|
Art. 333 Änderung und Erweiterung der Anklage
1 Das Gericht gibt der Staatsanwaltschaft Gelegenheit, die Anklage zu ändern, wenn nach seiner Auffassung der in der Anklageschrift umschriebene Sachverhalt einen andern Straftatbestand erfüllen könnte, die Anklageschrift aber den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht. 2 Werden während des Hauptverfahrens neue Straftaten der beschuldigten Person bekannt, so kann das Gericht der Staatsanwaltschaft gestatten, die Anklage zu erweitern. 3 Eine Erweiterung ist ausgeschlossen, wenn dadurch das Verfahren über Gebühr erschwert oder die Zuständigkeit des Gerichts ändern würde oder wenn ein Fall von Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegt. In diesen Fällen leitet die Staatsanwaltschaft ein Vorverfahren ein. 4 Das Gericht darf eine geänderte oder erweiterte Anklage seinem Urteil nur zu Grunde legen, wenn die Parteirechte der beschuldigten Person und der Privatklägerschaft gewahrt worden sind. Es unterbricht dafür nötigenfalls die Hauptverhandlung. BGE
148 IV 124 (6B_1404/2020) from 17. Januar 2022
Regeste: Art. 11 Abs. 1, Art. 119 Abs. 2 lit. a, Art. 319 Abs. 1 lit. a, Art. 320 Abs. 4, Art. 324 Abs. 2, Art. 333 Abs. 1 StPO; Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK; Art. 14 Abs. 7 UNO-Pakt II; Teileinstellungsverfügung; Grundsatz "ne bis in idem"; Anklageergänzung nach einem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid. Eine explizite Teileinstellungsverfügung, die nicht den ganzen Lebenssachverhalt, sondern lediglich einzelne, erschwerende Tatvorwürfe betrifft, kann zur Wahrung der Rechte der Privatklägerschaft erforderlich sein (Bestätigung der Rechtsprechung von BGE 138 IV 241 E. 2; E. 2.6.5). Solche Teileinstellungsverfügungen führen nicht zur Anwendung des Grundsatzes "ne bis in idem" hinsichtlich der gleichzeitig zur Anklage gebrachten Vorwürfe. Entscheidend ist, dass die Teileinstellungsverfügung auf die gleichzeitig erhobene oder bereits hängige Anklage bzw. den gleichzeitig erlassenen Strafbefehl Bezug nimmt und folglich als solche deklariert wird. Aus der Teileinstellungsverfügung muss hervorgehen, dass das Verfahren nicht als Ganzes, sondern lediglich bezüglich einzelner, nicht angeklagter, erschwerender Tatumstände eingestellt wird (Präzisierung der Rechtsprechung von BGE 144 IV 362; E. 2.6.6). Eine Anklageergänzung in Anwendung von Art. 333 Abs. 1 StPO ist bei Verfahren ohne Beteiligung von Privatklägern nur in engen Grenzen möglich, wenn es darum geht, ungerechtfertigte Freisprüche zu verhindern. Hingegen darf die Privatklägerschaft ihren Anspruch auf Verfolgung und Bestrafung der für die Straftat verantwortlichen Person im Gerichtsverfahren bei einer ihrer Ansicht nach ungenügenden Anklage auch mittels eines Antrags auf Ergänzung der Anklage im Sinne einer qualifizierten Tatbegehung bzw. einer härteren rechtlichen Qualifikation durchsetzen (E. 2.6.7). Vorliegend ersuchte der Privatkläger im kantonalen Verfahren, sowohl erst- als auch zweitinstanzlich, wiederholt um Ergänzung der Anklage, wobei sein Antrag im kantonalen Verfahren nicht korrekt behandelt wurde, da die Staatsanwaltschaft weder die Anklage ergänzte noch eine anfechtbare Teileinstellungsverfügung erliess. Unter diesen Umständen ist eine Änderung bzw. Ergänzung der Anklage auch nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid, mit welchem der vorinstanzliche Schuldspruch auf Beschwerde der beschuldigten Person hin wegen Verletzung des Anklageprinzips aufgehoben wurde, noch möglich (E. 2.6.8).
149 IV 42 (6B_171/2022) from 29. November 2022
Regeste: Art. 333 Abs. 1 StPO; Änderung der Anklage. Die Rückweisung an die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 333 Abs. 1 StPO setzt gemäss dem klaren Gesetzeswortlaut und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass der in der Anklageschrift umschriebene Sachverhalt einen andern als den angeklagten Straftatbestand erfüllen könnte. Die Bestimmung ist nicht anwendbar, wenn die Anklage innerhalb des angeklagten Straftatbestandes geändert werden soll (E. 3). |