Schweizerische Strafprozessordnung
(Strafprozessordnung, StPO)

vom 5. Oktober 2007 (Stand am 1. Juli 2022)


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Art. 398 Zulässigkeit und Berufungsgründe

1 Die Be­ru­fung ist zu­läs­sig ge­gen Ur­tei­le ers­tin­stanz­li­cher Ge­rich­te, mit de­nen das Ver­fah­ren ganz oder teil­wei­se ab­ge­schlos­sen wor­den ist.

2 Das Be­ru­fungs­ge­richt kann das Ur­teil in al­len an­ge­foch­te­nen Punk­ten um­fas­send über­prü­fen.

3 Mit der Be­ru­fung kön­nen ge­rügt wer­den:

a.
Rechts­ver­let­zun­gen, ein­sch­liess­lich Über­schrei­tung und Miss­brauch des Er­mes­sens, Rechts­ver­wei­ge­rung und Rechts­ver­zö­ge­rung;
b.
die un­voll­stän­di­ge oder un­rich­ti­ge Fest­stel­lung des Sach­ver­halts;
c.
Un­an­ge­mes­sen­heit.

4 Bil­de­ten aus­sch­liess­lich Über­tre­tun­gen Ge­gen­stand des ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­fah­rens, so kann mit der Be­ru­fung nur gel­tend ge­macht wer­den, das Ur­teil sei rechts­feh­ler­haft oder die Fest­stel­lung des Sach­ver­halts sei of­fen­sicht­lich un­rich­tig oder be­ru­he auf ei­ner Rechts­ver­let­zung. Neue Be­haup­tun­gen und Be­wei­se kön­nen nicht vor­ge­bracht wer­den.

5 Be­schränkt sich die Be­ru­fung auf den Zi­vil­punkt, so wird das ers­tin­stanz­li­che Ur­teil nur so weit über­prüft, als es das am Ge­richts­stand an­wend­ba­re Zi­vil­pro­zess­recht vor­se­hen wür­de.

BGE

126 I 36 () from 28. März 2000
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Strafverfahren. Verurteilung im Abwesenheitsverfahren; Recht auf Aufhebung des Abwesenheitsurteils. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesgerichts über Verurteilungen im Abwesenheitsverfahren (E. 1). Verurteilung im Abwesenheitsverfahren und Antrag auf Aufhebung des Abwesenheitsurteils nach waadtländischem Recht (E. 2). Eine im Protokoll des Instruktionsrichters festgehaltene Wahl des Zustellungsdomizils auf der Kanzlei der Gerichtsbehörde begründet keinen gültigen Verzicht auf das Anwesenheitsrecht in der Gerichtsverhandlung. Der Antrag des in Abwesenheit Verurteilten auf Aufhebung des Urteils darf somit nicht als unzulässig erklärt werden, weil eine gesetzliche Frist von zwanzig Tagen ab der fiktiven Zustellung des Urteils auf der Kanzlei nicht eingehalten wurde (E. 3).

139 IV 78 (6B_261/2012) from 22. Oktober 2012
Regeste: Art. 115, Art. 118 Abs. 1, Art. 119 Abs. 2 lit. a und Art. 382 Abs. 1 StPO; Beschwerdelegitimation des Strafklägers. Der Geschädigte, selbst wenn er im Strafverfahren keine Zivilforderung angemeldet hat, ist als Strafkläger legitimiert, im Strafpunkt Berufung zu erheben (E. 3).

