Schweizerische Strafprozessordnung
(Strafprozessordnung, StPO)

vom 5. Oktober 2007 (Stand am 1. Juli 2022)


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Art. 34 Gerichtsstand bei mehreren an verschiedenen Orten verübten Straftaten

1 Hat ei­ne be­schul­dig­te Per­son meh­re­re Straf­ta­ten an ver­schie­de­nen Or­ten ver­übt, so sind für die Ver­fol­gung und Be­ur­tei­lung sämt­li­cher Ta­ten die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem die mit der schwers­ten Stra­fe be­droh­te Tat be­gan­gen wor­den ist. Bei glei­cher Straf­dro­hung sind die Be­hör­den des Or­tes zu­stän­dig, an dem zu­erst Ver­fol­gungs­hand­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den sind.

2 Ist in ei­nem be­tei­lig­ten Kan­ton im Zeit­punkt des Ge­richts­stands­ver­fah­rens nach den Ar­ti­keln 39–42 we­gen ei­ner der Straf­ta­ten schon An­kla­ge er­ho­ben wor­den, so wer­den die Ver­fah­ren ge­trennt ge­führt.

3 Ist ei­ne Per­son von ver­schie­de­nen Ge­rich­ten zu meh­re­ren gleich­ar­ti­gen Stra­fen ver­ur­teilt wor­den, so setzt das Ge­richt, das die schwers­te Stra­fe aus­ge­spro­chen hat, auf Ge­such der ver­ur­teil­ten Per­son ei­ne Ge­samt­stra­fe fest.

Court decisions

113 IA 69 () from Jan. 5, 1987
Regeste: Bestellung eines amtlichen Verteidigers; Art. 6 EMRK und Art. 4 BV; Art. 34 Abs. 1 StPO/SG; Art. 31 BV. 1. Die Auslegung von Art. 34 Abs. 1 StPO/SG, wonach eine amtliche Verteidigung auf Ersuchen hin (nur) dann einem ausserkantonal tätigen Rechtsanwalt übertragen wird, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Angeschuldigten besteht oder der Vertreter bereits anderweitig für den Angeschuldigten tätig geworden ist, verstösst weder gegen Art. 4 BV noch gegen Art. 6 EMRK (E. 5). 2. Der amtliche Verteidiger steht zum Staat in einem Verhältnis, das vom kantonalen öffentlichen Recht bestimmt wird und deshalb nicht der Handels- und Gewerbefreiheit untersteht. Zur Erlangung eines amtlichen Mandates kann sich daher auch die Partei selber nicht auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen (E. 6).

138 IV 214 (1B_258/2012) from July 10, 2012
Regeste: Art. 80 BGG, Art. 29, 30, 39, 40 Abs. 1 und Art. 380 StPO; Zuständigkeit für die Untersuchung einer Straftat, insbesondere Tragweite des Grundsatzes der Verfahrenseinheit. Gegen den Entscheid der Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft bzw. der zuständigen kantonalen Beschwerdeinstanz über einen Kompetenzkonflikt verschiedener Untersuchungsbehörden steht direkt die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen, auch wenn es sich nicht um den Entscheid einer gerichtlichen Behörde handelt (E. 1). Die Spezialisierung verschiedener Staatsanwaltschaften auf bestimmte Delikte darf nicht dazu führen, dass bei der Verfolgung mehrerer Straftaten der Grundsatz der Verfahrenseinheit die Ausnahme und die Verfahrenstrennung die Regel wird. Vielmehr ist zu gewährleisten, dass nur ein Strafverfahren mit einer einheitlichen Untersuchung durchgeführt wird, ausser es gebe sachliche Gründe für ein Abweichen von dieser Regel, wofür organisatorische Aspekte auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden nicht genügen (E. 3).

144 IV 217 (6B_483/2016) from April 30, 2018
Regeste: Art. 49 Abs. 1 StGB; Konkurrenzen (Gesamtstrafenbildung). Die Bildung einer Gesamtstrafe in Anwendung des Asperationsprinzips nach Art. 49 Abs. 1 StGB ist nur möglich, wenn das Gericht im konkreten Fall für jeden einzelnen Normverstoss gleichartige Strafen ausfällt. Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen (teilweise) abstrakt gleichartige Strafen androhen, genügt nicht. Geld- und Freiheitsstrafe sind keine gleichartigen Strafen im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB (sog. "konkrete Methode"; Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2.2, 3.3 und 3.4). Eine Gesamtstrafe in Anwendung des Asperationsprinzips setzt in Abgrenzung zum Absorptions- und Kumulationsprinzip voraus, dass das Gericht die (hypothetischen) Einzelstrafen sämtlicher Delikte (zumindest gedanklich) gebildet hat. Die Ausfällung einer Einheitsstrafe im Sinne einer Gesamtbetrachtung aller zu beurteilenden Delikte ist nicht möglich (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3.5). Der Gesetzgeber hat die Konkurrenzen in Art. 49 StGB abschliessend geregelt. De lege lata ist es weder möglich, eine Gesamtfreiheitsstrafe aus Geld- und Freiheitsstrafen noch aus mehreren Geldstrafen zu bilden (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3.6).

147 IV 108 (6B_780/2019) from Aug. 17, 2020
Regeste: Art. 34 Abs. 3 StPO; nachträgliche Gesamtstrafenbildung. Art. 34 Abs. 3 StPO stellt sicher, dass die materiell-rechtlichen Vorschriften der Gesamtstrafenbildung von der verurteilten Person wirksam durchgesetzt werden können (E. 2.2.1). Das Verfahren gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO ist ein Verfahren "sui generis", auf das die Vorschriften über "Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden des Gerichts" gemäss Art. 363 ff. StPO (sinngemäss) Anwendung finden, soweit Art. 34 Abs. 3 StPO keine abweichende Regelung enthält (E. 2.2.2). Art. 34 Abs. 3 StPO regelt nicht, wie die Gesamtstrafe zu bilden ist; dies ergibt sich ausschliesslich aus der jeweiligen materiell-rechtlichen Norm (Art. 46 Abs. 1 Satz 2, Art. 49, Art. 62a Abs. 2 und Art. 89 Abs. 6 StGB) (E. 2.2.3). Gegenstand des Nachverfahrens gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO ist ausschliesslich, die unterlassene Gesamtstrafenbildung durch Asperation der rechtskräftigen Strafen nachzuholen. Das Nachgericht hat weder die Rechtmässigkeit der früheren Verurteilungen noch die Angemessenheit der ausgesprochenen Strafen zu prüfen (E. 2.2.4 und 2.2.5). Die Vollzugsform (bedingt, teil- oder unbedingt) spielt für die Beurteilung der Gleichartigkeit der ausgesprochenen Strafen keine Rolle (E. 3.1-3.4). Die richterliche Fürsorgepflicht kann erfordern, die beschuldigte Person auf eine mögliche oder gesetzlich zwingende Änderung der Vollzugsform infolge der nachträglichen Gesamtstrafenbildung hinzuweisen und ihr die Möglichkeit einzuräumen, den gestellten Antrag zurückzuziehen (E. 3.6).

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