Schweizerisches Strafgesetzbuch

vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. Januar 2022)


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Art. 19

Schul­d­un­fä­hig­keit und ver­min­der­te Schuld­fä­hig­keit

 

1 War der Tä­ter zur Zeit der Tat nicht fä­hig, das Un­recht sei­ner Tat ein­zu­se­hen oder ge­mä­ss die­ser Ein­sicht zu han­deln, so ist er nicht straf­bar.

2 War der Tä­ter zur Zeit der Tat nur teil­wei­se fä­hig, das Un­recht sei­ner Tat ein­zu­se­hen oder ge­mä­ss die­ser Ein­sicht zu han­deln, so mil­dert das Ge­richt die Stra­fe.

3 Es kön­nen in­des­sen Mass­nah­men nach den Ar­ti­keln 59–61, 63, 64, 67, 67b und 67e ge­trof­fen wer­den.15

4 Konn­te der Tä­ter die Schul­d­un­fä­hig­keit oder die Ver­min­de­rung der Schuld­fä­hig­keit ver­mei­den und da­bei die in die­sem Zu­stand be­gan­ge­ne Tat vor­aus­se­hen, so sind die Ab­sät­ze 1–3 nicht an­wend­bar.

15 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 13. Dez. 2013 über das Tä­tig­keits­ver­bot und das Kon­takt- und Ray­on­ver­bot, in Kraft seit 1. Jan. 2015 (AS 2014 2055; BBl 2012 8819).

BGE

85 IV 189 () from 27. Oktober 1959
Regeste: Nichtanzeigen eines Fundes. Art. 332 StGB. - Irrige Vorstellung über den Sachverhalt. Art. 19 StGB. 1. Die Übertretung nach Art. 332 StGB kommt nur in Frage, wenn nicht das Vergehen des Art. 141 StGB (Fundunterschlagung) begangen worden ist, oder wenn der Täter mangels Strafantrages nicht wegen dieses Vergehens verfolgt werden kann (Erw. 1). 2. Der Nichtanzeige eines Fundes (Art. 332 StGB) macht sich nur schuldig, wer vorsätzlich den Fund einer verlorenen (Art. 720 ZGB) oder das Vorfinden einer gemäss Art. 725 Abs. 1 ZGB in seinen Gewahrsam gelangten Sache nicht anzeigt (in Missachtung von Art. 720 Abs. 2/725 Abs. 1 ZGB). - Nimmt der Finder irrigerweise an, die Sache sei vom Eigentümer aufgegeben worden und daher herrenlos, so liegt vorsätzliche und damit strafbare Übertretung nicht vor (Art. 19 StGB) (Erw. 2).

100 IV 244 () from 28. November 1974
Regeste: 1. Verweisungsbruch, Art. 291 StGB. Art. 23 ANAG ist zu dieser Bestimmung subsidiär (Erw. 1). 2. Trennung von Ehegatten infolge fremdenpolizeilicher Ausweisung, Art. 11 Abs. 2 ANAG. Das Bundesgericht kann nicht prüfen, ob diese Bestimmung vor dem das Recht zur Ehe gewährleistenden Art. 54 BV standhält (Art. 113 Abs. 3 BV) (Erw. 2). 3. Rechtsirrtum, Art. 20 StGB. a) Verkennen einer Rechtsnorm entschuldigt nicht, wenn sie genügend klar ist, so dass auch ein Rechtsunkundiger das darin enthaltene Gebot oder Verbot erkennen kann. b) Im Zweifel über die Tragweite einer (Ausweisungs-) Verfügung ist es dem von dieser Beschwerten zuzumuten, sich bei der verfügenden Behörde danach zu erkundigen (Erw. 3).

101 IV 407 () from 21. November 1975
Regeste: 1. Art. 312 StGB. Der Zuschlag einer öffentlichen Arbeit an einen privaten Unternehmer auf Grund vorangegangener Ausschreibung und die Verweigerung dieses Zuschlags an einen andern Bewerber, der sich auf die Submission hin ebenfalls gemeldet hat, stellen keine Äusserung staatlicher Befehlsgewalt dar und fallen nicht unter diese Bestimmung (Erw. 1). 2. Art. 314 StGB. Diese Bestimmung kommt nur dann zur Anwendung, wenn das Behördemitglied durch das Rechtsgeschäft selber und dessen rechtliche Wirkungen öffentliche Interessen finanzieller oder ideeller Art vorsätzlich schädigt (Erw. 2).

