hält vor dem Willkürverbot stand (E. 3.1). Die dargestellte Regelung kann, soweit die Zulässigkeit der Gleichbehandlung von Stiefelternteil und Konkubinatspartner in Frage steht, verfassungskonform ausgelegt werden. Damit steht auch Art. 8 Abs. 1 BV der Anwendung der beanstandeten Norm nicht entgegen (E. 3.2).
129 I 12 () from 7. November 2002
Regeste: Art. 19, 36 und 62 BV; Art. 29 Abs. 2 KV/BE; soziale Grundrechte; disziplinarischer Schulausschluss. Aus Art. 19 BV ergibt sich der Anspruch auf eine den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende unentgeltliche Grundschulausbildung an öffentlichen Schulen während der obligatorischen Schulzeit von mindestens neun Jahren (E. 4). Art. 29 Abs. 2 KV/BE dehnt nicht nur den Anspruch auf alle Schulen innerhalb der obligatorischen Schulpflicht aus, sondern begründet gleichzeitig einen weitergehenden Anspruch des Kindes auf Schutz, Fürsorge und Betreuung (E. 5). Bei einschränkenden Konkretisierungen von sozialen Grundrechtsansprüchen ist in sinngemässer Anwendung von Art. 36 BV zu prüfen, ob die Voraussetzungen der gesetzlichen Grundlage, des überwiegenden öffentlichen oder privaten Interesses sowie der Verhältnismässigkeit erfüllt sind (E. 6-9). Das Gemeinwesen hat in der Regel eine Weiterbetreuung ausgeschlossener Schüler - bis zum Ende der obligatorischen Schulpflicht - durch geeignete Personen oder öffentliche Institutionen zu gewährleisten (E. 9.5). Das in Art. 28 VSG/BE geregelte Stufenmodell, das als letzte und schärfste Massnahme (ultima ratio) einen vorübergehenden (teilweisen oder vollständigen) Ausschluss vom Unterricht während höchstens zwölf Schulwochen pro Schuljahr vorsieht, lässt sich verfassungskonform auslegen (E. 10).
129 I 113 () from 15. November 2002
Regeste: Art. 88 OG; Art. 8 und 28 BV; Art. 11 EMRK; Koalitionsfreiheit im öffentlichen Dienst; Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren betreffend das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis; Gleichbehandlung von Berufsverbänden. Legitimation eines Berufsverbandes, dem die Mitwirkung an der Erarbeitung von Reglementen betreffend die Anwendung des Personalgesetzes verweigert wurde; sein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 88 OG ergibt sich aus der Koalitionsfreiheit und der Rechtsgleichheit (E. 1). Die Koalitionsfreiheit verleiht Berufsverbänden des öffentlichen Dienstes zwar keinen Rechtsanspruch auf Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren betreffend das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis. Bei Änderungen von Gesetzen und Reglementen, welche die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder wesentlich beeinflussen, ist ihnen indessen in angemessener Form das rechtliche Gehör zu gewähren (E. 3). Der Staat hat als Arbeitgeber Abstand zu nehmen von jeglichen ungerechtfertigten diskriminierenden Massnahmen gegenüber Berufsverbänden, die deren Koalitionsfreiheit oder diejenige ihrer Mitglieder verletzen. Diskriminatorisch ist es, eine Arbeitnehmerorganisation wegen Ansichten, die sie zu Beginn des Verfahren vertreten hat, von der weiteren Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren auszuschliessen, während eine andere Organisation zugelassen wird (E. 5).
129 I 161 () from 19. März 2003
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 BV. Rechtsgleichheit; Legalitätsprinzip; Treu und Glauben; Entschädigung der Kindergartenstellvertretungen. Gesetzliche Grundlage für die Entschädigung der Kindergartenstellvertretungen (E. 2). Verfassungsrechtliche Zulässigkeit, Stellvertretungen weniger hoch zu entschädigen als fest angestellte Lehrkräfte. Unterschiedliche Behandlung von länger- und kurzfristigen Stellvertretungsverhältnissen (E. 3). Vorliegend ergibt sich aus Treu und Glauben kein Anspruch, für die Stellvertretung gleich besoldet zu werden wie für die feste Anstellung (E. 4).
129 I 185 () from 18. Dezember 2002
Regeste: Politische Rechte; Art. 25 lit. b und c UNO-Pakt II, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 und 34 Abs. 2 BV, Art. 32 Abs. 3 KV/ZH, Art. 3 und 4 Abs. 1 lit. b Gemeindeordnung der Stadt Zürich; Anspruch auf unverfälschte Stimmabgabe, Recht auf gleiche Ämterzugänglichkeit, rechtsgleiches Wahlrecht bei der Wahlkreiseinteilung für die Wahl des Zürcher Stadtparlamentes. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (E. 1), insbesondere von Anträgen zum Erlass positiver Anordnungen (E. 1.5). Kognition des Bundesgerichts bei Stimmrechtsbeschwerden (E. 2). Anforderungen an die Ausgestaltung des kantonalen Wahlverfahrens (E. 3.1). Keine Verletzung des Anspruchs auf unverfälschte Stimmabgabe und des Rechts auf gleiche Ämterzugänglichkeit (E. 5). Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung zur Wahlkreisgestaltung (E. 6.1) und der hieran geübten Kritik (E. 6.2). Auseinandersetzung mit dieser Kritik, begriffliche und inhaltliche Präzisierung (E. 7.1-7.3). Bundesverfassungswidrigkeit der Wahlkreiseinteilung für die Gemeinderatswahl (Parlament) der Stadt Zürich; keine Rechtfertigung der Verletzung der Wahlfreiheit (E. 7.4-7.6). Keine Aufhebung der Wahlen aus Gründen der Rechtssicherheit und der Verhältnismässigkeit; Feststellung der Verfassungswidrigkeit der geltenden Regelung (E. 8 und 9).
129 I 217 () from 9. Juli 2003
Regeste: Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche; Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 88 OG); Verletzung des Diskriminierungsverbots und der Begründungspflicht (Art. 8 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 2 BV). Die Verletzung des Diskriminierungsverbots kann mit staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht geltend gemacht werden, auch wenn - wie bei der Ablehnung eines Einbürgerungsgesuchs - kein Anspruch in der Sache besteht (E. 1.1). Die Parteien des kantonalen Verfahrens sind ohne Rücksicht auf ihre Legitimation in der Sache befugt, das Fehlen einer Begründung (im Gegensatz zur mangelhaften Begründung) zu rügen (E. 1.4). Die Stimmbürger sind bei der Abstimmung über Einbürgerungsgesuche an die Grundrechte gebunden (E. 2.2.1); die Abstimmungsfreiheit gewährleistet keinen Anspruch auf Anerkennung materiell rechtswidriger Abstimmungsergebnisse (E. 2.2.2). Zu den Anforderungen an den Nachweis einer Diskriminierung (E. 2.2.3 und 2.2.4). Aufgrund des Abstimmungsergebnisses und den Veröffentlichungen im Umfeld der Abstimmung ist erstellt, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt wurden (E. 2.3). Die Ablehnung der Einbürgerungsgesuche verstiess somit gegen Art. 8 Abs. 2 BV (E. 2.4). Die angefochtenen Einbürgerungsentscheide an der Urne verletzten auch die Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 8 Abs. 2 BV; E. 3).
129 I 232 () from 9. Juli 2003
Regeste: Ungültigkeit einer Initiative, mit der Einbürgerungsgesuche der Urnenabstimmung unterstellt werden sollen (Art. 29 Abs. 2, Art. 34 Abs. 2 und Art. 13 BV). Ablehnende Einbürgerungsentscheide unterliegen der Begründungspflicht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV (Anspruch auf rechtliches Gehör) i.V.m. Art. 8 Abs. 2 BV (Diskriminierungsverbot; E. 3.3 und 3.4). Bei der Urnenabstimmung ist eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Begründung nicht möglich (E. 3.5 und 3.6). Die Initiative auf Einführung der Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche verletzt daher die verfassungsrechtliche Begründungspflicht. Konflikt zwischen der aus der Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BV) abgeleiteten Informationspflicht der Behörden über die persönlichen Verhältnisse der Gesuchsteller (E. 4.2) und deren Recht auf Schutz ihrer Privat- und Geheimsphäre (Art. 13 BV; E. 4.3). Ein angemessener Ausgleich zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen erscheint im vorliegenden Fall nicht möglich (E. 4.4). Die rechtsstaatlichen Defizite der Initiative werden nicht durch das Demokratieprinzip gerechtfertigt (E. 5).
129 I 265 () from 11. Juli 2003
Regeste: Art. 8 Abs. 3 und Art. 116 Abs. 2 BV; Art. 73 und 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; Art. 12 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 5 GlG; Gleichstellung von Mann und Frau; Familien-/Kinderzulage; interkantonale Kollisionsregel; Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren. Verfassungswidrigkeit einer Regelung, die den Anspruch auf Auszahlung von Familien-/Kinderzulagen bei Anspruchskonkurrenz zwischen erwerbstätigen Eheleuten dem "Vater" zuweist (E. 2-4). Befugnis zur Schaffung einer interkantonalen Kollisionsregel (E. 4.2-5.2). Abstellen auf die für das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU aufgrund des Freizügigkeitsabkommens (FZA) geltenden Kollisionsregeln der Art. 73 und 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (E. 5.3). Keine Kostenfreiheit des Verfahrens vor dem Bundesgericht (E. 6.2).
129 I 392 () from 21. November 2003
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 34 Abs. 1 BV; stadtzürcherische Initiative "SchweizerInnen zuerst!"; Rechtsgleichheit, Diskriminierungsverbot. Die Initiative bezweckt die Bevorzugung der Schweizer und damit die Benachteiligung der Ausländer auch ohne sachliche Gründe, die eine Ungleichbehandlung erlauben würden. Sie verletzt das Gebot der Rechtsgleichheit und das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung (E. 3).
129 II 249 () from 17. Januar 2003
Regeste: Art. 1, 7 und 17 Abs. 2 ANAG; Art. 8 EMRK; Art. 13 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 und 2 sowie Art. 191 BV; Art. 3 Anhang I FZA; Art. 3 Abs. 1bis BVO; Nachzug von ausländischen Familienangehörigen eines Schweizers nach Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens mit der EG. Grundsätzlicher Anspruch auf Nachzug des minderjährigen ausländischen Kindes eines Schweizers gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ANAG und Art. 8 EMRK; Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 1.2). Verweigerung des nachträglichen Familiennachzugs bei getrennt lebenden Eltern mangels wesentlicher Veränderung der Betreuungsverhältnisse (E. 2). Die Familiennachzugsregelung des Freizügigkeitsabkommens (E. 3) findet nur bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Anwendung, weshalb sich aus einem Nichtmitgliedstaat stammende Familienangehörige von Schweizern im Inland grundsätzlich nicht darauf berufen können (E. 4). Angleichung der Rechtsansprüche von Schweizern beim Familiennachzug an die grosszügigere Regelung des Freizügigkeitsabkommens gestützt auf das Rechtsgleichheitsgebot bzw. das Diskriminierungsverbot? Das Bundesgericht bleibt gemäss Art. 191 BV trotz der möglichen Ungleichbehandlung von aus nicht EG- oder EFTA-Mitgliedstaaten stammenden Familienangehörigen von Schweizern an die geltenden Gesetzesbestimmungen (Art. 7 und 17 Abs. 2 ANAG) gebunden. Möglichkeit einer Gleichbehandlung im Rahmen des fremdenpolizeilichen Ermessens (Art. 3 Abs. 1bis BVO; E. 5).
129 V 110 () from 8. Oktober 2002
Regeste: Art. 95 Abs. 1 AVIG. Nach Ablauf einer Zeitspanne, die der Rechtsmittelfrist bei formellen Verfügungen entspricht, darf die Verwaltung in einer unbeanstandet gebliebenen faktischen Verfügung zugesprochene Versicherungsleistungen nur unter den Voraussetzungen der Wiedererwägung oder der prozessualen Revision zurückfordern (Änderung der Rechtsprechung).
129 V 267 () from 25. Februar 2003
Regeste: Art. 5 Abs. 2 KVG; Art. 8 KVV; Art. 95 UVG: Sanktion bei verspätetem Versicherungsbeitritt. Der Prämienzuschlag nach Art. 5 Abs. 2 KVG darf nicht in Form eines einmaligen Beitrags erhoben werden, sondern ist als Zuschlag zu den monatlichen Prämien der obligatorischen Krankenversicherung zu entrichten. Das Fehlen einer für die Erhebung des Prämienzuschlags im Gesetz festgelegten Maximaldauer stellt keine Gesetzeslücke dar, erfasst die Kompetenzdelegation an den Bundesrat doch auch die Zuständigkeit zur Regelung der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Dauer des verspäteten Versicherungsbeitritts und derjenigen der Sanktion. Soweit die Erhebungsdauer, welche nach Art. 8 Abs. 1 KVV der doppelten Dauer des verspäteten Versicherungsbeitritts entspricht, zu einer Sanktion führt, welche zu der diese rechtfertigenden Unterlassung nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis steht (i.c. Erhebungsdauer von elf Jahren), ist die in Art. 95 UVG für eine vergleichbare Sanktion vorgesehene Frist von fünf Jahren analog anwendbar.
129 V 289 () from 6. März 2003
Regeste: Art. 5 Abs. 1 lit. b und Art. 25 Abs. 2 VwVG: Feststellungsverfügung betreffend Beitragsstatut. Das erstinstanzliche Gericht muss auf eine Beschwerde gegen eine Feststellungsverfügung, welche mangels schutzwürdigen Interesses an einer Feststellung des Beitragsstatuts zu Unrecht ergangen ist, eintreten und diese aufheben.
130 I 1 () from 13. November 2003
Regeste: Art. 5 Abs. 1, Art. 8 und Art. 51 Abs. 1 BV; Art. 14a Abs. 1 und Art. 14c Abs. 4 ANAG; Art. 82 AsylG; §§ 36 Abs. 1, 63 Abs. 1, 147 Abs. 2 und 148 Abs. 1 KV/BL; §§ 5-7 der basellandschaftlichen Asylverordnung; Sozialhilfe für vorläufig aufgenommene Ausländer; Gleichbehandlung mit Asylsuchenden; Gewaltentrennung und Gesetzmässigkeit; Rechtsetzungskompetenz und Rechtsgrundlage für den Erlass von Bestimmungen zur Bemessung der Unterstützungsleistungen; Übergangsrecht bei Verfassungsänderung. Müssen der Grundsatz, vorläufig aufgenommene Ausländer sozialhilferechtlich schlechter als Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung zu stellen, und die für sie anwendbaren Leistungsansätze auf Gesetzesstufe statt mit Verordnung festgelegt werden? Beurteilungskriterien (E. 3.4 und 4). Übergangsregelung von § 148 Abs. 1 KV/BL, wonach Bestimmungen, die in einem nach der neuen Verfassung nicht mehr zulässigen Verfahren zustandegekommen sind, weiter in Kraft bleiben. Tragweite, wenn Ausführungsvorschriften des Regierungsrates, die sich auf eine altrechtliche, nach neuer Verfassung ungenügende Delegationsnorm stützen, abgeändert werden (E. 3.5)? Eine hinreichende Rechtsgrundlage für die abweichende Behandlung der gemäss Art. 14a Abs. 1 ANAG vorläufig aufgenommenen Ausländer bei der Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen findet sich bereits im Bundesrecht (E. 3.6). Es ist grundsätzlich weder diskriminierend noch verstösst es gegen das Rechtsgleichheitsgebot, vorläufig aufgenommene Ausländer bei der Bemessung der Sozialhilfe wie Asylsuchende zu behandeln, deren Unterstützung nicht (mehr) in Form von Sachleistungen besteht (E. 5).
130 I 26 () from 27. November 2003
Regeste: Art. 2 FZA; Art. 8 EMRK; Art. 8, 9, 27, 94 Abs. 4, 95 Abs. 2, 191 und 196 Ziff. 5 BV; Art. 55a KVG; Zulassungsbeschränkung für Leistungserbringer zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Zulassungsstopp für Medizinalpersonal); Einführungsverordnung des Kantons Zürich. Legitimation des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte bzw. eines einzelnen Schweizer Arztes zur Rüge der Verletzung des Freizügigkeitsabkommens (E. 1.2). Die vom Bundesrat gestützt auf Art. 55a KVG erlassene und vom Regierungsrat des Kantons Zürich konkretisierte Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung verletzt - soweit dies gestützt auf Art. 191 BV geprüft werden kann (E. 2) - weder das Freizügigkeitsabkommen (E. 3) noch die Wirtschaftsfreiheit (E. 4-6), die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen (E. 7), das Prinzip von Treu und Glauben (E. 8) oder das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens (E. 9).
130 I 113 () from 8. April 2004
Regeste: Art. 8 und 9 BV, Art. 13 UNO-Pakt I; Studiengebühren an der Universität Basel. Die Gebührenordnung der Universität Basel verfügt mit dem kantonalen Universitätsgesetz über eine hinreichende formellgesetzliche Grundlage für die Erhöhung der Semestergebühren, solange diese sich im Rahmen des landesweit allgemein Üblichen hält. Dies ist bei einer Erhöhung um Fr. 100.-, nachdem die Gebühren letztmals 1997 erhöht worden sind, zu bejahen. Für künftige Erhöhungen, die deutlich über die Teuerung hinausgehen, erweist sich die bestehende formellgesetzliche Grundlage indessen als ungenügend (E. 2). Bestätigung der Rechtsprechung zu Art. 13 Abs. 2 lit. c des UNO-Paktes I, wonach sich der Einzelne im Zusammenhang mit Studiengebühren nicht direkt auf diese Bestimmung berufen kann. Auch ihre Mitberücksichtigung lässt die angefochtene Gebührenerhöhung indessen nicht als verfassungswidrig erscheinen (E. 3).
130 I 140 () from 12. Mai 2004
Regeste: Verordnung des Schwyzer Regierungsrats über vorläufige Regelungen zur Erteilung des Gemeindebürgerrechts (GemeindebürgerrechtsV) zur Gewährleistung verfassungskonformer Einbürgerungsverfahren in den Schwyzer Gemeinden; Verletzung des Stimmrechts durch Erlass einer dem ordentlichen Gesetzgeber vorbehaltenen Regelung der politischen Rechte auf Verordnungstufe? Überblick über die Zuständigkeitsordnung nach Schwyzer Verfassungsrecht (E. 3). Handlungsbedarf für den Regierungsrat als Aufsichtsbehörde der Gemeinden im Anschluss an die bundesgerichtlichen Entscheide zum Einbürgerungsverfahren vom 9. Juli 2003 (E. 4.2). Prüfung, ob es sich bei der angefochtenen Verordnung um eine Vollziehungsverordnung handelt, die als solche in die Kompetenz des Regierungsrats fällt (E. 5). Die Verordnung, die an der Zuständigkeit der Gemeindeversammlung festhält, erscheint nicht von vornherein ungeeignet, verfassungskonforme Einbürgerungsentscheide der Schwyzer Gemeinden zu ermöglichen (E. 5.3.6). Vorläufiger Charakter der angefochtenen Verordnung (E. 5.3.7).
130 I 352 () from 24. November 2004
Regeste: Art. 8 Abs. 2, 13 Abs. 1, 19 und 62 BV; Art. 20 BehiG; Anspruch von Behinderten auf einen angemessenen Grundschulunterricht; Sonderschulung ausserhalb des Heimatkantons. Den Kantonen steht bei der Regelung des Grundschulwesens ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu; sie haben auch für Behinderte eine den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende, unentgeltliche Grundschulausbildung sicherzustellen (E. 3.1 und 3.2). Eine behinderungsbedingte Nichteinschulung in die Regelschule ist qualifiziert zu rechtfertigen, kann aber mit dem Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 BV und Art. 20 BehiG vereinbar sein; massgebend ist das Wohl des behinderten Kindes im Rahmen des effektiv Möglichen (E. 6-6.1.3). Ein schwer behindertes Kind muss nicht in eine Einführungsklasse aufgenommen werden, die auf normal begabte Kinder mit verzögerter Entwicklung ausgerichtet ist (E. 4.1 und 4.2), selbst wenn seine Sonderschulung nur ausserhalb des Heimatkantons möglich sein sollte (E. 5 und 6.2).
130 II 137 () from 16. Januar 2004
Regeste: Art. 103 lit. b und Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG; Art. 17 Abs. 2 ANAG; Art. 8 und 191 BV; Art. 8, 13 und 14 EMRK; Art. 3 Anhang I FZA; Nachzug von ausländischen Familienangehörigen eines Schweizers. Beschwerdebefugnis des Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (E. 1.1); Zulässigkeit der Behördenbeschwerde bei Beanstandung einer bundesrechtswidrigen Bejahung eines Rechtsanspruches auf Bewilligungserteilung (E. 1.2). Nachträglicher Nachzug des ausländischen Kindes eines vom anderen Elternteil getrennt lebenden Schweizers gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ANAG? Bestätigung der entsprechenden Voraussetzungen (E. 2). Bundesrechtswidrigkeit eines kantonalen Gerichtsurteils (E. 3.1), welches verfassungsrechtlich einen zur Familiennachzugsregelung des Freizügigkeitsabkommens analogen Rechtsanspruch auf Nachzug des aus einem Nichtvertragsstaat stammenden Kindes eines Schweizers herleiten will (E. 4.1). Die diesbezügliche bundesgerichtliche Rechtsprechung hält sowohl vor Art. 14 als auch vor Art. 13 EMRK stand (E. 4.2). Es liegt zum Vornherein keine Ungleichbehandlung von Schweizern beim Familiennachzug vor, wenn der aus einem Drittstaat stammende Angehörige sich nicht bereits rechtmässig in einem anderen Vertragsstaat des Freizügigkeitsabkommens aufhält (E. 4.3).
130 III 225 () from 8. Dezember 2003
Regeste: Arrestprosequierung; Verwertungsgebühr; Art. 16 SchKG, Art. 30 GebV SchKG; Art. 5 Abs. 2, Art. 8 und 9 BV. Tragweite des Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzips (E. 2.3). Wird für einen ausgesprochen bescheidenen Verwertungsaufwand, aus dem jedoch ein sehr hoher Erlös resultiert, eine Gebühr von 2 Promille erhoben, liegt ein Verstoss gegen das Äquivalenzprinzip vor (E. 2.4). Art. 16 SchKG ermächtigt den Bundesrat zur Festsetzung eines Gebührentarifs, jedoch nicht zur Erhebung einer Abgabe mit (teilweisem) Steuercharakter (E. 2.5).
130 V 18 () from 27. November 2003
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 BV; Art. 20 des Reglements der Pensionskasse ComPlan; Art. 43 der Statuten der Pensionskasse des Bundes: Leistungen bei administrativer Auflösung des Dienstverhältnisses; Gleichbehandlung. Begriff des Sozialplanes (Erw. 2.3) und Auslegung seiner normativen Bestimmungen (Erw. 4.2). Gemäss Art. 20 des Reglements der ComPlan fällt die Ausrichtung von Leistungen, namentlich von Renten, welche denjenigen gemäss den jeweils gültigen Bestimmungen der Verordnung über die Pensionskasse des Bundes mindestens analog sind, nur in Betracht, wenn kein vom angeschlossenen Arbeitgeber und den anerkannten Personalverbänden ausgearbeiteter Sozialplan vorliegt (Erw. 3.2). Die in der Vereinbarung zwischen der Swisscom AG und den Gewerkschaften sowie interessierten Personalverbänden vom 3. Mai 1999 enthaltenen Bestimmungen entsprechen dem Begriff des Sozialplanes im Sinne dieser Reglementsbestimmung (Erw. 3.2). Diese steht nicht in Widerspruch zum Gleichbehandlungsgrundsatz (Erw. 5).
130 V 39 () from 26. September 2003
Regeste: Art. 20 Abs. 2 UVG; Art. 32 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 1 UVV: Komplementärrente. Die vor Eintritt des AHV-Rentenalters zugesprochene UVG-Rente ist beim Zusammentreffen mit der Altersrente der AHV, die eine ausschliesslich krankheitsbedingte IV-Rente ablöst, als Komplementärrente festzusetzen. Es besteht diesfalls keine vom Gericht auszufüllende Verordnungslücke.
130 V 229 () from 25. September 2003
Regeste: Art. 8 Abs. 1 lit. e, Art. 9 Abs. 2 und 3, Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG: Erneute Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit zufolge Krankheit. Der Grundsatz des Versicherungsschutzes geniesst gegenüber demjenigen der Beitragspflicht Vorrang. Nichts steht daher der Eröffnung einer neuen Rahmenfrist unter Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit zufolge Krankheit entgegen, nachdem mit derselben Begründung bereits eine vorangegangene Rahmenfrist eröffnet worden war.
130 V 263 () from 5. April 2004
Regeste: a Art. 3a Abs. 4 und 6, Art. 3b Abs. 1 lit. b, Art. 5 Abs. 1 lit. b ELG; Art. 16c Abs. 1 ELV: Einbezug der Einnahmen und Ausgaben der Kinder in die Ergänzungsleistungsberechnung. Ob ein Kind, das zu einer Rente berechtigt, bei der Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung des Anspruchstellers ausser Betracht fällt, ist auf Grund einer Vergleichsrechnung festzustellen, bei welcher die einzelnen Positionen nach Massgabe der üblichen Regelung einzusetzen sind, die bei Einbezug der Einnahmen und Ausgaben von Kindern einerseits und bei deren Ausserachtlassung andererseits gilt. Daher ist bei der Rechnung ohne Einbezug des Kindes ein Mietzinsanteil nach Art. 16c ELV zu berücksichtigen (Erw. 5.2).
130 V 309 () from 19. Februar 2004
Regeste: Art. 31 Abs. 2 lit. b AVIG; Art. 46 Abs. 2 und Art. 66a Abs. 2 AVIV: Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung bei betrieblicher Gleitzeitregelung; Auslegung eines Gesamtarbeitsvertrages. Art. 46 Abs. 2 und Art. 66a Abs. 2 AVIV (je in der seit 1. Januar 2000 geltenden Fassung), welche die Anspruchsvoraussetzung der verkürzten Arbeitszeit bei betrieblicher Gleitzeitregelung umschreiben, sind gesetzes- und verfassungskonform (Erw. 4). Art. 26 des Landesmantelvertrages (LMV) für das Schweizerische Bauhauptgewerbe 1998-2000 vom 13. Februar 1998 beinhaltet eine betriebliche Gleitzeitregelung im Sinne von Art. 46 Abs. 2 und Art. 66a Abs. 2 AVIV (Erw. 5).
130 V 320 () from 31. März 2004
Regeste: a Art. 82 Abs. 2 ATSG: Weitergeltung kantonaler Verfahrensbestimmungen. Kantonale Bestimmungen, die mit dem ATSG unvereinbar sind, müssen innert fünf Jahren nach In-Kraft-Treten des ATSG diesem Gesetz angepasst werden. Diese Übergangsbestimmung ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen und prioritären Geltung des kantonalen ATSG-konformen Verfahrensrechts für das Beschwerdeverfahren vor dem Sozialversicherungsgericht (Erw. 2.1).
130 V 360 () from 14. Juni 2004
Regeste: Art. 21 Abs. 1 IVG; Art. 2 Abs. 2 HVI: Tätigkeit im Aufgabenbereich. Zur Qualifikation einer ehrenamtlichen Tätigkeit in verschiedenen Selbsthilfeorganisationen als Tätigkeit im Aufgabenbereich im Sinne von Art. 21 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 2 IVV (Erw. 3.3).
130 V 472 () from 15. Juli 2004
Regeste: Art. 31 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG; Art. 33 lit. d KVV; Art. 18 KLV: Allgemeinerkrankung. Die - in Übereinstimmung mit dem Grundprinzip, wonach die Übernahme zahnärztlicher Behandlungen eine Ausnahme bildet, stehende - restriktive Auslegung des unbestimmten Begriffs 'Allgemeinerkrankungen' und der Entscheid des Eidgenössischen Departementes des Innern, die Erkrankung an Brustkrebs nicht in die Liste in Art. 18 Abs. 1 KLV aufzunehmen, stellen keine offensichtliche Überschreitung des Rahmens der in Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG delegierten Kompetenzen dar. Die Verordnungsnorm ist gesetzes- und verfassungskonform (Erw. 6).
130 V 570 () from 23. September 2004
Regeste: Art. 52 Abs. 3 ATSG: Parteientschädigung im Einspracheverfahren. Der Einsprecher, der im Falle des Unterliegens die unentgeltliche Verbeiständung beanspruchen könnte, hat bei Obsiegen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Erw. 2.1 und 2.2). Frage offen gelassen, ob ein Parteientschädigungsanspruch auch in weiteren Ausnahmefällen - wie bei besonderen Aufwendungen oder Schwierigkeiten - anzuerkennen ist (Erw. 2.3).
131 I 1 () from 23. November 2004
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 41 des bernischen Gesetzes vom 2. Februar 1964 über Bau und Unterhalt der Strassen; Gemeinwerkreglement der Einwohnergemeinde Grindelwald vom 7. Dezember 2001; Arbeitsleistungspflicht für den Strassenunterhalt; Ersatzabgabe. Arbeitsleistungspflicht als blosser Vorwand für die Generierung von Fiskaleinnahmen (E. 3)? Es ist mit dem Rechtsgleichheitsgebot nicht vereinbar, ausschliesslich die Grundeigentümer einer Gemeinde für die Instandhaltung und Reinigung des kommunalen Strassennetzes arbeits- bzw. (subsidiär) ersatzabgabepflichtig zu erklären (E. 4.3 und 4.4). Das Rechtsgleichheitsgebot wird vorliegend auch dadurch verletzt, dass jedem Grundeigentümer - unabhängig von dem ihm aus dem Strassenunterhalt erwachsenden individuellen Vorteil - die gleiche Einheitsleistung auferlegt wird (E. 4.5).
131 I 91 () from 19. Januar 2005
Regeste: Gemeindeautonomie, Zwangsfusion von Gemeinden; Art. 50 Abs. 1 BV, Art. 77 Abs. 2 KV. Zulässigkeit der Autonomiebeschwerde gegen Beschluss über den zwangsweisen Zusammenschluss von Gemeinden (E. 1). Befugnis des Grossen Rates zur Anordnung von Zwangsfusionen (E. 2) und gesetzliche Voraussetzungen hierfür gemäss Gemeindegesetz (E. 3.2). Keine Verletzung des Anspruchs der betroffenen Gemeinde auf Anhörung (E. 3.1). Verhältnismässigkeit der Anordnung unter allgemeinen und finanziellen Gesichtspunkten (E. 3.3 und 3.4). Keine Verletzung des Gleichheitsgebotes (E. 3.4).
131 I 105 () from 16. Februar 2005
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 3 BV. Lohngleichheit im öffentlichen Dienstverhältnis; Nachforderung. Der Anspruch auf gleiche Entlöhnung von Mann und Frau gemäss Art. 8 Abs. 3 BV kann im Rahmen der fünfjährigen Verjährungsfrist auch für die Zeit vor Einreichung der Lohnklage geltend gemacht werden (E. 3.3- 3.5). Aus dem allgemeinen Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV ergibt sich hingegen lediglich ein Anspruch auf Korrektur der rechtsungleichen Besoldung auf geeignete Weise und innert angemessener Frist (E. 3.6-3.8). Keine Berufung auf Treu und Glauben, wenn der ungleiche Lohn trotz Kenntnis von einem diesbezüglich hängigen Rechtsmittelverfahren nicht beanstandet wird (E. 3.9).
131 I 166 () from 18. März 2005
Regeste: Art. 7 und 12 BV; Anspruch auf Nothilfe sowie Umfang derselben. Hält der Ausschluss von Asylbewerbern mit asylrechtlichem Nichteintretensentscheid von der minimalen Nothilfe wegen Missachtung ihrer Mitwirkungspflichten beim Vollzug der Wegweisung vor der Bundesverfassung stand (E. 1-7)? Entspricht ein im Rahmen der Nothilfe entrichtetes Taggeld von Fr. 13.- für die Unterkunft der Bundesverfassung (E. 8)?
131 I 198 () from 9. März 2005
Regeste: Art. 8 und 49 Abs. 1 BV; Art. 88 OG; Art. 37 Abs. 3 KVG; Art. 26 Abs. 1 und Art. 30 HMG; §§ 19-21 des solothurnischen Gesetzes vom 10. September 2003 über die Einführung des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte; Arzneimittelabgabe durch Ärzte (Selbstdispensation); Legitimation der Apotheker zur staatsrechtlichen Beschwerde (abstrakte Normenkontrolle). Zur Anfechtung von Erlassen ist ein drohender Eingriff in rechtlich geschützte Interessen erforderlich, was auch bei der Geltendmachung einer Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes gilt (E. 2.1 und 2.3). Aus den einschlägigen bundesrechtlichen Bestimmungen (Art. 37 Abs. 3 KVG sowie Art. 26 Abs. 1 und Art. 30 HMG) allein lässt sich keine legitimationsbegründende Schutznorm im Sinne von Art. 88 OG zugunsten der Apotheker ableiten, um eine kantonal-gesetzliche Regelung betreffend die Arzneimittelabgabe durch Ärzte anfechten zu können (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2.5). Fehlende Legitimation auch nach Massgabe der Grundsätze zur Anfechtung von Erlassen wegen rechtsungleicher Begünstigung Dritter (sog. AVLOCA-Praxis; E. 2.6).
131 I 205 () from 9. März 2005
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Prinzip der Gewaltentrennung; Art. 88 OG; Art. 37 Abs. 3 KVG; § 17 des zürcherischen Gesetzes über das Gesundheitswesen; § 51 der zürcherischen Verordnung über den Verkehr mit Heilmitteln; Arzneimittelabgabe durch Ärzte (Selbstdispensation); Legitimation der Apotheker zur staatsrechtlichen Beschwerde (abstrakte Normenkontrolle). Der Bestimmung in § 17 des zürcherischen Gesundheitsgesetzes, wonach die Selbstdispensation in den Städten Zürich und Winterthur generell verboten und im übrigen Kantonsgebiet (mit Bewilligung) gestattet ist, kommt in Verbindung mit Art. 37 Abs. 3 KVG die Funktion einer legitimationsbegründenden Schutznorm zugunsten der in diesen Städten gelegenen Apotheken zu (E. 2). Trotz unter dem Gesichtswinkel der Rechtsgleichheit nicht unbedenklicher Mängel darf die gesetzliche Regelung weiterhin Geltung beanspruchen, solange der zuständige kantonale Gesetzgeber keine neue Ordnung beschlossen hat. Eine Änderung auf Verordnungsstufe, welche die Zulässigkeit der Selbstdispensation auch in den Städten Zürich und Winterthur herbeiführen will, verstösst gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung (E. 3).
131 I 291 () from 20. April 2005
Regeste: Art. 85 lit. a, 84 Abs. 1 lit. a und 93 OG; Art. 13-16, 66, 72 Abs. 1 und 3 StHG; vorläufige Vorschriften durch die Kantonsregierung betreffend den Vermögenssteuerwert von Liegenschaften; Prinzip der Gewaltenteilung. Abgrenzung von Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG und Verfassungsbeschwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. a OG bei der Rüge der Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung (E. 1.1). Befugnis und Verpflichtung der Kantonsregierung gemäss Art. 72 Abs. 3 StHG, vorläufige Vorschriften zu erlassen, wenn das zur Regelung zuständige Kantonsparlament nicht rechtzeitig auf den 1. Januar 2001 eine dem Steuerharmonisierungsgesetz entsprechende Rechtslage geschaffen hat (E. 2). Prüfung einer gestützt auf Art. 72 Abs. 3 StHG erlassenen Regelung, wonach Schätzungen des Vermögenssteuerwertes von Liegenschaften, die vor Ablauf der Frist des Art. 72 Abs. 1 StHG durchgeführt wurden und die den Anforderungen dieses Gesetzes nicht genügen, in erster Linie mittels pauschaler prozentualer Erhöhungen angepasst werden sollen (E. 3.1-3.4).
