Schweizerisches Strafgesetzbuch

vom 21. Dezember 1937 (Stand am 22. November 2022)


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Art. 12

2. Vor­satz und Fahr­läs­sig­keit.

Be­grif­fe

 

1 Be­stimmt es das Ge­setz nicht aus­drück­lich an­ders, so ist nur straf­bar, wer ein Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen vor­sätz­lich be­geht.

2 Vor­sätz­lich be­geht ein Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen, wer die Tat mit Wis­sen und Wil­len aus­führt. Vor­sätz­lich han­delt be­reits, wer die Ver­wirk­li­chung der Tat für mög­lich hält und in Kauf nimmt.

3 Fahr­läs­sig be­geht ein Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen, wer die Fol­ge sei­nes Ver­hal­tens aus pflicht­wid­ri­ger Un­vor­sich­tig­keit nicht be­denkt oder dar­auf nicht Rück­sicht nimmt. Pflicht­wid­rig ist die Un­vor­sich­tig­keit, wenn der Tä­ter die Vor­sicht nicht be­ach­tet, zu der er nach den Um­stän­den und nach sei­nen per­sön­li­chen Ver­hält­nis­sen ver­pflich­tet ist.

BGE

93 IV 39 () from 21. April 1967
Regeste: 1. Art. 31 Abs. 2 SVG. Fahrunfähigkeit liegt vor, wenn der Führer an einem körperlichen oder geistigen Mangel leidet, der ihn an der sicheren Führung des Fahrzeuges hindert (Erw. 1). 2. Art. 91 Abs. 1 SVG, Art. 12 und 263 StGB. Wer sich schuldhaft in den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit versetzt und in diesem Zustande angetrunken ein Motorfahrzeug führt, ist, wenn er das Vergehen des Art. 91 SVG im Sinne einer actio libera in causa vorsätzlich oder fahrlässig verschuldet hat, nach dieser Bestimmung, andernfalls nach Art. 263 StGB zu bestrafen (Erw. 2 und 3).

104 IV 249 () from 17. November 1978
Regeste: Art. 263 StGB, Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit. Ist die in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit verübte Tat ein Antragsdelikt, kommt Art. 263 StGB nur zur Anwendung, wenn Antrag gestellt worden ist.

117 IV 292 () from 22. August 1991
Regeste: Fahren in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG); Zurechnungsfähigkeit, "actio libera in causa" (Art. 10 ff. StGB). Eine alkoholbedingte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit ist auch beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand beachtlich, wenn keine (eventual)vorsätzliche "actio libera in causa" vorliegt. Darstellung der für den unzurechnungsfähigen und für den vermindert zurechnungsfähigen Fahrzeuglenker bei (eventual)vorsätzlicher respektive fahrlässiger "actio libera in causa" im einzelnen in Betracht fallenden Rechtsfolgen.

120 IV 169 () from 17. Juni 1994
Regeste: Art. 12 und 125 StGB; fahrlässige Körperverletzung, actio libera in causa. Die Haftung unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa erfordert, dass der Täter im Zeitpunkt der vollen Schuldfähigkeit voraussehen konnte, er werde ein bestimmtes Delikt begehen. Der spätere Geschehensablauf muss für den Täter dabei mindestens in seinen wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Vorhersehbarkeit des Geschehensablaufs verneint bei einem alkoholisierten Fahrzeugführer, der sich durch das Fehlverhalten eines andern Verkehrsteilnehmers zu einer mit einer Körperverletzung endenden Verfolgungsjagd hat provozieren lassen.

