|
Art. 75
2. Vollzug von Freiheitsstrafen. Grundsätze 1 Der Strafvollzug hat das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Der Strafvollzug hat den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich zu entsprechen, die Betreuung des Gefangenen zu gewährleisten, schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken und dem Schutz der Allgemeinheit, des Vollzugspersonals und der Mitgefangenen angemessen Rechnung zu tragen. 2 …119 3 Die Anstaltsordnung sieht vor, dass zusammen mit dem Gefangenen ein Vollzugsplan erstellt wird. Dieser enthält namentlich Angaben über die angebotene Betreuung, die Arbeits- sowie die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die Wiedergutmachung, die Beziehungen zur Aussenwelt und die Vorbereitung der Entlassung. 4 Der Gefangene hat bei den Sozialisierungsbemühungen und den Entlassungsvorbereitungen aktiv mitzuwirken. 5 Den geschlechtsspezifischen Anliegen und Bedürfnissen der Gefangenen ist Rechnung zu tragen. 6 Wird der Gefangene bedingt oder endgültig entlassen und erweist sich nachträglich, dass bei der Entlassung gegen ihn ein weiteres, auf Freiheitsstrafe lautendes und vollziehbares Urteil vorlag, so ist vom Vollzug der Freiheitsstrafe abzusehen, wenn:
119 Aufgehoben durch Anhang 1 Ziff. II 8 der Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007, mit Wirkung seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1881; BBl 2006 1085). BGE
148 IV 346 (6B_820/2021) from 2. August 2022
Regeste: Art. 83 Abs. 2 und Art. 380 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 StGB; Art. 60 des Waadtländer Reglements über die Stellung verurteilter Personen im Straf- oder Massnahmenvollzug (RSPC); Verwendung des Arbeitsentgelts des Gefangenen ohne dessen Zustimmung; von der Krankenversicherung nicht gedeckte Gesundheitskosten. Die Formulierung von Art. 83 Abs. 2 StGB ist nicht abschliessend. Sie schliesst jegliche anderweitige Verwendung des Arbeitsentgelts, abgesehen von der freien Verfügung durch den Gefangenen und der Bildung einer Rücklage für die Entlassung, nicht aus. Ein Teil des Arbeitsentgelts kann ohne Zustimmung des Gefangenen gezielt verwendet werden, wenn dies in beschränktem Umfang erfolgt und gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist. Vorliegend durfte der Gefangene verpflichtet werden, sich an den von der Krankenkasse nicht übernommenen Behandlungskosten und den durch öffentliche Beiträge nicht gedeckten Krankenkassenprämien zu beteiligen (E. 2.6.2). Art. 380 Abs. 3 StGB erlaubt den Kantonen, nähere Vorschriften über die Kostenbeteiligung der Verurteilten zu erlassen. Der Begriff "Kosten" muss in Berücksichtigung von Sinn und Zweck von Art. 83 Abs. 2 StGB weit ausgelegt werden (E. 2.7.3).
149 I 161 (6B_1206/2021) from 30. März 2023
Regeste: Art. 10 Abs. 2, 13 Abs. 1, 36 BV; Art. 8 EMRK; Art. 75 Abs. 3 StGB; Art. 35 lit. j und Art. 89 des Waadtländer Reglements vom 16. August 2017 über die Stellung verurteilter Personen im Straf- oder Massnahmenvollzug (RSPC); Kontrolle der Korrespondenz eines Gefangenen durch die Strafvollzugsanstalt. Abgesehen von den Gründen für die Ordnung und Sicherheit der Strafvollzugsanstalt werden die Beziehungen eines Gefangenen zur Aussenwelt durch den Vollzugsplan geregelt (Art. 75 Abs. 3 StGB und Art. 35 lit. j RSPC). In diesem Rahmen erfordern die positiven Verpflichtungen zur effektiven Achtung des Privatlebens (Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK) bei kindlichen Opfern, die dem Risiko von Sekundärviktimisierung, Einschüchterung und Vergeltung ausgesetzt sein können, besondere Schutzmassnahmen bis hinein in die Beziehungen der Personen untereinander. Insbesondere besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse (i.S.v. Art. 36 Abs. 1 BV) am Persönlichkeitsschutz von Kindern, als Opfer eines besonders schweren Verbrechens, bei der Kontrolle der Korrespondenz ihres Vaters, der diese Straftaten begangen hat (E. 5). |