Schweizerisches Strafgesetzbuch


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Art. 66a72

1a. Lan­des­ver­wei­sung.

a. Ob­li­ga­to­ri­sche Lan­des­ver­wei­sung

 

1 Das Ge­richt ver­weist den Aus­län­der, der we­gen ei­ner der fol­gen­den straf­ba­ren Hand­lun­gen ver­ur­teilt wird, un­ab­hän­gig von der Hö­he der Stra­fe für 5–15 Jah­re aus der Schweiz:

a.
vor­sätz­li­che Tö­tung (Art. 111), Mord (Art. 112), Tot­schlag (Art. 113), Ver­lei­tung und Bei­hil­fe zum Selbst­mord (Art. 115), straf­ba­rer Schwan­ger­schafts­ab­bruch (Art. 118 Abs. 1 und 2);
b.73
schwe­re Kör­per­ver­let­zung (Art. 122), Ver­stüm­me­lung weib­li­cher Ge­ni­ta­li­en (Art. 124 Abs. 1), Aus­set­zung (Art. 127), Ge­fähr­dung des Le­bens (Art. 129), An­griff (Art. 134), Ge­walt­dar­stel­lun­gen (Art. 135 Abs. 1 zwei­ter Satz);
c.74
qua­li­fi­zier­te Ver­un­treu­ung (Art. 138 Ziff. 2), qua­li­fi­zier­ter Dieb­stahl (Art. 139 Ziff. 3), Raub (Art. 140), ge­werbs­mäs­si­ger Be­trug (Art. 146 Abs. 2), ge­werbs­mäs­si­ger be­trü­ge­ri­scher Miss­brauch ei­ner Da­ten­ver­ar­bei­tungs­an­la­ge (Art. 147 Abs. 2), ge­werbs­mäs­si­ger Check- und Kre­dit­kar­ten­miss­brauch (Art. 148 Abs. 2), qua­li­fi­zier­te Er­pres­sung (Art. 156 Ziff. 2–4), ge­werbs­mäs­si­ger Wu­cher (Art. 157 Ziff. 2), ge­werbs­mäs­si­ge Heh­le­rei (Art. 160 Ziff. 2);
d.
Dieb­stahl (Art. 139) in Ver­bin­dung mit Haus­frie­dens­bruch (Art. 186);
e.
Be­trug (Art. 146 Abs. 1) im Be­reich ei­ner So­zi­al­ver­si­che­rung oder der So­zi­al­hil­fe, un­recht­mäs­si­ger Be­zug von Leis­tun­gen ei­ner So­zi­al­ver­si­che­rung oder der So­zi­al­hil­fe (Art. 148a Abs. 1);
f.75
Be­trug (Art. 146 Abs. 1), Leis­tungs- und Ab­ga­be­be­trug (Art. 14 Abs. 1–3 des BG vom 22. März 197476 über das Ver­wal­tungs­straf­recht) oder Steu­er­be­trug, Ver­un­treu­ung von Quel­len­steu­ern oder ei­ne an­de­re Straf­tat im Be­reich der öf­fent­lich-recht­li­chen Ab­ga­ben, die mit ei­ner Höchst­stra­fe von ei­nem Jahr Frei­heits­s­tra­fe oder mehr be­droht ist;
g.
Zwangs­hei­rat, er­zwun­ge­ne ein­ge­tra­ge­ne Part­ner­schaft (Art. 181a), Men­schen­han­del (Art. 182), Frei­heits­be­rau­bung und Ent­füh­rung (Art. 183), qua­li­fi­zier­te Frei­heits­be­rau­bung und Ent­füh­rung (Art. 184), Gei­sel­nah­me (Art. 185);
h.77
se­xu­el­le Hand­lun­gen mit Kin­dern (Art. 187 Ziff. 1 und 1bis), se­xu­el­le Hand­lun­gen mit Ab­hän­gi­gen (Art. 188), se­xu­el­le Nö­ti­gung (Art. 189 Abs. 2 und 3), Ver­ge­wal­ti­gung (Art. 190), Miss­brauch ei­ner ur­teil­s­un­fä­hi­gen oder zum Wi­der­stand un­fä­hi­gen Per­son (Art. 191), Aus­nüt­zung ei­ner Not­la­ge oder Ab­hän­gig­keit (Art. 193), Täu­schung über den se­xu­el­len Cha­rak­ter ei­ner Hand­lung (Art. 193a), För­de­rung der Pro­sti­tu­ti­on (Art. 195), Por­no­gra­fie (Art. 197 Abs. 4 zwei­ter Satz);
