Schweizerisches Strafgesetzbuch

vom 21. Dezember 1937 (Stand am 22. November 2022)


Open article in different language:  FR  |  IT  |  EN
Art. 335

Ge­set­ze der Kan­to­ne

 

1 Den Kan­to­nen bleibt die Ge­setz­ge­bung über das Über­tre­tungs­straf­recht in­so­weit vor­be­hal­ten, als es nicht Ge­gen­stand der Bun­des­ge­setz­ge­bung ist.

2 Die Kan­to­ne sind be­fugt, die Wi­der­hand­lun­gen ge­gen das kan­to­na­le Ver­wal­tungs- und Pro­zess­recht mit Sank­tio­nen zu be­dro­hen.

BGE

81 I 177 () from 8. Juni 1955
Regeste: Parkingmeter. Kantonale Vorschriften, wonach das Aufstellen von Fahrzeugen auf öffentlichem Boden an gewissen Stellen nur während einer bestimmten Zeit und nur gegen Einwurf eines Geldstücks in den der Kontrolle der zeitlichen Beschränkung dienenden Parkingmeter gestattet ist. Anfechtung wegen Verletzung der Art. 4, 30 Abs. 2, 46 Abs. 2 BV und 71 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 MFG. 1. Verhältnis des Art. 71 Abs. 6 MFG zu Art. 46 Abs. 2 BV und des Art. 71 Abs. 1 Satz 2 MFG zu Art. 30 Abs. 2 BV. Zuständigkeit des Bundesgerichts oder des Bundesrates zur Beurteilung von Beschwerden wegen Verletzung dieser Vorschriften? (Erw. 5 a und 6 a). 2. Die Schaffung von Parkflächen mit Parkingmeter - ist mit Art. 4 BV vereinbar (Erw. 3 und 4); - stellt keine nach Art. 71 Abs. 6 MFG oder 46 Abs. 2 BV unzulässige Doppelbesteuerung dar (Erw. 5 b); - verstösst jedenfalls dann nicht gegen Art. 30 Abs. 2 oder 71 Abs. 1 Satz 2 (Verbot kantonaler Weggelder bzw. Durchgangsgebühren), wenn in angemessenem Abstand davonParkplätze vorhanden sind, auf denen unentgeltlich parkiert werden kann (Erw. 6 b).

84 IV 39 () from 24. Januar 1958
Regeste: Art. 22 UWG. Die §§ 1 und 2 des zürcherischen Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb im Handels- und Gewerbebetrieb vom 29. Januar 1911 sind insoweit nicht mehr anwendbar, als eine unter dieses Gesetz fallende Handlung gleichzeitig nach Art. 13 UWG strafbar ist.

84 IV 163 () from 19. Dezember 1958
Regeste: 1. Art. 253 StGB. Der Kaufvertrag über ein Grundstück ist falsch beurkundet, wenn nach Vereinbarung eines höheren Kaufpreises und Anzahlung eines Teilbetrages in der öffentlichen Urkunde nur noch die Restsumme als Kaufpreis genannt wird. 2. Art. 335 Ziff 2 StGB. Die Erschleichung der Falschbeurkundung eines Grundstückkaufes fällt auch dann unter Art. 253 StGB, wenn sie einzig zum Zwecke der Hinterziehung kantonaler Steuern begangen wird und zugleich ein Straftatbestand des kantonalen Steuerstrafrechts erfüllt ist.

89 IV 94 () from 10. Mai 1963
Regeste: Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, BG über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung. § 37 des luzernischen EG StGB, der die Verunreinigung fremden Eigentums mit Übertretungsstrafe bedroht, verstösst nicht gegen Bundesrecht (Erw. 4). Die Bestimmung ist auch auf Handlungen anwendbar, die zugleich den Tatbestand der Verunreinigung eines Gewässers oder dessen Umgebung nach Art. 4 und 15 GSchG erfüllen (Erw. 6).

92 IV 44 () from 15. März 1966
Regeste: Art. 251 StGB, Art. 36 ff. WUStB. Auf die Urkundenfälschung, die nur zur Hinterziehung der im Inland erhobenen Warenumsatzsteuer begangen wird, sind ausschliesslich die Strafbestimmungen der Art. 36 ff. WUStB anwendbar.

