Bundesgesetz
über die Krankenversicherung
(KVG)


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Art. 42 Grundsatz 137

1 Ha­ben Ver­si­che­rer und Leis­tungs­er­brin­ger nichts an­de­res ver­ein­bart, so schul­den die Ver­si­cher­ten den Leis­tungs­er­brin­gern die Ver­gü­tung der Leis­tung. Die Ver­si­cher­ten ha­ben in die­sem Fall ge­gen­über dem Ver­si­che­rer einen An­spruch auf Rück­er­stat­tung (Sys­tem des Tiers ga­rant). In Ab­wei­chung von Ar­ti­kel 22 Ab­satz 1 ATSG138 kann die­ser An­spruch dem Leis­tungs­er­brin­ger ab­ge­tre­ten wer­den.139

2 Ver­si­che­rer und Leis­tungs­er­brin­ger kön­nen ver­ein­ba­ren, dass der Ver­si­che­rer die Ver­gü­tung schul­det (Sys­tem des Tiers pa­yant). Im Fal­le der sta­tio­nären Be­hand­lung schul­det der Ver­si­che­rer, in Ab­wei­chung von Ab­satz 1, den auf ihn ent­fal­len­den An­teil an der Ver­gü­tung.140

3 Der Leis­tungs­er­brin­ger muss dem Schuld­ner ei­ne de­tail­lier­te und ver­ständ­li­che Rech­nung zu­stel­len. Er muss ihm auch al­le An­ga­ben ma­chen, die er be­nö­tigt, um die Be­rech­nung der Ver­gü­tung und die Wirt­schaft­lich­keit der Leis­tung über­prü­fen zu kön­nen. Im Sys­tem des Tiers pa­yant muss der Leis­tungs­er­brin­ger der ver­si­cher­ten Per­son un­auf­ge­for­dert ei­ne Ko­pie der Rech­nung über­mit­teln, die an den Ver­si­che­rer geht. Ver­si­che­rer und Leis­tungs­er­brin­ger kön­nen ver­ein­ba­ren, dass der Ver­si­che­rer die Rech­nungs­ko­pie zu­stellt. Die Über­mitt­lung der Rech­nung an den Ver­si­cher­ten kann auch elek­tro­nisch er­fol­gen.141 Bei sta­tio­närer Be­hand­lung weist das Spi­tal die auf Kan­ton und Ver­si­che­rer ent­fal­len­den An­tei­le je ge­son­dert aus. Der Bun­des­rat re­gelt die Ein­zel­hei­ten.142 143

3bis Die Leis­tungs­er­brin­ger ha­ben auf der Rech­nung nach Ab­satz 3 die Dia­gno­sen und Pro­ze­du­ren nach den Klas­si­fi­ka­tio­nen in den je­wei­li­gen vom zu­stän­di­gen De­par­te­ment her­aus­ge­ge­be­nen schwei­ze­ri­schen Fas­sun­gen co­diert auf­zu­füh­ren. Der Bun­des­rat er­lässt aus­füh­ren­de Be­stim­mun­gen zur Er­he­bung, Be­ar­bei­tung und Wei­ter­ga­be der Da­ten un­ter Wah­rung des Ver­hält­nis­mäs­sig­keits­prin­zips.144

4 Der Ver­si­che­rer kann zu­sätz­li­che Aus­künf­te me­di­zi­ni­scher Na­tur ver­lan­gen.145

5 Der Leis­tungs­er­brin­ger ist in be­grün­de­ten Fäl­len be­rech­tigt und auf Ver­lan­gen der ver­si­cher­ten Per­son in je­dem Fall ver­pflich­tet, me­di­zi­ni­sche An­ga­ben nur dem Ver­trau­ens­arzt oder der Ver­trau­en­särz­tin des Ver­si­che­rers nach Ar­ti­kel 57 be­kannt zu ge­ben.

6 In Ab­wei­chung von Ar­ti­kel 29 Ab­satz 2 ATSG ist für die An­mel­dung von Leis­tungs­an­sprü­chen kein For­mu­lar nö­tig.146

137 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 8. Okt. 2004 (Ge­samt­stra­te­gie und Ri­si­ko­aus­gleich), in Kraft seit 1. Jan. 2005 (AS 2005 1071; BBl 2004 4259).

