Schweizerisches Strafgesetzbuch


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Art. 59

2. Sta­tio­näre the­ra­peu­ti­sche Mass­nah­men.

Be­hand­lung von psy­chi­schen Stö­run­gen

 

1 Ist der Tä­ter psy­chisch schwer ge­stört, so kann das Ge­richt ei­ne sta­tio­näre Be­hand­lung an­ord­nen, wenn:

a.
der Tä­ter ein Ver­bre­chen oder Ver­ge­hen be­gan­gen hat, das mit sei­ner psy­chi­schen Stö­rung in Zu­sam­men­hang steht; und
b.
zu er­war­ten ist, da­durch las­se sich der Ge­fahr wei­te­rer mit sei­ner psy­chi­schen Stö­rung in Zu­sam­men­hang ste­hen­der Ta­ten be­geg­nen.

2 Die sta­tio­näre Be­hand­lung er­folgt in ei­ner ge­eig­ne­ten psych­ia­tri­schen Ein­rich­tung oder ei­ner Mass­nah­me­voll­zug­s­ein­rich­tung.

3 So­lan­ge die Ge­fahr be­steht, dass der Tä­ter flieht oder wei­te­re Straf­ta­ten be­geht, wird er in ei­ner ge­schlos­se­nen Ein­rich­tung be­han­delt. Er kann auch in ei­ner Straf­an­stalt nach Ar­ti­kel 76 Ab­satz 2 be­han­delt wer­den, so­fern die nö­ti­ge the­ra­peu­ti­sche Be­hand­lung durch Fach­per­so­nal ge­währ­leis­tet ist.57

4 Der mit der sta­tio­nären Be­hand­lung ver­bun­de­ne Frei­heits­ent­zug be­trägt in der Re­gel höchs­tens fünf Jah­re. Sind die Vor­aus­set­zun­gen für die be­ding­te Ent­las­sung nach fünf Jah­ren noch nicht ge­ge­ben und ist zu er­war­ten, durch die Fort­füh­rung der Mass­nah­me las­se sich der Ge­fahr wei­te­rer mit der psy­chi­schen Stö­rung des Tä­ters in Zu­sam­men­hang ste­hen­der Ver­bre­chen und Ver­ge­hen be­geg­nen, so kann das Ge­richt auf An­trag der Voll­zugs­be­hör­de die Ver­län­ge­rung der Mass­nah­me um je­weils höchs­tens fünf Jah­re an­ord­nen.

57 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 24. März 2006 (Kor­rek­tu­ren am Sank­ti­ons- und Straf­re­gis­ter­recht), in Kraft seit 1. Jan. 2007 (AS 2006 3539; BBl 2005 4689).

BGE

147 IV 259 (1B_52/2021) from 24. März 2021
Regeste: Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 10 Abs. 2 lit. a und Art. 14 Abs. 2 UNO-Pakt II, Art. 10 Abs. 1 und Art. 234 StPO; Vollzug strafprozessualer Haft (Untersuchungs- und Sicherheitshaft) in einer Strafvollzugsanstalt. Aufgrund von Verfassungs- und Völkerrecht gilt ein der Unschuldsvermutung entsprechendes Trennungsgebot beim Vollzug von strafprozessualer Haft und Strafvollzug. Das Gesetz sieht die Trennung jedoch bloss in der Regel vor. Eine Ausnahme kommt nur als letzte Möglichkeit aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles in Frage. Wegen der aggressiven Haltung und wiederholten Gewaltanwendung des Häftlings sind solche besonderen Umstände zu bejahen. Da das Haftregime sehr restriktiv ist, könnte sich aber auf die Dauer die Frage des menschenwürdigen Vollzugs stellen (E. 2 und 3).

147 IV 433 (6B_764/2021) from 18. August 2021
Regeste: Art. 30 Abs. 1 BV; Art. 59 und 62c Abs. 1 lit. a StGB; Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO; § 38b Abs. 1 lit. d Ziff. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG); Tragweite der einzelrichterlichen Zuständigkeit für "Streitigkeiten betreffend den Justizvollzug nach dem Straf- und Justizvollzugsgesetz" im Kanton Zürich. Die Zuständigkeit des Einzelrichters erfasst nicht auch die Überprüfung der Aufhebung einer stationären therapeutischen Massnahme wegen Aussichtslosigkeit. Es fehlt die kantonale gesetzliche Grundlage (E. 2.3); zudem ist eine einzelrichterliche Beurteilung nicht mit dem Strafprozessrecht des Bundes vereinbar (E. 2.4).