131 I 313 () from 22. Juni 2005
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 26 Abs. 5 des bernischen Gesetzes vom 2. Februar 1964 über Bau und Unterhalt der Strassen; Reglement vom 27. Dezember 1936 über die Erhebung einer Beleuchtungsgebühr in der Gemeinde Bern. Eine von den Eigentümern von Grundstücken im näheren Umkreis einer Strassenlampe erhobene, jährlich wiederkehrende kommunale Abgabe zur teilweisen Deckung der Betriebskosten der öffentlichen Strassenbeleuchtung (E. 2.1), welche als Vorzugslast konzipiert ist (E. 3.3), verstösst mangels eines relevanten individuellen Sondervorteils der Abgabepflichtigen gegen das Rechtsgleichheitsgebot (E. 3.5 und 3.6).
131 I 377 () from 27. Mai 2005
Regeste: Art. 8 BV; Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; Art. 9 Abs. 4 StHG; Besteuerung des Eigenmietwerts; Rechtsgleichheit; Rügeprinzip; Bundesrechtswidrigkeit des basel-landschaftlichen Pauschalabzugs für Mietkosten. Eine gesetzliche Regelung, welche die Rechtsgleichheit in der Eigen mietwertbesteuerung für gewahrt erklärt, wenn den beiden (deutlich unterschiedlich grossen) Gruppen von Wohneigentümern einerseits und Mietern andererseits insgesamt je die gleich grosse Summe unbesteuerten Einkommens gewährt wird, verstösst gegen Art. 8 BV (E. 3). Das basel-landschaftliche System der Eigenmietwertbesteuerung (Pauschalabzug zugunsten der Mieter zwecks Ausgleichs des Steuervorteils, den die Eigentümer aus den viel zu tiefen Eigenmietwerten ziehen) ist bundesrechtswidrig; Rügeprinzip (E. 4).
131 I 394 () from 8. August 2005
Regeste: Art. 80 Abs. 1 ATSG, Art. 8 und 49 BV; Befreiung von der Handänderungssteuer; derogatorische Kraft des Bundesrechts, Gleichbehandlung. Altes und neues Recht betreffend die Steuerbefreiung der SUVA (E. 3.3). Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Steuern sowie Wesen der Handänderungssteuer (E. 3.4). Gleichbehandlung mit den durch das kantonale Recht befreiten Einrichtungen (E. 4).
131 II 151 () from 28. Dezember 2004
Regeste: Materielle Enteignung, Beschränkung der vorhersehbaren künftigen Nutzung eines Grundstücks; Art. 26 Abs. 2 BV, Art. 5 Abs. 2 und Art. 15 RPG. Tragweite des Erfordernisses, in einer Bauzone vorgängig des Baubewilligungsverfahrens einen Quartierplan zu erstellen ("Zone mit Quartierplanpflicht"; E. 2.3). Nach der Rechtsprechung zur materiellen Enteignung ist die vorhersehbare künftige Nutzung des Grundstücks - welche im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Einschränkung als für die nahe Zukunft sehr wahrscheinlich erscheinen muss - vorab nach juristischen Gesichtspunkten abzuschätzen. Es geht nicht an, grundsätzlich jedes zusätzliche Verfahren, welches das kantonale Recht vor der Erteilung einer Baubewilligung verlangt (z.B. das Erfordernis eines Quartier- oder Erschliessungsplans), als juristisches Element zu betrachten, welches die Ausrichtung einer Entschädigung ausschliesst; es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände und auf die effektive Tragweite an, welche diesem Erfordernis nach kantonalem Recht zukommt (E. 2.4). Beurteilung der Gemeindereglemente und der Gesetzgebung des Kantons Neuenburg nach diesen Vorgaben (E. 2.5).
131 II 271 () from 8. März 2005
Regeste: Art. 3 Abs. 2 lit. a der Verordnung über die Abgabe zur Sanierung von Altlasten (VASA), Art. 30-32e USG; Abgabesatz für Abfallausfuhr in Untertagedeponie; akzessorische Normenkontrolle. Auslegung von Art. 32e Abs.1 und 2 USG: Rechtsnatur der Abgabe (E. 5.3); Untertagedeponie als Deponieart (E. 6); Begriff der durchschnittlichen Ablagerungskosten (E. 7); Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers bei der Festsetzung der Abgabehöhe (E. 7.3). Art. 32e Abs. 2 USG ermächtigt den Verordnungsgeber, die Abgabesätze für die Deponiearten gemäss den unterschiedlichen Ablagerungskosten abzustufen (E. 8.4). Zulässigkeit eines Abgabetarifs, der für Untertagedeponien einen höheren Abgabesatz als für Reststoffdeponien vorsieht (E. 8-10). Vereinbarkeit des Tarifs mit dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft (E. 10.1-10.5). Frage der Anwendbarkeit des GATT/WTO- Übereinkommens offen gelassen (E. 10.6). Prüfung, ob die durchschnittlichen Ablagerungskosten bei der Untertagedeponie und der Reststoffdeponie vom Verordnungsgeber als Grundlage des Abgabetarifs genügend abgeklärt worden sind (E. 11); Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Kognitionsbeschränkung der Vorinstanz (E. 11.7).
131 II 361 () from 14. März 2005
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 4 Abs. 2 aBV, Art. 3 und 5 Abs. 2 GlG; Gleichberechtigung der Geschlechter; Verbot der Diskriminierung beim Einstellen von Arbeitskräften; Frauenquoten betreffend den Zugang zu universitären Lehrämtern; Legalität und Verhältnismässigkeit einer solchen Massnahme. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde: aktuelles und praktisches Interesse, die Verfassungswidrigkeit eines Quotensystems, das nicht mehr praktiziert wird, feststellen zu lassen (E. 1); trotz seines überwiegend auf Feststellung gerichteten Charakters ist der Antrag auf Bezahlung einer symbolischen Entschädigung zulässig (historische Auslegung von Art. 5 Abs. 2 GlG; E. 4). Bedeutung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes und der Unterscheidung zwischen starren und flexiblen Quoten bei der Beurteilung der Verfassungsmässigkeit einer Quotenregelung (Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung; E. 5). Durch den Bund in seinem Förderungsprogramm für den akademischen Nachwuchs vorgesehene starre Frauenquote: es ist fraglich, ob diese Massnahme verhältnismässig ist (E. 6); sie beruht jedenfalls nicht auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage (E. 7).
131 II 393 () from 8. April 2005
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 3 und 5 GlG; Geschlechtsdiskriminierung; Arbeitsplatzbewertung; Minusklassenentscheid; Berücksichtigung von konjunkturellen oder arbeitsmarktlichen Faktoren; Überführungsregelung. Zur Passivlegitimation des Kantons bei auf das Gleichstellungsgesetz gestützten Feststellungs- bzw. Leistungsbegehren gegen vom Kanton abhängige, aber rechtlich selbständige Spitalträger (E. 3). Arbeitsplatzbewertung mit Hilfe der vereinfachten Funktionsanalyse; einheitliche Methode und Bewertung der Kriterien für alle Funktionen; Problematik der Gewichtung der einzelnen Kriterien (E. 6). Unzulässigkeit eines Minusklassenentscheides (E. 5.2), mit dem der Arbeitgeber vom Ergebnis der Arbeitsplatzbewertung zum Nachteil der Arbeitnehmer abweichen will (Präzisierung der bisherigen Rechtsprechung; E. 7). Unterscheidung der Überführung in eine höhere Klasse nach Dienstalter und nach Frankenbetrag (E. 5.2 und 8.1). Die frankenmässige Überführung kann die zuvor bestehende Diskriminierung fortführen (E. 8.2-8.4).
131 II 616 () from 5. August 2005
Regeste: Schutz vor dem Lärm einer neuen Strasse; räumliche Geltung der Planungswerte (Art. 25 USG; Art. 39 und 41 LSV); Erleichterungen (Art. 25 Abs. 3 USG; Art. 10 LSV); vorsorgliche emissionsbegrenzende Massnahmen (Art. 11 Abs. 2 USG). Ist ein Grundstück bereits überbaut, müssen die Planungswerte in den bestehenden lärmempfindlichen Räumen eingehalten werden (Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art. 39 Abs. 1 LSV); nach Bau- und Planungsrecht mögliche Nutzungsreserven werden - anders als bei unüberbauten Grundstücken (Art. 41 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 39 Abs. 3 LSV) - grundsätzlich nicht berücksichtigt (E. 3.4.2). Diese unterschiedliche Regelung für überbaute und nicht überbaute Grundstücke hält vor dem Rechtsgleichheitsgebot stand (E. 3.4.3). Prüfung der Zulässigkeit der erteilten Erleichterungen (E. 4) sowie der Möglichkeit weiterer vorsorglicher emissionsbegrenzender Massnahmen (E. 5).
131 II 639 () from 24. August 2005
Regeste: a Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 BGFA; Rechtsanwälte können sich nur in das kantonale Anwaltsregister eines einzigen Kantons eintragen lassen. Ein gleichzeitiger Eintrag in verschiedene kantonale Anwaltsregister ist ausgeschlossen. Rechtsanwälte, die über mehrere Geschäftsadressen verfügen, haben sich im Register jenes Kantons eintragen zu lassen, in welchem sie überwiegend tätig sind (E. 3).
131 III 201 () from 16. Dezember 2004
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 42 Abs. 1 ZGB, Art. 40 IPRG, Art. 24 Abs. 1 ZStV; Eintragung von ausländischen Namen ins Zivilstandsregister. Praxisänderung. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Voraussetzungen zur gerichtlichen Berichtigung von Eintragungen (E. 1). Eintragung und Übertragung eines nach Geschlecht veränderlichen Namens im Zivilstandsregister (E. 2 und 3).
131 V 9 () from 30. September 2004
Regeste: Art. 8 Abs. 1, 2 und 4 BV; Art. 21 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 HVI und Ziff. 15.02 HVI Anhang; Art. 12 und 13 IVG; Art. 19 IVG in Verbindung mit Art. 8ter Abs. 2 lit. c und Art. 10 Abs. 2 lit. c IVV: Leistungspflicht der Invalidenversicherung hinsichtlich eines elektronischen Kommunikationsgerätes zuhanden Minderjähriger mit Trisomie 21. Elektrische und elektronische Kommunikationsgeräte, in casu das "B.A.Bar"Gerät, fallen nicht unter den Hilfsmittelbegriff, soweit sie zum Zweck des Spracherwerbs eingesetzt werden (Erw. 3.3). Deren Nichtabgabe durch die Invalidenversicherung hält insoweit auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Diskriminierungsverbot, Gebot der rechtsgleichen Behandlung, persönliche Freiheit) stand; namentlich ergibt sich aus dem Förderungsauftrag zugunsten Behinderter zumal dann nichts anderes, wenn die Leistungskategorie der Sonderschulung in die Betrachtung miteinbezogen wird (Erw. 3.4.3 und 3.5; vgl. Erw. 5). Soweit sich der Einsatz auf die Pflege des täglichen Kontakts mit der Umwelt bezieht, gebricht es an der Notwendigkeit der Vorkehr. (Erw. 3.6) Aus verschiedenen Gründen fällt auch eine Übernahme als medizinische Massnahme nicht in Betracht. (Erw. 4) Geht das Gerät als pädagogisch-therapeutische Sonderschulmassnahme - mit Blick auf das Vorschulalter des Versicherten im Sinne einer heilpädagogischen Früherziehung - zulasten der Invalidenversicherung (Erw. 5.2 und 5.3)? Rückweisung an die Verwaltung zur Abklärung und neuen Verfügung unter diesem Rechtstitel. (Erw. 5.4)
131 V 107 () from 19. April 2005
Regeste: Art. 43ter Abs. 1 [in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung] und 3 AHVG; Art. 66ter AHVV; Art. 2 Abs. 1 und 2 HVA; Ziff. 9.51 HVA Anhang: Kostenbeitrag an den käuflichen Erwerb eines motorisierten Rollstuhls im Rahmen der Austauschbefugnis. Die Austauschbefugnis ist auch im Bereich des AHV-rechtlichen Hilfsmittelanspruches zur Anwendung zu bringen (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 3.4.6). Voraussetzungen, Dauer, Umfang und Modalitäten des Anspruchs auf den monatlichen substituierten Mietkostenbeitrag, wenn die versicherte Person auf den ihr gemäss Ziff. 9.51 HVA Anhang gesetzlich zustehenden mietweisen Bezug eines Rollstuhles ohne motorischen Antrieb verzichtet und sich stattdessen einen motorisierten Rollstuhl anschafft (Erw. 3 und 4, insbesondere 4.4).
131 V 242 () from 5. August 2005
Regeste: a Art. 50 Abs. 2 IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung); Art. 85bis IVV: Tragweite der Wendung "im Hinblick auf die Leistung der Invalidenversicherung" resp. "im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung" erbrachte Vorschussleistungen. Für die Leistungskoordination zwischen Sozialhilfe und Invalidenversicherung kann es nur darauf ankommen, dass objektiv für den gleichen Zeitraum Sozialhilfe- und Invalidenversicherungsleistungen fliessen und dass für die zur Verhinderung eines doppelten Leistungsbezugs erforderliche Drittauszahlung die weiteren normativen Erfordernisse des Art. 85bis IVV erfüllt sind, hingegen nicht, dass die Sozialhilfeleistungen in subjektiver Kenntnis eines bei der Invalidenversicherung gestellten oder noch zu stellenden Leistungsbegehrens ausgerichtet wurden. (Erw. 5)
131 V 256 () from 4. August 2005
Regeste: Art. 8, 9 und 12 BV; Art. 3a Abs. 7 lit. h ELG; Art. 16b ELV: Heizkostenpauschale. Art. 16b ELV ist gesetz- und verfassungsmässig. (Erw. 5) In der Pauschalierung der Heizkosten liegt keine Verletzung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Dasein nach Art. 12 BV. (Erw. 6)
132 I 7 () from 17. November 2005
Regeste: Art. 5, 8 Abs. 1, 9 und 10 Abs. 2 BV; Bewilligungserfordernis für das Halten von "potenziell gefährlichen Hunden". Konkretisierung des für die Bewilligungspflicht massgebenden gesetzlichen Begriffes der "potenziell gefährlichen Hunde" durch den Verordnungsgeber (E. 2). Kein Eingriff in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit durch die blosse Bewilligungspflicht für die Hundehaltung (E. 3). Verwendung der Rassenzugehörigkeit von Hunden als Kriterium zur Abgrenzung der Bewilligungspflicht (E. 4).
132 I 49 () from 25. Januar 2006
Regeste: Wegweisungs- und Fernhalteverfügungen; Art. 7, 8, 10, 22 und 36 BV. Kantonalrechtliche Grundlage für vorübergehende Wegweisungs- und Fernhaltemassnahmen (E. 2). Aus einer selbständigen Anrufung der Menschenwürde (Art. 7 BV) können die Betroffenen nichts zu ihren Gunsten ableiten; sie können sich auf die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV), die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) und das Willkürverbot (Art. 9 BV) berufen (E. 5). Hinreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Norm bejaht (E. 6). Öffentliches Interesse und Verhältnismässigkeit der Wegweisungs- und Fernhalteverfügungen gegeben (E. 7). Keine Verletzung des Diskriminierungsverbotes (E. 8).
132 I 68 () from 3. Februar 2006
Regeste: Weitergabe des Korporationsbürgerrechts (Art. 8, 37 Abs. 2 und 191 BV). Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde; Überprüfungsbefugnis (E. 1). Für die Weitergabe des Korporationsbürgerrechts an einen Nachkommen ist Art. 37 Abs. 2 BV, welcher erlaubt, dass Korporationen ihre eigenen Mitglieder in bestimmten Bereichen gegenüber Dritten bevorzugen, nicht massgebend (E. 3). Eine öffentlichrechtliche Korporation, welche von Bundesrechts wegen nicht gezwungen ist, die Bestimmungen des Namens- und Bürgerrechts anzuwenden, verletzt Art. 8 BV, wenn sie die Weitergabe der Mitgliedschaft durch verheiratete Korporationsbürgerinnen und ledige Korporationsbürger ausschliesst (E. 4).
132 I 97 () from 18. April 2006
Regeste: Art. 27 und 36 BV, Art. 3 BGBM; Verfassungsmässigkeit einer kommunalen Marktordnung, insbesondere der Bestimmung betreffend den gesteigerten Gemeingebrauch. Kriterien für die Auswahl von Interessenten für Marktstände, wenn der verfügbare Platz nicht ausreicht, um alle Gesuche zu berücksichtigen (E. 2). Art. 2 Abs. 2 des Reglements, der eine Rangordnung nach der geografischen Herkunft der Interessenten festlegt und damit in wettbewerbsverzerrender Weise stets dieselben Personenkreise bevorzugt, ist mit der Wirtschaftsfreiheit und dem Binnenmarktgesetz nicht vereinbar (E. 3).
132 I 157 () from 12. April 2006
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 1 BV, Art. 7 Abs. 1 StHG, Art. 21 Abs. 2 des Glarner Steuergesetzes vom 7. Mai 2000, Art. 24 der Glarner Verordnung vom 22. November 2000 über die Bewertung der Grundstücke; Rechtsgleichheitsgebot; Legalitätsprinzip im Abgaberecht; Eigenmietwert. Die unterschiedliche Besteuerung des Eigenmietwerts von Erst- und Zweitwohnungen ist zulässig. Legalitätsprinzip im Abgaberecht. Gesetz im formellen Sinn. Festsetzung von Abgaben durch das kantonale Parlament (E. 2.2). Vereinbarkeit der Glarner Regelung mit Art. 7 Abs. 1 StHG (E. 3). Rechtsgleichheitsgebot bei der Eigenmietwertbesteuerung (E. 4). Wohneigentumsförderung (Art. 108 BV; Art. 31 KV/GL) als zulässiger Grund für die unterschiedliche fiskalische Behandlung von Erst- und Zweitwohnungen (E. 5). Die allenfalls beschränkte Disponibilität einer Zweitwohnung rechtfertigt keine Reduktion des Eigenmietwerts (E. 6). Es darf unberücksichtigt bleiben, ob ein Eigentümer einer Zweitwohnung an seinem Hauptwohnsitz ebenfalls über Wohneigentum verfügt. (E. 7).
132 I 167 () from 10. Mai 2006
Regeste: Art. 8 Abs. 2 und 3 BV; diskriminierende Verweigerung einer Einbürgerung? Der Berufung auf Art. 15 BV und Art. 9 EMRK kommt im Hinblick auf die Rüge, die Einbürgerung sei wegen der Religionszugehörigkeit aus diskriminierenden Gründen verweigert worden, keine selbständige Bedeutung zu (E. 3). Mangels hinreichender Integration der Gesuchstellerin verstösst die Verweigerung der Einbürgerung nicht gegen Art. 8 Abs. 2 BV (E. 4).
132 I 201 () from 6. Juni 2006
Regeste: Art. 9 und 27 BV; Entschädigung des amtlichen Rechtsvertreters; Praxisänderung. Darstellung der aktuellen Rechtslage und Praxis. Der streitige (fixe) Stundenansatz für amtliche Verteidigungen im Kanton Aargau in der Höhe von 150 Franken ist kostendeckend (E. 7). Es lässt sich heute nicht mehr rechtfertigen, den amtlichen Rechtsvertretern bloss deren eigene Aufwendungen zu ersetzen; die Entschädigung für Pflichtmandate ist so zu bemessen, dass es den Rechtsanwälten möglich ist, einen bescheidenen (nicht bloss symbolischen) Verdienst zu erzielen. Das Bundesgericht geht als Faustregel von einem Honorar in der Grössenordnung von 180 Franken pro Stunde aus (E. 8).
132 I 256 () from 4. September 2006
Regeste: Verweigerung einer Kundgebung am 1. August 2006 in Brunnen; Art. 16 und 22 BV, Art. 11 EMRK. Legitimation einer einfachen Gesellschaft (E. 1.1). Grundsätze der Meinungs- und Versammlungsfreiheit hinsichtlich Durchführung einer Kundgebung auf öffentlichem Grund (E. 3 und 4.1). Behördliche Schutzmassnahmen vor drohender Gegendemonstration und ihre Grenzen (E. 4.3). Vor dem Hintergrund der konkreten Gegebenheiten hält die Verweigerung der Kundgebungsbewilligung vor der Verfassung stand (E. 4.4-4.7).
132 II 103 () from 9. November 2005
Regeste: Art. 14 Abs. 3, 24 und 25 GwG; Kontrolle über die Anwälte und Notare im System des Geldwäschereigesetzes; Tragweite des Berufsgeheimnisses. Das Berufsgeheimnis von Anwälten und Notaren deckt grundsätzlich nur deren berufsspezifischen, nicht auch ihre allgemeinen wirtschaftlichen (akzessorischen) Aktivitäten ab (E. 2.1); diese fallen unter die Meldepflicht gemäss Art. 9 GwG (E. 2.2). Die Selbstregulierungsorganisation der Anwälte und Notare ist gehalten, alle ihr angeschlossenen Mitglieder zu kontrollieren, d.h. auch jene - wenig zahlreichen (E. 3) -, die erklären, nicht als Finanzintermediäre aktiv zu werden und keine geldwäschereirechtlich relevanten Tätigkeiten zu entfalten (E. 4).
132 II 234 () from 13. März 2006
Regeste: Art. 16c SVG; Mindestdauer des Führerausweisentzugs nach schwerer Widerhandlung; Definition der schweren Widerhandlung bei Geschwindigkeitsüberschreitung. In den Anwendungsfällen von Art. 16c SVG ist es selbst bei Vorliegen besonderer Umstände nicht möglich, den Führerausweis für eine kürzere als die vom Gesetz vorgesehene Dauer zu entziehen (E. 2). Wie unter altem Recht stellt eine innerorts begangene Geschwindigkeitsüberschreitung von 25 km/h eine schwere Widerhandlung dar (E. 3).
132 II 257 () from 21. April 2006
Regeste: Art. 92 Abs. 2 BV, Art. 11, 56 und 61 FMG, Art. 45 und 58 FDV, Art. 12 lit. e VwVG; behördliche Festlegung von Interkonnektionsbedingungen. Zulässigkeit und Modalitäten der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (E. 2). Kognition des Bundesgerichts unter Berücksichtigung von Beurteilungsspielräumen bzw. Ermessen der Kommunikationskommission (E. 3). Verfahrensfragen und Sachverhaltsüberprüfung unter Berücksichtigung der von der Kommunikationskommission eingeholten Gutachten (E. 4). Marktbeherrschung der interkonnektionspflichtigen Unternehmung als Voraussetzung der Interkonnektion (E. 5). Bundesrechtmässigkeit der verfügten Interkonnektionspreise und der zu deren Berechnung angewandten Methodik (E. 6). Reziprozität der Interkonnektionsbedingungen: Bundesrechtmässigkeit der Festsetzung gleicher Preise für reziproke Interkonnektionsleistungen (E. 7).
132 II 485 () from 26. Oktober 2006
Regeste: Art. 1, 6 Abs. 1, Art. 9, 10, 23 Abs. 1 und 4 sowie Art. 58 Abs. 2 FMG, Art. 5, 8, 9, 26, 27, 29 und 36 BV sowie Art. 6 EMRK; Änderung, Übertragung und Entzug einer Fernmeldekonzession (Konzession für IMT-2000/UMTS-Fernmeldedienste). Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Anforderungen an das Verfahren (E. 1). Anspruch auf rechtliches Gehör und Akteneinsicht (E. 3). Verwirkung des Anspruchs auf Anrufung eines Organmangels vor der Kommunikationskommission durch Einlassung (E. 4). Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen der Kommunikationskommission (E. 5). Anwendbare Rechtsregeln für die Änderung einer Fernmeldekonzession (E. 6). Anwendbare Rechtsregeln für die Übertragung einer Fernmeldekonzession (E. 7). Anwendbare Rechtsregeln für den Entzug einer Fernmeldekonzession (E. 8). Entschädigungspflicht beim Entzug einer Fernmeldekonzession (E. 9)?
132 III 497 () from 22. Mai 2006
Regeste: Art. 30 Abs. 1 ZGB; wichtige Gründe zur Namensänderung. Wächst das Kind unverheirateter Eltern beim Vater auf und ist diesem nach Art. 298 Abs. 2 ZGB die elterliche Sorge übertragen, ist nach Art. 271 Abs. 3 ZGB ein wichtiger Grund gegeben, um durch Namensänderung den Familiennamen des Vaters zu erwerben (E. 2-4).
132 V 113 () from 11. Januar 2006
Regeste: a Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG; Art. 22 Abs. 4 ELV: Drittauszahlung nachträglich zugesprochener Ergänzungsleistungen an die Sozialhilfebehörde. Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG hat zu keiner materiellrechtlichen Änderung der bisher geltenden Ordnung der Drittauszahlung von nachträglich zugesprochenen Ergänzungsleistungen an bevorschussende Sozialhilfeinstitutionen geführt. (Erw. 3.3 und 3.4) Mit Bezug auf die in Art. 22 Abs. 4 ELV enthaltene Formulierung "im Hinblick auf Ergänzungsleistungen" gilt die zu den vergleichbaren Wendungen in Art. 50 Abs. 2 IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) und Art. 85bis IVV ergangene Rechtsprechung (BGE 131 V 246 ff. Erw. 5) analog. (Erw. 3.2.2)
132 V 273 () from 7. Juni 2006
Regeste: Art. 3d Abs. 1 lit. b und Abs. 4 Satz 1 ELG; Art. 14 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 ELKV: Kostenvergütung für Hilfe, Pflege und Betreuung von Behinderten in Tagesstrukturen. Die letztgenannte Verordnungsbestimmung, wonach (nur) Kosten bis höchstens Fr. 45.- pro Tag angerechnet werden, an dem sich die behinderte Person in der Tagesstruktur aufgehalten hat, ist gesetzmässig. Von den Tagesstätten erhobene sog. Reservationstaxen für Tage krankheits- oder ferienbedingter Abwesenheit gehen nicht zulasten der EL. (Erw. 2-5)
132 V 310 () from 29. März 2006
Regeste: Art. 2 FZA; Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71; Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 BV; Art. 3 KVG; Art. 2 Abs. 2 und 8 KVV: Ausnahme von der Versicherungspflicht in der schweizerischen Krankenversicherung. Art. 2 Abs. 2 und 8 KVV verstossen weder gegen das Gesetz noch gegen die Bundesverfassung noch gegen das FZA, soweit sie keine Befreiungsmöglichkeit vorsehen für Personen, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben, in der Schweiz wohnen, nach Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 den schweizerischen Rechtsvorschriften unterstehen, über eine freiwillige private Krankenversicherung in einem Staat verfügen, dessen Rechtsvorschriften sie nach der Verordnung Nr. 1408/71 nicht mehr unterliegen, und bei denen der Grund dafür, dass sie sich in der Schweiz nicht oder nur zu kaum tragbaren Bedingungen im bisherigen Umfang zusatzversichern können, nicht in ihrem Alter und/oder Gesundheitszustand liegt. (Erw. 8 und 9)
133 I 1 () from 7. Dezember 2006
Regeste: Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, § 3 Abs. 2 Ziff. 3 GVG/ZH; Ablehnung eines Richters. Unbefangenheit des Richters in einem Prozess, in dem das Mitglied einer Rechtsmittelinstanz als Parteivertreter auftritt. Der Umstand, dass der Anwalt ein derartiges richterliches Nebenamt ausübt, tangiert im vorliegenden Fall das Gebot der Waffengleichheit der Parteien nicht (E. 5.3). Akzessorische Überprüfung der Zürcher Gerichtsorganisation, die den Mitgliedern des kantonalen Kassationsgerichts die berufsmässige Parteivertretung vor unteren Gerichten erlaubt (E. 6).
133 I 106 () from 11. Dezember 2006
Regeste: Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II; Öffentlichkeitsgrundsatz, Publikation des bundesgerichtlichen Entscheids. Praxis zur Verkündung und Veröffentlichung bundesgerichtlicher Urteile (E. 8.2). Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Transparenz der Rechtsprechung und den privaten Geheimhaltungsinteressen (E. 8.3 und 8.4).
133 I 156 () from 7. Mai 2007
Regeste: Art. 19 und 62 Abs. 2 BV; Art. 27 Abs. 2 aBV; Art. 8, 11, 27 Abs. 2 und Art. 41 Abs. 1 lit. f BV; Art. 13 Abs. 2 UNO-Pakt I; Art. 28 Abs. 1 der Kinderrechtekonvention; Übernahme der Transportkosten für den Besuch des Untergymnasiums. Der bundesverfassungsrechtliche Anspruch auf Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts erstreckt sich - trotz gegenüber der bisherigen Bundesverfassung geänderter Terminologie ("Grundschulunterricht" statt "Primarunterricht") - grundsätzlich nicht auch auf den Unterricht an (staatlichen) Untergymnasien, wiewohl dieser noch in die obligatorische Schulzeit fällt; keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Kantone, die notwendigen Transportkosten für den Besuch des Untergymnasiums (vollständig) zu übernehmen (E. 3).
133 I 185 (2D_2/2007) from 30. April 2007
Regeste: Art. 9 BV; Art. 113 in Verbindung mit Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG, Art. 115 lit. b BGG. Ausländerrechtliches Bewilligungsverfahren; keine Legitimation des Ausländers zur subsidiären Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Willkürverbots, wenn kein Rechtsanspruch auf Bewilligung besteht. Verhältnis subsidiäre Verfassungsbeschwerde und Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (E. 2.1 und 2.2); im konkreten Fall kann die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG nicht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden, weil kein Rechtsanspruch auf die Bewilligung besteht (E. 2.2 und 2.3). Legitimationsvoraussetzungen bei Willkürbeschwerden nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG (E. 4). Entstehungsgeschichte von Art. 115 lit. b BGG; Zusammenhang mit der Rechtsprechung zu Art. 88 OG (E. 5). In Berücksichtigung der Materialien, der Zielsetzungen der Revision der Bundesrechtspflege und des Verhältnisses zu den verschiedenen in Art. 83 BGG enthaltenen Ausschlussgründen setzt die Berechtigung zur Erhebung der Willkürrüge bei der subsidiären Verfassungsbeschwerde nach Art. 115 lit. b BGG voraus, dass sich der Beschwerdeführer auf eine durch das Gesetz oder ein spezielles Grundrecht geschützte Rechtsstellung berufen kann (E. 6).
133 I 206 () from 1. Juni 2007
Regeste: Art. 8 Abs. 1, 49 Abs. 1, 127 Abs. 2 BV; Art. 88 OG; Verfassungsmässigkeit der degressiven Obwaldner Steuertarife; Eintretensfragen; Folgen festgestellter Verfassungswidrigkeit. Legitimation zur Anfechtung von Steuertarifen mit staatsrechtlicher Beschwerde (E. 2). Unzulässigkeit der Beschränkung der Anfechtung auf einzelne Tarifpositionen oder Teile des Tarifs (E. 3). Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV; E. 4). Tarifautonomie der Kantone (E. 5). Besteuerungsgrundsätze gemäss Art. 127 Abs. 2 BV und deren Bedeutung für die Kantone (E. 6). Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als allgemeines Konzept, welches der Konkretisierung bedarf (E. 7.1 und 7.2); das Leistungsfähigkeitsprinzip aus finanzwissenschaftlicher Sicht (E. 7.3); Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips anhand der rechtlichen Grundordnung (E. 7.4). Progressive, proportionale und degressive Steuertarife (E. 8.1). Anforderungen, die das Leistungsfähigkeitsprinzip an die Tarifgestaltung stellt, und Kognition des Bundesgerichts bei der Überprüfung von Steuertarifen (E. 8.2). Degressive Tarife im Besonderen (E. 8.3). Der neue Obwaldner Einkommenssteuertarif widerspricht dem allgemeinen Rechtsgleichheitsgebot und dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (E. 9). Weder Gründe des Steuerwettbewerbs (E. 10) noch andere fiskalische oder ausserfiskalische Zielsetzungen (E. 11) vermögen den verfassungsrechtlichen Mangel zu beheben. Gleiche Beurteilung bezüglich des neuen Obwaldner Vermögenssteuertarifs (E. 12). Folgen der festgestellten Verfassungsverletzung (E. 13).
133 I 249 () from 27. April 2007
Regeste: Ausführungs- und Übergangsbestimmungen betreffend die zwölf verbotenen Hunderassen und deren Kreuzungen im Kanton Wallis; Art. 10 Abs. 2 BV; gesetzliche Grundlage; Art. 8 und 9 BV. Das Halten von Hunden einer bestimmten Rasse fällt grundsätzlich nicht in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit (E. 2). Die heutige bundesstaatliche Kompetenzordnung für den Tierschutz verbietet den Kantonen nicht, Regelungen betreffend die Tierhaltung zum Schutz der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung zu erlassen (E. 3.2). Das Gleichbehandlungsgebot schliesst nicht aus, dass die Kantone über die gleiche Materie unterschiedliche Regelungen erlassen und dass das mit der angefochtenen Regelung statuierte Verbot der Haltung von auf der Rasseliste stehenden Hunden für die sich nur vorübergehend im Kanton Wallis aufhaltenden Personen nicht gilt (E. 3.4). Das absolute Verbot gewisser Hunderassen, das weniger als 1,7 % des Walliser Hundebestandes erfasst, stellt keine unvernünftige Massnahme dar und verstösst somit weder gegen Art. 8 noch gegen Art. 9 BV (E. 4.2). Selbst wenn die Liste der verbotenen Hunderassen nicht perfekt und provisorisch ist, erweist sie sich nicht als verfassungswidrig (E. 4.3).
133 I 259 () from 21. August 2007
Regeste: Art. 9 und 49 BV; freies Notariat; öffentliche Beurkundung; (neues) basel-städtisches Notariatsgesetz vom 18. Januar 2006. Weitreichende Normierungsfreiheit der Kantone bei der Regelung der öffentlichen Beurkundung (E. 2). Überprüfung der Bestimmungen zur Unabhängigkeit des Notars (Verbot der Tätigkeit als Organ einer Immobiliengesellschaft; E. 3), zur Altersgrenze für Notare (E. 4), zur Zeugenregelung bei der öffentlichen Beurkundung (Ausschluss von "Mitarbeitenden des gleichen Büros"; E. 5) und zu den Eigentumsverhältnissen an Urkundensammlung und Register (E. 6).
133 II 287 () from 7. Juni 2007
Regeste: Art. 9 Abs. 1 StHG. Unterhaltskosten für Liegenschaften: Abzug vom Gesamteinkommen der für die Gebäudefeuerversicherung gezahlten Prämie für ein Jahr, in dem die Liegenschaft noch keinen Mietwert hatte. Besteuerung des gesamten Reineinkommens (E. 2.1). Aufwendungen für die Erzielung von Einkünften, insbesondere Unterhaltskosten für Liegenschaften: Definition und Abgrenzungen (E. 2.2). Umstände, unter denen der Abzug solcher Aufwendungen nicht durch das sie betreffende Einkommen begrenzt wird; Auswirkungen im konkreten Fall (E. 3).
133 III 545 (4A_12/2007) from 3. Juli 2007
Regeste: a Bundesgerichtsgesetz (BGG); Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen nach Art. 72 ff. BGG. Übergangsrecht (E. 1). Zulässigkeitsvoraussetzungen der Beschwerde in Zivilsachen (E. 2.1). Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts im Verfahren der Beschwerde in Zivilsachen (E. 2.2-2.4). Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (E. 5).
133 V 1 () from 28. Juni 2006
Regeste: Art. 21 Abs. 5 ATSG; Art. 13 Abs. 1 MVG (in der vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 2002 in Kraft gestandenen Fassung); Art. 43 MVG (in der bis 31. Dezember 1993 gültig gewesenen Fassung): Sistierung des IV-Rentenanspruchs bei Untersuchungshaft. Art. 21 Abs. 5 ATSG hat an der bisherigen Rechtsprechung (BGE 116 V 323), wonach Untersuchungshaft von gewisser Dauer in gleicher Weise Anlass zur Rentensistierung gibt wie jede andere Form des von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzugs, nichts geändert (E. 2-4.4).
133 V 42 () from 16. Oktober 2006
Regeste: Art. 8 BV; Art. 19 Abs. 1, Art. 26 UVG; Art. 37 UVV: Beginn des Anspruchs auf eine Hilflosenentschädigung. Art. 37 UVV, der den Beginn des Anspruchs auf eine Hilflosenentschädigung der Unfallversicherung an den Beginn eines allfälligen Rentenanspruchs knüpft, ist verfassungs- und gesetzwidrig (E. 3).