120 V 224 () from 29. Juli 1994
Regeste: Art. 37 Abs. 2 und 3 UVG. - Zur Abgrenzung der Bestimmungen von Art. 37 Abs. 2 und 3 UVG (Erw. 2c). - Begriff des Vergehens gemäss Art. 37 Abs. 3 UVG (Erw. 2d). Art. 37 Abs. 3 UVG, Art. 91 Abs. 1 SVG, Art. 12 StGB, Art. 263 StGB. Kürzung oder Verweigerung von Geldleistungen nach Unfällen, die sich beim Führen eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand ereignet haben (Erw. 3). Art. 37 Abs. 3 UVG. - Art. 37 Abs. 3 UVG räumt kein Entschliessungsermessen in dem Sinne ein, dass der UVG-Versicherer frei darüber entscheiden könnte, ob eine Sanktion zu verfügen ist oder nicht (Erw. 4b). - Bestätigung der SUVA-Praxis, wonach bei Unfällen unter Alkoholeinfluss der Kürzungssatz vom Ausmass der Trunkenheit abhängig ist (Erw. 4c).

128 II 173 () from 9. Januar 2002
Regeste: Art. 16 und 17 SVG; Warnungsentzug. Ein Führerausweisentzug nur während der Freizeit ist nicht vereinbar mit dem erzieherischen Zweck der Massnahme und mit der Verkehrssicherheit (E. 3). Bemessungskriterien für die Entzugsdauer (E. 4).

129 II 92 () from 3. Oktober 2002
Regeste: Art. 16 Abs. 2 und 3 SVG, Art. 31 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 VZV, Art. 12 und 263 StGB; Führerausweisentzug, Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit. Die Anordnung eines Warnungsentzugs setzt - abgesehen vom Tatbestand der Verwendung eines Motorfahrzeugs zur Begehung eines Verbrechens oder mehrfacher vorsätzlicher Vergehen (Art. 16 Abs. 3 lit. f SVG) - eine schuldhaft begangene Verkehrsregelverletzung voraus (E. 2.1). Diese Voraussetzung ist bei der Verurteilung eines Täters wegen Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit nicht gegeben. Allenfalls kommt ein Sicherungsentzug in Betracht (E. 2.2).

129 V 354 () from 25. Juni 2003
Regeste: Art. 7 Abs. 1 IVG: Kürzung der Leistungen. Die Leistungen werden gekürzt, wenn die versicherte Person die Invalidität durch einen Unfall wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand selbst herbeigeführt hat. Dies gilt selbst dann, wenn der Strafrichter zufolge schwerer Betroffenheit gemäss Art. 66bis StGB von der Strafverfolgung abgesehen hat. In analoger Anwendung der Praxis der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt ist der Umfang der Kürzung auch im Bereich der Invalidenversicherung von der Blutalkoholkonzentration abhängig.

133 IV 293 (6B_146/2007) from 24. August 2007
Regeste: Verfahren bei mangelhafter Sachverhaltsfeststellung. Ein Urteil ohne die zur Subsumtion notwendigen tatsächlichen Grundlagen ist bundesrechtswidrig. Ist ein Sachverhalt in diesem Sinne lückenhaft und kann deshalb die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden, so ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Tatsachenfeststellung und neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (E. 3.4). Die Einholung einer Stellungnahme der Gegenpartei ist entbehrlich, da bei der Rückweisung zur Sachverhaltsergänzung der Entscheid in der Sache nicht präjudiziert wird (E. 3.4.2).

134 IV 26 (6B_298/2007) from 24. Oktober 2007
Regeste: Art. 123 und 125 StGB; vorsätzliche einfache und fahrlässige schwere Körperverletzung beim Eishockeyspiel. In die strafrechtliche Beurteilung von Foulspielen bei Mannschaftssportarten sind auch die geltenden Spielregeln miteinzubeziehen. Je krasser Regeln verletzt werden, die dem Schutz der Körperintegrität der Spieler dienen, desto weniger kann von der Verwirklichung eines spieltypischen Risikos ausgegangen werden und desto eher erscheint eine strafrechtliche Ahndung des foulenden Spielers angezeigt (E. 3). Wer eine einfache Körperverletzung will oder den Eintritt einer solchen in Kauf nimmt, versehentlich aber eine schwere Körperschädigung verursacht, erfüllt die Tatbestände der vorsätzlichen einfachen und der fahrlässigen schweren Körperverletzung in echter Idealkonkurrenz (E. 4).

