Bundesgesetz
über das Jugendstrafrecht
(Jugendstrafgesetz, JStG)

vom 20. Juni 2003 (Stand am 23. Januar 2023)


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Art. 1 Gegenstand und Verhältnis zum Strafgesetzbuch

1 Die­ses Ge­setz:

a.
re­gelt die Sank­tio­nen, wel­che ge­gen­über Per­so­nen zur An­wen­dung kom­men, die vor Vollen­dung des 18. Al­ters­jah­res ei­ne nach dem Straf­ge­setz­buch (StGB)3 oder ei­nem an­dern Bun­des­ge­setz mit Stra­fe be­droh­te Tat be­gan­gen ha­ben;
b.4

2 Er­gän­zend zu die­sem Ge­setz sind die fol­gen­den Be­stim­mun­gen des StGB sinn­ge­mä­ss an­wend­bar:

a.
die Ar­ti­kel 1–33 (Gel­tungs­be­reich und Straf­bar­keit), mit Aus­nah­me von Ar­ti­kel 20 (zwei­fel­haf­te Schuld­fä­hig­keit);
b.
die Ar­ti­kel 47, 48 und 51 (Straf­zu­mes­sung);
c.
Ar­ti­kel 56 Ab­sät­ze 2, 5 und 6 so­wie Ar­ti­kel 56a (Grund­sät­ze bei Mass­nah­men);
d.
die Ar­ti­kel 69–73 (Ein­zie­hung und Ver­wen­dung zu Guns­ten des Ge­schä­dig­ten);
e.
Ar­ti­kel 74 (Voll­zugs­grund­sät­ze);
f.
Ar­ti­kel 83 (Ar­beits­ent­gelt);
g.
Ar­ti­kel 84 (Be­zie­hun­gen zur Aus­sen­welt);
h.
Ar­ti­kel 85 (Kon­trol­len und Un­ter­su­chun­gen);
i.
Ar­ti­kel 92 (Un­ter­bre­chung des Voll­zu­ges);
ibis.5
Ar­ti­kel 92a (In­for­ma­ti­ons­recht);
j.6
die Ar­ti­kel 98, 99 Ab­satz 2, 100 so­wie 101 Ab­sät­ze 1 Buch­sta­ben a–d, 2 und 3 (Ver­jäh­rung);
k.7
die Ar­ti­kel 103, 104 und 105 Ab­satz 2 (Über­tre­tun­gen);
l.
Ar­ti­kel 110 (Be­grif­fe);
m.
die Ar­ti­kel 111–332 (Zwei­tes Buch: Be­son­de­re Be­stim­mun­gen);
n.8
die Ar­ti­kel 333–392 (Drit­tes Buch: Ein­füh­rung und An­wen­dung des Ge­set­zes), mit Aus­nah­me der Ar­ti­kel 380 (Kos­ten­tra­gung), 387 Ab­satz 1 Buch­sta­be d und 2 (Er­gän­zen­de Be­stim­mun­gen des Bun­des­ra­tes) und 388 Ab­satz 3 (Voll­zug frü­he­rer Ur­tei­le);
o.9

3 Bei der An­wen­dung die­ser Be­stim­mun­gen des StGB müs­sen die Grund­sät­ze nach Ar­ti­kel 2 be­ach­tet so­wie Al­ter und Ent­wick­lungs­stand des Ju­gend­li­chen zu sei­nen Guns­ten be­rück­sich­tigt wer­den.

3 SR 311.0

4 Auf­ge­ho­ben durch An­hang Ziff. 1 der Ju­gend­straf­pro­zess­ord­nung vom 20. März 2009, mit Wir­kung seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1573; BBl 2006 1085, 20083121).

5 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 2 des BG vom 26. Sept. 2014 über das In­for­ma­ti­ons­recht des Op­fers, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 1623; BBl 2014 889913).

6 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 2 des BG vom 15. Ju­ni 2012 (Un­ver­jähr­bar­keit se­xu­el­ler und por­no­gra­fi­scher Straf­ta­ten an Kin­dern vor der Pu­ber­tät), in Kraft seit 1. Jan. 2013 (AS 2012 5951; BBl 2011 5977).

7 AS 2009 6103

8 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 1 der Ju­gend­straf­pro­zess­ord­nung vom 20. März 2009, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1573; BBl 2006 1085, 20083121).