133 V 233 () from 15. März 2007
Regeste: Art. 2a AVIG in Verbindung mit Art. 1a Abs. 4 lit. b AHVG; Briefwechsel zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) vom 26. Oktober/19. Dezember 1994; Art. 6 des Übereinkommens Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit; Art. 33 Abs. 1 und 4 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen: Gesuch eines als Beamter der UNO arbeitenden Bürgers der Vereinigten Staaten um Anschluss an die Arbeitslosenversicherung. Sowohl das schweizerische wie auch das internationale Recht erlauben es, internationale schweizerische und in der Schweiz wohnende ausländische Beamte in dem Sinne unterschiedlich zu behandeln, als sich Erstere anders als Letztere auf freiwilliger Basis der Arbeitslosenversicherung anschliessen können.
133 V 431 () from 26. Juli 2007
Regeste: Art. 16e Abs. 2 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 EOG; Art. 32 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 EOV: Mutterschaftsentschädigung einer Selbständigerwerbenden. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Ausgleichskasse die Mutterschaftsentschädigung (vorläufig) auf der Grundlage des Einkommens gemäss letzter provisorischer Beitragsverfügung betreffend das Jahr der Niederkunft (hier: 2005) bemessen hat und nicht aufgrund desjenigen gemäss der letzten definitiven Beitragsverfügung betreffend das Jahr 2002. Die Verwaltung wird zu gegebener Zeit die definitive Entschädigung ausschliesslich unter Berücksichtigung des vorgeburtlichen Verdienstes festsetzen (E. 6.1-6.2.4).
133 V 450 () from 23. Juli 2007
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 9 BV; Art. 9 ATSG; Art. 42 IVG; Art. 37 Abs. 3 lit. e und Art. 38 IVV; Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG; SR 151.3): Lebenspraktische Begleitung. Die "lebenspraktische Begleitung" beinhaltet weder die (direkte oder indirekte) "Dritthilfe bei den sechs alltäglichen Lebensverrichtungen" noch die "Pflege" noch die "Überwachung". Sie stellt vielmehr ein zusätzliches und eigenständiges Institut der Hilfe dar. Die vom BSV vorgenommene Konkretisierung der Anwendungsfälle der lebenspraktischen Begleitung (Rz. 8050-8052 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH] in der seit 1. Januar 2004 gültigen Fassung) erweist sich grundsätzlich als sachlich gerechtfertigt und damit als gesetzes- und verordnungskonform (E. 9). Rz. 8053 KSIH beinhaltet keine Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV), des Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) oder des BehiG (E. 6.2). Im Rahmen der lebenspraktischen Begleitung nach Art. 38 Abs. 1 lit. a IVV ist die direkte und indirekte Dritthilfe zu berücksichtigen. Demnach kann die Begleitperson die notwendigerweise anfallenden Tätigkeiten auch selber ausführen, wenn die versicherte Person dazu gesundheitsbedingt trotz Anleitung oder Überwachung/Kontrolle nicht in der Lage ist (E. 10.2).
133 V 472 () from 23. Juli 2007
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 9 BV; Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 3 IVG; Art. 37 Abs. 3 lit. e und Art. 38 IVV; Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG; SR 151.3): Bedarf an lebenspraktischer Begleitung, Regelmässigkeit; Kostenfaktor. Rz. 8053 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH, in der seit 1. Januar 2004 gültigen Fassung) beinhaltet keine Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV), des Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) oder des BehiG (E. 5.3.1). Das Gesetz macht den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung nicht davon abhängig, ob die lebenspraktische Begleitung kostenlos erfolgt oder nicht (E. 5.3.2).
133 V 569 () from 6. August 2007
Regeste: Art. 43bis Abs. 5 AHVG; Art. 66bis Abs. 1 AHVV; Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 3 IVG; Art. 37 Abs. 2 lit. c und Abs. 3 lit. e, Art. 38 IVV; Art. 8 Abs. 1 und 2 BV. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, dass AHV-Rentnerinnen und -Rentner, die vor Erreichen des AHV-Rentenalters keiner lebenspraktischen Begleitung bedurften, vom Anspruch auf Hilflosenentschädigung aus diesem Grunde ausgeschlossen bleiben (E. 5.4). Soweit der Bundesrat in Art. 66bis Abs. 1 AHVV bei der Bemessung der Hilflosigkeit den Bedarf an lebenspraktischer Begleitung im Bereich der AHV unberücksichtigt lässt, verstösst diese Regelung weder gegen das verfassungsmässige Gleichbehandlungsgebot oder das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 1 und 2 BV) noch gegen das Gesetz (Art. 43bis Abs. 5 AHVG; E. 5.5).
133 V 607 () from 19. September 2007
Regeste: Art. 23 Abs. 1 FZG (in der bis 31. Dezember 2004 in Kraft gewesenen Fassung); Anspruch auf freie Stiftungsmittel bei unfreiwilliger Auflösung des Arbeitsvertrages. Die bei der Verteilung der freien Stiftungsmittel nach BGE 128 II 394 zu beachtenden Grundsätze gelten nicht nur bei Teil- oder Gesamtliquidationen, sondern allgemein bei Ausschüttungen (E. 4.2.3). Anwendung dieses Grundsatzes auf den Fall von während einer Übergangsfrist ausgeschütteten transition benefits (E. 4.3).
134 I 23 (9C_83/2007, 9C_84/2007) from 15. Januar 2008
Regeste: Art. 82 lit. b und Art. 87 BGG; Art. 8, 9, 26 und 49 Abs. 1 BV; Art. 1 und 88-98 FusG; Art. 61 und 62 BVG, Art. 51 Abs. 5 und Art. 65d Abs. 2 BVG; IAO-Übereinkommen Nr. 98, 150 und 154; Gesetz vom 12. Oktober 2006 über die staatlichen Vorsorgeeinrichtungen des Kantons Wallis (GVE); abstrakte Normenkontrolle; derogatorische Kraft des Bundesrechts. Gegen das GVE kann direkt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben werden (E. 3). Das GVE, welches u.a. die Umwandlung der registrierten privatrechtlichen Stiftung "Vorsorgekasse für das Personal des Staates Wallis" in ein unabhängiges Institut des öffentlichen Rechts und eine Erhöhung des Pensionsalters vorsieht, verletzt die folgenden Gesetze, Bestimmungen oder Grundsätze nicht: das Fusionsgesetz (E. 6.2); die sich auf Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen beziehende Bestimmung des Art. 65d Abs. 2 BVG (E. 6.3); das Anhörungsrecht gemäss Art. 51 Abs. 5 BVG und die IAO-Übereinkommen Nr. 98, 150 und 154 (E. 6.4); den Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 9 BV, namentlich den daraus und aus der Eigentumsgarantie gemäss Art. 26 BV abgeleiteten Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte (E. 7); das Willkürverbot (Art. 9 BV; E. 8); das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV; E. 9).
134 I 49 (1D_12/2007) from 27. Februar 2008
Regeste: Diskriminierende Nichteinbürgerung wegen Tragens des Kopftuches; Art. 8 Abs. 2 und Art. 15 BV. Bedeutung des Diskriminierungsverbotes und der Glaubens- und Gewissensfreiheit (E. 2 und 3.1). Einen negativen Einbürgerungsentscheid auf das Tragen des Kopftuches als religiöses Symbol abzustellen, ist geeignet, die Gesuchstellerin unzulässig zu benachteiligen. Hierfür fehlt eine qualifizierte Rechtfertigung: Das blosse Tragen des Kopftuches bringt für sich keine gegen rechtsstaatliche und demokratische Wertvorstellungen verstossende Haltung zum Ausdruck (E. 3.2).
134 I 56 (1D_11/2007) from 27. Februar 2008
Regeste: Diskriminierende Nichteinbürgerung wegen Tragens des Kopftuches und mangelnder Sprachkenntnisse; Art. 8 Abs. 2 und Art. 15 BV. Bedeutung des Diskriminierungsverbotes und der Glaubens- und Gewissensfreiheit (E. 4 und 5.1). In Anbetracht mangelnder Deutsch- und Staatskundekenntnisse hält die Abweisung des Einbürgerungsgesuchs ungeachtet der Tatsache, dass die Gesuchstellerin das Kopftuch trägt, vor der Verfassung stand (E. 3). Einen negativen Einbürgerungsentscheid auf den Umstand abzustellen, dass die Ehefrau des Gesuchstellers das Kopftuch als religiöses Symbol trägt, ist geeignet, den einbürgerungswilligen Ehemann unzulässig zu benachteiligen. Hierfür fehlt eine qualifizierte Rechtfertigung: Das blosse Tragen des Kopftuches bringt für sich keine gegen rechtsstaatliche und demokratische Wertvorstellungen verstossende Haltung zum Ausdruck (E. 5.2).
134 I 105 () from 6. März 2008
Regeste: Art. 8 EMRK; Art. 8 Abs. 2 und 4, Art. 14 und 190 BV; Art. 21 Abs. 2 und 4 IVG; Art. 14 IVV; Art. 2 HVI; Ziff. 14.01, 14.04 und 14.05 HVI Anhang; Kostenübernahme für behinderungsgerechte Anpassungen an einer zweiten Wohnung. Der 1991 geborene Sohn ist seit 2003 Paraplegiker. Er wohnt bei der Mutter in M. und verbringt jedes zweite Wochenende und einen Teil seiner Schulferien in S. bei Vater und Schwester. Die Invalidenversicherung hat sich auch an den Kosten der Anpassungen am Wohnhaus in S. zu beteiligen, wenn ohne behinderungsgerechten Umbau der grundrechtlich geschützte Aufenthalt beim Vater völlig verunmöglicht würde. Da es sich um die zweite vom Versicherten benutzte Wohnung handelt, besteht nur Anspruch auf Anpassung in einfachster Ausführung, welche unter Berücksichtigung der dem Vater zumutbaren Hilfestellungen den Aufenthalt im Haus gerade noch ermöglicht (E. 4-8).
134 I 257 (5A_717/2007) from 18. Juni 2008
Regeste: Weitergabe des Korporationsbürgerrechts (Art. 8 BV). Eine öffentlichrechtliche Korporation verletzt das Diskriminierungsverbot nicht, wenn nach ihren Statuten die Mitgliedschaft einer im Jahre 1970 verstorbenen Frau nicht auf ihre Nachfahren weitergegeben werden kann (E. 2 und 3).
134 I 293 (2C_73/2008) from 26. September 2008
Regeste: Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 38, 44 und 92 Abs. 1 Ziff. 1a SchKG; Art. 641a und 896 ZGB; persönliche Freiheit; Eigentumsgarantie; Änderung des thurgauischen Gesetzes vom 5. Dezember 1983 über das Halten von Hunden. Die angefochtene Bestimmung im kantonalen Hundegesetz, welche den Einzug eines Hundes bzw. dessen Fremdplatzierung als Mittel zur Durchsetzung der finanziellen Verpflichtungen des Hundehalters vorsieht, stellt keine in den Regelungsbereich des Schuldbetreibungsrechts eingreifende, unmittelbar der Vollstreckung der Geldleistungspflicht dienende Massnahme, sondern ein indirektes Druckmittel im Sinne eines administrativen Rechtsnachteils dar (E. 3 und 4.1); kein Verstoss gegen das bundesrechtliche Pfändungs- und Retentionsverbot von Heimtieren (E. 4.2). Vereinbarkeit dieser Massnahme mit der persönlichen Freiheit und der Eigentumsgarantie (E. 5).
134 II 249 (1C_48/2008) from 9. Juli 2008
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 35 Abs. 3, Art. 190 BV; Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG); Art. 117 BauG/AR; Erneuerung von öffentlich zugänglichen Bauten oder Anlagen. Auslegung des Begriffs des Zugangs gemäss Art. 2 Abs. 3 BehiG bei Bauten und Anlagen im Sinne von Art. 3 lit. a BehiG (E. 3.3). Verhältnis von Art. 3 lit. a zu Art. 7 Abs. 1 BehiG (E. 3.4 und 3.5). Umfang der Anpassungspflicht nach Art. 7 Abs. 1 lit. a BehiG, wenn nur ein Teil der öffentlich zugänglichen Bereiche des Gebäudes bzw. der entsprechenden Anlagen erneuert wird (E. 4).
134 II 272 (2C_234/2008) from 28. Juli 2008
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV, Art. 86 Abs. 1 BGG, Art. 53 LMG, Art. 33 VGG, Art. 14, 16 und 166 Abs. 2 LwG, GUB/GGA-Verordnung; Massnahmen zur Einhaltung des Pflichtenheftes für die Benutzung der Bezeichnung "Gruyère" als geschützte Ursprungsbezeichnung. Zulässiges Rechtsmittel an das Bundesgericht (E. 1). Grundsätze des Rechts der geschützten Ursprungsbezeichnung und eines entsprechenden Pflichtenheftes (E. 2). Vorfrageweise Überprüfbarkeit des Pflichtenheftes auf Verfassungs- und Gesetzmässigkeit (E. 3). Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung und Anwendung einer Ausnahmebestimmung, namentlich unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit (E. 4). Tragweite der Zertifizierungspflicht bzw. einer entsprechenden konkreten Anordnung zur Umsetzung derselben (E. 5).
134 III 608 (5A_374/2008) from 11. August 2008
Regeste: Pfändung einer österreichischen Alterspension; Art. 8 Abs. 1 und 2 BV, Art. 93 Abs. 1 SchKG, Art. 20 Abs. 1 und Art. 153a AHVG, Art. 20 und 32 ELG. Die ausgerichteten AHV-Renten und die Ergänzungsleistungen sind unpfändbar (E. 2.4 und 2.5). Die österreichische Alterspension ist dagegen beschränkt pfändbar (E. 2.6.1). Das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) und das von Art. 8 Abs. 2 BV und den Staatsverträgen mit der Europäischen Gemeinschaft gewährleistete Diskriminierungsverbot sind nicht verletzt (E. 2.6.3-2.6.5).
134 IV 82 (6B_109/2007) from 17. März 2008
Regeste: Art. 2 und Art. 42 Abs. 4 StGB; Anwendung des milderen Rechts im neuen Sanktionensystem; Sanktionierung im Rahmen der sogenannten Schnittstellenproblematik. Darstellung der Grundzüge des neuen Sanktionensystems (E. 3-5). Bei der Wahl der Sanktionsart für Strafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr bildet die Zweckmässigkeit ein wichtiges Kriterium (E. 4.1). Systematische Darstellung des intertemporalen Kollisionsrechts (E. 6 und 7). Anwendung von Art. 42 Abs. 4 StGB im Sanktionsbereich der sogenannten Schnittstellenproblematik im Strassenverkehrsstrafrecht (E. 8). Bei unechter Gesetzeskonkurrenz sind konsumierte Übertretungen mit einer zusätzlichen Busse zu bestrafen (E. 8.3).
134 V 131 () from 28. Januar 2008
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV; Art. 22 UVG (in der seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung); Art. 17 Abs. 1 ATSG; Rentenrevision. Das mit der 10. AHV-Revision stufenweise auf das vollendete 64. Altersjahr erhöhte AHV-Rentenalter der Frauen findet in Art. 22 UVG - bedingt durch ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers - keine Berücksichtigung. Ein richterliches Eingreifen ist unter diesen Umständen möglich und geboten (E. 7).
134 V 208 (9C_589/2007) from 17. April 2008
Regeste: Art. 19 Abs. 3 BVG und Art. 20 BVV 2 (in den bis Ende 2004 gültig gewesenen Fassungen); Art. 46 der st. gallischen Verordnung vom 5. September 1989 über die Versicherungskasse für das Staatspersonal (VVK/ SG); Umfang der Hinterlassenenleistung an die geschiedene Person. Art. 46 Satz 1 VVK/SG, wonach sich die Ansprüche der geschiedenen Ehegatten "in Voraussetzung und Höhe nach den Vorschriften des BVG über die Ansprüche der geschiedenen Frau" richten, beschränkt den Anspruch auf Hinterlassenenleistungen auf die Minimalleistungen gemäss BVG, d.h. 60 % der obligatorischen BVG-Rente des verstorbenen Ex-Ehegatten (E. 3). Die - in casu gestützt auf Art. 46 Satz 2 VVK/SG anwendbare - Kürzungsregelung des Art. 20 Abs. 2 BVV 2 erlaubt die Anrechnung nur solcher Leistungen, welche durch den Tod des geschiedenen, unterhaltspflichtigen Ehegatten ausgelöst bzw. beeinflusst werden. Die AHV-Altersrente ist daher nicht bzw. lediglich im Umfange einer allfälligen, durch den Todesfall bedingten Erhöhung anrechenbar (E. 4).
134 V 223 (9C_568/2007) from 14. März 2008
Regeste: a Art. 99 Abs. 1 und 2 BGG; Art. 41 Abs. 2 und Art. 49 Abs. 2 Ziff. 6 BVG; Art. 142 OR. Die im Streit um Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge erstmals vor Bundesgericht erhobene und hier nicht von Amtes wegen zu berücksichtigende Verjährungseinrede ist, als neue Tatsache (Art. 99 Abs. 1 BGG) oder als neues Begehren (Art. 99 Abs. 2 BGG) betrachtet, unzulässig, soweit die Verjährung nicht erst nach dem angefochtenen Entscheid eingetreten ist (E. 2).
134 V 359 () from 26. August 2008
Regeste: Art. 49 Abs. 2 BVG; Art. 8 Abs. 1 BV; Einkauf von Beitragsjahren und Prinzip der Solidarität; vor Inkrafttreten des FZG erlassene statutarische Bestimmungen. Im vorliegenden Fall lässt sich die Einbehaltung der Freizügigkeitsleistung der früheren Vorsorgeeinrichtung, welche zur Erlangung der vollen Altersleistungen nicht benötigt wird, nicht durch das Prinzip der Solidarität rechtfertigen (Bestätigung der mit Urteil B 18/88 vom 4. Dezember 1989 begründeten Rechtsprechung; E. 8.6).
134 V 369 (9C_874/2007) from 20. August 2008
Regeste: Art. 15 Abs. 1 lit. b Ziff. 2 FZV; Art. 20a Abs. 1 lit. a BVG; begünstigte Personen für Hinterlassenenleistungen. Eine Lebensgemeinschaft im Sinne von Art. 20a Abs. 1 lit. a BVG und Art. 15 Abs. 1 lit. b Ziff. 2 FZV können auch Personen gleichen Geschlechts bilden (E. 6.3). Eine ständige ungeteilte Wohngemeinschaft bildet kein begriffsnotwendiges (konstitutives) Element für eine Lebensgemeinschaft im berufsvorsorgerechtlichen Sinne (E. 7.1).
135 I 43 (2C_609/2007) from 27. November 2008
Regeste: Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c BGG; Art. 85 der Verfassung des Kantons St. Gallen; Finanzausgleichsgesetz des Kantons St. Gallen vom 24. April 2007; interkommunaler Finanzausgleich; Beschwerdelegitimation. Die vom interkommunalen Finanzausgleich erfassten Gemeinden können sich auf die Gemeindeautonomie berufen; es fehlt jedoch an einem geschützten Autonomiebereich (E. 1.2). Frage offengelassen, ob in der Bestimmung der Kantonsverfassung, welche den Zweck des interkommunalen Finanzausgleichs umschreibt, eine Verfassungsgarantie zugunsten der Gemeinden im Sinne von Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG zu erblicken ist; die Beschwerdelegitimation der Gemeinden ergibt sich aus der allgemeinen Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG (E. 1.3). Fehlende Legitimation der beschwerdeführenden Privatpersonen mangels unmittelbarer Betroffenheit durch das angefochtene Finanzausgleichsgesetz; die bloss indirekten Auswirkungen auf die Steuerlast vermögen keine Beschwerdebefugnis zu begründen (E. 1.4).
135 I 49 (1D_19/2007) from 16. Dezember 2008
Regeste: Nichteinbürgerung wegen Sozialhilfeabhängigkeit einer behinderten Bewerberin; Diskriminierungsverbot; Art. 8 Abs. 2 BV. Bürgerrechtserteilung nach kantonalem Recht (E. 3). Bedeutung des Diskriminierungsverbots (E. 4). Frage offengelassen, ob der Kreis der Sozialhilfeabhängigen eine nach Art. 8 Abs. 2 BV geschützte Gruppe bildet (E. 5). Das Erfordernis der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit für Einbürgerungen trifft Personen mit einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung in spezifischer Weise (E. 6.1). Gewichtung der finanziellen Interessen der Gemeinde; lang andauernder Status der vorläufigen Aufnahme; Bedeutung der Einbürgerung. Verletzung des Diskriminierungsverbotes (E. 6.3).
135 I 161 (9C_463/2008) from 30. April 2009
Regeste: Art. 2 Abs. 2 UNO-Pakt I; Art. 8 Abs. 2 und 4, Art. 190 BV; Art. 21 Abs. 2 IVG; Art. 14 IVV; Art. 2 HVI; Ziff. 9.02 HVI-Anhang; Anspruch auf Abgabe eines Rollstuhl-Zuggeräts. Bei Wochenaufenthalter/innen in einer Eingliederungsstätte (Wohn- und Arbeitszentrum) beziehen sich die gesetzlichen Eingliederungsziele der "Fortbewegung" und der "Herstellung des Kontakts mit der Umwelt" räumlich auf die ausserhalb der Einrichtung nächstgelegene Örtlichkeit, an der die üblichen sozialen Kontakte der ansässigen Bevölkerung stattfinden (E. 6).
135 I 265 (1D_8/2008) from 7. Juli 2009
Regeste: Art. 7-9, 29 und 35 BV, Art. 92 und 115 BGG; Zuständigkeit zur Beurteilung von Einbürgerungsgesuchen, die von der kommunalen Bürgerversammlung zweimal ohne hinreichende Begründung abgewiesen wurden. Anfechtung eines Vor- oder Zwischenentscheids über die Zuständigkeit zur Einbürgerung (E. 1.2). Beschwerdeberechtigung der nicht eingebürgerten Gesuchsteller (E. 1.3). Anwendbares Recht (E. 2). Regelung des Einbürgerungsverfahrens im kan tonalen Recht (E. 3.1 und 3.2). Der im Beschwerdeverfahren zulässige Antrag auf Beurteilung der Einbürgerungsgesuche durch die Beschwerdeinstanz ist keine Angelegenheit der Staatsaufsicht (E. 3.4). Bindung staatlicher Organe an die Grundrechte (E. 4.2). Tragweite der Ansprüche auf Begründung und auf Beurteilung innert angemessener Frist im Einbürgerungsverfahren (E. 4.3-4.5).
135 III 66 (5A_767/2007) from 23. Oktober 2008
Regeste: Art. 163, 176, 276 und 285 ZGB; Unterhaltsrecht, Frage der Mankotragung. Dem Unterhaltsverpflichteten ist in jedem Fall das Existenzminimum zu belassen, womit ein allfälliges Manko einseitig von den Unterhaltsberechtigten zu tragen ist (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2-10).
135 III 464 (5A_199/2009) from 6. Mai 2009
Regeste: Art. 235 SchKG; erste Gläubigerversammlung. Erfordernis und Prüfung der schriftlichen Vollmacht des Gläubigervertreters zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung (E. 3).
135 IV 12 (6B_346/2008) from 27. November 2008
Regeste: a Subjektive Tatbestandsvoraussetzungen der Falschbeurkundung (Art. 251 StGB). Wer bewusst ungelesene Urkunden unterzeichnet, kann sich nicht darauf berufen, ihren wahren Inhalt nicht gekannt zu haben. Wer weiss, dass er nichts weiss, irrt nicht (E. 2.3.1). Es darf jedoch nicht unbesehen von diesem Wissen auf die Inkaufnahme einer Falschbeurkundung geschlossen werden (E. 2.3.2). Als Indizien für die Inkaufnahme können das Ausmass der Gefährdung fremder Interessen, das situative Risiko der Erfolgsverwirklichung sowie die Motive des Täters herangezogen werden (E. 2.3.3).
135 IV 162 (1C_116/2009) from 9. Juni 2009
Regeste: Art. 82 lit. a BGG, Art. 4 Abs. 1 TEVG; Teilung eingezogener Vermögenswerte. Zulässiges Rechtsmittel an das Bundesgericht (E. 1). Abzugsfähigkeit von Gerichtskosten bei der Berechnung des Nettobetrags gemäss Art. 4 Abs. 1 TEVG (E. 2 und 3).
135 IV 191 (6B_112/2009) from 16. Juli 2009
Regeste: aArt. 63 StGB i.V.m. Art. 8 Abs.1 BV, Strafzumessung; kein Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" unter Mittätern. Zulässigkeit von Unterschieden in der Strafzumessungspraxis (E. 3.1). Sind im gleichen Verfahren zwei Mittäter zu beurteilen, so kann es auch bei gleichem Tatbeitrag zu unterschiedlichen Strafen kommen, wenn sich die subjektive Verschuldensbewertung und die persönlichen Verhältnisse unterscheiden. Das richtige Verhältnis der Strafen unter Mittätern ist als Element der Strafzumessung zu berücksichtigen (E. 3.2). Ist aus formellen Gründen nur über einen Mittäter zu urteilen, so hat der Richter sich zu fragen, welche Strafen er ausfällen würde, wenn er beide Mittäter gleichzeitig beurteilen müsste. Dabei ist der Richter nicht an das Urteil gegen den Mittäter gebunden. Er muss aber auf die Strafe des Mittäters Bezug nehmen und begründen, weshalb sich diese nicht als Vergleichsgrösse eignet. Es besteht kein Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht", wenn nach seiner Auffassung gegen den Mittäter eine zu milde Strafe ausgefällt wurde (E. 3.3). Es ist unzulässig, eine als angemessen erachtete Freiheitsstrafe mit dem formalen Argument zu reduzieren, es bestehe ein Missverhältnis zur Strafe des Mittäters (E. 3.4).
135 V 80 (9C_550/2008) from 12. Dezember 2008
Regeste: Art. 20a Abs. 1 und 2 BVG; Art. 15 Abs. 1 lit. b FZV; Art. 26 Abs. 1 FZG; Anwendbarkeit der Begünstigungsregelung nach BVG auf Freizügigkeitsleistungen. Die Begünstigungsregelungen bei Hinterlassenenleistungen der Vorsorgeeinrichtungen nach Art. 20a BVG und bei Freizügigkeitsleistungen nach Art. 15 FZV betreffen unterschiedliche Sachverhalte. Der in Art. 20a Abs. 2 BVG vorgesehene Ausschluss von Hinterlassenenleistungen bei Bezug einer Witwer- oder Witwenrente ist nicht auch auf Freizügigkeitsleistungen anzuwenden (E. 3.4).
135 V 113 (9C_1018/2008) from 16. März 2009
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 19, Art. 23 FZG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung; Art. 117 Abs. 2 OR; Auflösung des Anschlussvertrages für die berufliche Vorsorge zwischen Arbeitgeberin und Sammelstiftung. Bei einer Teilliquidation ergibt sich die Befugnis zum anteilmässigen Abzug von Fehlbeträgen unmittelbar aus dem Gesetz (E. 2.1.2), ausserhalb einer Teilliquidation aus dem Gebot der Rechtsgleichheit (E. 2.1.6). Bei Sammelstiftungen mit gemeinsamer Anlage sind die freien Mittel der einzelnen Vorsorgewerke in die Berechnung des Deckungsgrades einzubeziehen (E. 2.2.2). Ein im Geschäftsbericht ausgewiesener und von der Kontrollstelle und dem Experten für berufliche Vorsorge bestätigter Deckungsgrad ist in der Regel hinreichend ausgewiesen (E. 2.3). Rechtsgrundlagen für eine Korrekturbuchung im Rahmen eines Anschlussvertrags (E. 3.5). Offengelassen, ob es sich beim Anschluss einer Arbeitgeberin an eine Sammelstiftung um ein Kontokorrentverhältnis handelt (E. 3.6).
135 V 201 (8C_502/2007) from 26. März 2009
Regeste: Art. 8, 17 und 53 ATSG; Art. 28 IVG; Auswirkungen der Rechtsprechung zur somatoformen Schmerzstörung (BGE 130 V 352) auf laufende Renten. Eine rechtskräftige Verfügung über eine Dauerleistung ist nur ausnahmsweise zu Ungunsten der versicherten Person an eine geänderte Gerichtspraxis anzupassen. Eine Ausnahme setzt zunächst voraus, dass die neue Praxis eine allgemeine Verbreitung erfährt. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die frühere Praxis nur noch auf einige wenige Personen Anwendung findet, so dass diese als in stossender Weise privilegiert erscheinen, oder dass sich die damalige Leistungszusprechung aus Sicht der neuen Praxis schlechterdings nicht mehr vertreten lässt (E. 6, insbesondere E. 6.4). Die mit BGE 130 V 352 begründete Rechtsprechung bildet keinen Grund für die Herabsetzung oder Aufhebung einer laufenden Rente unter dem Titel der Anpassung an geänderte Rechtsgrundlagen (E. 7).
135 V 215 (9C_1009/2008) from 1. Mai 2009
Regeste: Art. 7 Abs. 2 ATSG; Begriff der Erwerbsunfähigkeit. Bestätigung von BGE 135 V 201, wonach die Rechtsprechung gemäss BGE 130 V 352 keinen ausreichenden Grund darstellt, um - unter dem Titel der Anpassung an eine veränderte Rechtsgrundlage - auf laufende Invalidenrenten zurückzukommen (E. 6). Art. 7 Abs. 2 ATSG ändert den Begriff der Erwerbsunfähigkeit nicht und bildet ebenfalls keinen hinreichenden Rückkommenstitel (E. 7).
135 V 361 (9C_572/2008) from 17. Juli 2009
Regeste: Art. 10 Abs. 1 und 3 AHVG; Art. 28 Abs. 4 AHVV; Festsetzung der Beiträge nichterwerbstätiger Personen. Die Beitragsfestsetzung gemäss Art. 28 Abs. 4 AHVV auch nach rechtskräftiger gerichtlicher Ehetrennung (Art. 117 f. ZGB) ist gesetzes- und verfassungskonform (E. 4 und 5).
135 V 418 (9C_301/2009) from 8. Oktober 2009
Regeste: Art. 4 Abs. 4 BVG; Art. 5 Abs. 1 FZG; Vorbezug und Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten Alterskapitals. Ein Vorbezug des Alterskapitals für betriebliche Investitionen ist nur zulässig, wenn der Selbständigerwerbende den Vorsorgevertrag kündigt und die vertraglichen Beziehungen mit seiner Vorsorgeeinrichtung beendet (E. 3).
136 I 1 (2C_52/2009) from 13. Januar 2010
Regeste: Art. 8 Abs. 1, Art. 27, 36 Abs. 1 Satz 2 BV; Art. 10 TSchG, Art. 28 Abs. 2 TSchV; Verbot des Erwerbs, der Zucht und des Zuzugs von Hunden mit erhöhtem Gefährdungspotenzial. Kantonale Zuständigkeit zum Erlass von sicherheitspolizeilich motivierten Zuchtvorschriften (E. 3). Kantonale Vorschriften, welche sich zur Regelung eines Erwerbs-, Zucht- und Zuzugsverbots von Hunden mit erhöhtem Gefährdungspotenzial auf Rassetypen abstützen, verletzen das Rechtsgleichheitsgebot nicht (E. 4). Einschränkungen von Zuchtverboten müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Dabei ist nicht nur der Wortlaut der Bestimmung massgebend, sondern das gesamte Auslegungsresultat (E. 5.3). Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung nach Massgabe der Gefährlichkeit der Hunde verletzen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Konkurrenten nicht, auch wenn sie sich für Züchter verschiedener Hunderassen unterschiedlich auswirken (E. 5.5).
136 I 17 (2C_195/2009) from 23. November 2009
Regeste: Art. 8 Abs. 1, Art. 26 und 27 BV; Schutz vor Passivrauchen, abstrakte Normenkontrolle. Eintretensvoraussetzungen (E. 1 und 2). Das Rauchen von Wasserpfeifen fällt unter die bernische Gesetzesregelung über den Schutz vor Passivrauchen (E. 2.4). Dass die bernische Gesetzesordnung zum Schutz vor Passivrauchen keine Sonderregelung für den Konsum von Wasserpfeifen in Gaststätten vorsieht, verstösst nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen die Wirtschaftsfreiheit, die Eigentumsgarantie und den Rechtsgleichheitsgrundsatz (E. 3-5).
136 I 65 (2C_49/2008) from 25. September 2009
Regeste: Art. 8 Abs. 1, Art. 127 Abs. 2 und Art. 190 BV, Art. 7 Abs. 1 StHG; Dividendenbesteuerung; konkrete Normenkontrolle; verfassungsrechtliches Anwendungsgebot von Bundesgesetzen. Formelles (E. 1 und 2). Tragweite des verfassungsrechtlichen Anwendungsgebotes von Bundesgesetzen im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle betreffend eine kantonale Regelung, die auf einer fünf Jahre später in Kraft getretenen harmonisierungsrechtlichen Gesetzesbestimmung des Bundes beruht. Auch wenn das Bundesgesetz das kantonale Recht inzwischen abdeckt, ist dessen Verfassungsmässigkeit rückblickend zu überprüfen (E. 3 und 4). Die selektive Bevorzugung der Dividendeneinkünfte qualifizierter Anteilseigner von Unternehmungen bei der Einkommenssteuer führt zu unhaltbaren Unterscheidungen bei der Besteuerung und ist verfassungswidrig. Eine Gleichstellung der benachteiligten Anteilseigner gestützt auf den Grundsatz der Gleichbehandlung im Unrecht ist aber ausgeschlossen, solange und soweit das nachmalige Bundesgesetz die kantonale Regelung nunmehr abdeckt, was die kantonalen Behörden künftig davor bewahrt, die verfassungswidrige Praxis anpassen zu müssen (E. 5). Rechtsfolgen (E. 6).
136 I 121 (9C_99/2009) from 19. März 2010
Regeste: Art. 8 Abs. 2 BV; Art. 33 und 34 Abs. 1 KVG; Ziff. 1.1 Anhang 1 KLV (in der bis 30. Juni 2009 gültigen Fassung); Voraussetzungen einer Kostenvergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Die in Bezug auf die chirurgische Behandlung von Adipositas vorgesehene Altersgrenze von 60 Jahren beruht auf einem Rechtfertigungsgrund medizinischer Natur. Sie ist mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit vereinbar und verstösst nicht gegen das Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters (E. 5).
136 I 149 (9C_517/2009) from 18. Januar 2010
Regeste: Art. 70 Abs. 2 BV; Art. 6 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 KV/FR; Sprachenfreiheit, Amts- und Verfahrenssprache. Art. 17 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Freiburg erlaubt es dem Rechtsuchenden, sich in der Amtssprache seiner Wahl - Französisch oder Deutsch - an das Kantonsgericht zu wenden. Dies gilt unabhängig von der Verfahrenssprache. Das Kantonsgericht darf das Eintreten auf ein Rechtsmittel nicht davon abhängig machen, dass eine in der anderen Amtssprache abgefasste Rechtsschrift in die Verfahrenssprache übersetzt wird (E. 3-8).
136 I 178 (5A_798/2009) from 4. März 2010
Regeste: Art. 9, 8 und 13 Abs. 1 BV, Art. 8 EMRK, Art. 9 Abs. 1 KRK; Zuteilung der Obhut über ein Kind im Massnahmeverfahren zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft. Die Zuteilung der Obhut über ein Kind auf die Mutter, deren Erziehungsfähigkeit mehr oder weniger gleich wie diejenige des Vaters ist, verletzt im vorliegenden Fall keine Rechte der Verfassung oder diesen entsprechende Konventionsnormen, obwohl die Mutter wahrscheinlich die Kontakte mit dem Vater nicht begünstigt; sie verfügt jedenfalls über mehr Zeit, sich um das Kind zu kümmern, das überdies seit der Trennung der Parteien praktisch immer mit ihr zusammengelebt hat und dessen Verhaltensstörungen sich durch eine Änderung der Betreuungssituation verschlimmern könnten (E. 5).
136 I 197 (4A_18/2010) from 15. März 2010
Regeste: Komplementäre Krankenversicherung; Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit von Art. 156 AVO, welcher einen Wechsel von einem geschlossenen zu einem offenen Versicherungsbestand erlaubt (Art. 31 VAG; Art. 8, 9 und 27 BV). Art. 156 AVO, der den Schutz von älteren Komplementärversicherten bezweckt, fällt nicht aus dem Rahmen der in Art. 31 VAG vorgesehenen Kompetenzdelegation (E. 4.3). Die Einschränkung der Vertragsfreiheit, die sich aus der Regelung von Art. 156 AVO ergibt, beruht auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage; sie ist durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und ist hinsichtlich des damit verfolgten Ziels verhältnismässig. Art. 156 AVO steht zudem weder mit dem Gleichbehandlungsgebot noch dem Grundsatz von Treu und Glauben im Widerspruch. Er verletzt die Bundesverfassung nicht (E. 4.4-4.6).