96 I 24 () from 18. März 1970
Regeste: Kantonales Strafrecht und Strafprozessrecht. Art. 4 BV. Bedeutung der Bestimmung, wonach niemand gerichtlich verfolgt werden darf "ausser in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen" (Erw. 2). Nulla poena sine lege: - Strafnormen als zulässiger Inhalt von Verordnungen (Erw. 4a). - Zuständigkeit der luzernischen Gemeinden zum Erlass von Strafbestimmungen, insbesondere auf dem Gebiete der Lärmbekämpfung, mit der sich auch § 46 des luzern. EGzStGB befasst (Erw. 4b-d). Ein kantonales Strafgesetz, das für seinen Bereich die allgemeinen Bestimmungen des eidg. StGB als anwendbar erklärt, verweist damit, wie ohne Willkür angenommen werden kann, nicht auf die beim Erlass des kantonalen Gesetzes bestehenden, sondern auf die jeweils geltenden Bestimmungen des StGB (Erw. 6).

96 II 257 () from 14. Juli 1970
Regeste: Markenrecht. Art. 9 Abs. 1 MSchG. Die Frage der Beweislast über den Gebrauch einer angefochtenen Marke ist gegenstandslos, wenn der Richter den Sachverhalt ermittelt hat (Erw. 1). Art. 6 Abs. 3 MSchG. Wann liegt gänzliche Verschiedenheit der mit ähnlichen Marken gekennzeichneten Erzeugnisse vor? (Erw. 2). Unterlassungsgebot in Verbindung mit einer Ungehorsamsstrafe nach kantonalem Prozessrecht und nach Art. 292 StGB (Erw. 3b).

97 IV 68 () from 11. Januar 1971
Regeste: 1. Art. 269 Abs. 1 BStP. In einer dem kantonalen Recht unterstellten Strafsache kann die Nichtanwendung der Art. 32 ff. StGB nicht als Verletzung eidgenössischen Rechts gerügt werden (Erw. 1). 2. Art. 268 Ziff. 1 BStP. Die blosse Androhung von Strafe für künftigen Ungehorsam (Art. 292 StGB) ist mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht anfechtbar (Erw. 2).

99 IA 504 () from 13. Juni 1973
Regeste: Derogatorische Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV), persönliche Freiheit, Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV); Vorschriften über die Strassenprostitution. 1. Eine Bestimmung, welche die Übertretung von polizeilichen Vorschriften über die Strassenprostitution unter Strafe stellt, verstösst nicht gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, Erw. 2; 2. Verhältnis des Grundrechts der persönlichen Freiheit zu den anderen Freiheitsrechten (hier: Handels- und Gewerbefreiheit), Erw. 3; 3. Die stadtzürcherischen Vorschriften über die Strassenprostitution verstossen bei verfassungskonformer Auslegung nicht gegen die Verfassung, Erw. 4.

100 IA 294 () from 20. Juni 1974
Regeste: Art. 84 und 89 OG; staatsrechtliche Beschwerde gegen Vollzugsmassnahmen. 1. Richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen eine Einzelverfügung, die ihrerseits auf einer früheren Einzelverfügung beruht und diese vollzieht oder bestätigt, so kann die staatsrechtliche Beschwerde nicht mit einer Verfassungswidrigkeit der ftüheren Verfügung begründet werden, es sei denn, es stehe ein unverzichtbares und unverjährbares Verfassungsrecht in Frage (Bestätigung der Rechtsprechung). 2. Im Bereiche der Handels- und Gewerbefreiheit liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor (Bestätigung der Rechtsprechung).

101 IV 53 () from 7. Mai 1975
Regeste: Art. 251 StGB. Steuerstrafrecht. Urkundenfälschung zur Steuerhinterziehung ist nicht nach kantonalem bzw. eidgenössischem Steuerstrafrecht, sondern nach Art. 251 StGB zu beurteilen, wenn die Urkunde objektiv auch andern als steuerlichen Zwecken dient, was bei der Buchhaltung zutrifft (Erw. 1b). Dass die Buchfälschung in einer Einmann-AG geschieht und die Bilanz nicht berührt, ändert nichts an der Anwendbarkeit des Art. 251 StGB (Erw. 1c). Konkurrenz von Art. 251 StGB und Steuerstrafrecht? (Frage offengelassen; Erw. 2). Die Absicht, die Steuerbehörden zu täuschen, genügt nach Art. 251 StGB (Erw. 3).

