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Art. 189272
Sexual abuse and indecent assault 1 Any person who, against the will of another person, performs a sexual act on that person or has that person perform such an act on them or who exploits that person’s state of shock to that end shall be liable to a custodial sentence not exceeding three years or to a monetary penalty. 2 Any person who uses threats, force or psychological pressure on another person or makes that other person incapable of resistance in order to compel that person to carry out or tolerate a sexual act shall be liable to a custodial sentence not exceeding ten years or to a monetary penalty. 3 If the offender acts with cruelty, and if in particular they make use of an offensive weapon or any other dangerous object, the penalty is a custodial sentence of not less than one year. 272 Amended by No I 1 of the FA of 16 June 2023 on a Revision of the Law on Sex Offences, in force since 1 July 2024 (AS 2024 27; BBl 2018 2827; 2022 687, 1011). BGE
147 IV 409 (6B_257/2020, 6B_298/2020) from 24. Juni 2021
Regeste: Art. 6, Art. 10 Abs. 2, Art. 350 Abs. 2 und Art. 389 StPO; Art. 189 und Art. 190 StGB; Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht des Gerichts; Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, Nötigungsmittel. Das Berufungsgericht muss das entscheiderhebliche Beweismaterial umfassend auswerten und bei zweifelhafter Beweislage, falls vorhanden, zusätzliche sachdienliche Beweise abnehmen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 5.3). Längeres Zuwarten bis zur Einreichung einer Strafanzeige (vorliegend rund 13 Monate) entspricht einem bei Opfern von Sexualstraftaten verbreiteten Phänomen und spricht nicht gegen die allgemeine Glaubhaftigkeit der Aussagen der Betroffenen (E. 5.4.1). Eine tatbestandsmässige Gewaltanwendung im Sinne von Art. 189 und Art. 190 StGB kann auch dann gegeben sein, wenn das Opfer seinen Widerstand aufgrund der Ausweglosigkeit resp. aus Angst vor einer erneuten Eskalation der Situation irgendwann aufgibt (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 5.5.3).
148 IV 57 (6B_567/2020) from 6. Dezember 2021
Regeste: Art. 192 Abs. 1 StGB; Ausnützung der Abhängigkeit eines Anstaltspfleglings durch einen Betreuer. Die Ausnützung findet auf der subjektiven Ebene bei der abhängigen Person statt, indem sie annimmt, sich dem Täter fügen zu müssen. Das faktische Einverständnis liegt in der Natur der Ausnützung eines Abhängigkeitsverhältnisses. Nur das freiverantwortliche, vom Abhängigkeitsverhältnis unbeeinflusste Einverständnis schliesst den Tatbestand aus (E. 3.5.3). Die Schwelle zur Bejahung des Tatbestandselements der Ausnützung ist auch bei einem in seiner Intelligenz eingeschränkten Opfer gleich anzusetzen (E. 3.5.5). Im vorliegenden Fall wurde die Ausnützung bejaht (E. 3.5.6).
148 IV 234 (6B_894/2021) from 28. März 2022
Regeste: Art. 3 und 8 EMRK; Art. 36 Istanbul-Konvention; Art. 189 und 190 StGB; die Nötigungshandlung als Tatbestandsmerkmal; Legalitätsprinzip; Zustimmungsprinzip ("Nur-Ja-heisst-Ja") und Widerspruchsprinzip ("Nein-heisst-Nein"). Auch wenn die Rechtsprechung diesbezüglich keine sehr hohen Anforderungen stellt, bildet die Nötigungshandlung eines der Tatbestandsmerkmale der Straftatbestände der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung (E. 3.3 und 3.4). Es kann offenbleiben, ob der Wortlaut der Art. 189 und 190 StGB den Anforderungen der Istanbul-Konvention entspricht, da diese für die Person, die sich darauf beruft, keine subjektiven Rechte begründet (E. 3.1 und 3.7.1). Darlegung der Grundsätze, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus den Art. 3 und 8 EMRK in Bezug auf Verletzungen der sexuellen Integrität ableitet und Analyse der Rechtsprechung des EGMR. Aus dieser kann nicht abgeleitet werden, dass die Hohen Vertragsparteien die Zustimmungslösung ("Nur-Ja-heisst-Ja") im Rahmen der genannten Bestimmungen zur Anwendung zu bringen hätten, da sich der EGMR noch mit keinem Fall zu befassen hatte, bei dem es unter der Geltung einer Gesetzgebung, die nicht die Zustimmungslösung vorsieht, einzig um die fehlende Zustimmung ging (E. 3.2 und 3.7.2). Jedenfalls verlangt das Legalitätsprinzip, dass das in den Art. 189 und 190 StGB nach wie vor vorgesehene Tatbestandselement der Nötigungshandlung berücksichtigt wird; ein entsprechender Verzicht fällt in die Zuständigkeit des Gesetzgebers (E. 3.5 und 3.8).
148 IV 329 (6B_265/2020) from 11. Mai 2022
Regeste: Art. 1 und 191 StGB; fällt "Stealthing" (d.h. der ohne Wissen der betroffenen Person und gegen ihren erklärten Willen ungeschützt vollzogene Geschlechtsverkehr) unter den Tatbestand der Schändung? Art. 191 StGB schützt einzig die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (E. 4.1). Die Bedingung, unter der nur sich eine Person auf den Geschlechtsverkehr einlassen will, ist allein dann erheblich, wenn sie sich auf wesentliche Merkmale des Sexualverkehrs selbst bezieht. Dies trifft auf die Verwendung eines Kondoms zu (E. 4.2). Der zuvor einvernehmliche Geschlechtsverkehr geht mit der heimlichen Entfernung des Kondoms in eine neue Handlung über, die das für Art. 191 StGB relevante Rechtsgut verletzt (E. 4.3). Völkerrechtliche Verpflichtungen betreffend die Strafbarkeit von nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen adressieren den Gesetzgeber. Die gesetzgeberische Auswahl der strafbaren Verhaltensweisen (aus allen gegebenenfalls strafwürdigen Handlungen) bindet die Gerichte (E. 5.1). Schändung meint den Missbrauch eines vorbestehenden, von den Umständen des Sexualkontakts unabhängigen Zustands, der das Opfer dem Täter ausliefert (E. 5.2). Die mit der laufenden Revision des Sexualstrafrechts eingeleitete Neuordnung der Art. 189 ff. StGB bestätigt die Erkenntnis, dass Stealthing nach geltendem Recht nicht unter Art. 191 StGB einzuordnen ist (E. 5.4). Stealthing lässt die Abwehrfähigkeit als solche intakt. Mithin besteht keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn von Art. 191 StGB (E. 5.5).
149 IV 240 (6B_782/2022) from 17. April 2023
Regeste: Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219 StGB); Verfolgungsverjährung, tatbestandliche Handlungseinheit (Art. 98 lit. b StGB). Der in Art. 219 StGB definierte Straftatbestand setzt in der Regel voraus, dass der Täter wiederholt handelt oder seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht nachhaltig verletzt, so dass die körperliche oder psychische Entwicklung der minderjährigen Person gefährdet ist (E. 2.2). Die verschiedenen Misshandlungen, die nach Art. 219 StGB strafbar sind, bilden eine tatbestandliche Handlungseinheit. Die Verjährung beginnt damit an dem Tag zu laufen, an dem die letzte Tätigkeit begangen wurde (Art. 98 lit. b StGB; E. 3). |