136 I 297 (8C_133/2010) from 31. August 2010
Regeste: Art. 4 Abs. 3 FamZG; Art. 7 Abs. 1 FamZV; Art. 8 Abs. 1 und 2 BV; Art. 3 Abs. 1 und Art. 26 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK). Art. 7 Abs. 1 FamZV, wonach keine Familienzulagen ausgerichtet werden für Kinder mit Wohnsitz in einem Staat, mit welchem die Schweiz kein entsprechendes Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, hält sich im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 FamZG (E. 4) und verletzt weder Art. 8 Abs. 1 und 2 BV (E. 6 und 7) noch Art. 3 Abs. 1 und Art. 26 KRK (E. 8).
136 I 309 (1D_5/2009) from 25. August 2010
Regeste: Nichteinbürgerung einer in Ausbildung begriffenen Person wegen Sozialhilfeabhängigkeit, Diskriminierungsverbot; Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 BV. Bürgerrechtserteilung nach kantonalem Recht (E. 2). Fehlen der wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit (E. 3). Bedeutung des Diskriminierungsverbotes; offengelassen, ob der Kreis der Sozialhilfeabhängigen eine nach Art. 8 Abs. 2 BV geschützte Gruppe darstellt (E. 4.2). Unter den konkreten Umständen liegt auch unter Beachtung von Herkunft und sozialer Stellung keine Diskriminierung vor (E. 4.3). Grenze der Nichteinbürgerung bildet das Willkürverbot nach Art. 9 BV (E. 4.4).
136 I 345 (1C_542/2009) from 10. September 2010
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 15a Abs. 4 und Art. 16a Abs. 2 SVG; Art. 35a VZV; Annullation eines Führerausweises auf Probe. Rechtsnatur und gesetzlicher Zweck des Führerausweises auf Probe. Unter die nach Art. 15a Abs. 4 SVG relevanten Fälle von erneuten Widerhandlungen fallen auch leichte Fälle gemäss Art. 16a Abs. 2 SVG. Das Rechtsgleichheitsgebot wird dadurch nicht verletzt (E. 5 und 6).
136 I 352 (1C_541/2009) from 7. Juli 2010
Regeste: Verfahren für die Wahl des Landrates, Verhältniswahlrecht, Wahlkreiseinteilung; Art. 34 BV. Ausgestaltung der Wahlverfahren durch die Kantone vor dem Hintergrund der Bundesverfassung (E. 2). Proporzverfahren nach dem Recht des Kantons Nidwalden (E. 3.1-3.3). Anforderungen an Proporzverfahren im Allgemeinen (E. 3.4). Das kantonale Wahlverfahren ist mit den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts unvereinbar (E. 3.5), lässt sich durch keine Gründe überkommener Gebietsorganisation rechtfertigen (E. 4) und hält vor der Bundesverfassung nicht stand (E. 5.1). Appellentscheid im Hinblick auf die nächste Wahl des Landrates (E. 5.2).
136 I 364 (1C_253/2010) from 8. November 2010
Regeste: Wahl eines Einwohnerrates, Verhältniswahlrecht, Sitzzuteilungsverfahren; Art. 34 BV. Ausgestaltung von Wahlverfahren und Anforderungen an Proporzverfahren im Allgemeinen (E. 2.1 und 2.2). Sitzzuteilungsverfahren nach der Methode Doppelter Pukelsheim (E. 3.2) und nach kantonalem Recht (E. 3.3). Die Durchführung der einzelnen Operationen zur Bestimmung der Mandate pro Liste hält vor den Anforderungen von Art. 34 Abs. 2 BV stand (E. 4).
136 I 395 (1C_66/2010) from 6. September 2010
Regeste: Art. 9 und 50 BV, Art. 85 KV/ZH; Gemeindeautonomie bei der Auslegung von Zonenvorschriften. Kognition des Bundesgerichts im Anwendungsbereich der Gemeindeautonomie (E. 2). Autonomie der Gemeinde bei der Auslegung des kantonalrechtlichen Begriffs des mässig störenden Betriebs (E. 3). Der Entscheid der Gemeinde, die Nutzung einer Liegenschaft für Freitodbegleitungen in einer primär der Wohnnutzung gewidmeten Zone sei mehr als nur mässig störend, ist vertretbar. Die blosse Vorstellung darüber, was im Innern eines benachbarten Gebäudes vor sich geht, ist bei der Beurteilung der Immissionen zu berücksichtigen. Die Aufhebung des kommunalen Entscheids durch das kantonale Verwaltungsgericht verletzte die Gemeindeautonomie und das Willkürverbot (E. 4).
136 II 120 (2C_135/2009) from 22. Januar 2010
Regeste: Art. 8 in Verbindung mit Art. 14 EMRK; Art. 8 und 190 BV; Art. 3 Anhang I FZA; Art. 42 AuG; Art. 17 Abs. 2 ANAG; Teilfamiliennachzug zu einem eingebürgerten Schweizer ("Inländerdiskriminierung"). Zusammenfassung der Praxis zum Familiennachzug von Schweizer Bürgern nach Art. 17 Abs. 2 ANAG und zur Problematik der Inländerdiskriminierung (E. 2 und 3). Tragweite von Art. 8 BV (Rechtsgleichheitsgebot; E. 3.3.2) sowie von Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 EMRK (akzessorisches Diskriminierungsverbot; E. 3.3.3) unter Berücksichtigung von Art. 42 Abs. 2 AuG. "Appellentscheid" im Rahmen von Art. 190 BV, den Familiennachzug von Schweizer Bürgern den neuen Verhältnissen im Bereich des FZA anzupassen (E. 3.5).
136 II 241 (2C_319/2009, 2C_321/2009) from 26. Januar 2010
Regeste: Art. 2 FZA; Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA; Art. 83 ff. und 91 ff. DBG; Art. 32 ff. und 35 ff. StHG; Nichtdiskriminierung; Quellensteuer; Abzug von den steuerbaren Einkünften. Ein Steuerpflichtiger mit schweizerischer Nationalität kann sich gegenüber seinem Heimatstaat, d.h. gegenüber der Schweiz auf Art. 2 FZA und Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA berufen, wenn er sich ihr gegenüber in einer mit anderen Rechtssubjekten vergleichbaren Situation befindet, die sich auf die durch das FZA garantierten Rechte und Freiheiten berufen können (E. 11). Der Pauschalabzug, der im Steuertarif der Quellensteuer des kantonalen und des Bundesrechts enthalten ist, verletzt das in Art. 2 FZA und Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA statuierte Verbot der Diskriminierung (E. 12-15). Das Diskriminierungsverbot von Art. 2 FZA und Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA ist direkt anwendbar und geht den entgegenstehenden Bundesvorschriften der direkten Bundessteuer und der Steuerharmonisierung vor. Für einen Quellensteuerpflichtigen gilt somit das gleiche Regime der steuerlichen Abzüge wie für solche Steuerpflichtige, die der ordentlichen Steuer unterliegen (E. 16).
136 II 393 (8C_78/2009) from 31. August 2010
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV; Art. 3 und 6 GlG; Gleichstellung von Mann und Frau; gehaltsmässige Einreihung von Funktionen des öffentlichen Dienstes. Der Umstand allein, dass andere weiblich oder neutral besetzte Berufsgattungen vom gleichen Arbeitgeber in Bezug auf ihre Entlöhnung nicht geschlechtsdiskriminierend behandelt werden, stellt keinen sachlichen Grund dar, der die - in casu vom Arbeitgeber anerkannte - Vermutung einer geschlechtsbedingten besoldungsmässigen Benachteiligung der klagenden Berufsgruppen umzustossen vermöchte (E. 11).
136 II 457 (2C_61/2010, 2C_98/2010) from 26. August 2010
Regeste: Art. 71 Abs. 1 VwVG, Art. 10, 16, 49a und 50 TG, Art. 8 Abs. 1 BV; Aufsicht des Bundes im Zusammenhang mit der Erhebung eines Kontrollzuschlages für sog. Graufahren (Fahren mit einem lediglich in der zweiten Klasse gültigen Fahrschein in der ersten Klasse) bei der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsbetriebes. Rechtsnatur der Aufsichtstätigkeit im Bereich der Personentransporte (E. 2.2 und 3). Streitgegenstand vor dem Bundesverwaltungsgericht (E. 4). Rechtsnatur des Kontrollzuschlages und Befugnisse der Aufsichtsbehörde im Zusammenhang mit der Erhebung eines solchen Zuschlages im Einzelfall (E. 6). Zwar sind gewisse Schematisierungen und Pauschalierungen bei der Erhebung eines Kontrollzuschlages zulässig; die gänzlich undifferenzierte Behandlung von Grau- und Schwarzfahrern (Fahren ohne Fahrschein), soweit keine Hinweise auf absichtliches Verhalten bzw. Missbrauch bestehen, ist aber rechtsungleich und verstösst gegen Bundesrecht (E. 7).
136 II 470 (2C_772/2009) from 31. August 2010
Regeste: a Art. 86 Abs. 2 BGG; Begriff des "oberen Gerichts" als unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts. Die Rekurskommission der EDK und der GDK genügt den gesetzlichen Anforderungen an eine unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts (E. 1.1).
136 III 168 (5A_712/2009) from 25. Januar 2010
Regeste: Art. 30 Abs. 1 und Art. 160 ZGB; Art. 23 Abs. 2 und Art. 37 IPRG; Art. 8 und 14 EMRK; Namensänderung eines Ehegatten. Gesuch einer Doppelbürgerin, welche anstelle des mit der Heirat erworbenen Familiennamens nach den Namensregeln von Sri Lanka einzig den Vornamen des Ehemannes als Nachnamen führen will (E. 3).
136 IV 29 (6B_540/2009) from 22. Oktober 2009
Regeste: Art. 81 Abs. 1 BGG; Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen. Der Geschädigte, der nicht Opfer im Sinne des OHG ist, ist zur Beschwerde in Strafsachen im strafrechtlichen Schuldpunkt nicht legitimiert (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 1.1-1.7). Er ist aber in gewissen anderen Bereichen zur Beschwerde berechtigt (E. 1.9).
136 V 24 (9C_1039/2008) from 10. Dezember 2009
Regeste: a Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Australien über Soziale Sicherheit; zeitlicher Geltungsbereich. Die am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Bestimmungen des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Australien über soziale Sicherheit sind nicht anwendbar auf einen vor diesem Datum gestellten Antrag auf Rückvergütung der von Ausländern an die Alters- und Hinterlassenenversicherung bezahlten Beiträge (E. 4).
136 V 195 (8C_517/2009) from 25. Mai 2010
Regeste: Art. 95 Abs. 1bis AVIG; Art. 43 Abs. 1 IVG; Art. 24b AHVG; Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei rückwirkender Ausrichtung einer ganzen IV-Invalidenrente zufolge gleichzeitigen Anspruchs auf eine Invalidenrente der IV und auf eine Witwen- oder Witwerrente der AHV. Erbringt die Invalidenversicherung zufolge des gleichzeitigen Anspruchs auf eine Witwen- oder Witwerrente der AHV bei einem Invaliditätsgrad von 63 % anstelle einer Dreiviertelsrente rückwirkend eine ganze Invalidenrente, bildet unverändert der Invaliditätsgrad Referenzgrösse für die Anpassung des versicherten Verdienstes und die Berechnung eines allfälligen Rückforderungsanspruchs der Arbeitslosenkasse (E. 7).
136 V 322 (9C_434/2009) from 6. Oktober 2010
Regeste: Art. 53b Abs. 1 BVG; Teilliquidation einer Gemeinschaftsstiftung. Bei der reglementarischen Umschreibung der Teilliquidationsvoraussetzungen können Gemeinschaftseinrichtungen - im Hinblick auf ihre jeweilige Eigenart - zusätzliche Umstände vorsehen, die zu einer Umkehr der gesetzlichen Vermutung nach Art. 53b Abs. 1 BVG führen (so beispielsweise eine Reduktion des Versichertenbestandes oder eine Verminderung des Gesamtdeckungskapitals; E. 8-10).
136 V 395 (9C_334/2010) from 23. November 2010
Regeste: Art. 32 und 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 34 und 64 ff. KVV; Art. 9 Abs. 4 und Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG; Orphan Drug (Myozyme bei Morbus Pompe); Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste; Wirtschaftlichkeitsprüfung. Dass arzneimittelrechtlich die Orphan-Drug-Zulassung für ein Medikament (hier: Myozyme) erfolgt ist, bedeutet nicht automatisch, dass dessen Einsatz einen hohen therapeutischen Nutzen darstellt, weil die Zulassung nach Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG einen solchen nicht voraussetzt (E. 5.3). Die Frage, ob ein hoher therapeutischer Nutzen - als Voraussetzung für die Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste (E. 5.1 und 5.2) - vorliegt, ist sowohl in allgemeiner Weise als auch bezogen auf den konkreten Einzelfall zu beurteilen (E. 6.4 und 6.5); in casu mangels Nachweises mittels klinischer Studien und im konkreten Einzelfall verneint (E. 6.6-6.10). Selbst wenn ein hoher therapeutischer Nutzen erwiesen wäre, müsste eine Leistungspflicht aus Wirtschaftlichkeitsgründen, d.h. mangels eines angemessenen Kosten-/Nutzen-Verhältnisses verneint werden (E. 7). Für die Beurteilung dieses Verhältnisses anwendbare Kriterien (E. 7.6), Notwendigkeit der Verallgemeinerungsfähigkeit derselben (E. 7.7), Anwendbarkeit auch auf Orphan-Disease-Fälle (E. 7.8).
137 I 58 (8C_70/2010) from 20. Dezember 2010
Regeste: Art. 70 des Reglements vom 11. Oktober 1977 für das Personal der kommunalen Verwaltung der Stadt Lausanne. Befugnis des kantonalen Gerichts, die Verfügung eines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers insofern abzuändern, als eine Kündigung mit sofortiger Wirkung in eine Kündigung aus wichtigen Gründen mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten umgewandelt wird (E. 4.3).
137 I 145 (2C_571/2010) from 21. Dezember 2010
Regeste: Art. 127 Abs. 2 und 3 BV; Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Schlechterstellungsverbot; Erfassung des von einer ausserkantonalen Liegenschaftenhändlerin (juristische Person) durch Veräusserung eines Grundstücks erzielten Gewinns mit der Grundstückgewinnsteuer durch den Liegenschaftskanton. Darstellung der bisherigen Praxis: Die Erfassung von Gewinnen von Liegenschaftenhändlern mit der Grundstückgewinnsteuer verstösst nicht gegen Doppelbesteuerungsverbot, wenn im Kanton lediglich eine Steuerpflicht aus Grundeigentum besteht (E. 4.1). Stärkere Gewichtung des Schlechterstellungsverbots bzw. des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Besteuerung von Liegenschaften im interkantonalen Verhältnis in der neueren Rechtsprechung (E. 4.2). Die unterschiedliche Grundstückgewinnbesteuerung des Liegenschaftenhandels von ausserkantonalen juristischen Personen im Vergleich zu den im Kanton ansässigen juristischen Personen, welche im Kanton Luzern zu einer erheblichen Mehrbelastung führt, ist unzulässig (E. 4.3).
137 I 167 (2C_230/2010) from 12. April 2011
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 13 Abs. 1 und 2, Art. 27 und 49 Abs. 1 BV; Art. 8 EMRK; DSG; Gesetz des Kantons Genf vom 17. Dezember 2009 über die Prostitution; Rechtsgleichheit und Nichtdiskriminierung, Privatsphäre (Datenschutz) und Wohnsitz, Wirtschaftsfreiheit, Vorrang des Bundesrechts. Darstellung und Konkurrenz der angerufenen verfassungsmässigen Rechte (E. 3). Das gesetzliche Erfordernis, wonach der Betreiber eines Prostitutionsunternehmens oder einer Begleitagentur das vorgängige Einverständnis des Hauseigentümers erlangen muss, um dort seinen Betrieb führen zu können, verstösst gegen die Wirtschaftsfreiheit (E. 4). Verfassungskonforme Auslegung der dem Betreiber auferlegten Verpflichtung, jeglichen Verstoss gegen die öffentliche Ordnung zu verhindern bzw. zu vermeiden (E. 6), der von den Behörden in den Betrieben durchgeführten Kontrollen (E. 7) und, unter dem Blickwinkel der gesetzlichen Grundlage sowie der Verhältnismässigkeit, des Umgangs mit den prostitutionsbezogenen Personendaten (E. 9). Verfassungsmässigkeit der dem Betreiber gemachten Verpflichtung, ein internes und laufend auf den neuesten Stand gebrachtes Verzeichnis der in seinem Unternehmen tätigen (männlichen oder weiblichen) Prostituierten und der anerbotenen Dienstleistungen zu führen (E. 5). Die der Prostitution eigenen Besonderheiten rechtfertigen Erfassungsmassnahmen und Meldepflichten, die nicht gegen die Verfassung verstossen (E. 8).
137 I 209 (1B_134/2011) from 14. Juli 2011
Regeste: Art. 17 und 36 BV, Art. 6 Ziff. 1 und Art. 10 EMRK, § 135 GVG/ZH, Art. 70 StPO; Medienfreiheit, Gerichtsberichterstattung über eine nicht öffentliche strafgerichtliche Hauptverhandlung. Der Berichterstatter, der sich der gerichtlichen Auflage für den Zugang zur Hauptverhandlung (hier: die Wahrung der Anonymität der Verfahrensbeteiligten) nicht unterzieht, darf davon ausgeschlossen werden (E. 4 und 5).
137 I 235 (1D_1/2011) from 13. April 2011
Regeste: Art. 29a, 50 BV, Art. 14 lit. b, Art. 50 BüG; Einbürgerung, Gemeindeautonomie, kantonales Gerichtsverfahren, Sprachkenntnisse und Integration. Das kantonale Gericht, das ablehnende Entscheide über Einbürgerungen beurteilt, hat gestützt auf die Rechtsweggarantie eine freie Überprüfung des Sachverhalts und der Rechtsanwendung vorzunehmen. Es wahrt dabei den Gestaltungsbereich der unteren Instanzen und der Gemeinden (E. 2.5). Sprachniveau, das im Regelfall von Einbürgerungswilligen verlangt werden darf (E. 3.4). Verfahrensrechtliche Mindestanforderungen an die Ermittlung der Sprachkenntnisse (E. 3.5).
137 I 305 (1C_549/2010) from 21. November 2011
Regeste: a Beschwerde gegen die Nichtfortführung der (zeitlich befristeten) Kommission für die Gleichstellung von Frau und Mann im Kanton Zug.
137 II 1 (2C_411/2010) from 9. November 2010
Regeste: Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG; Art. 31 Abs. 1 VZAE; Art. 8 Abs. 1 BV; Art. 4 Anhang I FZA; Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70; Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 75/34/EWG; Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung nach dem Tode des Ehepartners; wichtige persönliche Gründe; Verbleiberecht. Der Tod des Ehepartners ist kein Grund, der zwingend zur Verlängerung der Bewilligung nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG führt. Vielmehr ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob ein Härtefall vorliegt, wobei die persönliche Situation des Betroffenen entscheidend ist und nicht das öffentliche Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik. Im konkreten Fall hätte der ausländische Beschwerdeführer auch nach dem Freizügigkeitsabkommen (Art. 4 Anhang I FZA) kein eigenständiges Verbleiberecht erlangt, weil er seit mehreren Monaten von seinem verstorbenen Ehepartner getrennt gelebt hatte (E. 3 und 4).
137 III 16 (4A_249/2010) from 16. November 2010
Regeste: Beginn der Verjährung des Anspruchs auf Schadenersatz bei Verletzung vertraglicher Pflichten (Art. 130 Abs. 1 OR). Die Forderungen auf Schadenersatz und Genugtuung aus vertragswidriger Körperverletzung werden sogleich mit der Verletzung der vertraglichen Pflicht fällig. Ab diesem Zeitpunkt beginnt die Verjährung zu laufen, nicht erst mit Eintritt des Schadens, auch wenn dieser (wie bei Asbestschäden) erst nach Ablauf von mehr als 10 Jahren eintreten und festgestellt werden kann. Das Institut der Verjährung gilt für alle Schuldner und Gläubiger. Es beruht auf einer Abwägung der Interessen beider Parteien und führt nicht zu einer Diskriminierung der Asbestopfer oder behinderter Personen (E. 2).
137 III 59 (5A_272/2010) from 30. November 2010
Regeste: Bemessung des Unterhaltsbeitrages (Art. 285 ZGB); Schutz des Existenzminimums des Unterhaltsschuldners; Gleichbehandlung unterhaltsberechtigter Kinder. Bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrages nach Art. 285 ZGB kann der wiederverheiratete Unterhaltsschuldner die Sicherung des Existenzminimums nur für seine eigene Person beanspruchen, nicht aber für seine gesamte zweite Familie. Ermittlung dieses Existenzminimums unter Wahrung der Gleichbehandlung aller unterhaltsberechtigten Kinder. Verteilung einer allfälligen Unterdeckung auf alle betroffenen Kinder des Unterhaltsschuldners (E. 4.2 und 4.3).
137 IV 269 (1B_77/2011) from 15. Juli 2011
Regeste: a Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. e und Art. 89 Abs. 1 BGG; Verfahren betreffend die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Behördenmitgliedern und Beamten, Rechtsnatur, bundesgerichtliches Rechtsmittel, Ausschlussgrund, Beschwerdelegitimation des Kantons. Das Ermächtigungs- stellt ein Verwaltungsverfahren dar. Daher ist insoweit grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben (E. 1.3.1). Der Ausschlussgrund nach Art. 83 lit. e BGG kommt bei kantonalen Staatsbediensteten, welche nicht Mitglieder der obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden sind, nicht zur Anwendung (E. 1.3.2). Allgemeine Beschwerdebefugnis des Kantons nach Art. 89 Abs. 1 BGG bejaht, da sich der angefochtene Entscheid nachteilig auf das Funktionieren staatlicher Organe auswirken konnte und der Kanton damit in einem wichtigen öffentlichen Interesse erheblich betroffen war (E. 1.4).
137 V 71 (9C_280/2010) from 12. April 2011
Regeste: Art. 16 ATSG; Überprüfung des Ausmasses einer Herabsetzung des Invalideneinkommens. Kognition des Bundesgerichts (E. 5.1) und der kantonalen Versicherungsgerichte (E. 5.2) hinsichtlich der Überprüfung von Abzügen auf Invalideneinkommen, die auf statistisch ermittelten Lohnansätzen beruhen, im Bereich der Invalidenversicherung (BGE 126 V 75).
137 V 121 (8C_713/2010) from 23. März 2011
Regeste: Art. 13 Abs. 1 FamZG; Art. 10 FamZV. Rz. 519.1 der Wegleitung zum Bundesgesetz über die Familienzulagen FamZG (FamZWL) geht über die Gesetzes- und Verordnungsbestimmung hinaus; dem darin festgehaltenen Anspruch auf Familienzulagen während eines nicht spezifisch begründeten unbezahlten Urlaubs fehlt es somit an einer gesetzlichen Grundlage (E. 5).
137 V 133 (8C_564/2010) from 11. April 2011
Regeste: Art. 14 Abs. 2 AVIG; Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit, ähnliche Gründe. An der Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 219, wonach die Auflösung eines Konkubinates keinen ähnlichen Grund im Sinne des Art. 14 Abs. 2 AVIG darstellt, wird festgehalten (E. 4-7).
137 V 210 (9C_243/2010) from 28. Juni 2011
Regeste: a Art. 29 Abs. 1 und 2, Art. 30 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG; Art. 59 Abs. 3 IVG; Art. 72bis IVV (in Kraft bis 31. März 2011); Einholung von Administrativ- und Gerichtsgutachten bei Medizinischen Abklärungsstellen (MEDAS); Wahrung eines fairen Verwaltungs- und Beschwerdeverfahrens.
137 V 321 (9C_12/2011) from 8. August 2011
Regeste: Art. 5 Abs. 2 und 4 AHVG; Art. 6 Abs. 2 lit. h und Art. 8 lit. a AHVV; freiwillige Vorsorgekapitalleistungen eines patronalen Wohlfahrtsfonds als massgebender Lohn. Nach einer objektbezogenen Betrachtungsweise kann die Beitragspflicht auch gegeben sein, wenn ein anderes Rechtssubjekt als der Arbeitgeber eine Zuwendung tätigt, sofern diese in einem wirtschaftlichen Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis steht (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2). Zuwendungen patronaler Wohlfahrtsfonds sind als Ermessensleistungen grundsätzlich beitragspflichtig (E. 3.1). Stellungnahmen in der Doktrin (E. 3.2). Konzeption der Beitragsordnung gemäss Art. 6 ff. AHVV im vorsorgerechtlichen Kontext (E. 3.3). Folgerungen im Einzelfall (E. 4).
137 V 334 (9C_790/2010) from 8. Juli 2011
Regeste: Art. 28a Abs. 3 IVG; Art. 8 Abs. 1 und 2 sowie Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 8 EMRK; gemischte Methode der Invaliditätsbemessung. Bestätigung der Rechtsprechung betreffend die gemischte Methode der Invaliditätsbemessung (E. 5). Die gemischte Methode verletzt weder den Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK noch die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots gemäss Art. 8 BV (E. 6).
137 V 410 (9C_111/2011) from 12. Oktober 2011
Regeste: Art. 10 EOG; Art. 1 Abs. 2 lit. c EOV; Qualifikation von Personen, die unmittelbar vor dem Einrücken ihre Ausbildung abgeschlossen haben oder diese während des Dienstes beendet hätten. Art. 1 Abs. 2 lit. c EOV statuiert lediglich die widerlegbare gesetzliche Vermutung, dass solche Personen eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätten. Trifft dies nicht zu, besteht nur Anspruch auf die Grundentschädigung für erwerbslose Personen (E. 4.2).
138 I 162 (2C_971/2011) from 13. April 2012
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 19, 62 Abs. 1-3 und Art. 197 Ziff. 2 BV; Art. 20 Abs. 1-3 BehiG; Sonderschulung von behinderten Kindern. Im Bereich der Sonderschulung kommt den Kantonen ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu. Die bundesrechtlichen Minimalanforderungen verlangen nur ein angemessenes, erfahrungsgemäss ausreichendes Bildungsangebot an öffentlichen Schulen, nicht aber die optimale bzw. geeignetste Schulung eines Kindes (E. 3). Es besteht ein grundsätzlicher Vorrang der integrierten gegenüber der separierten Sonderschulung. Im vorliegenden Fall durfte die Vorinstanz willkürfrei zum Schluss gelangen, dass die integrierte Sonderschulung in der Regelschule mittels der Behinderung angepassten Massnahmen (Logopädie usw.) mindestens gleichwertig ist, wie eine separierte Sonderschulung in einer externen Institution (E. 4).
138 I 205 (9C_540/2011) from 15. März 2012
Regeste: Art. 16 ATSG; Art. 27 UNO-Pakt II; Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten; Art. 8 Ziff. 1 EMRK; Art. 8 Abs. 2 BV; Invaliditätsbemessung bei einer zur Gemeinschaft der Fahrenden gehörenden Person. Im Falle einer zur Gemeinschaft der Fahrenden gehörenden Person wirkt die Bemessung des Invalideneinkommens anhand allgemeiner statistischer Daten indirekt diskriminierend, soweit dieses Vorgehen dazu beiträgt, die versicherte Person der Bevölkerungsmehrheit anzugleichen (E. 6.2).
138 I 217 (1C_131/2012) from 13. Juni 2012
Regeste: Art. 8 und 27 BV, Art. 133 Abs. 2 StPO; Beschränkung der Zahl der in eine offizielle Liste aufgenommenen amtlichen Verteidiger und diesbezügliche Wahlpraxis des Regierungsrats des Kantons Luzern. Eine auf der Parteizugehörigkeit basierende Wahl amtlicher Verteidiger verletzt das Diskriminierungsverbot (E. 3.3). Die Beschränkung der Zahl der in die Liste aufgenommenen amtlichen Verteidiger an sich verletzt weder das Rechtsgleichheitsgebot noch das Diskriminierungsverbot. Die amtliche Verteidigung fällt zudem nicht in den Schutzbereich der Wirtschaftsfreiheit (E. 3.4).
138 I 225 (9C_881/2011) from 27. Juni 2012
Regeste: Art. 14 ELG; § 8 Abs. 3 ELG/SZ; Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten im Rahmen von Ergänzungsleistungen. Die Limitierung der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten in Verweisung auf Art. 14 ELG verletzt weder das Gleichbehandlungsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV und Art. 14 EMRK noch das Recht auf Familienleben gemäss Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK (E. 3.5-3.9).
138 I 265 (8C_44/2012) from 31. August 2012
Regeste: Art. 8 Abs. 1-3 BV; Art. 25a Abs. 5 KVG; Art. 25d Abs. 1 der Verordnung des Kantons Bern über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung, SHV); abstrakte Normenkontrolle. Die Regelung von Art. 25d Abs. 1 SHV, wonach Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger, die das 65. Altersjahr vollendet haben, sich im Rahmen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit an den Pflegekosten beteiligen, ist weder alters- noch geschlechterdiskriminierend (E. 4-6).
138 I 305 (1D_6/2011) from 12. Juni 2012
Regeste: Zulässigkeit der Rügen der Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) und des Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 Abs. 1 BV) in Einbürgerungsangelegenheiten. Art. 14 des Bürgerrechtsgesetzes (BüG) dient individuellen Interessen und regelt materielle Einbürgerungsvoraussetzungen konkret, indem (Mindest-)Kriterien der Eignung festgelegt werden. Art. 14 BüG verschafft einer einbürgerungswilligen Person im Ergebnis eine hinreichend klar umschriebene Rechtsposition, die es ihr ermöglicht, sich im Verfahren der subsidiären Verfassungsbeschwerde auf das Willkürverbot (Art. 9 BV) und den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV) zu berufen (E. 1.4.5 und 1.4.6). Materiell verstösst der angefochtene Entscheid nicht gegen das Willkürverbot (E. 4).
138 I 321 (8C_63/2012) from 30. August 2012
Regeste: Art. 8 und 9 BV; abstrakte Normenkontrolle; Ziff. I.I. Abs. 1 des Beschlusses des Kantonsrats des Kantons Zürich vom 28. Februar 2011 über die Festsetzung der Besoldungen der Mitglieder des Sozialversicherungsgerichts. Die der angefochtenen Regelung zugrunde liegende unterschiedliche Entlöhnung der Mitglieder des Sozialversicherungsgerichts gegenüber jener der Richterinnen und Richter des Ober- und des Verwaltungsgerichts verstösst mit Blick auf die Unterschiede in der Rechtsmittelfunktion der obersten kantonalen Gerichte weder gegen das Gebot der Rechtsgleichheit noch gegen das Willkürverbot (E. 2-6).
138 I 475 (4A_367/2012) from 10. Oktober 2012
Regeste: Beschwerde- und Klagelegitimation einer Behindertenorganisation (Art. 9 Abs. 1, 2 und 3 lit. a BehiG); Diskriminierung im Sinne von Art. 6 BehiG. Integration Handicap ist berechtigt zur Klage auf Feststellung einer Diskriminierung in einem Zivilverfahren und gegebenenfalls zur Erhebung einer Beschwerde in Zivilsachen (E. 1). Begriff der Diskriminierung gegenüber Behinderten bei Dienstleistungen Privater (E. 3). Bezug zur EMRK (E. 4).
138 II 191 (2C_727/2011) from 19. April 2012
Regeste: Art. 27 BV, Art. 25a Abs. 5 und Art. 39 KVG, Art. 58e KVV, Art. 10 Abs. 2 ELG, Art. 25a ELV; Gesetz des Kantons Neuenburg vom 28. September 2010 über die Finanzierung der Pflegeheime; kantonale Gesundheitsplanung; Ergänzungsleistungen für Aufenthalt im Pflegeheim; Subventionen. Kategorien von Pflegeheimen im Kanton Neuenburg (E. 4.1). Die Zulassung eines Pflegeheims, Leistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung zu erbringen (Art. 39 KVG), verpflichtet den Kanton nicht, unter Vorbehalt der kantonalen Deckung der nach Art. 25a Abs. 5 KVG vorgesehenen Pflegeleistungen, es zu finanzieren (E. 4.2). Begriff des Leistungsauftrags (E. 4.3). Voraussetzungen für Subventionen an als gemeinnützig anerkannte Pflegeheime (E. 4.4). Deckung durch die Kantone des das soziale Existenzminimum nach ELG einer zu Hause lebenden Person übersteigenden Restbetrags der Kosten für einen Pflegeheimaufenthalt; Möglichkeit, die für den Aufenthalt anerkannten Ausgaben nach oben zu begrenzen (E. 5.3 und 5.4). Kantonaler Beurteilungsspielraum und einzuhaltende Bedingungen (E. 5.5). Unter der Voraussetzung, dass es flexibel angewandt wird und genügend Aufnahmekapazitäten vorgesehen werden, verstösst das kantonale System, das darin besteht, die Mehrheit der auf Ergänzungsleistungen angewiesenen Heimbewohner zu veranlassen, in ein gemeinnütziges, einer strikten staatlichen Kontrolle unterliegendes Pflegeheim zu ziehen, an sich nicht gegen Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG (E. 5.6-5.10).
138 II 217 (1C_555/2011) from 18. Juni 2012
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 58a BüG; Verwirklichung der Geschlechtergleichheit bei der Anwendung einer Übergangsbestimmung zur erleichterten Einbürgerung. Eintretensvoraussetzungen (E. 1). Prozessuale Behandlung eines verspätet nachgereichten Rechtsgutachtens (E. 2). Seit Einführung der Geschlechtergleichheit im Jahre 1981 bzw. deren daran anschliessenden Umsetzung im Bürgerrechtsgesetz wird das Bürgerrecht von beiden Geschlechtern gleichermassen weitergegeben. Auch bei der Anwendung der Übergangsregelung, die den früheren Verlust des Bürgerrechts auf Seiten der Frauen kompensiert, ist die Gleichbehandlung der Geschlechter zu verwirklichen. Dem 1982 geborenen Urenkel einer Schweizerin, die 1920 wegen Heirat das Schweizer Bürgerrecht verloren und dieses gleich wie in der Folge ihre Tochter und deren Sohn (Grossmutter und Vater des Gesuchstellers) Jahre später nach jeweils entsprechenden Gesetzesanpassungen wieder angenommen hatte, steht daher die erleichterte Einbürgerung offen (E. 3 und 4).
138 III 636 (5A_365/2012) from 17. August 2012
Regeste: Art. 278 SchKG, Art. 254 ZPO; Verfahren der Einsprache gegen den Arrestbefehl; Beweis. Zulässiges Beweismittel (E. 4).
138 V 32 (9C_347/2011) from 26. Januar 2012
Regeste: Art. 356 ff. OR; Art. 1 Abs. 2 AVEG; Bundesratsbeschluss über die Allgemeinverbindlicherklärung des Gesamtarbeitsvertrages für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (GAV FAR); Beitragspflicht des Arbeitgebers. Die allgemeinverbindlich erklärte Pflicht des Arbeitgebers zur Entrichtung von Vorsorgebeiträgen an die Stiftung FAR beruht auf genügenden gesetzlichen Grundlagen (E. 3).
