Schweizerisches Strafgesetzbuch

vom 21. Dezember 1937 (Stand am 22. November 2022)


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Art. 75

2. Voll­zug von Frei­heits­s­tra­fen.

Grund­sät­ze

 

1 Der Straf­voll­zug hat das so­zia­le Ver­hal­ten des Ge­fan­ge­nen zu för­dern, ins­be­son­de­re die Fä­hig­keit, straf­frei zu le­ben. Der Straf­voll­zug hat den all­ge­mei­nen Le­bens­ver­hält­nis­sen so weit als mög­lich zu ent­spre­chen, die Be­treu­ung des Ge­fan­ge­nen zu ge­währ­leis­ten, schäd­li­chen Fol­gen des Frei­heits­ent­zugs ent­ge­gen­zu­wir­ken und dem Schutz der All­ge­mein­heit, des Voll­zugs­per­so­nals und der Mit­ge­fan­ge­nen an­ge­mes­sen Rech­nung zu tra­gen.

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3 Die An­stalts­ord­nung sieht vor, dass zu­sam­men mit dem Ge­fan­ge­nen ein Voll­zugs­plan er­stellt wird. Die­ser ent­hält na­ment­lich An­ga­ben über die an­ge­bo­te­ne Be­treu­ung, die Ar­beits- so­wie die Aus- und Wei­ter­bil­dungs­mög­lich­kei­ten, die Wie­der­gut­ma­chung, die Be­zie­hun­gen zur Aus­sen­welt und die Vor­be­rei­tung der Ent­las­sung.

4 Der Ge­fan­ge­ne hat bei den So­zia­li­sie­rungs­be­mü­hun­gen und den Ent­las­sungs­vor­be­rei­tun­gen ak­tiv mit­zu­wir­ken.

5 Den ge­schlechts­s­pe­zi­fi­schen An­lie­gen und Be­dürf­nis­sen der Ge­fan­ge­nen ist Rech­nung zu tra­gen.

6 Wird der Ge­fan­ge­ne be­dingt oder end­gül­tig ent­las­sen und er­weist sich nach­träg­lich, dass bei der Ent­las­sung ge­gen ihn ein wei­te­res, auf Frei­heits­s­tra­fe lau­ten­des und voll­zieh­ba­res Ur­teil vor­lag, so ist vom Voll­zug der Frei­heits­s­tra­fe ab­zu­se­hen, wenn:

a.
sie aus ei­nem von den Voll­zugs­be­hör­den zu ver­tre­ten­den Grund nicht zu­sam­men mit der an­dern Frei­heits­s­tra­fe voll­zo­gen wur­de;
b.
der Ge­fan­ge­ne in gu­ten Treu­en da­von aus­ge­hen konn­te, dass bei sei­ner Ent­las­sung kein wei­te­res auf Frei­heits­s­tra­fe lau­ten­des und voll­zieh­ba­res Ur­teil ge­gen ihn vor­lag; und
c.
da­mit die Wie­der­ein­glie­de­rung des Ge­fan­ge­nen in Fra­ge ge­stellt wür­de.

103 Auf­ge­ho­ben durch An­hang 1 Ziff. II 8 der Straf­pro­zess­ord­nung vom 5. Okt. 2007, mit Wir­kung seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1881; BBl 2006 1085).

BGE

102 IB 252 () from 9. April 1976
Regeste: Art. 69, 375 StGB. Diese Normen sind hinsichtlich der Anrechnung auf die Freiheitsstrafe sinngemäss auch auf die Auslieferungshaft anzuwenden, die ein im Ausland zum Vollzug eines rechtskräftigen inländischen Strafurteils verhafteter Täter erstanden hat.

104 IV 266 () from 30. November 1978
Regeste: Art. 11 VStrR. Verjährung im Verwaltungsstrafrecht. Soweit Art. 11 VStrR oder das einzelne Verwaltungsgesetz keine Sondernormen über die Verjährung aufstellt, bleiben die Verjährungsbestimmungen des StGB anwendbar (E. 2). Die neue Verjährungsordnung gilt auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des VStrR verübt worden sind (E. 1).

107 IB 198 () from 28. August 1981
Regeste: Zollzahlungspflicht; Verjährung der Zollforderung. - Begriff des Zollzahlungspflichtigen (E. 6a und b). - Der Zollzahlungspflichtige haftet auch für die nachträgliche Erhebung der geschuldeten Abgabe (E. 6c). - Wann untersteht die Zollforderung der strafrechtlichen Verjährungsfrist? (E. 7a) - Die seit dem 1. Januar 1975 geltenden Bestimmungen des VStrR über das Ruhen und die Unterbrechung einer Forderung sind anwendbar, soweit die Forderung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts nicht verjährt ist. Voraussetzungen der Anwendung von Art. 11 Abs. 2 und 3 VStrR auf die Verjährung einer Forderung (E. 7b).