148 I 116 (1B_434/2021) from 14. September 2021
Regeste: Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 EMRK; Unterbringung eines Massnahmeunterworfenen in einer Straf- oder Haftanstalt. Die längerfristige Unterbringung eines rechtskräftig verurteilten Massnahmeunterworfenen in einer Straf- oder Haftanstalt ist, soweit die Voraussetzungen von Art. 59 Abs. 3 StGB nicht erfüllt sind, unzulässig, weil der Massnahmezweck nicht vereitelt werden darf (E. 2.3). Kriterien für die Beurteilung der Zulässigkeit der Dauer bis zum Eintritt in eine geeignete Einrichtung (E. 2.4) und Übersicht über die Rechtsprechung (E. 2.5). Unter den konkreten Umständen ist eine Wartezeit von fast neun Monaten mit Art. 31 Abs. 1 BV und Art. 5 Ziff. 1 EMRK nicht mehr vereinbar (E. 2.6), was im Dispositiv festzuhalten ist (E. 2.7).

148 IV 1 (6B_544/2021, 6B_610/2021) from 23. August 2021
Regeste: Art. 59 Abs. 1 und 4, Art. 62a Abs. 1 lit. b, Art. 62c Abs. 1 lit. a, Abs. 3 und 4, Art. 63 Abs. 1, Art. 63a Abs. 2 und 3, Art. 63b Abs. 5 und Art. 64 Abs. 1 StGB; Art. 2 Abs. 2, Art. 29 f., Art. 80 Abs. 1, Art. 197 Abs. 1 lit. a, Art. 393 und Art. 398 Abs. 1-3 StPO; Art. 31 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 1 BV; ambulante und stationäre therapeutische Massnahme; Antrag auf nachträgliche Anordnung der Verwahrung infolge Aussichtslosigkeit der stationären therapeutischen Massnahme und Antrag auf originäre Verwahrung infolge neuer Anlassdelikte; Verfahrensvereinigung; Zuständigkeit; Grundsatz der Formstrenge. Eine direkte Umwandlung einer ambulanten Massnahme in eine Verwahrung ist nicht möglich (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3.4.1). Das Gericht hat im Rahmen von Art. 59 Abs. 4 Satz 2 StGB lediglich über die Verlängerung der stationären Massnahme zu befinden. Für die Aufhebung der stationären therapeutischen Massnahme infolge Aussichtslosigkeit ist die Vollzugsbehörde zuständig. Nach rechtskräftiger Aufhebung der stationären therapeutischen Massnahme ist es am erstinstanzlichen Gericht, auf Antrag der Vollzugsbehörde über die Rechtsfolgen zu befinden (E. 3.4.2). Dass das Berufungsgericht im zweitinstanzlichen Entscheid über die Nichtverlängerung der stationären Massnahme nach Art. 59 Abs. 4 Satz 2 StGB zu Unrecht eine ambulante Massnahme anordnete, hinderte die Vollzugsbehörde nicht daran, nach Aufhebung der stationären Massnahme infolge Aussichtslosigkeit beim zuständigen erstinstanzlichen Gericht in Anwendung von Art. 62c Abs. 4 StGB eine nachträgliche Verwahrung zu beantragen (E. 3.4.3). Tragweite des in Art. 2 Abs. 2 StPO verankerten Grundsatzes der Formstrenge (E. 3.5.1). Der Grundsatz der Formstrenge steht einer Gesetzesauslegung und einer richterlichen Lückenfüllung nicht entgegen (E. 3.5.2). Die kantonalen Instanzen sprachen sich zu Recht für eine Vereinigung des Verfahrens auf nachträgliche Verwahrung im Sinne von Art. 62c Abs. 4 StGB mit dem ebenfalls hängigen Verfahren auf originäre Verwahrung infolge neuer Anlassdelikte und für die abschliessende Beurteilung der Frage der Verwahrung im erstinstanzlichen Strafurteil aus. Die Zuständigkeit für die Beurteilung der Verwahrung im Rechtsmittelverfahren liegt damit ausschliesslich bei der Berufungsinstanz (E. 3.6).