138 V 366 (9C_88/2012) from 31. Juli 2012
Regeste: Art. 65 ff. BVG; Art. 1f und 44 Abs. 1 BVV 2; Art. 8 Abs. 1 BV; Sanierungsmassnahmen einer Vorsorgeeinrichtung bei Unterdeckung; Änderung einer reglementarischen Übergangsbestimmung, in welcher für Mitglieder, die aus einer anderen Pensionskasse übernommen wurden, die Höhe der Zusatzrente bei Frühpensionierung garantiert war. Die Senkung der Zusatzrente um einen Drittel (E. 2.1) greift in eine qualifizierte reglementarische Zusicherung im Bereich der weitergehenden Vorsorge ein (E. 2.3). Nach vertragsrechtlichen Massstäben (clausula rebus sic stantibus) ist eine unvorhersehbare Äquivalenzstörung nicht gegeben (E. 5). Aus öffentlich-rechtlicher Sicht (E. 6 Ingress) ist ein wohlerworbenes Recht nicht absolut geschützt (E. 6.1). Die ausserordentliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts der Vorsorgeeinrichtung auf sehr lange Sicht, was zu einem bedeutenden Teil auf ein strukturelles Defizit zurückzuführen ist (E. 6.2.1), rechtfertigt die einseitige Reglementsänderung, da der so herbeigeführte Sanierungsbeitrag sowohl den Prinzipien der Verhältnismässigkeit und Subsidiarität entspricht (E. 6.2.2 und 6.2.4) als auch dem Gebot der Gleichbehandlung der Destinatäre gehorcht (E. 6.3).
138 V 392 (8C_903/2011) from 14. August 2012
Regeste: Art. 4 Abs. 3 FamZG; Art. 7 Abs. 1 lit. b FamZV, gültig bis 31. Dezember 2011; Art. 4 und 22 des Gesetzes des Kantons Freiburg vom 26. September 1990 über die Familienzulagen (FZG/FR); Art. 8 und 15 des Abkommens über die Freizügigkeit (FZA); Art. 1 Abs. 1 Anhang II FZA; Art. 73, Art. 1 Bst. a und u Ziff. i, Art. 4 Abs. 1 Bst. h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Ein in der Schweiz wohnhafter portugiesischer Staatsangehöriger, welcher nach einem Berufsunfall eine 20%ige Invalidenrente bezieht, gilt als Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71, auch wenn er seine Erwerbstätigkeit nicht wieder aufgenommen hat. Er kann in der Schweiz für seine studierende Tochter, die mit ihrer ebenfalls nicht erwerbstätigen Mutter in Portugal lebt, Familienzulagen beanspruchen. Die in Art. 7 Abs. 1 lit. b FamZV vorgesehene Bedingung, dass nur Familienzulagen, auf welche aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit Anspruch besteht, exportierbar sind, kann ihm nicht entgegengehalten werden (E. 4).
138 V 475 (9C_562/2012) from 18. Oktober 2012
Regeste: Art. 28 Abs. 1 lit. b und Art. 29 Abs. 1 und 3 IVG; aArt. 29 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 Satz 1 sowie aArt. 48 Abs. 2 Satz 1 IVG (in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2007); Art. 8 Abs. 1 BV; Entstehung des Rentenanspruchs und Beginn der Rente (Übergangsrecht 5. IV-Revision). Das Rundschreiben des BSV Nr. 253 vom 12. Dezember 2007, wonach bei am 1. Januar 2008 noch laufender Wartezeit eine Anmeldung bis Ende 2008 genügt, um sofort danach in den Genuss von Rentenleistungen zu kommen, ist gesetzwidrig. Die Anmeldefrist kann - bei einer einheitlichen Regelung - anspruchswahrend maximal bis Ende Juni 2008 erstreckt werden (E. 3).
138 V 481 (9C_214/2012) from 22. Oktober 2012
Regeste: Art. 10 Abs. 2 lit. a und Art. 21 Abs. 1 ELG; Begrenzung der anrechenbaren Ausgaben bei Aufenthalt in einem (ausserkantonalen) Pflegeheim. Der vom Wohnsitzkanton (hier: Tessin) vorgesehene Höchstbetrag für Tagestaxen ist auf die Festsetzung der anerkannten Ausgaben einer Versicherten anwendbar, die sich in einem spezialisierten Pflegeheim in einem andern Kanton (hier: Zürich) aufhält, welcher einen höheren anrechenbaren Betrag kennt (E. 5.6). Mit Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG vereinbar ist, wenn ein Kanton die zu berücksichtigenden Aufenthaltskosten in einer Weise begrenzt, dass im Regelfall nur die Sozialhilfeabhängigkeit von Pensionären verhindert wird, die in einer von ihm selber anerkannten Einrichtung betreut werden (E. 5.7).
139 I 114 (1C_64/2013) from 26. April 2013
Regeste: Gebührenpflicht für den Zugang zu amtlichen Dokumenten durch Medienschaffende (Art. 16 Abs. 3 und Art. 17 BV; Art. 10 Abs. 4 lit. a und Art. 17 BGÖ, Art. 14-16 VBGÖ, Art. 3 Abs. 2 lit. a AllgGebV). Art. 10 Abs. 4 lit. a BGÖ verpflichtet den Verordnungsgeber, Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse der Medien zu nehmen. Diesem Auftrag ist bei der Gebührenfestsetzung (Art. 14 VBGÖ i.V.m. Art. 3 Abs. 2 lit. a AllgGebV) Rechnung zu tragen. Das öffentliche Interesse am Zugang der Medien zu amtlichen Dokumenten kann zu einem (ganzen oder teilweisen) Verzicht auf die Gebührenerhebung führen (E. 2-4).
139 I 121 (8C_602/2012) from 12. April 2013
Regeste: Art. 30 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Ausstandsbegehren gegen sämtliche Mitglieder eines Gerichts. Der Umstand, dass ein Parteivertreter in Drittverfahren am Gericht ein Ersatzrichteramt bekleidet, stellt die Unbefangenheit der Gerichtsmitglieder nicht generell in Frage. Fehlt ein Verbot für das Auftreten von Ersatzrichtern als Parteivertreter, müssen über die äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur hinaus Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit der einzelnen Gerichtsmitglieder zu begründen vermögen (E. 5.2-5.4). Bestätigung der Rechtsprechung in BGE 133 I 1, gemäss welcher die blosse Kollegialität unter Gerichtsmitgliedern keine Ausstandspflicht gebietet.
139 I 138 (2C_1132/2012) from 13. Mai 2013
Regeste: a Art. 5 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 1 BV; § 41 UniG; Erhöhung der Kollegiengeldpauschale für Studierende der Humanmedizin an der Universität Zürich, Legalitätsprinzip im Abgaberecht, Äquivalenzprinzip, Gebot der Rechtsgleichheit. Eine einheitliche Kollegiengeldpauschale von Fr. 720.- pro Semester für alle Medizinstudierenden (inklusive Wahlstudienjahr) hält sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen, solange die Gebühr für diejenigen, die wenig Leistungen beziehen, nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der von ihnen bezogenen Leistung steht (E. 3).
139 I 161 (8C_827/2012) from 22. April 2013
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 3 BV; juristischer Studienabschluss als sachgerechtes objektives Kriterium für die Lohneinstufung einer Richterin oder eines Richters. Die lohnmässige Ungleichbehandlung von Kreisrichterinnen und Kreisrichtern im Kanton St. Gallen, welche die Anforderungen einer juristischen Ausbildung nach Art. 26 GerG erfüllen, und denjenigen, welche mangels entsprechender juristischer Ausbildung lediglich noch aufgrund einer Übergangsbestimmung als fest angestelltes Mitglied des Kreisgerichts mit auf das Familienrecht beschränktem Tätigkeitsbereich amten können, verletzt weder das Rechtsgleichheitsgebot noch das Diskriminierungsverbot (E. 5.3 und 5.4).
139 I 169 (1D_2/2012) from 13. Mai 2013
Regeste: Art. 8 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 1 BV, Art. 14, 33 und 34 BüG; Gemeindeautonomie bei der ordentlichen Einbürgerung einer geistig Behinderten. Tragweite der Gemeindeautonomie bei der ordentlichen Einbürgerung (E. 6). Diskriminierung bei der Einbürgerung aufgrund einer geistigen Behinderung: Geistig Behinderte mangels eigenen Willens zur Einbürgerung von derselben auszuschliessen, entspricht nicht der gesetzlichen Ordnung und erweist sich aufgrund der damit verbundenen generellen Wirkung als diskriminierend. Zu prüfen ist, ob es dafür eine qualifizierte Rechtfertigung gibt (E. 7). Ist die Sache im Falle, dass die Nichteinbürgerung als unzulässig erkannt wird, an die Gemeinde oder an die kantonale Rechtsmittelinstanz zu neuem Entscheid über die Einbürgerung zurückzuweisen (E. 8)?
139 I 242 (2C_912/2012) from 7. Juli 2013
Regeste: Art. 49 BV; Art. 8 BV; Art. 4 des Bundesgesetzes zum Schutz vor Passivrauchen (PaRG); § 34 des Gesetzes des Kantons Basel-Stadt vom 15. September 2004 über das Gastgewerbe (GGG/BS); § 16 der Verordnung des Kantons Basel-Stadt vom 12. Juli 2005 zum Gastgewerbegesetz (VGGG/BS). Frage der Zulässigkeit eines kantonalen Verbots von bedienten Raucherräumen; Verein "Fümoar". Bundesrechtliche Minimalregelung zum Schutz vor Passivrauchen (Art. 1-3 PaRG; E. 2.1). Art. 4 PaRG sieht vor, dass die Kantone strengere Vorschriften "zum Schutz der Gesundheit" erlassen können. § 34 GGG/BS statuiert ein Bedienungsverbot in abgetrennten Raucherräumen und geht damit über die bundesrechtliche Minimalregelung hinaus (E. 2.2 und 2.3). § 34 GGG/ BS wurde von der Vorinstanz weder willkürlich ausgelegt noch verstösst die kantonale Regelung gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung (Art. 49 BV; E. 3). Die Lokalität der Beschwerdeführerin ist öffentlich zugänglich im Sinne von § 16 VGGG/BS; sie kann sich nicht wirksam von den kantonalen und bundesrechtlichen Vorgaben der Passivrauchschutzgesetzgebung befreien (E. 4). § 34 GGG/BS verstösst nicht gegen Art. 8 Abs. 1 und 2 BV (E. 5). Die hohe Mitgliederzahl des Vereins "Fümoar" oder die Tatsache, dass ein Teil der Bevölkerung mit der Gesetzgebung zum Schutz vor Passivrauchen nicht einverstanden ist, kann die Gerichte nicht davon entbinden, das Gesetz anzuwenden. Zusammenfassung (E. 6 und 7).
139 I 292 (1C_127/2013) from 28. August 2013
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 15 und 34 BV; Auslegung einer kantonalen formulierten Volksinitiative und Beurteilung ihrer Gültigkeit unter Berücksichtigung der auf dem Unterschriftenbogen aufgeführten Begründung. Obwohl der Initiantenwille nicht allein für die Interpretation eines Volksbegehrens massgeblich ist, hat die Auslegung dem klaren Willen der Initianten und der Unterzeichner des Volksbegehrens Rechnung zu tragen. Die konkret zu beurteilende formulierte Initiative sieht die Einführung eines Verbots bestimmter religiöser Lehrmittel im Volksschulgesetz vor. Trotz grundsätzlich neutral abgefasstem Wortlaut ist das Volksbegehren ungültig zu erklären. Nach dem klaren Willen der Initianten, der insbesondere auf dem Unterschriftenbogen deutlich zum Ausdruck kam, soll das Verbot ausschliesslich für Sakralschriften einer einzigen Religion, des Islams, gelten. Ein solches Verbot ist diskriminierend und verletzt das Gebot der religiösen Neutralität, weshalb es gegen die Bundesverfassung verstösst (E. 5-9).
139 I 306 (2C_1032/2012) from 16. November 2013
Regeste: Art. 10 EMRK; Art. 16 Abs. 2, Art. 17, 35 Abs. 2 sowie Art. 93 Abs. 3 BV; Art. 4-6, 94, 95 Abs. 3 lit. b und Art. 97 Abs. 2 lit. b RTVG; Grundrechtsbindung der SRG im Werbebereich; "Was das Schweizer Fernsehen totschweigt". Die Weigerung der SRG bzw. der publisuisse SA, eine Werbebotschaft auszustrahlen, kann mit Zugangsbeschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) angefochten werden; gegen deren Entscheid steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (E. 1). Bei ihrem privatrechtlichen Handeln im Werbebereich ist die SRG grundrechtsgebunden. Sie hat dabei insbesondere (auch) dem ideellen Gehalt der Freiheitsrechte Rechnung zu tragen. Die blosse Befürchtung, eine umstrittene (ideelle) Werbung könnte ihrem Ruf abträglich sein, stellt kein hinreichendes Interesse dar, die Ausstrahlung eines ihr gegenüber kritischen Werbespots zu verweigern, solange der Auftraggeber nicht widerrechtlich handelt (E. 3-5).
139 II 185 (2C_347/2012, 2C_357/2012) from 28. März 2013
Regeste: Art. 4, 5, 19, 20, 21, 22, 65, 67, 70, 71 und 72 KEG, Art. 2 und 21 ENSIG, Art. 49 VwVG, KEV, ENSIV, VKNS, Art. 94 StSV, Gefährdungsannahmen- und Ausserbetriebnahmeverordnung. Bewilligungspflicht für den Betrieb von Kernanlagen, Voraussetzungen für Erteilung, Inhalt und Entzug der Betriebsbewilligung, allgemeine Pflichten des Bewilligungsinhabers, Aufsichtsbehörden und deren Aufgaben und Befugnisse (E. 4). Zuständigkeiten von Bewilligungs-, Aufsichts- und Rechtsmittelbehörden (E. 9). Verhältnis von Bewilligungs-, Aufsichts- und Bewilligungsentzugsverfahren; Voraussetzungen für die Befristung einer Betriebsbewilligung (E. 10). Anforderungen (zweistufiger Ansatz) an die nukleare Sicherheit im Normal- und Auslegungs- und auslegungsüberschreitendem Störfall sowie an Nachrüstungen (E. 11). Überprüfung des Vorwurfs der ungenügenden Prüfung durch das UVEK (E. 12). Zulässigkeit der Forderung eines Instandhaltungskonzepts durch die Vorinstanz (E. 13). Überprüfung einzelner Sicherheitsfragen: Kernmantel (E. 14.2), Erdbebengefährdung (E. 14.3), Kühlung (E. 14.4).
139 II 289 (2C_380/2012) from 22. Februar 2013
Regeste: Art. 8 Abs. 2 und 4 sowie Art. 190 BV, Art. 1 ff. BehiG, Art. 1 ff. VböV, Art. 1 ff. VAböV, Art. 17 EBG, Art. 6a, 46 ff. und 81 EBV; Pflichtenheft und Typenskizzen für die Fernverkehrs-Doppelstock-Triebzüge IR100, IR200 und IC200 der SBB. Rechtsgrundlagen für die Anordnung des Rollstuhlbereichs in einem Eisenbahnfahrzeug im Eisenbahnrecht (E. 2.1) und im Behindertengleichstellungsrecht (E. 2.2). Das Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbot für Behinderte gilt auch im Bereich des öffentlichen Verkehrs. Eine Benachteiligung liegt aber nicht schon darin, dass die Platzwahl Behinderter stärker eingeschränkt ist als diejenige nicht Behinderter (E. 2.3). Die im Unterdeck des Speisewagens vorgesehene Zusammenlegung des Rollstuhlbereichs mit demjenigen des Verpflegungsbereichs (für Mobilitätsbehinderte) führt nicht zu einer verfassungs- und gesetzwidrigen Diskriminierung bzw. Benachteiligung Behinderter (E. 3), weshalb sich eine Verhältnismässigkeitsprüfung für die vom Bundesverwaltungsgericht angeordneten Massnahmen erübrigt (E. 4).
139 II 373 (2C_243/2011) from 1. Mai 2013
Regeste: Art. 127 Abs. 3 BV; Art. 97 Abs. 1, Art. 99 Abs. 1, Art. 100 Abs. 5, Art. 105 Abs. 1 BGG, Art. 12 Abs. 4 StHG; interkantonale Doppelbesteuerung; Liegenschaftenhändler; Verrechnung eines Geschäftsverlustes mit Liegenschaftsgewinnen. Anforderungen an das kantonale Verfahren, wenn eine interkantonale Doppelbesteuerung gerügt wird (E. 1.4-1.7). Den Kantonen mit monistischem System der Grundstückgewinnbesteuerung steht es nach Art. 12 Abs. 4 StHG frei, ob sie einen innerkantonalen Geschäftsverlust bei der Grundstückgewinnsteuer berücksichtigen wollen oder nicht. Gegen die Verweigerung einer solchen Verlustverrechnung steht die Beschwerde wegen interkantonaler Doppelbesteuerung nicht offen (E. 3.5). Zwecks Schaffung vergleichbarer Verhältnisse im interkantonalen Verhältnis hat aber der Kanton in seiner Steuerausscheidung die Grundstückgewinne und Geschäftsverluste vollumfänglich zu berücksichtigen (E. 4).
139 III 379 (4A_60/2013) from 24. Juni 2013
Regeste: Art. 334 und 405 ZPO; Erläuterung eines Entscheids; Übergangsrecht. Art. 334 ZPO sieht keine Frist zur Einreichung eines Erläuterungsgesuchs vor (E. 2.1). Das nach dem 1. Januar 2011 eingereichte Erläuterungsgesuch gegen einen vor diesem Datum ergangenen Entscheid unterliegt der allgemeinen Übergangsbestimmung für Rechtsmittel gemäss Art. 405 Abs. 1 ZPO (E. 2.2 und 2.3).
139 V 307 (9C_882/2012) from 15. Mai 2013
Regeste: Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG; Art. 8 Abs. 1 ELV; Berechnung der Ergänzungsleistung für eine Person, die Taggelder der Invalidenversicherung bezieht. BGE 119 V 189 ist auch nach Inkrafttreten des ELG vom 6. Oktober 2006 massgebend. In die Berechnung der Ergänzungsleistung einbezogen werden einzig Kinder, die Anspruch auf eine Waisenrente haben oder Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder der IV begründen (somit nicht die Kinder von IV-Taggeldbezügern; E. 6).
139 V 331 (8C_17/2013) from 31. Mai 2013
Regeste: Art. 20 Abs. 2 und 3 UVG; Art. 32 Abs. 2 UVV; Komplementärrente. Keine analoge Anwendung von Art. 32 Abs. 2 UVV auf den Fall, in welchem der eine Invalidenrente begründende Unfall (wenn auch nur kurz) vor dem die Hinterlassenenrente der AHV auslösenden Ereignis stattgefunden hat (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4).
139 V 547 (8C_972/2012) from 31. Oktober 2013
Regeste: Lit. a Abs. 1 der am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des IVG (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket); Überprüfung der Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden. Lit. a Abs. 1 der am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des IVG ("Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, werden innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten dieser Änderung überprüft. Sind die Voraussetzungen nach Artikel 7 ATSG nicht erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt oder aufgehoben, auch wenn die Voraussetzungen von Artikel 17 Absatz 1 ATSG nicht erfüllt sind") ist verfassungs- und EMRK-konform (E. 2-10.2).
140 I 2 (1C_176/2013, 1C_684/2013) from 7. Januar 2014
Regeste: Art. 82 lit. b BGG; Änderung des Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen, abstrakte Normenkontrolle, Art. 10 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2, Art. 35 Abs. 2, Art. 36, 57 und 123 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Polizeirechtliche Natur des Konkordats und Hinweise auf weitere Bestimmungen zur Verhinderung von Gewalt bei Sportveranstaltungen (E. 5). Das Konkordat regelt das polizeiliche Verwaltungshandeln im Hinblick auf Gewalttaten bei Sportanlässen. Die vorgesehenen Massnahmen sind auf das zukünftige Verhalten ausgerichtet und gelangen unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung bereits verübter Gewalttaten zur Anwendung (E. 6). Örtlicher und zeitlicher Geltungsbereich des Konkordats: Die Massnahmen nach dem Konkordat (Rayonverbot, Meldeauflage, polizeilicher Gewahrsam) sind beschränkt auf gewalttätiges Verhalten, das in einem konkreten Zusammenhang mit der Sportveranstaltung und der Anhängerschaft bei einer der Mannschaften steht (E. 7.2). Die Anordnung von konkreten Massnahmen hängt von der Art und Schwere des gewalttätigen Verhaltens ab und muss insbesondere verhältnismässig sein (E. 8). Die Bewilligungspflicht ermöglicht die Anordnung von Auflagen zur Durchführung bestimmter Spiele (E. 9). Verhältnismässigkeit von sog. Kombitickets für die An- und Abreise sowie den Besuch eines Spiels im Gästesektor (E. 9.2). Zulässigkeit einer Pflicht zur Ausweiskontrolle und zum Abgleich mit dem Informationssystem HOOGAN (E. 9.3). Durchsuchung der Besucher von Sportveranstaltungen am Eingang der Stadien und beim Besteigen von Fantransporten (E. 10.1). Übertragung von Durchsuchungsbefugnissen an private Sicherheitsdienste im halböffentlichen Raum vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols und der Grundrechtsbindung (E. 10.2). Bestimmtheitsgebot in Bezug auf verbotene Gegenstände und Pflicht zur Bekanntmachung bestehender Verbote (E. 10.3). Eignung, Notwendigkeit, Zumutbarkeit und Modalitäten der körperlichen Durchsuchung zur Verhinderung von Gewalttaten (E. 10.4-10.6). Die vorgeschriebene Dauer eines Rayonverbots von mindestens einem Jahr ist mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht vereinbar (E. 11.2.2). Anforderungen an den Inhalt und die Eröffnung der Verfügung eines Rayonverbots (E. 11.3). Gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer Meldeauflage (E. 12.2). Die Bestimmung, die zwingend eine Verdoppelung der Dauer einer Meldeauflage vorsieht, wenn die Massnahme ohne entschuldbare Gründe verletzt wird, hält vor dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht stand (E. 12.3).
140 I 77 (9C_383/2013) from 6. Dezember 2013
Regeste: Art. 35 AHVG; Rentenplafonierung. Die Rentenplafonierung gemäss Art. 35 AHVG führt zu einer Ungleichbehandlung von Ehepaaren und eingetragenen Partnern einerseits sowie Konkubinatspaaren anderseits. Die Schlechterstellung in Bezug auf die Höhe der Altersrente darf nicht isoliert betrachtet werden, es gibt hiefür sachliche Gründe. Auch die EMRK verbietet den Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Behandlung von Personengruppen zur Behebung "tatsächlicher Ungleichheiten" nicht und belässt den Einzelstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit einen weiten Beurteilungsspielraum. In einer (sozialversicherungs-)rechtlichen Gesamtbetrachtung privilegiert das Gesetz Ehen und eingetragene Partnerschaften in mehrfacher Hinsicht. Auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR bewirkt die Rentenplafonierung keine unzulässige Diskriminierung (E. 6-9). Ob sich aus der EMRK Ansprüche auf positive staatliche Leistungen ableiten lassen, ist fraglich (E. 5.3 und 10).
140 I 201 (2C_421/2013) from 21. März 2014
Regeste: Art. 8, 9, 23, 35 und 36 BV; Art. 10 des Übereinkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau; Weigerung einer Universität, eine Studentenverbindung, die keine Frauen zur Mitgliedschaft zulässt, anzuerkennen und dieser Leistungen zu erbringen; Rechtsgleichheit; Gleichberechtigung von Mann und Frau; Vereinigungsfreiheit; Lösung von Grundrechtskollisionen. Darf ein Verwaltungsträger, der eine staatliche Aufgabe wahrnimmt und deswegen an die Grundrechte gebunden ist, einer zivilrechtlichen Studentenverbindung den Status als universitäre Vereinigung verwehren und die zugehörigen Leistungen verweigern, weil sie Frauen von der Mitgliedschaft ausschliesst (E. 5)? Eingriff in die universitäre Autonomie (E. 6.1-6.3). Grundrechtskollision, d.h. einerseits die legitime Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau durch die Universität, anderseits die Vereinigungsfreiheit und rechtsgleiche Behandlung der Studentenverbindungen (E. 6.4 und 6.5). Methodik und Problemlösung im vorliegenden Fall im Sinne des Vorrangs der Vereinigungsfreiheit (E. 6.6-6.8).
140 I 218 (2C_123/2013) from 16. Dezember 2013
Regeste: Art. 3, 27, 49 Abs. 1, Art. 94 und 117 BV; Art. 32, 35, 39, 49a und 56 KVG; Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht (KVG und Wirtschaftsfreiheit) einer kantonalen Bedürfnisklausel, wonach der Erwerb von medizinischen Grossgeräten im stationären oder ambulanten, öffentlichen oder privaten Bereich bewilligungspflichtig ist. Die kantonale Regelung, die - unter Berücksichtigung des im Kanton bestehenden medizinischen Bedürfnisses - den Erwerb von medizinischen Grossgeräten, vorliegend ein CT-Scan oder ein MRT, der Bewilligungspflicht unterwirft, um einerseits die Gesundheit der Patienten zu schützen (grundsätzlich in der Zuständigkeit der Kantone verbleibende Aufgabe) und andererseits die Gesundheitskosten besser zu kontrollieren (vom Bund nicht erschöpfend geregelt), verletzt den Grundsatz des Vorranges des Bundesrechts nicht; Durchlässigkeit zwischen den privaten Finanzierungssystemen (ausserhalb Spitalplanung) und dem KVG betreffend medizinische Grossgeräte (E. 5). Vorliegend verletzt die Verweigerung des Kantons, die Inbetriebnahme eines MRT und eines CT-Scan durch eine nicht in die kantonale Spitalplanung einbezogene Klinik zu bewilligen, weder die Wirtschaftsfreiheit noch den Grundsatz der Wirtschaftsordnung noch die Gleichbehandlung direkter Konkurrenten (E. 6).
140 I 305 (9C_810/2013) from 15. September 2014
Regeste: Art. 16b EOG; Art. 8 BV; Art. 8 und 14 EMRK; Vaterschaftsentschädigung. Nach dem klaren Wortlaut und dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers kann aus Art. 16b EOG kein Anspruch von Vätern auf eine Erwerbsersatzentschädigung abgeleitet werden (E. 6 und 7). Art. 16b EOG beinhaltet keinen Elternurlaub, wie er in anderen (europäischen) Ländern besteht, sondern regelt ausschliesslich den Entschädigungsanspruch der Mutter nach der Geburt. Eine unzulässige Diskriminierung besteht - auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR - nicht (E. 10.2). Eine Aufteilung des Anspruchs auf beide Elternteile bedürfte einer gesetzlichen Grundlage und fällt im Rahmen der bestehenden Regelung (Anspruch während 14 Wochen) bereits deshalb ausser Betracht, weil ein solches Splitting unvereinbar wäre mit Art. 4 des zur Ratifikation vorgesehenen Übereinkommens Nr. 183 der IAO über den Mutterschutz, welcher den Frauen einen Mindestanspruch von 14 Wochen Mutterschaftsurlaub garantiert, der nicht unterschritten werden kann (E. 10.2).
140 I 353 (1C_653/2012) from 1. Oktober 2014
Regeste: Art. 13 Abs. 1 und Art. 123 Abs. 1 BV, Art. 8 EMRK; Polizeigesetz des Kantons Zürich; verdeckte Vorermittlung, Chatroom-Überwachung, Schutz des Post- und Fernmeldeverkehrs. Zuständigkeit der Kantone zur Regelung der präventiven Polizeitätigkeit, die nicht an einen Tatverdacht anknüpft und sich nicht auf die Strafprozessordnung des Bundes stützt (E. 5). Übersicht über die Regelung der verdeckten Vorermittlung und der Informationsbeschaffung im Internet gemäss dem Polizeigesetz (E. 6). Verdeckte Vorermittlung: Die kantonale Bestimmung (§ 32e PolG/ZH) bezieht sich auf schwere Delikte im Sinne von Art. 286 Abs. 2 StPO. Für die Durchführung wird auf die Art. 151 und 287-298 StPO verwiesen. Damit wird verhindert, dass die verdeckten Vorermittler als "agents provocateurs" tätig werden. Die Regelung entspricht den rechtsstaatlichen Anforderungen in Bezug auf die richterliche Genehmigung sowie die Verfahrensrechte und den Rechtsschutz der betroffenen Personen (E. 7). Chatroom-Überwachung: § 32f Abs. 2 PolG/ZH lässt die Überwachung der Kommunikation auf virtuellen Kommunikationsplattformen zu, die nur einem beschränkten Benutzerkreis zugänglich sind (sog. Closed User Groups). Eine solche Informationsbeschaffung kann mit einem Eingriff in die Privatsphäre und in das Fernmeldegeheimnis verbunden sein (E. 8.4). Sie betrifft grundsätzlich alle Benutzer dieser Kommunikationsmittel. Es handelt sich um eine sehr weit gehende Überwachungsmethode, die das Sammeln und Auswerten von Informationen aus den Privatbereichen einer Vielzahl von Personen erlaubt, gegen die überhaupt kein Verdacht für rechtswidriges Verhalten vorliegt (E. 8.7.2.1). Die Bestimmung ist mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht vereinbar, weil keine richterliche Genehmigung der Überwachung vorgeschrieben ist, keine nachträgliche Mitteilung an die Betroffenen erfolgt und ihnen auch kein Rechtsschutz gewährt wird (E. 8.7.2.4). Hinweis auf die Bestimmungen der StPO zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (E. 8.8).
140 I 394 (1C_59/2012, 1C_61/2012) from 26. September 2014
Regeste: a Art. 34 Abs. 1 und 2 sowie Art. 51 Abs. 2 BV; Befugnis des Bundesgerichts zur Überprüfung von kantonalen Verfassungsbestimmungen im Anwendungsfall. Das aus Art. 34 BV fliessende Prinzip der Wahlrechtsgleichheit ist seit der Gewährleistung der Verfassung des Kantons Appenzell A.Rh. durch die Bundesversammlung im Jahr 1996 weiterentwickelt worden. Dieser Entwicklung gilt es Rechnung zu tragen, weshalb das Bundesgericht auf eine die Wahl des Kantonsrats Appenzell A.Rh. 2011 betreffende Beschwerde hin prüft, ob das in den Grundzügen in der Kantonsverfassung geregelte Wahlverfahren mit der Wahlrechtsgleichheit zu vereinbaren ist (E. 9).
140 II 33 (1C_250/2013) from 12. Dezember 2013
Regeste: Vorsorgliche Begrenzung von Lichtemissionen (Weihnachts- und ganzjährige Zierbeleuchtung) gestützt auf Art. 11 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 2 USG. Rechts- und Beurteilungsgrundlagen (E. 4). Öffentliches Interesse an der Begrenzung von Lichtemissionen im Allgemeinen (E. 5.4) und insbesondere im Nachtruhefenster zwischen 22.00 und 06.00 Uhr (E. 5.5). Die ganzjährige Zierbeleuchtung wurde auf die Zeit bis 22.00 Uhr begrenzt. Dies schränkt die Eigentumsgarantie und allfällige andere Grundrechte der Beschwerdeführer nur geringfügig ein und ist verhältnismässig (E. 5.6- 5.8). Die Weihnachtsbeleuchtung wurde auf die Zeit vom 1. Advent bis zum 6. Januar begrenzt und darf bis 01.00 Uhr des Folgetags betrieben werden. Damit wurde dem privaten Interesse der Beschwerdeführer wie auch der Tradition der Advents- und Weihnachtsbeleuchtung ausreichend Rechnung getragen (E. 6). Keine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots (E. 7).
140 II 167 (2C_490/2013) from 29. Januar 2014
Regeste: Art. 32 Abs. 1, Art. 34 Abs. 1 und 2, Art. 38 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 1 StHG; Art. 2, 16 Abs. 1 und 2 sowie Art. 21 Abs. 3 FZA, Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA; DBA-D. Voraussetzung und Gegenstand der Quellensteuer, nachträgliche ordentliche Veranlagung; interkantonale Steuerausscheidung nach Wohnortwechsel (E. 2 und 3). Diskriminierung entsprechend der Rechtsprechung des EuGH bei der Personenfreizügigkeit sowie deren Übertragung auf das FZA und ihre Grenzen; Anwendbarkeit auf die Quellensteuer (E. 4). Unvereinbarkeit von Art. 38 Abs. 4 StHG mit dem FZA, auch unter Berücksichtigung der Rechtfertigungsgründe (Quellenbesteuerung als Sicherungsinstrument) von Art. 21 Abs. 3 FZA (E. 5). Vereinbarkeit von Art. 38 Abs. 4 StHG mit dem DBA-D offengelassen (E. 6).
140 II 214 (1C_602/2012) from 2. April 2014
Regeste: a Beschwerdebefugnis bei Lichtemissionen (Art. 89 Abs. 1 BGG, Art. 48 Abs. 1 VwVG). Die Beschwerdebefugnis kann bei grossen Anlagen auf einzelne Anlagenteile beschränkt sein (E. 2.1). Eine besondere Betroffenheit ist i.d.R. zu bejahen, wenn eine direkte Sichtverbindung zur Lichtquelle besteht und diese deutlich wahrnehmbar ist (E. 2.4).
140 III 385 (5A_356/2014) from 14. August 2014
Regeste: Art. 450 ff. ZGB; Anspruch auf Parteientschädigung im Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz. Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung der Parteientschädigung im Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz den Kantonen überlassen. Regelung im Kanton Zürich (E. 2-5).
140 III 485 (5A_798/2013) from 21. August 2014
Regeste: Vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsverfahren; Ehegattenunterhalt; Sparquote (Art. 276 ZPO; Art. 163 und 176 ZGB; Art. 9 BV). Anforderungen an den Nachweis der Sparquote. Deren Berücksichtigung setzt insbesondere eine konkrete Berechnung des Bedarfs der Ehegatten während des Zusammenlebens bzw. der beiden Haushalte nach Aufhebung des gemeinsamen ehelichen Haushalts voraus. Wird der Bedarf nicht konkret berechnet, sondern auf die zweistufige Methode der Existenzminimumsberechnung mit Überschussverteilung zurückgegriffen, ist die Berücksichtigung einer behaupteten, aber weder im Grundsatz noch betragsmässig glaubhaft gemachten Sparquote willkürlich (E. 3). Willkür im Ergebnis im konkreten Fall bejaht (E. 4.5).
140 V 113 (9C_757/2013) from 15. April 2014
Regeste: Art. 42 und 42quater IVG; Art. 26 UVG; Anspruch auf einen Assistenzbeitrag. Die Bezügerin einer Hilflosenentschädigung der obligatorischen Unfallversicherung hat keinen Anspruch auf einen Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung (E. 5-7).
140 V 420 (9C_23/2014) from 8. Juli 2014
Regeste: Art. 69 Abs. 2 BVG i.V.m. Art. 45 BVV 2 (je in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2011); Art. 44 Abs. 1 und Art. 47 Abs. 2 BVV 2 (in der vom 1. April 2004 bis 31. Dezember 2013 geltenden Fassung) i.V.m. Art. 65a Abs. 1 und 5 sowie Art. 71 Abs. 1 BVG; Art. 27h Abs. 1 BVV 2 (in der bis 31. Mai 2009 geltenden Fassung); Bildung von Wertschwankungsreserven bei öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen, die in offener Kasse bilanzieren, und Nachschusspflicht austretender Arbeitgeber bei Unterdeckung. Die - vor Inkrafttreten der Art. 72a ff. BVG am 1. Januar 2012 - im Reglement der Vorsorgeeinrichtung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit Staatsgarantie vorgesehene Bildung einer Wertschwankungsreserve bei Überschreiten des Zieldeckungsgrades von weniger als 100 % (bei dessen Unterschreitung Sanierungsmassnahmen einzuleiten sind), ist gesetzeskonform (E. 4). Die auf anschlussvertraglicher und reglementarischer Grundlage beruhende Bemessung des Anteils am versicherungstechnischen Fehlbetrag, den der austretende Arbeitgeber zu übernehmen hat, ohne Berücksichtigung bzw. ohne Auflösung der Wertschwankungsreserve stellt keine Ungleichbehandlung gegenüber den verbleibenden Arbeitgebern dar (E. 5 und 6).
140 V 485 (8C_250/2014) from 2. Dezember 2014
Regeste: Art. 3 und 7 Abs. 2 FamZG; Art. 11 Abs. 1 FamZV; Anspruch auf Differenzzahlung. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 FamZG ist klar und betrifft nur die Situation von Familien, in welchen zwei Anspruchsberechtigte in verschiedenen Kantonen arbeiten. Es bestehen keine objektiven Gründe für die Annahme, dass der Gesetzeswortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt, weshalb diese nicht anzuwenden ist auf Fälle, in denen ein Elternteil in zwei verschiedenen Kantonen arbeitet (E. 4.2).