120 IB 504 () from 28. September 1994
Regeste: Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG; Entzug des Führerausweises; Unterschreitung der obligatorischen Mindestentzugsdauer? Wenn seit dem massnahmeauslösenden Ereignis verhältnismässig lange Zeit verstrichen ist, sich der Betroffene während dieser Zeit wohl verhalten hat und ihn an der langen Verfahrensdauer keine Schuld trifft, kann die Entzugsbehörde die obligatorische Mindestentzugsdauer unterschreiten und allenfalls von der Anordnung einer Massnahme absehen.

124 IV 205 () from 20. Mai 1998
Regeste: Art. 75 Ziff. 2 StGB; Unterbrechung der Vollstreckungsverjährung.Die Vollstreckungsverjährung einer Busse wird durch die Mahnung unterbrochen (E. 7b). Art. 49 Ziff. 1 bis 3 StGB; Umwandlung der Busse in Haft.Vor der Einleitung des Umwandlungsverfahrens muss nicht in jedem Fall die Betreibung vollständig durchgeführt worden sein. Die Behörde darf beim Entscheid namentlich berücksichtigen, dass der Eintritt der absoluten Verjährung für die Vollstreckung droht (E. 8c). Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. mit Art. 31 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.Die Gewährung des bedingten Strafvollzugs fällt ausser Betracht, wenn der Gebüsste unter Berücksichtigung seiner anderen finanziellen Verpflichtungen bis zum Beginn des Vollzugs der Umwandlungsstrafe zur Zahlung der Busse in der Lage ist (E. 9b).

130 I 269 () from 5. Juli 2004
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3, Art. 44 Ziff. 1 und 6 sowie Art. 73 ff. StGB; Anordnung des Vollzugs einer zugunsten einer ambulanten Massnahme aufgeschobenen Freiheitsstrafe 12 Jahre nach dem Strafurteil; Beschleunigungsgebot. Der Anwendungsbereich des Beschleunigungsgebots nach der Bundesverfassung ist weiter als nach der Europäischen Menschenrechtskonvention. Er erfasst nicht nur Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und strafrechtliche Anklagen, sondern sämtliche Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsbehörden (E. 2.3). Die Kriterien, die für die Verletzung des Beschleunigungsgebots bei der Strafverfolgung gelten, dürfen nicht unbesehen auf den Strafvollzug angewandt werden. Tragweite des Beschleunigungsgebots im Strafvollzug (E. 3). Keine Verletzung des Beschleunigungsgebots im zu beurteilenden Fall (E. 4).

133 I 270 (1B_154/2007) from 14. September 2007
Regeste: a Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 46 Abs. 1 BGG; Fristenstillstand bei strafprozessualer Haft. Der gesetzliche Fristenstillstand für die Beschwerdeführung beim Bundesgericht gilt in Fällen betreffend die strafprozessuale Haft nicht (E. 1.2.2). Diese neue Praxis war für den Beschwerdeführer nicht vorhersehbar. Auf die unter Beachtung des Fristenstillstands eingereichte Beschwerde ist nach Treu und Glauben einzutreten (E. 1.2.3).

133 IV 150 (6B_46/2007) from 29. Mai 2007
Regeste: Art. 51 StGB; Anrechnung der Untersuchungshaft. Auf die Strafe ist auch die Untersuchungshaft anzurechnen, die in einem anderen Verfahren angeordnet worden ist. Zu entziehende Freiheit ist wenn immer möglich mit bereits entzogener Freiheit zu kompensieren (E. 5).

134 IV 1 (6B_103/2007) from 12. November 2007
Regeste: Bedingte und teilbedingte Strafe gemäss Art. 42 und 43 StGB; Strafenkombination gemäss Art. 42 Abs. 4 StGB. Bei Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren ist der Strafaufschub nach Art. 42 Abs. 1 StGB die Regel, von der nur bei ungünstiger oder höchst ungewisser Prognose abgewichen werden darf (E. 4.2.2). Der teilbedingte Vollzug bildet dazu die Ausnahme. Vorgängig ist zu prüfen, ob der bedingte Strafvollzug, kombiniert mit einer Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse (Art. 42 Abs. 4 StGB), spezialpräventiv ausreichend ist (E. 5.5.2). Bei der Strafenkombination gemäss Art. 42 Abs. 4 StGB liegt das Hauptgewicht auf der bedingten Freiheitsstrafe, während der unbedingten Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse nur untergeordnete Bedeutung zukommt. Sie soll nicht zu einer Straferhöhung führen (E. 4.5.2). Die subjektiven Voraussetzungen von Art. 42 StGB müssen auch bei der Anwendung von Art. 43 StGB gelten (E. 5.3.1). Je günstiger die Prognose und je kleiner die Vorwerfbarkeit der Tat, desto grösser muss der auf Bewährung ausgesetzte Strafteil sein (E. 5.6).