i.78
Brand­stif­tung (Art. 221 Abs. 1 und 2), vor­sätz­li­che Ver­ur­sa­chung ei­ner Ex­plo­si­on (Art. 223 Ziff. 1 Abs. 1), Ge­fähr­dung durch Spreng­stof­fe und gif­ti­ge Ga­se in ver­bre­che­ri­scher Ab­sicht (Art. 224 Abs. 1), vor­sätz­li­che Ge­fähr­dung oh­ne ver­bre­che­ri­sche Ab­sicht (Art. 225 Abs. 1), Her­stel­len, Ver­ber­gen, Weiter­schaf­fen von Spreng­stof­fen und gif­ti­gen Ga­sen (Art. 226), Ge­fähr­dung durch Kern­ener­gie, Ra­dio­ak­ti­vi­tät und io­ni­sie­ren­de Strah­len (Art. 226bis), straf­ba­re Vor­be­rei­tungs­hand­lun­gen (Art. 226ter), vor­sätz­li­ches Ver­ur­sa­chen ei­ner Über­schwem­mung oder ei­nes Ein­stur­zes (Art. 227 Ziff. 1 Abs. 1), vor­sätz­li­che Be­schä­di­gung von elek­tri­schen An­la­gen, Was­ser­bau­ten und Schutz­vor­rich­tun­gen (Art. 228 Ziff. 1 Abs. 1), Ge­fähr­dung durch Ver­let­zung der Re­geln der Bau­kun­de (Art. 229 Abs. 1), Be­sei­ti­gung oder Nicht­an­brin­gung von Si­cher­heits­vor­rich­tun­gen (Art. 230 Ziff. 1);
j.79
vor­sätz­li­che Ge­fähr­dung durch gen­tech­nisch ver­än­der­te oder pa­tho­ge­ne Or­ga­nis­men (Art. 230bis Abs. 1), Ver­brei­ten mensch­li­cher Krank­hei­ten (Art. 231), vor­sätz­li­che Trink­was­ser­ver­un­rei­ni­gung (Art. 234 Abs. 1);
k.80
Stö­rung des öf­fent­li­chen Ver­kehrs (Art. 237 Ziff. 1);
l.81
straf­ba­re Vor­be­rei­tungs­hand­lun­gen (Art. 260bis Abs. 1 und 3), Be­tei­li­gung an oder Un­ter­stüt­zung ei­ner kri­mi­nel­len oder ter­ro­ris­ti­schen Or­ga­ni­sa­ti­on (Art. 260ter), Ge­fähr­dung der öf­fent­li­chen Si­cher­heit mit Waf­fen (Art. 260qua­ter), Fi­nan­zie­rung des Ter­ro­ris­mus (Art. 260quin­quies), An­wer­bung, Aus­bil­dung
und Rei­sen im Hin­blick auf ei­ne ter­ro­ris­ti­sche Straf­tat (Art. 260se­xies);
m.
Völ­ker­mord (Art. 264), Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit (Art. 264a), schwe­re Ver­let­zun­gen der Gen­fer Kon­ven­tio­nen vom 12. Au­gust 194982 (Art. 264c), an­de­re Kriegs­ver­bre­chen (Art. 264d–264h);
n.
vor­sätz­li­che Wi­der­hand­lung ge­gen Ar­ti­kel 116 Ab­satz 3 oder Ar­ti­kel 118 Ab­satz 3 des Aus­län­der­ge­set­zes vom 16. De­zem­ber 200583;
o.
Wi­der­hand­lung ge­gen Ar­ti­kel 19 Ab­satz 2 oder 20 Absatz 2des Be­täu­bungs­mit­tel­ge­set­zes vom 3. Ok­to­ber 195184 (BetmG);
p.85
Wi­der­hand­lung nach Ar­ti­kel 74 Ab­satz 4 des Nach­rich­ten­dienst­ge­set­zes vom 25. Sep­tem­ber 201586 (NDG).

