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Art. 89 Kantonales Schiedsgericht
1 Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern entscheidet ein Schiedsgericht. 2 Zuständig ist das Schiedsgericht desjenigen Kantons, dessen Tarif zur Anwendung gelangt, oder desjenigen Kantons, in dem die ständige Einrichtung des Leistungserbringers liegt. 3 Das Schiedsgericht ist auch zuständig, wenn die versicherte Person die Vergütung schuldet (System des Tiers garant, Art. 42 Abs. 1); in diesem Fall vertritt ihr Versicherer sie auf eigene Kosten. 4 Der Kanton bezeichnet ein Schiedsgericht. Es setzt sich zusammen aus einer neutralen Person, die den Vorsitz innehat, und aus je einer Vertretung der Versicherer und der betroffenen Leistungserbringer in gleicher Zahl. Die Kantone können die Aufgaben des Schiedsgerichts dem kantonalen Versicherungsgericht übertragen; dieses wird durch je einen Vertreter oder eine Vertreterin der Beteiligten ergänzt. 5 Der Kanton regelt das Verfahren; dieses muss einfach und rasch sein. Das Schiedsgericht stellt unter Mitwirkung der Parteien die für den Entscheid erheblichen Tatsachen fest; es erhebt die notwendigen Beweise und ist in der Beweiswürdigung frei. 6 Die Entscheide werden, versehen mit einer Begründung und einer Rechtsmittelbelehrung sowie mit den Namen der Mitglieder des Gerichts, schriftlich eröffnet. BGE
149 V 195 (9C_474/2022) from 5. Juni 2023
Regeste: Art. 89 Abs. 2 KVG; die örtliche Zuständigkeit des kantonalen Schiedsgerichts bei in verschiedenen Kantonen praktizierenden Leistungserbringern. Örtlich zuständig nach der Alternativanknüpfung von Art. 89 Abs. 2 KVG (Ort der ständigen Einrichtung) ist das Schiedsgericht desjenigen Kantons, in dem die Arztperson - unter Berücksichtigung ihrer gesamten Praxis - schwerpunktmässig tätig ist. Praktiziert diese an Arbeitsorten in zwei oder mehr Kantonen, bedarf dies einer Gewichtung der jeweiligen Tätigkeiten. Für eine solche Gewichtung dürfen an die klagende Partei keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden (E. 4 und 4.1).
150 V 129 (9C_135/2022) from 12. Dezember 2023
Regeste: Art. 32 Abs. 1, Art. 35 Abs. 2 lit. a, Art. 56 Abs. 1 und 6, Art. 59 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 lit. a KVG; Rückforderung von Vergütungen der Krankenversicherer an ärztliche Leistungserbringer bei Verstössen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot ("Überarztung"); tarifpartnerschaftlicher Vertrag betreffend die Screening-Methode zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit. Rechtsgrundlagen und Leitsätze der Rechtsprechung (E. 4.1 und 4.2); Abfolge der Verträge über die Methode zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit (E. 4.3); statistische Natur der Screening-Methode; Unterschied zur analytischen Methode (E. 4.4). Die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der Screening-Methode setzt sich aus einer Regressionsanalyse (Screening) und, bei auffälligem Resultat, einer anschliessenden Einzelfallprüfung zusammen (E. 5.2). Ein auffälliges Ergebnis der Regressionsanalyse bedeutet noch keine Feststellung von Unwirtschaftlichkeit. Insoweit handelt es sich nicht um eine Beweismethode. Ebenso wenig führt eine auffällige Kostenstruktur zu einer Umkehrung der Beweislast; der Leistungserbringer ist indes mitwirkungspflichtig (E. 5.3). Die im Rahmen des Screenings zu veranschlagende Toleranzmarge trägt vor allem der ärztlichen Behandlungsfreiheit Rechnung; die neue Methode wirkt sich nicht auf die Toleranzmarge aus (E. 5.4). Praxistypologische Merkmale (z.B. Selbstdispensation) sind auf Stufe der Einzelfallprüfung zu berücksichtigen, wenn sie nicht als Screening-Faktor implementiert werden können (E. 5.5.2). Praxisbesonderheiten, die sich auf Eigenschaften des Patientenkollektivs beziehen, kann gestützt auf Patientendossiers oder Statistiken Rechnung getragen werden, soweit sie nicht schon im Rahmen der Regressionsanalyse standardisiert worden sind (E. 5.5.3). Zum Verhältnis zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und Schiedsgerichtsverfahren (E. 5.6). Da im vorliegenden Fall eine Einzelfallprüfung unterblieben ist, sind die Klage und folglich die vorinstanzlichen Entscheidungsgrundlagen unvollständig (E. 5.7 und 5.8). Die Führung einer Praxisapotheke (Selbstdispensation) ist grundsätzlich kostenrelevant (E. 6.4). Der in die Screening-Methode integrierte Morbiditätsfaktor Pharmaceutical Cost Groups (PCG; "pharmazeutische Kostengruppen") neutralisiert Mehrkosten infolge von Selbstdispensation nicht (E. 6.5). Möglichkeiten, um diesem Merkmal Rechnung zu tragen (E. 6.6).