101 IV 213 () from 30. Juni 1975
Regeste: Art. 335 und 400 StGB. Kantonale Strafbestimmungen im Mietwesen. Art. 335 und 400 StGB sind nicht verletzt, wenn ein Kanton, um die Anwendung seiner ergänzenden Bestimmungen über Sicherheitsleistung in Mietverhältnissen durchzusetzen, ihre Übertretung strafrechtlich ahndet (Busse).

103 IA 225 () from 30. März 1977
Regeste: Art. 4 BV; Art. 22 Tessiner Gesetz über die Stempelabgaben vom 16. Juni 1966. Art. 4 BV verletzt die dem Wortlaut entsprechende Auslegung einer Vorschrift, wenn sie zu einem Resultat führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann und in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft und den Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung missachtet. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Auslegung regelmässig zur Auferlegung einer Busse führt, die das zehnfache der hinterzogenen Stempelgebühr ausmacht, ohne dass den konkreten Umständen Rechnung getragen würde und eine Möglichkeit bestünde den Betrag herabzusetzen.

103 IV 27 () from 4. Februar 1977
Regeste: Art. 110 Ziff. 5, Art. 148, Art. 246, Art. 251 StGB, Art. 14 und Art. 15 VStrR. 1. Die Meldungen der Metzger über die Zahl der durchgeführten Schlachtungen sind nicht dazu bestimmt und geeignet, die Wahrheit der Angaben zu beweisen (E. 2). 2. Das Einfuhrkontingent der Metzger stellt einen Vermögenswert dar. Die Erschleichung eines zu hohen Kontingents fällt analog zum sog. Prozessbetrug nicht unter Art. 148 StGB (E. 5b und c). 3. Wer mit einem falschen Stempel ein privates Beweiszeichen des Auslandes errichtet, begeht eine Urkundenfälschung im Sinne des Art. 251 Ziff. 1 StGB. Dem Umstand, dass die Strafbarkeit und die Strafdrohungen des 10. und 11. Titels nicht aufeinander abgestimmt sind, ist bei der Strafzumessung Rechnung zu tragen (E. 9b). 4. Formlosen schriftlichen Auskünften und Bescheinigungen von Privatpersonen kommt, wenn nicht besondere Gründe vorliegen, keine erhöhte Beweiskraft im Sinne des Urkundenbegriffs zu (E. 10). 5. Der Stempelabdruck des Exportstempels, der vom Eidgenössischen Veterinäramt an die zum Fleischexport nach England berechtigten Schlachthöfe abgegeben wird, ist ein amtliches Zeichen des Inlandes (Art. 246 StGB), das auch die Eigenschaft eines Beweiszeichens im Sinne des Art. 110 Ziff. 5 StGB aufweist. Wird durch missbräuchliche Verwendung eines echten Beweiszeichens eine Falschbeurkundung begangen, so finden die Bestimmungen über Urkundenfälschung Anwendung. Das Verbot der reformatio in peius gilt auch für die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde (E. 13).

103 IV 36 () from 4. Februar 1977
Regeste: Art. 251, Art. 335 Ziff. 2 StGB. Kann eine zur Steuerhinterziehung verwendete gefälschte Urkunde objektiv auch anderen als steuerlichen Zwecken dienen, wie das bei einer Quittung der Fall ist, so bleibt Art. 251 StGB anwendbar.

104 IV 105 () from 26. Mai 1978
Regeste: Art. 1 und 5 SVG; Art. 1 Abs. 1 und 2 VRV. 1. Ein privater Vorplatz, der einem unbestimmbaren Personenkreis zur Benützung offen steht, kann nur durch ein signalisiertes Verbot oder durch eine Abschrankung dem öffentlichen Verkehr und damit der Herrschaft des SVG entzogen werden (E. 3). 2. Keine Anwendung einer kommunalen Polizeiverordnung neben dem SVG, soweit die verkehrsmässige Benützung einer öffentlichen Verkehrsfläche in Frage steht (E. 4).