139 IV 199 (6B_611/2012, 6B_693/2012) from 19. April 2013
Regeste: Entschädigung für die amtliche Verteidigung; Rechtsmittellegitimation der Staatsanwaltschaft; Rechtsmittelweg; Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG; Art. 81 Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. b, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 351 Abs. 1, Art. 381 f., Art. 394 lit. a, Art. 398 Abs. 1, Art. 422 Abs. 1 und 2 lit. a StPO. Die Staatsanwaltschaft kann die Höhe der Entschädigung für die amtliche Verteidigung mit Beschwerde in Strafsachen anfechten (E. 2). Entsprechend steht ihr auch der Rechtsmittelweg im Kanton offen (E. 4). Das Gericht hat über die Entschädigung des amtlichen Verteidigers im Sachurteil zu befinden. Die Staatsanwaltschaft und die anderen Parteien, die für die Kosten der amtlichen Verteidigung aufzukommen haben, müssen die Reduktion der Entschädigung im Berufungsverfahren verlangen, während sich der amtliche Verteidiger gegen die Höhe der Entschädigung mit Beschwerde zur Wehr setzen muss (E. 5).

140 IV 145 (6B_339/2014) from 27. November 2014
Regeste: Art. 48 lit. e und Art. 101 Abs. 2 StGB; Strafmilderungsgrund infolge langen Zeitablaufs, unverjährbare Straftaten. Der Strafmilderungsgrund infolge langen Zeitablaufs im Sinne von Art. 48 lit. e StGB ist in jedem Fall zu berücksichtigen, wenn zwei Drittel der Verjährungsfrist verstrichen sind (Zusammenfassung der Rechtsprechung; E. 3.1). Für unverjährbare Straftaten bestimmt Art. 101 Abs. 2 StGB den Zeitpunkt, ab dem das Gericht die Strafe mildern kann. Art. 48 lit. e StGB ist folglich auf unverjährbare Verbrechen nicht anwendbar (E. 3.2).

140 IV 213 (6B_360/2014) from 30. Oktober 2014
Regeste: Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen bei Anfechtung des Entschädigungsentscheids durch die unentgeltliche Verbeiständung der Privatklägerschaft; Art 135 Abs. 3 StPO. Wird ein Urteil des Berufungsgerichts angefochten, das über die vom erstinstanzlichen Gericht der unentgeltlichen Rechtsbeiständin für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochene Entschädigung entscheidet, und bleibt die für das Berufungsverfahren festgesetzte Entschädigung unangefochten, liegt kein Anwendungsfall von Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO vor. Die Beschwerde in Strafsachen ist zulässig (E. 1.7).

141 IV 231 (6B_188/2015) from 30. Juni 2015
Regeste: Art. 354 Abs. 1 lit. b und Art. 382 Abs. 1 StPO; Legitimation der Privatklägerschaft zur Einsprache gegen einen Strafbefehl. Die Privatklägerschaft ist als weitere Betroffene gemäss Art. 354 Abs. 1 lit. b StPO zur Einsprache berechtigt, wenn sie an der Aufhebung oder Änderung des Strafbefehls ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 382 Abs. 1 StPO hat (E. 2.3-2.6).

141 IV 244 (6B_1224/2014) from 9. April 2015
Regeste: Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG und Art. 82 Abs. 4 StPO; Begründungspflicht der Rechtsmittelinstanz. Aus einem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt das Gericht ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen es angestellt hat (E. 1.2.1). Von der Möglichkeit, auf die Begründung der Vorinstanz zu verweisen (Art. 82 Abs. 4 StPO), ist zurückhaltend Gebrauch zu machen. Ein Verweis kommt bei strittigen Sachverhalten und in Bezug auf die rechtliche Subsumtion nur dann in Frage, wenn die Rechtsmittelinstanz den vorinstanzlichen Erwägungen (vollumfänglich) beipflichtet (E. 1.2.3).

141 IV 284 (1B_363/2013) from 12. Mai 2015
Regeste: Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; Art. 140 und 141 StPO; Strafverfahren; Zulässigkeit der Beschwerde gegen Zwischenentscheide über die Verwertbarkeit von Beweisen. Zwischenentscheide, welche die Verwertung von Beweisen zulassen, bewirken in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (E. 2.2). Ausnahmen von dieser Regel (E. 2.3). Entscheide, welche die Verwertung von Beweisen verbieten und ihre Entfernung aus den Strafakten anordnen, bewirken für die Staatsanwaltschaft einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, wenn sie ohne diesen Beweis das Strafverfahren einstellen muss. Dies trifft nicht zu, wenn sie das Strafverfahren gestützt auf andere Beweise oder Beweismassnahmen weiterführen kann (E. 2.4 und 2.5).