140 V 543 (9C_648/2013) from 17. Oktober 2014
Regeste: Art. 42sexies IVG; Art. 39e und 39f IVV; Assistenzbeitrag. Das standardisierte Abklärungsinstrument FAKT2 ist grundsätzlich geeignet, den gesamten Hilfebedarf einer versicherten Person zu ermitteln (E. 3.2.2). Die Höhe des Pauschalansatzes für den Assistenzbeitrag von Fr. 32.50 resp. 32.80 pro Stunde gemäss Art. 39f Abs. 1 IVV ist gesetzeskonform (E. 3.3). Im Verfahren betreffend den Assistenzbeitrag kann eine neue Abklärung von Aspekten der Hilflosigkeit namentlich dann angezeigt sein, wenn sie zwar nicht für den Schweregrad der Hilflosigkeit und den entsprechenden Entschädigungsanspruch, jedoch für den Anspruch auf Assistenzbeitrag bedeutsam sind (E. 3.4.4). Was unter einer Institution im Sinne von Art. 42sexies Abs. 2 IVG und Art. 39e Abs. 4 IVV zu verstehen ist, ergibt sich in erster Linie aus Art. 3 IFEG. Die in Art. 39e Abs. 4 IVV vorgesehene pauschale Kürzung des Höchstansatzes entsprechend dem regelmässigen Aufenthalt in einer solchen Institution ist gesetzmässig (E. 3.5). Die Höchstansätze von Art. 39e IVV beinhalten die durch die Hilflosenentschädigung und allfällige Beiträge für Dienstleistungen Dritter oder an Grundpflege nach Art. 25a KVG zu deckende Zeit (E. 3.6.3).
141 I 1 (8D_1/2014) from 4. Februar 2015
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 41 Abs. 1 lit. e und Abs. 4 BV; Art. 39A des Gesetzes des Kantons Genf vom 4. Dezember 1977 über das Wohnungswesen und den Mieterschutz; Aufhebung des Anspruches auf Mietbeihilfen für Bezüger von Ergänzungsleistungen zur AHV/IV. Das im genferischen Recht enthaltene Verbot der Kumulation von Mietbeihilfen und bundes- sowie kantonalrechtlichen Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung ist nicht bundesrechtswidrig (E. 5).
141 I 9 (2C_590/2014) from 4. Dezember 2014
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 19 und 62 BV sowie Art. 20 BehiG. Der ausreichende Grundschulunterricht ist zwingend unentgeltlich, auch wenn die Schule eine gesetzlich nicht vorgesehene Leistung erbringt. Kantonalrechtliche Regelungen, welche über die Zuteilung eines Kindes in die separative Sonderschulung aufgrund schematischer Grundlagen bestimmen, berücksichtigen im Einzelfall das Kindswohl nicht ausreichend. Nur ein angemessenes, erfahrungsgemäss ausreichendes Bildungsangebot an öffentlichen Schulen ist durch die Verfassung unentgeltlich gewährleistet. Eine bestmögliche Schulung von behinderten Kindern kann mit Rücksicht auf das staatliche Leistungsvermögen hingegen nicht eingefordert werden (E. 3). Wenn ein integrativer Unterricht mit zusätzlichen Assistenzlektionen in den konkreten Umständen dem gebotenen Unterricht entspricht und finanziell tragbar sowie praktisch möglich ist, sind die Assistenzlektionen für die Eltern unentgeltlich, auch wenn sie gesetzlich nicht vorgesehen sind (E. 4). Kantonalrechtliche Regelungen, welche über die Zuteilung eines behinderten Kindes in die separative Sonderschulung aufgrund schematischer Grundlagen bestimmen, berücksichtigen im Einzelfall das Kindswohl nicht ausreichend. Sie können nicht als rechtliche Grundlagen dienen, um den Besuch der Regelklasse nur bei Kostenübernahme der zusätzlichen Integrationsmassnahmen durch die Eltern zuzulassen (E. 5).
141 I 78 (2C_1194/2013, 2C_645/2014) from 30. März 2015
Regeste: Art. 8 Abs. 1, Art. 127 Abs. 2 und Art. 129 Abs. 2 BV; Art. 53 Abs. 1, Art. 56 Abs. 1bis und Art. 57b Abs. 1 StHG; reduzierte Steuersätze bei strafloser Selbstanzeige gemäss Art. 309e und 314e des Steuergesetzes des Kantons Tessin vom 21. Juni 1994; "kantonale Steueramnestie". Legitimation zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses, mit dem ein Steuertarif geändert wird; Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die im betreffenden Kanton ansässigen Steuerpflichtigen zur Beschwerde befugt sind (E. 3.1 und 3.2). Ausstandsgründe, wenn ein ehemaliger nebenamtlicher Bundesrichter Beschwerde erhebt; Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die blosse Kollegialität unter Gerichtsmitgliedern keine Ausstandspflicht begründet (E. 3.3). Die Einführung reduzierter Steuersätze bei strafloser Selbstanzeige verletzt die entsprechenden Bestimmungen des StHG, und die Anwendung dieser Steuersätze kann nicht durch Anrufung von Art. 129 Abs. 2 BV gerechtfertigt werden (E. 7). Verstoss der Einführung reduzierter Steuersätze bei strafloser Selbstanzeige gegen Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 2 BV und Unmöglichkeit, die Verletzung dieser Bestimmungen gestützt auf allgemeine finanzpolitische Ziele zu rechtfertigen; deren Verwirklichung hätte einschneidende Folgen für die Anwendung der gesamten Tarife und würde offensichtlich jene begünstigen, die Steuern hinterzogen haben (E. 9).
141 I 153 (8C_232/2015) from 17. September 2015
Regeste: Art. 8 und 9 BV; Sozialhilfegesetz und Sozialhilfeverordnung des Kantons Zürich: Anrechnung eines Konkubinatsbeitrages im Sozialhilfebudget. Die Anrechnung eines Konkubinatsbeitrages im Sozialhilfebudget ist bei Vorliegen eines stabilen Konkubinats weder willkürlich noch verletzt sie das Rechtsgleichheitsgebot (E. 5). Dabei kann nicht entscheidend sein, ob sich der leistungsfähige Konkubinatspartner ausdrücklich bereit erklärt, den Beitrag tatsächlich zu leisten oder nicht (E. 6.2.1).
141 I 211 (1B_169/2015, 1B_177/2015) from 6. November 2015
Regeste: Art. 16, 17 und 36 BV, Art. 69 ff. StPO, § 11 ff. AEV/ZH; Einschränkung der Gerichtsberichterstattung über eine öffentliche strafrechtliche Hauptverhandlung. Das vom Strafrichter gegenüber den Gerichtsberichterstattern unter Androhung von Ordnungsbusse ausgesprochene Verbot, bestimmte Informationen über den Angeklagten zu publizieren, war mangels hinreichender gesetzlicher Grundlage unzulässig (E. 3).
141 I 235 (2C_28/2015) from 19. Juni 2015
Regeste: Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 1, 3 und 4 StHG: derogatorische Kraft des Bundesrechts; Steuerharmonisierung; Gemeindesteuern auf Einkommen und Vermögen; interkommunale Verteilung. Nicht der Bund, sondern die Kantone verleihen den Gemeinden ihre Steuerhoheit (E. 5). Unter Vorbehalt des Gleichbehandlungsgebots und des Willkürverbots steht es den Kantonen frei, die Steuerkompetenzen ihrer Gemeinden zu begrenzen (E. 6 und 7).
141 I 241 (4A_334/2015) from 22. September 2015
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 29a BV; Art. 8 Abs. 2 BV; Art. 120 ZPO; Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO; unentgeltliche Rechtspflege; vorsorgliche Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen. Für ein Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen besteht kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege; wurde diese dennoch gewährt, kann sie gestützt auf Art. 120 ZPO entzogen werden (E. 3). Weder aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK noch aus Art. 29a und 8 Abs. 2 BV lässt sich ein kostenloser Zugang zum Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO ableiten (E. 4).
141 II 338 (2C_534/2014, 2C_535/2014) from 7. August 2015
Regeste: Art. 127 Abs. 2 BV; aArt. 214 Abs. 2 DBG (in Kraft bis am 31. Dezember 2013); Art. 11 Abs. 1 StHG in der Fassung vom 1. Januar 2010; Art. 41 Abs. 3 LIPP/GE; anwendbarer Steuertarif auf geschiedene Eltern; Kriterium des zur Hauptsache bestrittenen Unterhalts eines Kindes. Im Falle, dass die geschiedenen Ehegatten die gemeinsame elterliche Sorge haben, die alternierende Obhut gleichmässig ausüben, keine Unterhaltsbeiträge geleistet werden und die Eltern übereingekommen sind, dass sie den Unterhalt des Kindes zu gleichen Teilen übernehmen, ist es der Elternteil mit dem geringeren Einkommen, welcher den Unterhalt des Kindes zur Hauptsache bestreitet. Demnach ist diesem Elternteil der reduzierte Steuertarif für die direkte Bundessteuer und die Staats- und Gemeindesteuern betreffend das Einkommen zu gewähren. Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vorgesehene Lösung, welche den reduzierten Steuertarif dem Elternteil mit dem höheren Einkommen gewährt, verstösst in einer solchen Konstellation gegen das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in vertikaler Richtung (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3-7).
141 II 411 (8C_366/2014) from 1. Dezember 2015
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV in Verbindung mit Art. 3 GlG; (Lohn-)Gleichstellung von Mann und Frau; geschlechtsmässige Identifikation des Primarlehrberufs im Kanton Aargau. Ausführungen zum allgemeinen Rechtsgleichheitsgebot nach Art. 8 Abs. 1 BV (E. 6.1.1), zum Anspruch von Frau und Mann auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit im Sinne von Art. 8 Abs. 3 BV in Verbindung mit Art. 3 GlG (E. 6.1.2) sowie zu der im Hinblick auf die Überprüfung einer möglichen (indirekten) lohnmässigen Geschlechtsdiskriminierung erforderlichen Tatbestandsvoraussetzung der geschlechtsspezifischen Identifizierung der fraglichen beruflichen Funktion (E. 6.1.3, 6.2-6.5). Bis anhin war der Primarlehrberuf stets als geschlechtsneutrale Referenztätigkeit zu typisch weiblichen Berufen angerufen und zugelassen worden (E. 7). Der Frauenanteil unter den aargauischen Lehrpersonen Primarstufe liegt aktuell deutlich über 70 % (E. 8.1). Weist eine Berufssparte im massgeblichen Beurteilungszeitpunkt auf Grund eines langjährigen Prozesses in quantitativer Hinsicht eine klare Ausprägung auf, tritt ein allfälliges historisches Element bei der Beurteilung der geschlechtsmässigen Identifizierung in den Hintergrund (E. 8.2.1). In Anbetracht des kontinuierlichen, konstanten Charakters dieser Entwicklung namentlich in den letzten zwanzig Jahren, welcher die Annahme eines bloss kurzzeitigen Phänomens ausschliesst, ist der Beruf der Primarlehrkraft im Kanton Aargau als frauenspezifisch zu qualifizieren (E. 9). Damit wird die Möglichkeit und Verpflichtung geschaffen, dessen Entlöhnung unter dem Aspekt der besoldungsmässigen Geschlechtsdiskriminierung insbesondere auf allfällige sachlich nicht erklärbare bzw. diskriminierende Faktoren hin zu überprüfen, zu welchem Zweck die Angelegenheit an das vorinstanzliche Gericht zurückgewiesen wird (E. 9.2 und 10).
141 V 43 (8C_121/2014) from 6. Januar 2015
Regeste: Art. 4 Abs. 3 FamZG; Art. 7 Abs. 2 FamZV; Art. 14 Abs. 2 Bst. b Ziff. i der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; Art. 13 Abs. 1 Bst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; Art. 1a Abs. 3 lit. a AHVG; Voraussetzungen für den weltweiten Export von Familienzulagen, wenn eine zwischenstaatliche Vereinbarung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 FamZV fehlt. Der in der Schweiz wohnhafte Beschwerdeführer, der für einen Arbeitgeber mit Sitz in der Schweiz gleichzeitig in der Schweiz und in Frankreich tätig ist, untersteht nach den genannten EWG-/EG-Verordnungen für die Gesamtheit seiner Erwerbstätigkeit der AHV. Es liegt kein Anwendungsfall von Art. 1a Abs. 3 lit. a AHVG vor (E. 3). Art. 7 Abs. 2 FamZV über die aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung obligatorisch in der AHV versicherten Arbeitnehmer betrifft nur entsandte Arbeitnehmer. Der Beschwerdeführer ist kein entsandter Arbeitnehmer im Sinne dieser Bestimmung (E. 4). Der Beschwerdeführer hat folglich gestützt auf Art. 7 Abs. 2 FamZV keinen Anspruch auf Familienzulagen für sein minderjähriges Kind, welches mit seiner Mutter in Brasilien lebt.
141 V 206 (9C_96/2014) from 25. März 2015
Regeste: Art. 41 Abs. 1bis, Art. 44 Abs. 1 und Art. 49 Abs. 5 KVG; ausserkantonale Wahlbehandlung. Die ausserkantonale Wahlbehandlung ist unter dem seit 1. Januar 2009 geltenden Recht (Spitalfinanzierung) der Grundversorgung zuzurechnen und als Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu qualifizieren. Als solche untersteht sie insofern dem Tarifschutz, als dafür höchstens der KVG-Tarif des Leistungserbringers verrechnet werden darf (E. 3.3).
141 V 372 (8C_832/2014) from 28. Mai 2015
Regeste: Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG; Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR; Art. 171 ff. SchKG; Insolvenztatbestand. Die richterlich angeordnete, nach den Bestimmungen des Konkursverfahrens durchzuführende Auflösung einer Gesellschaft nach dem seit 1. Januar 2008 in Kraft stehenden Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR ist im Rahmen von Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG der Konkurseröffnung nach Art. 171 ff. SchKG gleichzustellen (E. 5.2).
141 V 377 (9C_797/2014) from 28. Mai 2015
Regeste: Art. 10 Abs. 1 und 3 AHVG; Art. 14 DBG; Art. 29 Abs. 5 AHVV; Beitragsfestsetzung bei nichterwerbstätigen nach Aufwand besteuerten Versicherten. Art. 29 Abs. 5 AHVV betreffend die Beitragsbemessung bei nichterwerbstätigen nach Aufwand besteuerten Versicherten ist verfassungs- und gesetzmässig (E. 4).
141 V 473 (8C_611/2014) from 6. Juli 2015
Regeste: Art. 25 Abs. 5 AHVG; Art. 49ter Abs. 3 lit. a und b AHVV; Art. 3 Abs. 1 lit. b FamZG; Art. 1 Abs. 1 FamZV; Ausbildungsunterbruch. Lit. a und b von Art. 49ter Abs. 3 AHVV sind nicht kumulativ anwendbar (E. 8).
141 V 521 (8C_227/2015) from 14. September 2015
Regeste: Art. 13 FamZG; Art. 7 Abs. 1 FamZV; Art. 2 in Verbindung mit Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit; Anspruch eines Drittstaatsangehörigen auf Familienzulagen. Ein Drittstaatsangehöriger, welcher für einen Schweizer Arbeitgeber tätig ist und dessen Kinder eine EU-Staatsbürgerschaft haben und in einem EU-Mitgliedsstaat wohnen, fällt nicht unter den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; mangels Vereinbarung in einem zwischenstaatlichen Abkommen hat er daher nach Art. 7 Abs. 1 FamZV keinen Anspruch auf Familienzulagen für seine Kinder (E. 4).
141 V 557 (9C_201/2015) from 22. September 2015
Regeste: a Art. 89 Abs. 1 KVG; Zuständigkeit des kantonalen Schiedsgerichts. Im Rechtsstreit zwischen einem Arzt und einer Krankenkasse, die ihn im Rahmen einer Versicherung mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers im Sinne von Art. 41 Abs. 4 und 62 Abs. 1 KVG nicht als Hausarzt anerkennen will, entscheidet das kantonale Schiedsgericht in Angelegenheiten der Krankenversicherung (E. 2).
141 V 574 (8C_10/2015) from 5. September 2015
Regeste: Art. 18 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 7 f. ATSG; psychosomatische Leiden und rentenbegründende Invalidität. Die im Bereich der Invalidenversicherung ergangene Rechtsprechungsänderung zu den anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen und vergleichbaren psychosomatischen Leiden gemäss BGE 141 V 281 gilt sinngemäss auch, wenn bei natürlich und adäquat unfallkausalen pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage der Anspruch auf eine Rente der obligatorischen Unfallversicherung zu beurteilen ist (E. 5.2).
141 V 674 (8C_137/2015) from 23. September 2015
Regeste: Art. 13 Abs. 1 und 2 sowie Art. 14 Abs. 1 AVIG; Art. 8 und 14 EMRK; keine Kumulation von Beitragszeiten und beitragsbefreiten Zeiten. Lücken in der Beitragszeit können nicht mit Perioden der Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit aufgefüllt werden (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4).
142 I 49 (2C_121/2015) from 11. Dezember 2015
Regeste: Art. 15 BV; Art. 9 EMRK; Art. 18 UNO-Pakt II und Art. 2 lit. i KV/SG; Art. 36 BV; Art. 5 KV/SG. Kopftuchverbot für Schülerinnen an einer öffentlichen Schule; unzulässiger Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Leitprinzipien der Glaubens- und Gewissensfreiheit; Inhalt des Grundrechts (E. 3). Überblick über die Rechtsprechung zu religiösen Verhaltensweisen der Schüler an öffentlichen Schulen (E. 4.2 und 4.3) und zur Verwendung von religiösen Symbolen durch die Schule selbst (E. 4.4). Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR und einzelner ausländischer Verfassungsgerichte (E. 4.5). Eingriff in den Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit; Anforderungen an die Einschränkung des Grundrechts (E. 5 und 6). Gesetzliche Grundlage (E. 7); Erfordernis der einschlägigen öffentlichen Interessen (E. 8); Prüfung der Verhältnismässigkeit (E. 9 und 10).
142 I 195 (2C_66/2015) from 13. September 2016
Regeste: Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 15 und 36 BV; Art. 8 und 9 EMRK; Art. 35a des Gesundheitsgesetzes des Kantons Neuenburg. Gesetzliche Verpflichtung der staatlich subventionierten gemeinnützigen Einrichtungen, den begleiteten Suizid bei sich zu dulden; Widerstreit zwischen der Freiheit, die Form und den Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst zu wählen, und der Glaubens- und Gewissensfreiheit; Grundsatz der Rechtsgleichheit. Übersicht über die Gesetzgebung und Rechtsprechung zum begleiteten Suizid und zum Recht auf Selbstbestimmung (E. 3 und 4). In der Interessenabwägung überwiegt die Freiheit der Bewohner und Patienten des betroffenen Pflegeheims, den Zeitpunkt und die Form ihres Lebensendes selbst zu wählen, gegenüber der Glaubens- und Gewissensfreiheit der Genossenschaft, die Trägerin des Pflegeheims ist (E. 5). Die Zusprechung von Subventionen kann mit geeigneten Bedingungen verbunden werden; demzufolge ist das Gebot der Rechtsgleichheit nicht verletzt, wenn nur die anerkannten gemeinnützigen Einrichtungen (nicht aber jene, die nicht anerkannt sind) eine externe Unterstützung zum Zweck der begleiteten Suizidhilfe zulassen müssen (E. 6).
142 II 49 (8C_376/2015) from 24. März 2016
Regeste: Art. 8 Abs. 3 Satz 3 BV; Art. 3 Abs. 2, Art. 6 GlG; Lohngleichstellung von Mann und Frau im Einzelfall. Kognition des Bundesgerichts und der kantonalen Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Überprüfung des Lohngleichheitsgebots im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisses (E. 4). Die gestützt auf Art. 8 Abs. 3 Satz 3 BV und Art. 3 Abs. 2 GlG geltend gemachten bundesrechtlichen Ansprüche dürfen nicht durch kantonalrechtliche Verwirkungs- und Verjährungsbestimmungen erschwert werden (E. 5.2). Glaubhaftmachung einer Lohndiskriminierung nach Art. 6 GlG im Vergleich mit dem Amtsvorgänger oder -nachfolger (E. 6.2). Berücksichtigung von Anfangs- und Schlusslöhnen im Rahmen der Glaubhaftmachung (E. 7.2).
142 II 197 (2C_910/2014, 2C_911/2014) from 17. März 2016
Regeste: Art. 127 Abs. 2 BV; Art. 16 Abs. 1 und 3 sowie Art. 167 DBG. Forderungsverzicht; Einkommenszufluss; Kapitalgewinn; Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; Steuererlass. Der Forderungsverzicht einer Bank zugunsten eines privaten Schuldners stellt für diesen steuerbares Einkommen (Verminderung der Passiven) i.S.v. Art. 16 Abs. 1 DBG dar (E. 5.1-5.4). Ob der Forderungsverzicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners verbessert oder nicht, hängt nicht davon ab, ob die Schuld aus der Sicht des Gläubigers noch einen effektiven Wert hat. Steuerrechtlich massgebend ist die Perspektive des Schuldners (E. 5.5). Der Forderungsverzicht kann nicht als privater Kapitalgewinn nach Art. 16 Abs. 3 DBG qualifiziert werden (E. 5.6). Art. 16 Abs. 1 DBG entspricht dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, welches auch dem Steuererlass zugrunde liegt (E. 6).
142 II 425 (8C_90/2016) from 11. August 2016
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 16c Abs. 2 EOG; § 20 Abs. 1 und § 22 der Verordnung des Grossen Rates des Kantons Thurgau vom 18. November 1998 über die Besoldung des Staatspersonals (Besoldungsverordnung). Eine Arbeitnehmerin, welche die Mutterschaftsentschädigung nach Art. 16c Abs. 2 EOG aufgeschoben hat und in der Zeit bis zur Entlassung ihres Kindes aus dem Spital aus gesundheitlichen Gründen selbst voll arbeitsunfähig ist, hat Anspruch auf Lohnersatz wie bei Krankheit; § 22 Besoldungsverordnung widerspricht dem Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 8 Abs. 1 BV und dem Vorrang des Bundesrechts nach Art. 49 Abs. 1 BV (E. 4-6).
142 V 48 (8C_53/2015) from 9. Dezember 2015
Regeste: Art. 4 Abs. 3 FamZG; Art. 7 Abs. 1 FamZV; Art. 4, 15 und 16 des Abkommens vom 8. Juni 1962 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung, für die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Kosovo in Kraft geblieben bis zum 31. März 2010. Ein nichterwerbstätiger in der Schweiz wohnhafter kosovarischer Staatsangehöriger kann für seine Kinder, welche sich im Kosovo aufhalten, keine Familienzulage beanspruchen, weder gestützt auf das schweizerische Recht noch unter Anwendung des Abkommens vom 8. Juni 1962 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung (E. 2-5).
142 V 106 (8C_478/2015) from 12. Februar 2016
Regeste: Art. 4 Abs. 1 IVG; Art. 6, Art. 7 Abs. 2, Art. 8 ATSG; psychosomatisches Leiden und rentenbegründende Invalidität; Konkretisierung der Rechtsprechung gemäss BGE 141 V 281. Den psychiatrisch beschriebenen Symptomen der diagnostizierten chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) fehlt schon aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ein Bezug zum Schweregrad. Die bei dieser Diagnosestellung dennoch attestierte 50%ige Arbeitsunfähigkeit zeigt, dass in der Medizin von einem umfassenden bio-psycho-sozialen Krankheitsbegriff ausgegangen wird, weshalb eine rechtliche Überprüfung nach Art. 6 ATSG notwendig ist (E. 3.2 und 4.2). Ausgehend vom Grundsatz der "Validität" und dem Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 Abs. 2 BV, sind psychisch diagnostizierte Leiden nicht bevorzugt zu behandeln (E. 4.3).
142 V 169 (9C_515/2015) from 1. März 2016
Regeste: Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG; Abzug von Einlagen in die berufliche Vorsorge bei Selbständigerwerbenden. Der Abzug nach Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG kann maximal die Hälfte des (von der Steuerbehörde gemeldeten) Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit betragen (E. 4).
142 V 290 (9C_178/2015) from 4. Mai 2016
Regeste: Art. 28a Abs. 3 Satz 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG; Invaliditätsbemessung bei teilerwerbstätigen Versicherten ohne Aufgabenbereich. Die Rechtsprechung gemäss BGE 131 V 51 betreffend die auf Teilerwerbstätige ohne Aufgabenbereich anwendbare Einkommensvergleichsmethode ist dahingehend zu präzisieren, dass die Einschränkung im erwerblichen Bereich proportional - im Umfang des hypothetisch-erwerblichen Teilzeitpensums - zu berücksichtigen ist (E. 7).
142 V 316 (9C_183/2016) from 26. Juni 2016
Regeste: a Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 3, Art. 35 Abs. 2 lit. e und Art. 38 KVG; Art. 46 Abs. 1 KVV; Anspruch auf Erstattung der Kosten von Leistungen eines nicht zugelassenen Leistungserbringers. Die Weigerung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, die Kosten einer Leistung (hier: Elektroepilation) zu übernehmen, ist nicht bundesrechtswidrig, wenn der Leistungserbringer in Art. 46 Abs. 1 KVV nicht aufgelistet ist (E. 5.3).
142 V 402 (9C_893/2015) from 20. Juni 2016
Regeste: Art. 10 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 ELG; Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf Alleinstehender. Lebt eine alleinstehende Person in einer Wohngemeinschaft, besteht weder auf dem Wege der Gesetzesauslegung noch der Lückenfüllung die Möglichkeit, den gesetzlich vorgesehenen Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf mit der Begründung zu reduzieren, die Lebenshaltungskosten des EL-Bezügers seien tiefer als bei alleinstehenden Personen mit eigenem Haushalt (E. 5).
142 V 442 (8C_54/2016) from 13. Juli 2016
Regeste: Art. 3 Abs. 1 lit. b FamZG; Art. 1 Abs. 1 FamZV in Verbindung mit Art. 25 Abs. 5 AHVG und Art. 49bis Abs. 3 AHVV; Feststellung des massgebenden Einkommens. Zur Feststellung des Erwerbseinkommens eines sich in Ausbildung befindenden Kindes wird auf das tatsächlich erzielte Bruttoerwerbseinkommen abgestellt; die Berücksichtigung eines hypothetischen Einkommens ist nicht zulässig (E. 5 und 6).
142 V 457 (9C_282/2016) from 12. September 2016
Regeste: Art. 14 Abs. 4, 5 und 6 ELG; Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten. Der bundesrechtliche Mindestansatz von Art. 14 Abs. 3 lit. a Ziff. 1 ELG wird nur erhöht für Personen, die Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Invaliden- oder der Unfallversicherung haben resp. hatten, nicht aber für solche, denen eine Hilflosenentschädigung der AHV ausgerichtet wird (E. 3). Bei Versicherten mit einem Einnahmenüberschuss kann dieser an die anerkannten, d.h. an die auf einen allfälligen kantonalrechtlichen Höchstbetrag im Sinne von Art. 14 Abs. 3 bis 5 ELG reduzierten Krankheits- und Behinderungskosten angerechnet werden (E. 4).
142 V 488 (9C_737/2015) from 13. Oktober 2016
Regeste: Art. 65d Abs. 1ter KVV (in Kraft gestanden vom 1. Mai 2012 bis 30. Juni 2015) und Art. 35b KLV i.V.m. der Übergangsbestimmung zur Änderung der KLV vom 21. März 2012 (gültig vom 1. Mai 2012 bis 31. Dezember 2014); Auslandpreisvergleich; Toleranzmarge zum durchschnittlichen Fabrikabgabepreis der Referenzländer. Die Voraussetzungen für eine befristete Aufnahme in die Spezialitätenliste können bei der unbefristeten Aufnahme nicht mehr überprüft werden (E. 5). Wird ein Arzneimittel zunächst befristet und anschliessend unbefristet in die Spezialitätenliste aufgenommen, besteht im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der unbefristeten Aufnahme kein Anspruch auf Gewährung einer Toleranzmarge (E. 6). Die Nichtgewährung einer Toleranzmarge verstösst weder gegen die Rechtsgleichheit (E. 7.1) noch schränkt sie die Wirtschaftsfreiheit ein (E. 7.2).
142 V 513 (8C_138/2016) from 6. September 2016
Regeste: Art. 9 und 12 BV; Sozialhilfegesetz und Sozialhilfeverordnung des Kantons Zürich: Anrechnung eines Konkubinatsbeitrages im Sozialhilfebudget. Dem erweiterten SKOS-Budget des nicht unterstützten Konkubinatspartners sind sämtliche Einnahmen (Erwerbseinkommen oder Ersatzeinkommen einschliesslich Ergänzungsleistungen) gegenüberzustellen. Resultiert ein Einnahmenüberschuss, ist dieser bei stabilem Konkubinat im Budget der antragstellenden Person vollumfänglich als Einnahme (Konkubinatsbeitrag) anzurechnen. Dies verletzt - auch im Vergleich zu verheirateten Paaren - weder das Rechtsgleichheitsgebot noch das Willkürverbot und auch nicht das Recht auf Existenzsicherung (E. 5).
142 V 523 (9C_837/2015) from 23. November 2016
Regeste: Art. 8 und 16 Abs. 2 lit. a IVG; Art. 5 IVV; Anspruch auf ein zweites Ausbildungsjahr der IV-Anlehre. Gesetzwidrigkeit des IV-Rundschreibens Nr. 299 des BSV vom 30. Mai 2011 (bzw. der Rz. 3020 zweiter Absatz KSBE), soweit darin für ein zweites Ausbildungsjahr der IV-Anlehre verlangt wird, dass gute Aussichten auf eine künftige Erwerbsfähigkeit in rentenbeeinflussendem Ausmass bestehen oder eine (allenfalls vorerst noch nicht rentenbeeinflussende) Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt erwartet werden kann (E. 5). Die Beantwortung der Frage, ob Leistungen für ein zweites Ausbildungsjahr zuzusprechen sind, richtet sich danach, ob die Anspruchsvoraussetzungen (Notwendigkeit, Geeignetheit, Angemessenheit [Erreichen eines Stundenlohnes von mindestens Fr. 2.55]) im konkreten Einzelfall erfüllt sind (E. 5.5). Die fehlende Notwendigkeit eines zweiten Ausbildungsjahres darf nicht leichthin angenommen werden (E. 6.5).
142 V 577 (8C_438/2016) from 16. November 2016
Regeste: Art. 8 Abs. 1 BV; § 85ter Abs. 2 des Sozialgesetzes des Kantons Solothurn vom 31. Januar 2007; Familienergänzungsleistungen. § 85ter Abs. 2 des Sozialgesetzes des Kantons Solothurn, wonach auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen durch beide Elternteile nur einer Anspruch auf Familienergänzungsleistungen hat, verstösst nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV (E. 4 und 5).
143 I 1 (8C_182/2016) from 6. Dezember 2016
Regeste: a Art. 22, Art. 42 Abs. 2, Art. 87, Art. 95 lit. b und Art. 106 Abs. 2 BGG; Art. 34 BGerR; Beschwerde gegen Erlasse. Zuständigkeit der I. sozialrechtlichen Abteilung (E. 1.1). Mangels kantonalen Verfahrens zur abstrakten Normenkontrolle ist die Beschwerde direkt ans Bundesgericht zulässig (E. 1.2). Internationales Recht muss direkt anwendbar sein, damit es vor Bundesgericht angerufen werden kann (E. 1.3). Begründungserfordernisse (E. 1.4). Überprüfungsbefugnis des Verfassungsrichters im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle (E. 2.3).
143 I 37 (2C_647/2015) from 11. November 2016
Regeste: Art. 5 Abs. 2, 27 und 94 BV; Parkservice ("Valet-Parken") auf dem Internationalen Flughafen Genf; Verwaltungsvermögen; Wirtschaftsfreiheit; Verhältnismässigkeit; Gleichbehandlung direkter Konkurrenten. Die Parkplätze, die im Eigentum des Internationalen Flughafens Genf stehen, gehören zu dessen Verwaltungsvermögen; er kann deren Benutzung regulieren und einen nicht zweckkonformen Gebrauch wie das "Valet-Parken" beschränken (E. 6). Keine Berufung auf die Wirtschaftsfreiheit für die Ausübung dieser Tätigkeit; demgegenüber kann sie angerufen werden im Zusammenhang mit der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen; was die Erteilung der Konzession betrifft, ist sie nicht Verfahrensgegenstand (E. 7 und 8). Die Verhältnismässigkeit des Verbots richtet sich nach Art. 5 Abs. 2 BV (E. 7.5).
143 I 65 (8C_158/2016) from 2. Februar 2017
Regeste: Art. 8 Abs. 1, Art. 9 und Art. 26 BV; aArt. 23A des Gesetzes des Kantons Genf vom 21. Dezember 1973 über Gehälter und verschiedene Leistungen des Staatspersonals, der Judikative und der Spitalangestellten. Die befristete Beibehaltung einer Entschädigung von 8,3 % des Jahresgehaltes ("14. Monatslohn") zu Gunsten nur der Ärzte öffentlicher Genfer Spitäler (eingestuft ab Klasse 27 und mit hierarchischen Verantwortlichkeiten ausgestattet), welche aArt. 23A des Gesetzes den oberen Besoldungskategorien des Kantons Genf zugestand, verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht (E. 5). aArt. 23A des Gesetzes hat keine wohlerworbenen Rechte zu Gunsten der diese Entschädigung erhaltenden Besoldungsgruppen geschaffen (E. 6).
143 I 92 (1C_511/2015) from 12. Oktober 2016
Regeste: Art. 34 Abs. 1 und 2 BV; Wahl eines kantonalen Parlaments in einem gemischten Wahlverfahren, welches Elemente sowohl des Majorz- als auch des Proporzprinzips enthält. Die Erfolgswertgleichheit als Teilgehalt der Wahlrechtsgleichheit hat wahlkreisübergreifenden Charakter, indem sie auch eine innerhalb des gesamten Wahlgebiets gleiche Verwirklichung des Erfolgswerts bedingt. Wenn sich ein Kanton zum Proporzwahlverfahren bekennt, bleibt für eine rein wahlkreisbezogene Verwirklichung der Proportionalität kein Platz (E. 3). Soweit bei der Wahl eines kantonalen Parlaments das Proporzwahlverfahren zur Anwendung gelangt, lassen sich auch in einem gemischten Wahlsystem Wahlkreise, die gemessen am Leitwert eines grundsätzlich noch zulässigen natürlichen Quorums von 10 % deutlich zu klein sind, nicht rechtfertigen (E. 5). Ein gemischtes Wahlsystem ist unter bestimmten Voraussetzungen mit der Bundesverfassung vereinbar (E. 6.1-6.3). Eine Sitzgarantie für kleine Gemeinden, die einen eigenen Wahlkreis bilden, kann mit der Wahlrechtsgleichheit vereinbar sein, selbst wenn das Verhältnis zwischen der den Wahlkreisen zugeteilten Sitzzahl und der repräsentierten Bevölkerung teilweise stark variiert (E. 6.4).
143 I 137 (2C_519/2015) from 12. Januar 2017
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 2 BV; Art. 82 lit. b BGG; Besteuerung des Eigenmietwerts; Rechtsgleichheit; horizontale Steuergerechtigkeit; abstrakte Normenkontrolle. Grundzüge des bundesgerichtlichen Verfahrens auf abstrakte Normenkontrolle (E. 2.2 und 2.3). Verfassungsrechtliche Vorgaben im Hinblick auf die Besteuerung des Eigenmietwerts. Der Eigenmietwert hat nach dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) grundsätzlich dem Marktmietwert zu entsprechen. Abweichungen vom Marktmietwert nach unten sind nur zulässig, wenn sie die Grenze von 60 % nicht unterschreiten (E. 3.2-3.4). Bestätigung dieser Rechtsprechung (E. 4.5). Führt eine kantonale Steuerordnung in einer beträchtlichen Zahl von Fällen zu Abweichungen von mehr als 40 % vom Marktmietwert, ist sie mit Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 2 BV unvereinbar (E. 4.5.2). Die basel-landschaftliche Regelung, welche in Einzelfällen eine Erhöhung zu tiefer Eigenmietwerte vorsieht, vermag systembedingte Verstösse gegen das Rechtsgleichheitsgebot nicht zu beseitigen, zumal eine gerichtliche Korrektur der Verfassungswidrigkeit ausserhalb einer abstrakten Normenkontrolle kaum je möglich ist (E. 4.5.3).