9 Auf­ge­ho­ben durch An­hang 1 Ziff. 4 des Straf­re­gis­ter­ge­set­zes vom 17. Ju­ni 2016, mit Wir­kung seit 23. Jan. 2023 (AS 2022 600; BBl 2014 5713).

BGE

133 IV 267 (1B_156/2007) from 23. August 2007
Regeste: Kantonales Rechtsmittel gegen einen Haftentscheid im Jugendstrafverfahren (Art. 41 Abs. 1 JStG; Art. 80 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 41 Abs. 1 JStG sind die Kantone verpflichtet, ein Rechtsmittel u.a. gegen Haftentscheide im Jugendstrafverfahren vorzusehen. Diese Bestimmung ist seit dem 1. Januar 2007 unmittelbar anwendbar. Ein Verhafteter, auf den das Jugendstrafgesetz anwendbar ist, kann daher gestützt auf diese Bestimmung im Kanton ein Rechtsmittel gegen eine Haftanordnung oder -verlängerung erheben, und muss diese Möglichkeit auch ausschöpfen, bevor er Beschwerde ans Bundesgericht führen kann (E. 3).

141 IV 172 (6B_115/2015) from 22. April 2015
Regeste: Art. 5, 15 und 18 JStG; vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme. Das Jugendstrafrecht strebt die täterorientierte Sanktionierung minderjähriger Straftäter an. Die Sanktionen verfolgen das Ziel, den zu beurteilenden Jugendlichen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten und dessen Weiterentwicklung zu fördern und günstig zu beeinflussen. Das Jugendstrafrecht kennt neben Strafen namentlich Schutzmassnahmen (E. 3.1). Schutzmassnahmen sollen den Bedürfnissen des Jugendlichen insbesondere nach Erziehung und Schutz Rechnung tragen. Aufgrund geänderter Verhältnisse kann sich eine bestehende Schutzmassnahme als nicht mehr zweckmässig erweisen und durch eine andere ersetzt werden. Die Änderbarkeit der Massnahmen bildet Wesensmerkmal des Jugendstrafrechts. Bei gegebenen Voraussetzungen ist ein Verfahren betreffend Änderung der Massnahme einzuleiten (E. 3.2). Gegebenenfalls kann die neue Schutzmassnahme während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme vorsorglich angeordnet werden (E. 3.4).

143 IV 49 (6B_646/2016) from 3. Januar 2017
Regeste: Art. 97 Abs. 3 StGB, Art. 1 Abs. 2 lit. j und Art. 36 JStG; Jugendstrafverfahren, Ende der Verfolgungsverjährung. Art. 97 Abs. 3 StGB hat entgegen dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. j JStG auch im Jugendstrafrecht Gültigkeit. Auch in einem Jugendstrafverfahren tritt die Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist nach Art. 36 JStG ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (E. 1).

145 IV 424 (6B_1159/2018) from 18. September 2019
Regeste: Art. 9 Abs. 1 JStG; Art. 29 Abs. 2 Satz 1 JStPO; Zeitpunkt und Umfang der Anrechnung der stationären Beobachtung eines Jugendlichen auf die Strafe. Über die Anrechnung einer stationären Beobachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 JStG auf die Strafe hat das Gericht im Dispositiv des Sachurteils zu befinden (E. 4.4). Art. 29 Abs. 2 Satz 1 JStPO geht von einer Pflicht der Anrechnung der stationären Beobachtung auf die Strafe aus, legt aber gleichzeitig fest, dass die Anrechnung angemessen zu erfolgen hat. Entscheidend für den Umfang der Anrechnung sind die vom Jugendlichen während der stationären Beobachtung konkret hinzunehmenden Einschränkungen. Eine stationäre Beobachtung, die von der Intensität des Freiheitsentzugs her der Untersuchungshaft bzw. dem Vollzug der Freiheitsstrafe gleichkommt, ist voll auf die Strafe anzurechnen. Weniger freiheitsbeschränkende Vollzugsformen sind nicht eins zu eins (d.h. zu 100 %) anzurechnen, sondern zu einem tieferen Prozentsatz. Auch die mildeste Form der stationären Beobachtung ist mitzuberücksichtigen, wenn auch wirklich nur in reduziertem Masse (E. 4.5.1 und 4.5.2). Das Gericht ist verpflichtet, die konkreten Verhältnisse während der stationären Beobachtung abzuklären. Nicht anzurechnen ist die Zeit, während welcher sich der Jugendliche auf der Flucht befand (E. 4.5.3).

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