134 IV 121 (6B_347/2007) from 29. November 2007
Regeste: Art. 2 und 64 StGB, Ziff. 2 Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 13. Dezember 2002; Art. 7 Ziff. 1 EMRK; Art. 15 Abs. 1 UNO-Pakt II; Geltung des Rückwirkungsverbots für die Verwahrung. Das Rückwirkungsverbot gilt auch für die Verwahrung (E. 3.3.3). Das neue Recht ist hinsichtlich der Anordnung der Verwahrung und der Entlassung aus dieser Massnahme nicht strenger als das alte Recht. Die Schlussbestimmung der Änderung vom 13. Dezember 2002, welche die rückwirkende Anwendung des neuen Rechts auf noch nicht beurteilte Straftäter vorsieht, verstösst daher nicht gegen das Rückwirkungsverbot (E. 3.4).

136 IV 97 (6B_599/2010) from 26. August 2010
Regeste: Art. 92 StGB und Art. 36 Abs. 1 BV; Unterbrechung des Vollzugs von Strafen und Massnahmen; polizeiliche Generalklausel. Kognition des Bundesgerichts im Verfahren der Beschwerde gegen einen Entscheid, durch welchen die Unterbrechung des Vollzugs einer Strafe oder einer Massnahme verweigert wird (E. 4). Auslegung von Art. 92 StGB; Begriff der "wichtigen Gründe" (E. 5.1); Schranken des Ermessensspielraums der Vollzugsbehörde (E. 5.2). Problematik des länger dauernden Hungerstreiks eines Strafgefangenen; unter bestimmten Voraussetzungen kann die Strafvollzugsbehörde die Zwangsernährung anordnen, mit Rücksicht auf die Subsidiarität der Vollzugsunterbrechung aber nicht, solange keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass einer Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen gegebenenfalls nicht durch Zwangsernährung begegnet werden kann (E. 6).

139 I 180 (6B_182/2013) from 18. Juli 2013
Regeste: Art. 1, 74 f., 81 Abs. 1 und Art. 90 Abs. 3 StGB, Art. 7 und 10 BV, Art. 7 Ziff. 1 EMRK; Arbeitspflicht im Straf- und Massnahmenvollzug. Die Verpflichtung des Gefangenen zur Arbeit gilt unabhängig von seinem Alter (E. 1). Sie verletzt weder Bundes- noch Verfassungsrecht (E. 2). Die Arbeitspflicht für Eingewiesene gemäss Art. 90 Abs. 3 StGB dient dem Vollzug der Massnahme und stellt keine zusätzliche Bestrafung dar (E. 3).

146 IV 267 (6B_40/2020) from 17. August 2020
Regeste: Art. 5 Ziff. 1 EMRK; Art. 11 BV; Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 KRK; Art. 372 Abs. 1 und 3 StGB; Art. 439 Abs. 2 StPO; Strafvollzug, Vollzugsbefehl, Kindeswohl. Der Strafvollzug ist die zwingende gesetzliche Rechtsfolge der Straftat (E. 3.2.1). Die Trennung der Mutter von ihrem Kind ist eine zwangsläufige, unmittelbar gesetzmässige Folge des Vollzugs der Freiheitsstrafe und der damit verbundenen Nebenfolgen (E. 3.2.2). Das StGB und das kantonale Konkordatsrecht kennen zahlreiche Vollzugsformen für Freiheitsstrafen (E. 3.2.4). Weder die Bestimmungen der BV noch jene der KRK und der anderen menschenrechtlichen Übereinkommen hindern den Vollzug der gesetzmässigen Freiheitsstrafe. Der verurteilte Elternteil ist nicht berechtigt, gegen die Vollzugsverfügung Rechte der Kinder in eigenem Namen geltend zu machen (E. 3.3.3). Soweit die verurteilte Person nicht selber eine Betreuung ihrer Kinder organisiert, wird dies Aufgabe der Kindesschutzbehörde (KESB) sein. Das ist keine Frage des Vollzugsrechts (E. 3.4.3).

 

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