134 IV 175 (6B_646/2007) from 24. April 2008
Regeste: a Art. 117 StGB; Art. 53 ff. HMG. Tödlich verlaufener Einsatz eines Krebsmedikaments. Die strafrechtlichen Sorgfaltspflichten bei einem experimentellen Einsatz eines Medikaments richten sich nach den Bestimmungen über klinische Versuche mit Heilmitteln (Art. 53 ff. HMG). Die Vorschriften sind jedoch nur auf systematische Forschungsuntersuchungen und nicht auch auf individuelle Heilversuche anwendbar (E. 3).

134 IV 193 (6B_235/2007) from 13. Juni 2008
Regeste: a Willkür in der Beweiswürdigung (Art. 9 BV). Natürlicher Kausalzusammenhang zwischen ungeschütztem Geschlechtsverkehr und HIV-Infektion. Tragweite wissenschaftlicher Gutachten für den Nachweis der direkten Übertragung des HI-Virus (E. 4).

135 IV 12 (6B_346/2008) from 27. November 2008
Regeste: a Subjektive Tatbestandsvoraussetzungen der Falschbeurkundung (Art. 251 StGB). Wer bewusst ungelesene Urkunden unterzeichnet, kann sich nicht darauf berufen, ihren wahren Inhalt nicht gekannt zu haben. Wer weiss, dass er nichts weiss, irrt nicht (E. 2.3.1). Es darf jedoch nicht unbesehen von diesem Wissen auf die Inkaufnahme einer Falschbeurkundung geschlossen werden (E. 2.3.2). Als Indizien für die Inkaufnahme können das Ausmass der Gefährdung fremder Interessen, das situative Risiko der Erfolgsverwirklichung sowie die Motive des Täters herangezogen werden (E. 2.3.3).

135 IV 56 (6B_549/2008) from 3. Februar 2009
Regeste: Fahrlässige schwere Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB). Fragen der Zurechnung des Erfolgs. Eine Person verletzte vorsätzlich einen Menschen durch Abgabe eines Schusses aus einer Pistole schwer. Die Pistole war ihr - nach vorgängiger Beschlagnahmung aufgrund eines früheren Vorfalls - von der zuständigen Polizeibehörde in Anwendung der Waffengesetzgebung zurückgegeben worden, nachdem der Beschuldigte nach einer Untersuchung bescheinigt hatte, dass die Person weder suizidgefährdet noch für Dritte gefährlich sei. Die Person führte im Zeitpunkt der Schussabgabe allerdings noch eine zweite schussbereite Pistole mit sich, welche sie unabhängig vom Verhalten des Beschuldigten ohnehin besass (E. 3-5). Alternative Kausalität, hypothetische Ersatzursachen; nicht vorsätzliche Beteiligung an einem vorsätzlichen Erfolgsdelikt (E. 3). Sorgfaltspflichtverletzungen bei der Untersuchung der von einer Person ausgehenden Gefahren aus Waffenbesitz (E. 4). Anforderungen an den Zusammenhang zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten und dem eingetretenen Erfolg (E. 5).

136 IV 55 (6B_238/2009) from 8. März 2010
Regeste: Art. 19 Abs. 2, Art. 47 und 50 StGB; Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit; Begründungspflicht. Ausgehend von der objektiven Tatschwere hat der Richter das (subjektive) Tatverschulden zu bewerten. Dabei hat er (auch) die verminderte Schuldfähigkeit zu berücksichtigen. Er muss dartun, in welchem Umfange sich diese verschuldensmindernd auswirkt (E. 5.5 und 5.6). Die Gesamteinschätzung des Tatverschuldens ist im Urteil zu benennen, damit überprüft werden kann, ob die daraus resultierende (hypothetische) Strafe angemessen ist und mit der durch den gesetzlichen Strafrahmen zum Ausdruck gebrachten Abstufung des Unrechtsgehaltes übereinstimmt (E. 5.7). Die tat- und täterangemessene Strafe für eine einzelne Tat ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens festzusetzen. Dieser ist nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint. Die Frage einer Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann sich stellen, wenn verschuldens- bzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die einen objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter relativieren, so dass eine Strafe innerhalb des ordentlichen Rahmens dem Rechtsempfinden widerspräche. Die verminderte Schuldfähigkeit allein führt deshalb grundsätzlich nicht dazu, den ordentlichen Strafrahmen zu unterschreiten. Dazu bedarf es weiterer, ins Gewicht fallender Umstände, die das Verschulden als besonders leicht erscheinen lassen (E. 5.8).