143 I 177 (2C_384/2016) from 6. März 2017
Regeste: Art. 9 BV; § 36 Abs. 1 Ziff. 1 VöB/TG; Vergaberecht; willkürliche Zuschlagserteilung an einen Anbieter, der ein Eignungskriterium nicht erfüllt. Eignungskriterien sollen sicherstellen, dass im Vergabeverfahren nur jene Bieter eine Chance haben, die den konkreten Auftrag gehörig erbringen können. Das Nichterfüllen eines Eignungskriteriums hat den Ausschluss aus dem Verfahren zur Folge, ausser wenn die Mängel geringfügig sind und der Ausschluss unverhältnismässig wäre. Unterbleibt bei einem schweren Mangel der Ausschluss des Anbieters, wird kantonales Recht qualifiziert falsch angewendet (E. 2.1-2.4). Im Vergaberecht ist der Sachverhalt massgebend, wie er sich im Zeitpunkt des Vergabeentscheids präsentiert und nicht derjenige bei der Beurteilung einer allfälligen Beschwerde (E. 2.5 und 2.6).
143 I 227 (2C_501/2015, 2C_512/2015) from 17. März 2017
Regeste: Art. 29a und 127 BV; Art. 6 EMRK; Gebühren- und Entschädigungstarif des waadtländischen Kantonsgerichts in Verwaltungsangelegenheiten (TFJDA/VD); steuerrechtliche Prinzipien; Kausalabgaben; Rechtsweggarantie. Das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip erlauben bei Kausalabgaben eine Aufweichung der Anforderungen des Legalitätsprinzips, sofern die streitbetroffene Bestimmung darauf abzielt oder zum Ergebnis führt, dass die Gesamtheit der Kosten einer staatlichen Leistung auf die jeweiligen Empfänger überwälzt wird. Dies ist bei Gerichtsgebühren nicht der Fall. Aus diesem Grund hat der formelle Gesetzgeber deren Höhe zu begrenzen (E. 4-4.4). Relativierung dieses Grundsatzes angesichts der Besonderheiten der abstrakten Normenkontrolle sowie der Gebührenpraxis der waadtländischen Gerichte (E. 4.5). Die Pflicht zur Bezahlung von verhältnismässigen Gerichtsgebühren verletzt die Rechtsweggarantie nicht (E. 5).
143 I 272 (2C_756/2015) from 3. April 2017
Regeste: Art. 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 und 2, Art. 189 Abs. 1 lit. e BV; Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG; Art. 83 und 84 KV/ZH; § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 177 GG/ZH in der Fassung vom 20. April 2015; Normenhierarchie auf kantonaler Ebene; abstrakte (hauptfrageweise) Normenkontrolle. Vorrang einer Kantonsverfassung gegenüber dem übrigen kantonalen und dem kommunalen Recht (E. 2.2). Bedeutung der Schulgemeinden und der politischen Gemeinden (Einwohnergemeinden) nach dem Staatsrecht des Kantons Zürich (E. 2.3). Art. 84 Abs. 2 KV/ZH verlangt für den Zusammenschluss einer Schulgemeinde mit einer politischen Gemeinde, dass seitens der Schulgemeinde die Mehrheit der Stimmenden zustimmt. Diese Regelung begründet eine kantonale, durch den Bund gewährleistete Garantie zugunsten der Schulgemeinden. Solche sind daher vor Bundesgericht legitimiert, gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 177 des revidierten Gemeindegesetzes vorzugehen, das diese Mitwirkung ausschliesst (E. 2.4). § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 177 GG/ZH entziehen sich jeder verfassungskonformen Auslegung, weshalb sie aufzuheben sind (E. 2.5).
143 I 361 (1C_267/2016) from 3. Mai 2017
Regeste: Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 19 i.V.m. Art. 62 Abs. 2, Art. 61a und Art. 62 Abs. 4 BV; Art. 15 Abs. 3 und Art. 21 SpG i.V.m. Art. 70 Abs. 4 und 5 BV; Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 KV/GR; Beschwerde wegen Verletzung politischer Rechte. Beurteilung der Frage, ob eine in der Form der allgemeinen Anregung eingereichte kantonale Volksinitiative wegen offensichtlichen Widerspruchs zu übergeordnetem Recht für ungültig zu erklären ist. Die Ungültigerklärung einer in der Form der allgemeinen Anregung eingereichten Initiative wegen Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht setzt im Kanton Graubünden voraus, dass eine Umsetzung der Initiative ohne offensichtlichen Widerspruch zum übergeordneten Recht von vornherein ausgeschlossen erscheint (E. 3). Gemäss dem Begehren der Volksinitiative "Nur eine Fremdsprache in der Primarschule" könnten die Primarschüler aus den italienisch- und rätoromanischsprachigen Regionen einzig in der Fremdsprache Deutsch und die Primarschüler aus den deutschsprachigen Regionen einzig in der Fremdsprache Englisch obligatorisch unterrichtet werden (E. 4). Im Umstand, dass gemäss der Initiative die Schüler aus den italienisch- und rätoromanischsprachigen Regionen in der Primarschule nicht obligatorisch in der Fremdsprache Englisch und die Schüler aus den deutschsprachigen Regionen nicht obligatorisch in einer zweiten Landessprache unterrichtet werden, ist kein offensichtlicher Verstoss gegen das Rechtsgleichheitsgebot oder das Diskriminierungsverbot zu erblicken (E. 5). Weiter steht die Initiative nicht in einem offensichtlichen Widerspruch zum Anspruch auf einen ausreichenden Grundschulunterricht (E. 6), zum verfassungsrechtlichen Harmonisierungsgebot sowie zu den bundesrechtlichen Zielvorgaben im Bereich des Schulwesens (E. 7 und 8) oder zum Grundsatz der Gleichwertigkeit der Landes- und Amtssprachen im Kanton Graubünden (E. 9).
143 II 8 (2C_916/2014, 2C_917/2014) from 26. September 2016
Regeste: Art. 58 Abs. 1 lit. a und b sowie Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG; Art. 24 Abs. 1 lit. a und Art. 25 Abs. 1 lit. a StHG; Art. 127 Abs. 1 und Abs. 2 BV; geschäftsmässige Begründetheit und steuerliche Absetzbarkeit von Bussen und anderen pönalen Sanktionen gegenüber juristischen Personen. Bussen und andere finanzielle Sanktionen mit pönalem Charakter, die juristischen Personen aus eigener Verantwortung auferlegt wurden, stellen keinen geschäftsmässig begründeten Aufwand dar. Dies ergibt sich sowohl aus einer grammatikalisch-historischen Auslegung des Gesetzestextes (E. 7.2) als auch aus einer systematischen Auslegung unter Einbezug des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung (E. 7.3) sowie der steuerlichen Einordnung von Bestechungszahlungen (E. 7.4). Hierdurch wird überdies eine Gleichbehandlung mit selbständig erwerbstätigen natürlichen Personen gewährleistet (E. 7.5). Auch die grundsätzliche Wertneutralität des Steuerrechts führt zu keinem anderen Ergebnis (E. 7.6). Anders verhält es sich einzig bei gewinnabschöpfenden Sanktionen, soweit sie keinen pönalen Zweck verfolgen: Diese stellen geschäftsmässig begründeten Aufwand dar und sind mithin steuerlich abziehbar (E. 7.7). Die grundsätzliche Nichtabsetzbarkeit von Bussen und anderen finanziellen Sanktionen mit pönalem Charakter ist auch mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip von Art. 127 Abs. 2 BV zu vereinbaren: Diesem wird bei der Gewinnsteuer juristischer Personen dadurch Rechnung getragen, dass geschäftsmässig begründete Aufwendungen bei der Berechnung des Reingewinns gemäss Erfolgsrechnung berücksichtigt werden können und dieser den Ausgangspunkt der Bemessung der Gewinnsteuer bildet. Erweist sich eine Aufwendung demgegenüber als nicht geschäftsmässig begründet, so stellt ihre Aufrechnung zum Reingewinn gemäss Erfolgsrechnung weder eine Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips noch des Legalitätsprinzips im Abgaberecht gemäss Art. 127 Abs. 1 BV dar (E. 7.1).
143 II 87 (2C_8/2016) from 17. Oktober 2016
Regeste: Art. 15 ff. CO2-Gesetz (Emissionshandelssystem), Art. 45 ff. CO2-Verordnung; Treibhausgaseffizienz, kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten bei der Produktion von Steinwolle. Grundzüge des CO2-Emissionshandelssystems (E. 3) und der kostenlosen Zuteilung von Emissionsrechten (E. 4.1-4.3). Prüfprogramm des Bundesgerichts im Rahmen der konkreten Normenkontrolle (E. 4.4 und 4.5). Die Treibhausgaseffizienz von Anlagen als Massstab für die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten (Art. 19 Abs. 2 und 3 CO2-Gesetz) wird in der CO2-Verordnung für Produktionsprozesse, die mit Brennstoffen und Strom betrieben werden, gesetzeskonform konkretisiert (E. 5). Das formelle Gesetz enthält die Grundzüge des Emissionshandelssystems in hinreichender Bestimmtheit (E. 6.1). Die Zuteilung kostenloser Emissionsrechte verletzt das Verursacherprinzip (Art. 74 Abs. 2 BV) nicht, wenn zur Berechnung im konkreten Fall der europäische Strommix herangezogen wird (E. 6.2). Ein Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) im Verhältnis zu anderen Staaten besteht nicht (E. 6.3).
143 II 366 (8C_693/2016) from 4. Juli 2017
Regeste: Art. 8 Abs. 3 BV; Art. 3 GlG; (Lohn-)Gleichheit von Mann und Frau. Eine geschlechtsspezifische Diskriminierung der Lehrpersonen Primarstufe/ Einschulungsklasse durch das im Kanton Aargau geltende Lohnsystem für Lehrerinnen und Lehrer ist weder erstellt noch glaubhaft gemacht (E. 3).
143 II 495 (1C_95/2017) from 24. Mai 2017
Regeste: Art. 15a SVG; nachträgliche Verlängerung des Führerausweises auf Probe im Falle eines hängigen Gerichtsverfahrens nach Ablauf der dreijährigen Probezeit. Nach Ablauf der dreijährigen Probezeit nimmt die Gültigkeit des Führerausweises auf Probe automatisch ein Ende. Anschliessend muss die Verwaltungsbehörde den definitiven Führerausweis - zumindest provisorisch - erteilen, sofern dessen Voraussetzungen erfüllt sind, auch wenn ein Gerichtsverfahren hängig ist, das zu einem Entzug des Führerausweises auf Probe und seiner Verlängerung um ein Jahr führen kann. Wird der Entscheid über den Entzug des Führerausweises auf Probe und seiner Verlängerung um ein Jahr bestätigt, zählen die Dauer des Verfahrens und die Zeitspanne, während welcher der Betroffene provisorischer Inhaber des definitiven Führerausweises war, nicht als Probezeit. Die Verlängerung um ein Jahr beginnt am Ende des Vollzugs des Führerausweisentzugs und muss ab diesem Zeitpunkt vollständig vollstreckt werden (E. 4.4). Diese Lösung drängt sich aufgrund der Systematik des Bundesrechts und aus Gründen der Rechtssicherheit auf, obschon sie nicht gänzlich zu überzeugen vermag (E. 4.5).
143 III 51 (5A_355/2016) from 21. November 2016
Regeste: Art. 27 Abs. 1, Art. 31 und 96 IPRG; Art. 98 BGG; Anerkennung einer erbrechtlichen Urkunde des Auslands, schweizerischer (materieller) Ordre public. Der Entscheid über die Anerkennung einer - vorliegend erbrechtlichen - Urkunde des Auslands ist keine vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 BGG (E. 2.3). Die Ehefrau christlichen Glaubens von jeglicher Erbberechtigung am Nachlass ihres Ehemannes muslimischer Religionszugehörigkeit auszuschliessen, verstösst gegen den schweizerischen Ordre public (E. 3.3).
143 III 284 (5A_390/2016) from 17. Mai 2017
Regeste: Art. 32 IPRG; Eintragung einer ausländischen Entscheidung oder Urkunde über eine Geschlechtsumwandlung in die schweizerischen Zivilstandsregister. Die Geschlechtsumwandlung, die durch den Konsul eines ausländischen Staates in der Schweiz ausgesprochen wurde, kann in die schweizerischen Zivilstandsregister nicht eingetragen werden (E. 4 und 5).
143 III 385 (5A_630/2016) from 29. Mai 2017
Regeste: Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG; Anspruch eines Bezügers einer liechtensteinischen AHV-Rente auf absoluten Pfändungsschutz. Offengelassen, ob die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit auf die Frage der Pfändbarkeit ausländischer Sozialversicherungsrenten sachlich anwendbar ist (E. 3.3). Die liechtensteinische AHV-Rente ist in der Schweiz grundsätzlich absolut unpfändbar (E. 4).
143 V 81 (9C_307/2016) from 29. März 2017
Regeste: Art. 4, Art. 5 und Art. 32 ELG; Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681); Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1); Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (AS 2015 345): ratione temporis, materiae und personae für Ergänzungsleistungen gemäss ELG im Anwendungsbereich des FZA und seiner Verordnungen. Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die Ergänzungsleistungen gemäss ELG in den Anwendungsbereich von Anhang II FZA und seiner Verordnungen fallen, insbesondere auch im Lichte der neuen Verordnung (EU) Nr. 465/2012 (E. 7.1). Die in der Schweiz wohnhafte Nicht-EU-Staatsbürgerin, die mit einem Schweizer Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft, davon eine EU-Staatsbürgerschaft, verheiratet ist, hat einen eigenen Anspruch auf Ergänzungsleistungen (E. 7.2), den sie als Familienangehörige eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats geltend machen kann (Art. 2 Abs. 1 der Verordnung [EG] Nr. 883/2004; E. 8.2.2). Die Voraussetzung für die Anwendung des FZA ratione personae (E. 8.1): nebst der Voraussetzung der Nationalität (E. 8.2.1) oder des Familienstatus (E. 8.2.2) ist ein grenzüberschreitender Sachverhalt notwendig (E. 8.3). Letzterer ist nicht gegeben durch den blossen Besitz einer doppelten Staatsbürgerschaft, sprich einer Staatsbürgerschaft eines anderen Mitgliedstaats neben derer des Wohnsitzstaats. Der grenzüberschreitende Sachverhalt ist nämlich nur gegeben, falls das eigene Recht auf Personenfreizügigkeit auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats ausgeübt wird (E. 8.3.3.2). Eine Inländerdiskriminierung resultiert daraus nicht (E. 8.3.3.2).
143 V 114 (9C_56/2017) from 23. Mai 2017
Regeste: Art. 13 Abs. 2 ATSG; Art. 6 Abs. 2, Art. 9 Abs. 3 lit. a und b sowie Art. 13 IVG; versicherungsmässige Voraussetzungen in Bezug auf Eingliederungsmassnahmen bei im Ausland invalid geborenen Kindern. Nach Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen namentlich unter zwanzigjährige ausländische Staatsangehörige mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie - nebst anderen versicherungsmässigen Voraussetzungen - selber im Ausland invalid geboren sind und ihre Mutter sich dort unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei Monaten aufgehalten hat (E. 2). Für die Berechnung der zweimonatigen Aufenthaltsdauer ist vom Tag der tatsächlichen Niederkunft zwei Monate zurückzurechnen (E. 4). Das Tatbestandsmerkmal des "sich Aufhaltens" ist im Sinne einer blossen (physischen) Anwesenheit, nicht aber als qualifizierter(er) "gewöhnlicher Aufenthalt" gemäss Art. 13 Abs. 2 ATSG zu verstehen (E. 5).
143 V 139 (9C_305/2016) from 23. Mai 2017
Regeste: Art. 65d Abs. 1 KVV (in der bis 31. Mai 2015 geltenden Fassung); dreijährliche Überprüfung der Bedingungen für die Aufnahme in die Spezialitätenliste; massgebender Vergleichspreis beim therapeutischen Quervergleich. Die Auslegung von Art. 65d Abs. 1 KVV, wonach beim therapeutischen Quervergleich auf den per 1. November des Überprüfungsjahres vorgesehenen Fabrikabgabepreis des gleichzeitig überprüften Vergleichsarzneimittels abzustellen ist, hält vor Bundesrecht stand (E. 6).
143 V 208 (9C_304/2016) from 23. Mai 2017
Regeste: Art. 53k BVG; Art. 32 ASV; Tochtergesellschaften im Anlagevermögen einer Anlagestiftung. Die Bestimmung von Art. 32 Abs. 1 ASV ist gesetzeskonform (E. 5.3). Sie tangiert auch nicht die Wirtschaftsfreiheit (E. 6.1.2) und die Eigentumsgarantie (E. 6.2.2). In concreto spricht kein verfassungsrechtlicher Aspekt gegen ihre Anwendung (E. 6.3-6.5).
143 V 241 (8C_83/2016) from 28. Juni 2017
Regeste: a Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 ATSV; Art. 132 Abs. 1 ZGB; Rückerstattung zu Unrecht ausgerichteter Leistungen; Anteil an Invalidenrente. Die geschiedene Ehefrau ist nach Art. 25 Abs. 1 ATSG für einen im Rahmen einer Drittauszahlung gestützt auf eine zivilgerichtlich angeordnete Schuldneranweisung (Art. 132 Abs. 1 ZGB) zu Unrecht bezogenen IV-Stammrentenanteil nicht rückerstattungspflichtig, nachdem der Leistungsanspruch des geschiedenen Ehemannes rückwirkend dahingefallen ist (E. 4).
143 V 254 (9C_121/2017) from 6. Juni 2017
Regeste: Art. 10 Abs. 1 und 3 AHVG; Art. 28 Abs. 1 AHVV; Art. 8 und Art. 26 Abs. 1 BV; Beiträge Nichterwerbstätiger. Die Bemessung der Beiträge Nichterwerbstätiger auf der Grundlage des Vermögens hält auch nach der auf den 1. Januar 2013 geänderten Beitragsskala vor Gesetz und Verfassung Stand (E. 6.3). Frage offengelassen, ob Nichterwerbstätige, welche der Beitragsbemessung auf der Grundlage des Vermögens durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit entgehen könnten, die Eigentumsgarantie anrufen können (E. 6.4.2).
143 V 295 (8C_228/2017) from 14. Juni 2017
Regeste: Art. 16 ATSG; Art. 18 Abs. 1 UVG; Einkommensvergleich; Festsetzung des Invalideneinkommens aufgrund der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2012 des Bundesamtes für Statistik (LSE 2012). Anwendbarkeit der LSE 2012 auf die Invaliditätsbemessung in der obligatorischen Unfallversicherung (E. 2-4).
144 I 1 (2C_206/2016) from 7. Dezember 2017
Regeste: Art. 19 BV; § 39 Abs. 1 und 2 VG/TG. Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Schulunterricht. Abstrakte Normenkontrolle. Der Anspruch auf unentgeltlichen Unterricht umfasst alle notwendigen und unmittelbar dem Unterrichtszweck dienenden Mittel. Einschränkende Konkretisierungen durch den Gesetzgeber sind daran zu messen, ob sie mit dem verfassungsrechtlich garantierten Minimalgehalt noch zu vereinbaren sind (E. 2). Aufwendungen für Exkursionen und Lager gehören zum notwendigen und somit zwingend unentgeltlichen Unterricht, sofern eine Pflicht zur Teilnahme besteht. Für solche Veranstaltungen dürfen den Eltern nur diejenigen Kosten in Rechnung gestellt werden, die sie aufgrund der Abwesenheit ihrer Kinder einsparen. Sie beschränken sich auf die Verpflegung der Kinder, da die Eltern die Unterkunft auch bei deren Abwesenheit bereithalten müssen (E. 3.1). Erachtet eine Schule einen Sprachkurs als notwendig, damit das betroffene Kind ein ausreichendes Bildungsangebot erhält, muss dieser zwingend unentgeltlich erfolgen. Dasselbe gilt für allenfalls benötigte Dolmetscherdienste (E. 3.2). § 39 Abs. 1 und 2 VG/TG widersprechen diesen verfassungsmässigen Vorgaben und sind folglich aufzuheben (E. 3.3).
144 I 50 (2C_499/2015) from 6. September 2017
Regeste: Art. 28 BV, Art. 11 EMRK, Art. 22 UNO-Pakt II, Art. 8 UNO-Pakt I, ILO-Übereinkommen Nr. 87 und 98, insb. Art. 3 ILO-Übereinkommen Nr. 87; Regierungsbeschluss, welcher den Gewerkschaften grundsätzlich den Zutritt zu den Gebäuden verbietet, die der Staat - ausser als deren Eigentümer - auch als Arbeitgeber verwaltet, und welcher die Ausübung gewerkschaftlicher Tätigkeiten im Gebäudeinnern bestimmten Bedingungen unterwirft. Inhalt und Tragweite der Koalitionsfreiheit gemäss Art. 28 BV, besonders in Bezug auf die Tätigkeiten der Gewerkschaften (E. 4.1). Hinweis auf die Normen des internationalen Rechts, welche diese Freiheit ebenfalls schützen (E. 4.2). Darstellung der (nicht einhellig vertretenen) Auffassung der Lehre zur Frage des Zutrittsrechts der Gewerkschaftsvertreter zu den Gebäuden einer Unternehmung sowie der "abgeleiteten Rechte", welche die Internationale Arbeitsorganisation als unabdingbar erachtet, um die Ausübung der Koalitionsfreiheit effektiv sicherzustellen (E. 4.3). Das Urteil 6B_758/2011 vom 24. September 2012 ist hier nicht massgeblich, weil das Recht auf Zugang zum Arbeitsort öffentliche Gebäude und nicht privaten Grund betrifft (E. 5.1-5.3). Der Staat muss unter anderem die Gewerkschaften in die Lage versetzen, dass sie ihre Aktivitäten tatsächlich frei gestalten können (E. 5.3.2), im Einklang mit den Verpflichtungen des internationalen Rechts, namentlich der ILO-Übereinkommen Nr. 87 und 98; wie weit diese self-executing-Charakter haben, ist nicht entscheidend, da sie sich teilweise mit Art. 11 EMRK und Art. 22 UNO-Pakt II überschneiden (E. 5.3.3). Zugehörigkeit der Gebäude der Kantonsverwaltung zum Verwaltungsvermögen des Staates und Modalitäten betreffend den gewöhnlichen Gebrauch und/oder den ausserordentlichen Gebrauch der öffentlichen Güter (E. 6.2.1). Der Staat muss die Grundrechte einhalten (E. 6.3). Das Recht auf Zutritt zu den Verwaltungsgebäuden ist ein wesentlicher Teilgehalt der Koalitionsfreiheit (E. 5.3.3.1, 5.3.3.2 und 5.4). Wenngleich das hier beanstandete System, welches den Gewerkschaften den Zutritt zu den Verwaltungsgebäuden grundsätzlich verweigert, und welches die Ausübung von gewerkschaftlichen Tätigkeiten im Gebäudeinnern bestimmten Bedingungen unterwirft, von einem relevanten öffentlichen Interesse getragen wird (E. 6.4.1), stellt es dennoch einen übermässigen Eingriff in die Koalitionsfreiheit dar. Es ist somit unverhältnismässig und wird aufgehoben. Einladung an die betreffenden Parteien, auf dem Verhandlungsweg eine Einigung zu suchen, sowie Beispiele für zulässige Massnahmen (E. 6.4.2 und 6.4.3).
144 I 113 (8C_162/2018) from 4. Juli 2018
Regeste: Art. 8, 9 und 49 Abs. 1 BV; aArt. 39 des Reglementes des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 14. März 2016 für das Lehrpersonal, das der Direktion für Erziehung, Kultur und Sport untersteht (LPR; in der bis Ende April 2018 in Kraft gewesenen Fassung). Die vorinstanzliche Auslegung von aArt. 39 LPR, wonach Ferien, die in den Mutterschaftsurlaub fallen, in der unterrichtsfreien Zeit vor- oder nachbezogen werden können, verstösst weder gegen das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 BV) noch gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) oder gegen das Gebot des Vorrangs und der Einhaltung von Bundesrecht (Art. 49 BV) (E. 5-8).
144 I 193 (1C_221/2017, 1C_223/2017) from 18. April 2018
Regeste: Art. 10, Art. 48, Art. 59 Abs. 2 lit. a und Art. 109 KV/BE, Art. 5 Abs. 2, Art. 8, Art. 34 Abs. 1 und Art. 50 Abs. 1 BV; Ungültigerklärung einer kantonalen Gesetzesinitiative (Volksinitiative) im Kanton Bern wegen Verstosses gegen übergeordnetes Recht. Kriterien für die Beurteilung der materiellen Rechtmässigkeit einer kantonalen Volksinitiative; Bedeutung des Wortlauts der Initiative, insbesondere bei einer ausformulierten Gesetzesinitiative (E. 7.3). In Verbindung mit der Rüge der Verletzung ihrer Autonomie kann sich eine Gemeinde auf weitere Verfassungsrechte und -grundsätze berufen (E. 7.4.1). Die für ungültig erklärte Volksinitiative schränkt die der Stadt Bern im Bereich der lokalen Kulturförderung zukommende Autonomie durch eine finanzielle Sanktion faktisch übermässig ein und hält auch vor dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht stand (E. 7.4.2-7.4.5). Die Initiative verstösst ausserdem gegen das Rechtsgleichheitsgebot (E. 7.4.6).
144 I 306 (8C_80/2018) from 9. Oktober 2018
Regeste: Art. 28 Abs. 4, Art. 36 BV; Art. 27 Abs. 4, Art. 38 KV/FR; abstrakte Kontrolle des Gesetzes vom 17. November 2017 zur Änderung des Gesetzes des Kantons Freiburg vom 17. Oktober 2001 über das Staatspersonal (StPG/FR); Streikverbot für das Pflegepersonal. Anerkennung des Streikrechts und Einschränkungen seiner Ausübung (E. 4.3.1-4.3.3). Entwicklung des Streikrechts im öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis auf kantonaler Ebene (E. 4.3.4). Lehre zu den Grenzen des Streikrechts im Bereich der Gesundheitspflege (E. 4.3.5). Prüfung der Massnahme hinsichtlich der Voraussetzungen für Grundrechtseinschränkungen (E. 4.4). Das im neuen Art. 68 Abs. 7 StPG/FR vorgesehene Streikverbot für das Pflegepersonal betrifft die dem StPG/FR unterstellten Beschäftigten der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen des Kantons Freiburg in undifferenzierter Weise (E. 4.4.3.2). Die fehlende Beschränkung auf das für den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Patienten absolut unverzichtbare Personal ist unverhältnismässig, zumal bereits die rechtmässige Ausübung des Streiks sehr strengen Voraussetzungen unterliegt. Die in den Art. 68 und 68a StPG/FR vorgesehene Regelung bietet hinreichende Garantien, um die für die Bevölkerung unabdingbaren Leistungen im Gesundheitsbereich nicht zu gefährden (E. 4.4.3.3). Die in den parlamentarischen Beratungen für die Massnahme genannten Gründe vermögen einen so schweren Eingriff ins Streikrecht nicht zu rechtfertigen (E. 4.4.3.4).
144 II 65 (8C_56/2017) from 21. Februar 2018
Regeste: Art. 8 Abs. 3 Satz 3 BV; Art. 3 und 6 GIG; Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer Lohndiskriminierung. Bei kollektiven Diskriminierungskonstellationen wird gewöhnlich ein Beruf oder eine Funktion als Gesamtes mit Vergleichsfunktionen verglichen. Das Bundesgericht lässt offen, ob eine innerhalb einer Funktion sich bildende Gruppe von erfahreneren Kindergartenlehrpersonen separat eine geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung geltend machen kann (E. 6). Die Glaubhaftmachung einer Geschlechterdiskriminierung erfordert einen Vergleich von Verdienstmöglichkeiten aus verschiedenen Tätigkeiten und zudem ist aufzuzeigen, aus welchen Gründen von einer Gleichwertigkeit der genannten Funktionen auszugehen ist (E. 7).
144 V 2 (9C_773/2016) from 12. Januar 2018
Regeste: Art. 9 Abs. 2 und Art. 16 IVG; Art. 2 AHVG; Art. 3 Abs. 1 Bst. c und Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; versicherungsmässige Voraussetzungen einer erstmaligen beruflichen Ausbildung im Fall eines Kindes mit Wohnsitz in der Europäischen Union und einem in der Schweiz arbeitenden Elternteil. Eine erstmalige berufliche Ausbildung (Art. 16 IVG) gilt als Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Bst. c der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (E. 5.3). Die auf Art. 9 Abs. 2 IVG gestützte Ablehnung einer erstmaligen beruflichen Ausbildung der schweizerischen Invalidenversicherung gegenüber einem nicht durch die AHV/IV versicherten Kind eines in der Schweiz tätigen, aber in der Europäischen Union wohnhaften Arbeitnehmers mit Unionsbürgerschaft führt nicht zu einer (direkten oder indirekten) Diskriminierung im Sinne von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (E. 7).
144 V 20 (9C_796/2016) from 22. Dezember 2017
Regeste: Art. 35b Abs. 10 lit. a KLV (in der von 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2015 in Kraft gestandenen Fassung); dreijährliche Überprüfung der Bedingungen für die Aufnahme in die Spezialitätenliste; massgebender Preisabstand bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Generika von Originalpräparaten mit geringem Marktvolumen. In den Genuss des Preisabstands gemäss Art. 35b Abs. 10 lit. a KLV kommen auch jene Generika von Originalpräparaten mit geringem Marktvolumen, die vor dem 1. Januar 2012 in die Spezialitätenliste aufgenommen worden sind (E. 6.1-6.3).
144 V 35 (8C_464/2017) from 20. Dezember 2017
Regeste: Art. 8 und Art. 9 Abs. 1 FamZG; Auszahlung der Familienzulagen an Dritte. Kann die Person, für welche die Familienzulagen bestimmt sind (oder ihr gesetzlicher Vertreter) nachweisen, dass die anspruchsberechtigte Person die Zulagen entgegen Art. 8 FamZG nicht weiterleitet, ist die Drittauszahlung nach Art. 9 Abs. 1 FamZG ohne Weiterungen zu bewilligen. Es kann nicht Sinn der Drittauszahlungsregelung sein, in prekären Fällen eine Vorprüfung der bedürfnisgerechten Verwendung des Geldes durch die Familienausgleichskasse zu fordern (E. 5.3).
144 V 50 (8C_409/2017) from 21. März 2018
Regeste: Lit. a Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des IVG (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket); Aufhebung einer Invalidenrente. Anwendungsbeispiel für die Indikatorenprüfung nach BGE 141 V 281 auf der Grundlage eines Gutachtens, das bereits nach den Vorgaben von BGE 141 V 281 erstellt wurde (E. 3-6).
144 V 153 (8C_440/2017) from 25. Juni 2018
Regeste: Art. 61 lit. d ATSG; reformatio in peius im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren. Seiner Zielsetzung und systematischen Stellung entsprechend setzt Art. 61 lit. d ATSG nicht voraus, dass ein kantonales Versicherungsgericht einen angefochtenen Entscheid nur dann in peius reformieren darf, wenn dieser zweifellos unrichtig und die Korrektur von erheblicher Bedeutung ist (Bereinigung der Rechtsprechung; E. 4).
144 V 184 (9C_202/2018) from 23. April 2018
Regeste: Art. 29, 64 Abs. 7 KVG; Beteiligung an den Behandlungskosten bei Schwangerschaftskomplikationen. Die Rechtsprechung, wonach Behandlungskosten bei Schwangerschaftskomplikationen Krankheitskosten darstellen, gilt unter der seit 1. März 2014 in Kraft stehenden Fassung von Art. 64 Abs. 7 KVG weiter. Versicherte, die vor der dreizehnten Schwangerschaftswoche solche Leistungen beanspruchen, sind von der Kostenbeteiligung nicht ausgenommen (E. 4.3). Im vorliegenden Fall entspricht die Behandlung bei einer ektopen Schwangerschaft (extrauterine Schwangerschaft) - die als pathologische und nicht als Risikoschwangerschaft gilt - vor der dreizehnten Schwangerschaftswoche nicht einer spezifischen Leistung bei Mutterschaft im Sinne von Art. 29 Abs. 2 KVG. Sie ist auch unter dem Titel der Leistungen bei Krankheit im Zusammenhang mit der Mutterschaft gemäss Art. 64 Abs. 7 lit. b KVG nicht von der Kostenbeteiligung ausgenommen (E. 4.3-4.5).
144 V 299 (8C_716/2017) from 20. August 2018
Regeste: Art. 7 Abs. 1 lit. c und d FamZG; Anspruchskonkurrenz. Besteht eine klare Übereinkunft unter den geschiedenen Eltern, wonach das Kind wochenweise alternierend bei Mutter und Vater lebt, und entspricht dies auch den gelebten Verhältnissen, so ist darauf abzustellen, weshalb der Anspruch auf Familienzulagen in diesem Fall nicht nach Art. 7 Abs. 1 lit. c FamZG festgelegt werden kann. Der zivilrechtliche Wohnsitz des Kindes ist bei der Prüfung der Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 1 lit. c FamZG nicht massgebend (E. 5.2). Da sich der Wohnsitzkanton des Kindes gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. d FamZG bei einer paritätischen alternierenden Obhut nicht anhand der Obhutsregelung ermitteln lässt, muss der Lebensmittelpunkt gestützt auf weitere Kriterien festgelegt werden. Der Wohnsitz befindet sich an dem Aufenthaltsort, zu dem die engsten Beziehungen bestehen (E. 5.3).
145 I 52 (1C_358/2017) from 5. September 2018
Regeste: a Gemeindeautonomie, Rechtsweggarantie und kantonale Verfahrensautonomie; Art. 50 Abs. 1 und Art. 29a BV; § 238 PBG/ZH; § 20 Abs. 1 VRG. Das Baurekursgericht des Kantons Zürich darf auch dann, wenn es nach § 20 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich (VRG) eine Angemessenheitsprüfung vorzunehmen hat, einen Einordnungsentscheid der kommunalen Baubehörde nur aufheben, wenn diese bei der Anwendung der Ästhetikregelung in § 238 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich (PBG/ZH) den durch die Gemeindeautonomie gewährleisteten Beurteilungs- und Ermessensspielraum überschritten hat (E. 3; Präzisierung der Rechtsprechung). Verlangt die Baubehörde aus ästhetischen Gründen eine Reduktion der grundsätzlich zugelassenen Baumasse, muss diese Reduktion durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt werden (E. 4).
145 I 73 (1C_188/2018) from 13. Februar 2019
Regeste: Art. 4 und 5 Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, Art. 17 und 27 UNO-Pakt II, Art. 2 FZA, Art. 6 und 8 EMRK, Art. 8, 9, 13, 24, 26, 27, 29, 29a und 30 BV; abstrakte Kontrolle des Neuenburger Gesetzes über Lagerplätze fahrender Gemeinschaften (LSCN). Konventions- und verfassungsrechtlicher Rahmen zum Schutz fahrender Gemeinschaften (E. 4). Das LSCN begründet keine Ungleichbehandlung zwischen den fahrenden Gemeinschaften und der sesshaften Bevölkerung (E. 5.2); es verletzt das Diskriminierungsverbot nicht, indem es Plätze für den Aufenthalt und die Durchreise von "schweizerischen fahrenden Gemeinschaften" und Plätze für die Durchreise von "anderen fahrenden Gemeinschaften" vorsieht (E. 5.3). Das LSCN ist sowohl mit der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) als auch mit der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) vereinbar (E. 6). Die Räumung eines rechtswidrigen Lagers - vorgesehen in den Art. 24 bis 28 LSCN - verletzt weder den Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) noch die Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV) noch die Allgemeinen Verfahrensgarantien (Art. 29 BV) noch die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) noch die gerichtlichen Verfahrensgarantien (Art. 30 BV) (E. 7).