141 IV 289 (1B_56/2015) from 29. Juli 2015
Regeste: Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; Art. 130 lit. b, Art. 131 Abs. 3, Art. 141 Abs. 1, 2 und 5 StPO; Entfernung eines Einvernahmeprotokolls aus den Untersuchungsakten wegen angeblicher Unverwertbarkeit; nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil. Der alleinige Umstand, dass ein Beweismittel, dessen Verwertbarkeit der Beschwerdeführer im Vorverfahren bestreitet, in den Untersuchungsakten bleibt, stellt grundsätzlich keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur dar (E. 1). Eine Ausnahme von dieser Regel ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Insbesondere sieht das Gesetz (hier: Art. 131 Abs. 3 StPO) nicht ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten oder die Vernichtung rechtswidriger Beweise vor. Ebenso wenig steht (aufgrund des Gesetzes oder der Umstände des Einzelfalles) die Ungültigkeit bzw. Unverwertbarkeit des Beweismittels hier ohne Weiteres fest (E. 2).

141 IV 396 (6B_1021/2014) from 3. September 2015
Regeste: Zulässiges Rechtsmittel gegen selbstständige nachträgliche gerichtliche Entscheide. Selbstständige nachträgliche gerichtliche Entscheide im Sinne von Art. 363 ff. StPO ergehen in Form eines Beschlusses oder einer Verfügung und sind mit Beschwerde anzufechten (E. 3 und 4).

142 IV 170 (6B_346/2015) from 1. März 2016
Regeste: Art. 106 Abs. 3 IRSG; Art. 80 Abs. 2 BGG; Art. 55 Abs. 4 StPO; Instanzenzug im Exequaturverfahren. Art. 106 Abs. 3 Satz 2 IRSG und Art. 80 Abs. 2 BGG sehen im Exequaturverfahren einen zweistufigen kantonalen Instanzenzug vor. Mit dem Inkrafttreten der StPO hat sich daran nichts geändert. Die Regelung von Art. 55 Abs. 4 StPO, wonach die Beschwerdeinstanz zuständig ist, wenn das Bundesrecht Aufgaben der internationalen Rechtshilfe einer richterlichen Behörde zuweist, tritt hinter die lex specialis zurück. Der Entscheid über das Exequaturbegehren hat in der Form eines begründeten Urteils zu ergehen. Gegen den erstinstanzlichen Exequaturentscheid kann Berufung geführt werden (E. 1.3.2.).

143 IV 40 (6B_654/2016) from 16. Dezember 2016
Regeste: a Art. 384 lit. a und Art. 396 Abs. 1 StPO; Fristbeginn der Beschwerde gegen ein Urteil. Die Frist für die Beschwerde gegen ein Urteil beginnt mit der Eröffnung des schriftlich begründeten Entscheids (E. 3.2-3.4).

143 IV 387 (1B_75/2017) from 16. August 2017
Regeste: Art. 8 EMRK; Art. 13 Abs. 1, 36 Abs. 1 BV; Art. 141 Abs. 2, 197 Abs. 1 lit. a, 248, 282 StPO; Observationen durch Privatdetektive; Verwertbarkeit im Entsiegelungs- und Untersuchungsverfahren. Für systematische private Observationen im Strafprozess besteht keine gesetzliche Grundlage. Die Frage, ob die insofern rechtswidrig erhobenen Beweismittel im Entsiegelungsverfahren verwertbar oder bereits im Vorverfahren auszuscheiden sind, ist nach Art. 141 Abs. 2 StPO zu prüfen. Falls die Beweismittel nicht klarerweise unverwertbar sind, besteht kein Entsiegelungshindernis und ist die abschliessende Prüfung der Verwertbarkeit dem Sachrichter im Endentscheid vorzubehalten (E. 4).

