Schweizerisches Strafgesetzbuch

vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. Juni 2022)


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Art. 55a42

3. Sis­tie­rung und Ein­stel­lung des Ver­fah­rens.

Ehe­gat­te, ein­ge­tra­ge­ne Part­ne­rin, ein­ge­tra­ge­ner Part­ner oder Le­ben­s­part­ner als Op­fer

 

1Bei ein­fa­cher Kör­per­ver­let­zung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3–5), wie­der­hol­ten Tät­lich­kei­ten (Art. 126 Abs. 2 Bst. b, bbis und c), Dro­hung (Art. 180 Abs. 2) und Nö­ti­gung (Art. 181) kann die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt das Ver­fah­ren sis­tie­ren, wenn:43

a.44
das Op­fer:
1.
der Ehe­gat­te des Tä­ters ist und die Tat wäh­rend der Ehe oder in­ner­halb ei­nes Jah­res nach de­ren Schei­dung be­gan­gen wur­de, oder
2.
die ein­ge­tra­ge­ne Part­ne­rin oder der ein­ge­tra­ge­ne Part­ner des Tä­ters ist und die Tat wäh­rend der Dau­er der ein­ge­tra­ge­nen Part­ner­schaft oder in­ner­halb ei­nes Jah­res nach de­ren Auf­lö­sung be­gan­gen wur­de, oder
3.
der he­te­ro- oder ho­mo­se­xu­el­le Le­ben­s­part­ner be­zie­hungs­wei­se der noch nicht ein Jahr ge­trennt le­ben­de Ex-Le­ben­s­part­ner des Tä­ters ist; und
b.45
das Op­fer oder, falls die­ses nicht hand­lungs­fä­hig ist, sein ge­setz­li­cher Ver­tre­ter dar­um er­sucht; und
c.46
die Sis­tie­rung ge­eig­net er­scheint, die Si­tua­ti­on des Op­fers zu sta­bi­li­sie­ren oder zu ver­bes­sern.

2 Die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt kann für die Zeit der Sis­tie­rung die be­schul­dig­te Per­son da­zu ver­pflich­ten, ein Lern­pro­gramm ge­gen Ge­walt zu be­su­chen. Die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt in­for­miert die nach kan­to­na­lem Recht für Fäl­le häus­li­cher Ge­walt zu­stän­di­ge Stel­le über die ge­trof­fe­nen Mass­nah­men.47

3 Die Sis­tie­rung ist nicht zu­läs­sig, wenn:

a.
die be­schul­dig­te Per­son we­gen ei­nes Ver­bre­chens oder Ver­ge­hens ge­gen Leib und Le­ben, ge­gen die Frei­heit oder ge­gen die se­xu­el­le In­te­gri­tät ver­ur­teilt wur­de;
b.
ge­gen sie ei­ne Stra­fe ver­hängt oder ei­ne Mass­nah­me an­ge­ord­net wur­de; und
c.
sich die straf­ba­re Hand­lung ge­gen ein Op­fer nach Ab­satz 1 Buch­sta­be a rich­te­te.48

4 Die Sis­tie­rung ist auf sechs Mo­na­te be­fris­tet. Die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt nimmt das Ver­fah­ren wie­der an die Hand, wenn das Op­fer oder, falls die­ses nicht hand­lungs­fä­hig ist, sein ge­setz­li­cher Ver­tre­ter dies ver­langt oder sich her­aus­stellt, dass die Sis­tie­rung die Si­tua­ti­on des Op­fers we­der sta­bi­li­siert noch ver­bes­sert.49

5 Vor En­de der Sis­tie­rung nimmt die Staats­an­walt­schaft oder das Ge­richt ei­ne Be­ur­tei­lung vor. Hat sich die Si­tua­ti­on des Op­fers sta­bi­li­siert oder ver­bes­sert, so wird die Ein­stel­lung des Ver­fah­rens ver­fügt.50

42 Ein­ge­fügt durch Ziff. I des BG vom 3. Okt. 2003 (Straf­ver­fol­gung in der Ehe und in der Part­ner­schaft), in Kraft seit 1. April 2004 (AS 2004 1403; BBl 2003 19091937).

43 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 14. Dez. 2018 über die Ver­bes­se­rung des Schut­zes ge­walt­be­trof­fe­ner Per­so­nen, in Kraft seit 1. Ju­li 2020 (AS 2019 2273; BBl 2017 7307).

44 Fas­sung ge­mä­ss Art. 37 Ziff. 1 des Part­ner­schafts­ge­set­zes vom 18. Ju­ni 2004, in Kraft seit 1. Jan. 2007 (AS 2005 5685; BBl 2003 1288).

45 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 14. Dez. 2018 über die Ver­bes­se­rung des Schut­zes ge­walt­be­trof­fe­ner Per­so­nen, in Kraft seit 1. Ju­li 2020 (AS 2019 2273; BBl 2017 7307).

46 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 3 des BG vom 14. Dez. 2018 über die Ver­bes­se­rung des Schut­zes ge­walt­be­trof­fe­ner Per­so­nen, in Kraft seit 1. Ju­li 2020 (AS 2019 2273; BBl 2017 7307).

