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Art. 36 Aufenthalt von Opfern und Zeuginnen und Zeugen von Menschenhandel
(Art. 30 Abs. 1 Bst. e AIG) 1 Die für die polizeilichen Ermittlungen oder ein Gerichtsverfahren zuständigen Behörden teilen der kantonalen Migrationsbehörde (Art. 88 Abs. 1) vor Ablauf der Bedenkzeit (Art. 35) mit, ob und wie lange eine weitere Anwesenheit erforderlich ist. 2 Die Migrationsbehörde des Kantons, in dem die Tat begangen wurde, erteilt für die voraussichtliche Dauer der polizeilichen Ermittlung oder des Gerichtsverfahrens eine Kurzaufenthaltsbewilligung. Werden in mehreren Kantonen polizeiliche Ermittlungen durchgeführt, so ist jener Kanton für die Erteilung der Kurzaufenthaltsbewilligung zuständig, in dem sich die Person zuletzt aufgehalten hat.72 3 Die Bewilligung kann aus den in Artikel 35 Absatz 3 genannten Gründen widerrufen oder nicht verlängert werden. 4 Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit kann bewilligt werden, wenn:
5 Läuft die Bedenkzeit ab oder besteht keine Notwendigkeit mehr für einen weiteren Aufenthalt im Rahmen des Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens, muss die betroffene Person die Schweiz verlassen. 6 Ein weiterer Aufenthalt kann bewilligt werden, wenn ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorliegt (Art. 31). Die besondere Situation von Opfern sowie Zeuginnen und Zeugen von Menschenhandel ist zu berücksichtigen. Vorbehalten bleibt die Anordnung einer vorläufigen Aufnahme (Art. 83 AIG). 72 Fassung gemäss Anhang Ziff. 2 der V vom 7. Nov. 2012 über den ausserprozessualen Zeugenschutz, in Kraft seit 1. Jan. 2013 (AS 2012 6731). BGE
145 I 308 (2C_373/2017) from 14. Februar 2019
Regeste: Art. 30 Abs. 1 lit. e AIG, Art. 36 VZAE, Art. 14 Abs. 1 AsylG, Art. 14 Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels; Art. 4 EMRK. Anspruch eines (mutmasslichen) Opfers von Menschenhandel auf Erteilung einer Kurzaufenthaltsbewilligung für die Dauer eines Strafverfahrens, das der Verfolgung des Menschenhandels dient. Nach dem Grundsatz der Ausschliesslichkeit des Asylverfahrens (Art. 14 Abs. 1 AsylG) kann ein Verfahren auf Erteilung einer ausländerrechtlichen Bewilligung während der Hängigkeit des Asylverfahrens nur eingeleitet werden, wenn ein Anspruch auf die Erteilung der Bewilligung besteht (E. 3.1). Art. 30 AIG und Art. 36 VZAE gewähren keinen Anspruch (E. 3.3). Hingegen ergibt sich ein Bewilligungsanspruch aus Art. 14 Abs. 1 lit. b des Übereinkommens (E. 3.4.2), dem self-executing-Charakter zukommt (E. 3.2 und 3.4.1) auch im Licht von Art. 4 EMRK (E. 3.4.3). Art. 6 CEDAW kommt keine weiterreichende Bedeutung zu (E. 3.4.4). Die Verfügbarkeit eines mutmasslichen Menschenhandelsopfers für das in der Schweiz durchgeführte Strafverfahren kann nicht nach einer Dublin-Wegweisung nach Italien sichergestellt werden, indem ein Visum für einen Kurzaufenthalt ausgestellt wird; soweit die Weisungen des SEM eine solche Praxis nahelegen, sind sie mit den Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 lit. b des Übereinkommens nicht zu vereinbaren (E. 4.1). |