102 IV 29 () from 6. Februar 1976
Regeste: 1. Art. 305 StGB. Wer einen Dritten begünstigt, ist straflos, wenn er zugleich auch sich selbst begünstigen wollte (Erw. 1). 2. Art. 251 Ziff. 1, 110 Ziff. 5 StGB. Eine Falschurkunde kann auch vorliegen, wenn unwahre Tatsachen beurkundet werden, die für die Beurteilung des Werts oder der Beweiskraft eines Beweismittels von rechtlicher Bedeutung sind (Erw. 2a). Beweiseignung privatschriftlicher Aufzeichnungen kraft kantonalen Prozessrechts (Erw. 2b).

102 IV 109 () from 14. Mai 1976
Regeste: Art. 5 Abs. 1 SVG. Der Bürger darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass amtlich publizierte verkehrspolizeiliche Anordnungen ohne Verzug entsprechend signalisiert werden.

102 IV 273 () from 24. September 1976
Regeste: Art. 194 StGB. "Verführen" im Sinne dieser Vorschrift heisst auf den Willen des Unmündigen einen bestimmenden Einfluss ausüben (Bestätigung der Rechtsprechung). Der Richter hat deshalb möglichst die gesamten Beziehungen zwischen den Partnern abzuklären und sich nicht auf die den Unzuchtshandlungen unmittelbar vorangegangene Zeitspanne zu beschränken (Erw. 1).

104 IV 175 () from 3. Mai 1978
Regeste: Art. 273 StGB. Wirtschaftlicher Nachrichtendienst; Art. 162 StGB. Verletzung des Geschäftsgeheimnisses. a) Geschäftsgeheimnis (Erw. 1b, c). b) Schutzwürdigkeit des Geheimhaltungsinteresses (Erw. 2). c) Zuständigkeit, Art. 7 StGB (Erw. 3). d) Vorsatz (Erw. 4). e) Rechtsirrtum, Art. 20 StGB (Erw. 5). f) Sachverhaltsirrtum, Art. 19 StGB (Erw. 6).

104 IV 201 () from 1. Juni 1978
Regeste: Art. 73 SSV. 1. Aufeinanderfolgende Signale am Ende einer Autobahn, welche die Höchstgeschwindigkeit stufenweise senken, entsprechen dieser Bestimmung; sie können den aufmerksamen und sein Fahrzeug beherrschenden Lenker weder überraschen noch irreführen (Erw. 1). 2. Für die Verbindlichkeit eines Signals nachts kommt es nicht darauf an, ob es beleuchtet ist oder reflektiert, sondern ob es aus mindestens 100 m Entfernung sichtbar ist, d. h. vom aufmerksamen Lenker leicht erkannt werden kann (Erw. 2).

109 IV 65 () from 17. November 1983
Regeste: Art. 19, 20 StGB. Wer sich über Lebensvorgänge oder Umstände irrt, welche einem objektiven Tatbestandsmerkmal entsprechen (z.B. über die Fremdheit einer weggenommenen Sache), befindet sich in einer irrigen Vorstellung über den rechtserheblichen Sachverhalt im Sinne von Art. 19 StGB. Art. 20 StGB regelt demgegenüber ausschliesslich den Irrtum darüber, ob ein bestimmtes Verhalten verboten ist.

115 IV 26 () from 23. Januar 1989
Regeste: Art. 32 und 145 StGB, Art. 737 ZGB; Sachbeschädigung, Rechtfertigungsgrund aus Dienstbarkeitsvertrag. Das dingliche Recht des Dienstbarkeitsberechtigten an einer fremden Sache ändert nichts daran, dass diese für ihn zivilrechtlich und damit auch im Sinne von Art. 145 StGB fremd bleibt (E. 2a). Art. 737 ZGB bildet jedenfalls für die positiven Dienstbarkeiten einen Rechtfertigungsgrund. Der Dienstbarkeitsberechtigte darf im Rahmen der Servitutsberechtigung auf dem belasteten Grundstück insbesondere Unterhalts-, Reparatur- und Erneuerungsarbeiten ausführen, ohne vorgängig den Rechtsweg beschreiten zu müssen (E. 3a).

116 IV 143 () from 31. August 1990
Regeste: Art. 19 und 145 StGB; Sachbeschädigung. Wer ein Tier in der irrigen Annahme verletzt, es handle sich dabei um ein in Freiheit lebendes wildes Tier und damit um eine herrenlose Sache, macht sich nicht der Sachbeschädigung schuldig (E. 2).