104 IV 288 () from 1. Dezember 1978
Regeste: 1. Art. 269 Abs. 1 BStP. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde kann gerügt werden, es sei zu Unrecht kantonales Recht statt Bundesrecht angewendet worden (E. 2). 2. Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, Art. 106 Abs. 3 SVG. Die Kantone sind zum Erlass eines ergänzenden Übertretungsstrafrechts im Gebiet des Strassenverkehrs nur insoweit befugt, als diese kantonalen Vorschriften nicht Motorfahrzeuge, Fahrräder oder Eisenbahnfahrzeuge betreffen. Art. 106 Abs. 3 SVG ist lex specialis im Verhältnis zu Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Daraus folgt, dass der Automobilist, der andere Fahrzeugführer mit der Lichthupe auf eine Radarkontrolle aufmerksam macht, nicht gestützt auf kantonales Recht bestraft werden kann (E. 3).

105 IA 63 () from 23. Mai 1979
Regeste: Art. 4 BV; Steuerstrafrecht. Das Legalitätsprinzip beherrscht sowohl das Straf- wie das Steuerrecht; und der Grundsatz nulla poena sine lege findet anerkanntermassen auch Anwendung im Steuerstrafrecht, weshalb es unhaltbar und somit willkürlich ist, einen Erben wegen Lücken in dem von der zuständigen Behörde gemäss Art. 581 ZGB errichteten Inventar in eine Steuerbusse zu verfällen, während diese Strafe nach dem Gesetz nur denjenigen Erben trifft, der ein unvollständiges Inventar, das im Hinblick auf eine Abgabeerhebung von der Steuerverwaltung errichtet worden ist (sog. inventaire juridique), nicht hat ergänzen lassen.

107 IV 146 () from 11. Mai 1981
Regeste: Art. 106 Abs. 3 SVG, § 15 Abs. 1 des zürcherischen Gesetzes über die Verkehrsabgaben und den Vollzug des Strassenverkehrsrechtes des Bundes vom 11. September 1966. Kantonalrechtliche Pflicht des Fahrzeughalters gegenüber der Polizei zur Bekanntgabe des Lenkers seines Fahrzeugs. Die dem Fahrzeughalter gemäss § 15 Abs. 1 des genannten zürcherischen Gesetzes auferlegte Pflicht, der Polizei Auskunft zu geben, wer das Fahrzeug geführt oder wem er es überlassen hat, ist ausschliesslich strafprozessualer Natur und stellt keine der Rechtssetzungskompetenz der Kantone entzogene Vorschrift des Strassenverkehrsrechts des Bundes dar (E. 2b, 3).

108 IV 180 () from 30. November 1982
Regeste: Art. 251 StGB, Art. 15 VStrR. Die Straflosigkeit der Falschbeurkundung im verwaltungsrechtlichen Bereich schliesst eine subsidiäre Anwendung von Art. 251 StGB aus.

110 IV 24 () from 18. Januar 1984
Regeste: Art. 148 StGB; Verhältnis zum Steuerstrafrecht. Wer die Steuerbehörden aufgrund von falschen, gefälschten oder inhaltlich unwahren Urkunden über die für die Quantifizierung des Steueranspruches erheblichen Tatsachen täuscht, um auf diese Weise eine unrichtige, für ihn günstige Einschätzung oder Rückzahlung (beim Quellensteuersystem) zu erreichen, ist nach Steuerstrafrecht zu beurteilen. Wer sich aber aus eigener Initiative dazu entschliesst, sich durch Irreführung der Behörden unrechtmässig zu bereichern, indem er auf raffinierte Weise fiktive Rückerstattungsansprüche existierender oder erfundener Personen geltend macht und mittels falscher Urkunden die Auszahlung erwirkt, begeht einen gemeinrechtlichen Betrug i.S. von Art. 148 StGB zum Nachteil des betroffenen Gemeinwesens.