148 IV 89 (6B_1397/2019) from 12. Januar 2022
Regeste: Art. 391 Abs. 2 StPO; die erstmalige Anordnung einer ambulanten Massnahme durch das Berufungsgericht verstösst gegen das Verschlechterungsverbot (reformatio in peius). Verzichtet das erstinstanzliche Gericht auf die Anordnung einer beantragten ambulanten Massnahme und hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Anschlussberufung deren Anordnung nicht erneut beantragt, verletzt das Berufungsgericht das Verschlechterungsverbot, wenn es eine ambulante Massnahme anordnet (E. 4.1-4.4).

148 IV 398 (6B_57/2022) from 19. August 2022
Regeste: Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes vom 12. Dezember 2014; Art. 64 Abs. 1 StGB. Die Verwahrung setzt als Anlasstat eine in Art. 64 Abs. 1 StGB umschriebene Katalogtat oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat (Auffangtatbestand oder Generalklausel) voraus (E. 4.2). Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz ist keine Katalogtat. Aus einer bundesrechtskonformen Auslegung ergibt sich, dass ein Verstoss gegen Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz nicht als eine unter die Generalklausel fallende Anlasstat für die Anordnung der Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB in Betracht kommt (E. 4.8).

149 I 366 (2C_523/2021) from 25. April 2023
Regeste: Art. 5 Ziff. 1 lit. e und Ziff. 5 EMRK; Art. 59 StGB; Art. 236 Abs. 4 StPO; Frage der Staatshaftung wegen Unterbringung eines Massnahmeunterworfenen in ungeeigneten Einrichtungen. Bestimmung der Dauer, während der der Beschwerdeführer in einer für den Vollzug der angeordneten Massnahme ungeeigneten Einrichtung untergebracht war; Mitberücksichtigung der Phase des vorzeitig angeordneten Massnahmenvollzugs (E. 7). Die resultierende Wartezeit bzw. Organisationshaft von rund 17 Monaten kann unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falls nicht mehr als vereinbar mit den konventionsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden (E. 8).

149 IV 325 (6B_766/2022) from 17. Mai 2023
Regeste: Art. 63b Abs. 5, Art. 56 Abs. 3 StGB; Prognoseinstrumente sind immer nur Bestandteil der klinischen Einschätzung des Sachverständigen; die Anwendung eines aktuarischen (statischen) Prognoseinstruments für eine Person fortgeschrittenen Alters führt nicht unbesehen dazu, dass dem Gutachten die Qualifikation als rechtsgenügende Entscheidgrundlage abzusprechen wäre. Die "Altersproblematik" ist in der forensischen Psychiatrie in Diskussion begriffen, insbesondere im Zusammenhang mit aktuarischen (statischen) Prognoseinstrumenten. Daraus lässt sich indes nicht ableiten, dass solche Instrumente per se nicht auf ältere Straftäter angewandt werden dürfen. Stehen weder spezifizierte Rückfallstatistiken noch individuell für ältere Menschen entwickelte Prognoseinstrumente zur Verfügung, ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass jedes Prognoseinstrument (und auch die Basisrate) ein blosses Hilfsmittel ist, um Anhaltspunkte über die Ausprägung des strukturellen Grundrisikos eines Betroffenen zu liefern (E. 4).

149 IV 342 (6B_1445/2021) from 14. Juni 2023
Regeste: Art. 3 Abs. 2 JStG; Art. 66a ff. StGB; Landesverweisung von Übergangsstraftätern. Ein dem Erwachsenenstrafrecht unterstehendes Delikt eines jungen Straftäters kann eine Anlasstat für eine (nicht obligatorische) Landesverweisung darstellen, auch wenn dieser gleichzeitig für weitere Taten verurteilt wird, die er als Jugendlicher begangen hat (E. 2).

150 IV 38 (7B_843/2023) from 20. November 2023
Regeste: a Art. 78 ff. BGG; Art. 222 und 429-431 StPO; Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen. Gegen kantonal letztinstanzliche Entscheide über die Anordnung von Sicherheitshaft im selbstständigen gerichtlichen Nachverfahren betreffend die nachträgliche Anordnung einer stationären Massnahme steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen. Über Haftentschädigungs- und Genugtuungsbegehren ist indes nicht im Haftprüfungsverfahren zu entscheiden, sondern im gesetzlich dafür vorgesehenen Haftentschädigungsverfahren (E. 1).

 

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