|
Art. 11
Commission by omission 1 A felony or misdemeanour may also be committed by a failure to comply with a duty to act. 2 A person fails to comply with a duty to act if he does not prevent a legal interest protected under criminal law from being exposed to danger or from being harmed even though, due to his legal position, he has a duty to do so, in particular on the basis of:
3 Any person who fails to comply with a duty to act shall be liable to prosecution only if, on the basis of the elements of the offence concerned, his conduct is, in the circumstances, as culpable as it would have been had he actively committed the offence. 4 The court may reduce the sentence. BGE
148 IV 39 (6B_727/2020) from 28. Oktober 2021
Regeste: Art. 117 StGB; Art. 26 Abs. 2 HMG; fahrlässige Tötung (Freispruch), Sorgfaltspflichtverletzung. Ein Arzneimittel darf nur verschrieben werden, wenn die Vitaldaten des Patienten, sein Gesundheitszustand, Allergien, Arzneimittelunverträglichkeiten und das Interaktionspotential mit anderen Wirkstoffen bzw. Arznei- sowie Nahrungsmitteln bekannt sind (E. 2.4.1). Der Arzt muss sich sorgfältig ein Bild machen, was dem Patienten fehlt, und welche Therapieformen geeignet sind. Üblicherweise verlangt die ärztliche Sorgfalt die Durchführung einer Anamnese. Über die Art der im Einzelfall erforderlichen Anamnese lassen sich keine allgemeingültigen Angaben machen. Zur Durchführung der Heilbehandlung ist in der Regel die Mitwirkung des Patienten erforderlich. Bei dieser Mitwirkung handelt es sich um blosse Obliegenheiten. Wirkt der Patient bei der Behandlung nicht mit, braucht der Arzt jedoch nicht tätig zu werden (E. 2.4.2). Die Geheimhaltungspflicht des Arztes verbietet jede Weitergabe des Geheimnisses an Dritte. Sie schützt die Persönlichkeit des Patienten und bleibt nach Abschluss der Behandlung bestehen (E. 2.4.3). Im Allgemeinen kann der Arzt davon ausgehen, dass er es mit einem verständigen Patienten zu tun hat, weshalb er sich grundsätzlich auf dessen Angaben verlassen darf (E. 2.7.2). Im vorliegenden Fall hatte der Arzt eine Erstanamnese vorgenommen, die Frage nach einer Antibiotika-Allergie abgeklärt und die Patientin aufgefordert, ihm die medizinischen Akten zu bringen. Als diese ausblieben, hakte er nach und bat seine Patientin, ihm diese Unterlagen "dringend" nachzureichen. Damit ist der Arzt den gebotenen Abklärungspflichten und seiner Sorgfaltspflicht hinreichend nachgekommen. Für ihn ergab sich weder aus dem Gesetz noch aus den anerkannten Regeln der Branche eine Pflicht, selber aktiv zu werden und die von der Patientin nicht wahrgenommene Beschaffung ihrer früheren Krankenakten zu übernehmen (E. 2.8).
148 IV 188 (6B_1360/2021) from 7. April 2022
Regeste: Art. 261bis Abs. 1 und 4 StGB; Prüfung der möglichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Inhabers eines Kontos in einem sozialen Netzwerk für rassistische Kommentare, die Dritte auf seiner Seite veröffentlichen. Indem der Kontoinhaber, der eine in der Öffentlichkeit bekannte Person war, den Zugang zur "Pinnwand" seines Facebook-Kontos nicht eingeschränkt, sondern diese öffentlich zugänglich gemacht und darauf zudem politische Themen angesprochen hat, die heikel und anfällig für Unsachlichkeit waren, hat er ein Risiko für das Deponieren rechtswidriger Beiträge auf seiner "Pinnwand" geschaffen. Diese Gefahr übersteigt das gesellschaftlich Erlaubte indes nur dann, wenn der Betroffene Kenntnis vom problematischen Inhalt hat, der auf seiner Seite hinzugefügt wurde, was hier nicht der Fall ist. Dem Kontoinhaber kann im Weiteren auch keine Unterlassung vorgeworfen werden mit der Begründung, er habe die Inhalte auf seiner "Pinnwand" nicht betreut. Eine entsprechende Pflicht, die von Drittpersonen veröffentlichten Inhalte zu moderieren, ist für den Inhaber eines Social-Media-Kontos - und im Übrigen auch für die Dienstanbieter selber - bis heute gesetzlich nicht vorgesehen. Es verstiesse gegen das Legalitätsprinzip, gestützt auf die konkreten Umstände des Einzelfalls auf eine solche Pflicht zu schliessen. Würde im Bereitstellen des freien Zugangs zur "Pinnwand" eine positive Leistung des Kontoinhabers zugunsten Dritter erblickt, wäre dieses Verhalten ausserdem als aktives Tun zu bewerten. Weil der Kontoinhaber vorliegend nichts von den von Dritten auf seiner Seite veröffentlichten rechtswidrigen Inhalten wusste, konnte er mangels Willensübereinstimmung jedoch auch diesfalls weder als Täter noch als Teilnehmer an den von den Dritten begangenen strafbaren Handlungen mitwirken (E. 1 und 3). |