112 IV 19 () from 8. Januar 1986
Regeste: Art. 148 und 251 StGB. Verhältnis zum kantonalen Verwaltungsstrafrecht (Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Wer mit gefälschten Urkunden kantonale Studienbeiträge erschleicht, ist gemäss Art. 148 und 251 StGB zu bestrafen. Gleiche Verfehlungen zum Nachteil des Bundes sind nach den privilegierenden Strafnormen von Art. 14 und 15 VStrR zu ahnden. Diese Verschiedenheit in der Beurteilung lässt sich nicht auf dem Wege der Rechtsprechung beseitigen (Präzisierung der Rechtsprechung).

115 IA 234 () from 15. März 1989
Regeste: Moderne Fortpflanzungsmedizin (künstliche Insemination und In-vitro-Fertilisation); Grossratsbeschluss des Kantons St. Gallen über Eingriffe in die Fortpflanzung beim Menschen (GRB); persönliche Freiheit, Art. 8 und 12 EMRK, Art. 2 ÜbBest. BV, Forschungsfreiheit. 1. Allgemeine Überlegungen zur Fortpflanzungsmedizin (E. 3). 2. Der angefochtene Erlass verstösst nicht gegen Bundeszivilrecht und verletzt Art. 2 ÜbBest. BV nicht (E. 4). 3. Die Beschränkung des Zugangs zu den Methoden der künstlichen Fortpflanzung betrifft die persönliche Freiheit; Frage offengelassen, ob das auch auf Art. 8 in Verbindung mit Art. 12 EMRK zutrifft (E. 5). 4. Künstliche Insemination: a) Das generelle Verbot der heterologen künstlichen Insemination nach Art. 4 lit. a GRB hält vor der persönlichen Freiheit nicht stand (E. 6a). b) Einschränkungen der heterologen künstlichen Insemination (E. 6b). c) Beschränkung der heterologen künstlichen Insemination auf verheiratete Ehepaare? (E. 6c). d) Anonymität des Samenspenders? (E. 6d). 5. Die Beschränkung der Inseminationsbehandlung auf das Kantonsspital St. Gallen im Sinne von Art. 6 GRB erweist sich für die homologe künstliche Insemination bei Ehepaaren als verfassungswidrig, bei der heterologen Form aber als verfassungsmässig (E. 7). 6. Das Verbot nach Art. 7 GRB, unabhängig von einer aktuellen Infertilitätsbehandlung Samenzellen für eine spätere Verwendung zu hinterlegen, verstösst gegen die persönliche Freiheit (E. 8). 7. In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer (IVF/ET): a) Das generelle Verbot der IVF/ET im Sinne von Art. 4 lit. f GRB hält vor der persönlichen Freiheit nicht stand (E. 9a-9c). b) Heterologe Formen der IVF/ET? Beschränkung der IVF/ET auf Ehepaare? (E. 9e). 8. Forschungsfreiheit als ungeschriebenes Verfassungsrecht? Das allgemeine Verbot der Verwendung von Keimzellen (Samenzellen und unbefruchteten Eizellen) zu Forschungszwecken nach Art. 9 GRB ist verfassungswidrig (E. 10). 9. Die generelle Bestimmung von Art. 12 GRB, wonach die Anwendung neuer Verfahren die Änderung des Erlasses erfordert, erweist sich als verfassungswidrig (E. 11). 10. Kantonale Strafbestimmungen: a) Kompetenzordnung aufgrund von Art. 64bis BV sowie Art. 400 und Art. 335 StGB (E. 12a und 12b). b) Zuständigkeit des Kantons zum Erlass von strafrechtlichen Bestimmungen im vorliegenden Fall gegeben (E. 12c). c) Teilweise Aufhebung der Strafnormen aufgrund der materiellen Beurteilung (E. 12d).

116 IV 19 () from 26. März 1990
Regeste: Art. 128 StGB; Unterlassen der Nothilfe. Die Rüge, es sei zu Unrecht kantonales statt eidgenössisches Recht angewendet worden, ist im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zulässig (E. 1). Mit dem Inkrafttreten des neuen Art. 128 StGB haben die Kantone jegliche Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich verloren (E. 3).