2 Das Ge­richt kann aus­nahms­wei­se von ei­ner Lan­des­ver­wei­sung ab­se­hen, wenn die­se für den Aus­län­der einen schwe­ren per­sön­li­chen Här­te­fall be­wir­ken wür­de und die öf­fent­li­chen In­ter­es­sen an der Lan­des­ver­wei­sung ge­gen­über den pri­va­ten In­ter­es­sen des Aus­län­ders am Ver­bleib in der Schweiz nicht über­wie­gen. Da­bei ist der be­son­de­ren Si­tua­ti­on von Aus­län­dern Rech­nung zu tra­gen, die in der Schweiz ge­bo­ren oder auf­ge­wach­sen sind.

3 Von ei­ner Lan­des­ver­wei­sung kann fer­ner ab­ge­se­hen wer­den, wenn die Tat in ent­schuld­ba­rer Not­wehr (Art. 16 Abs. 1) oder in ent­schuld­ba­rem Not­stand (Art. 18 Abs. 1) be­gan­gen wur­de.

72 Ein­ge­fügt durch Ziff. I 1 des BG vom 20. März 2015 (Um­set­zung von Art. 121 Abs. 3–6 BV über die Aus­schaf­fung kri­mi­nel­ler Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der), in Kraft seit 1. Okt. 2016 (AS 2016 2329; BBl 2013 5975).

73 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 17. Dez. 2021 über die Har­mo­ni­sie­rung der Strafrah­men, in Kraft seit 1. Ju­li 2023 (AS 2023 259; BBl 2018 2827).

74 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 17. Dez. 2021 über die Har­mo­ni­sie­rung der Strafrah­men, in Kraft seit 1. Ju­li 2023 (AS 2023 259; BBl 2018 2827).

75 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 17. Dez. 2021 über die Har­mo­ni­sie­rung der Strafrah­men, in Kraft seit 1. Ju­li 2023 (AS 2023 259; BBl 2018 2827).

76 SR 313.0

77 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 16. Ju­ni 2023 über ei­ne Re­vi­si­on des Se­xual­straf­rechts, in Kraft seit 1. Ju­li 2024 (AS 2024 27; BBl 2018 2827; 2022 687, 1011).

78 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 17. Dez. 2021 über die Har­mo­ni­sie­rung der Strafrah­men, in Kraft seit 1. Ju­li 2023 (AS 2023 259; BBl 2018 2827).

79 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 17. Dez. 2021 über die Har­mo­ni­sie­rung der Strafrah­men, in Kraft seit 1. Ju­li 2023 (AS 2023 259; BBl 2018 2827).

80 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 1 des BG vom 17. Dez. 2021 über die Har­mo­ni­sie­rung der Strafrah­men, in Kraft seit 1. Ju­li 2023 (AS 2023 259; BBl 2018 2827).

81 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. II 2 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

82 SR 0.518.12, 0.518.23, 0.518.42, 0.518.51

83 SR 142.20

84 SR 812.121

85 Ein­ge­fügt durch An­hang Ziff. II 2 des BB vom 25. Sept. 2020 über die Ge­neh­mi­gung und die Um­set­zung des Über­ein­kom­mens des Eu­ro­pa­rats zur Ver­hü­tung des Ter­ro­ris­mus mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Zu­satz­pro­to­koll so­wie über die Ver­stär­kung des straf­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums ge­gen Ter­ro­ris­mus und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, in Kraft seit 1. Ju­li 2021 (AS 2021 360; BBl 2018 6427).

86 SR 121

BGE

147 IV 340 (6B_1178/2019) from 10. März 2021
Regeste: Art. 21 und 24 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (SIS-II-Verordnung) und der Verordnung (EU) 2018/1861; Voraussetzungen für die Ausschreibung von Einreiseverboten im Schengener Informationssystem (SIS). Art. 24 Abs. 2 Bst. a SIS-II-Verordnung setzt weder eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr voraus, noch verlangt die Bestimmung einen Schuldspruch wegen einer Straftat, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist. Insoweit genügt, wenn der entsprechende Straftatbestand eine Freiheitsstrafe im Höchstmass von einem Jahr oder mehr vorsieht. Indes ist im Sinne einer kumulativen Voraussetzung stets zu prüfen, ob von der betroffenen Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Art. 24 Abs. 2 SIS-II-Verordnung). An die Annahme einer solchen Gefahr sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Nicht verlangt wird, dass das "individuelle Verhalten der betroffenen Person eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt" (E. 4.4-4.8). Begründungspflicht des Gerichts und Heilung des Begründungsmangels vor Bundesgericht (E. 4.11).