143 IV 408 (6B_32/2017) from 29. September 2017
Regeste: a Art. 341 Abs. 3, 409 Abs. 1 StPO; Befragung der beschuldigten Person; Aufhebung und Rückweisung des erstinstanzlichen Urteils durch das Berufungsgericht. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache an die erste Instanz durch das Berufungsgericht kommt nur bei schwerwiegenden, nicht heilbaren Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens in Betracht, in denen die Rückweisung zur Wahrung der Parteirechte unumgänglich ist. Eine ergänzungsbedürftige Befragung der beschuldigten Person in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung stellt keinen schwerwiegenden Mangel im Sinne von Art. 409 Abs. 1 StPO dar (E. 6).

143 IV 434 (6B_888/2017) from 25. Oktober 2017
Regeste: Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG; Legitimation der Privatklägerschaft zur Beschwerde in Strafsachen; Erfordernis der Teilnahme am Verfahren vor der Vorinstanz. Der Verzicht der berufungsbeklagten Privatklägerschaft auf die freigestellte Anwesenheit an der mündlichen Berufungsverhandlung oder das Stellen von Anträgen im Berufungsverfahren ist nicht als Gleichgültigkeit am Ausgang des Berufungsverfahrens, sondern in dem Sinne zu verstehen, dass die Privatklägerschaft an ihren erstinstanzlichen Anträgen festhält. Die berufungsbeklagte Privatklägerschaft, die im Berufungsverfahren mit ihren erstinstanzlichen Anträgen unterlag, erfüllt die Legitimationsvoraussetzung von Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG (E. 1.2).

144 IV 35 (6B_440/2016) from 8. November 2017
Regeste: Art. 60 Abs. 3 StPO; Art. 391 Abs. 2 StPO; Art. 410 ff. StPO; Rechtsweg, wenn eine Unregelmässigkeit in der Zusammensetzung des urteilenden kantonalen Gerichts während des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht entdeckt wird; analoge Anwendung von Art. 60 Abs. 3 StPO und des Revisionsverfahrens nach Art. 410 ff. StPO; Verbot der reformatio in peius im Revisionsverfahren. Wird ein Mangel betreffend die Zusammensetzung des kantonalen Gerichts während des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht entdeckt, ist Art. 60 Abs. 3 StPO analog anwendbar, welcher auf Art. 410 ff. StPO verweist und den Parteien erlaubt, die Revision des betreffenden Urteils zu verlangen. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hat die Partei die Revision unverzüglich zu verlangen (E. 2). Das Verbot der reformatio in peius ist auf das Revisionsverfahren anwendbar. Wird das Verfahren einzig durch den Verurteilten eingeleitet und wird sein Revisionsbegehren gutgeheissen, darf sich das neue Urteil weder betreffend die Strafhöhe noch die rechtliche Qualifikation zu seinen Ungunsten auswirken (E. 3).

144 IV 90 (1B_412/2017) from 1. März 2018
Regeste: Art. 92, 93 Abs. 1 lit. a BGG; Art. 60 Abs. 1 StPO; Zulässigkeit der Beschwerde an das Bundesgericht gegen die Ablehnung, bestimmte Amtshandlungen aufzuheben, an welchen ein abgelehnter Experte mitgewirkt hat. Ein ablehnender Entscheid über ein Ausstandsbegehren kann sofort beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 92 BGG). Dies ist auch der Fall, wenn im gleichen Entscheid das Ausstandsgesuch und der Antrag um Aufhebung von Amtshandlungen, an welchen die abgelehnte Person mitgewirkt hat, abgewiesen wurden (E. 1.1.1). Art. 60 Abs. 1 StPO erlaubt, die Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen zu verlangen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Person mitgewirkt hat, sofern dies eine Partei innert 5 Tagen verlangt, nachdem sie - in Übereinstimmung mit dem deutschen und dem italienischen Gesetzestext - vom Entscheid über den Ausstand Kenntnis erhalten hat (E. 1.1.2). Ist hingegen nur noch die Frage der Aufhebung von Amtshandlungen umstritten, handelt es sich im Grundsatz um eine Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln, womit die Beschwerde nur zulässig ist, wenn der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; E. 1.1.1 und 1.1.3). Dies gilt unabhängig davon, ob die Gutheissung des Ausstandsgesuchs in einem früheren Entscheid als demjenigen über die Aufhebung von Amtshandlungen oder in ein und demselben Entscheid erfolgte (E. 1.1.2).