117 IA 472 () from 14. November 1991
Regeste: Art. 2 ÜbBest. BV, Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit, Art. 10 und 11 EMRK, Datenschutz, Unschuldsvermutung; § 40 Abs. 4 des baselstädtischen Übertretungsstrafgesetzes (ÜStG); Vermummungsverbot. Das in § 40 Abs. 4 ÜStG statuierte Verbot, sich bei bewilligungspflichtigen Versammlungen, Demonstrationen und sonstigen Menschenansammlungen unkenntlich zu machen, verstösst nicht gegen Art. 2 ÜbBest. BV (E. 2). Das Vermummungsverbot stellt namentlich im Hinblick darauf, dass Ausnahmen bewilligt werden können, keinen unzulässigen Eingriff in die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit dar (E. 3). Es verletzt auch den Anspruch auf Datenschutz (E. 4b) und den Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht (E. 4d).

117 IA 491 () from 30. Oktober 1991
Regeste: Strafe für Zeugnisverweigerung. System der Zwangsmassnahmen gegen widerspenstige Zeugen; Prüfung der Verfassungsmässigkeit einer solchen Zwangsmassnahme im allgemeinen und jener nach dem freiburgischen Recht im besonderen (E. 1). Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Garantie des unabhängigen und unparteiischen Richters und der Öffentlichkeit der Verhandlung. Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Rüge der Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK, die vor der kantonalen Instanz nicht erhoben wurde (E. 2a). Man kann nicht verlangen, dass der Richter, der die Zeugnisverweigerung bestraft hat, notwendigerweise ein anderer ist als jener, der den Zeugen vorgeladen und ihn zur Aussage aufgefordert hat (E. 2b). Das Fehlen der Öffentlichkeit der Verhandlung vor der Anklagekammer des Kantonsgerichts Freiburg rechtfertigt die Gutheissung der Beschwerde (E. 2c).

117 IV 153 () from 8. März 1991
Regeste: Art. 105 AVIG, Art. 148 StGB. Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen. 1. Die Vorlage von inhaltlich unwahren Kontrollausweisen (Stempelkarten) der Arbeitnehmer zwecks Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen ist eine arglistige Täuschung (E. 4b). 2. Die Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen durch arglistige Täuschung ist als Betrug (Art. 148 StGB) und nicht als Leistungsbetrug (Art. 14 VStrR) zu ahnden. Bei der Strafzumessung nach Art. 63 StGB kann berücksichtigt werden, dass Leistungsbetrug gemäss Art. 14 VStrR milder bestraft wird als Betrug nach Art. 148 StGB (E. 5).

118 IV 371 () from 15. Dezember 1992
Regeste: Art. 67 BV, Art. 352 ff. StGB, Art. 252 BStP. Interkantonale Rechtshilfe, politisches Delikt. - Verfahren: Parteien, rechtliches Gehör des Verurteilten, förmlicher Entscheid des ersuchten Kantons (E. 1a-E. 1d). - Art. 252 Abs. 1 BStP wurde faktisch durch die Art. 352 ff. StGB ersetzt (E. 2). - Art. 352 StGB verpflichtet die Kantone zu grundsätzlich umfassender Rechtshilfe (E. 3). - Ob ein politisches Delikt im Sinne von Art. 352 Abs. 2 StGB vorliegt, entscheidet die Anklagekammer frei (E. 4b). - Im Bereich der interkantonalen Rechtshilfe ist der Begriff des politischen Delikts weit zu fassen (E. 4c-E. 4h). - Der sich aus der Bundesverfassung und der EMRK ergebende Grundsatz "ne bis in idem" bzw. die materielle Rechtskraft stehen einer neuen Beurteilung durch den ersuchten Kanton entgegen; der ersuchte Kanton hat daher entweder das rechtskräftige Urteil zu vollziehen oder den Verurteilten dem ersuchenden Kanton zuzuführen (E. 6).

121 IV 240 () from 14. Juli 1995
Regeste: Art. 61 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 12 USG, Art. 26a LRV; Abfallverbrennung im Freien. Die Abfallverbrennung im Freien ist dann gemäss Art. 61 Abs. 1 lit. a USG strafbar, wenn sie nach den Umständen, zu denen insbesondere die Art und die Menge des verbrannten Abfalls gehören, auf eine Umgehung der für die Abfallverbrennungsanlagen geltenden Vorschriften hinausläuft. Das ist bei der Verbrennung von 3 m3 trockenem Holz von Bäumen und Sträuchern nicht der Fall (E. 2b).