147 IV 453 (6B_422/2021) from 1. September 2021
Regeste: Art. 66a und 66d StGB; Art. 42 Abs. 2, Art. 78 Abs. 2 lit. b und Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG; Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen gegen einen Entscheid, in dem der Aufschub des Vollzugs der obligatorischen Landesverweisung abgewiesen wird. Der Vollzug einer rechtskräftigen Strafe oder einer rechtskräftigen Massnahme kann grundsätzlich nur aus wichtigen Gründen (Art. 92 StGB) sine die aufgeschoben oder unterbrochen werden, sofern kein überwiegendes öffentliches Interesse entgegensteht (E. 1.2). Bezüglich der Landesverweisung werden diese Grundsätze in Art. 66d StGB präzisiert. Sie beeinflussen die Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen im Vollzugsstadium (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG), die gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG ein aktuelles und konkretes Rechtsschutzinteresse voraussetzt (E. 1.4.3). Ein solches Interesse kann alleine aufgrund des Zeitablaufs weder a prior i ausgeschlossen noch vermutet werden. Vielmehr hat der Beschwerdeführer glaubhaft zu machen, dass sich die massgebenden Umstände seit dem die Massnahme anordnenden Urteil verändert haben, dass diese Änderungen zu einer anderen Beurteilung der Verhältnismässigkeit führen können und dass es sich deshalb aufdrängt, auf den Vollzug der Landesverweisung zu verzichten (E. 1.4.8).

147 IV 471 (6B_536/2020) from 23. Juni 2021
Regeste: Art. 2 Abs. 2 StGB; Bestimmung des milderen Rechts bei drohender Übertretungsbusse einerseits und (bedingter) Geldstrafe andererseits. Bestätigung der rechtlichen Grundlagen (E. 4). Bussen und Geldstrafen sind keine gleichartigen Strafen. Bei einem übergangsrechtlichen Wechsel von einer Übertretung zu einem Vergehen oder umgekehrt stellt die Übertretungsbusse unabhängig von der Strafvollzugsmodalität und der Höhe des Betrags die mildere Sanktion dar als die Geldstrafe (E. 5).

147 IV 534 (6B_323/2021) from 11. August 2021
Regeste: Art. 139 Abs. 2, Art. 164 Abs. 1 und 2, Art. 177 Abs. 2 StPO; Abklärungen zum Vorleben und den persönlichen Verhältnissen von Zeugen. Art. 164 Abs. 1 StPO dient dem Schutz der Persönlichkeit von Zeuginnen und Zeugen (E. 2.3.2). Über die Frage nach den Beziehungen des Zeugen zu den Parteien (sog. Generalfrage, vgl. Art. 177 Abs. 2 StPO) hinausgehende Abklärungen zum Vorleben und den persönlichen Verhältnissen des Zeugen sind nur mit Zurückhaltung und soweit notwendig vorzunehmen. Abklärungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen sind nicht bereits dann notwendig, wenn Zweifel an der allgemeinen Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen, sondern nur, wenn diese Zweifel auch geeignet sind, sich auf die konkrete Beweiswürdigung, d.h. die Glaubhaftigkeit von konkreten, rechtserheblichen Zeugenaussagen auszuwirken (E. 2.3.2-2.3.4 und E. 2.5.1). Zeugen sind daher nicht immer zwingend zu allfälligen Strafverfahren wegen Rechtspflegedelikten zu befragen (E. 2.5.2).

149 I 248 (1C_537/2021) from 13. März 2023
Regeste: Art. 8 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2, Art. 16, 27 und 36 BV; Art. 8, 10 und 14 EMRK; Grund- und Menschenrechtskonformität eines partiellen Bettelverbots; abstrakte Normenkontrolle. Bettelei fällt in den Schutzbereich des Grundrechts der persönlichen Freiheit bzw. des Rechts auf Achtung des Privatlebens. Ein partielles Bettelverbot greift in diese Rechte ein und hat die entsprechenden Voraussetzungen zu erfüllen. Auf die Rechtsprechung, dass Betteln nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit und der Wirtschaftsfreiheit fällt, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zurückzukommen (E. 4). Das Verbot organisierten Bettelns ist verfassungs- und menschenrechtskonform auszulegen. Das Verbot von passivem Betteln in Parks ist aufzuheben. Passives Betteln mit einer Busse zu bestrafen, die bei Nichtleistung in eine Freiheitsstrafe umgewandelt wird, ist nur zulässig, wenn vorweg angemessene Administrativmassnahmen ergriffen worden sind, um die Sanktionsfolge abzumildern. Im Übrigen ist die erlassene Regelung eines partiellen Bettelverbots mit Blick auf die persönliche Freiheit bzw. den Schutz des Privatlebens nicht zu beanstanden (E. 5). Das Bettelverbot verstösst nicht gegen Freizügigkeitsrecht (E. 6). Das partielle Bettelverbot bewirkt als Gesetzesbestimmung keine indirekte Diskriminierung; bei der Umsetzung des Verbots ist jedoch den Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Rechtsanwendung gebührend Rechnung zu tragen (E. 7).