138 SR 830.1

139 Drit­ter Satz ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. 11 des BG vom 6. Okt. 2000 über den All­ge­mei­nen Teil des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts, in Kraft seit 1. Jan. 2003 (AS 2002 3371; BBl 1991 II 185910, 1994 V 921, 1999 4523).

140 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 21. Dez. 2007 (Spi­tal­fi­nan­zie­rung), in Kraft seit 1. Jan. 2009 (AS 2008 2049; BBl 2004 5551).

141 Fas­sung des drit­ten bis fünf­ten Sat­zes ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 18. Ju­ni 2021 (Mass­nah­men zur Kos­ten­dämp­fung – Pa­ket 1a), in Kraft seit 1. Jan. 2022 (AS 2021 837; BBl 20196071).

142 Sechs­ter und sieb­ter Satz ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 18. Ju­ni 2021 (Mass­nah­men zur Kos­ten­dämp­fung – Pa­ket 1a), in Kraft seit 1. Jan. 2022 (AS 2021 837; BBl 20196071).

143 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 21. Dez. 2007 (Spi­tal­fi­nan­zie­rung), in Kraft seit 1. Jan. 2009 (AS 2008 2049; BBl 2004 5551).

144 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 23. Dez. 2011, in Kraft seit 1. Jan. 2013 (AS 20124085; BBl 2011 7385, 7393).

145 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 23. Dez. 2011, in Kraft seit 1. Jan. 2013 (AS 20124085; BBl 2011 7385, 7393).

146 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. 11 des BG vom 6. Okt. 2000 über den All­ge­mei­nen Teil des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts, in Kraft seit 1. Jan. 2003 (AS 2002 3371; BBl 1991 II 185, 910; 1994 V 921; 1999 4523).

BGE

151 V 1 (9C_480/2022) from 29. August 2024
Regeste: Art. 69 Abs. 1 und 2 ATSG, Art. 122 Abs. 1 KVV; Art. 14 und 15 ATSG; Art. 25a Abs. 1 KVG, Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c KLV; Art. 9 ATSG, Art. 42 und 42ter Abs. 1 und Abs. 3 IVG; intersystemische Koordination von Beiträgen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung an Kosten der Grundpflege (Sachleistung) im Verhältnis zur Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung (Geldleistung); keine Kürzung der Pflegebeiträge zufolge Überentschädigung (Änderung der Rechtsprechung). Beim Zusammentreffen von Leistungen verschiedener Sozialversicherungen beurteilt sich die Überentschädigung grundsätzlich nach dem Kongruenzprinzip (E. 6.1). Im Verhältnis von Grundpflegebeiträgen und Hilflosenentschädigung stellte die bisherige Rechtsprechung entscheidend auf das Kriterium der gleichartigen Pflege resp. Hilfestellung ab (E. 6.2 und 6.3). Für die Frage nach der Gleichartigkeit der Versicherungsleistungen (Art. 69 Abs. 1 ATSG) ist vorab die Begrifflichkeit von Art. 14 f. ATSG (Sach- oder Geldleistungen) massgebend (E. 6.4). Überentschädigung setzt daher funktionale Kongruenz voraus, was Natur und Wirkungsweise der konkurrierenden Leistungen betrifft; Krankenpflegebeiträge und Hilflosenentschädigung sind funktional verschiedenartig (E. 6.5). Die Vorgabe, wonach nur Leistungen "gleicher Zweckbestimmung" in die Überentschädigungsrechnung einbezogen werden, erfordert zusätzlich sachliche Kongruenz des versicherten Aufwands (inhaltliche Übereinstimmung der Grundpflege und der Hilfestellungen in alltäglichen Lebensverrichtungen); Pflegebeiträge und Hilflosenentschädigung verhalten sich diesbezüglich weitgehend komplementär zueinander (E. 6.6). In der Lehre herrscht die Ansicht vor, Art. 69 Abs. 2 ATSG sei einer Globalmethode verpflichtet, die die in Abs. 1 statuierte Kongruenzmethode verdränge resp. relativiere (E. 8.2). Auch mit Blick auf die Entstehungsgeschichte von Art. 69 ATSG zeigt sich, dass ein solcher Widerspruch nicht besteht; Abs. 2 lässt die in Abs. 1 geregelte Frage, welche zusammentreffenden Leistungen bei der Berechnung der Überentschädigung berücksichtigt werden, unberührt (E. 8.3). Art. 122 Abs. 1 KVV bietet ebenfalls keine Rechtsgrundlage zur Kürzung von Grundpflegebeiträgen im Verhältnis zu einer Hilflosenentschädigung (E. 9).