144 IV 127 (1B_425/2017) from 13. März 2018
Regeste: Art. 141, 259 StPO; Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen; Zulässigkeit einer Beschwerde, mit der die Vernichtung einer DNA-Probe beantragt wird. Prüfung der Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 1 des DNA-Profil-Gesetzes. Eine blosse Streitigkeit (im Vorverfahren) über die Verwertbarkeit von Beweismitteln begründet grundsätzlich keinen drohenden nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. Eine Ausnahme besteht namentlich, wenn das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe oder die sofortige Vernichtung rechtswidrig erhobener Beweise vorsieht (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 1.3.1). Die Bestimmung von Art. 9 Abs. 1 lit. b des DNA-Profil-Gesetzes, die für den Fall, dass die anordnende Behörde drei Monate nach der Probenahme keine Analyse veranlasst hat, die Vernichtung der betreffenden DNA-Probe vorsieht, begründet eine solche gesetzliche Ausnahme (E. 1.3.3). Art. 9 Abs. 1 lit. b des DNA-Profil-Gesetzes ist ungeachtet der Frage anwendbar, ob auch noch die Voraussetzungen einer anderen Bestimmung von Art. 9 Abs. 1 erfüllt sind, etwa diejenigen von lit. c (E. 2.2 und 2.3).

147 IV 127 (6B_973/2019) from 28. Oktober 2020
Regeste: Art. 406 StPO; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Voraussetzungen für die Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens. Das Berufungsverfahren ist grundsätzlich mündlich. Es kann nur ausnahmsweise unter den engen Voraussetzungen von Art. 406 StPO schriftlich durchgeführt werden, deren Vorliegen von der Berufungsinstanz von Amtes wegen zu prüfen ist. Liegt ein Einverständnis der Parteien mit dem schriftlichen Verfahren vor, kann dieses die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 406 Abs. 2 StPO nicht ersetzen, sondern tritt zu diesen hinzu (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2.1 und 2.2). Die Voraussetzungen von Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO müssen dabei kumulativ vorliegen (E. 2.2.2). Art. 406 StPO entbindet das Berufungsgericht nicht davon, im Einzelfall zu prüfen, ob der Verzicht auf die öffentliche Verhandlung mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des EGMR soll die angeklagte Person grundsätzlich erneut angehört werden, wenn in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird und der Aufhebung eine andere Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt (E. 2.3). Vorliegend waren die Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens nicht erfüllt. Da das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwerfen und die beschuldigte Person in Abänderung des angefochtenen Urteils schuldig sprechen wollte, konnte es den Sachverhalt nicht lediglich auf Grundlage der Akten feststellen. Es hätte die Beschuldigte zu einer mündlichen Berufungsverhandlung vorladen und ihr damit die Möglichkeit einräumen müssen, sich zu den Vorwürfen persönlich zu äussern und diejenigen Umstände vorzubringen, die der Klärung des Sachverhalts und ihrer Verteidigung dienen können. Die Anwesenheit der Beschuldigten erwies sich im Berufungsverfahren als erforderlich, so dass die Vorinstanz nicht auf ein mündliches Verfahren verzichten konnte (E. 3).

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