Bundesgesetz
über das Jugendstrafrecht
(Jugendstrafgesetz, JStG)


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Art. 9 Abklärung der persönlichen Verhältnisse, Beobachtung und Begutachtung

1 So­weit dies für den Ent­scheid über die An­ord­nung ei­ner Schutz­mass­nah­me oder Stra­fe er­for­der­lich ist, klärt die zu­stän­di­ge Be­hör­de die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se des Ju­gend­li­chen ab, na­ment­lich in Be­zug auf Fa­mi­lie, Er­zie­hung, Schu­le und Be­ruf. Zu die­sem Zweck kann sie auch ei­ne am­bu­lan­te oder sta­tio­näre Be­ob­ach­tung an­ord­nen.

2 Mit der Ab­klä­rung kann ei­ne Per­son oder Stel­le be­auf­tragt wer­den, die ei­ne fach­ge­rech­te Durch­füh­rung ge­währ­leis­tet.

3 Be­steht ernst­haf­ter An­lass, an der phy­si­schen oder psy­chi­schen Ge­sund­heit des Ju­gend­li­chen zu zwei­feln, oder er­scheint die Un­ter­brin­gung zur Be­hand­lung ei­ner psy­chi­schen Stö­rung in ei­ner of­fe­nen Ein­rich­tung oder die Un­ter­brin­gung in ei­ner ge­schlos­se­nen Ein­rich­tung an­ge­zeigt, so ord­net die zu­stän­di­ge Be­hör­de ei­ne me­di­zi­ni­sche oder psy­cho­lo­gi­sche Be­gut­ach­tung an.

BGE

141 IV 172 (6B_115/2015) from 22. April 2015
Regeste: Art. 5, 15 und 18 JStG; vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme. Das Jugendstrafrecht strebt die täterorientierte Sanktionierung minderjähriger Straftäter an. Die Sanktionen verfolgen das Ziel, den zu beurteilenden Jugendlichen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten und dessen Weiterentwicklung zu fördern und günstig zu beeinflussen. Das Jugendstrafrecht kennt neben Strafen namentlich Schutzmassnahmen (E. 3.1). Schutzmassnahmen sollen den Bedürfnissen des Jugendlichen insbesondere nach Erziehung und Schutz Rechnung tragen. Aufgrund geänderter Verhältnisse kann sich eine bestehende Schutzmassnahme als nicht mehr zweckmässig erweisen und durch eine andere ersetzt werden. Die Änderbarkeit der Massnahmen bildet Wesensmerkmal des Jugendstrafrechts. Bei gegebenen Voraussetzungen ist ein Verfahren betreffend Änderung der Massnahme einzuleiten (E. 3.2). Gegebenenfalls kann die neue Schutzmassnahme während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme vorsorglich angeordnet werden (E. 3.4).

142 IV 389 (6B_1026/2015) from 11. Oktober 2016
Regeste: Art. 27 Abs. 1 JStPO; Art. 25 JStG; Art. 31 Abs. 1 BV; Art. 212 Abs. 3 und Art. 431 Abs. 2 StPO; Zulässigkeit der Untersuchungs- und Sicherheitshaft gegenüber einem Jugendlichen von weniger als 15 Jahren, Entschädigung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Art. 27 JStPO regelt die Voraussetzungen, unter welchen Untersuchungs- und Sicherheitshaft gegenüber einem Jugendlichen angeordnet werden kann, und stellt eine ausreichende gesetzliche Grundlage im Sinne von Art. 31 Abs. 1 BV dar. Die Untersuchungs- und Sicherheitshaft muss nicht nur auf Strafen, sondern auch auf Massnahmen angerechnet werden, weshalb Art. 212 Abs. 3 StPO die Tragweite von Art. 27 JStPO nicht einschränkt, der auf alle Jugendlichen anwendbar ist, die zwischen dem Alter von 10 und 18 Jahren eine strafbare Handlung begehen (E. 4). Anwendbarkeit von Art. 431 Abs. 2 StPO auf die Entschädigung des beschuldigten Jugendlichen, wenn die Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht angerechnet werden kann (E. 5).

143 IV 49 (6B_646/2016) from 3. Januar 2017
Regeste: Art. 97 Abs. 3 StGB, Art. 1 Abs. 2 lit. j und Art. 36 JStG; Jugendstrafverfahren, Ende der Verfolgungsverjährung. Art. 97 Abs. 3 StGB hat entgegen dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. j JStG auch im Jugendstrafrecht Gültigkeit. Auch in einem Jugendstrafverfahren tritt die Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist nach Art. 36 JStG ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (E. 1).

145 IV 424 (6B_1159/2018) from 18. September 2019
Regeste: Art. 9 Abs. 1 JStG; Art. 29 Abs. 2 Satz 1 JStPO; Zeitpunkt und Umfang der Anrechnung der stationären Beobachtung eines Jugendlichen auf die Strafe. Über die Anrechnung einer stationären Beobachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 JStG auf die Strafe hat das Gericht im Dispositiv des Sachurteils zu befinden (E. 4.4). Art. 29 Abs. 2 Satz 1 JStPO geht von einer Pflicht der Anrechnung der stationären Beobachtung auf die Strafe aus, legt aber gleichzeitig fest, dass die Anrechnung angemessen zu erfolgen hat. Entscheidend für den Umfang der Anrechnung sind die vom Jugendlichen während der stationären Beobachtung konkret hinzunehmenden Einschränkungen. Eine stationäre Beobachtung, die von der Intensität des Freiheitsentzugs her der Untersuchungshaft bzw. dem Vollzug der Freiheitsstrafe gleichkommt, ist voll auf die Strafe anzurechnen. Weniger freiheitsbeschränkende Vollzugsformen sind nicht eins zu eins (d.h. zu 100 %) anzurechnen, sondern zu einem tieferen Prozentsatz. Auch die mildeste Form der stationären Beobachtung ist mitzuberücksichtigen, wenn auch wirklich nur in reduziertem Masse (E. 4.5.1 und 4.5.2). Das Gericht ist verpflichtet, die konkreten Verhältnisse während der stationären Beobachtung abzuklären. Nicht anzurechnen ist die Zeit, während welcher sich der Jugendliche auf der Flucht befand (E. 4.5.3).

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