136 IV 76 (6B_1038/2009) from 27. April 2010
Regeste: Fahrlässige Tötung und Gefährdung des Lebens, Konkurrenz; Art. 117, 129 und 49 Abs. 1 StGB. Wer skrupellos das Leben einer Person direktvorsätzlich gefährdet, welche in der Folge stirbt, ist sowohl wegen Gefährdung des Lebens als auch wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen, wenn er voraussieht, dass das Opfer sterben kann und er aus pflichtwidriger Unvorsicht auf den Nichteintritt des Todes vertraut. Die fahrlässige Tötung gilt das Unrecht der Gefährdung des Lebens nicht ab (E. 2.7).

136 IV 97 (6B_599/2010) from 26. August 2010
Regeste: Art. 92 StGB und Art. 36 Abs. 1 BV; Unterbrechung des Vollzugs von Strafen und Massnahmen; polizeiliche Generalklausel. Kognition des Bundesgerichts im Verfahren der Beschwerde gegen einen Entscheid, durch welchen die Unterbrechung des Vollzugs einer Strafe oder einer Massnahme verweigert wird (E. 4). Auslegung von Art. 92 StGB; Begriff der "wichtigen Gründe" (E. 5.1); Schranken des Ermessensspielraums der Vollzugsbehörde (E. 5.2). Problematik des länger dauernden Hungerstreiks eines Strafgefangenen; unter bestimmten Voraussetzungen kann die Strafvollzugsbehörde die Zwangsernährung anordnen, mit Rücksicht auf die Subsidiarität der Vollzugsunterbrechung aber nicht, solange keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass einer Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen gegebenenfalls nicht durch Zwangsernährung begegnet werden kann (E. 6).

137 IV 208 (6B_744/2010) from 12. Mai 2011
Regeste: Besitz an elektronischen Daten mit pornographischem Inhalt (Art. 197 Ziff. 3bis StGB). Der Besitz an elektronischen Daten setzt objektiv Gewahrsam und subjektiv Herrschaftswillen voraus (E. 4.1). Hinsichtlich der verbotenen pornographischen Daten im Cache-Speicher verfügt der Computerbenutzer über die Herrschaftsmacht (E. 4.2.1). Der subjektive Tatbestand des Besitzens von pornographischen Dateien im Cache-Speicher ist zurückhaltend zu bejahen. Ein ungeübter Computer-/Internetbenutzer, der von der Existenz des Cache-Speichers und den darin enthaltenen Daten nichts weiss, fällt als Täter nach Art. 197 Ziff. 3bis StGB ausser Betracht. Ob er von den Daten Kenntnis hat, ist nach den Umständen im Einzelfall zu entscheiden (E. 4.2.2). Wer bewusst verbotene pornographische Daten im Cache belässt, erfüllt das Tatbestandsmerkmal des Besitzens gemäss Art. 197 Ziff. 3bis StGB (E. 4.2.2).