149 IV 161 (6B_156/2023) from 3. April 2023
Regeste: Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 i.V.m. Art. 67 Abs. 4bis StGB; Ausnahme vom lebenslänglichen Tätigkeitsverbot. Darstellung, unter welchen kumulativen Voraussetzungen ausnahmsweise von der Anordnung eines Tätigkeitsverbots gemäss Art. 67 Abs. 3 und 4 StGB abgesehen werden kann, und in welchen Konstellationen eine Ausnahme von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist (E. 2.5.1-2.5.6). Sind die beiden Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB erfüllt, hat das Gericht von einem Tätigkeitsverbot abzusehen, sofern kein Fall von Art. 67 Abs. 4bis lit. a und b StGB vorliegt (E. 2.5.7). Voraussetzungen für ein Absehen von der Anordnung eines Tätigkeitsverbots im konkreten Fall verneint (E. 2.6).

149 IV 231 (6B_627/2022) from 6. März 2023
Regeste: Art. 66a und 66d StGB; strafrechtliche Landesverweisung. Bestätigung der Grundzüge der strafrechtlichen Landesverweisung (E. 2.1). Allfällige Vollzugshindernisse der Landesverweisung im Sinne von Art. 66d Abs. 1 StGB müssen bereits im Zeitpunkt des Entscheids über die Landesverweisung berücksichtigt werden, soweit die Verhältnisse stabil sind und sich definitiv bestimmen lassen (E. 2.1.2). Vorliegend stellte das kantonale Gericht eine Gefahr für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Falle einer Rückkehr des tibetischen Beschwerdeführers in die Volksrepublik China fest, welche dem Vollzug der Landesverweisung in dieses Land in Anwendung von Art. 66d Abs. 1 lit. b StGB entgegensteht. Indem das kantonale Gericht eine Landesverweisung des Beschwerdeführers "in einen Drittstaat" unter Ausschluss der Volksrepublik China aussprach, ohne Präzisierung des Drittstaats, hat es Bundesrecht verletzt. Eine Landesverweisung kann nicht gestützt auf blosse Vermutungen in Bezug auf das Ausreiseland ausgesprochen werden. Des Weiteren verlangt die Wegweisung in einen Drittstaat, dass eine solche möglich ist, d.h. der Ausländer dort über ein Aufenthaltsrecht verfügt (E. 2.4).

149 IV 273 (6B_1108/2021) from 27. April 2023
Regeste: Art. 148a Abs. 2 StGB; unrechtmässiger Bezug von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe; Eingrenzung des leichten Falls. Definition von abgestuften Erheblichkeitsschwellen für die Abgrenzung eines leichten Falls des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe (Art. 148a Abs. 2 StGB) vom Grundtatbestand (Art. 148a Abs. 1 StGB): Bei einem Deliktsbetrag unter Fr. 3'000.- ist stets von einem leichten Fall auszugehen. Bei einem Deliktsbetrag zwischen Fr. 3'000.- und Fr. 35'999.99 ist anhand der gesamten Tatumstände eine Einzelfallbeurteilung nach dem Ausmass des Verschuldens vorzunehmen. Bei einem Deliktsbetrag ab Fr. 36'000.- scheidet die Bejahung eines leichten Falls grundsätzlich aus, ausser es liegen im Sinne einer Ausnahme ausserordentliche, besonders gewichtige Umstände vor, die eine massive Verminderung des Verschuldens bewirken (E. 1.5). Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall (E. 1.6).

149 IV 342 (6B_1445/2021) from 14. Juni 2023
Regeste: Art. 3 Abs. 2 JStG; Art. 66a ff. StGB; Landesverweisung von Übergangsstraftätern. Ein dem Erwachsenenstrafrecht unterstehendes Delikt eines jungen Straftäters kann eine Anlasstat für eine (nicht obligatorische) Landesverweisung darstellen, auch wenn dieser gleichzeitig für weitere Taten verurteilt wird, die er als Jugendlicher begangen hat (E. 2).

150 IV 329 (6B_66/2024) from 5. Juni 2024
Regeste: Art. 291 Abs. 1 StGB; Art. 19a BetmG; Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG; Art. 124a AIG; Verweisungsbruch; Strafart. Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Rückführungsrichtlinie und zum Tatbestand des Verweisungsbruchs (E. 1.2). Art. 124a AIG findet, wie aus seinem Wortlaut hervorgeht, nur auf die Anordnung der Landesverweisung bzw. deren Vollzug Anwendung. Keine Anwendbarkeit dieser Bestimmung im Rahmen der Strafzumessung, insbesondere im Zusammenhang mit einer Verurteilung wegen Verweisungsbruchs (E. 1.3, 1.4 und 1.6.1-1.6.4).

 

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