117 IV 270 () from 13. September 1991
Regeste: Art. 19 und Art. 177 StGB. Beschimpfung unter dem Einfluss eines Sachverhaltsirrtums (E. 2). Art. 49 Abs. 2 OR. Richterliche Zusprechung einer Genugtuung. Es verstösst nicht gegen Bundesrecht, auf die Leistung einer Genugtuung an einen Dritten (z.B. an eine wohltätige Organisation) statt an den Verletzten zu erkennen (E. 3e). Art. 277quater Abs. 2 BStP. Bedeutung der strafrechtlichen Entscheidung für den Zivilpunkt. Der Kassationshof tritt auf die Beschwerde im Zivilpunkt schon dann ein, wenn möglicherweise seine abweichende Beurteilung im Strafpunkt für die Entscheidung im Zivilpunkt von Bedeutung ist; es ist nicht erforderlich, dass insoweit Gewissheit bestehe (E. 3c und d).

117 IV 302 () from 28. November 1991
Regeste: Art. 95 Ziff. 2, Art. 100 Ziff. 1 Abs. 1 SVG; Art. 18 Abs. 3, Art. 19 Abs. 2 StGB. Das Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs ist auch bei fahrlässiger Begehung strafbar. Bei Fahrlässigkeit gilt aber anstelle der in Art. 95 Ziff. 2 SVG angedrohten Strafe von wenigstens 10 Tagen Haft und Busse der bei Übertretungen allgemein übliche Strafrahmen von Haft oder Busse.

118 IV 200 () from 2. Juni 1992
Regeste: Art. 19 und Art. 19a BetmG. Abgrenzung. 1. Wer den Kontakt zwischen Kaufinteressenten und Drogenverkäufern herstellt, um mit der aus dem nachfolgenden Drogengeschäft resultierenden, aus einem Drogenanteil bestehenden Provision den Eigenkonsum zu sichern, macht sich der Vermittlung im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG schuldig (E. 2). 2. Der privilegierte Tatbestand von Art. 19a BetmG erfasst nur jene Beschaffungshandlungen, die ausschliesslich dem eigenen Drogenkonsum dienen und somit eine Gefährdung Dritter ausschliessen. Nicht privilegiert sind Beschaffungshandlungen, die zum Drogenkonsum Dritter führen oder konkret führen können, wie insbesondere Verkauf, Vermittlung oder entsprechendes Lagern (E. 3).

119 IV 255 () from 10. November 1993
Regeste: Art. 31 Abs. 2 SVG, Art. 18 Abs. 3 und Art. 19 StGB; fahrlässiges Fahren in angetrunkenem Zustand, Bedeutung eines privaten Atemlufttests. Das Ergebnis eines Atemalkoholmessgeräts kann erheblich vom Resultat einer Blutprobe abweichen; Gründe (E. 2a). Dass Abweichungen vorkommen können und genossener Alkohol eine gewisse Zeit braucht, um vom Blut aufgenommen zu werden, gehört zum Allgemeinwissen (E. 2b). Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung, weil der Fahrzeuglenker aufgrund des Testergebnisses, des Allgemeinwissens und der persönlichen Verhältnisse seine Angetrunkenheit hätte erkennen und entsprechend handeln können (E. 2c).

121 IV 207 () from 13. Juli 1995
Regeste: Art. 2 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG; Art. 270 Abs. 1 BStP; Legitimation des Opfers zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde. Umstände unter denen es nicht notwendig ist, dass das Opfer im Strafverfahren Zivilforderungen aus strafbarer Handlung geltend gemacht hat (E. 1a). Art. 125 Abs. 2 StGB; schwere fahrlässige Körperverletzung. Schwere fahrlässige Körperverletzung, durch einen Polizeibeamten verursacht, der seine Pistole mit gespanntem Hahn in eine halb geöffnete Autotüre hält (E. 2b).

122 IV 1 () from 8. Dezember 1995
Regeste: Art. 33 Abs. 1 und 34 Ziff. 1 StGB; Abgrenzung zwischen Notstand und Notwehr; von seiner Frau getöteter Haustyrann. Die Notstandshandlung ist rechtmässig, wenn das geschützte Rechtsgut höherwertig ist als das verletzte; sie ist rechtswidrig, aber entschuldbar oder straflos, wenn die fraglichen Rechtsgüter gleichwertig sind (E. 2b). Unmittelbare Gefahr (E. 3a und b). Nicht anders abwendbare Gefahr (E. 3). Entschuldigender Notstand kann vorliegen bei einer Person, die ihren Peiniger tötet, um der Marter ein Ende zu setzen (E. 4 und 5).