151 V 30 (9C_125/2022) from 10. September 2024
Regeste: Art. 32 Abs. 1, Art. 42 Abs. 3, 3bis, 4 und 5, Art. 56 Abs. 1 und 2, Art. 57, Art. 59 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 lit. a, Art. 59a Abs. 1 und 3, Art. 84 Abs. 1 und 2, Art. 84a Abs. 1 lit. a KVG; Art. 30-30c, Art. 59 Abs. 1, Art. 59abis und Art. 76 KVV; Art. 6 Abs. 1 und 3 KVAG; nachträgliche systematische Wirtschaftlichkeitskontrolle von ambulanten Spitalleistungen auf der Ebene von Prozeduren (Tarifpositionen); Herausgabe von Akten des Leistungserbringers zwecks stichprobeweiser Überprüfung der medizinischen Indikation von verrechneten Leistungen; Vorrang der statistischen Vergleichsmethode gegenüber einer analytischen Auswertung von Patientendossiers. Streitgegenstand (E. 2.1). Gesetzlicher Rahmen und Methoden der Wirtschaftlichkeitskontrolle (E. 2.2.1 und 2.2.2). Auskunftspflichten der Leistungserbringer, insbesondere Angabe der Diagnose; Frage des geeigneten Kodiersystems. Aufbereitung und Verwendung der Daten (E. 2.2.3). Die strittige Aktenedition (radiologische Befundung und ärztliche Zuweisung zu 55 anonymisierten Rechnungen für Computertomographien) erfasst keine Personendaten und tangiert das Patientengeheimnis nicht (E. 3). Übertragung von Kontrollbefugnissen der Krankenversicherer an einen Dienstleister im Bereich der Datenverarbeitung (E. 4.1). Zur Frage, ob die Akten an einen vertrauensärztlichen Dienst übermittelt werden müssen resp. ob der Dienstleister über einen solchen verfügen kann (E. 4.2). Eine stichprobenweise Einzelfallprüfung mit Hochrechnung anhand von 55 Rechnungen würde nicht genügen, um eine Rückforderung zu begründen, die alle unter den fraglichen Tarifpositionen erbrachten Leistungen erfasst (vgl. BGE 150 V 178; E. 5.5). Analytische Auswertungen laufen dem Grundsatz einer wirksamen und effizienten (systematischen) Wirtschaftlichkeitskontrolle zuwider (E. 5.6). Die gesetzlichen Informationsrechte der Krankenversicherer kommen nur im Rahmen einer statistischen Methodik (Durchschnittskostenvergleich) zum Tragen (E. 5.7.1). Die datenbasierte Beurteilung, ob ein Leistungserbringer bestimmte Prozeduren systematisch zu oft abrechnet, bedingt an sich eine Differenzierung nach Krankheitsbildern resp. Indikationen (E. 5.7.2 und 5.7.3). Entgegen dem Gesetz enthalten die Rechnungen der Leistungserbringer häufig keine diagnostischen Angaben, so auch hier (E. 5.7.4). Die herausverlangten Unterlagen gleichen dieses Manko teilweise aus; regelmässig vorkommende Diskrepanzen zwischen Indikation und durchgeführter Prozedur können eine statistische Abweichung erklären (E. 5.7.5 und 5.7.6). Insofern ist die Aktenedition verhältnismässig (E. 5.7.7). |
