Schweizerische Strafprozessordnung
(Strafprozessordnung, StPO)


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Art. 431 Entschädigung und Genugtuung wegen rechtswidrig angewandter Zwangsmassnahmen und überlanger Haft 276

1 Sind ge­gen­über der be­schul­dig­ten Per­son rechts­wid­rig Zwangs­mass­nah­men an­ge­wandt wor­den, so spricht ihr die Straf­be­hör­de ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­schä­di­gung und Ge­nug­tu­ung zu.

2 Im Fall von Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft be­steht der An­spruch, wenn die zu­läs­si­ge Haft­dau­er über­schrit­ten ist und der über­mäs­si­ge Frei­heits­ent­zug nicht an die we­gen an­de­rer Straf­ta­ten aus­ge­spro­che­nen Sank­tio­nen an­ge­rech­net wer­den kann.

3 Der An­spruch nach Ab­satz 2 ent­fällt, wenn die be­schul­dig­te Per­son:

a.
zu ei­ner Geld­stra­fe, zu ge­mein­nüt­zi­ger Ar­beit oder zu ei­ner Bus­se ver­ur­teilt wird, die um­ge­wan­delt ei­ne Frei­heits­s­tra­fe er­gä­be, die nicht we­sent­lich kür­zer wä­re als die aus­ge­stan­de­ne Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft;
b.
zu ei­ner be­ding­ten Frei­heits­s­tra­fe ver­ur­teilt wird, de­ren Dau­er die aus­ge­stan­de­ne Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft über­schrei­tet.

276 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I des BG vom 17. Ju­ni 2022, in Kraft seit 1. Jan. 2024 (AS 2023 468; BBl 2019 6697).

BGE

148 I 145 (2C_704/2021) from 12. Mai 2022
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 9 BV; Art. 431 Abs. 1 StPO; aArt. 60 Abs. 1 OR; Art. 7 des Gesetzes des Kantons Waadt über die Haftung des Staats, der Gemeinden und ihrer Amtsträger (LRECA/VD); Staatshaftung für rechtswidrige Zwangsmassnahmen; Untersuchungshaft unter rechtswidrigen Haftbedingungen; dies a quo der kantonalrechtlichen einjährigen Verjährungsfrist. Verhältnis zwischen den verschiedenen Staatshaftungsregelungen, die bei rechtswidrigen Haftbedingungen massgebend sind (E. 3). Waadtländer Regelung, welche die Entschädigungsforderungen gegen den Staat einer relativen Verjährungsfrist von einem Jahr ab dem Zeitpunkt der "Kenntnis des Schadens" unterwirft (E. 4). Angesichts des in Art. 6 EMRK garantierten Rechts auf einen Richter und der ergangenen Rechtsprechung zu aArt. 60 Abs. 1 OR, den das Waadtländer Recht wörtlich übernimmt (E. 6.2-6.5), ist es willkürlich, davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer vom Schaden im Zusammenhang mit seinen rechtswidrigen Haftbedingungen Kenntnis hatte, sobald sich seine Behandlung im Gefängnis Bois-Mermet, wo er weiterhin inhaftiert blieb, verbesserte, und dass sein Anspruch auf Entschädigung durch den Staat somit ein Jahr nach dieser Änderung verjährte (E. 6.6-6.11).

148 IV 205 (6B_210/2021) from 24. März 2022
Regeste: Art. 3, Art. 113, Art. 140 Abs. 1, Art. 141 Abs. 1 und Art. 293 Abs. 4 StPO; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; verdeckte Ermittlung; Selbstbelastungsfreiheit; Beweisverwertungsverbot. Die Verwertbarkeit von Beweismitteln, die im Rahmen einer verdeckten Ermittlung erlangt wurden, setzt grundsätzlich voraus, dass die Garantien von Art. 140 Abs. 1 StPO eingehalten werden. Wird eine beschuldigte Person von einem verdeckten Ermittler durch übermässige Druckausübung und unter Umgehung der Selbstbelastungsfreiheit zu selbstbelastenden Aussagen veranlasst, sind diese absolut unverwertbar im Sinne von Art. 141 Abs. 1 StPO (E. 2.8).

148 IV 419 (6B_273/2021) from 25. August 2022
Regeste: Art. 5 i.V.m. Art. 15 JStG; Art. 431 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 51 und 110 Abs. 7 StGB; Entschädigung im Jugendstrafrecht nach (vorsorglicher) Unterbringung. Im Jugendstrafrecht führt der Umstand, dass der aufgrund der (vorsorglichen) Unterbringung erstandene Freiheitsentzug länger war als der ausgesprochene Freiheitsentzug, nicht zu einer finanziellen Entschädigung des betroffenen Jugendlichen gestützt auf Art. 431 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 3 JStPO, da der mit der (vorsorglichen) Unterbringung verbundene Freiheitsentzug keine Untersuchungshaft i.S.v. Art. 431 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 51 und Art. 110 Abs. 7 StGB darstellt (E. 1.6). Ein übergangsweiser Aufenthalt eines Jugendlichen, dem gegenüber eine (vorsorgliche) geschlossene Unterbringung verfügt wurde, in einer Straf- oder Haftanstalt kann zulässig sein, soweit dies erforderlich ist, um eine geeignete Einrichtung zu finden. Kriterien für die Beurteilung der Zulässigkeit der Dauer bis zum Eintritt in eine geeignete Einrichtung (E. 1.7.3 mit Hinweis auf BGE 148 I 116 E. 2.4). Zulässigkeit im konkreten Fall bejaht (E. 1.7.4).

149 IV 289 (6B_1160/2022) from 1. Mai 2023
Regeste: Art. 431 Abs. 2 und 3 StPO; Art. 66a f. StGB; Entschädigung für immateriellen Schaden wegen übermässigen Freiheitsentzuges; Berücksichtigung der niedrigeren Lebenshaltungskosten in dem Land, in das die berechtigte Person ausgewiesen werden soll. Kriterien für die Bestimmung der Höhe der Genugtuung wegen übermässigen Freiheitsentzuges (Art. 431 Abs. 2 StPO) (E. 2.1.1-2.1.4). Die Rechtsprechungsgrundsätze, die es ausnahmsweise und keinem Schematismus folgend erlauben, den Betrag für die Entschädigung von immateriellem Schaden an die tieferen Lebenshaltungskosten am Wohnort der berechtigten Person anzupassen, gelten auch für die Entschädigung von ungerechtfertigter bzw. übermässiger Haft (E. 2.1.5). Diese Grundsätze können analog angewandt werden, wenn es um die Entschädigung übermässigen Freiheitsentzuges einer Person geht, die des Landes verwiesen werden soll. Damit kann der Betrag für die Entschädigung den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten des Ortes angepasst werden, an den der Berechtigte ausgewiesen wird (E. 2.4.2).

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