138 IV 130 (6B_571/2011) from 24. Mai 2012
Regeste: Art. 251 Ziff. 1 StGB; Falschbeurkundung (inhaltlich unwahre Rechnungen). Bestätigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Falschbeurkundung (E. 2.1 und 2.2). Im Verhältnis zwischen Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger sind Rechnungen nur unter besonderen Umständen Urkunden, da sie in der Regel blosse Behauptungen des Ausstellers über die vom Empfänger geschuldete Leistung enthalten (E. 2.4.2). Der Rechnungsaussteller kann sich der Falschbeurkundung strafbar machen, wenn die inhaltlich unwahre Rechnung nicht nur Rechnungsfunktion hat, sondern objektiv und subjektiv in erster Linie als Beleg für die Buchhaltung der Rechnungsempfängerin bestimmt ist, die damit verfälscht wird. Eine objektive Zweckbestimmung als Buchhaltungsbeleg muss angenommen werden, wenn der Rechnungsaussteller mit der buchführungspflichtigen Rechnungsempfängerin bzw. deren Organen oder Angestellten zusammenwirkt und auf deren Geheiss oder Anregung hin oder mit deren Zustimmung eine inhaltlich unwahre Rechnung erstellt, die als Buchhaltungsbeleg dient (E. 2.4.3 und 3.1). In subjektiver Hinsicht muss der Rechnungsaussteller zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass die abgeänderte Rechnung als Beleg für die Buchhaltung der Rechnungsempfängerin bestimmt ist und die Buchhaltung damit verfälscht werden soll (E. 3.2.1-3.2.3). Die Bereicherungsabsicht ist zu bejahen, wenn der Rechnungsaussteller in der Absicht handelt, der Rechnungsempfängerin oder deren Organen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen (E. 3.2.4).

138 V 74 (9C_131/2011) from 19. Dezember 2011
Regeste: a Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK; Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz ATSG; Unschuldsvermutung, "in dubio pro reo"; Rückerstattung unrechtmässig bezogener Sozialversicherungsleistungen, längere strafrechtliche Verjährungsfrist. Die verfassungsmässigen Anforderungen an die Beweiswürdigung im Strafprozess gelten auch im sozialversicherungsgerichtlichen Rückerstattungsverfahren, wenn es um die vorfrageweise vorzunehmende Prüfung geht, ob sich der Rückforderungsanspruch aus einer strafbaren Handlung herleite, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist als diejenigen von Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG vorsieht (E. 7).

140 II 7 (1C_135/2013) from 16. Dezember 2013
Regeste: Art. 2 Abs. 1 aOHG, Art. 117 StGB; Opferhilfe, fahrlässige Tötung. Fall eines Mannes, der Anfang der 1970er Jahre als Jugendlicher während den Schulferien in einem Betrieb arbeitete, dabei Asbeststaub ausgesetzt war und als Folge davon 2007 starb. Fahrlässige Tötung durch die Betriebsverantwortlichen und damit Opferstellung bejaht (E. 3).

141 IV 172 (6B_115/2015) from 22. April 2015
Regeste: Art. 5, 15 und 18 JStG; vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme. Das Jugendstrafrecht strebt die täterorientierte Sanktionierung minderjähriger Straftäter an. Die Sanktionen verfolgen das Ziel, den zu beurteilenden Jugendlichen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten und dessen Weiterentwicklung zu fördern und günstig zu beeinflussen. Das Jugendstrafrecht kennt neben Strafen namentlich Schutzmassnahmen (E. 3.1). Schutzmassnahmen sollen den Bedürfnissen des Jugendlichen insbesondere nach Erziehung und Schutz Rechnung tragen. Aufgrund geänderter Verhältnisse kann sich eine bestehende Schutzmassnahme als nicht mehr zweckmässig erweisen und durch eine andere ersetzt werden. Die Änderbarkeit der Massnahmen bildet Wesensmerkmal des Jugendstrafrechts. Bei gegebenen Voraussetzungen ist ein Verfahren betreffend Änderung der Massnahme einzuleiten (E. 3.2). Gegebenenfalls kann die neue Schutzmassnahme während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme vorsorglich angeordnet werden (E. 3.4).

