Bundesgesetz
über die Mehrwertsteuer
(Mehrwertsteuergesetz, MWSTG)


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Art. 96 Steuerhinterziehung

1 Mit Bus­se bis zu 400 000 Fran­ken wird be­straft, wer vor­sätz­lich oder fahr­läs­sig die Steu­er­for­de­rung zu­las­ten des Staa­tes ver­kürzt, in­dem er:

a.
in ei­ner Steu­er­pe­ri­ode nicht sämt­li­che Ein­nah­men, zu ho­he Ein­nah­men aus von der Steu­er be­frei­ten Leis­tun­gen, nicht sämt­li­che der Be­zug­steu­er un­ter­lie­gen­den Aus­ga­ben oder zu ho­he zum Vor­steu­er­ab­zug be­rech­ti­gen­de Aus­ga­ben de­kla­riert;
b.
ei­ne un­recht­mäs­si­ge Rück­er­stat­tung er­wirkt; oder
c.
einen un­ge­recht­fer­tig­ten Steu­er­er­lass er­wirkt.

2 Die Bus­se be­trägt bis zu 800 000 Fran­ken, wenn die hin­ter­zo­ge­ne Steu­er in den in Ab­satz 1 ge­nann­ten Fäl­len in ei­ner Form über­wälzt wird, die zum Vor­steu­er­ab­zug be­rech­tigt.

3 Mit Bus­se bis zu 200 000 Fran­ken wird be­straft, wer die Steu­er­for­de­rung zu­las­ten des Staa­tes ver­kürzt, in­dem er die für die Steu­er­fest­set­zung re­le­van­ten Fak­to­ren zwar wahr­heits­ge­treu de­kla­riert, aber steu­er­lich falsch qua­li­fi­ziert, so­fern er vor­sätz­lich kla­re ge­setz­li­che Be­stim­mun­gen, An­ord­nun­gen der Be­hör­den oder pu­bli­zier­te Pra­xis­fest­le­gun­gen nicht rich­tig an­wen­det und die Be­hör­den dar­über nicht vor­gän­gig schrift­lich in Kennt­nis setzt. Bei fahr­läs­si­ger Be­ge­hung be­trägt die Bus­se bis zu 20 000 Fran­ken.

4 Mit Bus­se bis zu 800 000 Fran­ken wird be­straft, wer die Steu­er­for­de­rung zu­las­ten des Staa­tes ver­kürzt, in­dem er:

a.
vor­sätz­lich oder fahr­läs­sig bei der Ein­fuhr Wa­ren nicht oder un­rich­tig an­mel­det oder ver­heim­licht;
b.
vor­sätz­lich im Rah­men ei­ner be­hörd­li­chen Kon­trol­le oder ei­nes Ver­wal­tungs­ver­fah­rens, das auf die Fest­set­zung der Steu­er­for­de­rung oder den Steu­er­er­lass ge­rich­tet ist, auf ent­spre­chen­de Nach­fra­ge hin kei­ne, un­wah­re oder un­voll­stän­di­ge An­ga­ben macht.

5 Der Ver­such ist straf­bar.

6 Wird der Steu­er­vor­teil auf­grund ei­ner feh­ler­haf­ten Ab­rech­nung er­zielt, so ist die Steu­er­hin­ter­zie­hung erst straf­bar, wenn die Frist zur Kor­rek­tur von Män­geln in der Ab­rech­nung (Art. 72 Abs. 1) ab­ge­lau­fen ist und der Feh­ler nicht kor­ri­giert wur­de.

BGE

148 IV 96 (6B_938/2020, 6B_942/2020) from 12. November 2021
Regeste: Art. 101 Abs. 1, 4 und 5 MWSTG; Art. 9 VStrR; Art. 49 StGB; Berechnung der Mehrwertsteuerbusse bei Tatmehrheit; Asperations- und Kumulationsprinzip. Der in Art. 9 VStrR verankerte Ausschluss des Asperationsprinzips für Bussen und Umwandlungsstrafen gilt - besondere Bestimmungen in den entsprechenden Verwaltungsgesetzen vorbehalten - auch bei Konkurrenz zwischen Widerhandlungen gegen verschiedene Verwaltungsgesetze sowie bei mehreren Widerhandlungen nach demselben Verwaltungsgesetz (E. 4.5.1). Im Anwendungsbereich des MWSTG ist das Asperationsprinzip - trotz des generellen Ausschlusses von Art. 9 VStrR in Art. 101 Abs. 1 MWSTG - auf die in Art. 101 Abs. 4 und 5 MWSTG geregelten Fälle beschränkt. Art. 101 Abs. 4 MWSTG erfasst im Zuständigkeitsbereich der EZV nur die Idealkonkurrenz ("eine Handlung"), während Art. 101 Abs. 5 MWSTG für den Zuständigkeitsbereich der ESTV auch die Realkonkurrenz regelt ("eine oder mehrere Handlungen"). Für im Zuständigkeitsbereich der EZV in Realkonkurrenz begangene Straftaten, d.h. durch Nichtanmeldung von Waren bei deren Einfuhr in die Schweiz zu unterschiedlichen Zeitpunkten bzw. an unterschiedlichen Orten, gilt daher das Kumulationsprinzip (E. 4.5.2-4.7).