126 IV 53 () from 20. Januar 2000
Regeste: Art. 51 Abs. 3 und Art. 91 Abs. 3 SVG, Art. 23 Abs. 1 StGB; Unterlassung der Meldung eines Unfalls an die Polizei, Vereitelung einer Blutprobe, untauglicher Versuch. Fall eines Lenkers, der bei einem Selbstunfall keinen Drittschaden verursacht hat und somit zur Meldung nicht verpflichtet war, die Verursachung eines Drittschadens aber als möglich angesehen und in Kauf genommen hat. Bestätigung des Schuldspruchs wegen untauglichen Versuchs der Vereitelung einer Blutprobe (E. 2).

129 IV 6 () from 25. September 2002
Regeste: Art. 181 StGB (Nötigung); Art. 32-34 StGB (Rechtfertigungsgründe); Wahrnehmung berechtigter Interessen; Art. 20 StGB (Verbotsirrtum); Art. 48 Ziff. 2, Art. 63 StGB (Strafzumessung). Blockadeaktionen von "Greenpeace"-Aktivisten gegen die Kernkraftwerke Beznau, Gösgen und Leibstadt. Objektiver und subjektiver Tatbestand der Nötigung (E. 2). Prüfung der Rechtfertigungsgründe der Wahrnehmung berechtigter Interessen, der Notstandshilfe, der Putativnotwehr und der Gesetzespflicht (E. 3). Rechtswidrigkeit der Nötigung (E. 3.4-3.7). Voraussetzung für den Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist grundsätzlich, dass zuvor der Rechtsweg mit legalen Mitteln beschritten und ausgeschöpft worden ist. Die inkriminierte Handlung muss ein zum Erreichen des angestrebten berechtigten Ziels notwendiges und angemessenes Mittel darstellen und offenkundig weniger schwer wiegen als die Interessen, die der Täter zu wahren sucht. Dies gilt auch, wenn vermeintliche Missstände öffentlich gemacht werden sollen (E. 3.3). Verbotsirrtum (E. 4). Substanziierungsanforderungen der Nichtigkeitsbeschwerde (E. 5). Strafzumessung (E. 6).

129 IV 238 () from 4. April 2003
Regeste: Art. 305bis Ziff. 1, Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 StGB; Geldwäscherei, irrige Vorstellung über den Sachverhalt, Rechtsirrtum. Wer fälschlicherweise der Überzeugung ist, aus dem Drogenhandel stammende Vermögenswerte seien wegen Zeitablaufs nicht mehr einziehbar, handelt in einem Sachverhaltsirrtum (E. 3).

130 IV 77 () from 11. Juni 2004
Regeste: Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG; Erleichtern des rechtswidrigen Verweilens. Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG erfasst nicht nur die Schlepper (E. 2.2). Unter den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt, wer einen rechtswidrig im Lande weilenden Ausländer - im konkreten Fall während mehr als drei Monaten - beherbergt und dadurch den behördlichen Zugriff erschwert beziehungsweise verunmöglicht (E. 2.3).

134 IV 132 (6B_401/2007, 6B_426/2007, 6B_473/2007) from 8. November 2007
Regeste: Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit (Art. 11 und 63 aStGB; Art. 19 und 47 StGB). Massgebende Grundsätze (Bestätigung und Klarstellung der Rechtsprechung; E. 6).

136 IV 55 (6B_238/2009) from 8. März 2010
Regeste: Art. 19 Abs. 2, Art. 47 und 50 StGB; Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit; Begründungspflicht. Ausgehend von der objektiven Tatschwere hat der Richter das (subjektive) Tatverschulden zu bewerten. Dabei hat er (auch) die verminderte Schuldfähigkeit zu berücksichtigen. Er muss dartun, in welchem Umfange sich diese verschuldensmindernd auswirkt (E. 5.5 und 5.6). Die Gesamteinschätzung des Tatverschuldens ist im Urteil zu benennen, damit überprüft werden kann, ob die daraus resultierende (hypothetische) Strafe angemessen ist und mit der durch den gesetzlichen Strafrahmen zum Ausdruck gebrachten Abstufung des Unrechtsgehaltes übereinstimmt (E. 5.7). Die tat- und täterangemessene Strafe für eine einzelne Tat ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens festzusetzen. Dieser ist nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint. Die Frage einer Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann sich stellen, wenn verschuldens- bzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die einen objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter relativieren, so dass eine Strafe innerhalb des ordentlichen Rahmens dem Rechtsempfinden widerspräche. Die verminderte Schuldfähigkeit allein führt deshalb grundsätzlich nicht dazu, den ordentlichen Strafrahmen zu unterschreiten. Dazu bedarf es weiterer, ins Gewicht fallender Umstände, die das Verschulden als besonders leicht erscheinen lassen (E. 5.8).