141 IV 249 (6B_1122/2014) from 29. Juni 2015
Regeste: Art. 11 und 117 StGB; fahrlässige Tötung; unechtes Unterlassungsdelikt; Garantenstellung aus Vertrag. Voraussetzungen einer Garantenpflicht im Allgemeinen. Unterscheidung zwischen Obhuts- und Überwachungspflichten (E. 1.1). Eine Garantenstellung aus Vertrag entsteht nicht schon durch die Vereinbarung als solche, sondern erst durch die faktische Übernahme der Stellung (E. 1.4.1).

142 IV 137 (6B_165/2015) from 1. Juni 2016
Regeste: Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG; qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung; besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit; subjektive Voraussetzungen. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Sinne von Art. 90 Abs. 4 lit. a-d SVG besteht gestützt auf die Auslegung von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG keine unwiderlegbare Gesetzesvermutung, dass die subjektiven Voraussetzungen von Art. 90 Abs. 3 SVG erfüllt sind (Änderung der Rechtsprechung; E. 11.1). Derjenige, der eine Geschwindigkeitsüberschreitung nach Art. 90 Abs. 4 SVG begeht, begeht objektiv eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG. Er erfüllt grundsätzlich die subjektiven Voraussetzungen des Straftatbestands. Dem Richter kommt ein wenn auch begrenzter Handlungsspielraum zu, um unter besonderen Umständen die Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen zu verneinen (E. 11.2). Im vorliegenden Fall verstösst die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung nicht gegen Bundesrecht. Es liegen keine besonderen Umstände vor, welche die Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen des Straftatbestands ausschliessen würden (E. 12).

143 IV 138 (6B_164/2016) from 14. März 2017
Regeste: Art. 117 StGB; Art. 35 SVG; Art. 42 Abs. 3 VRV; Art. 36 Abs. 1 SVG; fahrlässige Tötung, Sorgfaltspflichtverletzung; Rechtsvorbeifahren an einer Motorfahrzeugkolonne; Einspuren. Nach Art. 42 Abs. 3 VRV dürfen Radfahrer an einer Motorfahrzeugkolonne vorbeifahren, wenn genügend freier Raum vorhanden ist. In einer sich bewegenden Kolonne ist das Rechtsvorbeifahren an einem Fahrzeug mit eingeschalteter rechter Richtungsanzeige unzulässig (E. 2.2.1). Nach Art. 36 Abs. 1 SVG hat sich an den rechten Strassenrand zu halten, wer rechts abbiegen will. Es ist nicht erforderlich, derart rechts zu fahren, dass ein Vorbeikommen an der rechten Seite unmöglich ist. Es genügt, wenn der Abstand derart ist, dass vernünftigerweise nicht mehr damit gerechnet werden muss (E. 2.2.3).

143 IV 330 (1B_322/2017) from 24. August 2017
Regeste: Art. 221 Abs. 1 StPO; Art. 12 Abs. 2 Satz 2, Art. 19 und Art. 111 StGB; Fortsetzung von Untersuchungshaft; dringender Tatverdacht einer eventualvorsätzlichen Tötung; Schuldfragen, Kausalzusammenhang. Der vom Haftrichter zu prüfende dringende Tatverdacht bezieht sich grundsätzlich auf ein tatbestandsmässiges und rechtswidriges Verbrechen oder Vergehen. Dabei können sich auch Fragen hinsichtlich des Kausalzusammenhanges stellen. Das Vorliegen und das Ausmass der strafrechtlichen Schuldfähigkeit sowie die schuldangemessene bzw. sachlich gebotene (verschuldensunabhängige) Sanktion sind demgegenüber vom Sachrichter zu prüfen. Anders liegt der Fall, wenn ausnahmsweise schon im Haftprüfungsverfahren klar ist, dass weder eine Strafe noch eine freiheitsentziehende Massnahme in Frage kommen kann. Haftrechtliche Tragweite eines psychiatrischen Gutachtens, das dem Beschuldigten Schuldunfähigkeit attestiert. Dringender Tatverdacht einer eventualvorsätzlichen Tötung bejaht bei einem Fall von mutmasslichem versuchtem Suizid des Beschuldigten durch Frontalzusammenstoss seines Fahrzeuges mit einem entgegenkommenden Personenwagen, dessen Lenker dabei getötet wurde (E. 2).

