Schweizerische Strafprozessordnung
(Strafprozessordnung, StPO)

vom 5. Oktober 2007 (Stand am 1. Juli 2022)


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Art. 94 Wiederherstellung

1 Hat ei­ne Par­tei ei­ne Frist ver­säumt und wür­de ihr dar­aus ein er­heb­li­cher und un­er­setz­li­cher Rechts­ver­lust er­wach­sen, so kann sie die Wie­der­her­stel­lung der Frist ver­lan­gen; da­bei hat sie glaub­haft zu ma­chen, dass sie an der Säum­nis kein Ver­schul­den trifft.

2 Das Ge­such ist in­nert 30 Ta­gen nach Weg­fall des Säum­nis­grun­des schrift­lich und be­grün­det bei der Be­hör­de zu stel­len, bei wel­cher die ver­säum­te Ver­fah­rens­hand­lung hät­te vor­ge­nom­men wer­den sol­len. In­nert der glei­chen Frist muss die ver­säum­te Ver­fah­rens­hand­lung nach­ge­holt wer­den.

3 Das Ge­such hat nur auf­schie­ben­de Wir­kung, wenn die zu­stän­di­ge Be­hör­de sie er­teilt.

4 Über das Ge­such ent­schei­det die Straf­be­hör­de in ei­nem schrift­li­chen Ver­fah­ren.

5 Die Ab­sät­ze 1–4 gel­ten sinn­ge­mä­ss bei ver­säum­ten Ter­mi­nen. Wird die Wie­der­her­stel­lung be­wil­ligt, so setzt die Ver­fah­rens­lei­tung einen neu­en Ter­min fest. Die Be­stim­mun­gen über das Ab­we­sen­heits­ver­fah­ren blei­ben vor­be­hal­ten.

BGE

142 IV 201 (6B_175/2016) from 2. Mai 2016
Regeste: Strafbefehl; fiktive Zustellung (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO); Gültigkeit der Einsprache (Art. 356 Abs. 2 StPO); Wiederherstellung der Frist (Art. 94 StPO). Ein nicht rechtsgültig zugestellter Strafbefehl entfaltet keine Rechtswirkung; Fristen werden nicht ausgelöst. Eine Wiederherstellung zufolge versäumter Fristen fällt ausser Betracht. Die Frage nach der Wiederherstellung der Einsprachefrist stellt sich erst, wenn die Frist versäumt wurde. Dies kann nur der Fall sein, wenn der Strafbefehl rechtsgültig tatsächlich oder fiktiv zugestellt wurde. Die Staatsanwaltschaft hat ein allfälliges Wiederherstellungsverfahren zu sistieren, bis das erstinstanzliche Gericht entschieden hat, ob der Strafbefehl rechtsgültig zugestellt und die Einsprachefrist versäumt wurde (E. 2).

143 I 284 (6B_294/2016) from 5. Mai 2017
Regeste: Art. 94 und 130 StPO; Wiederherstellung einer aufgrund eines schwerwiegenden Fehlers des notwendigen Verteidigers verpassten Frist. Eine Verfehlung des Anwalts ist grundsätzlich seinem Mandanten zuzurechnen und stellt in der Regel keine unverschuldete Säumnis dar, die eine Fristwiederherstellung im Sinne von Art. 94 StPO rechtfertigt (E. 1). In Fällen notwendiger Verteidigung kann jedoch das Recht der beschuldigten Person auf eine konkrete und wirksame Verteidigung im Sinne von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK, Art. 14 Ziff. 3 lit. d UNO-Pakt II und Art. 32 Abs. 2 BV ausnahmsweise der Zurechnung des schwerwiegenden Fehlers des Verteidigers entgegenstehen. Ausnahmefall vorliegend bejaht, da der beschuldigten Person aus der Säumnis - die Berufungserklärung wurde einen Tag nach Fristablauf eingereicht - ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen würde (E. 2).

146 IV 332 (6B_130/2020) from 17. September 2020
Regeste: Art. 429 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StPO; Entschädigungsanspruch bei Verfahrenseinstellung. Wird ein Strafverfahren eingestellt, hat die beschuldigte Person gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO Anspruch auf eine Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verteidigungsrechte. Gemäss Art. 429 Abs. 2 StPO muss die Strafbehörde den Entschädigungsanspruch von Amtes wegen prüfen. Sie hat die Parteien zur Frage mindestens anzuhören und gegebenenfalls aufzufordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen. Die beschuldigte Person trifft insofern eine Mitwirkungspflicht. Fordert die Behörde die beschuldigte Person auf, ihre Ansprüche zu beziffern und reagiert diese nicht, kann von einem (impliziten) Verzicht auf eine Entschädigung ausgegangen werden (E. 1.3). Eine Entschädigung kann in einem späteren Verfahrensschritt nicht mehr geltend gemacht werden (E. 1.4).

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