136 IV 156 (6B_750/2009) from 13. Juli 2010
Regeste: Art. 63b StGB; Art. 5 EMRK; Anordnung einer stationären Massnahme nach vollständiger Verbüssung der Freiheitsstrafe. Die Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme nach vollständiger Verbüssung der Strafe bleibt auch unter dem Geltungsbereich des neuen Massnahmenrechts in klaren Ausnahmefällen und unter strenger Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgebotes zulässig (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2-4).

143 IV 330 (1B_322/2017) from 24. August 2017
Regeste: Art. 221 Abs. 1 StPO; Art. 12 Abs. 2 Satz 2, Art. 19 und Art. 111 StGB; Fortsetzung von Untersuchungshaft; dringender Tatverdacht einer eventualvorsätzlichen Tötung; Schuldfragen, Kausalzusammenhang. Der vom Haftrichter zu prüfende dringende Tatverdacht bezieht sich grundsätzlich auf ein tatbestandsmässiges und rechtswidriges Verbrechen oder Vergehen. Dabei können sich auch Fragen hinsichtlich des Kausalzusammenhanges stellen. Das Vorliegen und das Ausmass der strafrechtlichen Schuldfähigkeit sowie die schuldangemessene bzw. sachlich gebotene (verschuldensunabhängige) Sanktion sind demgegenüber vom Sachrichter zu prüfen. Anders liegt der Fall, wenn ausnahmsweise schon im Haftprüfungsverfahren klar ist, dass weder eine Strafe noch eine freiheitsentziehende Massnahme in Frage kommen kann. Haftrechtliche Tragweite eines psychiatrischen Gutachtens, das dem Beschuldigten Schuldunfähigkeit attestiert. Dringender Tatverdacht einer eventualvorsätzlichen Tötung bejaht bei einem Fall von mutmasslichem versuchtem Suizid des Beschuldigten durch Frontalzusammenstoss seines Fahrzeuges mit einem entgegenkommenden Personenwagen, dessen Lenker dabei getötet wurde (E. 2).

145 IV 94 (6B_822/2018) from 7. Dezember 2018
Regeste: Entschädigung bei Freispruch infolge Schuldunfähigkeit (Art. 429 StPO). Die beschuldigte Person, die als Folge ihrer Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, hat Anspruch auf eine Entschädigung gemäss Art. 429 StPO (E. 1). Diese Entschädigung kann herabgesetzt oder verweigert werden, wenn die betroffene Person die Kosten des Verfahrens in Anwendung von Art. 419 StPO vollständig oder teilweise trägt (E. 2).

145 IV 359 (6B_375/2018) from 12. August 2019
Regeste: Art. 431 Abs. 2 StPO; Anrechnung der Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft auf ambulante Massnahmen. Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft ist an eine ambulante Massnahme (Art. 63 ff. StGB) grundsätzlich anzurechnen, soweit dieser im konkreten Einzelfall freiheitsentziehende Wirkung zukommt (E. 2.7). Eine Entschädigung und Genugtuung wegen Überhaft können nur in Frage kommen, wenn sich ex post zeigen sollte, dass das Gesamtmass des mit der ambulanten Behandlung einhergehenden Freiheitsentzugs von der Dauer her im Einzelfall kürzer ist als die erstandene Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft (E. 2.8).

147 IV 193 (6B_1073/2020) from 13. April 2021
Regeste: Art. 13 StGB; Krankheitsbedingter Irrtum. Ein schuldunfähiger Beschuldigter kann sich nicht auf einen Sachverhaltsirrtum nach Art. 13 StGB berufen, wenn seine irrige Vorstellung über die tatsächlichen Verhältnisse auf seine zur Schuldunfähigkeit führende psychische Erkrankung zurückgeht (E. 1.4).

 

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