143 IV 361 (6B_360/2016, 6B_361/2016) from 1. Juni 2017
Regeste: Art. 222 Abs. 1 StGB; fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst. Die beiden Beschuldigten hatten je zwei Feuerwerksraketen gezündet. Eine dieser vier Raketen verursachte eine Feuersbrunst. Es konnte nicht ermittelt werden, welcher der beiden Beschuldigten die brandauslösende Rakete gezündet hatte. Die Vorinstanz ging von einer gemeinsam vorgenommenen Gesamthandlung aus und verurteilte beide Beschuldigten wegen fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst (E. 4.5). Die beiden Beschuldigten hatten zwar gemeinsam beschlossen, Feuerwerksraketen zu zünden. Im Übrigen blieb es aber jedem von ihnen überlassen, beim Anzünden der jeweiligen Rakete die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten zu beachten. Die fehlende Möglichkeit, einem von zwei Beschuldigten eine sorgfaltswidrige Erfolgsverursachung nachzuweisen, kann nicht zur Annahme einer strafrechtlichen Gesamtverantwortung führen (E. 4.9-4.11).

143 V 285 (8C_555/2016) from 13. Juni 2017
Regeste: Art. 6 Abs. 2 UVG; Art. 9 Abs. 2 lit. f UVV (je in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung); unfallähnliche Körperschädigung. Eine beabsichtigte schädigende Einwirkung auf den menschlichen Körper, welche die Annahme einer unfallähnlichen Körperschädigung ausschliesst, liegt auch bei Eventualvorsatz vor (E. 4). Wer aus Wut oder Frust absichtlich mit der Faust gegen eine Wand schlägt, um sich abzureagieren und dabei einen Strecksehnenausriss am kleinen Finger erleidet, handelt diesbezüglich eventualvorsätzlich. Angesichts der Wucht des Schlags war das Verletzungsrisiko hier so nah, dass die versicherte Person nicht mehr auf das Ausbleiben des Erfolgs vertrauen konnte (E. 4.2.4).

145 IV 154 (6B_52/2019) from 5. März 2019
Regeste: Art. 125 StGB; im Rahmen eines Fussballspiels zugefügte fahrlässige Körperverletzung; Grundsatz "neminem laedere". Ob das im Rahmen eines Fussballspiels begangene Tackling eines Spielers als schwerwiegende Verletzung der Spielregeln zu qualifizieren ist und wie die Spielregeln grundsätzlich auszulegen sind, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage (E. 1). Um zu bestimmen, ob die Verletzung der Spielregeln derart schwer wiegt, dass eine stillschweigende Einwilligung des Opfers in das mit dem Fussballsport einhergehende Risiko einer Körperverletzung auszuschliessen ist, können die für das Strafrecht massgebenden Grenzen nicht von dem nach den Spielregeln vorgesehenen Sanktionen- und Verwarnungssystem übernommen werden. Im vorliegenden Fall ist das mit einem auf der Höhe von 10 bis 15 cm über dem Boden ausgestreckten Bein begangene Tackling, welches der Schiedsrichter als "gefährlich" einschätzte, als eine "schwerwiegende Verletzung" der Spielregeln zu qualifizieren, mit welcher der Täter seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Der Täter konnte sich insofern nicht auf den Grundsatz "volenti non fit iniuria" berufen (E. 2).

146 IV 358 (6B_1452/2019) from 25. September 2020
Regeste: Art. 92 Abs. 2 SVG; Fahrlässige Führerflucht. Führerflucht gemäss Art. 92 Abs. 2 SVG kann auch fahrlässig begangen werden (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3).

 

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