125 I 369 () from 30. Juni 1999
Regeste: Art. 2 ÜbBest. BV, Art. 2-8 UWG, Art. 4 BV und Art. 49 BV sowie Art. 9 EMRK; kantonales Übertretungsstrafrecht: Verbot des unlauteren oder täuschenden Anwerbens auf öffentlichem Grund und Ermächtigung der Polizei, Anwerbende wegzuweisen. Abstrakte Normenkontrolle. Beschwerdelegitimation eines Vereins «Scientology-Kirche» und seines Mitglieds (E. 1). Die kantonale Regelung ist kein gegen Art. 4 BV verstossendes Einzelfallgesetz (E. 3). Verhältnis der kantonalen Norm zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (E. 4). Die umstrittene Vorschrift kann einen Eingriff in die Religionsfreiheit bewirken. Sie ist im vorliegenden Fall nicht auf ihre Vereinbarkeit mit anderen Grundrechten zu prüfen (E. 5). Die Bestimmung ist nicht zu unbestimmt (E. 6), dient einem öffentlichen Interesse und kann verfassungs- und verhältnismässig ausgelegt und angewandt werden (E. 7).

129 IV 276 () from 8. September 2003
Regeste: Art. 221, 222 und 335 Ziff. 1 StGB; kantonale Strafbestimmungen im Bereich der Feuerpolizei. Zulässigkeit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zur Rüge, kantonale Normen griffen in den vom Bundesstrafrecht abschliessend geregelten Bereich ein (E. 1). Befugnis der Kantone, die Missachtung von Vorschriften über die Brandbekämpfung mit Strafe zu bedrohen (E. 2).

136 II 415 (1C_438/2009) from 16. Juni 2010
Regeste: Art. 82 BGG, Art. 115 StGB, Art. 44 BetmV; Vereinbarung über die organisierte Sterbehilfe. Die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und einer privaten Sterbehilfeorganisation stellt kein zulässiges Anfechtungsobjekt nach Art. 82 BGG dar. Aufgrund des bestehenden Rechtsschutzbedürfnisses ist dennoch zu untersuchen, ob sich die Vereinbarung nicht als geradezu nichtig erweist (E. 1). Verstoss der Vereinbarung insbesondere gegen die abschliessende Regelung der Beihilfe zum Selbstmord durch Art. 115 StGB und gegen das Betäubungsmittelrecht (E. 2.2-2.5). Unzulässigkeit des Abschlusses eines verwaltungsrechtlichen Vertrags in diesem Bereich (E. 2.6). Nichtigkeit in Bezug auf die gesamte Vereinbarung (E. 3).

137 I 31 (1C_428/2009) from 13. Oktober 2010
Regeste: Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen; Art. 10 Abs. 2, Art. 22, Art. 32 Abs. 1, Art. 36 und 49 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 und Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 82 lit. b BGG. Die Bestimmungen des Konkordates über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (Konkordat) können mit Beschwerde nach Art. 82 lit. b BGG angefochten werden (E. 1.3). Die im Konkordat vorgesehenen Massnahmen (Rayonverbot, Meldeauflage und Polizeigewahrsam) sind polizeilicher Natur (E. 3 und 4). Sie sind mit dem Bundesrecht vereinbar (E. 4) und halten vor der Unschuldsvermutung stand (E. 5). Die Massnahmen beeinträchtigen die persönliche Freiheit und die Versammlungsfreiheit. Das Konkordat stellt eine verfassungsgemässe Grundlage für die Grundrechtseingriffe dar (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit; E. 6). Der Polizeigewahrsam als Massnahme zur Durchsetzung von Rayonverboten lässt sich unter die von der EMRK zugelassenen Freiheitsbeschränkungen subsumieren (E. 7). Die Empfehlung von Stadionverboten hält vor der Verfassung stand (E. 8).