145 I 142 (2C_927/2017) from 29. Oktober 2018
Regeste: Sonderschulung; Massnahmen der Sonderpädagogik zwischen 18 und 20 Jahren. Art. 5 und 24 des Übereinkommens vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen; Art. 8 und 62 BV; interkantonale Vereinbarung vom 25. Oktober 2007 über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik; Gesetz des Kantons Genf vom 17. September 2015 über die öffentliche Schule; Reglement des Kantons Genf vom 21. September 2011 über die Integration der Kinder und Jugendlichen mit besonderen Erziehungsbedürfnissen oder Behinderungen. Rechte, die jungen Personen mit Behinderungen im Bereich der Sonderschulung zwischen 18 und 20 Jahren zustehen. Die interkantonale Vereinbarung über die Sonderpädagogik und das Recht des Kantons Genfs sehen einen Anspruch auf Massnahmen der Sonderschulung bis zum Alter von 20 Jahren vor (E. 5). Das Erreichen der Volljährigkeit ist somit kein zulässiges Kriterium, um das Weiterführen solcher Massnahmen zu verweigern (E. 6). Eine Unterbringung in einer Einrichtung für Erwachsene ist dann nicht ausgeschlossen, wenn sich das Ende der Periode nähert, während der ein Anspruch auf Massnahmen der Sonderpädagogik besteht und die betroffene Person in Zukunft so oder so in einer solchen Einrichtung untergebracht werden wird. Diese Unterbringung muss mit den Interessen der behinderten Person im Einklang stehen; auch müssen die Massnahmen der Sonderpädagogik, auf welche die Betroffene bis zum Alter von 20 Jahren Anspruch hat, gewährleistet sein (E. 7).
145 I 207 (1C_338/2018) from 10. April 2019
Regeste: Eidgenössische Volksabstimmung vom Februar 2016 über die Volksinitiative "Für Ehe und Familie - gegen die Heiratsstrafe", Informationslage im Vorfeld der Abstimmung, nachträglich entdeckte krasse Unregelmässigkeiten, Auswirkung auf das Abstimmungsergebnis; Art. 5, 29, 29a, 34, 182 und 189 BV, Art. 10a, 11, 15 und 77 ff. BPR, Art. 82, 88, 89 und 100 BGG. Rechtsweg im Fall von nachträglich bekannt gewordenen Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit einer eidgenössischen Volksabstimmung (E. 1.1); Beschwerdefrist (E. 1.3); Verbot von echten Noven (E. 1.4); allgemeine Informationslage im Vorfeld einer Abstimmung als möglicher Beschwerdegegenstand (E. 1.5). Anforderungen an die Erläuterungen gegenüber den Stimmberechtigten, namentlich Grundsätze der Objektivität und Transparenz (E. 2). Falsche und lückenhafte Informationen, die vor der streitigen Abstimmung abgegeben wurden (E. 3.1-3.3); Verletzung der Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BV) (E. 3.4). Voraussetzungen für die Aufhebung einer Volksabstimmung bei nachträglich bekannt gewordenen Unregelmässigkeiten (E. 4.1); Auswirkung der Aufhebung einer eidgenössischen Volksabstimmung auf den Erwahrungsbeschluss des Bundesrats (E. 4.2); Aufhebung der streitigen eidgenössischen Volksabstimmung, weil die Unregelmässigkeiten krass sind, das Abstimmungsergebnis knapp ausfiel und die Rechtssicherheit gewahrt ist (E. 4.3).
145 I 259 (1C_495/2017) from 29. Juli 2019
Regeste: Art. 8, 34 Abs. 1 und 2 sowie Art. 51 Abs. 1 und 2 BV; Wahl eines kantonalen Parlaments in einem reinen Majorzverfahren. Ausführungen zum Verfahren für die Wahl des Grossen Rats des Kantons Graubünden (E. 3). Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit für das Verfahren für die Wahl eines kantonalen Parlaments (E. 4). Voraussetzungen für die Überprüfung von Bestimmungen einer Kantonsverfassung durch das Bundesgericht (E. 5). Die Grösse der schweizerischen Wohnbevölkerung als zulässiges Kriterium für die Verteilung der Sitze auf die Wahlkreise (E. 6). Frage der Zulässigkeit von Sitzgarantien für Wahlkreise mit zu geringer Bevölkerungszahl (E. 7). Voraussetzungen, unter denen ein reines Majorzverfahren für die Wahl eines kantonalen Parlaments mit der Wahlrechtsgleichheit vereinbar ist (E. 8).
145 II 153 (8C_594/2018) from 5. April 2019
Regeste: Art. 8 Abs. 2 und Abs. 3 BV; Art. 3 Abs. 1 GlG; direkte Diskriminierung. Mangels Geschlechtsspezifität ist eine direkte Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 1 GlG aufgrund der sexuellen Orientierung nicht möglich (E. 4).
145 II 206 (2C_851/2018) from 15. Februar 2019
Regeste: Art. 8 Abs. 1, 127 Abs. 2 und 3 BV; Art. 8 Abs. 1, 12 Abs. 1, 4 und 5 StHG; § 224a StG/ZH in der Fassung vom 23. Oktober 2017 zur Anrechnung von operativen Verlusten an Gewinne, die bei Veräusserung von Grundstücken des Geschäftsvermögens entstehen; abstrakte Normenkontrolle. Anders als die intertemporale Verlustverrechnung, die das StHG zwingend vorschreibt, ist es den Kantonen mit monistischem System überlassen, die steuerartübergreifende Verlustanrechnung von Betriebsverlusten an Gewinne aus der Veräusserung von Grundstücken des Geschäftsvermögens vorzusehen. Bis auf den Kanton Zürich ist dies überall geschehen (E. 2). Im interkantonalen Verhältnis ist die Verlustanrechnung durch Art. 127 Abs. 3 BV vorgeschrieben; sie entspricht auch im innerkantonalen Verhältnis der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ist nicht verfassungswidrig (E. 3).
145 V 75 (8C_630/2018) from 12. Februar 2019
Regeste: Art. 20 Abs. 2 UVG; Art. 33 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2 lit. a UVV; Art. 35 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 25 AHVG; Anrechnung der IV-Kinderrente bei der Komplementärrente. Die fehlende zivilrechtliche Unterhaltspflicht rechtfertigt kein Abweichen von der vollen Anrechenbarkeit der IV-Kinderrente eines mündigen, sich in Zweitausbildung befindenden Kindes bei der Festsetzung der Komplementärrente (E. 5.2).
145 V 141 (8C_253/2018) from 19. Februar 2019
Regeste: Art. 17 Abs. 1, Art. 31 Abs. 1 ATSG; Revision der Invalidenrente (der UV) bei einer Meldepflichtverletzung. Bei Revision einer Invalidenrente nach Art. 17 Abs. 1 ATSG, die auf einem Umstand gründet, der in Missachtung der Meldepflicht nach Art. 31 Abs. 1 ATSG von der versicherten Person dem Sozialversicherer nicht mitgeteilt wurde, ist die Rentenanpassung rückwirkend auf den Zeitpunkt des Eintritts der (pflichtwidrig nicht gemeldeten) Sachverhaltsänderung vorzunehmen, sofern die betreffende Sozialversicherung dafür keine Spezialnorm enthält (E. 7.3).
145 V 278 (8C_9/2019) from 22. August 2019
Regeste: Art. 42quater Abs. 3 IVG; Art. 39a lit. c IVV; Art. 42ter Abs. 3 IVG; Assistenzbeitrag für minderjährige versicherte Personen. Minderjährige versicherte Personen, denen ein Intensivpflegezuschlag nach Art. 42ter Abs. 3 IVG von mindestens 6 Stunden pro Tag ausgerichtet wird, haben Anspruch auf einen Assistenzbeitrag (E. 6).
145 V 304 (9C_540/2018) from 29. August 2019
Regeste: Art. 39 Abs. 1 lit. e, Art. 41 Abs. 1bis, Art. 49a Abs. 1 und 2 KVG; quantitative Beschränkung im Rahmen der Spitalplanung; anteilmässige Vergütung des Kantons bei ausserkantonaler Wahlbehandlung. Nach der Rechtsprechung (9C_151/2016; 9C_617/2017) kann eine im Leistungsauftrag festgehaltene Mengenbeschränkung, die sich nur auf die Einwohner des betreffenden Kantons bezieht, nicht von einem anderen Kanton angerufen werden, um die anteilmässige Vergütung der ausserkantonalen Wahlbehandlungen zu verweigern. Diese Rechtsprechung ist auch einschlägig, wenn die quantitative Beschränkung Kapazitäten (Pflegeplätze) im Psychiatriebereich betrifft und in der Spitalliste festgehalten wird (E. 4.3); sie wird bestätigt (E. 4.5 und 4.6).
145 V 380 (9C_221/2019) from 7. Oktober 2019
Regeste: Art. 25 Abs. 2 lit. a, Art. 25a Abs. 1, 3, 4 und 5 Satz 2 (Abs. 5 in der bis 31. Dezember 2018 gültig gewesenen Fassung), Art. 35 Abs. 2 lit. k, Art. 39 Abs. 3 und Art. 50 KVG; Art. 33 lit. b, h und i KVV; Art. 7, 7a, 8 und 9 KLV; Beschluss des Regierungsrats des Kantons Solothurn RRB Nr. 2016/1186 vom 27. Juni 2016; Methode zur Ermittlung des Pflegebedarfs in Pflegeheimen für die Einstufung in die Pflegestufen. Im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sah das Verordnungsrecht des Bundes im hier massgeblichen Zeitraum bis Ende Februar 2017 kein schweizweit einheitliches Verfahren für die Ermittlung des Pflegebedarfs in Pflegeheimen vor. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn verhielt sich nicht bundesrechtswidrig, indem mit RRB Nr. 2016/1186 vom 27. Juni 2016 entsprechende, auf dem Pflegebedarfssystem RAI/RUG, Version CH-Index 2016, basierende kantonale Ansätze ab 1. Juli 2016 festgelegt wurden ("Höchsttaxen stationäre und teilstationäre Angebote im Bereich Pflege [Alters- und Pflegeheime]"; E. 3-8; vgl. auch Urteil 2C_333/2012 vom 5. November 2012).
146 I 49 (1D_1/2019) from 18. Dezember 2019
Regeste: Art. 8 Abs. 1, Art. 9 und 38 Abs. 2 BV, Art. 14 und 15 BüG (1952); Einbürgerungsvoraussetzungen des Bundes- und kantonalen Rechts bei der ordentlichen Einbürgerung. Bundesstaatliche Kompetenzaufteilung bei der ordentlichen Einbürgerung. Auch ohne Anspruch auf Einbürgerung wäre es willkürlich und rechtsungleich, einen Bewerber, der alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt, nicht einzubürgern (E. 2). Anforderungen an die Protokollierung sowie an Tonaufnahmen im Einbürgerungsverfahren (E. 3). Erfordernis der Eingliederung in die hiesigen Verhältnisse und des Vertrautseins mit den schweizerischen und lokalen Lebensumständen. Die Einbürgerungsvoraussetzungen und insbesondere die Integrationsanforderungen müssen insgesamt verhältnismässig und diskriminierungsfrei sein und dürfen nicht überzogen erscheinen. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller massgeblichen Kriterien im Einzelfall. Die Beurteilung muss ausgewogen bleiben und darf nicht auf einem klaren Missverhältnis der Würdigung aller wesentlichen Kriterien beruhen (E. 4).
146 I 83 (1C_337/2019) from 13. November 2019
Regeste: Art. 37, 38 Abs. 2, Art. 50 Abs. 1 BV, §§ 39, 59 und 64 KV/BS, Art. 11-13 BüG; abstrakte Normenkontrolle: verletzt eine kantonale Vermutungsregel bei der Prüfung eines Kriteriums der ordentlichen Einbürgerung die Autonomie der basel-städtischen Bürgergemeinden? Eintreten (E. 1). Autonomie der basel-städtischen Bürgergemeinden im Bereich der ordentlichen Einbürgerung (E. 2). Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 3). Föderalistische Kompetenzausscheidung beim Entscheid über die ordentliche Einbürgerung; Tragweite einer gesetzlichen Vermutung für ein einzelnes Einbürgerungskriterium (hier: Nachweis von Grundkenntnissen durch Schulbesuch); Vergleich mit einer analogen Vermutungsregel im Bundesrecht und Bedeutung der Richtlinien des Bundes (E. 4). Tauglichkeit der Vermutungsbasis (E. 5). Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 6). Schlussfolgerung (E. 7).
146 I 105 (2C_209/2017) from 16. Dezember 2019
Regeste: Art. 10 Abs. 2 Bst. a DBA CH-LU; Art. 31 f. VRK; Art. 8 und 9 BV; Verwaltungsverordnungen (Kreisschreiben etc.); Auslegung; Vertrauensschutz; Anforderungen an Praxisänderungen; Gleichbehandlung im Unrecht. Bedeutung von Verwaltungsverordnungen für die gerichtliche Auslegung des internen Rechts und des Völkerrechts (E. 4.1 und 4.2). Kein Anspruch auf Schutz des Vertrauens in eine Verwaltungsverordnung, wenn die Behörde die Einhaltung weder individuell zugesichert, noch anderweitig ein besonderes Vertrauen geweckt hat (E. 5.1). Nach Treu und Glauben sind Praxisänderungen zu Fragen der Zulässigkeit von Rechtsmitteln vorgängig anzukündigen. Hingegen kein allgemeiner Vertrauensschutz gegen Änderungen der materiellen Praxis (E. 5.2.1). Behörden müssen aus Gründen der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit die eigene und die Praxis übergeordneter Instanzen befolgen, solange nicht ernsthafte sachliche Gründe eine Praxisänderung gebieten. Keine Befolgungspflicht für das Bundesgericht hinsichtlich der Praxis einer untergeordneten Instanz, wenn es die Rechtsfrage frei überprüfen kann (E. 5.2.2). Ausnahmsweise Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Praxis einer untergeordneten Instanz durch das Bundesgericht im Einzelfall nur unter den Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung im Unrecht, vorliegend verneint (E. 5.3 und 5.4).
146 II 56 (2C_260/2019) from 5. Dezember 2019
Regeste: Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1, 63a, 164 Abs. 1 und 2 BV, Art. 4 Abs. 3 und 16 Abs. 2 lit. a ETH-Gesetz, Art. 22 Abs. 2 und 5, 23 Abs. 1 Studienkontrollverordnung ETHL; Grundsätze der Gesetzmässigkeit und der Rechtsgleichheit; obligatorische Aufbaukurse am Ende des ersten Bachelor-Semesters. Die Gesetzesdelegation zugunsten der Leitung der ETH beinhaltet die Regelung der Studiengänge: Die Leitung der ETH verfügt über einen grossen Ermessensspielraum, um die Kurse, Prüfungen und die diesbezüglichen Anforderungen festzulegen. Die Bestimmungen der Studienkontrollverordnung ETHL, wonach die Studenten, die in den Prüfungen des ersten Semesters ihrer Abteilung einen Notenschnitt von weniger als 3.5 erreichen, Aufbaukurse in Mathematik und Physik zu absolvieren haben, bleiben in diesem sehr weiten gesetzlichen Rahmen. Obschon die streitbetroffenen Bestimmungen ein neues System einführen, das vom bisherigen, für Studien an den ETH massgebenden System abweicht, liegt ihnen keine derart bedeutsame Frage zugrunde, die im Gesetz selbst hätte geregelt werden müssen (E. 5-8). Dieses System, das dieselben Kurse für alle Studenten an der ETHL vorsieht, verletzt den Rechtsgleichheitsgrundsatz nicht (E. 9).
146 II 217 (2C_985/2015) from 9. Dezember 2019
Regeste: Art. 7 Abs. 1 und 2, Art. 49a KG; Art. 7 EMRK; Art. 2-6 SVKG; Art. 5 Abs. 2, Art. 11 Abs. 3 lit. a und b der Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen; Voraussetzung und Missbräuchlichkeit einer Kosten-Preis-Schere; gesetzliche Grundlage; Kriterien und Bemessung der Sanktionierung. Missbräuchlichkeit einer Kosten-Preis-Schere (E. 5): strukturelle Voraussetzungen einer Kosten-Preis-Schere (E. 5.2); wettbewerbsrelevantes Verhalten ist die unzureichende Marge (E. 5.3), die mit einem Kosten-Preis-Vergleich beim marktbeherrschenden Unternehmen zu eruieren ist (E. 5.4); Nachweis einer missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere (E. 5.5); zeitliche Dimension des Kosten-Preis-Vergleichs (E. 5.7). Rechtsanwendung: Art. 7 Abs. 1 KG ist verletzt (E. 6). Prüfung alternativer gesetzlicher Grundlagen (E. 7). Tatbestand von Art. 49a Abs. 1 KG und Subsumtion (E. 8): Abgleich zwischen Art. 7 EMRK und Art. 7 Abs. 1 KG (E. 8.3); Subsumtion (E. 8.5). Rechtsfolge von Art. 49a Abs. 1 KG (E. 9): Ermittlung (E. 9.2) und Erhöhung des Basisbetrags (E. 9.3); mildernde Umstände (E. 9.4).
146 IV 76 (6B_307/2019) from 13. November 2019
Regeste: a Art. 110 Abs. 1 StGB; Art. 118, 121 Abs. 1 und 382 Abs. 1 StPO; Legitimation der Angehörigen einer verstorbenen geschädigten Person zur Anfechtung einer Verfahrenseinstellung. Die Angehörigen der verstorbenen geschädigten Person, die sich im Vorverfahren rechtsgültig als Privatklägerschaft konstituiert haben, können über ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 382 Abs. 1 StPO an der Aufhebung einer Verfahrenseinstellung verfügen (E. 2).
146 IV 267 (6B_40/2020) from 17. August 2020
Regeste: Art. 5 Ziff. 1 EMRK; Art. 11 BV; Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 KRK; Art. 372 Abs. 1 und 3 StGB; Art. 439 Abs. 2 StPO; Strafvollzug, Vollzugsbefehl, Kindeswohl. Der Strafvollzug ist die zwingende gesetzliche Rechtsfolge der Straftat (E. 3.2.1). Die Trennung der Mutter von ihrem Kind ist eine zwangsläufige, unmittelbar gesetzmässige Folge des Vollzugs der Freiheitsstrafe und der damit verbundenen Nebenfolgen (E. 3.2.2). Das StGB und das kantonale Konkordatsrecht kennen zahlreiche Vollzugsformen für Freiheitsstrafen (E. 3.2.4). Weder die Bestimmungen der BV noch jene der KRK und der anderen menschenrechtlichen Übereinkommen hindern den Vollzug der gesetzmässigen Freiheitsstrafe. Der verurteilte Elternteil ist nicht berechtigt, gegen die Vollzugsverfügung Rechte der Kinder in eigenem Namen geltend zu machen (E. 3.3.3). Soweit die verurteilte Person nicht selber eine Betreuung ihrer Kinder organisiert, wird dies Aufgabe der Kindesschutzbehörde (KESB) sein. Das ist keine Frage des Vollzugsrechts (E. 3.4.3).
146 V 112 (8C_778/2019) from 11. März 2020
Regeste: Art. 8 Abs. 1 lit. a und b, Art. 10 Abs. 2 lit. b und Art. 11 AVIG; anrechenbarer Arbeitsausfall. Die Vorgehensweise, den anrechenbaren Arbeitsausfall bei einer Arbeit auf Abruf mit Überbrückungscharakter aufgrund des davor ausgeübten festen Arbeitsverhältnisses (als letztes Arbeitsverhältnis im Sinne von Art. 4 Abs. 1 AVIV) zu bejahen, ist aus gesetzessystematischer Sicht und unter dem Aspekt des Gebots der Gleichbehandlung der Versicherten auf die Dauer einer ersten Leistungsrahmenfrist zu begrenzen (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3-5).
146 V 210 (8C_435/2019) from 11. Februar 2020
Regeste: Art. 8 Abs. 2 und 3 BV; Art. 8 Abs. 1 lit. f und Art. 15 AVIG; Art. 3 Abs. 1 und 2 GlG. Bei einer schwangeren Frau, die sich auf unbefristete Stellen bewirbt, kann für die Frage der Vermittlungsfähigkeit grundsätzlich nicht nur der Zeitraum bis zum Geburtstermin betrachtet werden. Die Vermittlungsfähigkeit kann nicht generell unter Hinweis auf die zu geringe Wahrscheinlichkeit, dass ein Arbeitgeber die Versicherte siebeneinhalb Wochen vor der Geburt anstellen würde, verneint werden. Damit würde den in Frage kommenden Arbeitgebern eine diskriminierende Haltung unterstellt, die als gesetzwidriges Verhalten nicht zur Begründung beigezogen werden darf (E. 5.1 und 5.2).
146 V 224 (9C_590/2019) from 15. Juni 2020
Regeste: Art. 4 Abs. 2 lit. a und Art. 10 Abs. 1 AHVG; Art. 6ter lit. a und Art. 28 Abs. 1 AHVV; Beitragsfestsetzung. Das Erwerbseinkommen, das Personen mit Wohnsitz in der Schweiz als Inhaber oder Teilhaber von Betrieben oder von Betriebsstätten in einem Nichtvertragsstaat zufliesst, stellt weder tatsächliches noch fiktives Renteneinkommen dar. Insoweit ist die Wegleitung des BSV über die Versicherungspflicht in der AHV/IV (WVP) in Rz. 1038.1 rechtswidrig (E. 4.6 und 4.7).
146 V 271 (8C_508/2019) from 27. Mai 2020
Regeste: Art. 20sexies Abs. 1 lit. b IVV; Taggelder während Eingliederungsmassnahmen. Art. 20sexies Abs. 1 lit. b IVV (in Kraft seit 1. Januar 2008), wonach Versicherte als erwerbstätig gelten, wenn sie glaubhaft machen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten, fehlt die gesetzliche Grundlage (E. 7).
146 V 364 (8C_706/2019) from 28. August 2020
Regeste: Art. 10 Abs. 3 UVG (in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung); Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des UVG vom 25. September 2015; Art. 18 UVV (in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung). Der per 1. Januar 2017 revidierte Art. 18 Abs. 2 UVV findet (ex nunc et pro futuro) auch auf Unfälle Anwendung, die sich vor der Rechtsänderung ereignet haben. Gestützt auf einen rechtskräftigen Entscheid zugesprochene Leistungen sind im Lichte dieser neuen Verordnungsbestimmung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen (E. 9.5).
146 V 378 (9C_737/2019) from 22. Juni 2020
Regeste: Art. 8 und Art. 14 EMRK; Art. 8 Abs. 3 und Art. 190 BV; Art. 8 Abs. 1 und Art. 16b-h EOG; kein Anspruch auf Betriebszulagen bei Mutterschaft. Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers besteht bei Mutterschaft selbständig erwerbender Frauen, anders als bei selbständig erwerbenden Dienstleistenden, kein Anspruch auf Betriebszulagen zusätzlich zur Mutterschaftsentschädigung (E. 3). Mangels vergleichbarer Sachverhalte innerhalb des Schutzbereichs einer Konventionsgarantie ist Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK nicht anwendbar und liegt keine verpönte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor (E. 4).
147 I 1 (1C_295/2019, 1C_357/2019) from 16. Juli 2020
Regeste: Art. 5 Abs. 1 sowie Art. 8 Abs. 1 und 2 BV; Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 2 und 3 sowie Art. 89 Abs. 1 BGG; Nichtwiederwahl eines Verwaltungsrichters aus Altersgründen; Anfechtbarkeit des Wahlakts des kantonalen Parlaments; Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip, dem Diskriminierungsverbot und dem allgemeinen Gleichheitssatz. Der Wahlakt ist ungeachtet seiner Rechtsnatur ein zulässiges Anfechtungsobjekt (E. 3.2). Er hat vorwiegend politischen Charakter im Sinne von Art. 86 Abs. 3 BGG und kann mangels Weiterzugsmöglichkeit im Kanton direkt beim Bundesgericht angefochten werden (E. 3.3). Der Beschwerdeführer ist durch den Wahlakt insofern besonders berührt, als er damit nicht wiedergewählt worden ist, und hat jedenfalls so weit ein Rechtsschutzinteresse, als er seine Wiederwahl für die laufende Amtsperiode durch den Kantonsrat verlangt (E. 3.4). Die Praxis des Kantonsrats, Richterinnen und Richter der obersten kantonalen Gerichte nicht wiederzuwählen, wenn sie zu Beginn der neuen Amtsperiode das 65. Altersjahr bereits vollendet haben, ist mit dem Legalitätsprinzip vereinbar, auch wenn das kantonale Recht keine altersbezogene Regelung kennt (E. 4.3). Die Praxis verstösst auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot (E. 5.3). Sie ermöglicht jedoch eine gegen die Rechtsgleichheit verstossende Ungleichbehandlung von Amtsinhaberinnen und -inhabern, die kurz vor bzw. kurz nach Beginn der neuen Amtsperiode das 65. Altersjahr vollendet haben. Letztere können ihr Amt bis zu fast sechs Jahren länger ausüben. Im vorliegenden Fall führt die Wahlpraxis allerdings nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers (E. 6.3).
147 I 16 (2C_664/2016) from 25. März 2020
Regeste: Art. 35a-35t des Tessiner Gesetzes vom 6. Dezember 1994 über den öffentlichen Verkehr (LTPub) und Verordnung vom 28. Juni 2016 über die Erschliessungsgebühr (RTColl); Art. 127 Abs. 2 BV; Erschliessungsgebühr; abstrakte Normenkontrolle insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Bei der Erschliessungsgebühr, die nur in bestimmten Gemeinden von Grundeigentümern mit 50 oder mehr Parkplätzen erhoben wird, handelt es sich um eine Sondersteuer mit Lenkungszwecken (E. 3.5.2). Grundsatz der Gleichbehandlung in Steuersachen (E. 4.2.2-4.2.5). Die Entscheidung des Tessiner Gesetzgebers, Grundstücke mit weniger als 50 Parkplätzen von der Steuerpflicht auszunehmen, wirft Fragen in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz auf, insbesondere in Bezug auf die festgelegte Abgabegrenze und die Gleichbehandlung der direkten Konkurrenten (E. 5.3.3). Angesichts des Ermessensspielraums des kantonalen Gesetzgebers und der Tatsache, dass es sich bei der Erschliessungsgebühr, die Teil eines Gesamtkonzepts zur Neuausrichtung der Mobilität ist, um eine Entscheidung mit starker politischer Ausrichtung handelt, ist sie jedoch nicht zu beanstanden (E. 5.4). Hinweis an die Behörden (E. 5.5).
147 I 73 (2C_769/2019) from 27. Juli 2020
Regeste: Art. 83 lit. t BGG; Art. 8 Abs. 1 und 2 BV; Unzulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide über das Ergebnis von Prüfungen und anderen Fähigkeitsbewertungen; Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbot im Prüfungsrecht. Die Ausnahmebestimmung von Art. 83 lit. t BGG erfasst alle Entscheide, die auf einer Bewertung der intellektuellen oder physischen Fähigkeiten eines Kandidaten beruhen; gegen andere Entscheide, insbesondere solche organisatorischer oder verfahrensrechtlicher Natur, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (E. 1.2). Aufgrund des Gleichheitssatzes sind die Hochschulen bei der Durchführung ihrer Examen grundsätzlich verpflichtet, für alle Kandidaten möglichst einheitliche Bedingungen herzustellen. Werden bestimmte Personen bzw. Personengruppen dadurch ungerechtfertigt benachteiligt, kann ausnahmsweise die Pflicht bestehen, Ausgleichsmassnahmen zu treffen. Solche Massnahmen dürfen jedoch nicht den Prüfungszweck vereiteln und auch keine Überkompensation zur Folge haben. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bzw. des Diskriminierungsverbots liegt nur dann vor, wenn die Verweigerung einer Ausgleichsmassnahme das Prüfungsergebnis entscheidend beeinflussen konnte (E. 6).
147 I 89 (2D_34/2020) from 24. März 2021
Regeste: Art. 8 Abs. 2 BV; Art. 27 AIG; Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken; Diskriminierung aufgrund des Alters. Zusammenfassung der Rechtsprechung zum Schutzbereich von Art. 8 Abs. 2 BV betreffend Diskriminierung aufgrund des Alters (E. 2.1 und 2.2). Darstellung der bestehenden Verwaltungspraxis, wonach grundsätzlich keine Aufenthaltsbewilligungen zu Studienzwecken an ausländische Personen über 30 Jahre erteilt werden (E. 2.3 und 2.4). Soweit die vorliegende Weigerung, dem Beschwerdeführer eine solche Bewilligung zu erteilen, nur auf dieser Praxis beruht, rechtfertigt sie sich weder durch den Willen, eine restriktive Migrationspolitik zu verfolgen und sicherzustellen, dass ausländische Studierende nach Ende ihrer Ausbildung die Schweiz wieder verlassen (E. 2.5 und 2.6), noch durch das Interesse an der Ankunft junger Studierender zu privilegieren (E. 2.7 und 2.8). Es liegt daher eine Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV vor (E. 2.9).
147 I 103 (1C_181/2019) from 29. April 2020
Regeste: a Art. 10 und 22 BV; Art. 11 EMRK; Art. 84 Abs. 1 PolG/BE; Unverhältnismässigkeit der Verbindung der Wegweisungs- und Fernhaltungsmassnahmen mit einer Strafdrohung nach Art. 292 StGB. Die automatische Verbindung zwischen den Wegweisungs- und Fernhaltungsmassnahmen mit der Strafdrohung nach Art. 292 StGB ist weder erforderlich noch verhältnismässig im engeren Sinne (E. 10.4).
147 I 194 (1C_713/2020, 1C_715/2020) from 23. März 2021
Regeste: Art. 34, 142 Abs. 2, Art. 189 Abs. 4 BV, Art. 77 BPR; Eidgenössische Volksabstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative; die Kritik am Erfordernis des Ständemehrs ist sofort gegen die Abstimmungsanordnung zu erheben. Die allgemeine Informationslage kann nur beim nachträglichen Rechtsschutz beanstandet werden. Mängel bei der Vorbereitung von Wahlen und Abstimmungen sind sofort und vor der Durchführung des Urnenganges zu rügen. Soll das Erfordernis des Ständemehrs infrage gestellt werden, ist die Abstimmungsanordnung anzufechten. Die Einschränkung der Stimmkraftgleichheit ist verfassungsrechtlich gewollt und für das Bundesgericht verbindlich (E. 3.3). Im Ausnahmefall, dass ein nachträglicher, wiedererwägungsweiser Rechtsschutz zulässig ist, kann die Informationslage im Vorfeld einer Volksabstimmung in allgemeiner Weise zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden (E. 4.1.1). Übersicht über die Lehre und die bundesgerichtliche Rechtsprechung (E. 4.1.2 und 4.1.3). Solange eine Abstimmungsbeschwerde nach Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR möglich ist, kann die allgemeine Informationslage nicht mit einer Beschwerde wegen Verletzung politischer Rechte beanstandet werden (E. 4.1.4).
147 I 297 (1C_130/2020) from 9. April 2021
Regeste: Art. 82 lit. c BGG, Art. 34 Abs. 2 BV; Art. 17 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Tessin über die politischen Rechte und Art. 10 Abs. 1 der dazugehörigen Verordnung. Grundsätze der Objektivität und Transparenz betreffend die in der Abstimmungsbotschaft enthaltenen Informationen zu einer kantonalen Volksinitiative. Die kategorische Behauptung der Regierung in der Abstimmungsbotschaft, die umstrittene Gesetzesinitiative bewirke eine Ungleichbehandlung und eine Verletzung von Bundesrecht, ist weder objektiv noch transparent noch vollständig, da es sich in Wahrheit um blosse Zweifel handelt (E. 4). Die den Stimmbürgern vor der Abstimmung abgebenen Informationen beschränkten sich zudem auf die Stellungnahmen des Staatsrats und des Beschwerdeführers, dem ersten Unterzeichner der Initiative, was das grosse Gewicht der mit der Abstimmungsbotschaft verbreiteten Informationen nicht aufzuwiegen vermochte. Angesichts der geringen Stimmendifferenz (50.26 % Nein-Stimmen und 49.74 % Ja-Stimmen) könnten die festgestellten Unregelmässigkeiten das Ergebnis der Volksabstimmung beeinflusst haben; diese muss deshalb aufgehoben werden (E. 5).
147 II 25 (1C_145/2019) from 20. Mai 2020
Regeste: Art. 24c RPG; Art. 41 und 43a RPV; Anwendungsbereich von Art. 24c RPG. Art. 24c RPG in der revidierten Fassung vom 23. Dezember 2011 ist auf eine altrechtliche Wohnbaute in der Landwirtschaftszone, bei der eine landwirtschaftliche Wohnnutzung durch die Betriebsleiter oder die abtretende Generation beibehalten wird, nicht anwendbar (E. 3).
147 III 49 (4A_248/2019, 4A_398/2019) from 25. August 2020
Regeste: Internationale Schiedsgerichtsbarkeit; "Eligibility Regulations for the Female Classification (Athletes with Differences of Sex Development)" (DSD-Reglement); materieller Ordre public (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG). Der Schiedsentscheid des Internationalen Sportschiedsgerichts, mit dem das DSD-Reglement für gültig erklärt wurde, verstösst nicht gegen den materiellen Ordre public (E. 9.4-9.6 und 9.8.3).
147 IV 55 (6B_117/2020) from 13. November 2020
Regeste: Art. 3 EMRK, Art. 431 StPO, Art. 125 Ziff. 2 OR; Entschädigung für rechtswidrige Haftbedingungen im Anschluss an die strafrechtliche Beurteilung; Verpflichtung besonderer Natur; Ausnahme vom Grundsatz der Verrechnung mit den Kosten des Strafverfahrens. Die besondere Natur der Genugtuung, die aufgrund gegen Art. 3 EMRK verstossender Haftbedingungen zugesprochen wird, verlangt eine tatsächliche Erfüllung im Sinne von Art. 125 Ziff. 2 OR (E. 2.5). Ein solcher Anspruch, der im Rahmen eines Staatshaftungsverfahrens geltend gemacht wurde, darf nicht ohne Zustimmung der beschuldigten Person mit den ihr auferlegten Kosten des Strafverfahrens verrechnet werden (E. 2.6).
147 V 133 (9C_179/2020) from 16. November 2020
Regeste: Art. 29bis Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 36 Abs. 2 IVG; Art. 8 Abs. 2 BV; Berechnungsgrundlage des Betrags der Invalidenrente bei Revision des Rentenanspruchs einer Person, die an einem Geburtsgebrechen leidet. Die Änderung des Invaliditätsgrades und die daraus resultierende Erhöhung des Rentenanspruchs bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes stellen einen Revisionsfall i.S.v. Art. 17 ATSG dar (E. 5.1), nicht einen neuen Versicherungsfall (E. 5.3). Nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis rechtfertigt es sich, bei der Festlegung des neuen Rentenbetrages die gleichen Berechnungsgrundlagen anzuwenden wie bisher, auch wenn das Einkommen des Versicherten in der Zwischenzeit erheblich gestiegen ist. Diese Rechtsprechung und Verwaltungspraxis verstossen nicht gegen Art. 8 Abs. 2 BV (E. 5.2). Bestätigung der Rechtsprechung (E. 5.4).
147 V 146 (9C_52/2020) from 1. Februar 2021
Regeste: Art. 34a BVG und Art. 24 BVV 2 in der bis zum 31. Dezember 2016 in Kraft gestandenen Fassung; Bestimmung der Höhe einer Invalidenrente der beruflichen Vorsorge im Rahmen einer Überentschädigungsberechnung angesichts einer Rente aus der ersten Säule basierend auf einer unvollständigen Beitragsdauer. Die im Reglement einer Vorsorgeeinrichtung enthaltene Bestimmung, die den gesetzlichen Begriff der Überentschädigung übernimmt, jedoch - ungeachtet des der versicherten Person tatsächlich ausbezahlten Betrags - die Berücksichtigung einer auf Basis einer vollständigen Beitragsdauer berechneten Rente der ersten Säule vorsieht, läuft dem damit angestrebten Zweck (vermeiden eines ungerechtfertigten Vorteils) zuwider und verstösst gegen das Gleichbehandlungsgebot (E. 5.2-5.4).
147 V 156 (9C_488/2020) from 17. Februar 2021
Regeste: Art. 25a Abs. 5 KVG; Restfinanzierung der Pflegekosten; Zuständigkeit. Bei im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Fassung von Art. 25a Abs. 5 KVG am 1. Januar 2019 bereits bestehendem Pflegeverhältnis mit Wohnsitzverlegung an den Standort des Pflegeheims bleibt der neue Wohnsitzkanton (Standortkanton) für die Restfinanzierung zuständig (E. 7). |