Schweizerische Strafprozessordnung
(Strafprozessordnung, StPO)

vom 5. Oktober 2007 (Stand am 1. Juli 2022)


Open article in different language:  FR  |  IT  |  EN
Art. 407 Säumnis der Parteien

1 Die Be­ru­fung oder An­schluss­be­ru­fung gilt als zu­rück­ge­zo­gen, wenn die Par­tei, die sie er­klärt hat:

a.
der münd­li­chen Be­ru­fungs­ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern­bleibt und sich auch nicht ver­tre­ten lässt;
b.
kei­ne schrift­li­che Ein­ga­be ein­reicht; oder
c.
nicht vor­ge­la­den wer­den kann.

2 Hat die Staats­an­walt­schaft oder die Pri­vat­klä­ger­schaft die Be­ru­fung im Schuld- oder Straf­punkt er­klärt und bleibt die be­schul­dig­te Per­son der Ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern, so fin­det ein Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren statt.

3 Hat die Pri­vat­klä­ger­schaft ih­re Be­ru­fung auf den Zi­vil­punkt be­schränkt und bleibt die be­schul­dig­te Per­son der Ver­hand­lung un­ent­schul­digt fern, so ent­schei­det das Be­ru­fungs­ge­richt auf­grund der Er­geb­nis­se der ers­tin­stanz­li­chen Haupt­ver­hand­lung und der üb­ri­gen Ak­ten.

BGE

147 IV 127 (6B_973/2019) from 28. Oktober 2020
Regeste: Art. 406 StPO; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Voraussetzungen für die Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens. Das Berufungsverfahren ist grundsätzlich mündlich. Es kann nur ausnahmsweise unter den engen Voraussetzungen von Art. 406 StPO schriftlich durchgeführt werden, deren Vorliegen von der Berufungsinstanz von Amtes wegen zu prüfen ist. Liegt ein Einverständnis der Parteien mit dem schriftlichen Verfahren vor, kann dieses die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 406 Abs. 2 StPO nicht ersetzen, sondern tritt zu diesen hinzu (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2.1 und 2.2). Die Voraussetzungen von Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO müssen dabei kumulativ vorliegen (E. 2.2.2). Art. 406 StPO entbindet das Berufungsgericht nicht davon, im Einzelfall zu prüfen, ob der Verzicht auf die öffentliche Verhandlung mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des EGMR soll die angeklagte Person grundsätzlich erneut angehört werden, wenn in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird und der Aufhebung eine andere Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt (E. 2.3). Vorliegend waren die Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens nicht erfüllt. Da das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwerfen und die beschuldigte Person in Abänderung des angefochtenen Urteils schuldig sprechen wollte, konnte es den Sachverhalt nicht lediglich auf Grundlage der Akten feststellen. Es hätte die Beschuldigte zu einer mündlichen Berufungsverhandlung vorladen und ihr damit die Möglichkeit einräumen müssen, sich zu den Vorwürfen persönlich zu äussern und diejenigen Umstände vorzubringen, die der Klärung des Sachverhalts und ihrer Verteidigung dienen können. Die Anwesenheit der Beschuldigten erwies sich im Berufungsverfahren als erforderlich, so dass die Vorinstanz nicht auf ein mündliches Verfahren verzichten konnte (E. 3).

Diese Seite ist durch reCAPTCHA geschützt und die Google Datenschutzrichtlinie und Nutzungsbedingungen gelten.

Feedback
Laden