47 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 14. Dez. 2018 über die Ver­bes­se­rung des Schut­zes ge­walt­be­trof­fe­ner Per­so­nen, in Kraft seit 1. Ju­li 2020 (AS 2019 2273; BBl 2017 7307).

48 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 14. Dez. 2018 über die Ver­bes­se­rung des Schut­zes ge­walt­be­trof­fe­ner Per­so­nen, in Kraft seit 1. Ju­li 2020 (AS 2019 2273; BBl 2017 7307).

49 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 3 des BG vom 14. Dez. 2018 über die Ver­bes­se­rung des Schut­zes ge­walt­be­trof­fe­ner Per­so­nen, in Kraft seit 1. Ju­li 2020 (AS 2019 2273; BBl 2017 7307).

50 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 3 des BG vom 14. Dez. 2018 über die Ver­bes­se­rung des Schut­zes ge­walt­be­trof­fe­ner Per­so­nen, in Kraft seit 1. Ju­li 2020 (AS 2019 2273; BBl 2017 7307).

BGE

135 IV 12 (6B_346/2008) from 27. November 2008
Regeste: a Subjektive Tatbestandsvoraussetzungen der Falschbeurkundung (Art. 251 StGB). Wer bewusst ungelesene Urkunden unterzeichnet, kann sich nicht darauf berufen, ihren wahren Inhalt nicht gekannt zu haben. Wer weiss, dass er nichts weiss, irrt nicht (E. 2.3.1). Es darf jedoch nicht unbesehen von diesem Wissen auf die Inkaufnahme einer Falschbeurkundung geschlossen werden (E. 2.3.2). Als Indizien für die Inkaufnahme können das Ausmass der Gefährdung fremder Interessen, das situative Risiko der Erfolgsverwirklichung sowie die Motive des Täters herangezogen werden (E. 2.3.3).

135 IV 27 (6B_522/2008, 6B_523/2008) from 27. November 2008
Regeste: Verfahrensrechtliche Umsetzung der Wiedergutmachung (Art. 53 StGB). Wird das bewirkte Unrecht umgehend ausgeglichen, kann die Untersuchungsbehörde von einer Strafverfolgung absehen. Ist die Strafverfolgung bereits im Gang, kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen oder von einer Überweisung an das Gericht absehen. Sind die Wiedergutmachungsvoraussetzungen erst im Gerichtsverfahren gegeben, ist ein Schuldspruch bei gleichzeitigem Strafverzicht auszufällen (E. 2).

139 IV 220 (6B_708/2012) from 8. Juli 2013
Regeste: Art. 8 StPO (Verzicht auf Strafverfolgung); Art. 52-54 StGB (Strafbefreiung). Art. 8 StPO bildet keine Grundlage für die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht nach der Anklageerhebung in den Anwendungsfällen von Art. 52-54 StGB. Das Gericht hat über die Anklage zu entscheiden und im Falle eines Schuldspruchs von einer Bestrafung abzusehen (Bestätigung der unter dem früheren Prozessrecht begründeten Rechtsprechung). Unter den Gerichten im Sinne von Art. 8 StPO sind die Gerichte zu verstehen, die über Beschwerden gegen Nichtanhandnahme- und Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft entscheiden (E. 3.4).

143 IV 104 (6B_527/2016, 6B_535/2016) from 23. Dezember 2016
Regeste: Art. 32, 33 Abs. 3 und Art. 55a StGB, Art. 11 Abs. 1 und Art. 320 Abs. 4 StPO; Verfahrenseinstellung gestützt auf Art. 55a StGB; Grundsatz "ne bis in idem"; Unteilbarkeit des Strafantrags und des Rückzugs desselben. Die Verurteilung eines Ehegatten wegen Tätlichkeiten zum Nachteil seiner Ehegattin in einem abgetrennten Verfahren wegen Raubes verstösst gegen Art. 55a StGB und den Grundsatz "ne bis in idem", wenn die Strafverfahren gegen die Ehegatten wegen gegenseitiger Tätlichkeiten betreffend den fraglichen Tatzeitraum zuvor in Anwendung von Art. 55a StGB rechtskräftig eingestellt wurden (E. 4). Das Ersuchen um Verfahrenssistierung bzw. die Zustimmung zum Antrag der zuständigen Behörde auf Verfahrenssistierung (Art. 55a Abs. 1 lit. b StGB) und das unbenutzte Verstreichenlassen der Frist für den Widerruf der Zustimmung zur Verfahrenssistierung (Art. 55a Abs. 2 StGB) kommen dem Rückzug eines Strafantrags gleich. Sind Tätlichkeiten des Ehegatten zu beurteilen, an welchen sich Dritte beteiligt haben sollen, ist angesichts des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Strafverfolgung bei Antragsdelikten auch das Strafverfahren gegen die Beteiligten einzustellen (E. 5.1-5.3). Aufklärungspflicht der Behörden über die Unteilbarkeit der Strafverfolgung verneint (E. 5.4).

 

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