138 IV 13 (6B_345/2011) from 17. November 2011
Regeste: Grobe Verletzung von Sitte und Anstand in der Öffentlichkeit (Art. 19 des Strafrechts des Kantons Appenzell A.Rh.), "Nacktwandern"; Gesetzgebungskompetenz der Kantone auf dem Gebiet des Übertretungsstrafrechts (Art. 335 Abs. 1 StGB); Bestimmtheitsgebot (Art. 1 StGB); persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV); Verbotsirrtum (Art. 21 StGB); Strafbefreiung wegen fehlenden Strafbedürfnisses (Art. 52 StGB). Die Kantone sind gestützt auf Art. 335 Abs. 1 StGB befugt, das "Nacktwandern" im öffentlichen Raum unter Strafe zu stellen (E. 3). Eine Norm, welche demjenigen Strafe androht, der "öffentlich Sitte und Anstand grob verletzt", ist hinreichend bestimmt (E. 4). Das "Nacktwandern" kann willkürfrei als grobe Verletzung von Sitte und Anstand qualifiziert werden (E. 5). Der Tatbestand setzt nicht voraus, dass der "Nacktwanderer" auf einen Menschen trifft, der dadurch in seinem Anstandsgefühl verletzt wird (E. 6). Verletzung des Grundrechts der persönlichen Freiheit verneint (E. 7). Verbotsirrtum verneint (E. 8). Keine Strafbefreiung wegen fehlenden Strafbedürfnisses (E. 9).

141 IV 444 (6B_615/2015) from 29. Oktober 2015
Regeste: Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen gegen eine Einstellungsverfügung einer Person, die geltend macht, durch ein gegenüber einer kantonalen parlamentarischen Untersuchungskommission abgelegtes falsches Zeugnis in ihrer Ehre verletzt worden zu sein; Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG; Art. 307, 309 und 335 Abs. 2 StGB. Die Ehre als ein durch Art. 307 StGB sekundär geschütztes Rechtsgut? Frage offengelassen (E. 3.2). Art. 307 und 309 StGB sind als bundesrechtliche Normen nicht anwendbar auf Aussagen eines Zeugen, welcher durch eine kantonale parlamentarische Untersuchungskommission vernommen wird (E. 3.3-3.5). Verweist das kantonale Recht auf Art. 307 und 309 StGB, sind die Bestimmungen lediglich unter dem Titel ergänzenden kantonalen Rechts anwendbar. In diesem Fall schützen die Normen weder private Interessen, insbesondere die Ehre, noch durchbrechen sie die bundesrechtlichen Schranken (Strafantragserfordernis und Antragsfrist), welche dem Schutz der Ehre gesetzt sind (E. 3.6). Beschwerdelegitimation vorliegend verneint (E. 3.7).

144 I 281 (1C_211/2016, 1C_212/2016) from 20. September 2018
Regeste: Art. 13 Abs. 2, 16, 22, 27, 49 Abs. 1 BV; Kanton Tessin; Gesichtsverhüllungsverbot im öffentlichen Raum. Die Tessiner Gesetze über die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum und über die öffentliche Ordnung sehen eine abschliessende Liste mit Ausnahmen zum Gesichtsverhüllungsverbot vor. Politische, gewerbliche oder Werbeveranstaltungen kommen auf dieser Liste nicht vor (E. 3.4). Im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 117 Ia 472) erscheint das so formulierte Verbot unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und der Wirtschaftsfreiheit als unverhältnismässig (E. 5.3 und 7). Um es mit diesen Grundrechten vereinbar zu machen, wird der Grosse Rat die Gesetze ergänzen und zusätzliche Ausnahmen für die betreffenden Veranstaltungen vorsehen müssen (E. 5.4.3- 5.5 und 7.4). Das im Gesetz über die öffentliche Ordnung vorgesehene Gesichtsverhüllungsverbot verstösst weder gegen den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts (E. 4) noch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (E. 6). Die Vereinbarkeit der neuen Bestimmungen mit der Religionsfreiheit wurde nicht bestritten und daher vom Bundesgericht nicht geprüft (E. 3).

 

Diese Seite ist durch reCAPTCHA geschützt und die Google Datenschutzrichtlinie und Nutzungsbedingungen gelten.

Feedback
Laden