151 V 30 (9C_125/2022) from 10. September 2024
Regeste: Art. 32 Abs. 1, Art. 42 Abs. 3, 3bis, 4 und 5, Art. 56 Abs. 1 und 2, Art. 57, Art. 59 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 lit. a, Art. 59a Abs. 1 und 3, Art. 84 Abs. 1 und 2, Art. 84a Abs. 1 lit. a KVG; Art. 30-30c, Art. 59 Abs. 1, Art. 59abis und Art. 76 KVV; Art. 6 Abs. 1 und 3 KVAG; nachträgliche systematische Wirtschaftlichkeitskontrolle von ambulanten Spitalleistungen auf der Ebene von Prozeduren (Tarifpositionen); Herausgabe von Akten des Leistungserbringers zwecks stichprobeweiser Überprüfung der medizinischen Indikation von verrechneten Leistungen; Vorrang der statistischen Vergleichsmethode gegenüber einer analytischen Auswertung von Patientendossiers. Streitgegenstand (E. 2.1). Gesetzlicher Rahmen und Methoden der Wirtschaftlichkeitskontrolle (E. 2.2.1 und 2.2.2). Auskunftspflichten der Leistungserbringer, insbesondere Angabe der Diagnose; Frage des geeigneten Kodiersystems. Aufbereitung und Verwendung der Daten (E. 2.2.3). Die strittige Aktenedition (radiologische Befundung und ärztliche Zuweisung zu 55 anonymisierten Rechnungen für Computertomographien) erfasst keine Personendaten und tangiert das Patientengeheimnis nicht (E. 3). Übertragung von Kontrollbefugnissen der Krankenversicherer an einen Dienstleister im Bereich der Datenverarbeitung (E. 4.1). Zur Frage, ob die Akten an einen vertrauensärztlichen Dienst übermittelt werden müssen resp. ob der Dienstleister über einen solchen verfügen kann (E. 4.2). Eine stichprobenweise Einzelfallprüfung mit Hochrechnung anhand von 55 Rechnungen würde nicht genügen, um eine Rückforderung zu begründen, die alle unter den fraglichen Tarifpositionen erbrachten Leistungen erfasst (vgl. BGE 150 V 178; E. 5.5). Analytische Auswertungen laufen dem Grundsatz einer wirksamen und effizienten (systematischen) Wirtschaftlichkeitskontrolle zuwider (E. 5.6). Die gesetzlichen Informationsrechte der Krankenversicherer kommen nur im Rahmen einer statistischen Methodik (Durchschnittskostenvergleich) zum Tragen (E. 5.7.1). Die datenbasierte Beurteilung, ob ein Leistungserbringer bestimmte Prozeduren systematisch zu oft abrechnet, bedingt an sich eine Differenzierung nach Krankheitsbildern resp. Indikationen (E. 5.7.2 und 5.7.3). Entgegen dem Gesetz enthalten die Rechnungen der Leistungserbringer häufig keine diagnostischen Angaben, so auch hier (E. 5.7.4). Die herausverlangten Unterlagen gleichen dieses Manko teilweise aus; regelmässig vorkommende Diskrepanzen zwischen Indikation und durchgeführter Prozedur können eine statistische Abweichung erklären (E. 5.7.5 und 5.7.6). Insofern ist die Aktenedition verhältnismässig (E. 5.7.7).

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