149 IV 395 (6B_1186/2022, 6B_1193/2022) from 12. Juli 2023
Regeste: Art. 85 Abs. 1 und 3 aMWSTG; Art. 96 Abs. 4 lit. a, Art. 97 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 2 und 3 MWSTG; Art. 2 und 8 VStrR; Art. 34, 47 und 106 Abs. 3 StGB; Strafzumessung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuerhinterziehung. Allgemeine Strafzumessungskritieren (E. 3.6.2; Bestätigung der Rechtsprechung). Kennt der anwendbare Straftatbestand, wie dies bei Art. 85 Abs. 1 aMWSTG und Art. 97 Abs. 1 Satz 2 MWSTG der Fall ist, keinen generell-abstrakten oberen Bussenrahmen, sondern lediglich einen oberen Bussenrahmen für den Einzelfall, der sich an der Höhe der hinterzogenen Steuer oder des unrechtmässigen Vorteils orientiert, darf für die Frage, ob die Busse im oberen oder unteren Bereich dieses individuellen Bussenrahmens anzusetzen ist, nicht erneut auf die Höhe der hinterzogenen Steuer abgestellt werden (sog. Doppelverwertungsverbot; E. 3.7.1). Bei der vorsätzlichen, vollendeten Hinterziehung der Einfuhrsteuer im Sinne von Art. 85 Abs. 1 aMWSTG muss Ausgangspunkt für die Strafzumessung ein Strafmass im Bereich des Einfachen der hinterzogenen Steuer sein. Ausgehend davon ist die Strafe aufgrund der übrigen Strafzumessungsfaktoren, namentlich der konkreten Tatumstände und des subjektiven Tatverschuldens sowie bei Bussen über Fr. 5'000.- (vgl. Art. 8 VStrR) in Berücksichtigung der persönlichen und insbesondere wirtschaftlichen Verhältnisse, zu mindern oder zu schärfen (E. 3.7.2 und 3.7.3). Ratio legis des in Art. 96 ff. MWSTG vorgesehenen neuen Konzepts des Mehrwertsteuerstrafrechts (E. 3.8 und 3.10.2). Trotz des in Art. 96 Abs. 4 lit. a MWSTG verankerten fixen oberen Bussenrahmens muss Ausgangspunkt für die Strafzumessung bei der vorsätzlichen Hinterziehung der Einfuhrsteuer wie altrechtlich der (ungefähre) Deliktserlös bilden, wobei der strafrechtlich relevante Deliktserlös angesichts des im Strafrecht geltenden Grundsatzes "in dubio pro reo" mit dem von den Steuerbehörden errechneten Betrag nicht zwingend identisch sein muss (E. 3.10.1).

150 II 177 (9C_716/2022) from 15. Dezember 2023
Regeste: Art. 11 und 12 VStrR; Art. 75 ZG; Art. 20 AStG; Art. 56 Abs. 4 und Art. 105 MWSTG; Verhältnis der Nachleistungspflicht gemäss Art. 12 VStrR zu den Abgabeforderungen; Verjährung der Nachleistungspflicht, insbesondere bei Erfüllung des objektiven Tatbestands der Einfuhrsteuerhinterziehung. Art. 12 VStrR verleiht der Bundesverwaltung einen eigenständigen Anspruch auf die Nachleistung von Abgaben, der von der Abgabeforderung separat ist und der unabhängig von dieser nach Art. 11 VStrR verjährt. Die zuständige Verwaltungsbehörde kann wahlweise den einen oder den anderen Anspruch erheben, wobei die Befriedigung des einen zum Untergang des anderen Anspruchs führt, soweit sie sich betragsmässig decken (alternative Anspruchskonkurrenz; Praxispräzisierung; E. 5.1-5.3). Die Nachleistungspflicht wegen objektiver Widerhandlung gegen Art. 96 Abs. 4 lit. a MWSTG (Einfuhrsteuerhinterziehung) kann nicht mehr verjähren, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist von Art. 105 Abs. 1 MWSTG eine Verfügung über die Nachleistungspflicht eröffnet worden ist (E. 5.7 und 5.8).

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