Verordnung
über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit
(VZAE)

vom 24. Oktober 2007 (Stand am 1. Januar 2022)


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Art. 36 Aufenthalt von Opfern und Zeuginnen und Zeugen von Menschenhandel

(Art. 30 Abs. 1 Bst. e AIG)

1 Die für die po­li­zei­li­chen Er­mitt­lun­gen oder ein Ge­richts­ver­fah­ren zu­stän­di­gen Be­hör­den tei­len der kan­to­na­len Mi­gra­ti­ons­be­hör­de (Art. 88 Abs. 1) vor Ab­lauf der Be­denk­zeit (Art. 35) mit, ob und wie lan­ge ei­ne wei­te­re An­we­sen­heit er­for­der­lich ist.

2 Die Mi­gra­ti­ons­be­hör­de des Kan­tons, in dem die Tat be­gan­gen wur­de, er­teilt für die vor­aus­sicht­li­che Dau­er der po­li­zei­li­chen Er­mitt­lung oder des Ge­richts­ver­fah­rens ei­ne Kurz­auf­ent­halts­be­wil­li­gung. Wer­den in meh­re­ren Kan­to­nen po­li­zei­li­che Er­mitt­lun­gen durch­ge­führt, so ist je­ner Kan­ton für die Er­tei­lung der Kurz­auf­ent­halts­be­wil­li­gung zu­stän­dig, in dem sich die Per­son zu­letzt auf­ge­hal­ten hat.72

3 Die Be­wil­li­gung kann aus den in Ar­ti­kel 35 Ab­satz 3 ge­nann­ten Grün­den wi­der­ru­fen oder nicht ver­län­gert wer­den.

4 Die Aus­übung ei­ner Er­werbs­tä­tig­keit kann be­wil­ligt wer­den, wenn:

a.
das Ge­such ei­nes Ar­beit­ge­bers nach Ar­ti­kel 18 Buch­sta­be b AIG vor­liegt;
b.
die Lohn- und Ar­beits­be­din­gun­gen nach Ar­ti­kel 22 AIG ein­ge­hal­ten wer­den;
c.
die Ge­such­stel­le­rin oder der Ge­such­stel­ler über ei­ne be­darfs­ge­rech­te Woh­nung nach Ar­ti­kel 24 AIG ver­fügt.

5 Läuft die Be­denk­zeit ab oder be­steht kei­ne Not­wen­dig­keit mehr für einen wei­te­ren Auf­ent­halt im Rah­men des Er­mitt­lungs- und Ge­richts­ver­fah­rens, muss die be­trof­fe­ne Per­son die Schweiz ver­las­sen.

6 Ein wei­te­rer Auf­ent­halt kann be­wil­ligt wer­den, wenn ein schwer­wie­gen­der per­sön­li­cher Här­te­fall vor­liegt (Art. 31). Die be­son­de­re Si­tua­ti­on von Op­fern so­wie Zeu­gin­nen und Zeu­gen von Men­schen­han­del ist zu be­rück­sich­ti­gen. Vor­be­hal­ten bleibt die An­ord­nung ei­ner vor­läu­fi­gen Auf­nah­me (Art. 83 AIG).

72 Fas­sung ge­mä­ss An­hang Ziff. 2 der V vom 7. Nov. 2012 über den aus­ser­pro­zes­sua­len Zeu­gen­schutz, in Kraft seit 1. Jan. 2013 (AS 2012 6731).

BGE

145 I 308 (2C_373/2017) from 14. Februar 2019
Regeste: Art. 30 Abs. 1 lit. e AIG, Art. 36 VZAE, Art. 14 Abs. 1 AsylG, Art. 14 Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels; Art. 4 EMRK. Anspruch eines (mutmasslichen) Opfers von Menschenhandel auf Erteilung einer Kurzaufenthaltsbewilligung für die Dauer eines Strafverfahrens, das der Verfolgung des Menschenhandels dient. Nach dem Grundsatz der Ausschliesslichkeit des Asylverfahrens (Art. 14 Abs. 1 AsylG) kann ein Verfahren auf Erteilung einer ausländerrechtlichen Bewilligung während der Hängigkeit des Asylverfahrens nur eingeleitet werden, wenn ein Anspruch auf die Erteilung der Bewilligung besteht (E. 3.1). Art. 30 AIG und Art. 36 VZAE gewähren keinen Anspruch (E. 3.3). Hingegen ergibt sich ein Bewilligungsanspruch aus Art. 14 Abs. 1 lit. b des Übereinkommens (E. 3.4.2), dem self-executing-Charakter zukommt (E. 3.2 und 3.4.1) auch im Licht von Art. 4 EMRK (E. 3.4.3). Art. 6 CEDAW kommt keine weiterreichende Bedeutung zu (E. 3.4.4). Die Verfügbarkeit eines mutmasslichen Menschenhandelsopfers für das in der Schweiz durchgeführte Strafverfahren kann nicht nach einer Dublin-Wegweisung nach Italien sichergestellt werden, indem ein Visum für einen Kurzaufenthalt ausgestellt wird; soweit die Weisungen des SEM eine solche Praxis nahelegen, sind sie mit den Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 lit. b des Übereinkommens nicht zu vereinbaren (E. 4.1).

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